Die 1771 in Berlin geborene Jüdin Rahel Levin Varnhagen hat in ihrem Leben über zehntausend Briefe an etwa 300 Adressaten verfasst. Diese mehr als umfangreiche Korrespondenz kann als ihr literarisches Werk bezeichnet werden, wenngleich diese Auffassung nicht unumstritten ist, da der literarische Stellenwert des Briefes bisweilen äußerst niedrig angesetzt wird.
Obwohl die meisten ihrer Briefe privater, ja fast schon intimer Natur sind, gibt Rahels Ehemann Karl August Varnhagen von Ense nach ihrem Tod die gesammelte Korrespondenz seiner Frau 1833 in gebundener Form heraus. Noch zu Lebzeiten Rahels erarbeiten sie und Varnhagen das Editionsprinzip des Buches. Sie „findet […] nichts dabei, wenn die Briefe anderen Menschen zum Lesen weitergereicht werden“, und fordert ihre Adressaten dazu auf, ihre Korrespondenzen zu sammeln und aufzubewahren.
Aus dem schriftlichen Verkehr mit zahlreichen Freunden, Bekannten und Verwandten bezieht sie eine geistige Unabhängigkeit, die ihre hilft, sich nicht als Opfer von Schicksal und äußeren Umständen aufzugeben, sondern ihre Vorstellung von einer humanistischen Gesellschaft im Kleinen zu verwirklichen und zu leben.
Dennoch sehen sich sowohl Rahel, als auch andere “romantische Jüdinnen“, die sich der Briefform bedienten, mit dem Vorwurf konfrontiert, der Brief zähle nicht zur Literatur als solche, und diene höchstens als biographisches oder historisches Dokument.
Nicht nur selbständige literarische Kreativität wird den VerfasserInnen von Briefen abgesprochen. Vielmehr seien die Schreibenden „beim ‚Räsonnement’ über das ihnen zur Verfügung stehende ‚Bildungsmaterial’ stehengeblieben“.
Dabei wird jedoch eine Differenzierung zwischen dem Brief in seiner eigentlichen Funktion (Privatbrief) und dem literarisierten Brief als uneigentliche Verwendungsform der schriftlichen Korrespondenz – und somit sicher nicht als dilletantisches „Hin- und Herschreiben“ anzusehen - nicht berücksichtigt.
Diese Unterscheidung ist jedoch unerlässlich, wenn es darum geht, die Literarizität eines Briefes offen zu legen, was besonders im Falle von Rahel Levin Varnhagen Gültigkeit besitzt und im Folgenden anhand ihrer umfangreichen Korrespondenz vorgenommen werden soll.
Inhaltsverzeichnis
- Rahel Levin Varnhagen und der Privatbrief
- Literarischer Privatbrief und literarisierter Brief
- Der literarische Brief
- Der literarisierte Brief
- Literarischer Privatbrief und literarisierter Brief
- Selbstaufklärung und Selbstwiderspruch - Barbara Breysach über Rahel Varnhagen
- Der wahre Brief - Rahel als Briefschreiberin der Romantik
- Emanzipation durch Geselligkeit und Widerspruch als System
- Erlösung des Einzelnen durch Selbsttherapie
- Ein unentwegtes Selbstgespräch - Rahel E. Steiner über Rahel Varnhagen
- Dem öffentlichen Leben fern geblieben
- Der höchste Schmerz des Herzens
- Zeugnisse des nie endenden inneren Selbstgespräches
- ,,Aus dem Judentum herauskommen“ - Hannah Arendt über Rahel Varnhagen
- Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Juden
- Mit allen über alles sprechen
- Wichtigkeit der Gefühle und Korrespondenz als eigentliche Freundschaft
- Suche alle meine Briefe - Barbara Hahn über Rahel Varnhagen
- Schreiben ohne Ordnung und Regeln
- Rahels Handschriften als oberste Instanz
- Das,,Buch des Andenkens\" als Autobiographie
- Rahel Varnhagen - Mehr als die Summe der einzelnen Teile
- Der Brief als literarisches Kunstwerk
- Eine Auswahl denkwürdiger Zeugnisse für Rahels Freunde
- Die Seele spazieren gehen lassen: Rahels Art zu schreiben
- Auf dem Terrain einer „ausgerotteten“ Geschichte
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert die Briefe von Rahel Levin Varnhagen und untersucht ihre Bedeutung als literarisches Werk und als autobiographisches Dokument.
- Die literarische Qualität der Briefe
- Die Rolle des Briefs in der Romantik
- Rahels Selbstverständnis und ihre Rolle in der Gesellschaft
- Die Bedeutung der Korrespondenz für Rahels Selbstfindung
- Die Darstellung von jüdischer Lebenswirklichkeit in den Briefen
Zusammenfassung der Kapitel
- Kapitel 1: Rahel Levin Varnhagen und der Privatbrief: Dieses Kapitel untersucht die verschiedenen Funktionen des Briefs und beleuchtet die Unterscheidung zwischen dem literarischen Privatbrief und dem literarisierten Brief.
- Kapitel 2: Selbstaufklärung und Selbstwiderspruch - Barbara Breysach über Rahel Varnhagen: Dieses Kapitel beleuchtet Rahels Briefe aus der Perspektive der Romantik und zeigt, wie sie in ihren Briefen nach Selbstfindung strebt und sich gleichzeitig mit den gesellschaftlichen Erwartungen auseinandersetzt.
- Kapitel 3: Ein unentwegtes Selbstgespräch - Rahel E. Steiner über Rahel Varnhagen: Dieses Kapitel betrachtet die Briefe als Ausdruck von Rahels innerem Leben und zeigt, wie sie in ihnen ihre Gedanken und Gefühle verarbeitet.
- Kapitel 4: ,,Aus dem Judentum herauskommen“ - Hannah Arendt über Rahel Varnhagen: Dieses Kapitel fokussiert auf Rahels jüdische Identität und untersucht, wie sie in ihren Briefen mit ihrer Zugehörigkeit zu einer Minderheit umgeht.
- Kapitel 5: Suche alle meine Briefe - Barbara Hahn über Rahel Varnhagen: Dieses Kapitel untersucht Rahels Briefe aus der Sicht der Autobiographie und betrachtet die Briefe als Spiegelbild ihrer Lebensgeschichte.
- Kapitel 6: Rahel Varnhagen - Mehr als die Summe der einzelnen Teile: Dieses Kapitel stellt die Briefe als literarisches Kunstwerk vor und zeigt, wie Rahel durch ihre einzigartige Schreibweise ein literarisches Werk von großer Bedeutung geschaffen hat.
Schlüsselwörter
Rahel Levin Varnhagen, Privatbrief, literarischer Brief, literarisierter Brief, Romantik, Selbstfindung, Gesellschaft, Judentum, Autobiographie, Brief als literarisches Kunstwerk.
- Quote paper
- Christiane Abspacher (Author), 2004, Rahel Levin Varnhagen - eine Autobiographie in Briefen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54487