Müssen integrationsorientierte Weiterbildungskonzepte durch migrationssensible und rassismuskritische Konzepte ergänzt werden? Zunächst wird der migrationspädagogische Ansatz umrissen. Im Anschluss werden die Begriffe "Erwachsenenbildung/ Weiterbildung" sowie "Migranten" erläutert und kritisch beleuchtet. Darauf aufbauend gibt der Autor einen Überblick über allgemeine Weiterbildungstrends in verschiedenen Bevölkerungsgruppen, um anschließend in die Weiterbildungsbeteiligung von Migranten zu beleuchten. Anschließend werden Weiterbildungsbarrieren und Erklärungsansätze für ihre niedrigere Weiterbildungsbeteiligung vorgestellt.
Folgt man dem gegenwärtigen Migrations- und Integrationsdiskurs, dominiert vor allem die Perspektive, nach der Defizite und Misserfolge sowie geringere Partizipationschancen hauptsächlich den Migranten selbst und ihrem sozialisatorischen Umfeld zugeschrieben werden. Dieser Logik folgen vor allem die staatlich verordneten Integrationskurse und in weiten Teilen auch Deutschkurse, die vor allem auf die berufliche Integration abzielen.
Inwiefern solche integrationsorientierten Weiterbildungsangebote tatsächlich zu höheren Partizipationschancen beitragen, wird anhand einiger ausgewählter Studien analysiert und kritisch reflektiert, um im Anschluss Handlungsempfehlungen abzuleiten, die einen Perspektivenwechsel weg von den "Migranten" hin zu den Strukturen der sogenannten Mehrheitsgesellschaft beinhalten. Des Weiteren wird der Frage nachgegangen, wie sich die Weiterbildungsinstitutionen auf die von Migration geprägte Gesellschaft strukturell einstellen müssen. Es werden mögliche Ansätze einer migrationssensiblen sowie rassismus- und herrschaftskritischen Erwachsenenbildung formuliert.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Migrationspädagogischer Ansatz als theoretischer Bezugsrahmen
3. Begriffliche Abgrenzungen
3.1 Erwachsenenbildung/ Weiterbildung
3.2 Problematik der Bezeichnung "MigrantInnen"
4. Weiterbildungstrends in verschiedenen Bevölkerungsgruppen
5. Weiterbildung von Personen mit Migrationshintergrund
5.1 Ergebnisse im Überblick
5.2 Kursarten und -inhalte
5.3 Teilnahmemotive, subjektiver Nutzen und Finanzierung
6. Barrieren der Weiterbildungsbeteiligung
6.1 Soziodemographische und migrationsbedingte Faktoren
6.2 Strukturelle/ organisatorische Barrieren
7. Integrationsorientierte Weiterbildungskonzepte - Wirksamkeit und Nachhaltigkeit
7.1 Integrationskurse
7.2 Berufsbezogene Sprachförderung im Rahmen des ESF-BAMF-Programms
7.3 Fazit zu integrationsorientierten Weiterbildungskonzepten
8. Herausforderungen an eine migrationssensible und rassismuskritische Weiterbildung
8.1 Interkulturelle Öffnung von Erwachsenenbildungseinrichtungen
8.2 Entwicklung migrationssensibler und rassismuskritischer Kompetenzen
9. Schlussbetrachtung
10. Literatur
1. Einleitung
Heutige Gesellschaften sind maßgeblich durch Migrationsbewegungen geprägt. Dabei ist Migration historisch betrachtet wohl so alt wie die Menschheit selbst. Menschen wandern sowohl vorübergehend als auch dauerhaft, freiwillig oder gezwungenermaßen, innerhalb sowie außerhalb der Grenzen ihres Herkunftslandes. Auch in Deutschland ist die gesellschaftliche, soziale und individuelle Wirklichkeit von Migrationsphänomenen geprägt (vgl. Mecheril 2010, S. 7). Seit Jahrzehnten kommen Menschen mit unterschiedlichem Migrationsstatus nach Deutschland. Zu ihnen gehören beispielsweise "ArbeitsmigrantInnen", ihre Familienangehörigen, SpätaussiedlerInnen, Flüchtlinge, AsylbewerberInnen usw. (vgl. Öztürk 2014, S. 9). Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Deutschland zum wichtigsten Einwanderungsland Europas. Allerdings weigerten sich politische Entscheidungsträger lange Zeit, diese Migrationsrealität anzuerkennen, was wiederum den gesellschaftlichen Umgang mit Migration prägte. Die restriktive Migrationspolitik des 20. Jahrhunderts zielte hauptsächlich auf Abwehr und Kontrolle und führte zu diskursiven und kulturellen Praxen, in denen "AusländerInnen" bzw. "MigrantInnen" aus einer Negativ- und Defizitperspektive als bedrohlich, störend und nicht zugehörig thematisiert und behandelt wurden. Auch heute noch hält sich eine solche Perspektive hartnäckig im öffentlichen und zum Teil auch im wissenschaftlichen Diskurs (vgl. Mecheril 2010, S. 8). Dabei ist Migration seit Langem kein Minderheitenthema mehr. Laut einer jüngsten international vergleichenden Studie der OECD war Deutschland im Jahr 2012 nach den USA das Land mit der höchsten Einwanderungsrate (vgl. OECD 2014, S. 1). Die gesellschaftliche Realität einer sich zunehmend differenzierenden Gesellschaft stellt somit für die Politik und für alle gesellschaftlichen Bereiche, nicht zuletzt auch für Bildungsinstitutionen, eine dauerhafte Herausforderung dar. In modernen Staaten wie der BRD, die an Gerechtigkeits- und Egalitätskonzepten orientiert sind, ist das Bildungswesen gefordert, auf den vor allem (aber nicht nur) durch Migration charakterisierten sozialen Wandel entsprechend zu reagieren. In diesem Zusammenhang lauten wichtige Fragen an pädagogisches Handeln und pädagogische Institutionen, ob und inwiefern sie Ungleichheitsverhältnisse, die mit Migration einhergehen, reproduzieren und welche Möglichkeiten es gibt, durch Bildung zur Erhöhung der gesellschaftlichen Partizipationschancen von MigrantInnen und ihren Nachkommen beizutragen (vgl. Sprung 2011, S. 9).
In den vergangenen Jahrzehnten hat man in der Pädagogik, vor allem im schul- und sozialpädagogischen Bereich, die Folgen von Migrationsbewegungen erforscht und Praxiskonzepte zum Umgang mit diesen erarbeitet. Im Bereich der Erwachsenenbildung/ Weiterbildung wird zu Themen der Migration bzw. Integration und ihren pädagogischen Implikationen bislang nur wenig systematisch geforscht (vgl. Sprung 2012, S. 12). Demgegenüber hat der Bildungsmarkt schon relativ früh mit einschlägigen, vor allem zielgruppenspezifischen Angeboten reagiert (vgl. Sprung 2011, S. 9). Vor dem Hintergrund der im Kontext von Migration unzureichenden Forschungslage in der Erwachsenenbildung, setzt die vorliegende Arbeit am Schnittpunkt "migrationsbedingte Diversität" und "Erwachsenenbildung/ Weiterbildung" an und untersucht aus einer migrationspädagogischen Forschungsperspektive die Frage, ob und inwiefern integrationsorientierte Weiterbildungsangebote wie Integrationskurse und berufsbezogene Deutschkurse durch migrationssensible und rassismuskritische Konzepte ergänzt werden müssen, wenn es darum geht, die gesellschaftlichen Partizipationschancen von MigrantInnen in und durch Weiterbildung zu erhöhen. Es sei allerdings vorausgeschickt, dass die folgenden Ausführungen nicht von der Annahme ausgehen, Weiterbildung wäre in der Lage, strukturelle und gesellschaftliche Probleme wie beispielsweise die rechtliche Schlechterstellung von MigrantInnen zu kompensieren. Denn damit würde von politischen Verantwortlichkeiten und Versäumnissen abgelenkt und die Bewältigung dieser Probleme in den Verantwortungsbereich der Individuen übertragen, indem suggeriert würde, dass sie allein durch Bildungsanstrengungen problematischen Verhältnissen entrinnen könnten (vgl. Sprung 2010, S. 23). Dies bedeutet allerdings nicht, dass Bildungsprozesse nicht auch dazu beitragen können, individuelle Partizipationschancen und die (politische) Handlungsfähigkeit von Subjekten zu erhöhen. Vor diesem Hintergrund soll in der vorliegenden Arbeit reflektiert werden, unter welchen Bedingungen Erwachsenenbildung/ Weiterbildung diesen Beitrag leisten kann.
Dazu wird im folgenden Kapitel zunächst der migrationspädagogische Ansatz, der den theoretischen Bezugsrahmen dieser Arbeit darstellt, umrissen. Im Anschluss werden in Kapitel 3 die für diese Arbeit relevanten Begriffe "Erwachsenenbildung/ Weiterbildung" sowie "MigrantInnen" erläutert und kritisch beleuchtet. Darauf aufbauend gibt Kapitel 4 einen Überblick über allgemeine Weiterbildungstrends in verschiedenen Bevölkerungsgruppen, um anschließend in Kapitel 5 die Weiterbildungsbeteiligung von MigrantInnen zu beleuchten. In Kapitel 6 werden Weiterbildungsbarrieren und Erklärungsansätze für ihre niedrigere Weiterbildungsbeteiligung vorgestellt, wobei sowohl soziodemographische und migrationsbedingte als auch strukturelle Faktoren untersucht werden. Folgt man dem gegenwärtigen Migrations- und Integrationsdiskurs, dominiert vor allem die Perspektive, nach der Defizite und Misserfolge sowie geringere Partizipationschancen hauptsächlich den MigrantInnen selbst und ihrem sozialisatorischen Umfeld zugeschrieben werden. In einer solchen Sichtweise wird Bildung hauptsächlich in kompensatorischer Absicht als "Motor der Integration" verstanden (Sprung 2012, S. 11). Dieser Logik folgen, wie in Kapitel 7 gezeigt wird, vor allem die staatlich verordneten Integrationskurse und in weiten Teilen auch Deutschkurse, die vor allem auf die berufliche Integration abzielen. Inwiefern solche integrationsorientierten Weiterbildungsangebote tatsächlich zu höheren Partizipationschancen beitragen, wird anhand einiger ausgewählter Studien analysiert und kritisch reflektiert, um im Anschluss in Kapitel 8 Handlungsempfehlungen abzuleiten, die einen Perspektivenwechsel weg von den "MigrantInnen" hin zu den Strukturen der sogenannten Mehrheitsgesellschaft beinhalten. Es wird gezeigt, dass es in einer Gesellschaft, die durch plurale Zugehörigkeiten und soziale Ungleichheiten geprägt ist, die jeweiligen Ausgangsbedingungen gesellschaftlicher Partizipation in den Blick genommen werden müssen, wenn durch Bildungsprozesse Chancengerechtigkeit gefördert werden soll (vgl. Messerschmidt 2011, S. 259). In Kapitel 8 wird in diesem Zusammenhang der Frage nachgegangen, wie sich die Weiterbildungsinstitutionen auf die von Migration geprägte Gesellschaft strukturell einstellen müssen. Es werden mögliche Ansätze einer migrationssensiblen sowie rassismus- und herrschaftskritischen Erwachsenenbildung formuliert, wohl wissend, dass es keine von Dilemmata und Paradoxien freie Bildungsarbeit gibt. Abschließend werden im letzten Kapitel die zentralen Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst und ihre Bedeutung für die erziehungswissenschaftliche bzw. erwachsenenpädagogische Praxis ausgewertet.
2. Migrationspädagogischer Ansatz als theoretischer Bezugsrahmen
Da der Zugang zu einem Untersuchungsgegenstand von dem gewählten theoretischen Bezugsrahmen abhängig ist, der auch die Beobachtung und die Beschreibung der Wirklichkeit steuert (vgl. Diehm/ Radtke 1999, S. 31), soll an dieser Stelle näher auf den theoretischen Hintergrund der vorliegenden Arbeit eingegangen werden. Für die in dieser Arbeit zu untersuchende Fragestellung erweist sich ein migrationspädagogischer Ansatz nach Mecheril (2004a; 2010) als geeignet, da dieser sich in einer pädagogischen Einstellung auf für die Migrationsgesellschaft charakteristische Phänomene wie die Vermischung als Folge von Wanderungen, Konstruktionen des Fremden sowie Strukturen und Prozesse des Rassismus bezieht (vgl. Mecheril 2004a, S. 18). Migrationspädagogik geht davon aus, dass solche Migrationsphänomene die Frage nach "Zugehörigkeiten" aufwerfen, indem gesellschaftliche Unterscheidungen und Grenzziehungen zwischen "Innen" und "Außen" und zwischen "Wir" und "Nicht-Wir" zum Thema werden. Dabei wird betont, dass diese Unterscheidungen nicht naturgegeben sind, sondern soziale Konstrukte darstellen, die sowohl auf struktureller, als auch auf der Interaktionsebene (also auch in Bildungszusammenhängen) immer wieder hergestellt werden. Diese gesellschaftlichen Unterscheidungspraxen produzieren eine hierarchische soziale Ordnung, in der Menschen nach ethnischen und kulturellen Zugehörigkeiten unterschieden und so positioniert werden, dass ihnen unterschiedliche Partizipations- und Handlungsmöglichkeiten zugewiesen werden (vgl. Mecheril 2010, S. 12 f.). Vor diesem Hintergrund scheint der migrationspädagogische Zugang an das gewählte Thema vor allem deswegen angemessen zu sein, weil er seinen Fokus nicht auf die Gruppe der MigrantInnen und deren Eigenschaften, sondern auf strukturelle und gesellschaftliche Bedingungen von sozialer Ungleichheit lenkt und somit eine macht- und rassismuskritische Perspektive einnimmt. Ferner beschäftigt sich die Migrationspädagogik mit der Frage, welchen Beitrag pädagogische Diskurse und Praxen zur Reproduktion dieser Ordnung leisten und inwiefern sie diese auch problematisieren und gegebenenfalls verschieben können (vgl. ebd. S. 15 f.). Diese Fragen sind auch für den Bereich der Erwachsenenbildung relevant, wenn - wie in der vorliegenden Arbeit - untersucht werden soll, mit welchen Unterscheidungen und interkulturellen Ansätzen z.B. häufig in integrationsorientierten Konzepten operiert und damit ein problematischer Migrations- und Integrationsdiskurs verfestigt wird (vgl. Kapitel 7). Daran anknüpfend geht es auch um die Frage, wie migrationssensible und rassismuskritische Ansätze in der Erwachsenenbildung dem entgegenwirken könnten (vgl. Kapitel 8).
Zunächst sollen jedoch die Annahmen der Migrationspädagogik genauer beschrieben werden.
Wenn es um die bereits erwähnten Zugehörigkeiten geht, so beschäftigt sich Migrationspädagogik vordergründig mit der "natio-ethno-kulturellen" Zugehörigkeit (Mecheril 2010), was nicht bedeutet, dass anderen Zugehörigkeitsdimensionen wie Geschlecht oder sozialer Klasse keine Bedeutung für die Analyse der Situation von MigrantInnen beigemessen wird. Im Gegenteil: die unterschiedlichen Unterscheidungsdimensionen greifen ineinander. Allerdings werden diese anderen Dimensionen methodologisch ausgeblendet, um das Verhältnis von Migration und Pädagogik in Hinblick auf natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit zu betrachten (vgl. Mecheril 2010, S. 15). Insofern ist auf sogenannte "blinde Flecke" aufmerksam zu machen, die sich daraus ergeben, "dass etwas beobachtet wird und zugleich etwas anderes nicht beobachtet werden kann" (Diehm/ Radtke 1999, S. 43). Mit der Wahl einer bestimmten theoretischen Perspektive bleiben also Aspekte, die aus der Sicht von anderen theoretischen Ansätzen in Bezug auf die Thematik relevant sind, eventuell unberücksichtigt. In einer bewussten "analytischen Einseitigkeit" (Mecheril 2010, S. 15) widmet sich die Migrationspädagogik vor allem den Fragen, wie der bzw. die "natio-ethno-kulturell Andere" unter Bedingungen von Migration erzeugt wird, welchen Beitrag Pädagogik hierzu leistet und welche Möglichkeiten der Veränderung der so produzierten Zugehörigkeitsordnung entwickelt werden können (vgl. ebd.).
Mit natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeiten sind Bezeichnungen wie beispielsweise "deutsch", "türkisch", "polnisch" oder "italienisch" gemeint, die alltägliche Unterscheidungspraxen darstellen. Sie sind jedoch in ihrer Bedeutung nicht klar definiert, da sie sich auf unterschiedliche und zum Teil verschwommene und vermischte Ideen von Ethnizität, Nation und Kultur beziehen. So weist der Begriff "deutsch" auf ein bestimmtes geographisches Gebiet, eine Sprache, eine politische Ordnung, eine Lebensform und einen sozialen Zusammenhang hin, dem man in einer wie auch immer verstandenen kulturellen Weise angehört. Diese diffuse und unscharfe Definition bringt die Bezeichnung "natio-ethno-kulturell" zum Ausdruck (vgl. Mecheril 2004a, S. 20).
Auch aus wissenschaftlicher Perspektive sind die Begriffe Ethnizität, Nation und Kultur unscharf definiert und wechselseitig aufeinander bezogen, sodass eine trennscharfe Unterscheidung kaum möglich ist.
So bezeichnet Max Weber (1956) "Ethnizität" als ein Konzept einer Gruppe von Menschen, die sich durch den Glauben an bestimmte Gemeinsamkeiten wie Abstammung und Kultur konstituiert und so ein entsprechendes "Wir-Gefühl" bildet. Dabei dienen ethnische Merkmale wie Sprache, Bräuche, Religion und Kultur dazu, die Gruppe als Einheit zu definieren und sich gleichzeitig nach außen hin (von anderen ethnischen Gruppen) abzugrenzen. Weber betont vor allem den Glauben an diese Gemeinsamkeiten: „Wir wollen solche Menschengruppen, welche aufgrund von Aehnlichkeiten des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider oder von Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinschaft hegen, derart, daß dieser für die Propagierung von Vergemeinschaftungen wichtig wird, dann, wenn sie nicht ‚Sippen‘ darstellen, ‚ethnische Gruppen‘ nennen, ganz einerlei, ob eine Blutsgemeinschaft objektiv vorliegt oder nicht“ (ebd. S. 237).
Unter Nation und Nationalstaat versteht Heckmann (1992) "eine historische Entwicklungsstufe von Gesamtgesellschaften in der Moderne. Nation ist ein ethnisches Kollektiv, das ein ethnisches Gemeinschaftsbewusstsein teilt und politisch-verbandlich in der Form des Nationalstaates organisiert ist. Der Nationalstaat ist eine politische Organisationsform, in welcher der Anspruch einer Übereinstimmung von politisch-staatsbürgerlicher und ethnischer Zugehörigkeit gestellt wird [...]" (ebd. S. 52 f.). Über die Bezeichnung ‚Nation‘ erhielt Roth (2013) zufolge "das gesellschaftliche Zusammenleben im sich herausbildenden rationalen Verwaltungsstaat einen ideologischen Zusammenhang, in der die Einheitlichkeit einer Lebensform, einer Kultur und einer Sprache als konstitutive Größe gesetzt wurde" (ebd. S. 21).
Die wechselseitig aufeinander verweisenden Kategorien "Nation", "Ethnizität" und "Kultur" sind erst durch ihre Verschwommenheit und Unklarheit offen für Vorstellungen und Zuschreibungen, die Bezeichnungen wie "türkisch" oder "deutsch" zugrunde liegen (vgl. Mecheril 2004a, S. 21). Wenn also solche Bezeichnungen gebraucht werden, dann "ist in der Regel nicht allein von Kultur, Nation oder Ethnizität die Rede, sondern in einer diffusen und mehrwertigen Weise von den auch begrifflich aufeinander verweisenden Ausdrücken Kultur, Nation und Ethnizität (Hervorh. i.O.). Der Ausdruck natio-ethno-kulturell bringt dies zum Ausdruck" (ebd. S. 22).
Vor allem in Deutschland werden aber die unterschiedlichen natio-ethno-kulturellen Gruppen als einheitliches Kollektiv entworfen, wenn von "Fremden", "Ausländern" oder "Migranten" die Rede ist. Dadurch wird eine binäre Unterscheidung zwischen einer ethnisch und kulturell homogen imaginierten Wir-Gruppe (Deutsche) und den "natio-ethno-kulturell Anderen" (MigrantInnen) gezogen. Mecheril (2004a; 2010) bezeichnet letztere deshalb als "Migrationsandere", die als solche jedoch nur in Relation zu den "Nicht-Migrationsanderen" in migrationspädagogischer Perspektive auftreten.
Vor diesem Hintergrund bezeichnet Migrationspädagogik weniger ein pädagogisches Konzept, als vielmehr eine Orientierung, die durch die konsequente Anwendung einer kritisch-reflexiven Perspektive charakterisiert ist. Dabei sollen die gesellschaftlichen Unterscheidungspraxen, "die immer auch Phänomene der Hierarchisierung und der machtvollen Unterscheidung und Hervorbringung der Differenz zwischen 'Anderen' und 'Nicht-Anderen' darstellen", kritisch hinterfragt werden (Mecheril 2004a, S. 19).
In Bezug auf die Fragestellung der vorliegenden Arbeit soll unter dieser Perspektive kritisch geprüft werden, inwieweit durch integrationsorientierte Weiterbildungskonzepte wie die Integrationskurse und berufsbezogene Deutschkurse Konstruktionen der natio-ethno-kulturell Anderen teilweise verfestigt werden. In einem nächsten Schritt werden migrationssensible und rassismuskritische Ansätze für die Erwachsenenbildung aufgezeigt, die dazu beitragen könnten, diese Differenzierungspraxen abzubauen.
Vorerst werden jedoch die Begriffe "Erwachsenenbildung"/ "Weiterbildung" und "MigrantInnen", auf die in der vorliegenden Arbeit mehrfach zurückgegriffen wird, erläutert.
3. Begriffliche Abgrenzungen
3.1 Erwachsenenbildung/ Weiterbildung
Die Begriffe Erwachsenenbildung und Weiterbildung werden heute meist synonym gebraucht. Darunter versteht man die "Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach Abschluß einer unterschiedlich ausgedehnten ersten Bildungsphase" (Deutscher Bildungsrat 1972, S. 197). Die Arbeits- und Forschungsgebiete der Erwachsenenbildung/ Weiterbildung sind kein abgrenzbarer und eindeutig differenzierter Bereich. Es liegen unterschiedliche, aus verschiedenen Fachdisziplinen hervorgebrachte Theoriebildungen und Darstellungen des Feldes vor (vgl. Tippelt/ von Hippel 2011, S. 14). Deshalb kann es nicht der Anspruch dieser Arbeit sein, dieses äußerst heterogene Feld auch nur annähernd zu beschreiben. Stattdessen sollen einige, für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit relevante Aspekte aufgegriffen werden.
In den vergangenen fünfzig Jahren hat Erwachsenenbildung als eigenständiger Bereich im Bildungssystem immer mehr an Bedeutung gewonnen. Sie kann und muss sich stärker als das Schul-, Ausbildungs- und Hochschulwesen an sich verändernde gesellschaftliche und vor allem ökonomische Anforderungen anpassen. Denn da sie nicht wie die anderen Bereiche insgesamt durch Gesetze abgesichert ist, unterliegt sie viel stärker konjunkturellen Schwankungen und politischem Kalkül (vgl. Faulstich/ Zeuner 2010, S. 13). An die Erwachsenenbildung/ Weiterbildung wird der Anspruch gestellt, dass sie die sich aus der modernen Gesellschaft1 und der gewandelten Arbeitswelt ergebenden sozialen Probleme und Herausforderungen aufgreifen soll. Faulstich und Zeuner (2006) kritisieren in diesem Zusammenhang die Pädagogisierung gesellschaftlicher Probleme, wenn sie davor warnen, dass Weiterbildung zu einem "Reparaturbetrieb für alle Defizite der Gesellschaft " (ebd. S. 237) zu werden droht. In diesem Zusammenhang besteht auch die Gefahr der Verschiebung sozialer Probleme und Herausforderungen in die individuelle Verantwortung. Dieser Aspekt ist vor allem deshalb zu berücksichtigen, da in der vorliegenden Arbeit eine solche Tendenz vor allem in Bezug auf die Integrationsforderungen an MigrantInnen unter dem Prinzip des "Förderns und Forderns" problematisiert wird und stets auch die Grenzen von Bildung ausgelotet werden.
Ein weiterer aktueller Trend in der Erwachsenenbildung stellt die Biografieorientierung dar, in der davon ausgegangen wird, dass sich Bildungsprozesse individuell im Rahmen biografischer Erfahrungswelten vollziehen (vgl. Dausien/ Alheit 2005, S. 28). Dabei wird die "Biographizität" als moderne Schlüsselqualifikation bezeichnet, die sich auf den Umgang mit neuen sozialen Erfahrungen und biografischen Umbrüchen bezieht (vgl. ebd. S. 29). "Biographizität bedeutet, dass wir unser Leben in den Kontexten, in denen wir es verbringen (müssen), immer wieder neu auslegen können und dass wir diese Kontexte ihrerseits als 'bildbar' und gestaltbar erfahren" (Alheit 2003, S. 16). Alheit verweist darauf, dass uns im Rahmen unserer strukturell begrenzten Biografie nicht alle Chancen und Optionen offenstehen, allerdings gelte es, die "Möglichkeitsräume" auszuloten (vgl. ebd.). Erwachsenenbildung kann in diesem Zusammenhang dazu beitragen, noch nicht erkannte Möglichkeiten und Potenziale in der jeweils individuellen Biografie zu entdecken und neue Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen, um so die Lernenden bei der Entwicklung einer "biographisch fundierten Handlungsfähigkeit" zu unterstützen (Dausien/ Alheit 2005, S. 31). In modernen Gesellschaften, in denen Lebensläufe durch zum Teil unvorhergesehene Ereignisse, Übergänge und Umorientierungen wie etwa im Fall von Krankheit oder Arbeitslosigkeit charakterisiert sind und individuell gemeistert werden müssen, können Bildungsangebote eine Reflexion biographischer Ressourcen und Perspektiven unterstützen (vgl. ebd. S. 32). Gelten also diskontinuierliche Lebensläufe, die Erfahrung von Unsicherheit und die Eigenverantwortung der Individuen für den Umgang mit Risiken als typische Merkmale moderner Gesellschaften, so sind von Migration beeinflusste Biografien möglicherweise in einem noch stärkeren Ausmaß davon betroffen (vgl. Sprung 2011, S. 242). Die Suche nach Handlungsmöglichkeiten ist angesichts des Kontextwechsels und der damit oftmals einhergehenden strukturellen (z.B. rechtlichen und institutionellen) Beschränkungen der Lebensgestaltung häufig erschwert. Zudem können mit Migration verbundene Exklusionserfahrungen und Anerkennungsdefizite teilweise zur Verringerung von Handlungsfähigkeit führen (vgl. ebd. S. 242 f.). Erwachsenenbildung kann hier zur Erhaltung bzw. Wiedergewinnung von Handlungsautonomie auf Grundlage biografischer (verborgener) Erfahrungsressourcen beitragen (vgl. Alheit 2003, S. 17).
Die Orientierung am biografischen Lernen wird vor allem durch den weit verbreiteten aktuellen Bildungsdiskurs des "lebenslangen Lernens" unterstützt. Auch in diesem Ansatz wird vor allem die Eigenaktivität des Individuums, das ein Leben lang selbstgesteuert lernt, betont. Dabei wird es vor allem aus bildungsökonomischer Sicht als Strategie der Risikobewältigung und der Anpassung an sich verändernde Arbeitsbedingungen in modernen Gesellschaften gesehen. Die Konzeption des lebenslangen Lernens und der Ansatz des selbstgesteuerten Lernens werden in kritischen Theorieansätzen der Erwachsenenbildung als begleitende Maßnahmen zur Durchsetzung des Neoliberalismus, in dem der Markt das organisierende Prinzip für den Staat ist, problematisiert (vgl. Sprung 2011, S. 243). In dieser Ideologie wird das Primat der Ökonomie in allen Lebensbereichen bedeutsam. Menschen haben sich über Weiterbildung den Herausforderungen des modernen Arbeitsmarktes anzupassen. Die permanente Steigerung bzw. Aufrechterhaltung ihres Marktwertes obliegt der eigenen Verantwortung. Vor diesem Hintergrund kommt der Weiterbildung die Rolle zu, "gesellschaftliche Problemlagen in individualisierte Entwicklungsprojekte [zu transformieren]" (ebd. S. 244). Sie soll durch Bildungsangebote die Beschäftigungsfähigkeit der Teilnehmenden sicherstellen bzw. erhöhen, wobei es jedoch keine Garantien dafür gibt, dass sich diese Bildungsinvestitionen beruflich auszahlen. Somit sind auch Bildung und Lernen letztlich risikoreiche Unterfangen, die aber ebenfalls in der Verantwortung der Einzelnen liegen (vgl. ebd.). Dies muss auch in Bezug auf die für MigrantInnen geforderten Integrationskurse und berufsbezogenen Deutschkurse berücksichtigt werden, da hier zweifelhaft ist, inwiefern sie tatsächlich zur Steigerung von gesellschaftlicher und beruflicher Partizipation beitragen (vgl. Kapitel 7).
Trotz der umfassenden Kritik und teilweisen Abwehr des Konzepts des lebenslangen Lernens, gilt es auch dessen Chancen abzuwägen, vor allem da sich Überlegungen zur Weiterbildung auch der Frage der Notwendigkeit einer an herrschende Bedarfe der Arbeitsmärkte orientierenden Bildung stellen müssen. Weiterbildung bewegt sich in diesem Zusammenhang in einem Spannungsfeld, in dem einerseits die Handlungsfähigkeit der Teilnehmenden unter den bestehenden (ökonomischen) Zwängen und Strukturen gestärkt werden soll und anderseits eine kritische Reflexion und Problematisierung dieser vorherrschenden Strukturen möglich sein sollte (vgl. Sprung 2011, S. 244 f.). In Bezug auf das Thema der vorliegenden Arbeit bedeutet dies, dass es als wesentliche Aufgabe von Weiterbildung gesehen werden kann, integrationsorientierte Angebote für MigrantInnen zur Verfügung zu stellen, die gesellschaftlich geforderte Anpassungsleistungen ermöglichen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diese als alternativlos gesehen werden können und die dahinterliegenden Strukturen und Machtverhältnisse nicht zu hinterfragen sind. Allerdings würde eine prinzipielle Ablehnung kompensatorischer Bildungsarbeit zur " [...] idealistischen Überschätzung von Handlungsmöglichkeiten Marginalisierter [führen]" (ebd. S. 255). Andererseits ist es gerade für Personen, die durch Migration bedingte Exklusions- und Diskriminierungserfahrungen gemacht haben, von Bedeutung diese Erfahrungen vor dem Hintergrund bestehender gesellschaftlicher Dominanzstrukturen zu bearbeiten (vgl. ebd.). Hier kann vor allem migrationssensible und rassismuskritische Weiterbildung entsprechende Räume zur kritischen Reflexion der gesellschaftlichen und symbolischen Ordnung, die Ungleichheit entlang ethnisierender Deutungsmuster produziert und legitimiert, bieten und somit alternative Deutungsmuster eröffnen, die von einer Sicht des selbstverantworteten Misserfolgs abrücken. Dieses Spannungsverhältnis von gesellschaftlichen Anpassungsanforderungen und einer herrschaftskritischen, auf Autonomie abzielenden Perspektive gilt es bei der Reflexion des Themenkomplexes Weiterbildung im Blick zu behalten. Vor dem Hintergrund dominierender Debatten über das lebenslange Lernen, die mit Pädagogisierungsprozessen gesellschaftlicher Problemlagen einhergehen, erweist sich deshalb ein herrschafts- und machtkritischer Blick auf die hier verhandelte Thematik von besonderer Relevanz.
3.2 Problematik der Bezeichnung "MigrantInnen"
In Bezug auf Forschungsfragen zur Migrationsthematik ist die Terminologie von besonderer Relevanz. Da gerade das Themenfeld Migration und Integration mit vielfältigen Stereotypen besetzt ist, erscheint hier ein reflexiver Zugang notwendig.
Die bislang immer wieder neu vorgeschlagenen Bezeichnungen in Migrationsforschung und -politik, die von "AusländerInnen" über "MigrantInnen" sowie "Menschen mit Migrationshintergrund" reichen, erfahren nach einiger Zeit stets negative Konnotationen, da sich die dahinter stehenden gesellschaftlichen Verhältnisse und Diskurse nicht verändern. Die vornehmlich defizit- und problemorientierten Migrations- und Integrationsdiskurse bringen ständig negative Deutungen der neuen Begriffsschöpfungen hervor (vgl. Sprung 2011, S. 22 f.). Wie bereits in Kapitel 2 beschrieben, werden mit der begrifflichen Unterscheidungspraxis in "MigrantInnen" und "Nicht-MigrantInnen", "AusländerInnen" und "InländerInnen" usw. Zugehörigkeiten in ein "Wir" und ein "Nicht-Wir" markiert. Insofern ändert der Austausch der Begriffe, solange sie der Unterscheidungslogik folgen, nichts an dem Problem der Pauschalisierung, Festschreibung und Konstruktion von den "natio-ethno-kulturell Anderen".
Im Folgenden wird, trotz dieser Problematik der Bezeichnungspraxis, von "MigrantInnen" die Rede sein, da der Terminus im Kontext dieser Arbeit ausschließlich analytischen Zwecken dient und davon ausgegangen wird, dass Menschen mit Migrationserfahrung von anderen bzw. nicht vergleichbaren Bedingungen für ihre Handlungsfähigkeit betroffen sind als "Nicht-MigrantInnen" und ihre soziale Positionierung durch die Migrationserfahrung und den damit einhergehenden ausgrenzenden Praktiken seitens der Mehrheitsgesellschaft geprägt ist. Der Gebrauch dieser Bezeichnung geschieht im Bewusstsein des Dilemmas, dass damit zur Praxis des Unterscheidens und der Pauschalisierung (MigrantInnen sind keinesfalls eine homogene Gruppe) beigetragen wird. Allerdings wird durch die Forschungsperspektive der vorliegenden Arbeit versucht, einen konsequent kritischen und reflexiven Umgang mit dieser Problematik zu verfolgen.
In amtlichen Statistiken sowie in der Bildungsforschung, auf die sich die folgenden Kapitel beziehen, existieren vor allem in Bezug auf den Begriff "Migrationshintergrund" unterschiedliche Definitionen, da zu seiner Erfassung nicht immer die gleichen Merkmale miteinander kombiniert werden. Bei der Wahl der Merkmalskombination spielen häufig das jeweilige Forschungsinteresse bzw. das politisch-administrative Steuerungsinteresse eine entscheidende Rolle (vgl. Kemper 2010, S. 315). Die jeweiligen Definitionen und Operationalisierungen des Begriffs Migrationshintergrund, welche die in dieser Arbeit zitierten Studien vornehmen, werden daher stets offengelegt.
4. Weiterbildungstrends in verschiedenen Bevölkerungsgruppen
Spätestens seit Ende der 1970er Jahre wird die Sicherung der Chancengleichheit in der Weiterbildungsbeteiligung zu den zentralen bildungspolitischen Zielen gezählt (vgl. Brüning 2001, S. 7). Dass der Zugang zu Weiterbildung für bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht chancengerecht gegeben ist, dokumentieren durchgehend alle Erhebungen der Studie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zum Weiterbildungsverhalten in Deutschland seit 1979 (vgl. Bilger et al. 2013, S. 60). Zu dieser Zeit wurden daher Programme wie die "Benachteiligtenförderung" von der Bundesregierung initiiert, um die Kluft in der Weiterbildungsbeteiligung zu schließen und "benachteiligte Gruppen" in den Arbeitsmarkt zu (re-)integrieren (vgl. Brüning 2001, S. 7). Den besagten Programmen lag die Prämisse zugrunde, dass die hiesige Gesellschaft eine Erwerbsgesellschaft ist und die Teilhabe an der Gesellschaft stark mit der Teilhabe an Erwerbsarbeit zusammenhängt. Obgleich die Sicherung von Chancengleichheit bzw. die Reduzierung von sozialer Benachteiligung sicherlich angemessene gesellschaftspolitische Ziele sind, muss dennoch berücksichtigt werden, dass Weiterbildung nicht die einzige Lösung, sondern nur eine von mehreren Herangehensweisen darstellt (vgl. ebd.).
Grundsätzlich sollen jeder Person durch (Weiter-)Bildung dieselben Möglichkeiten zur Teilhabe an der Gesellschaft sowie zur freien Entfaltung der Persönlichkeit offenstehen. Dass diese Möglichkeiten nicht in gleichem Maße bestehen, wenn es z.B. um die Beteiligung an betrieblicher Weiterbildung geht, bzw. gleiche Zugangsmöglichkeiten von verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterschiedlich stark in Anspruch genommen werden, zeigen die Studien des BSW (Berichtssystem Weiterbildung) und später des AES (Adult Education Survey) zum Weiterbildungsverhalten in Deutschland.
Das Augenmerk dieses Kapitels richtet sich vor diesem Hintergrund auf die Teilnahme an Weiterbildung und die hierbei beobachteten sozialen Ungleichheitsmuster nach sozialstrukturellen Merkmalen. Deutliche Unterschiede in der Weiterbildungsbeteiligung sind hier vor allem nach Bildungshintergrund, Erwerbsstatus und Migrationshintergrund erkennbar (BMBF 2014, S. 139).
Der aktuelle Trendbericht zum Weiterbildungsverhalten in Deutschland, der aus der Erhebung von TNS Infratest Sozialforschung im Auftrag des BMBF auf Grundlage des europäischen Adult Education Survey (AES) erhoben wird, bietet eine Übersicht über die Teilnahme der Bevölkerung in Deutschland an Weiterbildung2 im Zeitraum April 2011 bis Juni 2012.
Im Jahr 2012 verzeichnet das AES mit 49% die höchste Teilnahmequote an Weiterbildung seit Beginn der Messung im Jahr 19793 (vgl. BMBF 2013, S. 2). Damit ist die lange Phase der Stagnation bzw. des Rückgangs in der Weiterbildungsbeteiligung von 1997 bis 2010 überwunden und die von der Bundesregierung angestrebte Benchmark von 50% fast erreicht (vgl. BMBF 2014, S. 140).
Ein Aufwärtstrend konnte bei allen Altersgruppen ermittelt werden. Vor allem die jüngeren (18- bis unter 35-Jährige) und die älteren Gruppen (55- bis unter 65-Jährige) nehmen wieder stärker an Weiterbildung teil. Die Beteiligungsquote der mittleren Altersgruppe (35- bis unter 55-Jährige) liegt unter den Erwerbstätigen jedoch mit 56 bis 58% am höchsten, gefolgt von der jüngeren mit 52% und der ältesten Gruppe mit 46% (vgl. BMBF 2013, S. 3).
Betrachtet man die Weiterbildungsbeteiligung nach Weiterbildungssegmenten4, wird deutlich, dass der Gesamtzuwachs insbesondere auf die höhere Beteiligung an betrieblicher Weiterbildung zurückzuführen ist (vgl. BMBF 2014, S. 140). Mit einem Drittel ist im Jahr 2012 der Anteil der Personen, die an betrieblicher Weiterbildung teilnehmen, deutlich höher als im Jahr 2010, in dem die Beteiligung bei 26% lag. Betrachtet man jedoch ausschließlich die Erwerbstätigen, die in erster Linie Zugang zur betrieblichen Weiterbildung haben, beträgt das Teilnahmeniveau sogar 45% (vgl. ebd.).
Die Teilnahmequote an individuell-berufsbezogener Weiterbildung, die außerhalb von Betrieben stattfindet, stagniert seit 2007 bei etwa 12%, während die Teilnahme an nicht-berufsbezogener Weiterbildung in demselben Zeitraum von 10% auf 13% leicht ansteigt (vgl. BMBF 2014, S. 140).
Für die Weiterbildungsbeteiligung ist der Erwerbsstatus weiterhin von herausragender Bedeutung. Denn Erwerbstätige nehmen 2012 mit 56% am häufigsten an Weiterbildung teil. Ihnen folgen mit 51% Personen in schulischer oder beruflicher Ausbildung. Damit liegt ihre Beteiligungsquote fast doppelt so hoch wie die der Arbeitslosen (29%) und der sonstigen nicht-erwerbstätigen Personen (24%) (vgl. Bilger et al. 2013, S. 61). Da diese Rangfolge bereits in den Jahren 2007 und 2010 vorherrschte, scheint sich die Bedeutung des Erwerbsstatus für die Weiterbildungsbeteiligung verfestigt zu haben. Angesichts der zentralen Bedeutung der betrieblichen Weiterbildung für die Zunahme der Weiterbildungsbeteiligung insgesamt ist ein solches Ergebnis jedoch kaum überraschend, da Erwerbstätige naturgemäß einen viel höheren Zugang zu diesem Weiterbildungssegment haben als Arbeitslose und sonstige Nicht-Erwerbstätige (vgl. ebd.). Dennoch drängt sich hier die Frage nach Kompensationsmöglichkeiten für die gegenwärtig nicht erwerbstätigen Gruppen auf, vor allem wenn viele von ihnen in die Erwerbstätigkeit (zurück) streben. Denn auch an der individuellen berufsbezogenen Weiterbildung beträgt die Teilnahmequote von Arbeitslosen lediglich 17%. Mit 8% ist ihre Beteiligungsquote an nicht-berufsbezogener Weiterbildung ebenfalls sehr gering (vgl. Bilger et al. 2013, S. 63).
Auch verschiedene Beschäftigtengruppen haben unterschiedliche Zugangschancen zu betrieblicher Weiterbildung. Die Beteiligung steigt mit der Qualifikation an. Teilzeiterwerbstätige, ArbeiterInnen, Un-/ Angelernte und Geringverdienende werden nur selten in betriebliche Weiterbildung einbezogen. Vor allem BeamtInnen (einfacher/ mittlerer Dienst, gehobener und höherer Dienst) nahmen im Jahr 2012 mit 76% überdurchschnittlich häufig teil, Angestellte (ausführende, qualifizierte und höhere Angestellte) folgen mit 53%, während ArbeiterInnen (Un-/ Angelernte, FacharbeiterInnen oder Meister/ Techniker) sich mit 32% unterdurchschnittlich beteiligen (vgl. Behringer, Bilger und Schönfeld 2013, S. 155 ff.).
Der Anstieg der Weiterbildungsbeteiligung ist zwar (in unterschiedlich hohem Maße) in fast allen Bevölkerungsgruppen zu verzeichnen, die Differenzen zwischen ihnen haben sich aber kaum verändert. Die soziale Ungleichheitsstruktur in der Weiterbildungsbeteiligung besteht somit weiterhin fort (vgl. Bilger et al. 2013, S. 92). Neben den bereits erwähnten Ungleichheitsstrukturen bezogen auf die Merkmale "Alter", "Erwerbsstatus" und "berufliche Position", lassen sich auch Unterschiede in der Weiterbildungsbeteiligung entlang der Differenzlinien "Bildungshintergrund", "Geschlecht" und "Migrationshintergrund" feststellen.
So korreliert der Bildungshintergrund noch immer stark mit der Weiterbildungsbeteiligung: je höher die Bildung oder Ausbildung der Interviewten ist, desto höher ist auch die Weiterbildungsquote (vgl. Bilger et al. 2013, S. 93). Studienberechtigte Personen beteiligen sich doppelt so häufig an Weiterbildung wie Personen, die maximal über einen Hauptschulabschluss verfügen (vgl. BMBF 2014, S. 141).
In Bezug auf das Geschlecht lässt sich feststellen, dass die Beteiligungsquote an Weiterbildung bei Männern um 4% höher ausfällt als bei Frauen (vgl. Bilger et al. 2013, S. 93).
Bei Personen mit Migrationshintergrund5 (sowohl bei Deutschen als auch bei AusländerInnen) steigt, im Gegensatz zu Personen ohne Migrationshintergrund, die Beteiligung an Weiterbildung kaum bzw. stagniert seit 2007. Aus diesem Grund haben sich die Differenzen in der Weiterbildungsbeteiligung zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund deutlich zuungunsten von MigrantInnen verstärkt (vgl. Bilger et al. 2013, S. 90; vgl. BMBF 2014, S. 141). So beteiligen sich laut AES im Jahr 2012 Deutsche ohne Migrationshintergrund mit 52% am häufigsten an Weiterbildung. AusländerInnen und Deutsche mit Migrationshintergrund liegen mit 34% bzw. 33% deutlich zurück. Große Unterschiede können dabei vor allem im Segment der betrieblichen Weiterbildung festgestellt werden: die Beteiligungsquote der Personen ohne Migrationshintergrund liegt mit 38% deutlich höher als die der Deutschen mit Migrationshintergrund (22%) und der AusländerInnen (17%; vgl. Bilger et al. 2013, S. 90).
Diese Ergebnisse dürften allerdings ein leicht verzerrtes Bild der tatsächlichen Teilnahmequoten darstellen angesichts der Tatsache, dass die Befragung im AES ausschließlich in deutscher Sprache und ohne Übersetzungshilfen durchgeführt wurde, was zu einem Ausschluss von Personen mit geringen deutschen Sprachkenntnissen führte. Daher handelte es sich bei den Befragten mit Migrationshintergrund um eine positiv selektierte Gruppe hinsichtlich ihrer Deutschkenntnisse, womit die im AES berichteten Teilnahmequoten für diese Bevölkerungsgruppe eher überschätzt sein dürften (vgl. BMBF 2013, S. 3).
Die hier nach Teilgruppen der Bevölkerung differenziert dargestellten Beteiligungsquoten zeigen, dass trotz des Gesamtanstiegs der Teilnahme an Weiterbildung das bildungspolitische Ziel der Sicherung von Chancengleichheit in der Weiterbildungsbeteiligung lange nicht erreicht ist. Im Gegenteil: die unterschiedlichen Zugangschancen verdeutlichen, dass Weiterbildungsteilnahme einen wesentlichen gesellschaftlichen Selektionsprozess darstellt (vgl. Leschke, Offerhaus und Schömann 2013, S. 369).
Sozial und ökonomisch besonders problematisch sticht v.a. die mangelhafte Einbeziehung von Personen mit Migrationshintergrund, insbesondere im Hinblick auf die betriebliche Weiterbildung, hervor (vgl. BMBF 2014, S. 155).
Im Folgenden soll daher die Weiterbildungssituation speziell von MigrantInnen näher beleuchtet und dabei auch die Frage nach den Bedingungen, die zu Weiterbildungsentscheidungen führen bzw. diese verhindern, untersucht werden.
5. Weiterbildung von Personen mit Migrationshintergrund
Vor dem Hintergrund der Debatten über die demographische Entwicklung und aktuelle Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt sowie über die hohe Arbeitslosigkeit unter Zugewanderten und ihre Bildungsbenachteiligung rückt die Frage der Weiterbildung und Qualifizierung von Erwachsenen mit Migrationshintergrund in das Blickfeld der Integrationspolitik und der Bildungsplanung (vgl. Sprung 2008, S. 1; Öztürk 2012, S. 21). Nicht zuletzt auch deshalb, da die besondere Bedeutung der Weiterbildung für die soziale und berufliche Integration immer wieder betont wird (vgl. BMBF 2014).
In der Weiterbildungsforschung zeigt sich jedoch ein anderes Bild: Empirische pädagogische Forschungen sowie theoretische Reflexionen über die Migrationsthematik in der Weiterbildung sind nur in geringem Umfang vorhanden. Die Datenlage zur Weiterbildungssituation von Personen mit Migrationshintergrund ist in Deutschland defizitär (vgl. Öztürk 2012, S. 21). Die Weiterbildungsforschung hat sich relativ spät den eingewanderten Erwachsenen als Ziel- und Teilnehmergruppe zugewandt. Das Berichtssystem Weiterbildung (BSW), das seit 1979 das Weiterbildungsverhalten in Deutschland beobachtet, bezog erst seit 1997 deutschsprachige AusländerInnen in die Befragung ein. Der Migrationshintergrund wurde sogar erst 2003 erstmalig erfasst (vgl. BMBF 2006, S. 135).
Die Analysen der Erhebungen des BSW und des darauf folgenden AES verdeutlichen, dass Personen mit Migrationshintergrund in der Weiterbildung, insbesondere in der betrieblichen, unterrepräsentiert sind (vgl. BMBF 2006, S. 139 f.; Bilger et al. 2013, S. 90). Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass der Migrationshintergrund in beiden Erhebungen nur unzureichend operationalisiert wird6, da die notwendige Differenzierung der sozial und kulturell heterogenen Gruppe von Zugewanderten fehlt. Auf diese Art kann z.B. der familiale Migrationshintergrund in beiden Monitoring-Systemen nicht dargestellt werden. Dieser sei aber Bilger (2006) zufolge für die Bildungsforschung bedeutsam, da "bei Personen mit zumindest familialem Migrationshintergrund [...] in der Regel mit einem etwas anderen ethnischen, religiösen und sprachlichen Hintergrund zu rechnen [sei] als bei der deutschen Bevölkerung ohne Migrationshintergrund" (S. 23). Angesichts der Heterogenität der Gruppe der Zugewanderten ist es problematisch, diese als einheitliche Zielgruppe von Weiterbildung zu betrachten. Ihre Zugangsmöglichkeiten zu Weiterbildung sind durch ihren jeweiligen rechtlichen Status bedingt. Für AussiedlerInnen gelten beispielsweise andere Weiterbildungsregelungen als für angeworbene AusländerInnen. Sie haben aufgrund ihres rechtlichen Status als Deutsche umfassendere Weiterbildungsmöglichkeiten (vgl. Brüning 2006, S. 43). Neben den ArbeitsmigrantInnen aus den südeuropäischen ehemaligen Anwerbeländern und den AussidlerInnen lassen sich noch die politischen Flüchtlinge und AsylbewerberInnen sowie Zugewanderte aus EU-Ländern und sonstige Personen, die sich im Rahmen der internationalen Arbeitsmarktmobilität in Deutschland aufhalten, als Migrationsgruppen mit quantitativem Gewicht unterscheiden (vgl. Bilger 2006, S. 23). Durch diese unterschiedlichen Zuordnungsmöglichkeiten und die Heterogenität der Migrationsgruppen gestaltet sich die Datenerhebung kompliziert, sie ist jedoch notwendig, um passgenaue Weiterbildungsangebote für die Erwachsenen mit Migrationshintergrund und ihre heterogenen Bedürfnisse entwickeln zu können (vgl. Brüning 2006, S. 45).
Trotz der wenigen empirischen Erkenntnisse zum Weiterbildungsverhalten von Personen mit Migrationshintergrund lassen sich auf Grundlage von Mikrozensus- sowie SOEP-Daten gewisse Trends der Beteiligung an Weiterbildung ablesen. Diese sollen im Folgenden anhand relevanter Bildungserhebungen aufgezeigt werden. Dabei muss einschränkend vorangestellt werden, dass sich die Erhebungen teilweise auf geringe Fallzahlen beziehen und die Befragungen in den meisten Fällen nur in deutscher Sprache stattfinden, somit also nur bzw. überwiegend Personen einbeziehen, die ausreichend Deutsch beherrschen. Die offensichtliche Diskrepanz der Prozentsätze für die Weiterbildungsbeteiligung in den verschiedenen Erhebungen ergibt sich aus den divergierenden Parametern, wie z.B. in Bezug auf den Erhebungszeitraum oder die einbezogenen Altersgruppen. Allerdings ist dies mit Blick auf die hier interessierenden Gesichtspunkte wie die Relationen zwischen den Gruppen bzw. Bildungsbereichen zu vernachlässigen.
Nachfolgend werden die wichtigsten Ergebnisse zur Weiterbildungsbeteiligung von MigrantInnen in Deutschland, die Kursarten und -inhalte, die sie in Anspruch nehmen sowie persönliche Rahmenbedingungen für eine Weiterbildungsentscheidung beleuchtet.
5.1 Ergebnisse im Überblick
Wie oben bereits beschrieben, sind Personen mit Migrationshintergrund in der Weiterbildung unterrepräsentiert. Laut AES hat neben dem Alter vor allem der Migrationshintergrund einen starken Einfluss auf die Weiterbildungsbeteiligung. Selbst wenn man Faktoren wie Erwerbsstatus und berufliche Stellung in den Erhebungen neutralisiert, bleibt dieser Effekt bestehen. So haben Personen mit Migrationshintergrund eine 40% geringere Chance auf Weiterbildung als die autochthone Bevölkerung (vgl. Hartmann, Kuper und Unger 2013, S. 97 f.).
Nach Daten des Mikrozensus7 2012 nehmen nur 9% der Personen mit Migrationshintergrund8 an Weiterbildung teil, während die Beteiligungsquote von Personen ohne Migrationshintergrund bei 17% liegt. Vor allem in der beruflichen Weiterbildung sind Zugewanderte unterrepräsentiert, da hier die Beteiligungsquote von Personen ohne Migrationshintergrund (15%) fast dreifach so hoch liegt wie die von Personen mit Migrationshintergrund (6%). Bei der Beteiligung an allgemeiner Weiterbildung sind hingegen keine Unterschiede zwischen den betrachteten Gruppen feststellbar (vgl. BMBF 2014, S. 145).
In Bezug auf den Bildungshintergrund zeigt sich im Mikrozensus für die Weiterbildungsbeteiligung von Personen mit Migrationshintergrund ein ähnlicher Zusammenhang wie für die autochthone Bevölkerung, allerdings durchgehend auf einem niedrigeren Teilnahmeniveau: Die Beteiligungsquote von Zugewanderten, die höchstens die Hauptschule abgeschlossen haben, beträgt 4%, von denjenigen, die die mittlere Reife besitzen, 10% und von Personen mit Hochschulreife 15%. Die Beteiligungsquoten von Personen ohne Migrationshintergrund liegen auf allen Bildungsebenen doppelt so hoch (vgl. BMBF 2014, S. 145 f.).
Zwischen der ersten und der zweiten Zugewandertengeneration lassen sich in der Weiterbildungsteilnahme beträchtliche Unterschiede feststellen: Bei Zugewanderten mit eigener Migrationserfahrung beteiligen sich die jüngeren Altersgruppen (15 bis unter 45 Jahren) deutlich häufiger an Weiterbildung als die älteste Gruppe. Bei Personen ohne eigene Migrationserfahrung zeigt sich das umgekehrte Bild: die jüngste Altersgruppe nimmt hier nur zu 4% an Weiterbildung teil, während sich die älteste Gruppe zu 16% beteiligt (vgl. ebd. S.146).
Es ergeben sich auch starke Differenzen in der Weiterbildungsbeteiligung verschiedener Migrationsgruppen: mit 15% weisen die Personen mit einem Migrationshintergrund aus Westeuropa die höchste Weiterbildungsbeteiligung auf, gefolgt von den Zugewanderten aus den neuen EU-Mitgliedstaaten wie den baltischen Staaten, Slowenien, Slowakei, Tschechien, Ungarn, Malta und Zypern mit 12% und aus Bulgarien und Rumänien mit 10%. Die geringsten Beteiligungsquoten weisen mit 6% Zugwanderte aus dem sonstigen ehemaligen Jugoslawien und mit 5% aus der Türkei auf (vgl. BMBF 2014, S. 146).
5.2 Kursarten und -inhalte
Zugewanderte Personen nehmen sowohl an zielgruppenspezifischen als auch an unterschiedlichen Angeboten der berufsbezogenen und allgemeinen Weiterbildung teil, die nicht speziell an MigrantInnen orientiert sind. Zu den ersteren zählen überwiegend Sprachkurse und Kurse zur Berufs- bzw. Ausbildungsvorbereitung und -unterstützung sowie die Integrationskurse für MigrantInnen, zu denen auch spezielle Kursarten wie Alphabetisierungskurse und spezielle Angebote für Frauen zählen (vgl. Hamburger 2011, S. 886).
Hinsichtlich der Teilnahme an berufsbezogenen Bildungsangeboten zeigen auch SOEP-Daten9, dass Personen mit Migrationshintergrund10 gegenüber Deutschen ohne Migrationshintergrund unterrepräsentiert sind. Öztürk (2011) stellt hierbei einen Generationeneffekt fest. Demnach beteiligten sich MigrantInnen der zweiten Generation insgesamt deutlich häufiger an beruflicher Weiterbildung als Zugewanderte der ersten Generation (vgl. S. 226). Dies sei vor allem darauf zurückzuführen, dass insbesondere AusländerInnen der ersten Generation besonders häufig als Geringqualifizierte angestellt und somit "in weniger weiterbildungsaktiven Branchen oder Berufen beschäftigt [seien]" (ebd. S. 232). Auch das AES zeigt, dass Beschäftigte mit Migrationshintergrund oder ausländischer Staatsangehörigkeit deutlich häufiger als deutsche Beschäftigte über keine Berufsausbildung verfügen. Fast 50% der befragten MigrantInnen sind in Berufen tätig, für die keine berufliche Ausbildung erforderlich ist, während der entsprechende Anteil bei Personen ohne Migrationshintergrund bei 17% liegt (vgl. Behringer, Bilger und Schönfeld 2013, S. 153). Wie oben bereits ausgeführt, sind jedoch gerade die berufliche Position und der Bildungshintergrund entscheidende Einflussfaktoren für die Beteiligung an beruflicher bzw. betrieblicher Weiterbildung.
In Bezug auf nicht-berufsbezogene Weiterbildung nehmen Deutsche mit Migrationshintergrund hinsichtlich einer Gesamtteilnahmequote von 13% mit einem Anteil von 7% unterdurchschnittlich teil (vgl. Gnahs, Kuper und Reichart 2013, S.181). Die Teilnahme von AusländerInnen an nicht-berufsbezogener Weiterbildung liegt mit 12% ungefähr auf dem Niveau der autochthonen Bevölkerung (13%). Dies könnte jedoch auch darauf zurückzuführen sein, dass ausländische Personen besonders häufig Integrations-/ Sprachkurse besuchen (vgl. Bilger, Gensicke und Seidel 2013, S. 134 f.) Es kann davon ausgegangen werden, dass dies vor allem zur Verbesserung bzw. zum Erlernen der deutschen Sprache geschieht.
In Hinblick auf die Lern- und Themenfelder zeigt das AES, dass sich Deutsche mit und ohne Migrationshintergrund in ähnlichen Themengebieten weiterbilden. Sie besuchen zu jeweils etwa einem Drittel Veranstaltungen zum Thema "Wirtschaft, Arbeit, Recht" und zu je einem Viertel zum Thema "Natur, Technik, Computer". AusländerInnen weichen insofern ab, als dass sie das Themenfeld "Wirtschaft, Arbeit, Recht" unterdurchschnittlich und das Themenfeld "Sprachen, Kultur, Politik" überdurchschnittlich oft nachfragen, was vorrangig dem Erlernen der deutschen Sprache dient (vgl. ebd.).
5.3 Teilnahmemotive, subjektiver Nutzen und Finanzierung
Im AES 2012 richtete sich die Frage nach den Teilnahmemotiven ausschließlich an Teilnehmende von Weiterbildung. Zu den elf vorgegebenen Antwortmöglichkeiten gehörten:
- "Berufliche Tätigkeit besser ausüben"
- "Wissen bzw. Fähigkeiten zu einem interessierenden Thema erweitern"
- "Kenntnisse bzw. Fähigkeiten erwerben, die ich im Alltag nutzen kann"
- "Berufliche Chancen verbessern"
- "Verpflichtung zur Teilnahme"
- "Sicherung des Arbeitsplatzes"
- "Erwerb eines Zertifikats oder Prüfungsabschlusses"
- "Verbesserte Aussichten auf einen Arbeitsplatz oder neue Stelle"
- "Leute kennenlernen und Spaß haben"
- "Ehrenamtliche Tätigkeit besser ausführen können"
- "Mich selbstständig machen"
(vgl. Kuwan/ Seidel 2013a, S. 227).
Mit 60% wird das Motiv "Berufliche Tätigkeit besser ausüben" am häufigsten von den Befragten genannt. Mit etwas Abstand folgen die Weiterbildungsmotive des thematischen Interesses (44%) und des Erwerbs von Alltagskompetenzen (43%). Die restlichen Antwortmöglichkeiten finden deutlich seltener Zustimmung (vgl. ebd. S. 227 f.).
Die Teilnahmemotive von AusländerInnen und Deutschen ohne Migrationshintergrund weisen auf den ersten Blick erhebliche Unterschiede auf, die jedoch zu einem wesentlichen Teil auf die unterschiedlichen Erwerbsquoten der beiden Gruppen zurückgeführt werden können. Bezieht man ausschließlich Erwerbstätige in die Betrachtung ein, nehmen die Abweichungen deutlich ab. Jedoch bleiben auch innerhalb der Gruppe der Erwerbstätigen zwei Hauptunterschiede bestehen: Im Vergleich zu ausländischen Personen nannten autochthone Befragte das Motiv, die berufliche Tätigkeit besser ausüben zu können, deutlich häufiger (mit einer Differenz von zwölf Prozentpunkten), während die Motivation, die Aussichten auf einen (anderen) Arbeitsplatz zu verbessern, von AusländerInnen um sieben Prozentpunkte öfter als von Deutschen ohne Migrationshintergrund angeführt wurde (vgl. ebd. S. 229). Die Angaben der Deutschen mit Migrationshintergrund liegen zwischen denen der autochthonen Befragten und der ausländischen Personen. In Bezug auf das Teilnahmemotiv "bessere Aussichten auf einen Arbeitsplatz" liegt die Quote näher bei der der AusländerInnen, bei dem Motiv "berufliche Tätigkeit besser ausüben" liegt ihr Anteil jedoch ähnlich hoch wie der der autochthonen Befragten (vgl. ebd. S. 230).
Einige der genannten Motive lassen auf Nutzenerwartungen der Befragten schließen, die sie mit einer Weiterbildungsteilnahme verbinden. Im AES wurden daher auch subjektive Nutzeneinschätzungen von besuchten Weiterbildungsmaßnahmen erhoben. Es konnte eine hohe Gesamtzufriedenheit mit dem direkten Nutzen der Weiterbildung festgestellt werden. Bei 94% der Weiterbildungsaktivitäten konnten die Teilnehmenden dem, was sie in der Weiterbildung gelernt haben oder noch lernen, einen großen Nutzen abgewinnen. Eine niedrigere Zufriedenheit ergab sich nur bei individuell-berufsbezogenen Weiterbildungsaktivitäten (87%), bei ausländischen Personen (89%), Arbeitslosen (80%) und bei von der Arbeitsagentur veranlassten Maßnahmen (70%). Diejenigen, die mit dem Gelernten unzufrieden waren, nannten als häufigste Gründe hierfür mit 42% die mangelnde Qualität des Unterrichts, mit 38% das nicht passende Thema der Weiterbildung und mit 35% zu geringe Anforderungen (vgl. Behringer, Gnahs und Schönfeld 2013, S. 195).
Erwerbstätige (45%) stufen Weiterbildungsaktivitäten deutlich häufiger als nützlich ein als Arbeitslose (31%). Im Vergleich zu Deutschen mit und ohne Migrationshintergrund, bei denen keine Unterschiede hinsichtlich der Nutzenbewertung von Weiterbildung auftreten (jeweils 45%), gehen AusländerInnen (40%) seltener davon aus, die dort erworbenen Kenntnisse nutzen zu können (vgl. ebd. S. 197 f.).
In Bezug auf berufliche Nutzenaspekte haben Deutsche mit Migrationshintergrund deutlich höhere Erwartungen an die Weiterbildung als autochthone Befragte, vor allem bei den (vorgegebenen) Kategorien "einen Arbeitsplatz oder einen neuen Job zu finden" (22% vs. 15%), "eine höhere Position im Beruf zu erhalten" (22% vs. 12%) und "ein höheres Gehalt zu bekommen" (18% vs. 11%). AusländerInnen haben hingegen bezüglich vieler beruflicher Nutzenaspekte niedrigere Erwartungen als die beiden anderen Gruppen. Ausgenommen sind hier die Erwartungen, einen neuen Arbeitsplatz (22%) bzw. ein höheres Gehalt (11%) zu erhalten (vgl. ebd. S. 202).
Die Nutzenbewertung von Weiterbildung hängt besonders mit dem Erhalt und der Art der Zertifikate, die dort erworben werden können, zusammen: "Vor allem bei Weiterbildung, die mit einem staatlich anerkannten Bildungsabschluss abschließt oder, etwas schwächer ausgeprägt, zu einem Zertifikat mit bundesweiter Gültigkeit führt, werden die erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten besonders häufig als sehr gut nutzbar eingestuft" (ebd. S. 197). Dabei erhielten die Teilnehmenden im Jahr 2012 bei einem Fünftel der erfassten Weiterbildungsaktivitäten einen qualifizierten Leistungsnachweis, bei weiteren zwei Fünfteln wurden Teilnahmebescheinigungen dokumentiert. Die restlichen 40% endeten ohne jedwede Bescheinigung (ebd. S. 208). Für jede zweite von AusländerInnen besuchte Weiterbildungsveranstaltung wird keinerlei Bescheinigung ausgestellt. Ferner erhalten sie besonders selten qualifizierte Leistungsnachweise. Im Gegensatz dazu beteiligen sich Deutsche mit Migrationshintergrund häufig an Weiterbildungsmaßnahmen, die mit einem Teilnahmenachweis abschließen (65%) und erhalten mit 25% sogar öfter einen qualifizierten Leistungsnachweis als autochthone Befragte (vgl. ebd. S. 205).
Zu den subjektiven Randbedingungen, die die Entscheidung für oder gegen eine Weiterbildung beeinflussen, gehören auch die damit verbundenen individuellen Kosten. Im AES wurden deshalb die direkten Weiterbildungskosten, also die tatsächlichen Ausgaben wie Teilnahmegebühr, Fahrtkosten, Kosten für Lernmaterial, Unterkunft und Ähnliches, erfasst. Dabei kann ein Teil der Kosten durch ArbeitgeberInnen und Staat refinanziert werden, wobei je nach Weiterbildungssegment ausgeprägte Unterschiede bestehen: In der nicht-berufsbezogenen Weiterbildung übernehmen 61% der Teilnehmenden vollständig die entstehenden direkten Kosten, in der individuellen berufsbezogenen Weiterbildung tragen 45% die direkten Kosten selbst und in der betrieblichen Weiterbildung liegt der Anteil erheblich geringer bei 6% (vgl. Behringer et al. 2013, S. 207). Arbeitslose und Auszubildende haben jährlich deutlich niedrigere Weiterbildungskosten als Erwerbstätige, da sie relativ selten an Weiterbildung teilnehmen (können), für die sie die Kosten selbst übernehmen müssen. AusländerInnen und Personen mit Migrationshintergrund haben deutlich höhere jährliche Weiterbildungskosten pro Teilnehmenden (414 Euro bzw. 387 Euro) als autochthone Personen mit 290 Euro pro Teilnehmenden (vgl. ebd. S. 191 f.).
[...]
1 Nach Andreas Zoerner (2001) äußert sich Modernisierung "als Entgrenzung, als Überwindung traditioneller (sittlicher, ökonomischer, räumlicher) Beschränkungen mit der Folge der Zunahme individueller Handlungsoptionen bei gleichzeitig zunehmender Unübersichtlichkeit von Handlungsfolgen" (ebd. S. 4). Die Charakteristika der modernen Gesellschaft bilden Zoerner zufolge Bewegungen wie die funktionale Differenzierung, der zunehmende Wertepluralismus, die wachsende Wahlfreiheit, die Individualisierung und Globalisierung (vgl. ebd. S. 4 ff.).
2 Grundlage des Trendberichts ist eine repräsentative Erhebung, für die in Deutschland ca. 7000 Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren durch CAPI-Interviews (Computer Assisted Personal Interviewing) befragt wurden. Die Teilnahmequoten beziehen sich auf non-formale Bildungsmaßnahmen, die in den letzten 12 Monaten stattfanden.
3 Von 1979 bis 2006 wurde das Weiterbildungsgeschehen in Deutschland durch das Berichtssystem Weiterbildung (BSW) untersucht. Im Jahr 2007 wurde das BSW durch das AES abgelöst.
4 Das AES differenziert zwischen betrieblicher, individuell berufsbezogener und nicht-berufsbezogener Weiterbildung. Als betriebliche Weiterbildung gelten alle Aktivitäten, "die während der Arbeitszeit oder einer bezahlten Freistellung stattfinden oder für die der Arbeitgeber Kosten übernimmt" (Bilger/ Kuper 2013, S. 36). Zu der individuellen berufsbezogenen Weiterbildung gehören alle nicht-betrieblichen Weiterbildungsaktivitäten, die aus beruflichen Gründen erfolgen. Nicht-berufsbezogene Weiterbildung findet aus privaten Gründen und nicht-betrieblich statt (vgl. ebd.).
5 Bei der Operationalisierung des Migrationshintergrundes werden im AES lediglich die beiden Merkmale "Staatsangehörigkeit deutsch? Ja/Nein" und "Erstsprache Deutsch? Ja/Nein" erhoben. Damit lassen sich drei Gruppen unterscheiden: erstens Deutsche ohne Migrationshintergrund, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und deren Erstsprache deutsch ist, zweitens Deutsche mit Migrationshintergrund, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und deren Erstsprache eine andere als die deutsche Sprache ist und drittens AusländerInnen, die eine andere als die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (vgl. Bilger et al. 2013, S. 90).
6 Das BSW erfasst den Migrationshintergrund (neben der Frage nach der Staatsangehörigkeit) über folgende Fragen: lebte der Befragte schon immer in Deutschland? Wenn nicht, seit wie vielen Jahren lebt die Befragungsperson in Deutschland? In welchem Land ist die Befragungsperson überwiegend aufgewachsen? (vgl. BMBF 2006, S. 139).
7 Der Mikrozensus bietet Informationen über die allgemeine und berufliche Weiterbildungsteilnahme in Form von Kursen, Seminaren, Lehrgängen, Tagungen u.a. der 15- bis unter 66-Jährigen in den letzten zwölf Monaten. Aufgrund der unterschiedlichen Erhebungsmethoden der Weiterbildungsbeteiligung ist ein direkter Vergleich mit dem AES nicht möglich.
8 Im Mikrozensus wird in Bezug auf den Migrationshintergrund, im Unterschied zum AES, nach eigener bzw. familiärer Migrationserfahrung unterschieden. Zudem ist die Zellenbesetzung bei Differenzierung nach Herkunftsstaaten größer.
9 Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist eine vom DIW Berlin beauftragte repräsentative Wiederholungsbefragung, die seit 1984 läuft. Jedes Jahr werden in Deutschland von etwa 30.000 Personen Daten zu Fragen über Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung oder Gesundheit erhoben. Als Teilnehmende an beruflicher Weiterbildung werden in der hier vorgestellten Untersuchung Personen definiert, die sich während der Referenzjahre 2005 bis 2008 an mindestens einem berufsbezogenen Kurs oder Lehrgang beteiligt haben. Dabei wurden nur diejenigen Personen berücksichtigt, die im Untersuchungszeitraum einer befristeten oder unbefristeten Voll- oder Teilzeitbeschäftigung nachgingen und zwischen 19 und 64 Jahre alt waren (vgl. Öztürk 2011, S. 224).
10 Der Migrationshintergrund sowie die Generationenlagerung wurden durch Angaben zum Geburtsland, zur Staatsangehörigkeit, zum Einwanderungsstatus und -alter erhoben. Die erste Generation umfasst Personen, die nicht in Deutschland geboren und nach ihrem sechsten Lebensjahr zugewandert sind. Als zweite Generation werden Personen bezeichnet, die in Deutschland geboren oder vor ihrem sechsten Lebensjahr zugewandert sind (vgl. Öztürk 2011, S. 225).
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