Robert Musil reagiert mit seinem Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ auf die veränderte Situation des Menschen in der modernen Lebenswelt. Durch die stetig wachsende Effektivität der Wissenschaft und der Technik ist die Wirklichkeit, die den Menschen umgibt, einem immer schnelleren Veränderungsprozeß ausgesetzt. „Urträume der Menschheit werden verwirklicht“ (8, 1088) und dabei die alten Ordnungsvorstellungen in ihrem Fundament erschüttert. Die Menschheit wird immer mehr zum Produzenten ihrer Lebenswelt. Die Begriffe, die sie von sich bildet, reflektieren nicht mehr natürliche Gegebenheiten, sondern müssen sich dem beschleunigten Wandel der Verhältnisse, den sie selbst erzeugt, anpassen. Mit der schnell wachsenden Größe dieser Aufgabe wächst auch das Interesse an der Frage, wie es zu dieser Entwicklung kommen konnte, der der Mensch in der Moderne anscheinend nur noch staunend gegenüberstehen kann. Seine Unwissenheit zeigt sich in Ahnungen des Unheimlichen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Systemtheorie der Gesellschaft
- Kosmos oder Phrase — der Romananfang und die Begriffe Selektion, Komplexltätsreduktion und Kontingenz
- Die Differenz von System und Umuelt und der Wirklichkeitsbegriff der Sy stemtheorie
- Soziale Systeme als sinnverarbeitende Kommunikationssysteme
- Gesellschaftliche Evolution als Prozeß der Verselbständigung der Kommunikation und Umstellung der Differenzierungsform
- Der Verlust der gesellschaftlichen Einheit
- Polykontexturale Gesellschaft und Veränderung der Semantik
- Individuum und modeme Gesellschaft
- Unfall oder Fall — polykontexturale Realitätskonstmktion und die zwilde: Kontingenz des Gefühls am Ende des ersten Kapitels des Romans
- Gesellschaftsbeschreibung im Romankontext
- Der Roman im Spiegel der Wirkungsabsichten Roben Musils
- Das „geistig Typische" und der „unmaßgebliche Mensch"
- „Bildungsroman einer Idee" — das nicht ratioide Gebiet als utopischer Gegenpol der Beschreibungen der modemen Gesellschaft im Roman
- Die multiperspektivische Erzählweise als Ausdruck der Problematik der modemen Existenz
- Hintergrund und Vordergrund — One der Gesellschaftsbeschreibung im Romangefiige
- Der Roman im Spiegel der Wirkungsabsichten Roben Musils
- Komplexität, funktionale Differenzierung, Evolution, Kontingenz - Brüchige Semantik als diffuser Hintergrund des Romans
- Der „diffilse Hintergrund" des Romans
- Die Auflösung der einheitlichen Semantik
- Verviemtigung des Wissens und Ordnungsverlust
- Funktionale Differenzierung und Pluralismus
- Wien und Kakanien als Paradigma der Gesellschafisbeschreibung im Roman
- Wien und Kakanien als Beschreibung einer Bewusstseinslage
- „Wien" — unbestimmbare Komplexität
- „Kakanien"
- Die Bedeutung der Stadtbeschreibungen im „Kakanien"-Kapitel
- Die „übel-amerikanische Stadt"als Bild einer fimktionalen Totalordnung
- Der „Zug der Zeit" als Bild gesellschaftlicher Evolution
- „Kakanien" zwischen Schein der Ordnung und S tmktun.vider spruch
- Die „Steinbaukastenstadt" — Kontingenz und Entfremdung als Signum Kakaniens
- Der Diskurs der Uneigentlichkeit im MoE als Ausdruck der Verselbständigung des Sozialen
- Der Mann ohne Eigenschaften
- Ontologisierung der Gesellschaftskritik als Stoßrichtung im Denken Ulrichs
- Der Möglichkeitssinn
- Eigenschaftslosigkeit
- Die Figurenkonstellation als Ausdruck der funktionalen Differenzierung
- Die Welt von Eigenschaften ohne Mann
- Kon- und Divergenz der theoretischen und literarischen Gesellschaftsbeschreibung
- Konventionsdmck: Erlebnisvielfalt: mediale Aushöhlung des Erlebnisvermögens und das des unzureichenden Grundes"
- Mode als Mechnismus leerlaufender Zelchenproduktion_ Die Auflöung der Ganzheitsvorstellung
- Die Entstehung der Welt von Figen-cha Ren ohne Mann
- Der Mann ohne Eigenschaften
- Die Parallelaktion — Sinnsuche und Produktion von Unordnung
- Schluß
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften" mit dem Ziel, die Beschreibungen der modernen Gesellschaft im Roman im Lichte aktueller soziologischer Theorie zu beleuchten. Dabei wird besonders auf die Relevanz der im Roman dargestellten Probleme für die heutige Zeit eingegangen.
- Die Auflösung der traditionellen, einheitlichen Ordnung durch die wachsenden Erkenntnisse der Wissenschaft.
- Die Verselbständigung des Sozialen und die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in Funktionssysteme.
- Die Entfremdung des Individuums von der modernen Gesellschaft und die Problematik der Identitätsfindung.
- Die Kontingenz der modernen Lebenswelt und das Unbehagen an der „Welt von Eigenschaften ohne Mann".
- Die Suche nach einer neuen Lebensform, die dem Menschen die Versöhnung mit seiner Gegenwart ermöglichen soll.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung des Romans problematisiert die Möglichkeit einer eindeutigen Darstellung der Wirklichkeit und führt in den Wirklichkeitsbegriff der Systemtheorie ein. Es wird gezeigt, wie die moderne Gesellschaft durch die stetig wachsende Komplexität und die fortschreitende Funktionalisierung der Gesellschaft ihre Einheit verliert und sich in eine polykontexturale Gesellschaft auflöst.
Im zweiten Teil der Arbeit wird die Gesellschaftsbeschreibung im Roman genauer betrachtet. Es wird deutlich, dass Musil mit seinem Roman nicht eine authentische Darstellung seiner Zeit anstrebt, sondern die Widersprüchlichkeiten und Ungleichzeitigkeiten der geistigen Verarbeitung der modernen Lebensbedingungen aufzeigen möchte. Der Roman ist als „Bildungsroman einer Idee" angelegt, in dem Ulrichs Suche nach dem „rechten Leben" im Mittelpunkt steht.
Die Beschreibungen Wiens und Kakaniens im ersten Buch des Romans bilden ein Paradigma der Gesellschaftsbeschreibung im gesamten Roman. Die Stadt Wien wird als ein unübersehbarer Zusammenhang aus verschiedenen Diskursen und Ereignissen dargestellt, der die alltäglichen Sinnzuschreibungen übersteigt. Kakanien wird als Scheinordnung entlarvt, die die tatsächliche Entwicklung der modernen Gesellschaft und die Entfremdung des Individuums von dieser Gesellschaft verdeckt.
Der vierte Teil der Arbeit widmet sich dem Diskurs der Uneigentlichkeit im Roman. Es wird gezeigt, wie das fortschreitende Kontingenzbewußtsein sich auf der Ebene des individuellen Erlebens auswirkt und die soziale Realität als Konstruktion empfunden wird. Ulrichs Denken ist geprägt von einem Möglichkeitssinn, der die Sinnzuschreibungen des Alltags hinterfragt und die Welt als einen unendlichen Raum des Möglichen begreift.
Im fünften Teil der Arbeit wird die Parallelaktion als Versuch, die verlorengegangene „menschliche Einheit" wiederherzustellen, analysiert. Es wird deutlich, dass die Suche nach einer einheitsstiftenden Idee an der Struktur der modernen Gesellschaft scheitert und die Parallelaktion nur die Vieldeutigkeit der sozialen Realität bewußt macht.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die moderne Gesellschaft, die Systemtheorie, Robert Musil, „Der Mann ohne Eigenschaften", Funktionalisierung, Kontingenz, Eigenschaftslosigkeit, Identität, Erlebnis, Parallelaktion, Pluralismus, Wien, Kakanien, Unordnung.
- Quote paper
- Jan Herchenröder (Author), 1999, Beschreibungen der modernen Gesellschaft in Musils "Der Mann ohne Eigenschaften", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55602
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