1. Einleitung
Pierre Bourdieu (1930 - 2002) studierte im Hauptfach Philosophie in Paris und unternahm als Soldat im Algerienkrieg 1958 - 1960 erste Feldforschungen zur Kultur der nordalgerischen Berber. 1979 erscheint in Frankreich sein sehr empirisch orientiertes (sog.) Hauptwerk „La Distinction. Critique sociale du jugement“, zu deutsch (1982): „Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft.“ Seit 1981 hatte er einen Lehrstuhl für Soziologie in Frankreich am College de France und galt als einer der renommiertesten Soziologen Frankreichs. Aus den Grundzügen seiner Untersuchungen in Algerien entstand seine Theorie des Habitus- Konzepts. Bourdieu erkannte, dass die archaisch- vorkapitalistischen algerischen Bauern im Zuge der Kolonialisierung Frankreichs durch die übergestülpte Ökonomisierung der Moderne völlig überfordert waren, da sie schlichtweg nicht über stillschweigend vorausgesetzte Verhaltensdispositionen des westlichen Kapitalismus und der modernen Zivilisation verfügten.
Das Wort und die entsprechende Verwendung des „Habitus“ stammt allerdings nicht von Bourdieu, sondern aus dem alten Latein der antiken Philosophie. Einer lexikalischen Eintragung zufolge versteht man unter „Habitus (lat.) der: ...Erscheinung, Haltung, Gehaben, Besonderheiten im Erscheinungsbild eines Menschen,... auf einer Disposition aufgebaute, er-worbene sittliche Haltung...“ „Habitualisieren“ bedeutet dementsprechend: „zur Gewohnheit machen resp. werden“. Cornelia Bohn ergänzt diese Definition in ihrer Untersuchung und Kritik an Bourdieu noch um die Formulierung des lateinischen „habilis“, der „Fähig- keit“. Auchgreift Bohn auf, dass es bei der deutschen Formulierung des „Habituskonzepts“, der Übersetzung Bourdieus aus dem Französischen, zu übersetzungsbedingten Missverständnissen kommen kann, da das Wort „Habitus“ im Deutschen einzig singulär gebraucht werden kann. Es gibt keine verschiedenen Arten des einen oder anderen Habitus oder ein Plural von Habitus.
Es wird nun im Folgenden dargestellt, inwiefern die Lebensweisen eines Individuums sich gegenseitig durch und mit seinem Umfeld erzeugen und erzeugen lassen. Denn der Habitus ist nach Bourdieu ein Erzeugungs- sowie auch Wahrnehmungsprinzip und eine Interpretationsu. Bewertungsmatrix, welche ihren sozialen Sinn in spezifischen Praxisfeldern manifestiert. [...]
Gliederung
1. Einleitung
2. Habitus und Feld
3. Soziale Praxis
4. Kapita
5. Distinktion
6. Fazit
Literatur
1. Einleitung
Pierre Bourdieu (1930 – 2002) studierte im Hauptfach Philosophie in Paris und unternahm als Soldat im Algerienkrieg 1958 – 1960 erste Feldforschungen zur Kultur der nordalgerischen Berber. 1979 erscheint in Frankreich sein sehr empirisch orientiertes (sog.) Hauptwerk „La Distinction. Critique sociale du jugement“, zu deutsch (1982): „Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft.“ Seit 1981 hatte er einen Lehrstuhl für Soziologie in Frankreich am College de France und galt als einer der renommiertesten Soziologen Frankreichs.[1] Aus den Grundzügen seiner Untersuchungen in Algerien entstand seine Theorie des Habitus- Konzepts.[2] Bourdieu erkannte, dass die archaisch- vorkapitalistischen algerischen Bauern im Zuge der Kolonialisierung Frankreichs durch die übergestülpte Ökonomisierung der Moderne völlig überfordert waren, da sie schlichtweg nicht über stillschweigend vorausgesetzte Verhaltensdispositionen des westlichen Kapitalismus und der modernen Zivilisation verfügten.[3]
Das Wort und die entsprechende Verwendung des „Habitus“ stammt allerdings nicht von Bourdieu, sondern aus dem alten Latein der antiken Philosophie. Einer lexikalischen Eintragung zufolge versteht man unter „Habitus (lat.) der: ... Erscheinung, Haltung, Gehaben, Besonderheiten im Erscheinungsbild eines Menschen,... auf einer Disposition aufgebaute, erworbene sittliche Haltung...“[4] „Habitualisieren“ bedeutet dementsprechend : „zur Gewohnheit machen resp . werden“.[5] Cornelia Bohn ergänzt diese Definition in ihrer Untersuchung und Kritik an Bourdieu noch um die Formulierung des lateinischen „habilis“, der „Fähigkeit“.[6] Auch greift Bohn auf, dass es bei der deutschen Formulierung des „Habitus konzepts“, der Übersetzung Bourdieus aus dem Französischen, zu übersetzungsbedingten Missverständnissen kommen kann, da das Wort „Habitus“ im Deutschen einzig singulär gebraucht werden kann. Es gibt keine verschiedenen Arten des einen oder anderen Habitus oder ein Plural von Habitus.
Es wird nun im Folgenden dargestellt, inwiefern die Lebensweisen eines Individuums sich gegenseitig durch und mit seinem Umfeld erzeugen und erzeugen lassen. Denn der Habitus ist nach Bourdieu ein Erzeugungs- sowie auch Wahrnehmungsprinzip und eine Interpretations- u. Bewertungsmatrix, welche ihren sozialen Sinn in spezifischen Praxisfeldern manifestiert.[7]
2. Habitus und Feld
Nach Bourdieu bewegen wir uns in abstrakten „sozialen Räumen“ und sich daraus konstituierenden „sozialen Feldern“, die den Akteuren nicht bewusst sind.[8] Diese Positionen in den Räumen und Feldern können quasi als „Landkarte“ zur Verortung des eigenen sowie des fremden Standpunktes benutzt werden, um von dort aus die Situation einzuschätzen.[9]
Beispielsweise gibt es das
Ökonomische
Religiöse
Kulturelle
Politische
Modische
Linguistische
Literarische
Sportliche
Intellektuelle
Wissenschaftliche Feld
sowie das Feld sozialer Klassen und herrschender Klassen
usw.[10]
Diese Felder, die wie erwähnt aus einzelnen „Räumen“ bestehen, sind dichotom- dualistisch angeordnet:
oben/ unten
reich/ arm
Herrscher und Beherrschte
Gegnerschaft und gleichzeitige Komplizenschaft
Legitimität vs. Illegitimität
usw.[11]
Zusammen bilden diese Anordnungen dualistischer Felder eine Art Ensemble, das auch nur insgesamt spielen/ funktionieren kann und sich eben nicht durch die Gegensätzlichkeiten behindert oder interdependent ausschließt.[12] Es lassen sich aufgrund dessen dort bereits systemtheoretische Ansätze in der Art des funktionalstrukturellen Gedankens von Luhmann finden, der auf die Funktionalität eines Systems, wie in diesem Fall der soziale Raum, fokussiert ist- anstatt die blanke Struktur des Systems voranzustellen[13] Das Spielverhalten, d.h. eben diese Funktionalität des Ensemble, also im „Feld“, ist durch den Habitus geregelt. Jedoch ist der Habitus dabei nicht von direkter Einflussnahme gekennzeichnet! Es gibt - um im Orchester- Beispiel zu bleiben- keinen Dirigenten. Einzig die soziale Dynamik der Felder gegenüber der Prädestination, den persönlichen Vorlieben und Einstellungen des Individuums (via des Habitus), bestimmen wechselseitig die Handlung. Aus eben dieser Dynamik heraus entsteht so etwas wie eine soziale Praxis, die erkenntnissoziologisch verdeutlicht, wie der Akteur wechselseitig die gesellschaftliche Praxis, in der er lebt, wahrnimmt, erfährt, erkennt und reproduziert.
[...]
[1] Vgl.: Wikipedia: Pierre Bourdieu. http://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Bourdieu (31.5.2005)
[2] Vgl.: Krais, B. & G. Gebauer: Habitus. Bielefeld 2002, S. 18
[3] ebd.
[4] Duden, Fremdwörterbuch. Mannheim. 1997, S. 306
[5] ebd.
[6] Vgl.: Bohn, C.: Habitus und Kontext. Opladen. 1991. S. 35
[7] Vgl.: Bordieu, P.: Die feinen Unterschiede. Ffm. 1994. S. 277ff / Vgl. auch: Bohn: a.a.O., S. 31 Vgl. auch: Schwingel, M.: Pierre Bourdieu zur Einführung. Hamburg. 2003. S. 61ff.
[8] Vgl: Bourdieu: a.a.O., S. 277
[9] ebd.
[10] Vgl.: Bohn: a.a.O., S. 26f
[11] ebd.
[12] Vgl.: Bohn: a.a.O., S. 27
[13] Vgl.: Bourdieu: a.a.O., S. 278f.
- Quote paper
- Uwe Lammers (Author), 2005, Habitustheorie nach Pierre Bourdieu, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55011
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