Über die Sprache des Nationalsozialismus ist viel geschrieben worden und berechtigterweise wurde in diesem Zuge sehr viel Kritik an dem die Menschenverachtung und Brutalität des Regimes widerspiegelnden Sprachgebrauch geübt. Die beiden sprachkritischen Werke, die dem Zusammenbruch des 3. Reichs unmittelbar folgten, sind von daher interessant, als sie zeitnah zum kritisierten Objekt verfasst wurden und dass zu diesem Zeitpunkt die Sprachkritik keinen besonders festen Stand innerhalb der Sprachwissenschaften hatte.
Es geht in dieser Arbeit nicht um die Bewertung der Sprache im Nationalsozialismus. Der Fokus liegt vielmehr auf der Betrachtung des den beiden Werken LTI und Aus dem Wörterbuch des Unmenschen zugrundeliegenden Begriffs der Sprachkritik. Der von den Autoren untersuchte und bewertete Bereich weist trotz des gleichen bzw. sehr ähnlichen Themas große Unterschiede auf. Diese sind sowohl daran festzumachen , welche Phänomene überhaupt in den Bereich der Sprachkritik fallen, als auch in der Art der Bewertung.
Zu hinterfragen ist in diesem Zusammenhang, ob das jeweilige Verständnis von Sprachkritik den wissenschaftlichen Ansprüchen genügt und ob die Art der Kritik angemessen ist. Zu diesem Zweck ist es sinnvoll, zunächst eine eingehendere Betrachtung dessen vorzunehmen, was Sprachkritik kann und soll. Wichtig ist also eine Erörterung der Kriterien, die Sprachkritik nachvollziehbar und fundiert werden lassen.
Abschließend werden die beiden Werke gegenüber gestellt und eine Bewertung des Sprachkritikbegriffs vorgenommen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretische Grundlagen der Sprachkritik
3. LTI – Notizbuch eines Philologen: die Sprachkritik Victor Klemperers
3.1 Klemperers sprachkritischer Ansatz
3.2 Kritische Bewertung von Klemperers Ansatz
4. Aus dem Wörterbuch des Unmenschen: die Sprachkritik Sternbergers, Storz’ und Süskinds
4.1 Sternbergers, Storz’ und Süskinds sprachkritischer Ansatz
4.2 Kritische Betrachtung von Sternbergers, Storz’ und Süskinds Ansatz
5. LTI – Aus dem Wörterbuch des Unmenschen: eine Gegenüberstellung
6. Schlussbetrachtung
7. Literatur
7.1 Primärliteratur
7.2 Internetquellen
1. Einleitung
Über die Sprache des Nationalsozialismus ist viel geschrieben worden und berechtigterweise wurde in diesem Zuge sehr viel Kritik an dem die Menschenverachtung und Brutalität des Regimes widerspiegelnden Sprachgebrauch geübt. Die beiden sprachkritischen Werke, die dem Zusammenbruch des 3. Reichs unmittelbar folgten, sind von daher interessant, als sie zeitnah zum kritisierten Objekt verfasst wurden und dass zu diesem Zeitpunkt die Sprachkritik keinen besonders festen Stand innerhalb der Sprachwissenschaften hatte.
Es geht in dieser Arbeit nicht um die Bewertung der Sprache im Nationalsozialismus. Der Fokus liegt vielmehr auf der Betrachtung des den beiden Werken LTI und Aus dem Wörterbuch des Unmenschen zugrundeliegenden Begriffs der Sprachkritik. Der von den Autoren untersuchte und bewertete Bereich weist trotz des gleichen bzw. sehr ähnlichen Themas große Unterschiede auf. Diese sind sowohl festzumachen in dem, welche Phänomene überhaupt in den Bereich der Sprachkritik fallen, als auch in der Art der Bewertung.
Zu hinterfragen ist in diesem Zusammenhang, ob das jeweilige Verständnis von Sprachkritik den wissenschaftlichen Ansprüchen genügt und ob die Art der Kritik angemessen ist. Zu diesem Zweck ist es sinnvoll, zunächst eine eingehendere Betrachtung dessen vorzunehmen, was Sprachkritik kann und soll. Wichtig ist also eine Erörterung der Kriterien, die Sprachkritik nachvollziehbar und fundiert werden lassen.
Abschließend werden die beiden Werke gegenüber gestellt und eine Bewertung des Sprachkritikbegriffs vorgenommen.
2. Theoretische Grundlagen der Sprachkritik
Im Gegensatz zur Sprachwissenschaft, die den aktuellen Ist-Zustand oder aber historisch gewordene Aspekte der Sprache betrachtet und beschreibt, gibt die Sprachkritik Bewertungen ab und beschreibt auf dieser Basis einen Soll-Zustand. Die deutliche Trennung zwischen der nüchternen, wissenschaftlichen Beschreibung und der ästhetisch und moralisch motivierten Bewertung hat lange dafür gesorgt, dass die Zuordnung der Sprachkritik in den Bereich der Sprachwissenschaften sehr umstritten war. Sie galt als unwissenschaftlich und zu subjektiv. Um dem wissenschaftlichen Anspruch zu genügen, sollte die Sprachkritik darum auf die Erkenntnisse der Sprachwissenschaft zurückgreifen. Einer angemessenen Kritik immanent ist außerdem eine rationale Wertung, denn so wird diese nachvollziehbar und kann den Vorwurf der Subjektivität weitgehend widerlegen.[1]
Auf die Frage, ob Sprachkritik die Sprache selbst oder aber deren Realisierung im Sprachgebrauch bewerten soll, verweist Schiewe auf ein Modell von Eugenio Coseriu, der den beiden Kriterien Saussures, der Sprache (langue) und dem Sprachgebrauch (parole), noch den Aspekt der sprachlichen Normen zuordnet. Um eine fundierte und nachvollziehbare Sprachkritik zu formulieren, muss der Kritiker sich mit den Normen auseinander setzen.[2] Dies ist insofern einleuchtend, als es problematisch und auch ungenau erscheint, das die Sprachvarietäten einer Gesellschaft überdachende (und damit äußerst vielfältige) sprachliche System zu bewerten oder aber den individuellen Gebrauch desselben zu kritisieren.
Die Schnittstelle zwischen diesen beiden Faktoren stellen die sprachlichen Normen dar, die von der Sprachgemeinschaft vorgegeben und allgemein anerkannt sind und somit den angemessenen Sprachgebrauch innerhalb einer Gesellschaft festlegen. Hier kann eine fundierte Kritik ansetzen, indem die Möglichkeit des Sprachsystems mit den realisierten Normen verglichen und die Normen mit Blick auf die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten bewertet werden. In dieser Kritik enthalten ist immer auch Sachkritik, da die sprachlichen Bezeichnungen hinsichtlich ihrer Angemessenheit geprüft werden.[3]
Wird die Entwicklung der Sprachkritik in den letzten Jahrhunderten betrachtet, werden die sie konstituierenden Merkmale ersichtlich, von denen einige auch als Forderung an eine angemessene Sprachbewertung gesehen werden können. Schiewe fasst die Merkmale folgendermaßen zusammen:[4]
a) Sprachkritik ist auch Sprachgebrauchskritik und durch die Analyse real verwendeter Elemente aus dem sprachlichen Inventar auch immer Wortkritik.
b) Weil die kritisierten Elemente auf bestimmte „Sachen und Sachverhalte“ bezogen sind, werden auch diese sowie die Vorstellung von ihnen kritisiert.
c) Sprachkritik ist methodisch, weil die sprachwissenschaftlichen Erkenntnisse hinsichtlich sprachlicher Abläufe, Entwicklungen und Funktionen berücksichtigt werden.
d) Sie bewertet im Kontext der historischen oder aktuellen Sprachrealität, d.h., Erkenntnisse und Bewertungen werden nicht unreflektiert auf andere Sprachrealitäten und Zeiten übertragen.
e) Sie formuliert eine Idealvorstellung, die sich aus den Diskrepanzen zwischen Ist-Zustand und Soll-Zustand ergibt.
f) Der Idealvorstellung liegt ein klar bezeichnetes Motiv zugrunde. Dies kann politisch, soziologisch, ästhetisch oder anderweitig begründet sein.
g) Sprachkritik ist realistisch, d.h., die von der Sprachrealität vorgegebenen Grenzen werden akzeptiert und bei der Formulierung des Idealzustands berücksichtigt.
h) Sie ist konstruktiv, d.h., sie beschränkt sich nicht auf die Kritik des Ist-Zustands, sondern bietet gleichzeitig auch alternative Lösungsmöglichkeiten an.
i) Sie ist emanzipatorisch, d.h., sie versucht in der Bewertung der Sprache allen Mitgliedern der Sprachgemeinschaft gerecht zu werden.
Die ersten beiden Punkte dienen dazu, den Aktionsradius der Sprachkritik zu definieren, alle weiteren können als Anspruch an eine angemessene Sprachkritik aufgefasst werden. Ein Punkt ist in dieser Auflistung nicht enthalten und zwar jener der Zweckmäßigkeit. Zweifellos darf der Nutzen der Kritik kein Kriterium für deren eigene Bewertung oder gar Legitimation sein, der Einwand, den Polenz Sternberger in der Kontroverse um die Sprachkritik im Wörterbuch des Unmenschen gab, birgt nichtsdestotrotz einige interessante Aspekte. Polenz verwies darauf, dass es in der Sprachkritik müßig sei, sich mit Fach- und Sondersprachen zu befassen, wenn man den allgemeinen Sprachgebrauch beeinflussen wolle. Zu diesem Zweck müsse der Fokus auf der kritischen Betrachtung des Sprachgebrauchs liegen, mit dem Menschen aller Gesellschaftsschichten in der Öffentlichkeit am häufigsten konfrontiert würden, also dem der (Massen-)Medien und der Politik.[5]
Unter anderen sind es diese beiden Bereiche, welche eine wichtige Rolle bezüglich des Sprachwandels und -gebrauchs im Nationalsozialismus spielten, und demzufolge beziehen sich auch die kritischen Bewertungen Klemperers und der Gruppe um Sternberger auf sie. Bei einem kritischen Vergleich der beiden Werke ist jedoch der sprachhistorische Kontext zu berücksichtigen, in dem diese entstanden. Auch für den Kritiker der Sprachkritik gilt somit Punkt d der Merkmale. Inwiefern dieser Bereich relevant für eine adäquate Auseinandersetzung mit historischen sprachlichen Phänomenen, wird nachfolgend erläutert.
Hermanns hat der Sprachgeschichte den mentalitätsgeschichtlichen Aspekt zugeordnet, mit der Begründung, in der historischen Sprachbetrachtung werde zwar der Sprachgebrauch im Kontext der Gesellschafts- und Sozialgeschichte gesehen, die Motivation der Sprecher jedoch außer Acht gelassen. Unter Mentalitäten versteht er die „ethischen, affektiven und kognitiven Dispositionen“[6] der Mitglieder einer Sprachgemeinschaft, ihr gemeinsames „Denken, Fühlen [und] Wollen“[7], das sich im Sprachgebrauch und in der Einstellung zur Sprache zu einem bestimmten Zeitpunkt niederschlägt und in letzter Konsequenz auch in das Handeln und Verhalten eingeht. Die Betrachtung dieser Mentalitäten gibt nun also Aufschluss über den Sprachgebrauch sowie dessen Wandel und vice versa.[8]
Diese Betrachtung ist hier insofern von Belang, als die Mentalität der Sprachgemeinschaft im Nationalsozialismus ein wichtiges Untersuchungsfeld darstellt. Auch wenn weder Klemperer noch Sternberger diesen Begriff verwenden, so ist für sie trotzdem die Motivation der Sprecher wichtig. Für die Untersuchung und den Vergleich beider Werke ist wiederum die Berücksichtigung der Dispositionen kurz nach Kriegsende relevant. Begründet ist dies in der zeitlichen Nähe der beiden Sprachkritiken zu einem ‚extremen’ Untersuchungsobjekt und der damit verbundenen emotionalen Spannung. Die Autoren beider Werke haben den Krieg miterlebt und den ‚Sprachverfall’ bewusst wahrgenommen. Dies beeinflusste ihre Dispositionen vor allem hinsichtlich der Einstellung zur Sprache.
Im Gegenzug gilt aber auch für die kritische Betrachtung der Sprache im Nationalsozialismus, dass der sprachhistorische Aspekt Eingang finden muss. Dahingehend formuliert Polenz einige „methodische und politisch-historische Erfordernisse“. Zu klären sind unter anderem die Unterschiede der „Sprache des Nationalsozialismus und Sprache im Nationalsozialismus“, die Gründe für die bereitwillige Akzeptanz des faschistischen Regimes in der Bevölkerung sowie die Rolle der Sprache diesbezüglich. Zu untersuchen ist nicht nur die offizielle Propagandasprache, sondern außerdem der vielfältige Sprachgebrauch in der Bevölkerung und die sich dadurch ausgedrückten Haltungen und Erwartungen. Wichtig ist darüber hinaus laut Polenz die sachliche Auseinandersetzung mit der Sprache, d.h., die Bewertung der Sprache als zunächst wertfreies weil instrumentalisiertes und abstraktes Zeichensystem, das nicht selbst agiert und keine Ziele verfolgt.[9]
3. LTI – Notizbuch eines Philologen: die Sprachkritik Victor Klemperers
Die Beweggründe Klemperers, sich mit der Sprache des Nationalsozialismus zu befassen, lagen nicht in erster Linie in dem Wunsch, die Abgründe der Lingua Tertii Imperii öffentlich anzuprangern. Vielmehr sind die tagebuchartigen Notizen, die er während der Diktatur verfasste, als seine persönliche Verarbeitung der damaligen Situation zu verstehen. Als Protestant mit jüdischen Vorfahren wurde er 1935 seines Lehrstuhls der Universität Dresden enthoben und hatte auch keine Möglichkeit mehr, zu publizieren. Sprache war aber bis zu dem Zeitpunkt ein wesentlicher Bestandteil seines Lebens und so scheint es nur ein natürlicher Vorgang, dass sich sein geschulter Blick auf die sprachlichen Veränderungen in der ihn umgebenden Gesellschaft richtete.
[...]
[1] Schiewe, 1998, S. 14ff.
[2] ebd., S. 17
[3] ebd., S. 18
[4] ebd., S. 26/27
[5] Polenz, 1968, S. 307
[6] Raulff, Ulrich. Mentalitäten – Geschichte. 1987, S. 10. Zitiert in: Hermanns, 1995, S. 75
[7] ebd., S. 76
[8] ebd., S. 70ff.
[9] Polenz, 1999, S. 547
- Quote paper
- Katrin Bade (Author), 2006, Kritik der Sprachkritik. Die sprachkritischen Ansätze in Victor Klemperers "LTI" und Sternbergers "Wörterbuch des Unmenschen", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/57097
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