Die vorliegende Arbeit entspringt dem Seminar „Jenseits der
Zweigeschlechtlichkeit“ aus dem Sommersemester 2005 und basiert auf der vom Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien herausgegebenen
Veröffentlichung „Female Genital Cutting. Die Schwierigkeit, sich zu positionieren“. Als Gast im Seminar hielt die Redakteurin dieses Bulletins einen Vortrag über die behandelten und diskutierten Ansätze des Sujets und animierte mich so, mich näher mit der Veröffentlichung zu beschäftigen und sie zu reflektieren. Bei der Lektüre ihres Erfahrungsberichtes „Wüstenblume“ der UN-Sonderbotschafterin Waris Dirie stieß ich auf eine Textstelle, die ihre Gedanken als auch die anderer betroffener Frauen vielleicht am prägnantesten komprimiert und die Thematik vorab umreißt:
„Ich weiß, dass Gott mir bei meiner Geburt einen vollkommenen Körper geschenkt hat. [...] Meine Weiblichkeit wurde mir gestohlen. Wenn Gott die Teile meines Körpers, die mir heute fehlen, nicht gewollt hätte, warum hat er sie dann erschaffen?“
Die Autorinnen des Bulletins diskutieren die kulturrelativistische
Herangehensweise, um sich der Problematik FGM zu nähern und beschreiben im Zuge dessen eine daraus resultierende Schwierigkeit, sich zu positionieren.
Aber sind derartigen Schwierigkeiten unausweichlich? Muss ein zwingender Zusammenhang geschaffen werden zwischen der Tatsache, dass FGM ein soziokulturelles Phänomen ist und einer öffentlichen Meinungsbildung, die außerhalb seines Wirkungsgebietes geschieht?
Inhaltsverzeichnis
I. Gegenstand der Arbeit
II. Female Genital Mutilation
1. Die Kritik an der Kritik
2. Eine zwischenmenschliche Problematik
3. Physische, psychische und psychosoziale Folgen
III. Fazit: Menschenrechte
IV. Bibliographie
I. Gegenstand der Arbeit
Die vorliegende Arbeit entspringt dem Seminar „Jenseits der Zweigeschlechtlichkeit“ aus dem Sommersemester 2005 und basiert auf der vom Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien herausgegebenen Veröffentlichung „Female Genital Cutting. Die Schwierigkeit, sich zu positionieren“. Als Gast im Seminar hielt die Redakteurin dieses Bulletins einen Vortrag über die behandelten und diskutierten Ansätze des Sujets und animierte mich so, mich näher mit der Veröffentlichung zu beschäftigen und sie zu reflektieren.
Bei der Lektüre ihres Erfahrungsberichtes „Wüstenblume“ der UN-Sonderbotschafterin Waris Dirie stieß ich auf eine Textstelle, die ihre Gedanken als auch die anderer betroffener Frauen vielleicht am prägnantesten komprimiert und die Thematik vorab umreißt:
„Ich weiß, dass Gott mir bei meiner Geburt einen vollkommenen Körper geschenkt hat. [...] Meine Weiblichkeit wurde mir gestohlen. Wenn Gott die Teile meines Körpers, die mir heute fehlen, nicht gewollt hätte, warum hat er sie dann erschaffen?“[1]
Die Autorinnen des Bulletins diskutieren die kulturrelativistische Herangehensweise, um sich der Problematik FGM zu nähern und beschreiben im Zuge dessen eine daraus resultierende Schwierigkeit, sich zu positionieren.
Aber sind derartigen Schwierigkeiten unausweichlich? Muss ein zwingender Zusammenhang geschaffen werden zwischen der Tatsache, dass FGM ein soziokulturelles Phänomen ist und einer öffentlichen Meinungsbildung, die außerhalb seines Wirkungsgebietes geschieht?
II. Female Genital Mutilation
1. Die Kritik an der Kritik
In ihrem Artikel beschäftigen sich Susanne Oppermann und Jana Wagemann mit der Kritik, die westlichen Feministinnen von Afrikanerinnen in Bezug auf FGM[2] teilweise entgegengebracht wird. Ein großer Kritikpunkt sei hierbei die Entartung in Bekehrungsversuche von Seiten der westlichen Welt. Hierbei unterliege den „Westeners“, so die nigerianische Professorin für Afrikanistik, Politikwissenschaften und Frauenstudien Mojubaolu Olufunke Okome, ein polarisierendes Weltbild, die Welt besser verstehen und deuten zu können. „Die Afrikanerin“ werde als verwirrt, machtlos und unfähig über Prioritäten zu entscheiden porträtiert. Okome kritisiert die Vorgehensweisen westlicher Feministinnen als paternalistisch und missionarsähnlich[3].
Die kenianische Schriftstellerin, Poetin und politische Aktivistin Micere Githae Mugo spricht in diesem Zusammenhang gar von einem „external messiah syndrome“[4]. Des Weiteren sieht Okome i. E. vergleichbare Probleme in der westlichen Kultur, wie etwa Schönheitsoperationen oder die fehlende Entscheidungsfreiheit für die in den USA beschnittenen männlichen Säuglinge[5], ein Vergleich, der m. E. vor dem Hintergrund der psychischen und physischen Belastungen für die von FGM betroffenen Frauen allerdings zu hinterfragen ist.
In den Diskurs über die westliche Kultur stimmt Fane Asefaw mit ein, die richtigerweise konstatiert, dass der weibliche Körper „historisch immer Ziel von Normierungsbestrebungen und Manipulationen“[6] gewesen sei. Auch sie verweist diesbezüglich auf „die heutzutage in den westlichen Ländern boomende Schönheitschirurgie, wie beispielsweise Brustverkleinerungen und –vergrößerungen, Hymenrekonstruktion und Vulvaplastik“[7]. Es ist sicher richtig, dass es angebracht ist, auch das westliche Wertesystem zu hinterfragen, nicht zuletzt auch angeregt durch Informationen über das extreme Eingreifen in die Natur des menschlichen Körpers durch FGM. Jedoch darf m. E. nicht übersehen werden, dass die Existenz westlicher Körpernormierungsbestrebungen FGM in keiner Weise entschuldigt.
Die nigerianische Professorin und Literaturwissenschaftlerin Obioma Nnaemeka kritisiert zu Recht einen gewissen Voyeurismus, der dem westlichen Journalismus teilweise anhängt, indem er beschnittene Frauen auf Fotos und Filmen vorführt und damit doppelter Gewalt aussetzt. Derlei Dinge finden gar gegen Bezahlung statt. Dass somit „menschenrechtliche Anliegen und Ansprüche ad absurdum geführt“[8] werden, liegt auf der Hand, jedoch muss auch hier darauf geachtet werden, inhaltlich voneinander abstrakte Gegebenheiten nicht zu vermischen. Der Fehler liegt beim Journalismus und muss behoben werden, kann aber nicht auf alle „Westeners“ und insbesondere nicht auf Aktivistinnen gegen den Verstoß gegen das Menschenrecht übertragen werden, zumal da ein menschenunwürdiger Journalismus wie auch o. g. Normierungsbestrebungen die Existenz von FGM ebenfalls nicht entlastet. Denkwürdig ist hierbei im Besonderen die Ansicht Nmaemekas, der Westen mache sich Krisen und Probleme zu Nutze, um sich seiner Relevanz und Unentbehrlichkeit zu versichern[9].
In ihrem Artikel widmet sich Daniela Hrzán ebenfalls dieser Thematik und präsentiert die Historikerin Claire Robertson, die gegenwärtige FGM-Diskurse mit „drei Rs“ überschreibt: „(1) Reduktion des gesamten afrikanischen Kontinents auf einen einzigen unzivilisierten Ort; (2) Reduktion afrikanischer Frauen auf den Zustand ihrer Genitalien, die als infibuliert angenommen werden und gleichzeitige Reduktion aller afrikanischer Männer auf sadistische Folterer ihrer Opfer, und (3) Reduktion aller FGC-Praktiken auf ihre schlimmste Form, die Infibulation“[10].
[...]
[1] Waris Dirie, Cathleen Miller, Wüstenblume, München 1998, S. 347.
[2] Ich verwende im Zuge dieser Arbeit die Bezeichnung FGM (Female Genital Mutilation), die von Terre des Femmes, Amnesty International, FORWARD, der WHO, der UNICEF und dem Inter-African Committee als offizieller Name verwandt wird.
[3] Vgl. Susanne Oppermann, Jana Wagemann, Afrikanische Perspektiven: Kritik und Erfordernisse im Umgang mit Female Genital Cutting, in: Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität zu Berlin (Hrsg.), Female Genital Cutting. Die Schwierigkeit, sich zu positionieren, Berlin 2005 (Bulletin Texte 28), S. 23f.
[4] Vgl. Oppermann, Wagemann, S. 24.
[5] Vgl. ibidem.
[6] Fana Asefaw, Betrachtungen zur Diskrepanz zwischen der Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung von FGC-betroffenen Frauen in Deutschland, in: Bulletin Texte 28, S. 47.
[7] Ibidem.
[8] Vgl. u. zit. n. Oppermann, Wagemann, S. 29.
[9] Vgl. ibidem, S. 28.
[10] Zit. n. Daniela Hrzán, Sind alternative „Erzählungen“ über Female Genital Cutting (FGC) möglich? Erste Schritte auf dem Weg zu kritischen Weißen feministischen Perspektiven, in: Bulletin Texte 28, S. 64.
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