I Die Politikwissenschaft hat sich in den vergangenen Jahren vornehmlich mit der europäischen Integration befasst, meist unter der Fragestellung des Warum: Warum schließen sich Staaten zu einer politischen Union zusammen und geben freiwillig einen Teil ihrer Souveränität ab? Warum gründen sie supranationale Institutionen? (vgl. Knill 2005a: 153) Die Integrationstheorien versuchen Erklärungen für diesen bottom-up-Prozess der Macht- und Kompetenzverschiebung von unten nach oben zu liefern. Seit kurzem zeigt sich die Politikwissenschaft auch zusehends interessiert am umgekehrten Ablauf: dem top-down – den Auswirkungen der europäischen Integration auf die Mitgliedsstaaten (MS), die unter dem Schlagwort der Europäisierung gefasst werden. Doch lassen sich Integration und Europäisierung konzeptionell scharf trennen? Bedingen oder beeinflussen sie einander womöglich? Der vorliegende Essay will Charakteristika der beiden Zugänge darlegen und die Ansätze anhand der europäischen Umweltpolitik veranschaulichen.
II Nach Ernst Haas ist Integration ein Prozess „whereby political actors in several distinct national settings are persuaded to shift their loyalities, expectations and political activities toward a new centre, whose institutions possess or demand jurisdiction over the pre-existing national states“ (Haas 1968: 16). Ergebnis des europäischen Integrationsprozesses ist seiner Meinung nach eine neue politische Gemeinschaft, die den bestehenden Nationalstaaten übergeordnet ist (vgl. Haas 1968: 106-110). Leon Lindberg verbindet mit europäischer Integration weniger weitreichende Erwartungen. Er sieht keine Verschiebung von Loyalitäten, sondern nur von Erwartungen und politischen Aktivitäten hin zu einem neuen Zentrum (vgl. Lindberg 1963: 6). Den meisten Definitionen zum Thema europäische Integration ist jedoch das bottom-up-Prinzip gemein, worunter u. a. ein Kompetenztransfer von der unteren zur oberen Ebene zu verstehen ist.
Aufgabenstellung
In der europäischen Integrationsforschung wird analytisch Integration von Europäisierung unterschieden. Legen Sie die Charakteristika der beiden Zugänge dar. Illustrieren Sie die beiden Ansätze anhand eines Politikfeldes.
I Die Politikwissenschaft hat sich in den vergangenen Jahren vornehmlich mit der europäischen Integration befasst, meist unter der Fragestellung des Warum: Warum schließen sich Staaten zu einer politischen Union zusammen und geben freiwillig einen Teil ihrer Souveränität ab? Warum gründen sie supranationale Institutionen? (vgl. Knill 2005a: 153) Die Integrationstheorien versuchen Erklärungen für diesen bottom-up-Prozess der Macht- und Kompetenzverschiebung von unten nach oben zu liefern. Seit kurzem zeigt sich die Politikwissenschaft auch zusehends interessiert am umgekehrten Ablauf: dem top-down – den Auswirkungen der europäischen Integration auf die Mitgliedsstaaten (MS), die unter dem Schlagwort der Europäisierung gefasst werden. Doch lassen sich Integration und Europäisierung konzeptionell scharf trennen? Bedingen oder beeinflussen sie einander womöglich? Der vorliegende Essay will Charakteristika der beiden Zugänge darlegen und die Ansätze anhand der europäischen Umweltpolitik veranschaulichen.
II Nach Ernst Haas ist Integration ein Prozess „whereby political actors in several distinct national settings are persuaded to shift their loyalities, expectations and political activities toward a new centre, whose institutions possess or demand jurisdiction over the pre-existing national states“ (Haas 1968: 16). Ergebnis des europäischen Integrationsprozesses ist seiner Meinung nach eine neue politische Gemeinschaft, die den bestehenden Nationalstaaten übergeordnet ist (vgl. Haas 1968: 106-110). Leon Lindberg verbindet mit europäischer Integration weniger weitreichende Erwartungen. Er sieht keine Verschiebung von Loyalitäten, sondern nur von Erwartungen und politischen Aktivitäten hin zu einem neuen Zentrum (vgl. Lindberg 1963: 6). Den meisten Definitionen zum Thema europäische Integration ist jedoch das bottom-up-Prinzip gemein, worunter u. a. ein Kompetenztransfer von der unteren zur oberen Ebene zu verstehen ist.
Im Gegensatz dazu können mit dem Konzept der Europäisierung top-down-Entwicklungen analysiert werden – „the impact of European integration [...] on domestic political and social processes of the member states and beyond“ (Börzel/Risse 2000: 1). Auch die Definitionen von Robert Ladrech und Claudio Radaelli betonen die Wirkungen der europäischen Integration auf nationale Akteure, Prozesse und Strukturen (vgl. Eising 2003: 391-394). Radaelli beschreibt ein Zwei-Stufen-Modell, bei dem im ersten Schritt Institutionen und Praktiken auf der europäischen Ebene entwickelt und im zweiten Schritt in die nationalen politischen Systeme übernommen werden. So ist europäische Integration eine notwendige Bedingung für Europäisierung (vgl. Radaelli 2000: 6).
Charakteristisch für neofunktionalistische Integrationstheorien wie die oben genannten ist die „Quasi-Autonomie“ des spillover. Laut Rainer Eising verzichten Europäisierungsstudien auf solche teleologischen Entwürfe und entwerfen ein konflikthafteres und komplexeres Bild politischer Prozesse, deren Ausgang offen ist (vgl. Eising 2003: 401). Ein weiterer Unterschied zwischen Integration und Europäisierung liegt in den fokussierten Akteuren: Während sich Theorien zur Integration auf die Rolle von Staaten konzentrieren und betrachten, ob der Aufbau supranationaler Strukturen zu einer Stärkung oder Schwächung von Staaten führt, betrachten Europäisierungstheoretiker mehrheitlich die Rolle nationalstaatlicher Institutionen in ihrem Anpassungsprozess an Europa (vgl. Radaelli 2000: 6). Genau wie das Integrationslevel verschiedener Politikfelder z. B. mit Dimensionen wie „Breite“ und „Tiefe“ messbar ist (vgl. Börzel 2005: 5), lassen sich mindestens drei Europäisierungsgrade bestimmen: Absorption, Anpassung und Transformation. So ist mit Absorption das Aufsaugen bzw. Inkorporieren europäischer Politiken oder Ideen gemeint, ohne dass eine substanzielle Modifikation existierender Prozesse, Politiken oder Institutionen nötig ist. In diesem Fall ist der Europäisierungsgrad und der Wandel in den Nationalstaaten gering. Moderat ist der Wandel im Fall der Anpassung, falls Politiken oder Institutionen nur auf das vorhandene Grundgerüst aufgesetzt werden müssen. Ein hoher Europäisierungsgrad resultiert aus einer Transformation, wenn Nationalstaaten ihre bisherigen Politiken, Prozesse oder Institutionen durch neue oder substanziell andere ersetzen bzw. diese fundamental ändern müssen.
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- Tanja Prinz (Author), 2006, Europäische Integration versus Europäisierung: Eine Analyse anhand europäischer Umweltpolitik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54767
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