Die Arbeit behandelt die Konzeptionen der Englische Staatsphilosophie während der Zeit des Englischen Bürgerkrieges. Hauptgegenstand sind die Werke der beiden wohl bedeutendsten Staatstheoretiker ihrer Zeit: Thomas Hobbes (Leviathan) und John Locke (Two Treatise of Government). Ihre Werke werden analysiert, verglichen und schlussendlich in den Gesamtkontext europäischer Ideengeschichte verortet.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Vita des Thomas Hobbes
3 Vita des John Locke
4 Hobbes „Leviathan“
4.1 Naturzustand und Pessimismus
4.2 Die Notwendigkeit des Staates
4.3 Form und Charakter des souveränen Staates
5 Lockes „Two Treatise of Government“
5.1 5.1. Der gemäßigte Naturzustand
5.2 5.2. Vertragstheorie und Staat
5.3 5.3. Ansichten über Staat und Rechte
6 Eine vergleichende Bilanz und Schlussbemerkungen
7 Literatur
1 Einleitung
Als im Juli 1776 die dreizehn Vereinigten Staaten von Nordamerika ihre freiheitsorientierte Unabhängigkeit postulierten und kaum 13 Jahre später in Frankreich revolutionäre Unruhen gegen das absolutistische Staatsregime ihren Anfang nahmen, sollte einer der entscheidendsten Wendepunkte unserer neuzeitlichen Geschichtsschreibung markiert werden. Die Ideen eines neuen Verhältnisses zwischen Staat und Individuum sollten ihre historische Jungfernfahrt durch unsere westliche Welt beschreiten. Doch damit nicht genug. Mit der Verkündung der „Menschen- und Bürgerrechte“ vom 26. August 1789 wurde erstmalig die Idee universeller Grundrechte des Menschen auf politischer Ebene verankert. Ganz gleich ob den Bürger- und Menschenrechten noch die rechtliche Absicherung fehlte, so waren sie von nun an allgegenwärtig geltende Rechtsprinzipien, die durch ihren philosophischen Wahrheitsanspruch langfristig einen Wandel im politischen Denken und Handeln einleiten sollten.
Selbstverständlich müssen den Entwicklungen in Amerika und Frankreich des 18. Jahrhunderts theoretisch-philosophische aber auch offenkundig-pragmatische Konzeptionen vorausgegangen sein, welche neue Impulse für das Verständnis zwischen Staat und Bürger schufen. Ohne außergewöhnliche Vordenker sowie wirkungsvolle geistige Bewegungen, die es letztlich verstehen, ihre Ideen gesellschaftsfähig zu machen, wäre jede Revolution arm an ideeller Unterfütterung und müsste langfristig unweigerlich scheitern. Der Französischen Aufklärung ist es gelungen, ihre philosophischen Theorien aus dem Schwebezustand zu lösen und in die Gesellschaft zu tragen.
Doch woher nahmen eigentlich Philosophen wie Montesquieu, Rousseau und Voltaire ihre Ideen von Gesellschaftsvertrag, Gewaltenteilung und Grundrechten? Sind sie die Urheber gänzlich neuer Ansichten über Staat, Gesellschaft und Individuum? Die Frage muss schon aus rein entwicklungshistorischen Gründen klar verneint werden. Der fundamentale Menschenrechtsgedanke sowie die Frage nach der rechtmäßigen Herrschafts- und Gesellschaftsform existierten schon seit der Antike. Sie unterlagen einem andauernden Entwicklungsprozess der letztendlich in gereifter Form zu den besagten Umwälzungen unserer westlichen Welt führte.
Schließlich muss man sich, sofern man wissenschaftlich und nicht sensationsfreudig arbeitet, vor Augen führen, dass die entscheidenden Grundsteine der Ereignisse des 18. Jahrhunderts bereits ein Jahrhundert früher gelegt wurden. Denn es war die englische Staatstheorie des 17. Jahrhunderts, die nahezu alle Ansätze aufwies, derer sich dann die kontinentale Aufklärung bedienen sollte.
In England herrschten im 17. Jahrhundert Bürger- und Religionskriege. Der Grundkonflikt war dem Machtkampf zwischen Krone und Parlament geschuldet, der sich zwangsläufig aufgrund religiöser Dispute verschärfte oder geradewegs in neue religiöse Auseinandersetzungen verstrickte. Der 1642 beginnende erste Englische Bürgerkrieg mündete nach der öffentlichen Hinrichtung Charles I. im Jahre 1649 in eine radikale Militärdiktatur des einstigen Parlamentariers Oliver Cromwells. Ab 1660 wendete sich das Blatt wieder zu Gunsten der Stuarts und der Krone, welche bis 1688 politisches Oberhaupt in England blieben. Mit der Glorius Revolution 1689 sollte das Parlament jedoch den endgültigen Sieg von sich tragen und es schaffen seine Machtstellung gegenüber der Krone zu behaupten. Es waren Zeiten der Wirren in England. Religiöse Splittergruppen und Sekten schossen aufgrund politischer Uneinigkeit in Glaubensfragen aus dem Boden. Ein ständiger Wechsel von Endzeitstimmung und schwacher Hoffnung nach Frieden sollte das Land überziehen.
Es war auch die Zeit, in der Philosophen genug Stoff und Anregung fanden, ihre politischen und religiösen Theorien zu entwerfen und sie in gesamtgesellschaftliche Konzeptionen zu verpacken. Die Produkte sollten von großartiger Genialität zeugen und für die Entwicklungen des 18. Jahrhunderts von ausschlaggebender Bedeutung sein.
Zwei herausragende Namen sind mit der englischen Staatsphilosophie im 17. Jahrhundert verbunden: Thomas Hobbes (1588–1679) und John Locke (1632–1704). Ihre beiden Werke symbolisieren die englische Staatstheorie wie kaum ein anderes. Im folgenden sollen deshalb Hobbes und Locke in Werk und Leben vorgestellt werden. Ziel soll ein Vergleich beider Werke sein, indem folgender Fragestellung nachgegangen werden soll: Inwieweit weisen die Werke Hobbes und Lockes Gemeinsamkeiten auf? Worin unterscheiden sie sich und auf welche zeithistorischen Gegebenheiten und persönlichen Umstände sind die Werke zurückzuführen? Ihre Werke standen zu ihren Lebzeiten nicht wirklich miteinander im Zusammenhang, doch lassen gerade deren Inhalte viel Raum für eine vergleichende Analyse. Es wird sich abschließend auch zeigen, worin die Zusammenhänge der beiden Werke zur Französischen Aufklärung bestehen.
2 Vita des Thomas Hobbes
Hobbes wurde am 5. April 1588 in Westport bei Malmesbury, einem kleinem englischen Dorf zwischen Bristol und Oxford geboren.[1] Er wuchs in sehr ärmlichen Verhältnissen auf. Sein Vater war ein mittelmäßig ausgebildeter Prediger, der dem Alkohol verfallen war und später die Familie im Stich lies.[2]
Hobbes außergewöhnliche Lernbegabung wurde früh deutlich. Mit vier Jahren lernte er bereits lesen, rechnen und schreiben. Herausragend war aber sein enormes Sprachtalent. Mit dem Erreichen der allgemeinen Hochschulreife im Alter von 15 Jahren, war er bereits dem Lateinischen, Griechischen, Französischen und Italienischen mächtig.[3] Nachdem er am Magdalen College in Oxford[4] ein umfassendes Studium der allgemeinen Wissenschaften absolviert hatte, wurde er nach Empfehlung vom Rektor in den Haushalt eines Aristokraten berufen. William I. Lord Cavendish, 1618 zum Earl von Devonshire ernannt sollte ihm seine Gunst erweisen und ihn für den Rest seines Lebens an das Hause Cavendish binden.[5] Für Hobbes war das die Chance ein gänzlich neues Leben zu beginnen. Ihm sollten fortan Möglichkeiten offen stehen, die ihn andernfalls vermutlich nie zu dem gemacht hätten, wofür er letztlich soviel Beachtung fand. Er konnte nun ein weltoffenes und Neuerungen aufgeschlossenes Leben führen. Er unternahm mit den ihm anvertrauten Zöglingen viele Reisen nach Kontinentaleuropa und kam dort mit großen Gelehrten seiner Zeit wie M. Mersenne, J. Kepler, N. Kopernikus, F. Bacon und R. Descartes, G. Galilei in Kontakt. Besonders die Naturwissenschaften schienen ihn dabei von Grund auf immer zu faszinieren.[6] 1629 entdeckte er den griechischen Mathematiker Euklid und dessen universelle Anwendbarkeit des geometrischen Beweises. In Hobbes erwuchsen Ansichten wie „Denken ist nichts anderes wie Addieren und Subtrahieren von Vorstellungen“[7] und die Theorie, dass es für alles in der Welt mathematisch exakte Regeln gibt. Hier zeigten sich schon deutliche Tendenzen der Naturphilosophie, die für sein späteres Hauptwerk „Leviathan“ von Bedeutung sein sollten.
Als sich 1640 in England der Konflikt zwischen Krone und Parlament verschärfte, begannen sich Hobbes Interessen immer mehr den politischen Gegebenheiten der Zeit anzupassen. Im selben Jahr noch erschien sein erstes großes politisch-philosophisches Werk „Elements of Law“, in dem er nach Aufforderung des Earl of Newcastle auf den eskalierenden Konflikt eingeht. Er ergreift in seiner Schrift deutlich die Partei der Krone und macht klar, dass Kompromisse in Fragen der Machtverteilung kaum in der Lage seien, den Frieden dauerhaft zu sichern.[8] Lothar Kreimendahl[9] ist der Meinung, dass es biographisch gesehen letztendlich nichts weiter als die Furcht war, die Hobbes zu dieser royalistisch-motivierten Schrift zwang. Aufgewachsen im glorreichen Elisabethanischen Zeitalter und die mittlerweile erreichte Stellung innerhalb des hohen englischen Adels mussten Hobbes einfach zu dieser Haltung bewegen. Als sich die politische Situation kurz darauf aber weiter zugunsten des Parlaments verschob und Hobbes mit einer Parlamentsanklage zu rechnen hatte, floh er ins Exil nach Paris. Dort verweilte er dann ein Jahrzehnt und verfolgte den Englischen Bürgerkrieg aus der Ferne. Festzuhalten ist, dass die „Elements of Law“ schon viele Grundzüge seiner späteren politischen Theorie des „Leviathan“ offenbarten, jedoch noch nicht ausgereift waren.
Zwischenzeitlich durch Krankheit geschwächt, beginnt er Ende der 40er Jahre sein nun wohl berühmtestes Werk „Leviathan“ in Angriff zu nehmen. Für Hobbes war klar: der Hauptfehler, durch den die andauernden englischen Wirren entstanden, war die Teilung der Macht. Hobbes versuchte deshalb einen Machtstaat zu konzipieren, der auf die Gewährleistungen des ursprünglichen Bedürfnisses des Menschen nach Frieden und Sicherheit ausgerichtet ist.[10] In Paris sollte das materialistisch-orientierte Werk nach seinem Erscheinen als antiroyalistischer Trakt bzw. als Apologie Cromwells verstanden werden, welcher mittlerweile auf dem Weg war, eine radikale Militärdiktatur in England zu errichten. Auch durch die offenkundige Religionskritik im vierten Teil („Reich der Finsternis“) machte er sich am katholisch-dominierten Pariser Hof keine Freunde und wurde des öfteren der Blasphemie und des Atheismus beschuldigt. Schließlich verließ er Paris und kehrte 1652 wieder nach England zurück. Unter Cromwell stand der Veröffentlichung des „Leviathan“ in London nichts entgegen, da dessen Proklamation eines starken Machtstaates offenbar nicht als oppositionelles Werk im traditionellen Sinne verstanden wurde. Ganz allgemein wurde dem Werk zu Hobbes Lebzeiten nur geringfügige Aufmerksamkeit geschenkt.[11] Seine Polarisierungskraft sollte der „Leviathan“ erst Jahrzehnte später gewinnen.
Hobbes zog sich 1652 nach Derbyshire zurück, wo er wieder in den Dienst des Earl of Devonshire treten sollte. Bis auf ein drohendes Häresie- Verfahren im Jahre 1666, welches dann aber vom Parlament wieder fallen gelassen wurde, konnte er hier, immerhin schon 64-Jährig, einen ruhigen Lebensausklang verleben. Thomas Hobbes starb 1679 in Hardvich Hall bei Derbyshire.
Sein Hauptwerk „Leviathan“ wird an kommender Stelle (4.) aufgegriffen und zentraler Betrachtungsgegenstand sein.
3 Vita des John Locke
John Locke wurde gut 40 Jahre später als Hobbes am 29. August 1632 in Wringten (Somerset) geboren.[12] Aufgewachsen ist er in einem geräumigen Gutshaus in Pensford nahe Bristol. Die Familie Locke lässt sich dem aufstrebenden Bürgertum zuordnen, was weitgehend auf den erworbenen Wohlstand des Großvaters zurückzuführen ist. Als erfolgreicher Tuchhändler vererbte er den Eltern Lockes das Gutshaus sowie einen kleinen Grundbesitz in Pensford.
Der Vater, Anwalt von Beruf, nutzte seine guten Kontakte, die er als Hauptmann unter Cromwell im Englischen Bürgerkrieg knüpfte, für eine erstklassige Ausbildung seines Sohnes.[13] Mit 15 Jahren bekam John die Möglichkeit die berühmte „Westminster School“ in London zu besuchen, wo er vor allem in Sprachen wie Latein, Hebräisch, Griechisch und Arabisch ausgebildet wurde. 1652 setzte er sein Studium am „Christ Church“ College in Oxford fort. Dort nahm er erste Kontakte zu philosophischen Lehrstudien auf und wurde schließlich zum Wissenschaftler ausgebildet. Locke sollte jedoch nie ein reiner Fachphilosoph werden. Sein Leben sollte sich im Vergleich zu Hobbes nicht am Rande, sondern immer mitten in der Gesellschaft abspielen.
Unmittelbar nach seinem Studienabschluss wurde Locke Lektor für Griechisch und Rhetorik sowie Zensor für Moralphilosophie in Oxford.[14] Locke war zu dieser Zeit, im Gegensatz zu seinem puritanischen Vater, eher als konservativer Königstreuer einzuschätzen, der im Einklang mit dem akademischen Establishment in Oxford stand. Er empfahl in seinen ersten kleineren Schriften die Überverantwortung vollkommener Freiheit an die oberste gesetzgebende Macht.[15] Nach nur kurzer Lehrtätigkeit in Oxford ging Locke schließlich 1666 als Sekretär der englischen Gesandtschaft an den brandenburgischen Hof nach Kleve. Er sollte jedoch schon nach einigen Monaten nach England zurückkehren.
Einer der wohl entscheidendsten Wendepunkte seines Lebens sollte 1667 die Bekanntschaft zu Anthony Ashley Cooper, den späteren Grafen von Shaftesbury werden. Shaftesbury war ein prominenter aber unbequemer Whig- Politiker. Er war protestantischer Parlamentarier und ein extremer Verfechter königlicher Machtbegrenzung, welcher sich zudem modernen Freihandels- und Kolonialinteressen verschrieb. Locke sollte fortan als Freund, Berater und Hausarzt[16] in seiner Gunst stehen.
Kurze Zeit später nahm Shaftesbury Locke sogar in die Royal Society auf und vermittelte ihm dadurch viele neue Kontakte in höchste politische und philosophische Kreise. Locke wurde alsbald in viele politische Entscheidungsprozesse miteinbezogen und wandelte sich langfristig gesehen vom konservativen Tory zum liberalen Whig. 1667 folgte Lockes erste politische Schrift „Essay concerning Toleration“, in der er sein neues liberales Gesicht offenbarte und deutliche Kritik an der katholischen Kirche sowie den wieder an die Macht gelangten Stuarts übte. Locke begann alsbald eine Art „Spindoctor“ für die misstrauischen Whigs zu werden.
[...]
[1] Münkler, Herfried: Thomas Hobbes, Frankfurt/Main 1993, S.36.
[2] Tuck, Richard: Hobbes, Deutsche Ausgabe, Freiburg 1999, S.13.
[3] Ebd.
[4] Existiert heute nicht mehr. Das College in Magdalen Hall zeichnete sich nicht durch spezielle fachorientierte Ausbildungen aus.
[5] Tuck, Richard: Hobbes, S.16.
[6] Beckermann, Ansgar; Perler, Dominik: Klassiker der Philosophie heute, Stuttgart 2004, S.252.
[7] Fenske, Hans; Mertens, Dieter: Geschichte der politischen Ideen, Frankfurt/Main 2003, S.317
[8] Münkler, Herfried: Thomas Hobbes, S. 43
[9] Kreimendahl, Lothar: Interpretationen, Hauptwerke der Philosophie, Stuttgart 1994, S.250
[10] Ebd.
[11] Ebd., S.247
[12] Thiel, Udo: John Locke, Hamburg 1990, S.7.
[13] Bouillon, Hardy: John Locke, Sankt Augustin 1997, S.11.
[14] Ebd.
[15] Schriften: „Essays on the Law of Nature“
[16] Zimmer, Robert: Das Philosophenportal, München 2004, S.94. Studium der Medizin nach seiner Rückkehr aus Europa. Erhielt 1675 die offizielle Approbation.