„Der Bundesrat verfolgt die Entwicklungen in der EU mit grosser Aufmerksamkeit und analysiert kontinuierlich den sich daraus ergebenden Handlungsbedarf.“
Betrachtet man die auf einer politischen Karte dargestellte Europäische Union (EU) in ihrer Ausbreitung, so ist eines auf Anhieb auffällig: In ihrer Mitte, im Zentrum Europas, ist ein weißer Fleck zu finden, der offensichtlich isoliert von einer einheitlichen Farbe umgeben scheint. Sogleich entpuppt sich dieser Fleck als die Helvetische Eidgenossenschaft oder viel gebräuchlicher Schweiz genannt. Dabei ist diese Erkenntnis gleichsam so überraschend wie einsichtig. Überraschend, da man es als selbstverständlich ansehen könnte, dass ein so wohlhabendes und wirtschaftlich starkes Land der EU angehört. Warum auch nicht? Schließlich gehören alle anderen westlichen Staaten, so würde der Eindruck sein, doch auch zu dieser Europa umfassend prägenden Organisation. Dagegen einsichtig, weil dieses Staatsgebilde Schweiz schon immer eine Sonderrolle einnahm, sich in seinem politischen Engagement stets zurückhielt und schon immer sein „eigenes Süppchen zu kochen“ schien. Und es ist genau dieser Widerspruch, der die reale Situation und Stellung der Schweiz in Europa wiedergibt. Es ist die außenpolitische Asymmetrie, die sich einerseits in der wirtschaftlichen Eingebundenheit der Schweiz in das Weltmarktsystem und andererseits in ihrem Abseitsstehen auf internationaler politischer Ebene zeigt. Das starke Interesse an einem liberalen Wirtschaftssystem und die damit verbundene Partizipation an vielen wirtschaftlichen Organisationen wie der WTO oder OECD steht der umso mehr politischen Zurückhaltung und geringen Einbindung in politischen Bündnissen entgegen. Während die Schweiz wirtschaftlich gesehen alles andere als ein Kleinstaat ist und zu den wettbewerbsfähigsten Ländern der Welt gehört, wirkt ihre Außenpolitik, wohlbemerkt nicht ihre Außenwirtschaftspolitik, anachronistisch und stark isolationistisch. Dies wird insbesondere in Hinblick auf die Beziehung zur EU deutlich. So ist die Schweiz, von Norwegen einmal abgesehen, das einzige Land, das sich der europäischen Integration bis heute verwehrt und das, obwohl sich der Kontinent mit der letzten Erweiterungsrunde um zehn neue Mitglieder mehr denn je zu einem „EUropa“ entwickelt hat.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung: Die Schweiz in „EUropa“
2. Politisches System und politische Kultur
2.1 Aspekte des politisches System
2.2 Politische Kultur
3. Die jüngere Vergangenheit der schweizerisch-europäischen
Beziehungen
3.1 Die Entwicklungen bis 1992
3.2 Die Ereignisse des Jahres 1992 und ihre Konsequenzen
3.3 Der Weg bilateraler Verhandlungen
4. Ein EU-Beitritt und die Auswirkungen
4.1 Der Föderalismus
4.2 Die direktdemokratischen Rechte
4.3 Die Neutralität
5. Gegner und Befürworter eines Beitritts
6. Schlussfolgerungen: Die Schweiz auf dem Weg nach „EUropa“
Literaturverzeichnis
1. Einleitung: Die Schweiz in „EUropa“
„Der Bundesrat verfolgt die Entwicklungen in der EU mit grosser Aufmerksamkeit und analysiert kontinuierlich den sich daraus ergebenden Handlungsbedarf.“[1]
Betrachtet man die auf einer politischen Karte dargestellte Europäische Union (EU) in ihrer Ausbreitung, so ist eines auf Anhieb auffällig: In ihrer Mitte, im Zentrum Europas, ist ein weißer Fleck zu finden, der offensichtlich isoliert von einer einheitlichen Farbe umgeben scheint. Sogleich entpuppt sich dieser Fleck als die Helvetische Eidgenossenschaft oder viel gebräuchlicher Schweiz genannt. Dabei ist diese Erkenntnis gleichsam so überraschend wie einsichtig. Überraschend, da man es als selbstverständlich ansehen könnte, dass ein so wohlhabendes und wirtschaftlich starkes Land der EU angehört. Warum auch nicht? Schließlich gehören alle anderen westlichen Staaten, so würde der Eindruck sein, doch auch zu dieser Europa umfassend prägenden Organisation. Dagegen einsichtig, weil dieses Staatsgebilde Schweiz schon immer eine Sonderrolle einnahm, sich in seinem politischen Engagement stets zurückhielt und schon immer sein „eigenes Süppchen zu kochen“ schien. Und es ist genau dieser Widerspruch, der die reale Situation und Stellung der Schweiz in Europa wiedergibt. Es ist die außenpolitische Asymmetrie, die sich einerseits in der wirtschaftlichen Eingebundenheit der Schweiz in das Weltmarktsystem und andererseits in ihrem Abseitsstehen auf internationaler politischer Ebene zeigt. Das starke Interesse an einem liberalen Wirtschaftssystem und die damit verbundene Partizipation an vielen wirtschaftlichen Organisationen wie der WTO oder OECD steht der umso mehr politischen Zurückhaltung und geringen Einbindung in politischen Bündnissen entgegen.[2] Während die Schweiz wirtschaftlich gesehen alles andere als ein Kleinstaat ist und zu den wettbewerbsfähigsten Ländern der Welt gehört, wirkt ihre Außenpolitik, wohlbemerkt nicht ihre Außenwirtschaftspolitik, anachronistisch und stark isolationistisch.[3] Dies wird insbesondere in Hinblick auf die Beziehung zur EU deutlich. So ist die Schweiz, von Norwegen einmal abgesehen, das einzige Land, das sich der europäischen Integration bis heute verwehrt und das, obwohl sich der Kontinent mit der letzten Erweiterungsrunde um zehn neue Mitglieder mehr denn je zu einem „EUropa“ entwickelt hat.
Das hier angesprochene Spannungsverhältnis zwischen wirtschaftlicher und politischer Präsenz der Schweiz in der Welt und die öffentliche Debatte darüber machen dabei ein grundsätzliches Problem deutlich. Der Prozess der Globalisierung und die damit zusammenhängende Interdependenz der Staaten macht die bisherige Praxis getrennter Außen- und Innenpolitik unmöglich. Wirtschaftliche Vernetzung und transnationale Integration widersprechen dagegen dem politischen Selbstverständnis einer souveränen Schweiz und fordern ihr doch Anpassungen ab, die sie nur widerwillig vollzieht und sich gleichsam eingestehen will. Ihr freiwilliges Abseitsstehen entgegen der realen Entwicklung hat sie zu einem scheinautonomen Nachvollzugsland werden lassen, das nur noch ideell an einem traditionellen Nationalstaatsbild festhalten kann.[4] Die etwa 7,3 Millionen Schweizer stehen sich offensichtlich selbst im Weg und stimmen mittels der ihnen zugestandenen direktdemokratischen Rechte regelmäßig gegen eine europäische Integration ihres Landes. Zwar nimmt die Regierung seit über einem Jahrzehnt einen pro-integrativen Kurs ein und hatte bereits 1992 einen Beitrittsgesuch an die EU gestellt, doch solange das Volk – und das wie in keinem anderen Land der Erde – der nach wie vor wahrhaftige Souverän ist, muss sich der Bundesrat dem Willen seiner Bürger beugen und liegt der Beitrittsgesuch weiterhin auf Eis. Es bleibt ihm folglich nicht anderes übrig als die in der EU ohne die Schweiz stattfindenden Entwicklungen „zu verfolgen“ und den sich ergebenden Handlungsbedarf „zu analysieren“, wie es der Bericht über die aktuelle Legislaturplanung vorsieht. Denn will das Schweizer Volk die politische Integration nicht, bleibt es entgegen der Meinung der politischen Elite isoliert und nimmt weiter die Sonderrolle ein, welche ihm Stimmen sowohl aus dem Ausland als auch Inland stetig zuschreiben. Dabei ist die Frage eines EU-Beitritts für die Schweizer – und das ist gerade das besondere – mehr als eine politische Frage. Vielmehr geht es um das grundlegende Selbstverständnis dieses Landes und seiner Bürger selbst, ist ein „Ja“ zur EU eine existenzielle Frage und macht es deshalb für die Eidgenossen so schwierig den Weg hin zu einem „EUropa“ zu gehen, das ihnen eine ungewisse Zukunft verheißt und allein aus diesem Grund zu meiden ist. Die politischen Eigentümlichkeiten der Schweiz wie der ausgeprägte Föderalismus, die lange Zeit propagierte Neutralität und vor allem die direktdemokratischen Rechte schufen eine einzigartige politische Kultur, welche die damit einhergehenden traditionellen Werte im hohen Maße betont und damit Veränderungen sehr skeptisch gegenüber steht. Die ohnehin stets abwägenden und gegenüber politischen Entscheidungen vorsichtigen Schweizer sehen die Besonderheiten ihres politischen Systems, auf das sie so stolz sind, bei einem EU-Beitritt gefährdet und stemmen sich mit der ihnen zur Verfügung stehenden Macht per Referendum gegen eine Unterordnung Brüsseler Autorität.[5] Dieser „Kampf“ vollzieht sich nun schon über ein Jahrzehnt hinweg und hat die Schweiz doch immer näher an die EU herantreten lassen. Die Frage eines EU-Beitritts war nie brisanter als heute und bestimmt die Schweizer Politik-Agenda grundlegend. Es ist in gewisser Weise eine Frage über das „Sein oder Nichtsein“ der Schweiz und führt zu Polarisierungen in der Gesellschaft, welche an sich schon die stets konsensorientierte Politik ins Wanken bringen.[6]
Allein das umfangreiche wissenschaftliche Literaturspektrum zum Thema macht die Aktualität um Suche nach Identität und Selbstbestimmung der Schweizer Eigenart in einer sich rasch verändernden Welt deutlich. Deutsche Beiträge werden von deutschsprachigen Schweizer Beiträgen ergänzt, wobei insbesondere den Schweizer Autoren die Dringlichkeit der Behandlung der EU-Frage anzumerken ist. Ihre Meinungen zu einem Beitritt der Schweiz werden mitunter deutlich herausgestellt, variieren dabei zwischen einer klaren Befürwortung einerseits[7] und einer betonten Ablehnung anderseits[8], tendieren aber mehrheitlich zu einem positiven Votum.
Ziel dieser Arbeit ist es das Verhältnis der Schweiz zur EU in seiner jüngeren Vergangenheit bis zum heutigen Tage an näher zu beleuchten. Es ist zuvor genauer auf die diese Debatte um einen Beitritt starken Einfluss ausübende politische Kultur einzugehen, die sich auf den besonderen Charakter des Schweizer Politiksystems zurückführen lässt. Somit muss auch dieses mit seinen die Schweiz auszeichnenden Eigenarten bei der Betrachtung berücksichtigt werden. Weiterhin sollen Gegner und Befürworter eines EU-Beitritts aufgezeigt werden. Letztlich soll es gelingen, vom aktuellen Stand der Dinge ausgehend, einen wahrscheinlichen Weg und mögliche Zukunftsszenarien zu skizzieren, um eine Aussage darüber treffen zu können, wohin der Weg die Schweiz nun führt.
2. Politisches System und politische Kultur
Um die Schweiz und ihr politisches Handeln zu verstehen ist es notwendig, ihr einzigartiges politisches System und die sich davon ableitende besondere politische Kultur zu betrachten. Das institutionelle Gefüge und der sich in ihm den Politikern und Bürgern bietende politische Handlungsrahmen bestimmt Schweizer Politik und ebenso die in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnene Außenpolitik. Es gilt somit zunächst die Besonderheiten des Schweizer politischen Systems herauszustellen, um sodann die sich daraus ergebende zugehörige politische Kultur zu charakterisieren.
2.2 Aspekte des politisches System
Die Schweiz weist wohl unter allen demokratisch verfassten Staaten der Erde die weitestgehende Beteiligung des Volkes an der Politik auf. In keinem anderen Land ist das Volk mehr Souverän. Nur hier ist es die wahrlich letzte Entscheidungsinstanz über die Gesetze. Die gültige Bundesverfassung geht auf das Jahr 1848 zurück und war die Geburtsstunde des politischen Systems und hat die grundlegenden Elemente Schweizer Politik bis heute bewahrt. Sie besitzen Tradition, prägen damit das Selbstverständnis der Schweizer und haben sich über lange Zeit bewährt. Hervorzuheben sind der ausgeprägte Föderalismus, die direkte Demokratie und die postulierte Neutralität.[9]
Der Schweizer Föderalismus ist die notwendige Grundlage für ein Funktionieren der Politik in einem ethnisch und sprachlich heterogenen Land. Erst die Kantone bilden die Eidgenossenschaft und verfügen über umfangreiche Souveränitätsrechte, die nur an den Bund abgegeben werden, wenn dies sinnvoll ist und durch Mitbestimmung an den Bundeskompetenzen kompensiert wird. Zwar bestimmt der Bund vorrangig die auswärtige Politik und haben die Kantone lediglich bei sie betreffenden Zuständigkeiten und Interessen ein Mitspracherecht, das bei Referenden zu Staatsverträgen und Verfassungsänderungen notwendige Ständemehr, also die Zustimmung der Mehrheit der Kantone, bewilligt ihnen allerdings eine überproportionale Beteiligung an den die Außenpolitik betreffenden Entscheidungen.[10] Es berücksichtigt das Prinzip, wonach jedem Kanton, so klein er auch sei, eine von 26 Stimmen zusteht. Das neben dem Volksmehr zusätzliche Ständemehr hat aufgrund dieser Regelung oft zur Folge, dass eine Abstimmung trotz mehrheitlicher Zustimmung der Bevölkerung ablehnend ausfallen kann. Somit ist eine nicht zu unterschätzende Blockadepolitik möglich, die dem föderativen Element gegenüber dem demokratischen einen Vorzug gibt.
[...]
[1] Schweizerische Bundeskanzlei (Hg.), Bericht über die Legislaturplanung 2003-2007, Bern 2004, S. 56.
[2] Vgl. Klöti, Ulrich u.a., Handbuch der Schweizer Politik, 3. überarb. Aufl., Zürich 2002, S. 38. Einen Überblick zu den Mitgliedschaften der Schweiz in internationalen Organisationen gibt die Übersicht auf S. 39.
[3] Vgl. Christen, Heinrich, Schweiz, in: Weidenfeld, Werner (Hg.), Europa-Handbuch, Bonn 2002, S. 267.
[4] Vgl. Klöti, Handbuch, S. 39f.
[5] Vgl. Rhinow, René, Volksrechte und Außenpolitik in der Schweiz, in: Epiney, Astrid/ Siegwart, Karine (Hg.), Direkte Demokratie und Europäische Union. Démocratie directe et Union Européenne, Freiburg/ Schweiz 1997, S. 96.
[6] Vgl. ebd., S. 93.
[7] Vgl. Linder, Wolf, Europäisierung der Schweiz – Verschweizerung der EU?, Konstanz 2000, S. 18.
[8] Vgl. Weibel, Friedrich, Die Erosion der Mitte. Europa und die Krise der Bürgerlichen in der Schweiz, Zürich/ Chur 2003, S. 30.
[9] Vgl. Körkemeyer, Stephan, Direkte Demokratie und Europäische Integration. Zu den Möglichkeiten und Grenzen unmittelbarer Volksbeteiligung an der staatlichen Willensbildung in der Europäischen Union, dargestellt am Beispiel der Schweiz, unter Berücksichtigung der Rechtslage in den derzeitigen EU-Mitgliedstaaten, Bern 1995, S. 27.
[10] Vgl. Klöti, Handbuch, S. 42f.
- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2005, Quo vadis Schweiz? Das Verhältnis der Helvetischen Eidgenossenschaft zur Europäischen Union, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56383
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