Diese Arbeit beschränkt sich auf eine Untersuchung und Darstellung der, in einigen ausgewählten Erzählungen des Werkes “Die Serapionsbrüder”, hervortretenden philosophischen und poetischen Maximen E.T.A. Hoffmanns. Der Begriff “Weltanschauung” bezieht sich in erster Linie auf die natur-und kunstphilosophischen Anschauungen, die seiner Dichtung zugrunde liegen. Dabei sollen wesentlichen Merkmale der Darstellungsweise und Realitätssicht E.T.A. Hoffmanns dargelegt werden. Folgende Erzählungen wurden im Hinblick auf die Relevanz für sein schriftstellerisches Werk ausgesucht und einer näheren Betrachtung unterzogen: Rat Krespel, der Dichter und der Komponist, Artushof, Das fremde Kind. Eine profundere Beschäftigung mit Hoffmanns umfangreichem musikalischen Werk und den darauf bezogenen theoretischen Schriften war im Rahmen dieser Arbeit nicht zu leisten, daher wurde bewusst auf diese Aspekte verzichtet.
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
1 EINLEITUNG
2 BIOGRAPHISCHE DATEN
3 ZEITGESCHICHTLICHER ABRISS
4 ZUR WERKAUSWAHL - “DIE SERAPIONS-BRÜDER”
4.1 Rat Krespel
4.2 Der Dichter und der Komponist
4.3 Artushof
4.4 Das fremde Kind
5 SCHWELLEN- /GRENZÜBERSCHREITENDES SEHEN
6 HOFFMANNS WERKCHARAKTERISTIKA
LITERATURVERZEICHNIS
Vorwort
Im Verlauf meines Studiums verlor ich den Faden, jene dünne Schnur, die mich vom Anfangspunkt der Reise, über gewisse Orientierungspunkte, erfolgreich zum Ausgang der Höhle des Minotaurus hätte führen sollen.
So stand sie da, die Ariadne, kurz vor ihrem Ziel, möglicherweise, oder auch nicht? Spuren die keine sind, oder eventuell einen Ausweg weisen? Kleine Lichtblicke; Momente der Sammlung.
Einer davon war die Begegnung mit E. T. A. Hoffmann, einem seltsamen, gegebenenfalls ebenso verirrten Mann. Klein und mager von Gestalt, trug er überdies noch einen verschlissenen, viel zu weiten Frack, leise Töne vor sich hin summend, gebeugt über Aufzeichnungen, schien auch er bemüht, sich Überblick zu verschaffen, oder zumindest den eignen Standpunkt zu definieren.
Aus dem Gespräch mit Ihm erwuchs die Hoffnung, zumindest nicht gänzlich verloren und so schien es, auf dem richtigen Weg zu sein. Obwohl, hundertprozentige Gewissheit gab es nicht. Es blieb zu prüfen, ob nicht auch dieser Mensch nur einen kleinen Teil des Labyrinths mit Genauigkeit zu beschreiben wusste und den Weg zum Ausgang genauso wenig kannte. War er zum Opfer des undurchschaubar anmutenden Systems von Gängen geworden? Doch urteilen Sie selbst.
Mir meiner misslichen Lage bewusst, befragte ich ihn aufs genauste, in der Hoffnung, wertvolle Hinweise zu erhalten, um „herauszufinden“ und eines Tages mit einem Lächeln auf diese Reise und unsere Begegnung zurückzuschauen.
Wie schnell die Zeit verging, kaum hatte ich mich zu ihm gesetzt und versucht, durch aufmerksames, vorerst nicht bewertendes Zuhören, mir ein Bild von meinem Gegenüber zu verschaffen, war es schon Nacht geworden. Wir befanden uns noch immer an der selben Stelle, wie zuvor. Vage erinnerte ich mich lange zuvor gehörter Worte „...solltest du dich verlaufen, bleibe stehen, gehe nicht weiter, überlege, sammle Dich, warte auf Hilfe. Solltest du im Dunkeln stehen, folge dem Licht, dass du erblickst...“
Also wartete ich, lauschte den Worten E.T.A Hoffmanns, seinen fast phantastisch anmutenden Erzählungen, ließ mir das Leben und die Wirklichkeit aus seiner Sicht beschreiben und besann mich dabei auf meine eigne. Aufgrund seiner Angaben viel mir auf, dass wir aus verschiedenen Zeiten stammen mussten und dieses Verhältnis hier im Labyrinth auf merkwürdige Weise außerkraft gesetzt worden war. Um so mehr versuchte ich zu verstehen, aus welchem geschichtlichen und politischen Bezug mein Gegenüber zu mir sprach, und wie sehr sich mein eigener von seinem unterscheidet. Weitere Tage und Nächte vergingen, wie viel Zeit außerhalb des Labyrinths vergangen war, vermochte ich mir nicht vorzustellen. Unsere Unterhaltung lief ins Unendliche. Gegen das Vergessen und die Ungenauigkeit der Erinnerung beschloss ich eines morgens, diese Zwiegespräche aufzuschreiben. Versehen mit einigen eigenen Anmerkungen überlasse ich die so entstandenen Seiten dem zukünftigen Finder...
1 Einleitung
Diese Arbeit beschränkt sich auf eine Untersuchung und Darstellung der, in einigen ausgewählten Erzählungen des Werkes “Die Serapionsbrüder”, hervortretenden philosophischen und poetischen Maximen E.T.A. Hoffmanns.
Der Begriff “Weltanschauung” bezieht sich in erster Linie auf die natur- und kunstphilosophischen Anschauungen, die seiner Dichtung zugrunde liegen.
Dabei sollen wesentlichen Merkmale der Darstellungsweise und Realitätssicht E.T.A. Hoffmanns dargelegt werden.
Folgende Erzählungen wurden im Hinblick auf die Relevanz für sein schriftstellerisches Werk ausgesucht und einer näheren Betrachtung unterzogen:
Rat Krespel,
Der Dichter und der Komponist,
Artushof,
Das fremde Kind
Eine profundere Beschäftigung mit Hoffmanns umfangreichem musikalischen Werk und den darauf bezogenen theoretischen Schriften war im Rahmen dieser Arbeit nicht zu leisten, daher wurde bewusst auf diese Aspekte verzichtet.
2 Biographische Daten
Hoffmann, E(rnst). T(heodor). A(madeus)., eigentlich Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann, (1776-1822), Schriftsteller und Komponist, ein wichtiger Repräsentant der literarischen Romantik innerhalb der deutschen Literatur, verdankt seinen späten literarischen Ruhm seiner spezifischen Gestaltung eines skurrilen und gespenstisch verfremdeten Alltags, durch die er dem Genre des romantischen Kunstmärchens und der phantastischen Novelle neue Dimensionen eröffnete.
Geboren am 24. Januar 1776 in Königsberg (Ostpreußen) als Sohn des Hofgerichtsadvokats Christoph-Ludwig Hoffmann und seiner Frau Louise Albertine, geborene Doerffer, studierte er in Königsberg, der Familientradition folgend, zwischen 1795 und 1800 Jura. Nach dem Examen trat er eine Assessorstelle in Posen an und wirkte ab 1804 als Regierungsrat im damals zu Preußen zugehörigen Warschau. Zwischen einer Fortsetzung der bisherigen, dem Broterwerb dienenden Beamtenlaufbahn und einer Berufung zum Künstler schwankend, verweigerte er im Zuge der napoleonischen Besetzung Preußens 1806 den Eid auf Napoleon, schied aus dem Staatsdienst aus und musste Warschau verlassen. Sein Weg führte ihn zunächst nach Berlin, seine wirtschaftlichen Verhältnisse verschlechterten sich, und er konnte sich und seine junge Familie (1802 Heirat mit der Polin Maria Michalina Rorer-Trszynska, 1805 Geburt der Tochter Cäcilie) nur durch Gelegenheitsarbeiten als Musikrezensent, Karikaturist und Komponist über Wasser halten.
Hoffmann war bereits in Warschau als Maler und Komponist hervorgetreten und nahm in seiner finanziellen Not (1808) eine Stelle als Kapellmeister und Direktionsgehilfe am Bamberger Theater an. In die Bamberger Jahre (1808-1813) fällt der Beginn seiner schriftstellerischen Laufbahn. Durch die Veröffentlichung seiner phantastischen Novelle „Ritter Gluck" (Erstdruck 1809 in der Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung, für die Hoffmann als Rezensent tätig war), in der er die Aufführungspraxis der Gluck’schen Opern in Berlin kritisiert, erlangt er öffentliches Ansehen. Für ihn war die literarische Tätigkeit eher eine Begleiterscheinung zu seinem bevorzugten Wirkungsfeld, der Musik.
Nach kurzfristigen Engagements an Theatern in Dresden und Leipzig erhielt Hoffmann 1814 durch die Protektion seines Jugendfreundes Theodor Gottlieb von Hippel, eine Anstellung beim Königlichen Kammergericht in Berlin. Bis zu seinem Tod 1822 führte Hoffmann hier eine strapaziöse Doppelexistenz als Jurist und Dichter. Durch die Vermittlung seines Freundes Eduard Hitzig und den Publikumserfolg seiner 1813/14 publizierten Fantasiestücke in Callot’s Manier kam er schnell mit den Künstlerzirkeln der Stadt in Kontakt und wurde bald zu einer prominenten lokalen Persönlichkeit.
Hoffmanns Zechgelage mit dem Schauspieler Ludwig Devrient in der Weinstube „Lutter und Wegener“ förderten die Legendenbildung um den angeblich haltlosen, im Rausch schaffenden „Gespenster-Hoffmann“ schon zu Lebzeiten. Doch Hoffmann ging auch seinen Dienstgeschäften als Justizrat und Richter gewissenhaft nach. Wie ernst der Dichter seine juristischen Pflichten nahm, zeigte u. a. sein Eintreten für den als Demagogen inhaftierten “Turnvater” Friedrich Ludwig Jahn, dem er entgegen dem Widerstand seiner Vorgesetzten einen fairen Prozess verschaffen wollte und dabei selber in ein Disziplinarverfahren verwickelt wurde (wegen sarkastischer Anspielungen auf die Sache in seiner Novelle “Meister Floh”). Hoffmann starb am 25. Juni 1822 in Berlin.
3 Zeitgeschichtlicher Abriss
Die Romantik war ein gesamteuropäisches Phänomen unterschiedlicher nationaler Ausprägung. Ausgehend vom 18. Jahrhundert reichte die geistesund stilgeschichtliche Epoche der Romantik bis ins erste Drittel des 19. Jahrhunderts. Als Gegenposition löste sie das mechanischrationalistische Welt- und Menschenbild der Aufklärung und die klassizistisch ausgerichtete Regelpoetik des „Sturm und Drang“ ab. Die deutsche Romantik wird aus heutiger Sicht in verschiedene Gruppen unterteilt, als wichtigste sind die sogenannte ältere oder Frühromantik und die Spätromantik zu nennen. In der Frühromantik setzten Friedrich Schlegel und Novalis das Romantische mit der Modernen Poesie bzw. dem Poetischen gleich. Noch in Bezug zu den Kunstanschauungen Goethes und Schillers und anfänglich auch zeitgleich mit der Weimarer Klassik entstanden zwei romantische Strömungen, die “christliche” und die “dionysische”. Die letztere suchte eine mystisch, grenzüberschreitende Erfahrung der letzten Wirklichkeit und Wahrheit ohne Bindung und Rückbesinnung auf die christlichen Heilsvorstellungen.
Beiden Strömungen gemeinsam ist die Sehnsucht und das Streben nach der Unendlichkeit.
Auch die - jeweils umkehrbare - Umdeutung des Endlichen in Unendliches und des Gewöhnlichen in Geheimnisvolles verlieh der romantischen Philosophie einen Zug ins Paradoxe und Fragmentarische, der aber in Vorstellungen von der Alldurchdrungenheit oder Interdependenz aller Elemente der Schöpfung ein Korrektiv erhielt.
Hervorzuheben ist hierbei insbesondere der enge Zusammenhang zwischen der literarischen Romantik und dem Transzendentalismus, einer in den USA entstandenen literarischen und philosophischen Bewegung des frühen 19. Jahrhunderts, die sich in Aspekten der Innenschau, Verklärung des Individuums und dem Lobpreis natürlicher und menschlicher Schönheit decken. Die Transzendentalisten betrachteten die Natur als göttlich und betonten den kreativen Prozess im Natürlichen. Dementsprechend durchwirkt das Göttliche die gesamte Realität, ob belebt oder unbelebt, und der Zweck des menschlichen Lebens besteht darin, in der Einheit mit der Weltseele aufzugehen. Dabei kommt der Intuition höhere Bedeutung zu, als dem Verstand. Die Mystik oder Erkenntnis der Schönheit und Wahrheit der Natur führen zur Erfüllung der menschlichen Bestimmung. Die Anhänger dieser Ideen sprechen der schöpferischen Kraft des Dichters quasi göttliche Bedeutung zu, da er mit Hilfe seiner Phantasie Wirklichkeit durchdringen und harmonisch transzendieren kann. Ein solcher Prozess sei in der Lage den Einzelnen zu verwandeln und vollziehe sich abseits der allgemeinen Wahrheiten und überlieferten Traditionen.
In Deutschland wird der Begriff des “Romantisierens” abgeleitet vom mittelalterlichen “romanticus” (wunderbar) und vor allem geprägt durch Friedrich von Schlegel (1772-1829) und Friedrich Leopold von Hardenberg (1772-1801), genannt Novalis.
Der romantischen Vorstellung gemäß sollte alle Lebenstätigkeit mit poetischer Bedeutung aufgeladen werden und die eigentümliche Schönheit der darin enthaltenen Gestaltungskraft zur Anschauung bringen. So wird das Leben selbst zur Kunst, wenn man sich nur dafür entscheidet, es als ungewöhnlich zu empfinden und sich dem Wunderbaren zu öffnen.
Oberstes Gebot der Romantiker ist die völlige Willkür des Dichters und die ihn charakterisierende Individualität, bei gleichzeitiger, völliger Freiheit von jeder künstlerischen Regel.
(...) Die romantische Dichtart ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann. Sie kann durch keine Theorie erschöpft werden, und nur eine divinatorische Kritik dürfte es wagen, ihr Ideal charakterisieren zu wollen. Sie allein ist unendlich, wie sie allein frei ist, und das als ihr erstes Gesetz anerkennt, daß die Willkür des Dichters kein Gesetz über sich leide. Die romantische Dichtart ist die einzige, die mehr als Art, und gleichsam die Dichtkunst selbst ist: denn in einem gewissen Sinn ist oder soll alle Poesie romantisch sein.
Die Romantik sah in der Poesie mehr als bloße Dichtkunst: Poesie bedeutete Bewusstseinserweiterung, Überwindung aller Grenzen, Versöhnung von Mensch und Natur. Die Romantiker steigerten, durchaus in der Tradition von Empfindsamkeit, Sturm und Drang, das schöpferische Ich ins Universale: Ihm war es durch die Macht der Phantasie gegeben, Gegensätze zu vereinen, Traum und Wirklichkeit miteinander zu verschmelzen und die empirische Realität in einer höheren Wirklichkeit aufgehen zu lassen.
Von großer Wirkung für die Verbreitung romantischen Gedankenguts waren August Wilhelm Schlegels Berliner Vorlesungen Über die schöne Kunst und Literatur (1802-1805), seine programmatischen Schriften: Über Goethes Meister (1798) und die zusammen mit seinem Bruder Friedrich Schlegel herausgegebene Zeitschrift Athenäum (1798-1800). Das 116. Athenäums-Fragment enthält alle entscheidenden Aspekte der Welt- und Kunstauffassung, die jene breite Bewegung kennzeichnen. Dennoch existierte keine terminologisch in sich geschlossene romantische Kunstphilosophie der verschiedenen Romantikerkreise.
Zu den bedeutendsten Repräsentanten der Berliner (Spät-)Romantik wird heute Ernst Theodor Amadeus Hoffmann gerechnet. Sein erzählerisches Werk konzentrierte sich auf das Phantastische und auf das Unerklärliche, Verborgene, Bedrohliche, gewissermaßen als Fortsetzung der ur- romantischen Faszination für die „Nachtseiten der Wissenschaft“, die ein allgemeines Interesse an paranormalen Phänomenen wie Magnetismus und Mesmerismus erregt haben. Mit seinen, der unergründeten Seite des
Menschen und der Natur zugewandten, Werken übte er großen Einfluss auf die außerdeutsche Literatur (Frankreich, England) aus.
Marianne Thalmann ordnet E.T.A. Hoffmanns dichterisches und zeichnerisches Werk dem Manierismus zu, dessen Charakteristikum die Groteske ist; einer Kunstform, die Einzelheiten des Dargestellten vergrößert, verkleinert oder verzerrt, wodurch eine Umwertung der bestehenden oder eine andere Sichtweise erreicht wird. Im Grotesken wird der fundamentale Widerspruch des Menschen, am Tierischen bzw. Mechanischen teilzuhaben und dennoch spiritueller Aufschwünge fähig zu sein, im prägnant radikalen Bild gefasst und damit zugleich die überkommene Scheidung von Erhabenem/Tragischem und Trivialem/Komischem unterlaufen. Heute wird der Manierismus in den kultur- und kunstwissenschaftlichen Disziplinen weniger als Epochenbegriff, denn als metahistorische Kategorie aufgefasst, als ein ästhetisches Grundmuster, das unter verschiedenen historischen Voraussetzungen jeweils besondere Ausdrucksformen entwickelt. Signifikante Eigenschaften manieristischer Dichtung sind bei aller Betonung der Phantasie ein intellektualistisches Kalkül, artistische Virtuosität, die vermeintlich willkürliche Kombination disparater Elemente zu einer künstlichen Einheit, die Ästhetisierung des Hässlichen, die Mischung von Klassischem mit Abstrusem, ein Nebeneinander verschiedener Stilhöhen und Ausdruckslagen; im Gebrauch rhetorischer Figuren sind gehäufte Vergleiche, Metaphern, Abstraktionen, Antithesen und Wortspiele auffällig.
Ein verstärktes Vorkommen dieser Kunstform kann in Zeiten politischer und sozialer Umwälzung beobachtet werden. Gleichzeitig wird auch eine Revolutionierung des Denkens sichtbar. Auch E.T.A. Hoffmanns politische Karikaturen gehören der Groteske an, sowie einzelne Gestalten in seinem literarischen Werk.
In Text und Gespräch von Hoffmanns “Serapionsbrüdern” ist ein zentrales Thema das “Wunderbare in der Literatur”, das - ausgehend von den Schriften Johann Jacob Bodmers (Kritische Abhandlung von dem
Wunderbaren in der Poesie, 1740) und Johann Jakob Breitingers (Kritische Dichtkunst, 1740) - die gesamte Erzählkunst der Romantik beherrschte und sich als wirkungsmächtigstes poetologisches Erbe der Epoche erwies. Vor allem bei Hoffmann standen phantastisch-transzendentale Phänomene als Manifestationen eines “höheren Seins” durchweg im Zusammenhang mit der Suche nach Welterkenntnis und der Vervollkommnung des Menschen im Kunstwerk.
4 Zur Werkauswahl - “Die Serapionsbrüder”
Als “Serapionsbrüder” bezeichnete sich der Freundeskreis, der sich von 1814 bis 1818 in Hoffmanns Berliner Wohnung traf. Zu diesem gehörte: der Schriftsteller Julius Eduard Hitzig (Freund und Juristenkollege Hoffmanns),Johannes Ferdinand Koreff und C. W. Salice-Contessa, zeitweilig auch der Schriftsteller und Naturforscher Adelbert von Chamisso (eigentlich Charles Adélaïde de Chamisso de Boncourt ) und Friedrich de la Motte-Fouqué.
Die wöchentlichen Zusammenkünfte, von denen insgesamt acht dokumentiert sind, wurden nach dem ägyptischen Anachoreten Serapion Sindonita, dem katholischen Kalenderheiligen des Tages (14. November 1818) benannt, an dem die Freundesrunde zum erstenmal nach längerer Unterbrechung wieder zusammenfand. Der heilige Serapion diente den Anwesenden als personifiziertes Sinnbild ihrer, beim geselligen Zusammensein, vorerst nur ansatzweise besprochenen gemeinsamen Grundsätze und noch näher zu fixierenden künstlerischen Prinzipien. Die dabei entstandene serapiontische Idee: Jeder prüfe wohl, ob er auch wirklich das geschaut, was er zu verkünden unternommen, ehe er es wagt, laut damit zu werden. Wenigstens strebe jeder recht ernstlich danach, das Bild, das ihm im Innern aufgegangen, recht zu erfassen mit all seinen Gestalten, Farben Lichtern und Schatten und dann, wenn er sich recht entzündet davon fühlt, die Darstellung ins äußere Leben [zu] tragen.
nutzt Hoffmann literarisch. Sie wurde zum verbindenden Leitmotiv einer kunstvollen Verknüpfung der Mehrzahl seiner bislang nur verstreut publizierten Erzählungen und Märchen.
So entstand auf Vorschlag seines Berliner Verlegers, Georg Reimer, eine vierbändige Novellensammlung (Bd. 1, 2 erschien 1819; Bd. 3 im Oktober 1820 und Bd. 4 Ostern 1821) unter dem Titel “Die Serapionsbrüder”.
Die vier Bände werden in insgesamt acht Abschnitte unterteilt und enthalten insgesamt 30 Erzählungen und kürzere Texte, die sich -so die “Einkleidung”- einige Freunde in geselliger Runde an acht Abenden erzählen oder vorlesen. Somit entspricht jeder Abschnitt der “Serapionsbrüder” einem Treffen des Dichterkreises.
Die Freunde, vereint durch das gleiche schöne Streben in Kunst und Wissenschaft, kommentieren die einzelnen Erzählungen, erörtern darin allgemeine Fragen aus dem Bereich der Poesie, Kunst, Wirklichkeit und Gesellschaft und legen ihre Reflexionen über den Sinn solcher gemeinsamen Veranstaltungen und ästhetischen Zielsetzungen dar. Insgesamt werden in den “Serapionsbrüdern” sechs Erzähler mit Vornamen benannt (Theodor, Ottmar, Sylvester, Vinzenz, Lothar, Cyprian), doch der Versuch diese den einzelnen Personen aus dem Freundeskreis eindeutig zuzuordnen scheitert, letztendlich verbirgt sich Hoffmann selbst hinter jedem Einzelnen.
Die teils heiteren, teils schauerlich-skurrilen und romantischen Geschichten sind eingewoben in die Gespräche dieser Erzählrunde und sollten in einer gewissen Abfolge den Ausgang der gemeinsamen Abende bestimmen. Es war beabsichtigt, dass sie in gehobener Stimmung beschlossen, d.h. mit freundlichen Geschichten oder Märchen beendet werden, das “Schauerliche mit dem Heiter[e]n” abwechselt.
Durch die Erschaffung des genannten Gesprächrahmens, als Gesamtkonstruktion für „Die Serapionsbrüder“, folgt Hoffmann einer verbreiteten europäischen Tradition und beruft sich im Vorwort zum ersten Band ausdrücklich auf Tiecks “Phantasus” (1812-1816).
Der erste Abschnitt des ersten Bandes der Serapionsbrüder enthält, außer 2 einigen kürzeren anekdotenhaften Einschüben, vier Erzählungen: zwei titellose (die erste über den wahnsinnigen Grafen P**, der sich für den Einsiedler Serapion hält, als zweite eine Erzählung über Rat Krespel), darauf folgen “Die Fermate” und “Der Dichter und der Komponist”.
Im einleitenden Gespräch schildert einer der Anwesenden, Cyprian, seine Begegnung mit Serapion, einem geistreichen, intelligenten und dichterisch begabten Diplomaten, der plötzlich von der fixen Idee besessen war, der durch die Allmacht Gottes wieder auferstandene Märtyrer Serapion aus dem 3. Jahrhundert zu sein. Dieser lebt als Einsiedler und Priester in einem Wald, den er für die Wüste Thebens hält. Trotz seiner rationalen Argumente und der Anwendung zuvor angeeigneter psychologischer Kenntnisse über den Charakter des Wahnsinns, gelingt es Cyprian nicht, den Wahnsinnigen von seinem vermeintlichen Wahn zu überzeugen und “(...) in Serapions verfinsterten Geist einen Lichtstrahl zu werfen.” Er unternimmt den erfolglosen Versuch, Serapion den “gerechten Ansprüchen der Welt” wiederzugeben.
Serapion wiederum hält Cyprian für einen vom Teufel angetriebenen, hässlichen Quälgeist, der die innere Zufriedenheit des Gottgeweihten beneidend, diesen solange bedrängen würde, bis er im Kampf überwunden sei. Er ist sich auch sicher, diesen ohnmächtigsten von allen Widersachern mit seinen eigenen Waffen “(...), das heißt mit den Waffen der Vernunft.” schlagen zu können.
Hoffmann spricht hier den subjektiven Charakter der Wirklichkeitserkenntnis an: “Ist es nun also der Geist allein, der die Begebenheit vor uns erfasst, so hat sich das auch wirklich begeben, was er dafür erkannt.” und zeigt damit auch die Grenzen vernunftbezogenen Denkens (vgl. hierzu: Lit.: Kant) auf.
Vom christlichen Standpunkt aus unterliegt alles Sein, so auch die Zeit, ihre Ausdehnung und das Eingebundensein im Raum, der Allmacht Gottes und folgt daher seinen Gesetzen. Sie ist laut Serapion: “(...) ein ebenso relativer Begriff, wie die Zahl.”
Vom medizinischen Standpunkt aus ist Serapion unheilbar krank, denn er kann nicht mehr unterscheiden zwischen der objektiven Wirklichkeit, dem Konsens aller Individuen, und seiner eigenen Vorstellung davon. Er hat sich für eine einzige Ansicht seiner Selbst und eine andere Sehensweisen ausschließende Sicht der ihn umgebenden Welt, hier eine christliche, entschieden. Diese Einseitigkeit, seine subjektive Wahrnehmung, verteidigt er inbrünstig und kann nicht zu einer anderen Sicht “bekehrt” werden. Selbst wenn Cyprian im Recht sein sollte, gesteht Serapion ein, müsste dieser (an seiner Stelle) verrückt sein, wenn er versuche, einen Wahnsinnigen von seiner fixen Idee zu befreien.
Tief erschüttert fragt sich Cyprian, ob hinter diesem methodischen Wahnsinn nicht ein höherer Sinn verborgen liege und die ewige Macht den unglücklichen Serapion “(...) vielleicht auf diese Weise vor bedrohlichen Klippen rettete in den sicheren Hafen”. Hoffmann greift hier eine moderne psychologische Auffassung vorweg, die später von Sigmund Freud postuliert wurde und besagt, dass Neurosen und andere psychische Störungen vom Kranken unbewusst zum Schutz der darunter verborgenen Persönlichkeitsanteile erschaffen werden.
Nach außen als Wahnsinn und somit Krankheit des Geistes hervortretend, blieben Serapions Geisteskräfte bei seinem Streben nach christlicher Vollkommenheit vor der eigentlichen Zerrüttung verschont, und so wird er als ein „im glückseligen Zustand lebender“ beschrieben.
Über diese scheinbar idyllische Form des nach außen hervortretenden Wahnsinns mokiert sich im weiteren einer der anwesenden Erzähler. Theodor sagt:
“Es wäre heillos, wenn der Gedanke dieses glückseligen Zustandes Wurzel fassen im Gemüt und dadurch Wahnsinn herbeiführen könnte.”
Die Freunde warnen Cyprian vor seinem “närrischen Hang zur Narrheit”
und seiner wahnsinnigen “Lust am Wahnsinn”:
Du sprichst vom Blick in die schauerlichste Tiefe der Natur, möge nur jeder sich vor einem solchen Blick hüten, der sich nicht frei weiß von allem Schwindel.
Die Entscheidung des Einzelnen, nur das subjektiv Wahrgenommene als einzige Wirklichkeit anzuerkennen und alle anderen Beschreibungen der Welt an diese innere Wirklichkeit anzupassen, bewirkt, dass der so verfahrende, innerlich zufrieden und von keinerlei Zweifeln geplagt wird, jedoch für andere als wahnsinnig und im günstigsten Fall nur sonderlich erscheint.
Der Sonderling wird aufgrund seines merkwürdigen Verhaltens oft mit dem Wahnsinnigen verwechselt, obwohl er nicht im Sinne eines Serapions wahnsinnig ist:
(...) worin bestand dein Wahnsinn anders, als daß irgendein feindlicher Stern dir die Erkenntnis der Duplizität geraubt hatte, von der eigentlich allein unser irdisches Sein bedingt ist. Es gibt eine Innere Welt und die geistige Kraft, sie in voller Klarheit, in dem vollendetsten Glanze des regesten Lebens zu schauen, aber es ist unser irdisches Erbteil, daß eben die Außenwelt, in der wir eingeschachtet, als der Hebel wirkt, der jene Kraft in Bewegung setzt. Die innern Erscheinungen gehen auf in dem Kreise, den die äußeren um uns bilden und den der Geist nur zu überfliegen vermag in dunklen geheimnisvollen Ahnungen, die sich nie zum deutlichen Bilde gestalten.. Aber du, oh mein Einsiedler, statuiertest keine Außenwelt, du sahst den versteckten Hebel nicht, die auf dein Inneres einwirkende Kraft; (...) so vergaßest du, daß die Außenwelt den in den Körper gebannten Geist zu jenen Funktionen der Wahrnehmung zwingt nach Willkür.
Hoffmann vertritt hier die Auffassung einer in mehrere Instanzen unterteilten Welt, eines vom Makrokosmos umschlossenen Mikrokosmos. Nur die innere Welt könne vom, in den Körper gebannten, Geist vollständig erkannt werden, bleibt jedoch der Willkür der Außenwelt unterworfen. Demnach ist die Erkenntnisfähigkeit des Menschen einer außerhalb seines Körpers wirkenden Kraft unterstellt und der in das irdische Sein eingeschlossene Geist unfrei.
Nur ein in Illusionen lebender Träumer glaube, frei von diesem “irdischen Erbteil”, nicht den Gesetzen der äußeren Welt unterworfen zu sein.
Der Serapion-Erzählung und seiner illusionären Wirklichkeitsauffassung wird die Erzählung über “Rat Krespel” gegenübergestellt, dem keine Tendenz zum “eigentlichen, entschiedenen Wahnsinn” zugesprochen wird.
4.1 Rat Krespel
Die Novelle “Rat Krespel” erschien zuerst im “Frauentaschenbuch” des Hoffmannschen Freundes und Herausgebers Fouqué für das Jahr 1818. Bei ihrer Überarbeitung für die serapiontischen Geschichten entfiel das zuvor im „Frauentaschenbuch“ veröffentlichte Vorwort des Autors.
Die Anregung zu der Geschichte vom Rat Krespel erhielt Hoffmann von Clemens Brentano, mit dem er 1816 Umgang pflegte. Dieser hatte ihm vom wunderlichen Benehmen eines Frankfurter Archivars erzählt. Dieser Johann Bernhard Crespel (1747-1813) gehörte zum Bekanntenkreis Goethes, der ihn in seinem sechsten und fünfzehnten Buch von “Dichtung und Wahrheit” als skurrilen, menschenscheuen, aber für die Kunst begeisterten Menschen beschrieb.
Hoffmanns Krespel ähnelt diesem zuvor genannten Archivar, denn er zählt zu jener sensiblen Menschenart, die eine Disharmonie zwischen der inneren Gefühlswelt und dem äußeren Leben empfinden und nicht in der Lage sind, die daraus resultierende Anspannung hinter einer Maske der Gleichmütigkeit zu verbergen:
Das Missverhältnis des inneren Gemüts mit dem äußeren Leben, welches der reizbare Mensch fühlt, treibt ihn wohl zu besonderen Grimassen, die die ruhigen Gesichter, über die der Schmerz so wenig Gewalt hat als die Lust, nicht begreifen können, sondern sich nur darüber ärgern. Krespel, von Beruf Jurist und Diplomat, erregt durch sein unkonventionelles Betragen und seine sonderbare Kleidung die Verwunderung seiner Mitmenschen. Er lässt ein Haus für sich bauen, nach ganz eigenen Prinzipien: Zuerst werden die Mauern ohne Fenster und Türen hochgezogen und die nötigen Öffnungen, erst auf seine Anordnung, in die schon gebauten Wände geschlagen: “...es werde sich schon alles, wie es sein solle, fügen Sein Bauen erinnert an das Spiel und spielerische Lernen von Kindern, zu denen er auch in einem besonderen Verhältnis steht:
Seines rauen Äußeren unerachtet, liebten ihn sogar die Kinder, ohne ihn zu belästigen, denn trotz aller Freundlichkeit behielten sie eine gewisse scheue Ehrfurcht, die ihn vor allem zudringlichen schützte.
Aus zuvor abgenagten Hasenknochen fertigt er “allerlei winzig kleine Döschen und Büchschen und Kügelchen, die die Kinder jubelnd empfingen.” Am auffälligsten an seiner Erscheinung ist die Diskrepanz zwischen Fühlen und Benehmen; weder Gestik noch Sprache sind in Einklang miteinander, zuweilen treten Reaktionen auf Ereignisse verspätet ein. Die Gemütswelt scheint weder mit dem Körper noch mit der Außenwelt in einem harmonischen Verhältnis zu stehen:
Es gibt Menschen, (...) , denen die Natur oder ein besonderes Verhängnis die Decke wegzog, unter der wir anderen unser tolles Wesen unbemerkt treiben. Sie gleichen dünngehäuteten Insekten, die im regen sichtbaren Muskelspiel missgestaltet erscheinen, ungeachtet sich alles bald wieder in die gehörige Form fügt. Was bei uns Gedanke bleibt, wird dem Krespel alles zur Tat. - Den bitteren Hohn, wie der in das irdische Tun und Treiben eingeschachtete Geist ihn wohl oft bei der Hand hat, führt Krespel aus in tollen Gebärden und geschickten Hasensprüngen. Das ist aber sein Blitzableiter. Was aus der Erde steigt, gibt er wieder der Erde, aber das Göttliche weiß er zu bewahren; und so steht es mit seinem innern Bewusstsein recht gut, glaub ich, unerachtet der scheinbaren, nach außen herausspringenden Tollheit.
[...]
- Arbeit zitieren
- Dubravka von Puttkamer (Autor:in), 2001, Die Weltanschauung E.T.A. Hoffmanns veranschaulicht an ausgesuchten Erzählungen aus seinem Werk "die Seraphionsbrüder", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56983
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