Das klassische Drama Wilhelm Tell wurde 1804 im Hoftheater in Weimar uraufgeführt. Es hat eine lange und bewegte Wirkungsgeschichte hinter sich und ist ohne Zweifel die berühmteste literarische Bearbeitung des Tell-Stoffes, die vielfältige Übersetzungen, so zum Beispiel ins Dänische, Italienische, Französische und Englische hervorgebracht hat.
Dass Schiller kein Schweizer, sondern Deutscher war und die Schweiz (im Gegensatz zum Trend seiner Zeit und zu seinen Kollegen wie etwa Goethe) nie bereist hat, ist bekannt. Dennoch wird Schillers letztes Drama in der Schweiz aufgeführt. Dies geschieht aber nicht mit der Absicht, den deutschen Dichter für die Schweiz zu vereinnahmen, sondern zeigt vielmehr die ungeheure Wirkung seiner Fassung des Wilhelm Tell auf.
Ein weiterer Beleg für die ungeheure Wirkung des Dramas ist auch die Tatsache, dass ein großer Teil der Verse des Tell zu Geflügelten Worten wurde.
Bis heute ist Wilhelm Tell bei dem Schweizer Publikum und den Touristen ausgesprochen populär. Zum Beispiel finden in Interlaken noch immer jährlich die berühmten Tellspiele statt. Die Aufführungen in Tells Heimat Altdorf werden hingegen in größeren Abständen rea-lisiert und richten sich eher an das einheimische Publikum.
In jedem Fall ist das Drama ein Klassiker schulischer Lektürelisten, das in verschiedenen Jahrgangsstufen und Schultypen Berücksichtigung findet und mit Hilfe der hier angedachten Unterrichtsreihe beispielsweise in einer achten Klasse erarbeitet werden könnte.
Inhaltsverzeichnis
1. Sachanalyse des Werks
1.1 Der Autor: Friedrich Schiller
1.2 Entstehungshintergrund
1.3 Inhaltsangabe
1.4 Handlungsstränge
1.4.1 Tell-Handlung
1.4.2 Öffentliche Sache
1.4.3 Bertha-Rudenz-Handlung
1.5 Wirkungsgeschichte
2. Didaktische Reduktion
3. Überblick über den Stundenverläufe
3.1 Erste Annäherung an den Text
3.2 Einbruch des Unheils in die Alpenidylle
3.3 Tell als Held
3.4 Inhaltliche Zusammenfassung der Apfelschussszene und erste interpretatorische Ansätze
3.5 Einteilung der Apfelschussszene in fünf Sinnabschnitte
3.6 Kreatives Schreiben
3.7 Geßler: Tells Gegenspieler
3.8 Tötung Geßlers
3.9 Vergleich Tell / Parricida
3.10 Gertrud und Hedwig
3.11 Dramentheorie
3.12 Szenische Darstellung der Apfelschussszene
4. Detaillierte Planung ausgewählter Stunden
4.1 Vergleich Tell / Parricida
4.1.1 Einordnung der Stunde in die Unterrichtsreihe
4.1.2 Fachwissenschaftliche Analyse des Stundenthemas
4.1.3 Didaktische Reduktion
4.1.4 Lernziele bzw. angestrebte Kompetenzen bei den Schülern
4.1.5 Verlauf der Stunde (in Unterrichtsschritten)
4.1.6 Inhaltssicherung
4.2 Geßler: Tells Gegenspieler
4.2.1 Einordnung der Stunde in die Unterrichtsreihe
4.2.2 Fachwissenschaftliche Analyse des Stundenthemas
4.2.3 Didaktische Reduktion
4.2.4 Lernziele bzw. angestrebte Kompetenzen bei den Schülern
4.2.5 Verlauf der Stunde (in Unterrichtsschritten)
4.2.6 Inhaltssicherung
4.3 Tell als Held
4.3.1 Einordnung der Stunde in die Unterrichtsreihe
4.3.2 Fachwissenschaftliche Analyse des Stundenthemas
4.3.3 Didaktische Reduktion
4.3.4 Lernziele bzw. angestrebte Kompetenzen bei den Schülern
4.3.5 Verlauf der Stunde (in Unterrichtsschritten)
4.3.6 Inhaltssicherung
5. Literaturverzeichnis
1. Sachanalyse des Werks
1.1 Der Autor: Friedrich Schiller
Friedrich Schiller gilt neben Johann Wolfgang von Goethe als der Repräsentant des Sturm und Drang sowie der Deutschen Klassik. Neben seiner Lyrik und seinen Dramen sind auch seine theoretischen Schriften von hoher Bedeutung, weshalb Kaufmann zurecht daraufhin weist, dass „die nationale Identität der Deutschen […] noch immer wesentlich durch die literarische Tradition mitbegründet [wird], zu deren Hauptrepräsentanten Friedrich Schiller nach wie vor zählt.“[1].
Schiller wuchs als Sohn eines Wundarztes und Offiziers auf. Auf Befehl des württembergischen Landesherrn Carl Eugen absolvierte Schiller ab 1773 eine militärisch-medizinische, sowie juristische Ausbildung an der Stuttgarter Carlsschule. Bereits hier begann er zu dichten, bevor er „Regimentsmedikus“ wurde und schließlich die Flucht nach Mannheim ergriff[2]. Dort erwarteten ihn finanzielle Sorgen, Jahre der Wanderschaft und der Versuch, als freier Schriftsteller Fuß zu fassen. In dieser Zeit entstanden Werke wie „Die Räuber“, das nach großen Schwierigkeiten am Mannheimer Nationaltheater uraufgeführt wurde, wo Schiller beschäftigt war[3].
1778 traf Schiller zum ersten Mal mit Goethe zusammen. Aus einer zweiten Begegnung 1794 entwickelte sich eine Freundschaft beider Dichter, die 1799 durch Schillers Übersiedlung nach Weimar vertieft wurde und die die Weimarer Klassik begründete[4].
In dieser Zeit entstanden seine großen historischen Werke, unter anderem das 1800 veröffentlichte Werk Wilhelm Tell.
Schiller, geboren 1759, starb 1805 in Weimar. In seinen letzten Lebensjahren ließ seine Schaffenskraft nach, da er an einer Lungenkrankheit litt[5].
1.2 Entstehungshintergrund
Schillers historische Quellen für Wilhelm Tell waren Aegidius Tschudis „Chronicon Helveticum“ aus dem 16. Jahrhundert und die „Geschichte der schweizerischen Eidgenossen“ von Johannes Müller (1786).
Der historische Hintergrund des Geschehens ist der Beginn des Schweizer Unhabhängigkeitskampfes gegen Habsburg, welchen Schiller „nach dramatischen Gesichtspunkten gestrafft und gerafft“ und gleichzeitig auf die Figur des Wilhelm Tell hin ausgerichtet hat, dessen Schicksal bei Tschudi eines unter anderen ist[6].
Als Basis bedient sich Schiller der Geschehnisse der Französischen Revolution, deren Ideen „ihn wie die meisten bürgerlichen Intellektuellen in Deutschland“ begeistern, deren Umsetzung er aber scharf kritisiert[7]. Die Französische Revolution, „die Chaos und Unrecht und wiederum Parteiung aus Eigennutz schaffte“[8] erschien Schiller blutig und von exzessiver Gewalt geprägt, was ihm derart missfiel, dass er daraufhin ein Gegenmodell entwickelte.
Er entwickelte seine Vorstellung der „ästhetischen Erziehung“, die den Reifeprozess des einzelnen Individuums vorantreiben soll, damit es lernt, mit politischer Freiheit verantwortungsbewusst umzugehen. Erst dadurch wird es möglich die Befreiung von der Tyrannei maßvoll und ohne Blutvergießen durchzuführen[9]. Da diese für Schiller unerlässlichen Voraussetzungen in der Französischen Revolution nicht gegeben waren, folgte auf sie unweigerlich die Schreckensherrschaft.
Dieses durchaus positive und friedensorientierte Gegenmodell hat Schiller in seinem Wilhelm Tell verwirklicht. Sein Geschichtsbild zeigt sich besonders darin, dass die Eidgenossen keine Revolutionäre im Sinne der Französischen Revolution sind, sondern sich in geplantem und gewaltfreiem Vorgehen von der Tyrannei befreien.
1.3 Inhaltsangabe
Das Nationaldrama Wilhelm Tell handelt vom Freiheitskampf der Schweizer in den Kantonen Uri, Schwyz und Unterwalden gegen die Tyrannenherrschaft der Landvögte des Kaisers im 14. Jahrhundert.
Die Idylle am Vierwaldstätter See wird durch den atemlos herbeilaufenden Konrad Baumgarten unterbrochen. Er hat einen Burgvogt des Kaisers getötet, da dieser seine Frau vergewaltigen wollte, und wird nun von den Gefolgsleuten des Landvogts verfolgt. Willhelm Tell übernimmt spontan und selbstlos die Rettung von Baumgarten, indem er ihn mit einem Boot trotz Unwetter über den See bringt. Der Gerettete wird zu Werner Stauffacher gebracht, einem wohlhabenden und angesehenen Mann, der jedoch ebenfalls der Willkür der Vögte ausgesetzt ist. Nachdem Baumgarten in Sicherheit ist, beschließt Stauffacher sich mit Walter Fürst, dem Schwiegervater Tells, und anderen zu beraten um für die Freiheit der Schweizer zu kämpfen. Nach der Bekanntwerdung einer neuen Gräueltat des Vogts fällt die Entscheidung der Tyrannei ein Ende zu setzen. Der von Stauffacher und Fürst gefasste Entschluss für die Freiheit zu kämpfen, hat inzwischen viele Anhänger gefunden. Es folgt eine nächtliche Zusammenkunft der drei Kantone auf dem Rütli, wo drei Gesandte über die Zukunft beraten. Sie berufen sich auf ihre Menschenrechte und erkennen den Kaiser als ihren Führer an, beschließen jedoch, gegen die Gewaltherrschaft der Vögte vorzugehen. Bevor sie auseinander gehen besiegeln sie ihr Vorhaben mit einem Schwur.
Später findet eine Begegnung zwischen Ulrich von Rudenz und dem Landfräulein Bertha von Bruneck statt, bei der Rudenz Bertha eine Liebeserklärung macht. Unter dem Einfluss von Bertha entschließt sich Rudenz sich am Freiheitskampf der Eidgenossen zu beteiligen. Kurz darauf erhält er die Gelegenheit, seine Volkstreue unter Beweis zu stellen. Wilhelm Tell hat es versäumt, einen von Geßler auf einer Stange aufgehängten Hut feierlich zu grüßen und wird daraufhin des Verrats bezichtigt. Als der Landvogt von dem Verstoß erfährt, verspricht er dem Übeltäter Gnade sofern er in der Lage ist seinem Sohn einen Apfel vom Kopf zu schießen. Tell gelingt dieser Schuss zwar, er wird aber dennoch von Geßler verhaftet, da dieser Angst vor Tells Rache hat. Auf dem Weg zum Kerker schafft es Tell jedoch zu entkommen.
Gleichzeitig erfährt Attinghausen im Sterbebett von Tells Gefangennahme und dem Bund des Volkes. Er ermahnt die Eidgenossen zur Einigkeit und stirbt. Sein kurz darauf eintreffender Neffe Rudenz drängt auf einen raschen Vollzug der Erhebung, zumal der Landvogt das Landfräulein Bertha von Bruneck entführt hat.
Währenddessen lauert Tell dem Landvogt auf um ihn zu töten. Als Geßler eintrifft und eine ihn anflehende Frau bedroht, trifft ihn Tells Pfeil. Der Landvogt stirbt und Tell kann unverfolgt entkommen.
Die Landleute fallen sich in die Arme und bejubeln die neu gewonnene Freiheit. Der Tod des Landvogtes gibt den Anstoß zu einer Erhebung im ganzen Land. Dennoch fürchten sich die Schweizer vor einer Rache ihres Kaisers. Jedoch kommt kurz darauf eine Nachricht von der Ermordung desselben durch seinen eigenen Neffen, Johann von Schwaben. Dieser hofft bei Tell Verständnis für seine Tat zu finden, doch der weist ihn zurück mit der Begründung, dass er nicht aus Notwehr, sondern lediglich aus Eigennutz gehandelt habe. Dennoch verrät er ihn nicht.
Vor Tells Haus versammeln sich die Menschen um ihn als Held und Befreier der Schweiz zu feiern.
1.4 Handlungsstränge
In Wilhelm Tell hat Schiller drei große Handlungsstränge miteinander verbunden: die Handlung um Wilhelm Tell, die Entstehung von der Eidgenossenschaft und der Erhebung gegen die Habsburger sowie die Liebesgeschichte von Bertha und Rudenz. Außerdem kommen noch der Familienzwist zwischen Rudenz und seinem Onkel sowie die Episode um Parricida und den Kaisermord vor.
1.4.1 Die Tell-Handlung
Bei der Figur des Wilhelm Tell handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um eine reine Sagengestalt, deren Heldentaten aus dem englischen und nordeuropäischen Raum überliefert wurden. Die Diskussion ob es sich bei Tell um eine historische Persönlichkeit handelt, wird bereits 1760 durch ein anonymes Büchlein mit dem Titel „Der Wilhelm Tell. Ein dänisches Mährgen…“ in Gang gesetzt. Allerdings war die Entrüstung im Schweizer Volk darüber so groß, dass die Schrift in einigen Kantonen verboten worden ist[10].
Die Telltradition beginnt mit dem dänischen Geschichtsschreiber Saxo Grammaticus, der bereits im 12. Jahrhundert von einem Schützen mit dem Namen Toko erzählt, der von König Harald Blauzahn zu einem ähnlichen Schuss wie Tell genötigt wird. Genau wie bei Schiller legt der Protagonist einen Pfeil beiseite, um den König zu töten, wenn dem Kind etwas zustoßen würde und bringt den Tyrannen später im Wald um[11]. Wie die Geschichte in die Schweiz gelangte, ist unklar. Es wird aber vermutet, dass Kaufleute sie mitbrachten.
Schiller greift das Bild des Helden Tell bereits in der Exposition auf, in der er als Erlösergestalt dargestellt wird, der die Schweizer aus der Rechtlosigkeit führen kann. Damit wird sowohl die Grundposition für den Tell-Handlungsstrang, als auch für den Eidgenossenstrang entworfen.
Es kommt zu einer Trennung der beiden Handlungsstränge, da Tell sich nicht für die gemeinsame Sache engagiert. Schiller stellt ihn gemäß seinem oben erläuterten Geschichtsbild vielmehr als starken Einzelkämpfer dar und lässt ihn für Geduld und Gottvertrauen plädieren, die eine unblutige Lösung des Konflikts garantieren sollen: „Sie werden endlich doch von selbst ermüden, Wenn sie die Lande ruhig bleiben sehn.“ (Vers 430-431).
Die eigentliche Tell-Handlung beginnt, als sich Tell dazu entschließt trotz der drohenden Konfrontation mit Geßler nach Altdorf zu gehen. Die private Familienidylle steht hier im Kontrast zu der politischen Massenszene, dem Rütlischwur. Aus den beiden daraus resultierenden ausweglos erscheinenden Situationen (dem Apfelschuss und der Gefangennahme, in die der Held durch Geßler geraten ist) schafft es Tell mit Kühnheit und Geschicklichkeit wieder heraus.
Am Ende des Stückes zeigt Tell seine ambivalenten Charakterzüge, indem er, von allen bejubelt und gefeiert, kein Wort spricht. Denn von Anfang an hat sich Tell als Einzelgänger deklariert und sich selbst von der Verantwortung distanziert: „Der Starke ist am mächtigsten allein.“ (Vers 437). Der Mord an Geßler ist mit privaten Motiven Tells verknüpft und folgt nicht solidarisch den Zielen der anderen Eidgenossen, kommt diesen aber zu Gute. Als einziger von Schillers dramatischen Helden bringt Wilhelm Tell seine Sache erfolgreich zu Ende ohne daran zu Grunde zu gehen und nimmt somit eine Sonderrolle in Schillers Werk ein[12].
1.4.2 Die öffentliche Sache
Während die Tell-Handlung dem Bereich der Sage zuzuordnen ist, dreht sich die Handlung, die das Schicksal der Eidgenossen behandelt, um einen konkreten historischen Kern. Dennoch betrachten viele Historiker diese Zuordnung kritisch, weil der Rütlischwur eher als legendenhafte Ausschmückung anzusehen ist und nicht als die geschichtliche Wahrheit[13].
Die Dramenhandlung wird von Schiller in drei Kernszenen unterteilt: den Rütlischwur, das Zentrum der politischen Handlung, das den intellektuellen Mittelpunkt im Drama darstellt, das Attentat in der hohlen Gasse, das definitiv der Tell-Handlung zuzuordnen ist und die Apfelschussszene, die sowohl die Tell-Handlung als auch die öffentliche Handlung kurzfristig zu einem gemeinsamen Wendepunkt führen. Die Apfelschussszene bringt laut Neubauer eine „doppelte dramatische Umkehrung“[14]. Tells bisherige Lebensmoral, die naiv daran glaubt ein beschauliches Leben abseits der Geschichte führen zu können, wird drastisch erschüttert. Tell muss mit Schrecken feststellen, dass die Tyrannei auch vor seiner Familie nicht halt macht[15].
Die Tellhandlung wird ganz zu Ende des Dramas noch einmal aufgegriffen, als Tell dem Königsmörder Parricida gegenüber steht. Diese Szene dient zur Abgrenzung der beiden Tötungsdelikte: Parricidas Mord wird Tells Notwehr gegenüber gestellt. Die Szene ist somit im Zusammenhang mit dem großen Rechtfertigungsaufwand zu sehen, den Schiller zur Verteidigung seines Helden betrieben hat.
1.4.3 Die Bertha-Rudenz-Handlung
Der Liebesgeschichte zwischen Bertha und Rudenz wird vergleichsweise keine so große Bedeutung zugeteilt.
In der Tell-Handlung und in der Entstehung der Eidgenossenschaft sah Schiller die beiden Hauptstränge der Handlung und in deren Vereinigung das grundlegende Kompositionsprinzip des Stückes[16].
Bereits bei ihren ersten Auftritten ordnen sich Rudenz und Bertha selbst bestimmten gesellschaftlichen Gruppen zu. Bertha ist das adelige Fräulein, das Anteilnahme am Volk zeigt, jedoch von diesem zurückgewiesen wird, weil es in deren Augen zu der Gruppe der Unterdrücker zählt und Ulrich von Rudenz will sich für Habsburg stark machen, weil er sich unter seinen Landsleuten nicht wohl fühlt. Daneben sind seine Motive Ehrgeiz und Ruhmsucht. Im Laufe der Handlung distanziert er sich jedoch von seiner ursprünglichen Auffassung, unter anderem ausgelöst durch eine Begegnung mit Bertha in der Waldeinsamkeit, die mit dazu führt, dass „Rudenz […] eine Entwicklung vom hochmütigen Junker zum vorbildlichen, bürgerlich gesinnten Landesherrn und Eidgenossen durch[macht].“[17].
Weiterhin ergreifen sowohl Rudenz als auch Bertha bei der Apfelschussszene für Tell Partei, jeder jedoch auf seine Art und Weise. Bertha beschränkt sich auf das Bitten und Flehen und Rudenz versucht den Landvogt zunächst durch versteckte Kritik und weisen Zuspruch, schließlich durch konkrete Vorwürfe von seinem Vorhaben abzubringen. Durch Geßlers weiteres Verhalten erkennt Rudenz schließlich die bösen Absichten des Vogts und ergreift Partei für die Eidgenossen, obwohl er anfangs nicht am Rütli-Schwur beteiligt war: „Ein Schweizer bin ich, und will es sein von ganzer Seele.“ (Vers 2472). Aufgrund seiner militärischen Erfahrung und seines Fehlens beim Rütli-Schwur kann Rudenz als erster die Initiative ergreifen:
Stauffacher: Das Christfest abzuwarten, schwuren wir.
Rudenz: Ich war nicht dort, ich hab nicht mitgeschworen. Wartet ihr ab, ich handle.
(Vers 2514-2516).
Wie viele der anderen Bürger erkennt er, dass „rationales Planen nicht zur Starrheit werden und pedantisch die spontane Tat verhindern“ darf[18].
Obwohl der Bertha-Rudenz-Handlung auf den ersten Blick eher eine nebensächliche Rolle zuzukommen scheint, wird die Bedeutung der Rudenzfigur jedoch dadurch deutlich, dass Schiller ihm das letzte Wort erteilt: „Und frei erklär ich all meine Knechte.“ (Vers 3291). Damit setzt Rudenz symbolisch die Ideale, für die er nunmehr kämpft, in die Praxis um.
Der Handlungsstrang zeigt auf, wie Patriotismus durch die Liebe zum Leben erweckt wird und ein Abtrünniger zu Seinesgleichen zurückfindet[19].
1.5 Wirkungsgeschichte
Das klassische Drama Wilhelm Tell wurde 1804 im Hoftheater in Weimar uraufgeführt.
Es hat eine lange und bewegte Wirkungsgeschichte hinter sich und ist ohne Zweifel die berühmteste literarische Bearbeitung des Tell-Stoffes. Wie Schmidt sehr treffend begründet, ist es dieser Bekanntheit zuzuschreiben, dass es kaum weitere Versuche der Neubearbeitungen des Stoffes gab und gibt: „Der […] Grund liegt wohl darin, daß Schillers „Tell“ in Figuren und Handlung so weit und großartig angelegt war, daß ein späterer Dichter wohl einzelne Züge hätte ausbauen und verändern können; aber einer entscheidend neuen Auffassung stand Schillers Held all zu sehr im Wege.“[20]. Anstelle von Neubearbeitungen traten jedoch vielfältige Übersetzungen, so zum Beispiel ins Dänische, Italienische, Französische und Englische[21] auf.
Dass Schiller kein Schweizer, sondern Deutscher war und die Schweiz (im Gegensatz zum Trend seiner Zeit und zu seinen Kollegen wie etwa Goethe) nie bereist hat, ist bekannt. Dennoch wird Schillers letztes Drama in der Schweiz aufgeführt. Dies geschieht aber nicht mit der Absicht, den deutschen Dichter für die Schweiz zu vereinnahmen, sondern zeigt vielmehr die ungeheure Wirkung seiner Fassung des Wilhelm Tell auf.
Ein weiterer Beleg für die ungeheure Wirkung des Dramas ist auch die Tatsache, dass ein großer Teil der Verse des Tell zu Geflügelten Worten wurde[22]. Dieses Phänomen ist so nachhaltig präsent, dass beispielsweise der Autor Peter Utz ihm in seinem Werk Die ausgehöhlte Gasse. Stationen der Wirkungsgeschichte von Schillers „Wilhelm Tell“ ein ganzes Kapitel widmet. In diesem wird darauf hingewiesen, dass „Tell in Deutschland zur reinen Rede-Figur, die ganz im bürgerlichen Zitatenschatz aufgeht“ stilisiert wurde[23].
Bis heute ist Wilhelm Tell bei dem Schweizer Publikum und den Touristen ausgesprochen populär. Zum Beispiel finden in Interlaken noch immer jährlich die berühmten Tellspiele statt. Die Aufführungen in Tells Heimat Altdorf werden hingegen in größeren Abständen realisiert und richten sich eher an das einheimische Publikum.
2. Didaktische Reduktion
Im Bereich der didaktischen Reduktion wurden die folgenden Schwerpunkte festgesetzt, die sich in der Stundenplanung der Reihe widerspiegeln.
Der Auftakt der Reihe wird durch eine gemeinsame Textannäherung bestimmt, in der es gilt die gröbsten Sprachbarrieren, die der altertümliche Text bietet, zu beseitigen.
Aufgrund dieses Problempotentials könnte man sich natürlich fragen, ob es trotz solcher vorhersehbarer Schwierigkeiten überhaupt noch sinnvoll ist, Schillers Drama im Literaturkanon der Schule zu behalten. Wir sind jedoch der Meinung, dass es unerlässlich ist die Schüler auch an schwierige Texte heranzuführen, weil sie mit diesen ohnehin früher oder später konfrontiert werden. Darüber hinaus ist das Drama von inhaltlicher Aktualität, da die Befreiung von politischer Unterdrückung ein zeitloses Thema darstellt. Außerdem sind so viele Tell-Zitate in den alltäglichen Sprachgebrauch übergegangen, dass es sinnvoll erscheint den Schülern deren Herkunft zu verdeutlichen. Zudem sind wir der Meinung, dass die Werke von Schiller und Goethe, die großteils die Deutsche Klassik begründen, ein Allgemeinbildungsgut darstellen, das auch jungen Menschen weiterhin vermittelt werden sollte.
Neben einer Textannäherung zur Problemvermeidung soll in der ersten Stunde auch noch kurz auf den geschichtlichen Hintergrund eingegangen werden, der ansonsten weitestgehend außen vor gelassen wird, weil historische Fakten als Hintergrundinformation zwar hilfreich sein können, für das Textverständnis aber nicht unbedingt erforderlich sind und die Schüler voraussichtlich langweilen würden.
Aus demselben Grund wird auch fast der gesamte Handlungsstrang „öffentliche Sache“ (siehe 1.4.2) beiseite gelassen, weil mit größeren Verständnisschwierigkeiten seitens der Schüler zu rechnen ist. So ist vor allem die Rütliszene sehr langatmig und stößt bei den Schülern wahrscheinlich auf wenig Interesse. Was die „Bertha-Rudenz-Handlung“ (siehe 1.4.3) betrifft, so wird diese ebenfalls nur am Rande erwähnt, weil sie einen Nebenstrang der Handlung darstellt, der für das Gesamtverständnis keine zentrale Bedeutung hat.
Entsprechend beschäftigen sich die geplanten Stunden hauptsächlich mit der „Tell-Handlung“. Begonnen werden soll mit der Eingangsszene, da in dieser die Grundlagen für das folgende Geschehen vermittelt werden. Wichtig sind außerdem die Apfelschussszene und die Tötung Geßlers, anhand derer die Schüler Anlass und Rechtfertigung für Tells Verhalten vermittelt bekommen. Die Apfelschussszene stellt die Kernszene des Stücks dar, da von ihr aus sowohl die kommende als auch die vorangegangene Handlung beleuchtet werden kann. Sie ist Dreh- und Angelpunkt des Geschehens und den Schülern eventuell bereits bekannt, so dass hier für den Lehrer eine Möglichkeit besteht an das Vorwissen seiner Schüler anzuknüpfen. Anschließend muss genauer auf die Beweggründe Tells für die Tötung des Landvogts eingegangen werden, woran sich die Behandlung der Parricidaszene anschließt, die neue Impulse für die Bewertung von Tells Tat einbringen soll.
Danach sollen die Ehefrauen von Tell und Stauffacher Berücksichtigung finden, damit neben den Haupt- auch Nebenfiguren in den Fokus der Betrachtung rücken, zumal die beiden Frauen mit ihren unterschiedlichen Ansichten stellvertretend für die beiden verschiedenartig gesinnten Lager des Schweizer Volks stehen.
In stärkerer Ablösung vom Text soll des Weiteren die klassische Dramentheorie vermittelt werden für deren Gültigkeit das Stück ein gutes Beispiel darstellt.
Zum Abschluss der Reihe dient die Inszenierung der Apfelschussszene, um den Schülern die Möglichkeit zu geben das Theaterstück auch praktisch zu erfahren und somit dem theoretischen Teil entgegen zu wirken. Zudem wäre in diesem Bereich auch ein fächerübergreifendes Projekt denkbar.
3. Überblick über die Stundenverläufe
3.1 Erste Annäherung an den Text und geschichtlicher Hintergrund
In der ersten Stunde der Unterrichtsreihe zu Schillers Wilhelm Tell sollen die Schüler zunächst an den Text herangeführt werden.
Da das Drama zuvor bereits zu Hause gelesen wurde, befragt der Lehrer die Schüler zum Einstieg zunächst nach ihren Leseerfahrungen. Die Schüler können so ihre eigenen Eindrücke reflektieren und vergleichen ([Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] 1. Lernziel). Es ist zu erwarten, dass aufgrund des Textalters und der damit verbundenen altertümlichen Ausdrucksweise sowie der Reime gewisse Verständnisschwierigkeiten aufgetreten sind, die die Schüler zur Sprache bringen.
Zur Überwindung dieser äußeren Hemmnisse soll die Erarbeitungsphase dienen. Es werden zunächst kurze Textpassagen durch den Lehrer vorgelesen, was Verständnisschwierigkeiten aufgrund falscher Betonung oder durch Vorlesefehler seitens der Schüler vermeiden soll. Anschließend sollen die Schüler das Gehörte in eigenen Worten wiedergeben bzw. zusammenfassen können ([Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] 2. Lernziel), wobei der Lehrer Hilfestellung leistet und auf Passagen eingeht, die offensichtlich Schwierigkeiten bereiten.
In einer ersten Phase der Ergebnissicherung folgt eine Partnerarbeit, bei der die Schüler die Verse 353 bis 389 der 3. Szene des ersten Aktes selbstständig in modernes Deutsch „übersetzen“ sollen ([Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] 3. Lernziel). Zur Unterstützung dienen die Hinweise des Lehrers aus der Erarbeitungsphase. So müssen sich die Schüler intensiv mit dem Text auseinandersetzen. Die Partnerarbeitsphase wird durch das Vorlesen und gemeinsame diskutieren einiger der entstandenen Übersetzungen beendet.
Je nachdem wie viel Zeit die bisherigen Schritte in Anspruch genommen haben, kann die Stunde bei Bedarf hier beendet werden. Ist dies aber zeitlich nicht erforderlich, folgt anschließend die Überleitung zum zweiten Thema der Stunde. Hier sollen historische Eckdaten und Fakten geklärt werden. Zum Einstieg dienen die vorgelesenen Übersetzungen. Die Erarbeitungsphase schließt sich durch die Frage des Lehrers nach dem inhaltlichen Geschehen der bearbeiteten Zeilen an. Die Schüler sollen die Unterdrückung des Volkes unter anderem durch den erzwungenen Festungsbau erkennen können ([Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] 4. Lernziel). Anhand dieser Erkenntnis präsentiert der Lehrer anschließend einige wichtige geschichtliche Daten und gibt einen kurzen Abriss über das tatsächliche Geschehen. Beides wird zur Ergebnissicherung in einem Tafelbild festgehalten, welches die Schüler abschreiben. Sollte dieses zweite Stundenthema aufgrund vorangeschrittener Zeit in eine eigene Stunde verschoben werden, wäre es angebracht die historischen Hintergründe nicht durch Lehrervortrag zu vermitteln, sondern sie anhand einfacher Quellentexte in Gruppenarbeit zusammenstellen zu lassen
[...]
[1] Kaufmann (1993), S. 16.
[2] Lutz (Hg.) (1986), S. 531.
[3] Lutz (Hg.) (1986), S. 532.
[4] Lutz (Hg.) (1986), S. 536.
[5] Lutz (Hg.) (1986), S. 537.
[6] Schmidt (2001), S. 41.
[7] Von Borries (1991), S.243.
[8] ebd.
[9] ebd.
[10] Schmidt (2001), S. 60.
[11] Schmidt (2001), S. 45.
[12] Neubauer (2004), S. 28.
[13] Neubauer (2004), S. 28-29.
[14] Neubauer (2004), S. 29.
[15] Neubauer (2004), S. 30.
[16] ebd.
[17] Von Borries (1991), S. 253.
[18] Von Borries (1991), S. 254.
[19] Neubauer (2004), S. 31-32.
[20] Schmidt (2001), S. 63.
[21] ebd.
[22] Schmidt (2001), S. 94.
[23] Utz (1984), S. 127.
- Quote paper
- Nadine Bachmann (Author), 2006, Unterrichtsplanung zu Friedrich Schillers "Wilhelm Tell", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/57186
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