Das Kino interessierte und interessiert sich immer wieder für herausragende Persönlichkeiten der Zeitgeschichte, die durch ihre Stellung innerhalb einer Gesellschaft besonderen Einfluss auf Politik, Kultur oder Wirtschaft ausüben. Die Faszination der Macht zieht gleichwohl Filmemacher wie auch Zuschauer an, die im Kino ihr Bedürfnis auf die filmische Repräsentation der Macht befriedigen können. Spätestens seit dem Film "Der Untergang" weiß man, dass auch die „private“ Seite der Macht, und nicht bloß die öffentliche, ein großes Interesse auszulösen vermag. Gleichzeitig zeigt sich darin die Problematik einer Darstellung von Macht, denn diese kann im Film nicht erschöpfend geschweige denn objektiv repräsentiert werden, so dass der Film zwar einerseits zeigt, andererseits jedoch noch mehr verschweigt, was bei der Darstellung von historischen Personen verzerrende und verschleiernde Züge annehmen kann. Auch der Film "Citizen Kane" zeigt eine Figur, die erfüllt ist von Macht, die zur öffentlichen Person wird, die enormen Einfluss auf verschiedene gesellschaftliche Bereiche ausübt, und die letztendlich einsam stirbt.
Erst die persönlichen Erzählungen der verschiedenen Weggefährten, die in engem Kontakt zu Kane gestanden sind, bauen die Figur Kane auf und überschreiten die reine Faktizität der Wochenschauberichte am Anfang des Films. Mit dieser kontinuierlichen Konstruktion der Figur geht der Aufbau der Macht- und Gewaltstrukturen einher, die in Kanes Biographie omnipräsent sind. In dieser Arbeit soll analysiert werden, welche verschiedenen Formen der Machtverhältnisse im Film präsentiert werden, wie sich diese aufeinander beziehen und in Gewaltverhältnisse umschlagen und letztlich wie sich die Formen der Macht und Gewalt dekonstruieren und sogar gegen den Urheber wenden. Der Aufbau und die Veränderung der Verhältnisse spiegeln sich allerdings nicht nur auf inhaltlicher Ebene wieder, denn gerade die filmästhetische Inszenierung der Figur Kane unterstützt die Darstellung und die Rezeption der Macht- und Gewaltverhältnisse. Die Veränderung sowie die Visualität der Macht in "Citizen Kane" stellen zwei dominante Faktoren dar, die dem Film in seinem historischen Kontext und in seiner zeitunabhängigen Rezeption eine besondere Relevanz verleihen. Denn einerseits weist der Film zahlreiche Bezüge zu seiner Entstehungszeit auf und andererseits hat die kühne Nutzung inszenatorischer Methoden die nachfolgende Filmästhetik beeinflusst.
Inhaltsverzeichnis:
1. Film und Macht – Macht im Film
2. Machtkonstruktionen
3. Wandel der Macht
4. Machtverlust
5. Nach dem Ende der Macht
6. Bibliografie
1. Film und Macht – Macht im Film
Das Kino interessierte und interessiert sich immer wieder für herausragende Persönlichkeiten der Zeitgeschichte, die durch ihre Stellung innerhalb einer Gesellschaft besonderen Einfluss auf Politik, Kultur oder Wirtschaft ausüben. Die Faszination der Macht zieht gleichwohl Filmemacher wie auch Zuschauer an, die im Kino ihr Bedürfnis auf die filmische Repräsentation der Macht befriedigen können. Spätestens seit dem Film Der Untergang weiß man, dass auch die „private“ Seite der Macht, und nicht bloß die öffentliche, ein großes Interesse auszulösen vermag. Gleichzeitig zeigt sich darin die Problematik einer Darstellung von Macht, denn diese kann im Film nicht erschöpfend geschweige denn objektiv repräsentiert werden, so dass der Film zwar einerseits zeigt, andererseits jedoch noch mehr verschweigt[1], was bei der Darstellung von historischen Personen verzerrende und verschleiernde Züge annehmen kann. Auch der Film Citizen Kane zeigt eine Figur, die erfüllt ist von Macht, die zur öffentlichen Person wird, die enormen Einfluss auf verschiedene gesellschaftliche Bereiche ausübt, und die letztendlich einsam stirbt. Anders als im Untergang handelt es sich in Citizen Kane jedoch nicht um eine historische Person, auch wenn sich die Interpreten immer wieder bemüht haben, die durchaus vorhandenen Parallelen zwischen der Filmfigur Charles Foster Kane und dem realen William Randolph Hearst herauszuarbeiten[2].
Der Film Citizen Kane zeigt den Aufstieg und Fall einer fiktiven Figur, die aus mehreren Erzählperspektiven beleuchtet wird. Die Figur Kane erschließt sich für den Reporter Thompson, der dem rätselhaften letzten Wort von Kane nachgeht, und gleichzeitig dem Zuschauer erst im Verlauf des Films, die durch die Rückblicke von Kanes Weggefährten vorangetrieben wird. Die Frage nach der Objektivität, dem Zeigen und Verbergen von Tatsachen erübrigt sich durch die Einnahme von mehreren personalen Erzählperspektiven, da der personale Erzähler a priori nicht objektiv sein kann. Die einzigen gesicherten, und in diesem Sinne objektiven Informationen über die Biographie von Kane erfährt der Zuschauer direkt zu Beginn des Films in der Einspielung der News on the March. Stichpunktartig werden darin die einzelnen Stationen aus Kanes Leben abgehandelt, die vor allem dessen öffentliche Seite thematisieren und somit als bloße Zusammenfassung des fiktiven Kane-Diskurses gelten können. Doch die öffentlich zugänglichen Informationen über Kane sind nicht das Thema des Films, sonst würde der Chefredakteur der News on the March nicht seinen Reporter Thompson losschicken, um neue Informationen zu recherchieren. Das entscheidende Moment „ist nicht die ‚Persönlichkeit’ des Charles Foster Kane, nicht dessen Biographie (noch immer ist das ‚biopic’ ein beliebtes, weil idiotensicheres Genre in Hollywood), sondern der Prozeß der Suche selbst.“[3] Erst die persönlichen Erzählungen der verschiedenen Weggefährten, die in engem Kontakt zu Kane gestanden sind, bauen die Figur Kane auf und überschreiten die reine Faktizität der News on the March. Mit dieser kontinuierlichen Konstruktion der Figur geht der Aufbau der Macht- und Gewaltstrukturen einher, die in Kanes Biographie omnipräsent sind und sich deswegen folgerichtig durch den ganzen Film ziehen. Dabei ist eine grundlegende Unterscheidung zwischen Macht und Gewalt wichtig, denn zwischen diesen beiden Polen bewegen sich die filmimmanenten Relationen der Figuren: Ein Machtverhältnis ist dadurch gekennzeichnet, dass es „nicht direkt und unmittelbar auf die anderen einwirkt, sondern eben auf deren Handeln, […] so daß der ‚andere’ (auf den es einwirkt) als Subjekt des Handelns bis zuletzt anerkannt und erhalten bleibt und sich vor dem Machtverhältnis ein ganzes Feld von möglichen Antworten, Reaktionen, Wirkungen, Erfindungen eröffnet.“[4] Das Gewaltverhältnis hingegen negiert jenes Feld der Entscheidungsfindungen, denn „es schließt alle Möglichkeiten aus.“[5] Im Folgenden wird zu zeigen sein, welche verschiedenen Formen der Machtverhältnisse im Film präsentiert werden, wie sich diese aufeinander beziehen und in Gewaltverhältnisse umschlagen und letztlich wie sich die Formen der Macht und Gewalt dekonstruieren und sogar gegen den Urheber wenden. Der Aufbau und die Veränderung der Verhältnisse spiegeln sich allerdings nicht nur auf inhaltlicher Ebene wieder, denn gerade die filmästhetische Inszenierung der Figur Kane unterstützt die Darstellung und die Rezeption der Macht- und Gewaltverhältnisse. Die Veränderung der Macht sowie die Visualität der Macht in Citizen Kane stellen zwei dominante Faktoren dar, die dem Film in seinem historischen Kontext und in seiner zeitunabhängigen Rezeption eine besondere Relevanz verleihen. Denn einerseits weist der Film zahlreiche Bezüge zu seiner Entstehungszeit auf und andererseits hat die kühne Nutzung inszenatorischer Methoden die nachfolgende Filmästhetik beeinflusst.
2. Machtkonstruktionen
Durch die Einfügung des Wochenschauberichts über Kanes Tod erhält der Rezipient alle nötigen Informationen an die Hand, um im Folgenden durch die Rückblenden genauere Kenntnis über die Figur zu gewinnen. Der narrative Vorgriff, der Kanes Vermögen, Verdienste und Verfehlungen aneinanderreiht, zwingt den Zuschauer seinen Blick auf die Erzählung(en) selbst und nicht auf deren fiktiven und illusionistischen Inhalt zu lenken[6]. Deswegen kommt der narrativen Struktur nicht nur wegen der Frage der Objektivität, die formal ausgeschlossen wird, eine große Bedeutung zu, sondern auch die strukturale Abfolge der einzelnen Erzählperspektiven trägt zur Konstruktion der Machtverhältnisse bei. Kanes Macht entsteht nicht von einem Moment auf den anderen, sondern folgt einer logischen, kausal verbundenen Kette auf inhaltlicher wie formaler Ebene. Der Reporter Thompson sucht zu Beginn seiner Nachforschungen als erstes Susan Alexander auf, die ihm aber jegliche Auskunft über Kane verweigert. Würde die Sängerin, die erst spät in Kanes Leben eintritt, die verlangten Auskünfte erteilen, hätte die oben beschriebene kausale Abfolge der Entstehung der Machtverhältnisse erst gar nicht in Gang kommen können. Denn die Grundlage für die exponierte Stellung von Kane, das weiß der Zuschauer aus den News on the March, ist der Besitz einer der größten Goldgruben der Welt. Erst aus dieser unendlichen Kapitalquelle können die folgenden Machtverhältnisse entstehen. Die grundlegende Bedingung der Macht kann jedoch nicht von Susan Alexander erzählt werden, da ihre Perspektive nicht bis in Kanes Kindheit zurückreicht. Deshalb fungieren die schriftlichen Aufzeichnungen von Thatcher als erste Erzählperspektive, die einerseits chronologisch in Kanes Kindheit ansetzt und andererseits die Bedingung der Macht genauer beleuchtet. Somit geht der Aufbau der Figur Kane mit dem Aufbau der Machtverhältnisse einher. An dieser Stelle zeigt sich wiederum, dass nicht die Biographie Kanes im Vordergrund steht, auch wenn die Kindheit der Ausgangspunkt einer Biographie darstellt, sondern vor allem die einzelne, personale Perspektive auf verschiedene Aspekte der Figur Kane. Im Falle Thatchers, der als Treuhänder das Vermögen von Kane bis zu dessen 25. Lebensjahr verwaltet, richtet sich sein Fokus stark auf die finanziellen und wirtschaftlichen Bereiche. Sein persönlicher Blick auf Kane ist einerseits mit der Thematisierung ökonomischer Fragen verbunden und andererseits dient dieser Blick dazu, dem Zuschauer die finanzielle sowie wirtschaftliche Machtposition Kanes zu verdeutlichen. Da der Umfang des Reichtums bereits minutiös im Wochenschaubericht aufgelistet wird, konzentriert sich die Erzählung Thatchers vielmehr auf Kanes Umgang mit dem Reichtum, welcher Thatchers Verständnis von ökonomischen Prinzipien diametral entgegensteht. Aus diesem Grund echauffiert sich Thatcher über die kritische Berichterstattung des New York Inquirer über wirtschaftspolitische Themen, nachdem Kane die Redaktion der Zeitung übernommen hat, weil in seinem Verständnis Kane gegen sich selbst und seine wirtschaftliche Vormachtstellung agiert. Kane hingegen setzt sich über dieses ökonomische Paradoxon hinweg, in dem er auf seine Doppelrolle als Aktionär und Herausgeber mit publizistischen Idealen verweist. Ebenso setzt er sich über die jährlichen Verluste von einer Million Dollar des Inquirer hinweg, auf die ihn Thatcher aufmerksam macht, denn die gewaltige Kapitalmacht ermöglicht es ihm theoretisch, die Zeitung bei den jährlichen Verlusten noch 60 weitere Jahre betreiben zu können. Im entscheidenden Streitgespräch zwischen Kane und Thatcher in den Redaktionsräumen des Inquirer, in dem Kanes negative Kritik und die Verluste der Zeitung angesprochen werden, setzt sich Kane nicht nur rhetorisch gegen Thatcher durch, sondern überwindet durch die Ignorierung der Verluste, die er selbst zu verantworten hat gleichzeitig sämtliche ökonomische Prinzipien. Gerade in diesem Punkt manifestiert sich ein ökonomisches Machtverhältnis, denn nicht das ökonomische System mit seinen Regeln und Strukturen unterwirft Kane, sondern umgekehrt, er unterwirft das System seinen eigenen Regeln. Analog zur inhaltlichen Ebene wird auch im Filmbild das Machtverhältnis veranschaulicht. Am Anfang des Streitgesprächs lehnt Kane gelassen in einem Stuhl und zündet sich eine Pfeife an, wohingegen Thatcher vor allem von hinten oder im Halbprofil zu sehen ist, was seine Funktion als Erzähler unterstreicht, da er eine ähnliche Perspektive wie das Publikum einnimmt. An beiden rhetorischen Wendepunkten der Diskussion rückt Kane noch stärker in die Bildmitte, so dass seine Mimik beide Male das Bild dominiert. Während die Rückenansicht Thatchers zum Schatten verkommt, zeigen sich in Kanes Gesicht die Entschlossenheit und Überlegenheit gegenüber Thachter, die am Ende des Disputs mit einem Close-Up von Kanes Lächeln unterstrichen wird. Die Reaktion Thatchers bleibt im Verborgenen, Kanes Dominanz in dieser Szene wird hingegen durch die Kameraeinstellung unübersehbar. Will man die Figur Thatcher als Personifikation von wirtschaftlichem Sachverstand begreifen, so setzt sich Kane in dieser Einstellung mit visuellen Mitteln über jenen Sachverstand hinweg. In der nachfolgenden Szene, in der Kane aufgrund der Weltwirtschaftskrise einen Großteil seines Vermögens verkaufen muss, bekräftigt er abermals die kategoriale Differenz zwischen ihm und Thatcher. Auf die Frage Thatchers, was er denn sein wolle, antwortet er lapidar: „Alles was Sie hassen!“ Auch in der wirtschaftlichen Krisensituation bleiben Kanes eigene Regeln und damit seine Machtposition erhalten, denn Thatcher gesteht ein, dass Kane trotz des Verkaufs vieler Zeitungen weiterhin einen großen Einfluss auf diese ausüben wird, was abermals die paradoxe Machtkonstellation belegt. Zwar trifft die Weltwirtwirtschaftkrise Kanes Imperium hart, doch sie kann es nicht zu Fall bringen, im Gegensatz zu vielen anderen historischen Beispielen. Auch in dieser Szene steht Kane immer im Mittelpunkt des Bildes zwischen Thatcher und Bernstein, die den gealterten Kane umrahmen. Seine Machtposition und damit auch seine visuelle Dominanz sind zwar angeschlagen, jedoch nicht von der Bildfläche getilgt. Gleichzeitig wird an dieser Stelle Bernstein im Halbprofil in der imaginären Nähe zum Zuschauer präsentiert. Diese Haltung, die als Identifikationsangebot an den Zuschauer verstanden werden muss, leitet den Übergang zu Bernsteins Erzählung ein, zumal die finanzielle und wirtschaftliche Macht von Kane durch Thatchers Erzählung deutlich zum Vorschein gekommen ist. Da selbst die Weltwirtschaftskrise Kanes Position nicht grundlegend erschüttern kann, bildet die Resistenz der wirtschaftlichen Macht gegen Krisenerscheinungen wiederum die Bedingung für die Stabilisierung und Ausdehnung der Machtstrukturen, die Bernstein aus seiner Perspektive erzählt. Dabei werden bereits eingeführte stilistische Mittel in der Bebilderung der Rückblende noch exzessiver genutzt, so dass sich allein schon an den Bildkompositionen der Machtzuwachs ablesen lässt.
Bernstein fungiert als erster oraler Erzähler im Film, der unmittelbar auf seine Erinnerungen an Kane zurückgreift und diese Thompson und damit auch dem Zuschauer vermittelt. Zu Beginn des Gesprächs mit Thompson stellt er aus diesem Grund sein Erinnerungsvermögen unter Beweis, in dem er eine Anekdote erzählt, die er seit 45 Jahren im Gedächtnis gespeichert hat. In dem Verweis auf die Erinnerung, die sich immer in der Gegenwart konstituiert und damit die Filmerzählung gleichsam in die Gegenwart verlegt, legt Bernstein den Fokus auf die Erzählstruktur des Films selbst, dessen Narration sich aus verschiedenen Erinnerungen zusammensetzt. Die Thematisierung der Erzählstruktur bildet einen weiteren Beleg für den hohen Grad an filmischer Selbstreflexivität, die sich eben nicht auf die reine Abhandlung von Medialität an sich beschränkt.[7] Genauso wie die Erzählstruktur mit ihren zwangsläufigen Relativierungen der einzelnen Aussagen immer näher in den Blick rückt, drängt sich ebenso die Figur Kane in Bernsteins Erzählung immer mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Schon bei der Übernahme des New York Inquirer beherrscht Kane durch seine physische Präsenz das Bild. Wenn er dem Chefredakteur Carter die neuen Methoden der Zeitung schon kurz nach dem Eintreffen oktroyiert, dann drückt sich seine Überlegenheit einerseits durch seine Ruhe und Gelassenheit aus und andererseits durch seine körperliche Größe, durch die er immer auf Carter hinabschaut und die noch durch eine relativ geringe Untersicht der Kamera unterstützt wird. Interessant in dieser Auseinandersetzung mit Carter sind die Unterschiede der publizistischen Methoden gegenüber Thatchers Erzählung. Während sich Kane im Disput mit Thatcher als Sprachrohr der Werktätigen zu profilieren versucht, so vertritt er Carter gegenüber die Ansicht, dass die Größe der Schlagzeile bzw. des Aufmachers die Größe der Meldung bedinge. In diesem Zusammenhang stellt der Übergang von Thatchers Memoiren zu Bernsteins Erinnerung den Wandel vom politisch engagierten, der Wahrheit verpflichteten Herausgeber zum boulevardesken Meinungsmacher dar, der mehr um die Auflage der Zeitung als um ihren Informationsgehalt besorgt ist. Insofern wandelt sich auch Kanes publizistische Macht innerhalb der Gesellschaft: wurde sie zuvor noch zur Kritik an Missständen instrumentalisiert, um zu einer Veränderung beizutragen, so beleuchtet Bernsteins Perspektive schon die Anfänge einer demagogischen und manipulativen Wirklichkeitsbeeinflussung, die sich im Laufe der Erzählung noch weiter intensivieren wird und damit Kanes Meinungsmacht befestigt. Nichtsdestotrotz wird Kane in Bernsteins Erzählung ein letztes Mal als idealistische und philanthropische Figur inszeniert, die ihre Grundsätze öffentlich kundtut. Lelands beiläufiger Einwand, dass jeder Satz der Grundsatzerklärung mit dem Wort „ich“ anfange, streitet Kane mit dem Verweis auf die Verantwortlichkeit ab. Dennoch veranschaulicht die Wortwahl dieses Dokuments das auf eine einzige Person zentrierte System der Machtverteilung innerhalb des Inquirer, dessen vertikale Organisation auf Kane zugeschnitten ist. Die Visualisierung dieser Szene verknüpft sich abermals mit der inhaltlichen Thematik: Kane befindet sich wiederum in der Bildmitte, gerahmt von Leland und Bernstein, der als personaler Erzähler den Blick des Zuschauers einnimmt. Während der ganzen Szene tritt die zuvor schon oft eingesetzte Untersicht stärker hervor, so dass Kane noch größer wirkt als er tatsächlich ist. Der überlebensgroßen Stellung von Kane verleiht Leland durch die Parallelisierung von Kanes Grundsatzerklärung mit der Unabhängigkeitserklärung und der Verfassung historischen Nachdruck. Die Historizität des Dokuments ironisiert er aber gleichzeitig durch die Verbindung zu seinem ersten Schulzeugnis, welches somit einen Schatten auf die Bedeutung des Dokumentes legt, ein Schatten, der während der ganzen Szene gleichwohl auf Kanes Gesicht liegt. Diese ersten Relativierungen von Kanes Über-Macht fallen jedoch nicht weiter ins Gewicht, da weiterhin ein wirtschaftliches, publizistisches und filmästhetisches Expandieren der Macht präsentiert wird.
[...]
[1] Vgl. Peter Reichel: ‚Onkel Hitler und die Familie Speer’ – Die NS-Führung privat, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Film und Gesellschaft, Nr. 44, Bonn 2005, S. 15-23.
[2] Vgl. Pauline Kael: The best film ever made, London 2002, S. 86-87. Kael sieht die Qualität des Films in den engen Verknüpfungen zur Realität seiner Entstehungszeit und damit in den Verweisen auf Hearst.
[3] Manfred Etten: Xanadu revisited. ‚Citizen Kane ’ wird 50, in: Filmdienst 1991, Nr. 9, S. 7.
[4] Michel Foucault: Wie wird Macht ausgeübt? in: Jan Engelmann (Hg.): Foucault. Botschaften der Macht. Reader Diskurs und Medien, Stuttgart 1999, S. 192.
[5] Ebd. S. 192.
[6] Vgl. Bertolt Brecht: Über Politik auf dem Theater, Frankfurt a. M. 1971, S. 37-40. Nach Brechts Theorie des Epischen Theaters soll der Zuschauer durch den bewussten Anti-Illusionismus in die Lage versetzt werden, letztendlich zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse beizutragen.
[7] Vgl. dazu David Boyd: Film and the interpretive process. A study of Blow-Up, Rashamon, Citizen Kane , 8 ½, Vertigo and Persona, New York; Bern; Frankfurt a. M.; Paris 1989, S. 101. Boyd beschreibt darin die Selbstthematisierung des Kinos durch die News on the March zu Beginn des Films .
- Arbeit zitieren
- Frank Dersch (Autor:in), 2006, Der Wandel der Macht in Citizen Kane, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/57742
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