Überfüllte Kinderheime und Kinderpsychiatrien sind in Deutschland ein kaum beachtetes, aber deswegen nicht weniger wichtiges Thema. Vor allem bei der Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit einer Behinderung besteht dringender Handlungsbedarf. Doch Erzieher müssen oft erst den richtigen Umgang mit herausfordernden Verhaltensweisen der betroffenen Kinder und Jugendlichen lernen.
Welche Situationen führen in der intensiv-therapeutischen Heimerziehung zu Konflikten und Aggression? Wie kann man diese Verhaltensweisen so erklären, dass alle Mitarbeiter sie verstehen? Welche Strategien helfen bei herausfordernden Verhaltensweisen?
In seinem Buch beschreibt Peter Schidla kritische Situationen, die bei der Betreuung von Kindern und Jugendlichen auftreten können. Ein besonderes Augenmerk legt er dabei auf die Erfahrung der Erziehenden. Schidla erklärt, wie sie Konflikte mit den Kindern und Jugendlichen am besten lösen.
Aus dem Inhalt:
- Konfliktlösung;
- aggressives Verhalten;
- Betreuung von Kindern mit Behinderung;
- Deeskalation;
- Verhaltenspsychologie
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Hintergrund
2.1 Intensiv-therapeutische Heimerziehung
2.2 Herausfordernde Verhaltensweisen
2.3 Verhaltensorientierte Strategien
3 Forschungsfragen und Zielsetzung
4 Methode
4.1 Erfassen und Prüfen herausfordernder Situationen
4.2 Exemplarische Verhaltensanalysen
4.3 Evidenzbasierte Interventionsstrategien
5 Ergebnisse
5.1 Erfasste Situationen und Umweltbedingungen
5.2 Funktionale Erklärungen
5.3 Interventionsstrategien
6 Diskussion
6.1 Bezug zu den Forschungsfragen
6.2 Forschungsmethodische Einschränkungen
6.3 Erkenntnisse für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
6.4 Auswirkungen für die Einrichtung
6.5 Empfehlungen
Schlusswort
Literaturverzeichnis
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Impressum:
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Ein Imprint der GRIN Publishing GmbH, München
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Covergestaltung: GRIN Publishing GmbH
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Der multiple Förder- und Handlungsbedarf
Abbildung 2: Dokument "Meldung über erzieherische Maßnahmen im Umgang mit Konflikten und Aggression bis Selbst- und Fremdgefährdung"
Abbildung 3: Function-Based Intervention Decision Modell
Abbildung 4: Die typischen Angriffsphasen (Breakwell, 1998, S. 56)
Abbildung 5: Teambefragung zur Auswahl von Situationen am
Abbildung 6: Best Practice Guidelines for Conducting FCT
Abbildung 7: Überblick "Errorless Learning Techniques" (Mueller et al., 2007, p. 696)
Abbildung 8: Übersicht über lernpsychologisch begründete Maßnahmen der Verhaltensmodifikation
Abbildung 9: Übersicht ermittelter evidenzbasierter Handlungsstrategien
Abbildung 10: Ausgewählte Interaktionssequenzen im Phasenmodell der Gewalt nach Breakwell (1998, S. 56)
Abbildung 11: Parallele Interaktionsdynamiken im Klienten- und Hilfesystem
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Grundlegende Begriffe der Verhaltensdiagnostik (Schermer, 2016, S. 20)
Tabelle 2: Funktionsmatrix zitiert nach Umbreit et al. (2007, p. 84)
Tabelle 3: Auswertungsmatrix zur Bestimmung der Funktion des Verhaltens
Tabelle 4: Ablauf der funktionalen Analyse im Vergleich zur Methodik eines FBA
Tabelle 5: Übersicht herausfordernde Situationen von 12.09.2019 bis
Tabelle 6: A-B-C-Schema zu Situation
Tabelle 7: A-B-C-Schema zu Situation
Tabelle 8: A-B-C-Schema zu Situation
Tabelle 9: A-B-C-Schema zu Situation
Tabelle 10: A-B-C-Schema zu Situation
Tabelle 11: A-B-C-Schema zu Situation
Tabelle 12: A-B-C-Schema zu Situation
Tabelle 13: A-B-C-Schema zu Situation
Tabelle 14: A-B-C-Schema zu Situation
Tabelle 15: A-B-C-Schema zu Situation
Tabelle 16: A-B-C-Schema zu Situation
Tabelle 17: A-B-C-Schema zu Situation
Tabelle 18: A-B-C-Schema zu Situation
Tabelle 19: A-B-C-Schema zu Situation
Tabelle 20: A-B-C-Schema zu Situation
Tabelle 21: Ergebnis der Mitarbeiterbefragung am
Tabelle 22: Ergänztes A-B-C-Schema zu Verhaltensanalyse
Tabelle 23: Verhaltensanalyse
Tabelle 24: Ergänztes A-B-C-Schema zu Verhaltensanalyse
Tabelle 25: Verhaltensanalyse
Tabelle 26: Ergänztes A-B-C-Schema zu Verhaltensanalyse
Tabelle 27: Verhaltensanalyse
Tabelle 28: Ergänztes A-B-C-Schema zu Verhaltensanalyse
Tabelle 29: Verhaltensanalyse
Tabelle 30: Übersicht der Mitarbeiterreaktionen zu den analysierten Situationen
Tabelle 31: Überblick operanter Interventionstechniken (Schermer, 2016, S. 68 ff.)
Tabelle 32: Überblick Mitarbeiterreaktionen zu operanten Interventionstechniken
Tabelle 33: Suchergebnisse evidenzbasierter Interventionsstrategien
1 Einleitung
Im August 2019 wurde der Film „Systemsprenger“ von Nora Fingerscheidt als deutscher Vorschlag für die Kategorie „bester internationaler Film“ bei der Oscarverleihung 2020 ausgewählt. Bis dato gewann der Film mehrere internationale Filmpreise, unter anderem einen silbernen Bären bei der Berlinale 2019. Das Drehbuch und die Umsetzung scheint ein Thema zu behandeln, welches weltweit begeistern bzw. auf- oder berühren kann.
In dem Film geht es um die Geschichte eines neunjährigen Mädchens, welches aggressiv wie unberechenbar ist und aufgrund ihres Verhaltens durch das Raster der deutschen Hilfesysteme fällt. Weder ihre Mutter, die Förderschule, das Jugendamt, verschiedene Jugendhilfeeinrichtungen, Pflegefamilien, ein Anti-Gewalttrainer oder Psychiatrien finden einen Weg diesem Kind einen sicheren Entwicklungsrahmen zu geben bzw. zu nötigen Verhaltensänderungen zu verhelfen. In einem Interview zum Film antwortet die Regisseurin auf die Frage, ob es in dem Film auch um einen gesellschaftlichen Diskurs geht wie folgt:
„Ja, um einen Diskurs über Gewalt und Aggression, die ja vor allem bei Kindern oft aus Angst entstehen, und unseren Umgang damit. Darum, was hinter den auch nachvollziehbaren Impulsen steckt, diese Kinder wegsperren zu wollen, weil andere zu schützen sind. Wer von uns hat auf dem Schirm, dass es noch immer Kinderheime gibt und Kinderpsychiatrien, die überall übervoll sind und lange Wartelisten haben? Es ist eher ein gesellschaftliches Randthema in Deutschland. Es geht aber auch darum, über all die Betreuerinnen und Betreuer nachzudenken, die in ihrem harten und nicht im nötigen Maß geschätzten Beruf oft extrem überlastet sind.“ (Fingerscheidt, 2019, S. 9)
Für Kenner des Jugendhilfesystems werden in diesem Film mehrere Diskussionen geöffnet bzw. wird auf reale Missstände hingewiesen. Es geht um eine inhaltliche und wissenschaftliche Diskussion innerhalb der professionellen Jugendhilfe, die scheinbar (zu) wenig geführt wird. Es geht um „Macht und Ohnmacht in der Erziehung“, welche die Handlungssicherheit professioneller Helfer einschränken kann, wie von Corsten und Stoppel (2011) beschrieben. Aus Sicht des Systems spricht man von einer „Hoch-Risiko-Klientel“, wie es Prof. Menno Baumann (2019) benennt, der auch bei der Entstehung des Filmes mitwirkte. In der Reaktion auf derart extremes Verhalten geht es aber auch um die Frage, wie man dabei das Recht auf gewaltfreie Erziehung (§1631 Abs. 2 BGB) oder überhaupt Erziehung (§1 SGB VIII) gewährleisten kann. Eskalationen können im Prozess zu „freiheitsbeschränkenden“ oder sogar „freiheitsentziehenden“ Maßnahmen führen, vor allem im Kontext von Selbst- und Fremdgefährdung“ (§1631b BGB). Es geht um die Schnittstelle von Jugendhilfe, Schule, Psychiatrie, Polizei, Gerichten und sonstigen Beteiligten bei der Bewältigung dieser Problematik, welche aktuell besonders relevant in Bezug auf eine diskutierte Veränderung des SGB VIII erscheint. Abstrakt geht es um die Weiterentwicklung und Handlungsfähigkeit des deutschen Jugendhilfesystems. Es geht um die Verantwortung für Menschen, die einen langen Weg des Scheiterns, Weiterreichens und Entlassens hinter sich haben. Konkret geht es um junge Menschen, die sich zunehmend keiner (mehr) „zu-mut-et“. Weder Eltern, Helfer oder Professionelle unterschiedlicher Berufsgruppen, die ab einem gewissen Zeitpunkt einfach nur verzweifelt sind. Im zitierten Interview erwähnt die Regisseurin außerdem, dass sie keinen Dokumentarfilm über dieses Thema drehen wollte, weil die Realität dieser jungen Menschen ihr noch viel schlimmer erscheine. In jahrelangen Recherchen, in denen sie selbst in Einrichtungen der Jugendhilfe und Psychiatrie gearbeitet hat, musste sie vor Fertigstellung des Films eine Pause machen, weil ihr die Schicksale dieser Menschen persönlich so nahe gingen. Dies könnte man deutschlandweit anhand etlicher Beispiele untermauern.
Auch in Würzburg gibt es einen zunehmenden Bedarf an speziellen Einrichtungen, die sich unter anderem an jene junge Menschen richtet. Als Beispiel sei der Fall der Klinik am Greinberg Würzburg, kinderpsychiatrische Intensiveinheit der Uniklinik Würzburg, benannt. In dieser Spezialklinik gibt es fünfzehn Plätze zur Behandlung schwerbehinderter und zugleich psychisch kranker Kinder. Die Klinik war die erste ihrer Art in Bayern und ermöglicht die Diagnostik und Behandlung äußerst komplexer Störungsbilder. Die vorhandenen Behandlungsplätze können seit Dezember 2017 nicht mehr voll belegt werden. Zum einen liegt das an den aufgenommenen Kindern und Jugendlichen, welche derartige Verhaltensauffälligkeiten zeigen, dass ein erhöhter Betreuungsaufwand notwendig ist. Als Beispiel wird in mehreren lokalen Presseartikeln ein elfjähriges Mädchen benannt, welches teilweise die Klinik „lahm gelegt“ sowie Mitpatienten und Mitarbeiter schwer verletzt habe. Zum anderen gehe es um derart kranke und sehr aggressive Kinder, „die niemand in Deutschland aufnehmen möchte“, so Chefarzt Prof. Dr. Romanos (Rauch, 2019). Das bedeutet, dass es scheinbar (zu) wenige oder keine Einrichtungen der Behinderten- oder der Jugendhilfe gibt, die sich zutrauen diese Menschen noch zu erziehen. Die Klinik zeigt dabei auch nur eine Seite des Problems auf. Auf der anderen Seite sind es Jugendämter und Behörden, Vormünder und Eltern, Förderschulen und Verwandte, die auch verantwortlich und überfordert sind beim Versuch Kindeswohl sicherzustellen bzw. ihrem erzieherischen Auftrag gerecht zu werden.
Aktuell gibt es hierzu gesellschaftliche Diskussionen auf verschiedenen Ebenen, die unter anderem die Weiterentwicklung und die Grenzen der Jugendhilfe betreffen. Ob und bis wann dieser Prozess konkrete Ergebnisse bringt ist nicht bekannt. Blickt man auf die Klinik am Greinberg ist ersichtlich, wie groß der Handlungsbedarf für die jungen Menschen ist. Die von der Bundesregierung im Rahmen der aktuellen Überlegungen der Anpassung des SBG VIII vorgeschlagene intensive Kooperation aller beteiligten Stellen gibt es in Würzburg bereits seit über 20 Jahren. Im sogenannten „Würzburger Modell“ (vgl. Adams, 2016) wurde eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Schule, Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie im organisatorischen wie räumlichen Verbund geschaffen. Das Modell ist Ausdruck des Erfordernisses, Strukturen zu schaffen, die aus der Perspektive des Kindes mit komplexer Bedarfskonstellation unabhängig von Träger und sozialrechtlicher Zuordnung gemeinsame Verantwortung für die Kinder und deren Familien übernehmen. Konkret geht es um die Evangelische Jugendhilfe des Diakonischen Werkes Würzburg, die Wichern-Schule für Kranke und die Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Universität Würzburg (KJPPP). In dieser seit 1998 bestehenden Kooperation wurden eine Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie gegründet, eine nahtlose psychologische, psychiatrische und pädagogische Versorgung sichergestellt, sowie immer wieder neue Ideen zur Bewältigung schwierigster Problemstellungen entwickelt.
Eines der neuesten und dringendsten Projekte dieser Akteure betrifft die Versorgung von Patienten, die in der bereits beschriebenen Klinik am Greinberg sind und keine Anschlussplätze finden. Aus der Not dieser jungen Menschen heraus hat sich die Evangelische Jugendhilfe Würzburg bereit erklärt ein neues intensiv-therapeutisches Konzept zu erstellen, um genau dieser Art von „Systemsprengern“ einen sicheren Ort und vor allem Kontinuität zu bieten. Die erste Gruppe startete am 17.11.2018 und betreut bis zu vier Menschen mit leichter Intelligenzminderung und sonstigen Verhaltensstörungen. Andere Regierungsbezirke und Bundesländer fragen an, ob die Evangelische Jugendhilfe für sie Plätze bereitstellen kann. Der Bedarf an dieser Form der Heimerziehung scheint sehr groß.
Parallel zu dieser Initiative der Evangelischen Jugendhilfe gibt es seit Jahren einen gesellschaftlichen Diskurs, der den Fokus auf die Rechte von Kindern und Jugendlichen, juristische Konsequenzen einer Verletzung dieser Rechte und die zunehmenden Verunsicherung darüber, was in der Erziehung erlaubt ist oder nicht, richtet. In dieser Diskussion gibt es mehrere Beispiele von Einrichtungen, die mit „Systemsprengern“ arbeiteten und damit scheiterten. Exemplarisch sei hier die Haasenburg GmbH genannt, eine ehemalige Jugendhilfeeinrichtung in Brandenburg. Sie wurde nach zunehmender Kritik in der Öffentlichkeit, nach Anzeigen und Vorwürfen seitens ehemaliger und zum damaligen Zeitpunkt in der Einrichtung behandelter Jugendlicher, ehemaliger Mitarbeitern und Eltern Ende 2013 vom Bildungsministerium Brandenburg geschlossen. Fünf Jahr nach Schließung der Einrichtung heißt es in einem regionalen Zeitungsartikel: „Nach Bekanntwerden der Vorwürfe ermittelte die Staatanwaltschaft Cottbus in 72 Fällen gegen 40 namentlich bekannte Personen – in 17 weiteren Fällen gegen Unbekannt. Die allermeisten dieser Ermittlungsverfahren wurden eingestellt.“ (Albrecht, 2019). Bis heute gibt es viel mediale Berichterstattung über die Missstände in der Einrichtung, aber lediglich einen gerichtlichen Vergleich. Der Betreiber klagt nach wie vor gegen die Entziehung der Betriebserlaubnis. Vor der Schließung wurde die Einrichtung durch Jugendämter aus ganz Deutschland belegt, hatte ein auf pädagogische und psychologische Theorien beruhendes Konzept, eine Betriebserlaubnis und wurde regelmäßig von den zuständigen Fachbehörden beraten und kontrolliert. Zur Untersuchung der Umstände der Anklagen wurde eine Expertenkommission beauftragt, mit Blick auf die Bewertung früherer Vorkommnisse und des gegenwärtigen Bildes, Empfehlungen zu geben. Am Ende forderten sie konkrete Umsetzungsschritte, wie z. B. ein Wechsel der Trägerschaft, ein Ausscheiden aller Führungskräfte, eine rechtliche Prüfung in Bezug auf Verstöße gegen Auflagen des Landesjugendamtes, ein neues Fortbildungskonzept, ein Aufarbeitungsworkshop für Ehemalige, eine Leistungsüberprüfung in Bezug auf Personalschlüssel etc. (vgl. Hofmann et al., 2013). Der Bericht umfasst 128 Seiten. Die Fachleute arbeiteten mehr als drei Monate an dessen Erstellung. Es wird betrachtet, ob Einrichtungsleitung, Jugendämter, Aufsichtsbehörden oder das Landesjugendamt Fehler gemacht haben. Das Ergebnis war nicht eine bessere Einrichtung für diese jungen Menschen oder neue fachliche Erkenntnisse wie man mit derart herausfordernden Menschen umgeht, sondern die Schließung eines Trägers, der mit „Hoch-Risiko-Klientel“ arbeitete. Seitdem gibt es keine geschlossene Heimerziehung mehr in Brandenburg.
Diese Masterarbeit wirft einen anderen Blick auf die Thematik. Sie soll konkreten Nutzen für die Evangelische Jugendhilfe, die professionellen Fachkräfte im Alltag, aber vor allem für die jungen Menschen haben, indem sie Erkenntnisse zum Umgang mit „Hoch-Risiko-Klientel“ herausarbeiten soll. Während Filme und Zeitungsartikel die Aufmerksamkeit auf die Problematik lenken und einen gesellschaftlichen Diskurs anstoßen können, soll die vorliegende Arbeit dazu beitragen, Problemverhalten analytisch zu verstehen und die richtigen Fragen zu stellen.
In dieser Masterarbeit geht deshalb um …schwierige Situationen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen, die Erziehende herausfordern. …den analytischen Blick auf die kontext- wie individuellen Bedingungen an die diese geknüpft sind. …Handlungsstrategien für Fachkräfte, die sich am konkreten Problemverhalten ausrichten.
Diese inhaltlichen Themen finden sich in den Forschungsfragen wieder und ziehen sich als roter Faden des Erkenntnisinteresses bis in die Diskussion. Zuvor geht es um Klärung der Hintergründe und eine Herleitung der grundlegenden Begriffe. Nach der Darstellung der Forschungsfragen und der verwendeten Methodik werden die Ergebnisse dargestellt und entsprechend der Ausgangsfragen diskutiert. Die Arbeit schließt mit Empfehlungen und einer kritischen Reflexion in Bezug einer Beantwortung der Ausgangsfragen, der methodischen Einschränkungen wie Chancen und Möglichkeiten der Anwendung der Vorgehensweise in der Praxis.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf den Wechsel von Bezeichnungen (maskulin/feminin) sowie die Verwendung geschlechtsneutraler Formulierungen größtenteils verzichtet. Meist wird die grammatikalisch maskuline Form gewählt. Natürlich sind aber grundsätzlich alle Geschlechter gemeint.
2 Hintergrund
Das in der Einleitung beschriebene Thema ist komplex und spiegelt eine gesamtgesellschaftliche Debatte bzw. Herausforderung wider. Diese Arbeit betrachtet einen Ausschnitt der Realität von jungen Menschen mit geistiger Behinderung und sonstigen Verhaltensauffälligkeiten im konkreten sozialen Raum des Regierungsbezirkes Unterfranken bzw. konkret der Stadt Würzburg. Dieser (Forschungs-)Hintergrund wird im Folgenden konkretisiert.
2.1 Intensiv-therapeutische Heimerziehung
In dieser Arbeit steht der Begriff intensiv-therapeutische Heimerziehung für das in der Einleitung bereits erwähnte Konzept zur Erziehung von jungen Menschen mit multiaxialer Problematik an der Schnittstelle zwischen Jugend- und Eingliederungshilfe. Dieses wird seit 17.11.2018 in der hierfür neu geschaffenen Wohngruppe der Evangelischen Jugendhilfe Würzburg mit dem Namen „Iglu“ praktisch umgesetzt und weiterentwickelt. Der Begriff „Evangelische Jugendhilfe“ bezeichnet eine Arbeitsgemeinschaft von drei Vereinen: dem „Diakonisches Werk Würzburg e.V.“, „Erleben, Arbeiten und Lernen e.V.“ und „Erleben, Arbeiten und Lernen – Evangelische Jugendhilfe e.V.“. Gemeinsam wird von ihnen vor die Erziehung massiv verhaltensauffälliger und dissozialer junger Menschen realisiert. Die Wohngruppe mit ihrem Konzept ist einmalig. In der Darstellung werden zunächst die für diese Gruppe herausgearbeiteten Rahmenbedingungen dargestellt, um dann Hinweise zur konkreten Umsetzung der Heimerziehung zu geben.
2.1.1 Entstehung und konzeptioneller Rahmen
Im Folgenden werden kurz die Besonderheiten des Konzepts in Anlehnung an die Leistungsvereinbarung wie die Betriebserlaubnis durch die Regierung von Unterfranken skizziert, um die Ergebnisse dieser Arbeit besser einordnen und gegebenenfalls mit anderen Einrichtungen in Hilfesystemen ins Verhältnis setzen zu können (vgl. Regierung von Unterfranken, 2019a und b).
2.1.1.1 Rechtliche Grundlagen
Der Zugang zu einer stationären Jugendhilfemaßnahme kann bisher über zwei Verfahrenswege erfolgen:
1. Stationäre Jugendhilfe im Rahmen der Hilfen zur Erziehung (§27 in Verbindung mit §34 SGB VIII). Hier werden durch das zuständige Jugendamt zunächst die Anspruchsvoraussetzungen für eine Hilfe zur Erziehung nach geprüft. Nach einer positiven Entscheidung wird in einem Prozess der Beratung, Aushandlung und Planung (Hilfeplan) gemeinsam mit den Personensorgeberechtigten und dem Kind/Jugendlichen aus dem Leistungsangebot der Hilfen zur Erziehung die Entscheidung für eine stationäre Maßnahme (§34 SGB VIII) getroffen. Ziel dieser Hilfe ist eine Unterstützung der Eltern, wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet werden kann und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Anspruchsberechtigte der Hilfe sind in diesem Falle die Erziehungsberechtigten. 2. Stationäre Jugendhilfe im Rahmen der Eingliederungshilfe (§35a SGB VIII). Hier wird eine stationäre Hilfe auf der Grundlage der Feststellung einer (vorliegenden oder drohenden) seelischen Behinderung des Kindes oder Jugendlichen gewährt. Mit der Einführung des SGB IX – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – im Jahr 2001 ist der Behinderungsbegriff konkretisiert und die Jugendhilfe als Rehabilitationsträger definiert worden. Die Feststellung einer seelischen Behinderung erfolgt meist durch einen Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie oder psychologischen Psychotherapeuten mit besonderer Erfahrung in der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche. Hier wird festgestellt, ob die seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von einem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. In einem zweiten Schritt ist durch die Fachkräfte der öffentlichen Jugendhilfe festzustellen, ob dadurch die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Anspruchsberechtigte der Hilfe sind hier die Kinder und Jugendlichen selbst. Seelisch behinderte oder von einer seelischen Behinderung bedrohte junge Menschen werden nach Feststellung durch einen Gutachter also stationär in der Jugendhilfe betreut.
Geistig und körperlich behinderte junge Menschen gehören nicht zum Klientel bzw. in die Zuständigkeit der Jugendhilfe. Hier gibt es eine Leistungsgrenze, welche in §10 Abs.4 SGB VIII festgeschrieben ist. Dort heißt es, dass Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen der Jugendhilfe vorgehen. Das heißt die Einrichtungen der Eingliederungshilfe sind für diese jungen Menschen qua Gesetz zuständig. Leistungsberechtigt sind hier die jungen Menschen selbst, nicht die Eltern. Ein Zugang zur Jugendhilfe ist juristisch nicht vorgesehen.
Durch die Wohngruppen Iglu wurde ein Novum realisiert. Als Pilotprojekt an der Schnittstelle zweier Hilfesysteme ist eine Aufnahme auf der Gruppe nach Maßgabe des §34 SGB VIII in Verbindung mit §§27, 35a, 41, 42 und 43 SGB VIII als auch durch §54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII (Eingliederungshilfe für Leistungsberechtigte nach §53 SGB XII in Verbindung mit §2 SGB XII; Anmerkung: ab dem 1. Januar 2020 werden die Regelungen des Eingliederungshilferechts als eigenständiges Leistungsrecht in Teil 2 des SGB IX eingeordnet) möglich. Das bedeutet, die erforderlichen Leistungen werden hauptsächlich durch Maßnahmen der Jugendhilfe erbracht. Aufgrund der vorliegenden Behinderungen ist allerdings der Bezirk für die Kostenübernahme zuständig, da Maßnahmen der Eingliederungshilfe nicht ausreichend sind. Dies muss als rechtliche Besonderheit hervorgehoben werden, da es so zu einer größeren „Barrierefreiheit“ und weniger Schnittstellen für die Durchführung von passgenauen Hilfen kommt. Es stellt darüber hinaus ein zu erwartendes Ergebnis eines möglichen inklusiven SGB VIII dar, indem die Jugendhilfe ausnahmslos für alle jungen Menschen zuständig wäre. Dies ist, zumindest in dieser Region, einmalig und stößt parallel zur Diskussion in der Fachwelt neue Türen für junge Menschen auf, die lange durch das oder aus dem System gefallen sind.
2.1.1.2 Rahmenbedingungen
Die intensiv-therapeutische Wohngruppe Iglu wurde durch erfahrene Leiter der Jugendhilfe, der Kinder- und Jugendpsychiatrie und der Schule für Kranke im Jahr 2018 konzipiert. Damit erweiterten sie das „Würzburger Kooperationsmodell Jugendhilfe, Kinder- und Jugendpsychiatrie und Schule im konzeptionellen und räumlichen Verbund“ auf die oben beschrieben Zielgruppe. Durch diese Erweiterung werden des Weiteren Schnittstellenprobleme reduziert und ein zunehmender multipler Förder- und Handlungsbedarf (Adams, 2016) erstmalig auch konzeptionell für eine besondere Zielgruppe abgedeckt. Anders ausgedrückt schafft die Wohngruppe Iglu die Rahmenbedingungen für die Schnittmenge erzieherischer, sonderpädagogischer und psychiatrischer Handlungsbedarfe, siehe Abbildung 1.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Der multiple Förder- und Handlungsbedarf Adams, 2016, S. 21)
Wissenschaftliche Grundlagen der Arbeit sind laut Leistungsbeschreibung (Adams, 2019, S. 8 ff.) u. a. das Erziehungsmodell geisteswissenschaftlich-dialektischer Pädagogik, Befunde der empirischen Erziehungswissenschaft, Grundlagen und Konzepte therapeutischer Heimerziehung, die Modelle und empirischen Befunde der Lerntheorien, der strukturellen Familientherapie und Gesprächspsychotherapie, der Entwicklungs- und Sozialpsychologie sowie der Klinischen Psychologie und der Kinder- und Jugendpsychiatrie und vor allem für diese Gruppe Förderkonzepte der Behindertenhilfe. Umgesetzt werden die Grundlagen durch einen hohen Anteil an pädagogischen wie psychologischen Fachdienstleistungen, welche durch erfahrene Mitarbeiter erbracht werden, ein intensives Schulungs- und Fortbildungskonzept, sowie regelmäßige Reflexions- bzw. Teamsitzungen auf allen Ebenen. Die Wohngruppe ist Bestandteil eines hochspezialisierten und erfahrenen Jugendhilfeträgers, der eine Vielfalt an Angeboten und Infrastruktur vorgibt.
Dies wird auch bei der Arbeit mit dem Milieu deutlich, denn gerade das Zusammenleben der jungen Menschen in einer Gemeinschaft bestimmt das besondere Milieu der Wohngruppenerziehung. Die Familiengemeinschaft, oder oft das hochproblematische Umfeld in Klinik oder abgebender Einrichtung, wird ersetzt durch die familienähnliche Wohngruppe. Das Gruppenmilieu unterscheidet sich von einer eventuell problematischen Familiensituation oder der Ausgangslage eines längeren Klinikaufenthalts durch die unbedingte Annahme des Kindes und jungen Menschen trotz seines, unter Umständen schwierigen, aktuellen Verhaltens. Vor allem anderen sollen sich die Kinder und jungen Menschen in dieser Gruppe wohl fühlen. Diese Haltung wird in der Einrichtung unter anderem durch den Leitspruch „Wir geben keinen auf!“ und einem christlichen Menschenbild deutlich. Kein Jugendlicher kann aufgrund seines Verhaltens aus der Wohngruppe ohne Anschlussmaßnahme entlassen werden, im Sinne eines „zu schwierig“ oder „zu schlimm“. Im Gegenteil, die Gruppe soll für den jungen Menschen Schutz und Schonraum sein, in dem er sich geborgen und angenommen fühlt. Der junge Mensch soll fühlen, dass er ungeachtet seiner Schwächen und Fehler von den anderen Gruppenmitgliedern und vor allem von seinen Pädagogen akzeptiert wird.
Darüber hinaus stellt die Gruppe mit ihrem geregelten Tagesablauf einen klaren Orientierungsrahmen für die Kinder und jungen Menschen dar, der ihnen sowohl für ihre äußere als auch für ihre innere Lebenssituation Halt bietet. Dieser Tagesablauf wird nicht eingeschränkt, sondern die Anforderungen werden im Zweifelsfall an die Fähigkeiten der Bewohner individuell angepasst. Das heißt, das tägliche Aufstehen, die Mahlzeiten, die Arbeiten in der Gruppe und das Zubettgehen werden angenehm, pädagogisch sinnvoll und familienähnlich wie auch verbindlich gestaltet.
2.1.1.3 Zielgruppe
In der therapeutischen Wohngruppe werden junge Menschen mit leichter Intelligenzminderung, Sinnesbehinderungen, Störungen des Sozialverhaltens und/oder der Emotion, hyperkinetischen und/oder Aufmerksamkeitsstörungen oder anderen psychischen Störungen ab dem Alter von 10 Jahren und männlichen Geschlechts aufgenommen. Ausgeschlossen ist eine Unterbringung auf der Wohngruppe bei massiver Alkohol- und Drogenabhängigkeit sowie schwerer geistiger oder körperlicher Behinderung.
Diese jungen Menschen befinden sich in Familien oder der Klinik am Greinberg (Kinder- und Jugendpsychiatrie) und finden keinen stationären Platz, weder in den Einrichtungen der Jugendhilfe noch in den Einrichtungen der Behindertenhilfe. Ebenso werden junge Menschen aufgenommen, die aufgrund ihrer Eigen- oder Fremdaggressionen aus betreuenden Einrichtungen entlassen werden, ohne einen anderen stationären Platz zu finden. So kann man diese Zielgruppe der in der Einleitung erwähnten Gruppe der „Systemsprenger“ eindeutig zuordnen.
Die Situation der Klinik am Greinberg zeigt, dass Jugendliche aus Unterfranken aus den bestehenden Systemen aufgrund des oben beschriebenen multiplen Förderbedarfs fallen und neue Konzepte zur Betreuung entwickelt werden müssen. In einem Review zur Beurteilung und Behandlung herausfordernder Verhaltensweisen (vgl. Lloyd und Kennedy, 2014, p. 187) wird beschrieben, dass herausforderndes Verhalten häufig mit einer geistigen Behinderung assoziiert sei. Damit gehe einher, dass die Lebensqualität dieser Zielgruppe als Folge ihres Verhaltens niedrig ist, weil es zu mehr sozialer Isolation, medikamentösen und körperlichen Behandlungen und Institutionalisierungen komme. Neuere Forschungsergebnisse nennen hier Vergleichswerte. So subsumieren Dworschak et al. (2018, S. 164), „Herausforderndes Verhalten tritt bei Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung deutlich häufiger auf als bei Kindern und Jugendlichen ohne Behinderung.“. Sie konkretisieren, dass die Prävalenzrate ca. drei bis vier Mal so hoch als bei Menschen ohne Behinderung sei. Das heißt die Zielgruppe der intensiv-therapeutischen Heimerziehung zeigt schwierigstes Verhalten in vielen Facetten und dies in größerer Häufigkeit und/oder Intensität als die Vergleichsgruppe von Kindern und Jugendlichen ohne intellektuelle Behinderung.
2.1.1.4 Herausfordernde Verhaltensweisen
Im Forschungsbeitrag von Dworschak et al. (2018, S. 163) wird deutlich gemacht, dass geistige Behinderung per se mit herausforderndem Verhalten in Verbindung gebracht wird. Die jungen Menschen in intensiv-therapeutischer Heimerziehung zeigen auf der Grundlage einer leichten bis mittelgradigen Intelligenzminderung und eventueller Sinnesbehinderungen unter anderem aggressives, selbst- und fremdgefährdendes Verhalten, nachhaltiges Nichtbeachten sozialer Regeln und Normen, Aufmerksamkeitsstörungen, Reaktionen auf Reizüberflutung, hyperaktives und impulsives Verhalten, emotionale Schwankungen, Zwänge, Ticstörungen, Lern- und Leistungsstörungen, Leistungs- und Schulverweigerung, sexuelle Auffälligkeiten und aus wiederum diesen Problembereichen entstehende Verhaltensweisen.
2.1.1.5 Umgang mit Problemverhaltensweisen
In der Einleitung wurde die ehemalige Jugendhilfeeinrichtung Haasenburg GmbH erwähnt. Dieser wurde durch eine Expertenkommission die inadäquate und überzogene Verwendung von Strafen vorgeworfen. In der Leistungsbeschreibung der Wohngruppe Iglu (Adams, 2019, S. 10 ff.) wird der Umgang mit Strafen und Belohnung differenziert dargelegt. Es wird unter anderem betont, dass Strafen mit Recht problematisiert werden. Ein Verzicht auf grenzsetzende Erziehung, klare Konsequenzen und nötigenfalls auch Strafen sei jedoch im Umkehrschluss nicht angebracht. Grenzen zu setzen sei im Erziehungsalltag erforderlich. „Grenzbearbeitung verweist, gerade auch in der Perspektive der Öffnung und Überschreitung, auf wesentliche Momente dessen, was man gemeinhin Erziehung nennt.“ (Huber & Kirschschlager, 2019, S. 24). Laut Leistungsbeschreibung der Wohngruppe Iglu können Strafen vor allem ein Mittel sein, um Verhalten zu verändern. Diese müssen aber in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zum Verhalten stehen und dürfen nicht zu einer persönlichen Abwertung des jungen Menschen führen. Erziehung müsse in einem klar strukturierten Rahmen stattfinden, in dem bereits präventiv die meisten möglichen Regelübertretungen vermieden werden. Verhaltensänderungen können auch bei dissozialen jungen Menschen nur erreicht werden, wenn die Gesamtdosis von Belohnung und Bestrafung, von Wertschätzung und Kritik stimme. So bestehe die besondere Herausforderung der Pädagogen der Intensiv-therapeutischen Wohngruppe darin, den Alltag so zu gestalten, dass trotz erheblicher Verhaltensprobleme der jungen Menschen täglich insgesamt die Belohnungen überwiegen. In der Leistungsbeschreibung wird weiter ausgeführt, dass Konsequenzen nur wirksam sind, wenn differenzierte Strafen und operante Löschungen den deutlich kleineren Anteil der täglichen Kommunikation prägten. Nur dann könnten die Regelverletzungen sinnvoll und wirksam mit Strafen geahndet werden. Analog zum Erwachsenenrecht könne dann auch mit Beschränkung von Freiheiten reagiert werden. Weiter könnten auch kontrolliert soziale und lebenspraktische Arbeiten als Auflagen dienen. Als negative Verstärkung im Sinne eines Wegfalls von Restriktionen könnten zunehmende Freiheiten gewährt werden. Als Belohnungen wirken Zuwendung, positive Kommunikation, soziale Aktivitäten und materielle Verstärker.
2.1.2 Konkrete Umsetzung „Wohngruppe Iglu“
Die eben beschriebenen Rahmenbedingungen wurden dem besonderen Förderbedarf der jungen Menschen im Vergleich zu anderen therapeutischen oder intensiv-therapeutischen Gruppen in folgenden Aspekten konkret angepasst:
- Die Wohngruppe Iglu nimmt maximal vier Jungen auf. Jeder Junge hat ein eigenes Zimmer, welches nach den Idealen eines heilpädagogischen Milieus gestaltet ist.
- Gleichzeitig gibt es einen erhöhten Personalschlüssel von 8,24 Stellen. Hierdurch können durchgehend mindestens Doppeldienste sowie Vormittagsbetreuung durch Fachkräfte gewährleistet werden.
- Es gibt einen erhöhten pädagogischen wie psychologischen Fachdienstschlüssel mit jeweils drei Stunden pro Kind und pro Woche.
- Eine ambulante Anbindung an die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Form eines konsiliarischen Dienstes sowie einer auf die Zielgruppe spezialisierte Therapie ist konzeptionell vorgesehen. Dies erfolgt durch regelmäßige Besuche auf der Gruppe und durch eine gemeinsame Teamsitzung im Monat.
- Bei Bedarf sind Kriseninterventionen bis zu einer stationären Unterbringung über die KJPPP und/oder die Klinik am Greinberg möglich.
- Von Beginn an wird eine Einzelbeschulung über die Wichern-Schule realisiert, sofern eine Integration in eine Regelschule noch nicht möglich ist. Seit September 2019 gibt es eine enge Kooperation mit der Christophorus-Schule für geistige Entwicklung. Hierdurch wird ein „Hausunterricht“ durch Sonderpädagogen in Räumen der Jugendhilfe realisiert. Es erfolgt eine individuelle Leistungsdiagnostik für jedes Kind mit dem Ziel der Integration in sonderpädagogische Regelversorgung.
- Das Team wird regelmäßig durch den zuständigen Leiter und erfahrenen Verhaltenstherapeuten in der Fallbearbeitung begleitet wie beraten. Dieser ist auch in den Aufnahmeprozess mit eingebunden und hilft bei der Weiterentwicklung des Konzeptes.
- Es findet eine intensive Elternarbeit statt. Das bedeutet, es gibt regelmäßige Telefonate zwischen Fachdienst und Eltern, feste Telefonzeiten zwischen Eltern und Jugendlichen, sofern möglich und pädagogisch angezeigt, Elternausflüge, Elternbesuche, Begleitungen bei Elternbesuchen, Elternberatung usw. Vor allem die Zusammenarbeit mit gesetzlich bestimmten Sorgeberechtigten nimmt einen besonderen Stellenwert ein. Die Elternarbeit wurde ihm Rahmen einer Bachelorthesis von Januar bis Mai 2019 dokumentiert bzw. ihre Wirksamkeit mittels qualitativer Befragungen festgestellt.
Hierdurch ergibt sich ein multiprofessioneller Rahmen, der eine intensive Erziehung von als „untragbar“ beschriebenen jungen Menschen mit besonderen Bedürfnissen und Bedarfen ermöglicht.
Der Name „Iglu“ wurde in einem einrichtungsinternen Prozess von den Mitarbeitern vorgeschlagen und von der Leitung offiziell genehmigt. Er bezieht sich auf das Vorhaben der Mitarbeiter einer kleinen Gruppe von Menschen (ein Iglu bietet nur wenigen Menschen Platz), deren reale Lebensbedingungen erschwert sind (Ablehnung, Ausgrenzung, Strafen, Isolation, Rauswürfe etc.) einen sicheren, behaglichen und Schutz bietenden Lebensort zu geben. Aus einem Iglu zieht man aus, wenn Lebensbedingungen besser werden oder die Person ausreichend gerüstet ist, um den Außenanforderungen gerecht werden zu können. Niemand wird aus dem Iglu hinausgeworfen. Dies wäre ethisch nicht zu vertreten. Jeder ist willkommen, wie er ist, und erhält in einem intensiven Setting, was er braucht, um sich weiter zu entwickeln.
2.1.2.1 Standort und Ausstattung der Wohngruppe
Die Wohngruppe Iglu befindet sich ist in einem Reihenendhaus im Stadtteil Oberdürrbach. Dieses hat drei bewohnte Etagen:
- Im Erdgeschoss befinden sich ein Windfang, eine Wohnküche und Speisekammer, ein Erzieherzimmer, ein Bad sowie ein Jugendlichen-Zimmer.
- Im Untergeschoss befinden sich ein Jugendlichen-Zimmer, sowie ein Schulraum und ein kleines Bad.
- Im Obergeschoss befinden sich zwei Jugendlichen-Zimmer, ein Wohnzimmer sowie ein Bad.
Auf jeder Etage gibt es einen großen Balkon. Im Untergeschoss befindet sich einen kleiner Garten, zwei große Bäume sowie eine kleine Terrasse unterhalb der Balkonfläche. Vom Haus aus, welches sich in einem dicht bebauten Gebiet befindet, ist man innerhalb von fünf Minuten zu Fuß an einem Spielplatz am Waldrand. Dort gibt es einen Fußball- wie Basketballplatz, eine Skaterampe und eine kleine Sitzgelegenheit. Auf der Gruppe arbeiten zehn Erzieher, welche größtenteils in Vollzeit im Schichtbetrieb Doppeldienste über das gesamte Jahr garantieren. Nur ein Jugendlicher kann regelmäßig zu seinen Eltern fahren. Im Tagdienst sind häufig drei Mitarbeiter. So wird der Alltag täglich klar strukturiert und es können viele Bewegungs- und sonstige Angebote durchgeführt werden. Jeder Jugendliche hat ein eigenes Zimmer, welches mit einem fest verbauten Bett, Schrank wie Schreibtisch aus Vollholz ausgestattet ist. Die Türen sowie einige andere feste Bauteile des Hauses sind oder werden auf eine therapeutische Nutzung baulich angepasst.
Die konzeptionellen wie räumlichen Gegebenheiten der Wohngruppe Iglu bieten einen Rahmen, in dem Fachkräfte nach einem speziell entwickelten Konzept mit jungen Menschen mit multiplen Förderbedarfen arbeiten können. Im Fokus dieser Arbeit stehen vor allem konkrete Situationen bzw. problematisches Verhalten, mit welchen Erziehende im Alltag innerhalb dieses Rahmens konfrontiert sind. Dieses Verhalten, welches zur Einschränkung der Lebensqualität der Jugendlichen führen kann, soll rechtzeitig wahrgenommen wie verstanden werden. Hierfür wird zunächst ein Begriff eingeführt, der eine Vielzahl von „schwierigen“ Reaktionsweisen zusammenfassend beschreiben kann.
2.2 Herausfordernde Verhaltensweisen
Ausgangspunkt dieser Arbeit ist das Verhalten junger Menschen im Setting stationärer Heimerziehung sowie der (professionelle) Umgang damit. Zur Beschreibung und Einschätzung dieser Verhaltensweisen gibt es eine Vielzahl von Begrifflichkeiten. Dworschak et al. (2018, S. 164) fassen hierzu zusammen, „Probleme im Verhalten und Erleben werden in der medizinischen, psychologischen und sonderpädagogischen Literatur mit einer Reihe unterschiedlicher Begriffe gefasst, die nicht immer trennscharf voneinander abzugrenzen sind.“. Es geht darum, dass Menschen sich und ihre Umwelt mit ihrem Verhalten immer wieder an Grenzen bringen. Die Autoren schlagen in Folge vor, den Begriff des „herausfordernden Verhaltens“ als Oberbegriff zu verwenden, weil er Problemverhaltensweisen subsumieren kann, die sowohl kontextabhängig (interaktional) als auch kontextunabhängig (somatisch) sind.
Nach Theunissen (2011) findet der Begriff des herausfordernden Verhaltens in Deutschland immer mehr Verwendung. „Er kann grundsätzlich als eine Parallelbezeichnung für Verhaltensauffälligkeiten, Verhaltensstörungen oder Problemverhalten betrachtet werden.“ (S. 17). Bedeutsam für den Kontext dieser Arbeit ist diese Begrifflichkeit vor allem wegen des Grundgedankens „…herausfordernde Verhaltensweisen nicht einzig und allein an einer Person festzumachen, sondern stets als Ausdruck einer Störung des Verhältnisses zwischen Individuum und Umwelt (Mitmenschen, Dinge, Situationen) und somit funktional zu betrachten.“ (Theunissen, 2011, S. 21). Daraus könne man schließen, dass herausfordernde Verhaltensweisen als soziales und pädagogisches Problem gesehen werden müssen. Je nach Verhaltensweisen stellen diese ein ganzes System vor interdisziplinäre Herausforderungen. Hier muss man „…auch die Rahmenbedingungen in den Heimen, die Belastung der Mitarbeiter(innen), die Kooperation mit dem Elternhaus, den Therapeut(inn)en und Ärzt(inn)en sowie den rechtlichen Rahmen berücksichtigen.“ (Dworschak et al., 2018, S. 165).
Gezeigtes Verhalten kann in Folge soziale Bezugsgruppen und für Helfer in Einrichtungen dauerhaft überfordern. In dem Buch „Beratende und therapeutische Dienste für Menschen mit geistiger Behinderung und herausforderndem Verhalten“ umschreibt Friedrich Dieckmann (2007) die Thematik wie folgt:
„Herausfordernde Verhaltensweisen werden aufgrund ihrer Stärke, Häufigkeit oder Dauer als ´schwerwiegend´, ´gravierend´ oder ´erheblich´ erlebt und etikettiert, wenn sie dazu führen, dass Personen sich selbst oder andere fortgesetzt gefährden, oder beeinträchtigen, oder dass die Teilnahme dieser Personen an Angeboten und Diensten im Gemeinwesen eingeschränkt wird bzw. ihnen der Zugang gänzlich verwehrt bleib.“ (S. 16).
Bezieht man diese Definition auf die beschriebene Zielgruppe intensiver und/oder therapeutischer Heimerziehung erscheint sie unter mehreren Aspekten passend. Die auf den Wohngruppen Iglu lebenden Jugendlichen wurden aufgrund ihres Verhaltens in der Vergangenheit mehrmals ausgeschlossen, z. B. indem sie ohne Folgeplatz aus ihren Einrichtungen entlassen wurden. Alle Jugendlichen haben offiziell einen Schulausschluss, obwohl es für alle jungen Menschen in Bayern eine allgemeine Schulpflicht gibt und sie an passenden Förderschulen für geistige Entwicklung angebunden waren. Hier wird konkret, was mit herausfordernden Verhaltensweisen mitunter einhergeht. Lloyd & Kennedy (2014) formulieren: „Although the forms that challenging behaviour can take are varied, one consistent effect these behaviours have is to negatively impact the individual´s quality of life outcomes for individuals with intellectual disability.” (p. 187).
Der Begriff des herausfordernden Verhaltens dient in dieser Arbeit als Oberbegriff für beobachtetes wie beschriebenes Verhalten und impliziert qua Definition die Analyse der Funktionalität mit dem Ziel negative Folgen für die jungen Menschen einzudämmen. Der Begriff schließt ein, dass es sich bei herausforderndem Verhalten immer um ein pädagogisches Problem handelt (vgl. Theunissen, 2011, S. 20) und damit die sozialen wie erzieherischen Bedingungsfaktoren mit betrachtet werden müssen. So erfolgt in dieser Arbeit eine Datensammlung im erzieherischen Kontext der Wohngruppe mit genauerer Betrachtung einzelner Fälle.
Nach der Klärung, welchen Menschen sich diese Arbeit in welchem Kontext widmet, sowie der Festlegung auf eine als passend erscheinende Begrifflichkeit für die Art der betrachteten Verhaltensweisen, stellt sich nun die Frage, wie auftretendes „herausforderndes Verhalten“ und dessen Kontextfaktoren beschrieben, erklärt, verstanden, bewertet oder überprüft werden kann?
2.3 Verhaltensorientierte Strategien
In dieser Arbeit geht es um konkrete (Handlungs-)Strategien als Antwort auf herausforderndes Verhalten, welche Fachkräfte in der stationären Jugendhilfe in ihrer alltäglichen Arbeit anwenden können. Insbesondere betrifft dies Strategien bzw. Interventionen welche sich aus dem konkretem Verhalten der jungen Menschen ableiten lassen. Hierfür wird Bezug zur angewandten Verhaltensanalyse (Englisch: Applied Behavior Analysis, kurz ABA) genommen. Diese bietet den methodischen Rahmen für professionelles Handeln. „Die ABA bildet auf der Grundlage der Verhaltensregeln Verfahren, die sozial relevantes Verhalten formen sowie verändern, und verifiziert experimentell ihre Wirksamkeit.“ (Urbaniak, 2017, S. 68). In dieser Arbeit stehen sozial relevante Verhaltensweisen im Vordergrund. Diese sollen zunächst erfasst werden, um dann mit Hilfe einer objektiven Methodik analysiert werden. Nach Cooper, Heron und Heward (2014) gehört dies zur Vorgehensweise einer ABA, denn „Applied behavior analysis is the science in which tactics derived from the principles of behavior are applied systematically to improve social significant behavior and experimentation is used to identify the variables responsible for behavior change.“ (p. 40). Die Relevanz bzw. den Erfolg der ABA fasst Luiselli 2017 wie folgt zusammen, „Applied behavior analysis (ABA) has made significant contributions to education, behavioral healthcare, organizations, medicine, and society at large.” (Preface xii).
Im deutschen Sprachraum findet sich der Bezug zur angewandten Verhaltensanalyse unter anderem im pädagogischen/sozialpädagogischen Setting wieder. „Insbesondere im Bereich pädagogischer, sonderpädagogischer und sozialpädagogischer Interventionen ist die Verhaltensanalyse die Methode der Wahl, um problematisches Verhalten zu verändern.“ (Bördlein, 2016, S. 19). In Bezug auf den Vorteil, welcher sich durch den Bezug zur ABA ergibt postuliert Schermer (2016), dass sie sich ohne Umschweife auf den Betroffenen beziehe, ,, d. h. idiographisch ausgerichtet ist und dabei nicht bei der Beschreibung endet, sondern über den deskriptiven Aspekt hinausgehend Informationen liefert, die für eine Beeinflussung der in Frage stehenden Problemlage unmittelbare Handlungsrelevanz besitzt.“ (S. 12). Die angewandte Verhaltensanalyse im professionellen Kontext der sozialen Arbeit sei deshalb verpflichtet bestimmte methodische Regeln einzuhalten, sich auf sozial relevantes Verhalten zu fokussieren und ein intersubjektives Verständnis für die Funktion des Verhaltens zu entwickeln. Ableitungen von Interventionen erfolgen deshalb aus den grundlegenden und allgemeingültigen Lern- und Verhaltenstheorien. Hier habe es eine Vielzahl von Begriffen gegeben, welche zu unterschiedlichen Zeiten Verwendung fanden. Schermer (2016) versucht diese zu ordnen, siehe Tabelle 1. Verhaltensdiagnostik wird von ihm als Oberbegriff verstanden, der unter anderem Verhaltensanalyse als einen Bestandteil umfasst und folgende Aufgaben erfüllt:
a. Die Beschreibung des Problems mit dem Ziel dies in intersubjektiv überprüfbarer Sprache zu tun und es einer Messung zugänglich zu machen (deskriptiver Aspekt).
b. Die Suche nach den aktuellen wie auch den ätiologischen Ursachen des Problems (explikativer Aspekt) im Sinne der Frage, „Warum ist das so?“.
c. Die Überprüfung der Angemessenheit der Erklärung (evaluativer Aspekt) im Sinne: „Welche Fakten sprechen für diese Deutung?“. Hier geht es um empirische Belege für die explikative Probleminterpretation.
Tabelle 1: Grundlegende Begriffe der Verhaltensdiagnostik (Schermer, 2016, S. 20)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Diese Einteilung und Beschreibung ist angelehnt an die wichtigsten Prinzipien eines verhaltensdiagnostischen Vorgehens, welche von Kanfer, Reinecker & Schmelzer (2012, S. 90), in Anlehnung an die bisherige Forschung dargestellt werden. Hier werden drei grundlegende Fragestellungen festgelegt:
1. „Welche besonderen Verhaltensmuster verlangen eine Veränderung hinsichtlich ihrer Auftrittshäufigkeit, ihrer Intensität, ihrer Dauer oder der Bedingungen, unter denen sie auftreten?“. Dieser deskriptive Aspekt wird in der vorliegenden Arbeit über die Erfassung herausfordernder Situationen umgesetzt.
2. „Welches sind die Bedingungen, unter denen dieses Verhalten erworben wurde und welche Faktoren halten es momentan aufrecht?“. Dieser explikative Aspekt wird in der vorliegenden Arbeit mittels exemplarischer Verhaltensanalysen bearbeitet.
3. „Welches sind die praktikabelsten Mittel, um die erwünschten Veränderungen bei diesen Individuen zu erzielen (Veränderungen der Umgebung, des Verhaltens oder der Selbsteinschätzung des Patienten)?“.
Dieser modifikatorische Aspekt wird in der vorliegenden Arbeit über eine Ableitung empfohlener Interventionen aus der Analyse, sowie ergänzend durch eine Literaturrecherche zu evidenzbasierten Interventionsstrategien bearbeitet.
3 Forschungsfragen und Zielsetzung
Diese Arbeit richtet den Fokus auf konkrete herausfordernde Situationen, welche auf der Wohngruppe Iglu zwischen einem Erziehenden und einem Kind/Jugendlichen stattfinden und beschreibt verhaltensorientierte Strategien im Umgang mit diesen Situationen. Die Forschungsfragen werden entsprechend der Systematik der angewandten Verhaltensanalyse formuliert.
Folgende Forschungsfragen sollen beantwortet werden:
1. Welche Situationen führen in der intensiv-therapeutischen Heimerziehung der Wohngruppe IGLU zu Konflikten und Aggression, welche seitens der Erziehenden als besonders herausfordernd erlebt werden?
2. Wie kann man diese Verhaltensweisen funktional bzw. auf das Verhalten bezogen erklären, so dass Mitarbeitende in Zukunft in ähnlichen Situationen ein besseres Verständnis haben und die Kontingenzbedingungen des Verhaltens besser antizipieren können?
3. Welche Strategien gibt es, um bei den beschriebenen und hinsichtlich ihrer Funktionalität analysierten Verhaltensweisen wirksam intervenieren zu können?
Im Kern versucht diese Arbeit aus den sieben Phasen eines diagnostisch-therapeutischen Prozesses nach Kanfer, Reinecker, Schmelzer (2012, S. 126) Phase eins (Eingangsphase-problembezogene Informationssammlung), Phase drei (Verhaltensanalyse und funktionales Bedingungsmodell) sowie Phase fünf (Planung, Auswahl und Durchführung spezieller Methoden) in einem Prozess aus systematischer Informationsgewinnung, Datenanalyse und Literaturrecherche abzubilden.
Damit soll das Ziel verfolgt werden die Handlungsfähigkeit der Mitarbeitenden im Umgang mit herausfordernden Situationen zu verbessern. Die Mitarbeitenden werden deshalb in den gesamten Prozess dieser Arbeit miteingebunden und partizipieren an mehreren Stellen, indem sie selbst die Schwerpunkte der Analyse festlegen.
4 Methode
Entsprechend der in dieser Arbeit gestellten Forschungsfragen ist die methodische Vorgehensweise dreigeteilt. Als erstes werden auf der Basis realer Gegebenheiten systematisch, d.h. nach nachvollziehbaren Kriterien, besonders herausfordernde Situationen aus dem Gruppenalltag erfasst. Ausgewählte bzw. relevante Ereignisse werden dann bezüglich ihrer Funktionalität nach einem festgelegten Raster analysiert. Schließlich werden nach einer Gegenüberstellung eingesetzter Strategien versus evidenzbasierter Strategien weitere konkrete Handlungsempfehlungen aus der Literatur abgeleitet.
4.1 Erfassen und Prüfen herausfordernder Situationen
Grundlegend für diese Arbeit ist die systematische Erfassung kritischer Situationen aus dem Gruppenalltag zum Zweck einer weitergehenden Analyse. Der Einschluss von Situationen erfolgt nach folgenden Kriterien:
- Meldepflichtiges Ereignis entsprechend der allgemeinen Vorgaben der Aufsichtsbehörde für alle stationären Jugendhilfeeinrichtungen in Unterfranken (vgl. 4.1.1.)
- In der Tagesdokumentation der Wohngruppe Iglu erfasste Ereignisse, welche die Kriterien einer Meldepflicht (vgl. 4.1.1.) erfüllen (können), auch wenn im konkreten Fall keine Meldung erfolgte.
- Ereignisse die im Rahmen der einrichtungsinternen Dokumentationspflicht erfasst und gemeldet wurden (vgl. 4.1.2.).
- Ereignisse im Zeitraum zwischen 12.09.2019 und 12.11.2019.
Meldepflichtige Ereignisse werden in der Wohngruppe Iglu über ein speziell entwickeltes Meldeformular dokumentiert, das unter 4.1.2. vorgestellt wird und als Informationsquelle für die Verhaltensanalysen dient. Ereignisse, die den genannten Einschlusskriterien entsprechen werden im Hinblick auf die Dokumentations-/Informationsgüte geprüft und bei Bedarf vor einer Verhaltensanalyse in Interviews mit beteiligten Mitarbeitern nachbearbeitet, um die Situationen so konkret als möglich beschreiben zu können.
4.1.1 Meldepflichtige Ereignisse
Nach §47 Abs.1, S. 2 SGB VIII hat ein Träger der Jugendhilfe die zuständige Fachbehörde (im Falle der Wohngruppe Iglu ist dies die Heimaufsicht der Regierung von Unterfranken) unverzüglich über „Ereignisse oder Entwicklungen, die geeignet sind, das Wohl der Kinder und Jugendlichen zu beeinträchtigen…“ zu informieren. Diese Pflicht ist in der jeweiligen Betriebserlaubnis als Auflage gekennzeichnet.
Grundlegen gibt es einen dreiseitigen „Meldeleitfaden“ der Heimaufsicht (Regierung von Unterfranken, 2019). Dieser dient der Operationalisierung „besonders herausfordernder“ Ereignisse in dieser Arbeit. Im Meldeleitfaden werden einige Beispiele besonderer Vorkommnisse benannt. Die für diese Arbeit relevanten Kriterien daraus sind (vgl. S. 1-2):
- Massives Fehlverhalten und Straftaten von betreuten jungen Menschen.
- Durch Personen verursachte Schädigungen an Leib und Leben der zu betreuenden Kinder oder Jugendlichen im Kontext der Einrichtung, d. h. durch Mitarbeitende der Einrichtung, andere Betreute oder fremde Personen. Hier geht es um Ereignisse, die den Schutz die Gesundheit oder das Leben der Betreuten beeinträchtigen, z. B. Unfälle mit schweren Verletzungen, Misshandlung und Missbrauch (auch der Verdacht), Tötungsversuch oder Tötung, Entführung usw.
- Durch betreute junge Menschen verursachte Schädigungen an Leib und Leben von Mitarbeitenden einer Einrichtung, z. B. körperliche Auseinandersetzungen und Gewalt gegenüber Fachkräften.
- Massive Beschwerden von Sorgeberechtigten, Familienangehörigen und/oder betreuten jungen Menschen, sowie ggf. anderen Institutionen wie der Polizei.
- Ungewöhnliche Häufung bestimmter Ereignisse oder Vorfälle, z. B. vermehrte Abgängigkeiten, die Hinweise für einen nicht ausreichenden Schutz der Betreuten in einer darstellen können.
Weiter wird eine Verfahrensweise für Institutionen benannt. Hier wird ein Ablauf zur Nachbearbeitung eines besonderen Ereignisses vorgeschlagen:
1. Erstmeldung (unverzüglich schriftlich per Fax oder E-Mail). Hier soll angegeben werden, was, wann, wo, von wem ausgehend geschah und welche Sofortmaßnahmen ergriffen wurden, sowie wer informiert wurde. Ebenso ist festgelegt, wer alles zu informieren ist.
2. Stellungnahme (zeitnah, ausführlich und schriftlich). Dies soll detaillierter erfolgen mit Vorgeschichte, anwesendem und vorgesehenem Personal, weiteren Beteiligten, Maßnahmen die sofort ergriffen wurden, erforderliche ärztliche Maßnahmen, pädagogische wie gegebenenfalls therapeutische Bearbeitung des Vorfalls, bereits eingeleitete und/oder vorgesehene Maßnahmen, insbesondere des Opferschutzes, sowie der Angabe von anderen, mit der Bearbeitung befassten Behörden.
3. Weitere geplante Verfahrensschritte (Träger und Personal). Diese Ausführungen beziehen sich auf die Reaktionen des Trägers in Bezug auf Maßnahmen die als Folge ergriffen wurden, konzeptionelle Anpassungen, die Prüfung strafrechtlicher oder dienstrechtlicher Maßnahmen etc.
4. Weitere heimaufsichtlich relevante Informationen (Prozessergebnisse).
Dies meint die Informationspflicht am Ende eines Aufarbeitungsprozesses die Ergebnisse und den Abschluss der Bemühungen mitzuteilen.
Die Vorgaben der Regierung von Unterfranken definieren durch ihren Meldeleitfaden die Notwendigkeit der Meldung wie Reflexion besonderer Ereignisse, welche im Fokus dieser Arbeit stehen. Bezogen auf den empfohlenen Ablaufplan ist eine Einrichtung verpflichtet zeitnah das Ereignis zu melden, aber vor allem dem Ereignis nachfolgende Maßnahmen (Reflexion, Aufarbeitung, Konsequenzen für alle Beteiligten, konzeptionelle Anpassungen etc.) zu benennen und zu ergreifen.
Hier erscheint ein nachvollziehbares bzw. operationalisiertes Vorgehen in Bezug auf das in der Einleitung dargestellte Risiko eines Jugendhilfeträgers, für die Zielgruppe selbst, sowie auch für die Handlungsfähigkeit der Mitarbeiter angebracht. Dies ist vor allem von Interesse, sofern eine Mitarbeiterreaktion freiheitsbegrenzende Maßnahmen enthält. So formuliert Tilman Lutz in einem kritischen Artikel zu institutionellem Zwang:
„Zweifellos kommen in der Erziehung – gerade in der öffentlichen, die meist nicht freiwillig in Anspruch genommen wird – Zwang(smaßnahmen) und Gewalt vor. Das ist weder neu noch empirisch von der Hand zu weisen. Es ist auch nicht zu bestreiten, dass situativ Zwang oder Gewalt zum Schutz von Kindern und Jugendlichen gerechtfertigt sein mögen.“ (2012, S. 114).
Die Frage der Rechtfertigung muss man in der Erziehung reflektieren. Ausgangslage sind hierfür die Meldungen über derartige Ereignisse. In dieser Arbeit ist die Erfassung ähnlicher Ereignisse Ausgangslage für die weitere Analyse und Reflexion zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage. Die beschriebenen Kriterien des Meldeleitfadens stellen gleichzeitig die Einschlusskriterien für herausfordernde Situationen in dieser Untersuchung dar.
4.1.2 Dokumentationsvorlage für den Gruppenalltag
Innerhalb der Evangelischen Jugendhilfe wird die Meldepflicht an die Regierung von Unterfranken im Rahmen des Qualitäts- und Beschwerdemanagements, regelmäßiger Schulungen auf Konferenzen, in Fortbildungen, Fachdienstkonferenzen, bei der Einarbeitung neuer Mitarbeiter, in Leitungskonferenzen sowie im Rahmen von Arbeitsgruppen thematisiert bzw. der Umgang damit vorgegeben. Ebenso gibt es Vorgabedokumente, welche als gelenkte Dokumente allgemein zu verwenden und teilweise in einer Meldekette (Pädagogische Leitung à Bereichsleitung à Gesamtleitung) weiterzuleiten sind. Darunter fallen unter anderem die Meldung über eine „Jugendschutzraum Belegung Einzeln“ oder eine „Vermisstenmeldung“. Neben der Meldung an die zuständige Leitung im Prozess werden besondere Vorkommnisse in den Teamsitzungen mit den Leitungen und den Fachdiensten reflektiert und gegebenenfalls dann an die Bereichs- bzw. Gesamtleitung gemeldet. Diese entscheidet dann über eine Weitermeldung an die Regierung von Unterfranken entsprechend §47 Abs.1, S. 2 SGB VIII. Ein interner Meldeprozess ist einer Meldung an die Heimaufsicht vorgeschaltet. Der Gesamtleiter teilt danach der Heimaufsicht den Vorfall und den aktuellen Stand des Verfahrens mit.
Für diese Arbeit, und den Zweck den sie erfüllen soll, wurde das bereits vorhandene gelenkte Dokument der Evangelischen Jugendhilfe namens „Jugendschutzraum Belegung Einzeln“ (Original siehe Anhang) erweitert bzw. präzisiert, um eine verhaltensnähere und differenzierte Dokumentation eines besonderen Vorfalls zu ermöglichen. Bezugnehmend auf die zugrundeliegende Meldepflicht wurde das Dokument „Meldung über erzieherische Maßnahmen im Umgang mit Konflikten und Aggression bis Selbst- und/oder Fremdgefährdung“ (siehe Abbildung 2) umbenannt und den Mitarbeitern in der Teamsitzung der Wohngruppe Iglu 1 am 12.09.2019 vorgestellt.
Mittels dieses Vorgabedokuments werden seit diesem Zeitpunkt herausfordernde Ereignisse an den pädagogischen Leiter der Wohngruppe Iglu gemeldet. Dieser sammelt die Meldungen und gibt sie nach Überprüfung gegebenenfalls an die Gesamtleitung weiter. Die Sammlung der Situationen nach diesem Schema erfolgt über einen Zeitraum von zwei Monaten, d. h. von 12.09.2019 bis 12.11.2019. Die Meldungen werden von den Mitarbeitern in ihrem Dienst erstellt. Diese sind direkt beteiligt, d. h. beobachten selbst das Verhalten und sind selbst Akteure in den jeweiligen Interaktionsprozessen. Sie melden am gleichen oder am folgenden Tag das Ereignis. Sofern möglich haben alle Mitarbeiter vor, während oder bei der Erstellung des Dokuments mit ihren Kollegen Rücksprache gehalten, im Sinne einer Objektivierung der Dokumentation.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Dokument "Meldung über erzieherische Maßnahmen im Umgang mit Konflikten und Aggression bis Selbst- und Fremdgefährdung"
4.1.3 Methodische Ergänzungen
Neben der Meldepflicht über besondere Ereignisse ist jede Wohngruppe verpflichtet zu jedem Jugendlichen eine „Tagesdokumentation“ auszufüllen. Dort werden aktuelle Entwicklungen, Ziele, Besuche, Konflikte, Termine, Konsequenzen, aber auch Ereignisse von Interesse für die Kollegen dokumentiert. In Ergänzung zur Sammlung der Meldungen via Vorgabedokument erfolgt in dieser Arbeit eine systematische Überprüfung der Tagesdokumentationsdatei der Wohngruppe in Bezug auf nicht gemeldete Vorfälle. Das betrifft Ereignisse, welche die Kriterien der Meldepflicht erfüllen können, aber nicht wie am 12.09.2019 im Team bestimmt per Meldebogen erfasst oder weitergeleitet wurden. Dies kann einer Verletzung der Meldepflicht entsprechen und/oder eine vorgesehene weitergehende Prüfung durch die Leitungsebene verhindern. Im untersuchten Zeitraum werden die Informationen und Beschreibungen in den Tagesdokumentationen auf besondere bzw. meldepflichtige Ereignisse überprüft. Grund hierfür ist die Tatsache, dass Mitarbeiter eine unterschiedliche Wahrnehmung zu „herausfordernden Situationen“ oder zu „besonderen Ereignissen“ haben können. Ein sehr erfahrener Mitarbeiter, der eine herausfordernde Situation erzieherisch lösen konnte, kann trotzdem gegen die Meldevorgaben verstoßen, indem er beispielsweise freiheitsbegrenzende Maßnahmen einsetzt. Freiheitsbeschränkende bzw. freiheitsentziehende Maßnahmen stellen für diese Arbeit ein Einschlusskriterium dar, welches auch im Meldebogen aufgeführt ist. Ausschlusskriterien sind Situationen, die weder die Kriterien der Meldepflicht erfüllen noch in der subjektiven Wahrnehmung des Mitarbeiters als herausfordernd erlebt werden. Schwabe (2019) postuliert hierzu:
„Was für den einen Pädagogen `schon´ eine Eskalation war, ist für den anderen `nur´ ein konflikthafter Vorfall. Was für den einen eine `Sache´ zwischen ihm und dem Kind war, ist für den anderen ein Vorfall, der die ganze Institution zu einer Stellungnahme herausfordert.“ (S. 85).
Nach der Überprüfung hinsichtlich nicht gemeldeter besonderer Ereignisse wird im Ergebnisteil eine chronologische Übersicht aller Vorkommnisse mit kurzer Darstellung des herausfordernden Verhaltens und der Mitarbeiterreaktionen gegeben. Danach wird jede Situation anhand der gemeldeten Informationen einzeln und ausführlich dargestellt, sowie Bezug zur unpräzisen bzw. fehlenden Angaben genommen. Die Darstellung erfolgt nummeriert und ist folgendermaßen aufgebaut:
- Bezug zu den herrschenden Rahmenbedingungen (Tag, Uhrzeit, Ort, Jugendliche/r) des Ereignisses.
- Die Darstellung des Interaktionsprozesses mittels eines Übertrags der Informationen aus dem Meldeformular in ein tabellarisches „Antecedent-Behavior-Consequence-Schema“ (A-B-C-Schema). Hierbei ist eine Verhaltenssequenz eine Zeile.
- Einen Bezug zu ungenauen oder unpräzisen Formulierungen aus dem von den Mitarbeitern ausgefüllten Meldeschema oder der Beschreibung aus der Tagesdokumentation in Textform. Hierzu gehören beispielsweise die Genauigkeit der Beschreibungen, Verhaltensnähe der Beobachtungen, Berücksichtigung von Interpretationen, fehlende Angaben etc.
Zur Versachlichung und zum Schutz der Personen gelten in der gesamten Darstellung Vornamen, Nachnamen, Datum, Umschreibungen, Schreibfehler, Bewertungen und Interpretationen als irrelevant. Die Vornamen der Jugendlichen werden anonymisiert. Sofern eine verhaltensnahe bzw. präzise Beschreibung zu den Ereignissen nicht ersichtlich ist, wird dies in der Darstellung fett markiert. Als in der Darstellung fett markierte Formulierungen sind für eine mögliche Verhaltensanalyse im späteren Verlauf Anlass zur genaueren Betrachtung, in Form eines zweiten Schrittes der Informationssammlung durch ein Interview vor Ort mit beteiligten Mitarbeitern.
Mittels inhaltsanalytischer Auswertung der Meldungen soll die erste Forschungsfrage, d. h. „Welche Situationen führen in der intensiv-therapeutischen Heimerziehung der Wohngruppe IGLU zu Konflikten und Aggression, welche seitens der Erziehenden als besonders herausfordernd erlebt werden?“, beantwortet werden. Die Erfassung und Darstellung dieser Ereignisse spiegeln den erzieherischen Alltag auf der Wohngruppe Iglu wider. Aufgrund ihrer Topographie sind diese Verhaltensweisen an sich als sozial relevant zu betrachten. Es handelt sich um Verhalten, welches aufgrund der Intensität und Schwere ein hohes Maß an Verständnis und Handlungsfähigkeit fordert. Die Beteiligten müssen mitunter ad hoc eine Reaktion zeigen bzw. eine Intervention durchführen. Dies wird systematisch erfasst und dann weiter bearbeitet. Methodisch besteht die weitere Bearbeitung bzw. Reflexion aus funktionalen Verhaltensanalysen.
4.2 Exemplarische Verhaltensanalysen
Im methodisch zweiten Schritt dieser Arbeit bilden die bis dato gesammelten Ereignisse die Basis für die im Anschluss stattfindenden exemplarischen Verhaltensanalysen. Sie sollen helfen Forschungsfrage zwei zu beantworten, d. h. „Wie kann man diese Verhaltensweisen funktional bzw. auf das Verhalten bezogen erklären, so dass Mitarbeitende in Zukunft in ähnlichen Situationen ein besseres Verständnis haben und die Kontingenzbedingungen des Verhaltens besser antizipieren können?
Vier der gesammelten Ereignisse werden hierfür genauer betrachtet bzw. analysiert. Zur Auswahl der vier Situationen erfolgt eine schriftliche Befragung der Mitarbeitenden. Dazu werden die Verhaltensweisen der jungen Menschen in einem Überblick dargestellt. Die Mitarbeitende können daraus bis zu vier Verhaltensweisen in einer rechts eingefügten Spalte ankreuzen, siehe Tabelle 21. Die Betroffenen sollen hierdurch selbst bestimmen, welche Situationen sie besser verstehen wollen bzw. welche für sie von besonderem Interesse sind. Ebenso werden die Mitarbeitenden darum gebeten, eine Hypothese zur Funktionalität des Verhaltens zu formulieren. Nach Auswahl der vier weiter zu betrachtenden Ereignisse erfolgt in einem zweiten Schritt der Informationsgewinnung eine Befragung (Interview) der Beteiligten vor Ort, d. h. unter den Umweltbedingungen der erlebten Situation. Die beteiligten Mitarbeiter legen darin auch fest, welche konkrete Interaktionssequenz analysiert werden soll. Die Auswahl der relevanten Ereignisse und der konkreten Sequenz geschieht also durch die Mitarbeit
Die Datenerhebung für die Verhaltensanalysen erfolgt in einem dreistufigen Prozess:
a. Sammlungen der Situationen von Meldungen der Wohngruppe an die Leitung und anschließender Kontrolle der Tagesdokumentation nach festgelegten Kriterien. Diese Meldungen werden im Anschluss in ein „A-B-C-Schema“ übertragen und in einzelne Interaktionssequenzen eingeteilt (siehe 4.1.).
b. Auswahl von vier relevanten Situationen mittels Mitarbeiterbefragung am 28.11.2019.
c. In Form von Interviews mit mindestens einem der Beteiligten vor Ort wird der konkrete Ablauf der Interaktionssequenzen nachempfunden und die als unpräzise markierten Formulierungen aufgeklärt. Hierdurch sollen auch Details, wie beispielsweise Entfernungen, Positionen, Reaktionen von Beteiligten, genaue Äußerung etc. ermittelt werden. Ergänzend findet eine Informationsbündelung aus Befragungen der Jugendlichen (sofern möglich), aus Konsultationen auf der Gruppe vor Ort sowie Informationen sonstiger Beteiligter statt. Abgefragt wird auch, in wie weit das Verhalten in der Vergangenheit in gleichen oder ähnlichem Kontext gezeigt wurde.
Theoretische Grundlage für die Verhaltensanalysen ist die Vorgehensweise nach dem „Functional Behavioral Assessment“ (Umbreit, Ferro, Liaupsin & Lane, 2007), in Folge als FBA abgekürzt. Es handelt sich hierbei um einen einheitlichen, evidenzbasierten wie praxisorientierten Ansatz, insbesondere für die Zielgruppe junger Menschen mit herausfordernden Verhaltensweisen. Entwickelt wurde der Ansatz im Kontext Schule. Er nimmt explizit Bezug auf den Umgang mit stark verhaltensauffälligen und beeinträchtigten Menschen. Die Autoren fassen in ihrem Buch „Functional Behavioral Assessment and Function Based Intervention.“ die Erkenntnisse der Angewandten Verhaltensanalyse in ein praktisches Handlungskonzept zusammen. Dieses Handlungskonzept soll in dieser Arbeit auf seine Umsetzbarkeit in der Praxis geprüft werden. Umbreit et al. (2007) beschreiben diesbezüglich, dass ein FBA folgende fünf Bestandteile als Ergebnis herausarbeitet:
1. Eine eindeutige Definition des Problemverhaltens.
2. Die dem Verhalten vorausgehenden Bedingungen, für den Fall das Problemverhalten wurde gezeigt, als auch wenn es nicht gezeigt wurde.
3. Die Konsequenzen, welche das Verhalten aufrechterhalten.
4. Eine klare Definition des „erwünschten“ Verhaltens, welches alternativ zum Problemverhalten gezeigt werden soll.
5. Eine Aussage zur Funktion, welche das Verhalten erfüllt. (p. 2)
Für die Erstellung eines FBA erfolgt, nach den Autoren, die Erhebung von Daten mittels strukturierter Befragungen und direkter Beobachtungen bzw. Messungen. Auf der Basis dieser Daten wird anschließend die Funktion des Verhaltens herausgearbeitet. Zur Bestimmung der Funktion, welche grundlegend für das Ableiten einer hierzu passenden Intervention ist, geben die Autoren eine Funktionsmatrix vor, welche zunächst zwischen positiver und negativer Verstärkung unterscheidet, um dann weitere Differenzierung zu machen, siehe Tabelle 2.
Tabelle 2: Funktionsmatrix zitiert nach Umbreit et al. (2007, p. 84)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Sowohl die fünf herausgearbeiteten Bestandteile eines FBA als auch die vorgestellte Funktionsmatrix werden in der Darstellung der Ergebnisse gemeinsam mittels einer „Auswertungsmatrix“ jeder Verhaltensanalyse verdeutlicht, da sie inhaltlich aufeinander aufbauen (siehe Tabelle 3).
Dieses Raster soll den Mitarbeitern der Wohngruppe als mögliches Instrumentarium dienen und wird in der Diskussion auf seine Anwendbarkeit hin besprochen. Die fünf Bestandteile eines FBA werden darin zunächst in Form der Darstellung der Dreifachkontingenz (Ausgangsbedingung-Verhalten-Konsequenz) dargestellt, dann mögliche Funktionen des Verhaltens erfasst, um dann Überlegungen zu Umweltbedingungen unter denen das Verhalten nicht auftreten würden und dem erwünschten Alternativverhalten anzustellen. Letzte Punkte weisen schon in Richtung einer möglichen Intervention und werden deshalb auch als Letztes dargestellt.
Tabelle 3: Auswertungsmatrix zur Bestimmung der Funktion des Verhaltens
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In der Darstellung der Verhaltensanalysen wird mit den durch mehrstufige Informationsgewinnung präzisierten Interaktionsverläufen begonnen. Aus den Verläufen wird dann die von Mitarbeitern ausgewählte Sequenz bezüglich der auslösenden und aufrechterhaltenen Faktoren analysiert und mittels einer entworfenen Auswertungsmatrix dargestellt. Die Reihenfolge bzw. der Ablauf in der Vorgehensweise weicht in dieser Arbeit von den Empfehlungen nach Umbreit et al. (2007) ab.
Bezogen auf den von ihnen im letzten Kapitel ihres Buches unter „Putting It All Together: From Problem Identification to Effective Intervention“ (pp. 249) vorgeschlagenen schrittweisen Ablauf eines FBA ergeben sich z. B. Unterschiede bei der Informationsgewinnung, welche in einem zweistufigen Prozess abläuft. Die konkreten Anpassungen, welche in Tabelle 4 zusammengefasst werden, sollen zu einer Objektivierbarkeit der Methodik beitragen. Die inhaltlichen fünf Bestandteile nach Umbreit et al., sowie die dafür nötigen Informationen werden ermittelt und verarbeitet.
Tabelle 4: Ablauf der funktionalen Analyse im Vergleich zur Methodik eines FBA
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nach der Methodik des FBA erfolgt nach dem Herausarbeiten der Funktion die Entwicklung und das Testen einer „Function-Based Intervention“ (FBI) mit Einsetzen eines Messsystems, Entwickeln eines „Behavior-Intervention-Plan“ für alle Beteiligten und der Planung des Evaluierens wie Ausschleichens der Maßnahme. Diese Schritte werden im weiteren Vorgehen diskutiert, aber nicht durchgeführt (siehe Kapitel 5.3.1). Durch die Verhaltensanalysen soll zunächst ein besseres Verständnis der Funktionalität sowie der Umweltbedingungen eines konkreten Problemverhaltes auf der Gruppe entstehen. Mitarbeitende sollen fähig sein in zukünftigen Erziehungssituationen Probleme besser antizipieren zu können. Das macht potenziell die Ableitung einer (wirksamen) Intervention möglich. Im Vordergrund steht aber ein höheres Maß an Handlungsfähigkeit durch die Erkenntnisse der Verhaltensanalysen. Denn insbesondere in herausfordernden Situationen kann es bei Unsicherheit zu weitreichenden Folgen für beide Interaktionsseiten kommen. „Hat man die Bedingungen analysiert, so geht es darum, die Situation zu verändern, d. h. alles, was sich als negativ erwiesen hat, abzustellen und als positiv erkannte Zustände nach Möglichkeit herbeizuführen.“ (Kehrer, 1997, S. 98). Deshalb geht es in einem dritten methodischen Schritt um die Suche und Bewertung von evidenzbasierten verhaltensorientierten Strategien
4.3 Evidenzbasierte Interventionsstrategien
In Bezug auf Forschungsfrage drei, d. h. welche Strategien es gibt, um bei den beschriebenen und hinsichtlich ihrer Funktionalität analysierten Verhaltensweisen wirksam intervenieren zu können, werden zusammenfassend im dritten methodischen Schritt dieser Arbeit:
a. Die aus einer FBI abzuleitenden bzw. empfohlenen Interventionsstrategien dargestellt, indem nach einem Entscheidungsmodell eine Auswahl getroffen und die möglichen Interventionen konkret formuliert werden, siehe Kapitel 5.3.1.
b. Das Verhalten bzw. die Reaktion der Mitarbeiter betrachtet und mit evidenzbasierten Interventionstechniken der operanten Konditionierung verglichen. Hier geht es um einen weitere verhaltensorientiere Strategien, welche Anwendung im konkreten Bezug der Wohngruppe finden können, siehe Kapitel 5.3.2.
c. Alternative evidenzbasierte Handlungsstrategien in Bezug auf die herausgearbeiteten Funktionen des Verhaltens in einer gezielten Literaturrecherche in der erziehungswissenschaftlichen Datenbank „Educational Resources Information Center“ (ERIC) recherchiert und dargestellt. Hierfür wird in der Suchmaske die ermittelte Funktion des Verhaltens nach der Funktionsmatrix von Umbreit et al. (2007, p. 84) in Englisch als Suchbegriffskombination eingegeben, z. B. negative reinforcement AND escape AND treatment“. Aus der Anzahl an Treffern wird ein Artikel, der am stärksten Bezug zu den Ausgangsbedingungen der Wohngruppe Iglu und der Zielgruppe hat, ausgewählt. Der Ausschluss anderer Suchtreffer wird erläutert. So soll mindestens eine evidenzbasierte Handlungsstrategie für jeden exemplarischen Fall gefunden und dargestellt werden. In einer Tabelle wird hierzu ein Überblick gegeben. In Folge werden die ausgewählten Artikel mit den enthaltenen Hintergrundinformationen dargestellt, unter Umständen mit weiteren Quellen ergänzt, um die enthaltenen verhaltensorientierten Strategien wie Techniken verständlicher zu machen. Abschließen wird Bezug zu den Verhaltensanalysen genommen, siehe Kapitel 5.3.3.
Ausgangspunkt ist die in dieser Arbeit herausgearbeitete Funktion des Verhaltens. Versteht man diese und die Bedingungen unter denen das Verhalten auftritt ist man nach Umbreit et al. (2007) in der Lage eine effektive Intervention zu planen und zu implementieren. Eine solche Intervention sei effektiver als Maßnahmen bei denen Strategien unabhängig von einer vorherigen Analyse der Funktion des Verhaltens angewendet werden.
Aus ihrer Sicht stellt ihr Vorgehen eine evidenzbasierte Praxis dar.
„The most important reason for completing an FBA and designing an intervention based on the function(s) identified through this process is that these interventions have proven to be more effective than interventions that simply increase reinforcement for ´appropriate´ behavior and penalties for problem behavior. This is the case whether the behavior is dangerous, as in the case of self-injury or aggression, or less severe, such as talking out of turn in the classroom.” (Umbreit et al., 2007, p. 2).
Es wird weiter beschrieben (pp. 93), dass diese Ableitung einer passgenauen Intervention mitunter komplex und schwierig sei. Hilfreich sei deshalb ein systematisches Vorgehen, welches aus den Ergebnissen eines FBA zu passenden Strategien hinführe. Hierfür wird das „Function-Based Intervention Decision Model“ vorgeschlagen, welches der Funktion eines Verhaltens passende Interventionsmethoden zuzuordnen vermag, siehe Abbildung 3.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Function-Based Intervention Decision Modell (Umbreit et al., p. 98)
Voraussetzung im Entscheidungsmodell ist die Durchführung eines FBA und die Auswahl des erwünschten Alternativverhaltens, welches in der Darstellung der Verhaltensanalysen in Kapitel 4.2. benannt wird. Im Fokus steht also nicht nur das als herausfordernd erlebte Verhalten, sondern immer auch ein sozial verträgliches Verhalten, welches ebenso die zur Funktion passenden Konsequenzen generieren könnte. Der Blick richtet sich nicht nur auf die Herausforderung, sondern auf eine Lösung. Fragt man sich beispielsweise, ob der junge Mensch das erwünschte Verhalten überhaupt zeigen kann, also das nötige Verhaltensrepertoire besitzt, könnte man feststellen, dass sein Verhalten kein Angriff auf die eigene Person, sondern einen dysfunktionalen Problemlösungsversuch darstellt. Entsprechend des Entscheidungsmodells muss man nach dem Vorgehen einer Function-Based Intervention (FBI) vor der Entwicklung einer Interventionsstrategie immer zwei Fragen beantworten.
a. Kann der junge Mensch das erwünschte Alternativverhalten zeigen?
b. Stellt die Umgebung ausreichende/gute Bedingungen (z. B. Erklärungen, Routinen, Regeln, Orientierungspunkte etc.) bereit, um erwünschtes Verhalten zeigen zu können?
Nach Beantwortung der Fragen geht es um die Auswahl möglicher Strategien. Es werden hier drei Strategien unterschieden (Umbreit et al., 2007, pp. 95):
1. Aufbau von Alternativverhaltensweisen durch einen gezielten Ausgleich von Defiziten im Verhalten der Jugendlichen, welche sie daran hindern in der Umgebung in der das Verhalten auftritt effektiv zu agieren.
2. Die Verbesserung der Umwelt durch eine Veränderung von Bedingungen nach der Beurteilung, inwieweit bei vorangegangenen Ereignissen eine hilfreiche Umgebung vorhanden war. Die in dieser Methode beschriebenen Strategien konzentrieren sich darauf, aversive Reize zu eliminieren oder zu modifizieren, so dass positive Verstärkung für angemessenes Verhalten leichter verfügbar werden.
3. Anpassungen der Kontingenzbedingungen, d. h. des Verhältnisses von gezeigtem Verhalten und der darauffolgenden Konsequenzen/Verstärkungen. Strategien, die in dieser Methode enthalten sind, konzentrieren sich auf die Beseitigung von Konsequenz-Bedingungen, welche das Problemverhalten aufrechterhalten haben und das Bereitstellen von Konsequenzen zur Verstärkung des Ersatzverhaltens, analog des Vorgehens einer differentiellen Verstärkung.
Wie aus dem Entscheidungsmodell hervorgeht ist auch die Kombination aus verschiedenen Methoden möglich oder mitunter nötig. Nach Auswahl der entsprechenden Interventionsstrategien würde man nach der Methodik einer FBI mit dem Einsetzen eines Messsystems, dem Testen der Intervention, dem Entwickeln eines Behavior-Intervention-Plan und der Planung des Evaluierens der Maßnahme fortfahren. In dieser Arbeit werden lediglich die nach dem dargestellten Entscheidungsmodell empfohlenen Strategien abgeleitet und kurz dargestellt. Dies stellt den ersten Bezug zu evidenzbasierten Handlungsstrategien her.
Weitere Handlungsstrategien werden im Kontext der Wohngruppe Iglu beleuchtet, indem die durch Mitarbeiter angewendeten Strategien mit denen der Verhaltensmodifikation verglichen werden. Dies erscheint von Interesse, weil bei herausfordernden Verhaltensweisen neben geplantem Handeln vor allem spontanes Reagieren notwendig wird. „Die Notwendigkeit, das Problemverhalten direkt zu verändern, ist in der Regel so groß, dass kaum Gelegenheit gesehen wird, sich auf die dahinterliegenden Motive zu besinnen.“ (Heijkoop, 2014, S. 142). Meldepflichtige Ereignisse erzeugen eine solche Dringlichkeit. In den Meldungen wurden auch die spontanen Reaktionen/Interventionen der Mitarbeiter im Interaktionsverlauf dokumentiert. In der wissenschaftlichen Reflexion dieser Ereignisse ist von Interesse, in wie weit hier bereits verhaltensorientierte Handlungsstrategien angewendet wurden. Bodenmann, Perrez & Schär schreiben hierzu: „Häufig verwendete Methoden im erzieherischen Kontext, welche auf die operante Konditionierung zurückgehen, sind insbesondere die Methoden der positiven Verstärkung von angemessenem Verhalten (beschreibendes Loben, Aufmerksamkeit schenken, spannende Aktivitäten unternehmen), Token Economies (Punktekarten) und Time-out (Stiller Stuhl).“ (2016, S. 139). Diese oder ähnliche operanten Methoden kommen auf der Wohngruppe Iglu zum Einsatz. In wie weit sie in einer spontanen Reaktion auf herausforderndes Verhalten Verwendung fanden wird unter 5.3.2. überprüft und dargestellt. Bezug genommen wird dabei auf eine Sammlung operanter Methoden für den sozialpädagogischen Kontext (Schermer, 2016; Bördlein, 2016).
Die Reaktion der Mitarbeiter stellt also mitunter eine „spontane“ Intervention dar. Die herausgearbeitete Funktion des Verhaltens bietet aber erst die Grundlage zur Ableitung oder Entwicklung einer „passgenauen“ Intervention. Nach Llyod & Kennedy (2014, p. 188) weist eine Analyse der Funktion in Richtung der Entwicklung einer Intervention: „The assessment of reinforcement contingencies also led to the development of function-based interventions for challenging behaviour.”. Die Autoren beschreiben, dass in über 30 Jahren Forschung die Effektivität dieses Vorgehens bewiesen sei. In diesem Zusammenhang sprechen sie von einer Fülle an „corresponding interventions”, welche sich aus einer Verhaltensanalyse empfehlen und in der Literatur zur genüge zur Verfügung stehen.
In dieser Arbeit werden deshalb auch weitere, auf der Wohngruppe Iglu anwendbare, Handlungsstrategien via Literaturrecherche in der erziehungswissenschaftlichen Datenbank ERIC durch die Eingabe der herausgearbeiteten Funktionen gesucht. Die verwendeten Begriffe werden zur Einschränkung der Suche mit „AND“ verbunden. Als zusätzliche Suchbedingung wird „AND treatment“ angefügt, um Strategien, Techniken oder Interventionen in Zusammenhang mit der Funktion des Verhaltens zu ermitteln. So sollen passgenaue Forschungsergebnisse in Form von zielgerichteten Interventionsmöglichkeiten als Erkenntnisgewinn zu den betrachteten Fällen gefunden werden. Diese sollen, neben den bereits dargestellten Strategien, das Handlungsspektrum der Mitarbeiter ad hoc und bei einer gezielten Verhaltensänderung erweitern. Sofern es bei exakter Eingabe der Funktion keinen Suchtreffer gibt, werden Zusatzbegriffe (z. B. from attention, to activity, from negative sensory stimulation etc.) weggelassen. Die ermittelten
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- Peter Schidla (Author), 2021, Herausfordernde Verhaltensweisen bei Kindern und Jugendlichen in der Heimerziehung. Wie Erzieher Konfliktsituationen richtig lösen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/540473
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