Beim Lesen von Praetorius‘ Syntagma Musicum III trifft man zuhauf auf italienische Einflüsse. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da der Autor in seinen Erörterungen sich größtenteils für die geistliche Musik interessiert. Jedoch findet man beim näheren Hinschauen nicht nur deutsche, französische und niederländische Einflüsse sondern auch gelegentlich Englische. Allem voran fällt das mehrmalige Auftauchen des „English Consorts“ auf. Doch scheinen anderen Orts auch andere Themen, die Praetorius behandelt, von der englischen Insel inspiriert zu sein. Teilweise geht dieser Einfluss deutlich aus dem Text hervor, indem Praetorius auf „die Art der Engelländer“ verweist; jedoch scheinen einige andere Passagen, die der Autor ohne Kommentar hinschreibt, auch den britischen Einflüssen zu unterliegen.
Diese Arbeit wird diese Passagen, die britische Charakterzügen aufweisen, näher untersuchen, um nicht nur Praetorius‘ Auffassung der englischen Musik zu erkennen, sondern auch seine möglichen Quellen hierzu ausfindig zu machen. Für diese Zielsetzung ist es wichtig das damalige Großbritannien - sowohl in ihrer geschichtlichen Stellung wie auch in ihrer muisikalischen Entwicklung - im Kapitel zum geschichtlichen Hintergrund kennen zu lernen. Diese Betrachtung ist hauptsächlich auf den Artikel „England“ (John Cadwell & Anne Daye) im MGG basiert sowie auf Morrison Comegy Boyds Buch Elizabethan Music and Musical Criticism. Mit der Hilfe von Werner Brauns Britannia Abundus sollen im weiteren Verlauf die Mittel und Wege, wie die englische Musik in Deutschland gelangte, besprochen werden. Diese Basis wird dann beim Aufschlagen des Syntagma Musicum III die Erörterung der verschiedenen zu untersuchenden Passagen unterstützen.
Die britischen Einflüsse lassen sich in Praetorius‘ Traktat in drei verschiedenen Themengebieten finden: neben dem schon zu Anfang erwähnten „English Consort“ lassen sich auch in seinen Besprechungen der verschiedenen Gattungen und der Metrik britische Gedankengänge finden. Für diese beiden Gebieten wird sich ein Vergleich mit Morleys A Plaine and Easy Introduction to Practical Music anbieten, den Praetorius sehr wahrscheinlich gekannt haben wird.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Geschichtlicher Hintergrund
2.1 Großbritannien zur Zeit Königin Elisabeth I
2.2 Englische Einflüsse auf dem Kontinent
3. „Die Art der Engelländer“
3.1 Gattungen
3.2.Metrum
3.3 „English Consort“
4. Schlussfolgerung
Bibliography
1. Einleitung
Beim Lesen von Praetorius‘ Syntagma Musicum III trifft man zuhauf auf italienische Einflüsse. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da der Autor in seinen Erörterungen sich größtenteils für die geistliche Musik interessiert. Jedoch findet man beim näheren Hinschauen nicht nur deutsche, französische und niederländische Einflüsse sondern auch gelegentlich Englische. Allem voran fällt das mehrmalige Auftauchen des „English Consorts“ auf. Doch scheinen anderen Orts auch andere Themen, die Praetorius behandelt, von der englischen Insel inspiriert zu sein. Teilweise geht dieser Einfluss deutlich aus dem Text hervor, indem Praetorius auf „die Art der Engelländer“ verweist; jedoch scheinen einige andere Passagen, die der Autor ohne Kommentar hinschreibt, auch den britischen Einflüssen zu unterliegen.
Diese Arbeit wird diese Passagen, die britische Charakterzügen aufweisen, näher untersuchen, um nicht nur Praetorius‘ Auffassung der englischen Musik zu erkennen, sondern auch seine möglichen Quellen hierzu ausfindig zu machen. Für diese Zielsetzung ist es wichtig das damalige Großbritannien - sowohl in ihrer geschichtlichen Stellung wie auch in ihrer muisikalischen Entwicklung - im Kapitel zum geschichtlichen Hintergrund kennen zu lernen. Diese Betrachtung ist hauptsächlich auf den Artikel „England“ (John Cadwell & Anne Daye) im MGG basiert sowie auf Morrison Comegy Boyds Buch Elizabethan Music and Musical Criticism. Mit der Hilfe von Werner Brauns Britannia Abundus sollen im weiteren Verlauf die Mittel und Wege, wie die englische Musik in Deutschland gelangte, besprochen werden. Diese Basis wird dann beim Aufschlagen des Syntagma Musicum III die Erörterung der verschiedenen zu untersuchenden Passagen unterstützen.
Die britischen Einflüsse lassen sich in Praetorius‘ Traktat in drei verschiedenen Themengebieten finden: neben dem schon zu Anfang erwähnten „English Consort“ lassen sich auch in seinen Besprechungen der verschiedenen Gattungen und der Metrik britische Gedankengänge finden. Für diese beiden Gebieten wird sich ein Vergleich mit Morleys A Plaine and Easy Introduction to Practical Music anbieten, den Praetorius sehr wahrscheinlich gekannt haben wird.
Da aber weiterhin keine eindeutige englische Traktate vorliegen, wird jegliche weiterführende Besprechung auf die gebrauchten Sekundärliteratur basiert. Etwaige Vergleiche zwischen Praetorius‘ Werken und denen von englischen Komponisten werden unterlassen, da - wie später noch ersichtlich wird - es aus den vorliegenden Informationen nicht ersichtlich ist (bis auf eine Ausnahme) welche Musik er gekannt hat, weswegen ein Vergleich nur auf eine rein spekulative Basis statt finden könnte.
2. Geschichtlicher Hintergrund
2.1 Großbritannien zur Zeit Königin Elisabeth I
Um die Entwicklung der Musik in Großbritannien zur Zeiten Elisabeth I zu verstehen ist ein kurzer Rückblick in die Geschichte des Landes von Nöten: Die Insel wurde für fast dreihundert Jahre - nach der normannischen Invasion von 1066 - von Frankreich in einer Fremdherrschaft regiert. Erst im Laufe des 13. Jahrhunderts erlangt Englisch langsam wieder den Stellenwert einer angesehenen Sprache, als sie im Parlament für die Verhandlungen gewählt wird. Zuvor war Französisch seit der Invasion die Amtssprache, während Englisch als ein Dialekt der Bauern und des Pöbels geduldet wurde. 1337 löst Eduard III den Hundertjährigen Krieg gegen die Franzosen aus, indem er Anspruch auf die französische Krone erhebt. Dieser Krieg entwickelt sich schnell zum Kampf um die nationale Vorherrschaft, obwohl er 1453 mit einer Niederlage für die Insel endet. Die eindeutige Kehrtwende zum Englischen wird von den Historikern mit der Entthronung von Richard III durch Heinrich IV (Lancaster) angesetzt. Erst 1475 wird durch ein Friedensabkommen den Engländer ihre Vorherrschaft übermittelt. Um das Recht der Krone brach ein Streit zwischen den regierenden Familien Lancaster und York (Schottland) aus - der Rosenkrieg -, der mit der Thronbesteigung Heinrich VII in 1485 endet. Hiermit beginnt die Tudor Epoche, die mit Elisabeths I Tod zu Ende geht in 1603. In dieser Epoche wird das nationale Vermögen wiedergewonnen. Ausgelöst von Heinrich VIII Abspaltung von der Kirche findet die Englische Reformation zwischen 1532 und 1599 statt.
Elisabeths I Regierung wird gerne als das goldene Zeitalter der Musik und der Literatur bezeichnet. Doch zeigt der Sieg über die spanische Flotte in 1588, dass Großbritannien zu der großen Macht herangewachsen ist, die im Verlauf der nächsten Jahrhunderte viel Einfluss auf den Handel haben wird. 1603 wird Staurt I, der schon in Schottland regierte, den englischen Thron besteigen1.
Dieser kurze Abriss zeigt, dass zur Zeiten Elisabeth I das Land seit nur gut einem Jahrhundert wieder von den Engländer regiert wird, was natürlich darauf deutet, dass noch viele kontinentale Einflüsse in allen Lebensbereichen zu finden sind. Andererseits sind aber auch deutlich konstrastierende Neuerscheinungen von Bräuchen oder Lehren zu erwarten, da sich das Land absetzen möchte von ihren früheren Herrschern. Außerdem ist zu bedenken, dass das frisch reformierte Land sich musikalisch noch in einer Umbruchphase befindet, da der kirchliche Gebrauch von Musik sich erheblich geändert hat. In der Tat sind einige bemerkbare Änderungen gegenüber der Musik auf dem Kontinent festzustellen: die Solmisationsilben sterben in Großbritannien langsam aus2 ; die Hauptstimme wandert vom Tenor in den Sopran und es werden erste Werke komponiert, die nicht mehr auf modale Modi basieren3. Diese Entwicklungen werden mit der Zeit auf den Kontinent überschwappen.
Der Gebrauch von geistlicher Musik hat sich nach der Reformation stark zurückentwickelt, da wie Boyd sagt: „The Elizabethan, like the Scottish, sang psalms instead of hymns“4. Hierzu erklärt er in einer Fußnote, dass die bekannten römisch- katholische Gesänge wie Benedictus, Magnificat und Te Deum beibehalten wurden. Andere relgiöse und moralische Lieder waren für das Singen außerhalb der Kirche gedacht. Demzufolge ist es nicht verwunderlich, dass das Komponieren geistlicher Musik wie deren Bearbeitung stark zurück gegangen sind. Boyd deutet eine Hand voll geistlicher Madrigale bei Allison, Tomkins und Pilkington an5. Das Schreiben von „katholischer“ Musik nahm eine Nebenrolle ein, da sie meist wegen, den Assoziationen betreffend der lateinischen Sprache geschrieben wurde:
The composing of sacred music to the Latin texts of their own liturgy was a labour of love, and Protestant composers trained in the older school sometimes employed Latin because of the spiritual and artistic superiority of the countrapunctual style so long associated with the use of that language, rather than the cruder musical idiom that after reformation was for a time associated with the English tongue6.
William Byrd gehört zu diesen Komponisten und wurde wahrscheinlich von Elisabeth I geduldet, da seine Werke sonst nicht gedruckt wären und da es anscheinend einem Markt für diese Musik gab. Wie Boyd andeutet haben auch protestantische Komponisten wie zum Beispiel Morley einen nennenswerten Teil ihres Oeuvres auf lateinische Text basiert7. Byrd gehört jedoch der katholischen Kirche an, was durch die Strafen untermauert wird, die seine Frau mehrmals zahlen musste, als sie nicht zum anglikanischen Gottesdienst erschien8.
Die englische Madrigal-Ära beginnt als Byrd seine alleinige Druckrechte 1587 an Thomas East verkauft, wodurch sich andere Komponisten an den Markt beteiligen konnten9. In Großbritannien hatte sich seit 1344 eine eigene Form des Madrigals entwickelt, das zwar für das gesellige Beisammensein gedacht war, jedoch als hohe Kunst angesehen wurde. Boyd schreibt:
But although the madrigal in its own day was hardly recognized as a great art form - there is occasional apologetic reference to the fact that its purpose was only to amuse - yet they proudly stated that in music they yielded no palm to no nation, and they rewarded their greatest musicians with university degrees and appointments at court10.
Die Musik am Hof ist der Praxis auf dem Kontinent zu vergleichen, obwohl sie seit der Reformation mehr im Mittelpunkt der englischen Musikwelt gerückt wurde. Die Kapellen, die seit der Glaubenswende zum Anglizismus weniger in der Kirche auftreten, übernehmen jetzt Aufgaben am Hof weltliche Musik zu spielen.
Die Musiker dieser Privatkapellen waren - wie die der Chapel Royal - unter Umständen auch dazu verpflichtet, für weltliche Unterhaltung zu sorgen, etwa in Theaterstücken mit Musik. Nach der Reformation wurden solche Kapellenensembles als überflüssigen Luxus angesehen (außer die den Katholiken, die sich gezwungen sahen, ihre Kapellen heimlich zu unterhalten)11.
Die Tänze am Hof sind stark vom Kontinent - hauptsächlich von Frankreich und Italien - beeinflusst12.
Die musikalische Ausbildung hingegen, ist stark zurückgegangen. Da die anglikanische Kirche die Musik kaum in Anspruch nimmt, wurde das Fach aus den meisten Schulplänen gestrichen. Die kirchlichen Schulen, die vor der Reformation Musik als ein festes Bestandteil des Fächerangebots hatten, wurden nach dem Glaubensumschwung größtenteils geschlossen. Man findet eher eine Spezialisierung des Musikunterrichts, da das Fach nur noch an vereinzelten Schulen - meist zu wohltätigen Zwecken gegründet - unterrichtet wird. Hierdurch entsteht eine zeilgerichtete Ausbildung, die hierdurch auch zu der Qualität der Musik und den Musikern beiträgt13.
Die Musiktheorie erscheint als eine ziemlich junge Disziplin in Großbritannien zur Zeiten Elisabeth I. John Cadwell benennt die Sammlung von John Wylde aus dem zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts (GB-Lbl, Lansdowne 763), welches musiktheoretische Traktaten in englischer Sprache enthalten, als einer der Ältesten. Dies deutet daraufhin, dass diese frühesten im Laufe des 13. Jahrhunderts entstanden sein können, denn - wie oben aufgeführt - die englische Sprache wurde dann erst langsam wieder anerkannt. Weiterhin nennt er einen metrischen Psalter mit praktischen Anweisung für Gesang (1569). Hiermit kommt langsam ein theoretisches Interesse auf, wodurch im weiteren Verlauf Traktate wie Thomas Morleys A Plaine and Easy Introduction to Practical Music (1597) entstehen14.
Obwohl anhand der hier vorliegenden Literatur noch viele Charakteristika der Musik im damaligen Großbritannien aufzuhalten sind, soll die hier gebotene Auslese der vorliegenden Fragen genügen. Die hier verwendete Sekundärliteratur sei an interessierte Leser empfohlen, die sich mehr im Detail zu diesem Thema informieren möchten.
2.2 Englische Einflüsse auf dem Kontinent
Nach Werner Braun sind „William Brade (1560-1630) und Thomas Simpson (1582 bis nach 1625) (…) die Schlüsselfiguren“15 für das Vermitteln der englischen Musik an das Deutschland dieser Zeit. Andere englische Komponisten lebten für eine eher kurze Zeit in Deutschland und haben somit keine große Einflüsse hinterlassen. Diese beide hingegen hinterließen Sammelbände und waren auch aktiv im deutschen Musikerleben einbezogen (höfische Anstellungen, Theatermusiker)16. Von beiden ist jeweils ein eher sporadischer Lebenslauf überliefert. Von Brade ist nichts über Herkunft, Ausbildung und Tätigkeit (…) in seinem Heimatland (…) bekannt. (…) Spätestens als 34jähriger ist er auf dem Kontinent nachweisbar. Sein Wirkungskreis wird durch die Städtenamen (in alphabetischer Folge) Berlin, Bückeburg, Gottorf, Güstrow, Hamburg und Kopenhagen bezeichnet17.
Aus dieser Aufzählung seiner Aufenthaltsorte lässt sich sein Einflussbereich auf Norddeutschland und Dänemark festlegen und seine zeitweilige Nähe (Hamburg & Bückeburg [NordSachsen]) an Praetorius‘ Schaffensort Wolfenbüttel erschließen. Von Brade sind vier Sammelbände von Tänzen überliefert, die heute alle in Herzog- August-Bibiothek Wolfenbüttel vorzufinden sind (Katalog Nr. 30-32 eigene Werke & Nr. 616 eigene Kompositionen sowie von Robert Bateman und Robert Johnson18.) Ob sich Brade und Praetorius begegnet sind oder sogar mit einander verkehrten lässt sich aus dem hier vorliegenden Sekundärliteratur jedoch nicht festzustellen.
[...]
1 Cadwell, John. „England: Historischer Abriß“ In: Musik in Geschichte und Gegenwart - Sachteil Bd3. Übs.: Th. Chr. Schmidt. Kassel 1995. S.27f.
2 Boyd, Morrison Comegys. Elizabethan Music and Musical Cirticism. Westport, Conneticut: 1973 (1° 1962). S.252.
3 Ibid. S.55.
4 Ibid. S.37.
5 Ibid. S.63.
6 Ibid. S.64.
7 Ibid. S.64.
8 Ibid. S.83.
9 Ibid. S.74.
10 Ibid. S.93.
11 Cadwell. S.42.
12 Dayne, Anne. „England: Tanz“ In: Musik in Geschichte und Gegenwart - Sachteil Bd3. Übs.: Eike Wernhard. Kassel 1995. S.73.
13 Cadwell. S.59ff.
14 Ibid. S.62.
15 Braun, Werner. Britannia Abundans - Deutsch-englische Musikbeziehungen zur Shakespearezeit. Tutzing, 1977. S.47.
16 Ibid. S.47f.
17 Braun, Werner. „Brade, William“ In: MGG-Personenteil Bd3. Kassel 2000. Sp.619.
18 Schmieder, Wolfgang (beschrieben von) Musik alte Drucke bis etwa 1750, In der Reihe: Kataloge der Herzog August-Bibliothek Wolfenbüttel - Die Neue Reihe, Frankfurt a.M. 1967.
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