Wenn man Thomas Mann als den größten deutschen Erzähler bezeichnet, stößt man vielleicht nicht auf ungeteilte Zustimmung bei jedermann, doch lässt sich wohl niemand finden, der ihn nicht zu der erlesenen Gruppe von Autoren zählte, die für diesen Titel in Frage kämen.
Doch selbst wenn man sich auf ein solche Diskussion einlässt ist bei Thomas Mann immer noch etwas, was ihn über Kollegen seines Faches erhebt. Meines Erachtens kann man diesen Sachverhalt an dreierlei festmachen. Zum einen an der technischen Seite des Schreibens:
Sprache, Technik der Gestaltung und Struktur u.a. suchen in der Ausgewogenheit der Perfektion jeder Facette ihresgleichen. Zum zweiten der Inhalt der Werke Thomas Manns: die Konflikte zwischen Individuum und Gesellschaft, Leben und Kunst, Natur und Geist sprechen das an, was Menschen bewegt, egal welchen Alters. So verallgemeinert dargestellt, dass sich ein jeder darin findet und doch so weit weg vom Makel der Trivialliteratur, dass der Name Mann noch jedem ehemaligen Schüler respekteinflössend in den Ohren klingt. Drittens, Thomas Mann selbst: Die Person Thomas Manns ist einerseits so berühmt und scheinbar allumfassend beleuchtet (man denke nur an seine unzähligen Familienmitglieder, die sich über den Privatmensch Thomas Mann äußerten), andererseits so undurchsichtig. Schon die Frage, so unnötig sie auch erscheinen mag, wie solch ein bürgerlicher, spießig erscheinender Mensch, Vater mehrerer Kinder, um seine Neigungen zu Jünglingen mehr oder minder keinen Hehl machte weckt das Interesse. Allgemein seine Biographie, die man aus so vielen Werken Manns herauslesen kann, scheint in ihrer Konflikthaftigkeit Höheres, Allgemeinmenschliches zu beschreiben. Dies wird wohl am deutlichsten, wenn man sich das Frühwerk Thomas Manns anschaut. Es ist geprägt durch einen Roman, der zum Welterfolg wurde, die Buddenbrooks, und einigen Novellen, die ein Bild des Künstlers und Bürgers Thomas Mann in vielen verschiedenen Figuren darstellen. Man kann an diesen Novellen eine fast stringente Entwicklung festmachen, die Thomas Mann durchlebt. Dieses Frühwerk wird 1912 mit dem „Tod in Venedig“ abgeschlossen. Und eben diese Novelle soll Thema dieser Arbeit sein. Ziel ist es, sie als Abschluss in der Logik seines Frühwerkes darzustellen. Hierzu wird sich der im ersten Teil dargestellte Lebenslauf auch zum größten Teil auf die Jahre bis 1912 beziehen.
Inhalt
0. Einleitung
1. Das Werk
1.1. Das Frühwerk
1.2. Was nach dem Frühwerk kam
2. „Der Tod in Venedig“
2.1. Vorbemerkungen
2.2. Kapitel 1: Exposition
2.3. Kapitel 2: Steigerung
2.4. Kapitel 3: Peripetie
2.5. Kapitel 4: Hinauszögern der Katastrophe
2.6. Kapitel 5: Katastrophe
3. „Der Tod in Venedig“ als Abschluss des Frühwerks Thomas Manns
4. Fazit
Literatur
0. Einleitung
Wenn man Thomas Mann als den größten deutschen Erzähler bezeichnet, stößt man vielleicht nicht auf ungeteilte Zustimmung bei jedermann, doch lässt sich wohl niemand finden, der ihn nicht zu der erlesenen Gruppe von Autoren zählte, die für diesen Titel in Frage kämen.
Doch selbst wenn man sich auf ein solche Diskussion einlässt ist bei Thomas Mann immer noch etwas, was ihn über Kollegen seines Faches erhebt. Meines Erachtens kann man diesen Sachverhalt an dreierlei festmachen. Zum einen an der technischen Seite des Schreibens:
Sprache, Technik der Gestaltung und Struktur u.a. suchen in der Ausgewogenheit der Perfektion jeder Facette ihresgleichen. Zum zweiten der Inhalt der Werke Thomas Manns: die Konflikte zwischen Individuum und Gesellschaft, Leben und Kunst, Natur und Geist sprechen das an, was Menschen bewegt, egal welchen Alters. So verallgemeinert dargestellt, dass sich ein jeder darin findet und doch so weit weg vom Makel der Trivialliteratur, dass der Name Mann noch jedem ehemaligen Schüler respekteinflössend in den Ohren klingt. Drittens, Thomas Mann selbst: Die Person Thomas Manns ist einerseits so berühmt und scheinbar allumfassend beleuchtet (man denke nur an seine unzähligen Familienmitglieder, die sich über den Privatmensch Thomas Mann äußerten), andererseits so undurchsichtig. Schon die Frage, so unnötig sie auch erscheinen mag, wie solch ein bürgerlicher, spießig erscheinender Mensch, Vater mehrerer Kinder, um seine Neigungen zu Jünglingen mehr oder minder keinen Hehl machte weckt das Interesse. Allgemein seine Biographie, die man aus so vielen Werken Manns herauslesen kann, scheint in ihrer Konflikthaftigkeit Höheres, Allgemeinmenschliches zu beschreiben. Dies wird wohl am deutlichsten, wenn man sich das Frühwerk Thomas Manns anschaut. Es ist geprägt durch einen Roman, der zum Welterfolg wurde, die Buddenbrooks, und einigen Novellen, die ein Bild des Künstlers und Bürgers Thomas Mann in vielen verschiedenen Figuren darstellen. Man kann an diesen Novellen eine fast stringente Entwicklung festmachen, die Thomas Mann durchlebt. Dieses Frühwerk wird 1912 mit dem „Tod in Venedig“ abgeschlossen. Und eben diese Novelle soll Thema dieser Arbeit sein. Ziel ist es, sie als Abschluss in der Logik seines Frühwerkes darzustellen. Hierzu wird sich der im ersten Teil dargestellte Lebenslauf auch zum größten Teil auf die Jahre bis 1912 beziehen. Es werden die bestimmenden Konfliktlinien vorgestellt, Entwicklungsstufen aufgezeigt und versucht das Wichtigste dieser Epoche darzustellen. Nur kurz wird im Anschluss daran, dass weiterführende Werk Manns betrachtet. Im zweiten Teil wird der „Tod in Venedig“ interpretatorisch aufbereitet und wichtige Elemente, sprachlicher und gestalterisch-struktureller Natur dargestellt, darunter v.a. die Leitmotivik und der Mythos im Rahmen der Novelle erläutert. Im daran folgenden Abschnitt sollen die beiden ersten Teile zusammengefügt und „Der Tod in Venedig“ in die Logik der Entwicklung des Mannschen Frühwerks eingefügt werden. Im abschließenden Fazit findet die Arbeit ihren Abschluss.
1. Das Werk
Das Schaffen Thomas Manns kann man grob in drei Phasen unterteilen. Jede von ihnen stellt eine bestimmte Stufe seiner Entwicklung sowohl als Mensch auch als Künstler dar. Leben und Werk waren bei Thomas Mann von jeher sehr eng verwoben. Die erste Phase kann man als das Frühwerk bezeichnen. Es ist geprägt von zwei Novellenbänden sowie einem Familienroman und findet seinen Abschluss in der Novelle „Der Tod in Venedig“. Daran schließt sich die zweite Phase an, die v.a. durch das Schaffen von Romanen bestimmt ist. Vollendet wird der Lebenslauf des Autoren durch die letzte Phase, die durch Essays, v.a. auch politischer Natur, dominiert ist.
1.1. Das Frühwerk
Das Frühwerk Thomas Manns findet vornehmlich Ausdruck in zahlreichen Novellen. 1894, Thomas Mann ist 19 Jahre alt, erscheint seine erste Novelle „Gefallen“, die er später als nicht recht gelungen betrachtet und von daher auch nicht in seine Novellenbände aufnimmt. Sie ist jedoch von Bedeutung, da sie seine erste wirkliche Veröffentlichung darstellt. Im selben Jahr zog Mann aus seiner Heimatstadt Lübeck ins südlich gelegene München. Beide Orte stellen konstante Orientierungspunkte seines Lebens dar, was sich in einer Vielzahl von Übertragungen ins Werk zeigen lässt. Darauf soll später eingegangen werden. Jedoch ebenso wichtig sowohl für Leben als auch Werk war sein Elternhaus. Sein Vater Johann Thomas Heinrich, Lübecker Senator und Konsul, seine Mutter, Julia (geborene da Silva Bruhns), eine Frau brasilianischer Herkunft, stellen die Weichen für die Dichotomien im Werk Thomas Manns. V.a. in seinem zweiten Novellenband wird Mann die Opposition von Bürger und Künstler, Leben und Geist darstellen, in welche beide Elternteile hervorragend hineinpassten. 1896 erscheint Manns erster Novellenband „Der kleine Herr Friedemann“. Darin wird das Leben von Personen vorgestellt, die nicht zu denen gehören, die leichtfertig durchs Leben zu gehen gewohnt sind, sei es durch körperliche Schwäche oder geistige Unfähigkeit. Diese Figuren stellen alle die „Frage nach dem Glück und antworten mit Gestalten des Scheiterns“.[1] Mann macht in diesen Erzählungen deutlich, dass es für schwächere Naturen, jene, die nicht per se in die bürgerlich gedankenlose Gesellschaft integriert sind, einer höheren Idee bedarf, etwas wonach sich zu streben lohnt. Es ist die Suche und das Streben nach dem persönlichen Lebensglück, einem Glück was sich die Menschen, die gesundheitlich und sozial keine Außenseiter sind nicht suchen müssen, was ihnen immanent ist. Diese Idee sieht Mann, wie sich im späteren Werk zeigt, am wertvollsten in der Liebe verwirklicht. Jedoch gibt es auch andere Werte, die als höhere Idee des Lebens gelten können. Bemerkenswert ist bei diesen frühen Erzählungen die Tendenz zum Tod, die diesen Figuren gegeben ist. Die Alltäglichkeit glücklosen Daseins lässt sich nicht als erträgliches Leben verkaufen. Das zeigt schon die titelgebende Novelle „Der kleine Herr Friedemann“. Ein Mann mittleren Alters, durch einen Sturz vom Wickeltisch schon seit seiner Kindheit körperlich beeinträchtigt, richtet sich in seinem Leben ein. Die Mittelmäßigkeit seines Lebens ist ihm durchaus nicht unbewusst, doch macht er sich vor, sich damit arrangieren zu können und doch ein recht zufriedenstellendes Dasein zu fristen. Als Gerda von Rinnlingen in die Stadt zieht ist es um Friedemann geschehen. Nicht mehr imstande sein wohl eingerichtetes Leben fortzuführen ist es nur noch Gerda, die ihm das Leben ist, obgleich sie wenig unternehmen muss um dies zu erreichen. Angesichts der Aussichtslosigkeit des Unterfangens in Gerdas Nähe zu sein, ohne die Selbstbeherrschung zu verlieren, steuert die Geschichte unweigerlich auf die Katastrophe zu. Diese gestaltet sich so, dass Friedemann, seiner nicht mehr Herr seiend, Gerdas Hand ergreift, sich vor ihr zu Boden wirft und völlig zerstört unverständliche Worte stammelt. Dass er ihr nicht seine Zuneigung oder dergleichen gesteht, ist Ausdruck dafür, dass seine Zerstörung nicht nur auf das Erscheinen Gerdas und seine Abhängigkeit zu ihr zurückzuführen ist, sondern auf einen Einbruch in sein hübsch geordnetes Leben überhaupt. „Ein Ekel vielleicht vor sich selbst“[2] erfasst Friedemann, und dass Gerda nur Hohn für ihn übrig hat, wird fast zweitrangig. Nur folgerichtig endet die künstliche Existenz Friedmanns mit einer Lehre vom Leben, die ihm den Tod bringt.
Dieser Novelle lässt sich jene gegenüberstellen, welche sich „Der Wille zum Glück“ nennt. Paolo, ein nur mäßig gesunder Mensch lebt zum Erstaunen seines Arztes länger als man annehmen konnte. Dieses verlängerte Leben verdankt er sprichwörtlich dem Willen zum Glück, was er in Form der Liebe und in Gestalt einer jungen Baroness findet. Auch sie ist ihm zugetan, was aber ihren Vater nicht davon abhält dieser Verbindung seinen Segen zu verweigern. Fünf Jahre der Abstinenz ändern nichts an der Bindung zwischen Paolo, und seiner Angebeteten, und so, überzeugt, willigt der Vater in eine Heirat ein. Die Frage, warum Paolo trotz schlechter Prognosen bezüglich seiner Gesundheit, fünf Jahre am Leben bleibt, beantwortet er an anderer Stelle selbst mit den Worten „Ich glaube, dass ich glücklich sein werde.“[3]. Es ist an dieser Stelle programmatisch ausgesprochen, dass das Glück, wenn auch scheinbar unerreichbar Leben für schwache Existenzen möglich macht. Die Erfüllung dieses Glückes kostet im Frühwerk Manns jedoch noch den Tod der Hauptfigur. So stirbt auch Paolo im Anschluss an die Liebesnacht und am Mangel eines höheren Glückes, was ihm am Leben halten könnte.
In mehr oder weniger abgewandelter Form wird dieses Thema der Sinngebung des Daseins durch eine Idee vom Glück in den übrigen Novellen des ersten Sammelbandes variiert.
1903 erscheint Manns erster Roman „Buddenbrooks“, der ein Riesenerfolg wird. Beschrieben wird darin die Geschichte einer hanseatischen Kaufmannsfamilie, die nicht nur exemplarisch vorgestellt wird, sondern die Personen sind größtenteils sprichwörtlich aus dem Leben gegriffen. Und zwar nimmt Mann Personen seiner Heimatstadt Lübeck zum Vorbild, worüber die einen mehr die anderen weniger erfreut waren. Da dieser Roman jedoch erstens einer eigenen Arbeit bedürfte und zweitens thematisch nicht genug Anknüpfungspunkte zum Novellenwerk als Vorstufen zum „Tod in Venedig“ beitet, soll hier auf weitere Ausführungen verzichtet werden.
Ebenfalls im Jahr 1903 erscheint „Tristan“ ein weiterer Novellenband Manns, der nun die Lebensform des Künstlers als möglichen Ausweg aus dem Dilemma einer schwachen Natur problematisiert. Es wird das Verhältnis des Künstlers, des reflexiven Geistesmenschen, zum Bürger, also jenem, dem Leben und der Natur näher verwandt sind, beschrieben.
In der eröffnenden Novelle „Der Weg zum Friedhof“ einer an sich traurigen Handlung, wird anhand einer recht komischen Erzählweise noch einmal an den ersten Band angeknüpft, eine Brücke geschlagen. Dies insofern, dass Kunst in dieser Novelle noch keine Rolle spielt und einzig der Tod als Folge kümmerlichen, planlosen Daseins eintreten muss. So stirbt auch Lobgott Piepsam auf dem Weg zum Friedhof infolge eines Tobsuchtsanfalls, den ein Radfahrer, das Leben ausdrücklich personifizierend, in ihm auslöst.
In der Titelnovelle „Tristan“ tritt nun zum ersten Mal wirklich ein Künstler in Erscheinung, Detlef Spinell, und wird auch erstmals das Verhältnis von Künstler und Bürger und die Rolle der Kunst in der Gesellschaft beleuchtet. Die Novelle spielt in einem Sanatorium, einem sterilen weißen Gebäude, ausgehend von dieser Opposition, der Geistigkeit zuträglicher als dem Leben. Dem nur wenig talentierten Spinell wird die Familie Klöterjahn gegenübergestellt, besonders Gatte und Sohn treten als Gegenpart auf. Die junge Frau Klöterjahn hingegen wird als Spielball zwischen diesen Welten behandelt. Sie ist der Kunst nicht abgeneigt, soll sich aber angesichts ihrer schwachen Nerven selbiger nicht allzu oft hingeben um mit dem damit verbundenen sich Vergessen keinen Schaden an sich selbst anzurichten. Spinell, der Künstler, der dem Leben neidisch gegenübersteht, verführt die junge Frau zum Klavierspiel um sie in seinen Bann zu ziehen und damit dem Leben abspenstig zu machen. Dieser Plan gelingt insofern, dass sie dem Leben abtrünnig wird. Sie stirbt. Trotzdem ist es tatsächlich kein Triumph für Spinell und schon gar nicht für die Kunst. Herr Klöterjahn hat Spinell gegenüber schon einige Zeit vorher ordentlich seine Meinung kundgetan, was aber nicht als die letztendliche Schlüsselszene gelten kann. Diesen Titel erlangt die Abschlussszene, worin der kleine kerngesunde, vor Leben strotzende Sprössling der Klöterjahns durch seine „wilde Heiterkeit“ Spinell zur Umkehr zwingt wie jemand „der verbergen will, dass er innerlich davon läuft“[4].
[...]
[1] Mehring, S.19
[2] Mann (1981), S.94
[3] Mann (1981), S. 48
[4] ebd., S.256
- Quote paper
- Marko Rosteck (Author), 2005, Der Künstler als Lebensform im Frühwerk Thomas Manns am Beispiel "Der Tod in Venedig", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56470
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.