Dynamische Umwelt- und Marktanforderungen sowie interne Herausforderungen in Unternehmen fordern einen stetigen Wandel. Dazu bedarf es einer agilen Gestaltung der gesamten Organisation. Welche Anforderungen und Einflussmöglichkeiten bestehen für das Human Resource Management, um die agile Ausrichtung von Unternehmen zu gestalten?
Kevin Gruca öffnet in seiner Publikation einen wenig erforschten Themenkomplex und zeigt, wie HR-Abteilungen eine agile Ausrichtung im Unternehmen fördern, proaktiv gestalten und die agile Transformation in der Praxis umsetzen. Gruca stellt Entwicklungsmöglichkeiten vor und stärkt die Aufmerksamkeit für das Thema Agilität im HR-Bereich.
Aus dem Inhalt:
- Transformation,
- HR,
- Change Management,
- Agilisierung,
- Personalwesen
Inhaltsverzeichnis
Abstract
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Ausgangssituation
1.2 Problem- und Fragestellung
1.3 Zielsetzung
1.4 Aufbau der Arbeit
2 Definitorische und konzeptionelle Grundlagen von Agilität
2.1 Theoretischer und historischer Hintergrund
2.2 Begriffsdefinition und Abgrenzung
2.3 Agile Methoden
2.4 Die agile Organisation
3 Human Resource Management in Zeiten der Agilisierung
3.1 Einflussmöglichkeiten von HR in der agilen Organisation
3.2 Agiles Human Resource Management
4 Forschungsstrategie
4.1 Forschungsdesign
4.2 Methodisches Vorgehen
5 Ergebnisse der empirische Studie
5.1 Implementierung von Agilität
5.2 Die Rolle von HR in der agilen Gestaltung
5.3 Voraussetzungen für agile Organisationsgestaltung durch HR
5.4 Gestaltungsoptionen für HR
5.5 Erfolgskritische Faktoren für Agilität
5.6 Relevanz der Führungskräfte
5.7 Relevanz der Organisationsform und -struktur
5.8 Relevanz des Mindsets
5.9 Einflussmöglichkeiten von HR
5.10 Zusammenfassung und Diskussion der Forschungsergebnisse
6 Fazit
7 Kritische Reflexion
Literaturverzeichnis
Anhang
Anhang 1: Interviewleitfaden
Anhang 3: Informationsanschreiben
Anhang 4: Transkriptions- und Anonymisierungsregeln
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„Nichts ist so beständig wie der Wandel“
(Heraklit von Ephesus, 535-475 v. Chr.)
Abstract
Vor dem Hintergrund dynamischer Umwelt- und Marktanforderungen sowie interner Herausforderungen in Unternehmen, steigt die Relevanz einer entsprechenden Veränderungsfähigkeit von Organisationen. Mithilfe von Agilität und einer agilen Organisationsgestaltung kann eine kontinuierliche Anpassungsfähigkeit an die komplexe, unstetige Umwelt gewährleistet werden.
Ziel der Masterarbeit war es, Implikationen in Form von Anforderungen und Einflussmöglichkeiten für das Human Resource Management auf eine agile Gestaltung von Organisationen zu identifizieren, damit der HR-Bereich (zukünftig) eine agile Ausrichtung vorantreiben kann. Insbesondere den HR-Abteilungen sollen durch diese Arbeit Handlungsorientierungen und Impulse gegeben werden, mit denen eine proaktive agile Gestaltung möglich ist. Weiterhin zielt die Arbeit darauf ab, die Aufmerksamkeit für das Thema im HR-Bereich zu erhöhen und Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Um die definierten Forschungsziele zu realisieren, liegt der Studie eine explorative Erhebung von acht leitfadengestützten Experteninterviews1 zugrunde. Im Rahmen dieser Arbeit wurden agile Coaches als Experten identifiziert. Mittels der persönlichen und leitfadengestützten Befragung konnten dabei primär-empirische Daten erhoben werden. Diese wurden auf Basis der inhaltsanalytischen Methode nach Meuser und Nagel (1991) ausgewertet und zu neun soziologischen Kategorien zusammengefasst. Grundlage für den nachfolgenden Vergleich der Forschungsergebnisse mit der Theorie, bildete die Auseinandersetzung des aktuell fachlichen Diskurses über Förderungs- und Einflussmöglichkeiten organisationaler Agilität durch den HR-Bereich.
Im Fokus der Arbeit stand die Analyse der Forschungsergebnisse, in welcher Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Auffälligkeiten der Experteninterviews herausgestellt und mit den theoretischen Grundlagen verglichen wurden. Insgesamt konnten 20 Implikationen abgeleitet werden. Aus diesen Analyseergebnissen lassen sich sowohl Anforderungen, als auch (mittelbare und unmittelbare) Einflussmöglichkeiten des Human Resource Managements auf die agile Gestaltung von Unternehmen extrahieren.
Zusammenfassend soll durch die Masterarbeit ein stärkeres Bewusstsein für die Relevanz einer Auseinandersetzung mit Agilität insbesondere für den HR Bereich geschaffen werden.
Keywords: Human Resource Management, Agilität, Transformation, agile HR, Rolle von HR, Organisationsentwicklung, Change, Mindset
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Stacey-Matrix
Abb. 2: Why-How-What Modell (Simon Sinek)
Abb. 3: Pioneers Trafo-Modell™
Abb. 4: Erfolgsfaktoren organisationaler Agilität
Abb. 5: Forschungsstrategie der empirischen Studie
Abkürzungsverzeichnis
bspw. beispielsweise
bzgl. bezüglich
bzw. beziehungsweise
d.h. das heißt
ebd. ebenda
et al. etalii
evtl. eventuell
f. folgende
ff. fortfolgende
HR Human Resources
HRM Human Resource Management
PM Projektmanagement
u.a. unter anderem
vgl. Vergleiche
1 Einleitung
1.1 Ausgangssituation
Bedingt durch eine stetig volatiler werdende Umwelt und damit einhergehend wechselnden Rahmenbedingungen und Marktentwicklungen, sind Unternehmen heutzutage mit der Anforderung einer großen Wandlungsfähigkeit konfrontiert. Dabei ist jedes Unternehmen von einer dynamischen Umwelt betroffen (Nijssen und Paauwe, 2012). Aufgrund des fortschreitenden disruptiven Wandels, werden Produkte und Dienstleistungen modifiziert, Geschäftsmodelle hinterfragt und ganze Branchen transformiert (Häusling, 2017). Globalisierung, Digitalisierung und die Arbeitswelt 4.0. begünstigen diesen Wandel und erfordern hierbei eine Organisationsgestaltung, welche sich den dynamischen Einflussfaktoren schnell und adäquat anpassen muss. Diese rapide Marktentwicklung spiegelt sich unter anderem in einem individuellen Kundenbedürfnis wider: Kunden sind zunehmend besser informiert, gewöhnen sich an kürzere Bearbeitungszeiten und fordern passgenauere Problemlösungen. Hinzu kommen interne Herausforderungen, denen sich insbesondere klassisch organisierte Unternehmen stellen müssen. Langsame top-down Entscheidungswege, träge Machtstrukturen und silobasiertes Denken auf der Ebene der Mitarbeitenden hindern die geforderte Veränderungsfähigkeit (ebd.). Eine Fähigkeit, sich den wandelnden Anforderungen zielführend anzupassen wird essentiell und entscheidet über den Erfolg sowie die Zukunft von Unternehmen (Weckmüller, 2017).
1.2 Problem- und Fragestellung
Agilität beschreibt eben diese Fähigkeit, sich kontinuierlich an seine komplexe, turbulente und unsichere Umwelt anzupassen (Goldman, Nagel, Preiss und Warnecke, 1996). Um eine kontinuierliche Veränderungs- und Anpassungsfähigkeit im Unternehmen zu realisieren, bedarf es einer agilen Gestaltung der gesamten Organisation. Aus diesem Grund erfahren Agilität sowie agile Arbeitsstrukturen und -methoden zunehmend an Bedeutung und beschränken sie sich dabei nicht auf die Bereiche der Softwareentwicklung und des Projektmanagements, sondern erhalten Einzug in verschiedene Unternehmensbereiche. Im Bereich der Personalarbeit2 vieler Unternehmen, hat eine agile Ausrichtung noch nicht stattgefunden. Dies belegt die Studie von Kienbaum Consultants International in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Personalführung, in welcher der Reifegrad von HR-Funktionen untersucht wurde (2018): Oft finden noch starre Zielvereinbarungsprozesse auf Jahresbasis, sowie einmal jährliche Mitarbeitergesprächen statt. Neben üblichen Führungskräfte- sowie Personalentwicklungskonzepten entsprechen diese Instrumente in ihrer klassischen Anwendung nicht einer agilen Organisationsstruktur und Führungsarchitektur. Damit unterbleibt dem HR-Bereich eine aktive (Mit-)Gestaltung der Organisationsentwicklung. Dies behindert nicht nur einen ganzheitlichen Transformationsprozess, es verhindert gleichzeitig eine adäquate Rollenentwicklung des HR-Bereiches als befähigende Funktion des Unternehmens – insbesondere hinsichtlich einer agilen Ausrichtung.
1.3 Zielsetzung
Trotz der Vielzahl an wissenschaftlichen Publikationen zu Agilität und agiler Organisationsgestaltung, bildet das Wirkungsverhältnis von HR und Agilität lediglich einen kleinen Anteil des wissenschaftlichen Diskurses. Insbesondere wie das Human Resource Management Agilität im Unternehmen fördern und gestalten kann, wurde bisher nur vereinzelt wissenschaftlich betrachtet und stellt damit eine Forschungslücke dar, an welcher diese Arbeit ansetzt. Auch wurde in der Literatur bislang wenig hervorgehoben, welche Voraussetzungen benötigt werden, damit HR eine agile Gestaltung des Unternehmens verantworten und vorantreiben kann. An den aktuellen Forschungsstand anknüpfend, verfolgt diese Arbeit das Ziel, neue wissenschaftliche Erkenntnisse sowie ein Verständnis für die Relevanz zu einem Thema des aktuellen Arbeitsmarktdiskurses herzustellen, um sich mit der folgenden, identifizierte Forschungsfrage auseinanderzusetzen:
Welche Implikationen bestehen in Form von Anforderungen und Einflussmöglichkeiten für das Human Resource Management, um die agile Ausrichtung von Unternehmen zu gestalten?
Zur Beantwortung der Forschungsfrage werden im Rahmen einer explorativen Studie Experteninterviews mit ‘Agile Coaches3 ‘, welche unter Berücksichtigung der Forschungsfrage als Experten identifiziert wurden, durchgeführt, um neue Erkenntnisse in diesem bislang wenig erforschten Themenkomplex zu erhalten. Hierfür bedarf es der Klärung, welche Voraussetzungen benötigt werden, damit HR-Bereiche aktiv Treiber von Agilität im Unternehmen sein können. Anschließend gilt es zu analysieren, welche Faktoren eine agile Gestaltung beeinflussen und an welchen Stellen Steuerungsoptionen für HR bestehen. Darüber hinaus wird thematisiert, inwieweit sich HR selbst agil aufstellen muss, um Unternehmen zukunfts- und wettbewerbsfähig zu organisieren. Ziel dieser Arbeit ist es, insbesondere HR-Abteilungen Handlungsorientierungen und Impulse zu liefern, mit denen es möglich ist, eine agile Ausrichtung im Unternehmen proaktiv zu gestalten, statt deren Auswirkungen zu legitimieren. Weiterhin sollen Anforderungen im Unternehmen identifiziert werden, um eine agile Transformation in der Praxis umzusetzen. Nicht zuletzt zielt die Forschungsarbeit darauf ab, die Aufmerksamkeit für das Thema in HR-Bereichen zu erhöhen und etwaige Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Zudem sollen ein Bewusstsein und ein Verständnis für die Relevanz von Agilität im Unternehmen sowie im HR geschaffen und gestärkt werden.
1.4 Aufbau der Arbeit
Beginnend mit einer einführenden Skizzierung des Agilitätsverständnisses, werden zunächst die begrifflichen und theoretischen Grundlagen erläutert. Hierbei wird der Begriff Agilität definiert, bevor eine Auseinandersetzung mit agilen Organisationen folgen. Weiterhin wird untersucht, in welchen Bereichen Agilität benötigt wird, bevor Bezug auf den Reifegrad von Organisationen genommen wird. Im zweiten theoretischen Teil erfolgt eine Ausführung des wissenschaftlichen Status Quo zu den Förderungsmöglichkeit von HR für eine agile Organisationsgestaltung. Den Abschluss der theoretischen Grundlage bildet die Untersuchung angepasster und agilitätsfördernder Personalinstrumente sowie eine mögliche agile Ausrichtung des HR-Bereiches. Die aus dem wissenschaftlichen Diskurs entnommenen Aspekte, sollen als Vergleichsbasis für die Forschungsergebnisse der Studie dienen.
Zur Beantwortung der Forschungsfrage, gilt es im vierten Kapitel ein geeignetes Forschungsdesign zu konstruieren und das methodische Vorgehen zu begründen. Die genannte empirische Studie bildet das zentrale Element dieser Arbeit In Kapitel Fünf folgt die Darstellung wesentlicher empirischer Ergebnisse hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Auffälligkeiten. Aus dem Vergleich von Theorie und Praxis können anschließend Implikationen in Form von Anforderungen und Einflussmöglichkeiten von HR auf die agile Gestaltung von Organisationen abgeleitet werden. Im Nachgang folgt die Darstellung der Ergebnisse sowie eine Diskussion dieser. Im sechsten Kapitel wird das Forschungsergebnis resümierend betrachtet, bevor die Arbeit mit einer kritischen Reflexion und einem Ausblick zukünftiger Forschung abschließt.
2 Definitorische und konzeptionelle Grundlagen von Agilität
Um im späteren Verlauf dieser Forschungsarbeit analysieren zu können, welche Implikationen im Form von Anforderungen sowie Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der agilen Ausgestaltung von Unternehmen für das Human Resource Management4 bestehen, gilt es zunächst mittels definitorischer und konzeptioneller Grundlagen ein Verständnis für die Thematik zu schaffen. Im folgenden Kapitel erfolgt vorab eine kurze theoretische sowie historische Einordnung von Agilität (Kapitel 2.1), bevor eine definitorische Klassifizierung (Kapitel 2.2) gegeben wird. Anschließend wird untersucht, wann und warum eine Organisation agil sein sollte, wobei unterschiedliche Aspekte einer agilen Organisation beleuchtet werden (Kapitel 2.3). Als womöglich adäquate Organisationsform, erfolgt eine vertiefte Auseinandersetzung mit der agilen Organisation (Kapitel 2.4). Anschließend wird aufgrund der Verknüpfung strategischer Geschäftsprozesse mit organisationalen und HR-bezogenen Praktiken, das Trafo-Modell™ als passendes Modell vorgestellt. Im letzten Teilkapitel wird die Rolle des Agile Coaches – die zur Beantwortung der Forschungsfrage als relevante Erhebungseinheit identifiziert wurden – näher betrachtet.
2.1 Theoretischer und historischer Hintergrund
Sowohl in der Gesellschaft, als auch in der Wirtschaft hat sich die Geschwindigkeit des Wandels im letzten Jahrzehnt erhöht. Große Unternehmen wie Kodak, Nokia, Black-Berry oder Quelle, wurden aufgrund von Wettbewerbern, veränderten Marktentwicklungen oder disruptiven Veränderungen in ihren Branchen verdrängt. In ihrer Studie analysierten Foster und Kaplan (2015) die nach „Standard & Poor’s 500“ 500 größten US-Konzerne und stellten fest, dass diese Unternehmen durchschnittlich lediglich 15 Jahre alt wurden. Obgleich das Durchschnittsalter der börsennotierten Unternehmen in Europa mit 28 Jahren höher ist, so ist hier ebenso eine sinkende Tendenz festzustellen, wie die Forschungsergebnisse der Studie von Stadler und Wältermann (2012) belegen. Die verkürzte Lebensdauer von Unternehmen verdeutlicht, dass die Wandlungsgeschwindigkeit kontinuierlich zugenommen hat. Der thematisierte Wandel ist aufgrund von Änderungen in der Umwelt, als auch auf die innere Struktur, der Inwelt, von Unternehmen zurückzuführen (Kreutzer und Land, 2013). In der Umwelt führt insbesondere die Digitalisierung zu Veränderungen in der Arbeitswelt 4.0 sowie der Industrie 4.05, und hat einen disruptiven Wandel zu Folge, welcher mehrdimensional auf den Markt einwirkt und bestehende Technologien, Produkte und Dienstleistungen vollständig verdrängt (Fischer und Häusling, 2018). Kurze Innovationszyklen und schnelle Time-to-market Prozesse sind gefordert, um das modifizierte Bedürfnis des Kunden, adäquate Produkte zeitnah zu Verfügung zu stellen, zu befriedigen (Häusling und Rutz, 2017).
In der Inwelt sind es vor allem Veränderungen im kulturellen Wertewandel: Es entstehen unterschiedliche Wertetypen und die Interessen der Generationen X und Y6 weisen Entwicklungen zu einem stärkeren Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit, Selbstverwirklichung und Nachhaltigkeit auf (ebd.). Durch den Trend zu New Work werden diese Entwicklungen bestärkt. Hinzu kommen interne Herausforderungen in Unternehmen, die ein Umdenken verursachen. Schwerfällige Strukturen und starre Prozesswege führen hier zu einem ausgeprägten Beharrvermögen, während hierarchisch Führungskonzepte nach dem command-and-control Prinzip lange, ineffektive top-down Entscheidungsprozesse und hohe costs of delay bewirken (Häusling und Rutz, 2017). Des Weiteren ist in vielen traditionellen Unternehmen und Abteilungen noch ein silobasiertes Denken verankert, welches geprägt ist durch die Einhaltung von internen Regeln, Hierarchien und Konkurrenzkämpfen um Budget und Anerkennung, sodass wesentliche Schnittstellen und gemeinsame Ziele nicht realisiert werden (ebd.). Die Selbstverantwortung von Mitarbeitenden und Führungskräften in solchen Abteilungen sowie flexible Kundenbedürfnisse können nur verwirklicht werden, wenn vertikales Abteilungs-Denken mithilfe horizontaler Konzepte bewältigt wird (ebd.).
Der richtige Umgang mit dem andauernden Wandlungsprozess wird demnach zukünftig die zentrale Herausforderung für Unternehmen darstellen. Infolgedessen wird die Fähigkeit eines Unternehmens, sich schnell oder gar vorausschauend auf sich verändernde Umweltbedingungen einzustellen, von entscheidender Bedeutung für den Unternehmenserfolg sein (Gergs, 2016). Nach Ganguly, Nilchiani und Farr (2009) wird Agilität damit zu einem wesentlichen Faktor für die Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit und letztendlich für das Überleben eines Unternehmens. Dahingehend besitzen insbesondere im disruptiven Wandel agile Unternehmen einen Vorteil gegenüber klassischen, stabilen Unternehmen.
Vor diesem Hintergrund ist das Thema Agilität omnipräsent und zentraler Bestandteil vieler Konferenzen, Praxisforen und Diskussionen seitens der Unternehmen (Gergs, 2019). Sowohl in der Praxis, als auch in der einschlägigen Literatur (Lang & Scherber, 2018; Sutherland, 2015) findet der Begriff Agilität eine hohe Verwendung, obwohl das Konzept der Agilität im wissenschaftlichen Diskurs bereits in den 1950er Jahren Anwendung in der Systemtheorie von Organisationen fand. Stellvertretend sind hier die Arbeiten des Soziologen Talcott Parson (1951) zu benennen. Parson identifizierte vier Funktionen, die jedes System erfüllen muss, um seine Existenz zu erhalten (Fischer, 2016). Er beschreibt dabei die Fähigkeit eines Systems, auf die sich verändernden Bedingungen zu reagieren (Adaption), Ziele zu definieren und durchzusetzen (Goal Attainment), Zusammenhalt herzustellen und abzusichern (Integration) sowie fundamentale Strukturen und Wertemuster bestehen zu lassen (Latency) (Förster & Wendler, 2012). Die Anfangsbuchstaben dieser vier Funktionen bilden das AGIL-Schema. In zahlreichen Konzepten wurde auf die Grundkonzeption des AGIL-Schemas Bezug genommen, betrachtet man die historische Entwicklung, so lassen sich grob drei Entwicklungswellen klassifizieren (Wendler, 2013; Fischer, 2016):
1. Agile manufacturing
Auf Basis einer verstärkten Proaktivität in den Kundenprozessen neuer Fertigungsstrategien, erscheint seit Beginn der 1990er Jahre das Konzept in veränderter Form als „agile manufacturing“ wieder (Förster & Wendler, 2012). Primär geht es um die Zusammenstellung multi-funktionaler Teams, eine schnellere Produktentwicklung (simultaneous Engineering) sowie die kontinuierliche Optimierung der Produktionsabläufe (Vázques-Bustello, 2007). Sowohl Lean Production als auch Lean Management weisen damit agile Ansätze auf, sind jedoch kein konkreter Bestandteil der Agilität, da Verschlankung nicht eindeutig auf den Einsatz agiler Methoden zurückzuführen ist (Komus & Kamlowski, 2014).
2. Agile Softwareentwicklung
Mit Beginn des 21. Jahrhunderts wurde Agilität in der Unternehmenspraxis zunächst in der Softwareentwicklung geprägt und erlebte hier durch Methoden wie SCRUM oder Kanban einen Aufschwung. Aufgrund von dynamischen Kundenanforderungen, sowie komplexer werdenden und damit nicht planbaren Softwareprojekten, wurde Informatikern im sogenannten „agilen Manifest in der Softwareentwicklung“7 eine Art Handlungsorientierung gegeben, um Software schnell, flexibel und mit geringem Risiko zu entwickeln und damit eine Lösung für die bis dahin starren bürokratischen und traditionellen Softwareentwicklungsprozesse nach dem Wasserfallprinzip zu liefern (Gergs, 2018). Die beteiligten Individuen und ihre Interaktionen, der entsprechende Kunde und das spezifische Produkt sowie dessen Anpassungsfähigkeit bilden im Zuge dessen relevante Komponenten dieser Theorie (Scheller, 2017). Seither werden agile Methoden wie SCRUM oder Kanban in 95% aller Softwareentwicklungsprojekten in Unternehmen eingesetzt (VersionOne, 2016).
3. Agile Organisation
Die aktuellen Megatrends in der Arbeitswelt bedingen die in Kapitel 1.2 thematisierten externen sowie internen Herausforderungen, denen sich Unternehmen stellen müssen. Dies hat zur Folge, dass sich das Konzept der Agilität und dessen Nutzen nicht nur auf den Produktions- und Softwareentwicklungsbereich beschränkt, sondern ebenso relevant für andere Branchen sein kann. Infolgedessen beschäftigt sich die agile Organisation nicht nur damit, wie die Transformationen von bestimmten Unternehmensbereichen, sondern des gesamten Unternehmens gelingen kann. Es wird versucht, die gesamte Organisation darauf auszurichten, initiativ und anpassungsfähig auf Veränderungen reagieren zu können und demnach anpassbar zu sein ohne sich ändern zu müssen (Dyer & Shafer, 1998). Um organisationale Agilität einerseits besser nachvollziehen zu können und andererseits messbar zu machen, differenziert Aulinger (2017) diese in eine äußere und eine innere Agilität. Äußere Agilität definiert er als Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft einer Organisation als Ganzes, in einer VUCA-Welt (volatility, uncertainty, complexity, ambiguity) (Cousins, 2018). Die innere Agilität beschreibt Organisations- und Planungsprinzipien die in einem Unternehmen vorhanden sind und mit welchen flexibel auf Umweltveränderungen sowie neue Kundenanforderungen reagiert werden kann. Ein Unternehmen gilt im inneren als agil, auch wenn sein Innovationsvorhaben im Außen nicht erfolgreichen ist, sofern intern „viel kooperiert und Kundennähe gelebt wird und wenn Fehlerfreundlichkeit und Innovationswille vorhanden sind, [...]“ (Aulinger, 2017: 3).
2.2 Begriffsdefinition und Abgrenzung
Der Begriff agil stammt von dem lateinischen „agilis“ ab und bedeutet laut Duden (2019) von großer Beweglichkeit zeugend, regsam und wendig. Daraus ausgehend wird in der einschlägigen Literatur innerhalb der Organisationstheorie unter Agilität die Fähigkeit eines Unternehmens verstanden, sich kontinuierlich an seine komplexe, turbulente und unsichere Umwelt anzupassen, indem es diese Veränderungen möglichst frühzeitig antizipiert und Geschäftsmodelle sowie Arbeitsprozesse den Marktveränderungen anpasst (Goldman et al., 1996; Hofert, 2016). Obwohl keine allgemeingültige Definition von Agilität im Kontext von Unternehmen existiert, soll diese Definition als Grundlage der vorliegenden Forschungsarbeit fungieren, da sie die wichtigsten Aspekte verschiedener Publikationen zusammenfasst. Der Begriff der Flexibilität wird häufig synonym für Agilität verwendet. Eine klare Abgrenzung ist hierbei schwierig, da beide Begriffe die Anpassungsfähigkeit von Organisationen beschreiben. Fischer (2016) unterscheidet deshalb zwischen reaktiver und proaktiver Anpassungsfähigkeit. Flexibilität stellt seiner Definition nach eine rein reaktive Anpassung dar, während Agilität eine antizipative, innovative und damit proaktive Reaktion bestimmt (Fischer, 2016). Darüber hinaus bezeichnen einige Autoren (Temer, 2016; Nissen & Rennenkampf, 2013; Sambamurthy et al. 2003) Flexibilität als eine relevante Eigenschaft von Agilität. Eine Begriffsabgrenzung zum agilen Arbeiten folgt im nächsten Kapitel.
2.3 Agile Methoden
Bei sogenannten „dynamischen Problemen“, also Problemen, die offen und komplex erscheinen und in einer unsicheren Umwelt angesiedelt sind, erweist sich der Einsatz agiler Methoden als zielführend (Schermuly, 2019). Zeitliche Ressourcen sind für die Problemlösung häufig begrenzt, zudem werden Know-how und Erfahrungen benötigt. Agile Methoden basieren auf den Werten und Prinzipien des agilen Manifests und bilden den Rahmen, durch den bestimmte Aufgaben mithilfe von agilen Werkzeugen bzw. Techniken wie z. B. Daily-Standup-Meetings8 wiederkehrend gelöst werden können (Haufe, 2017). Der Einsatz agiler Methoden erfolgt je nach Anwendungszweck, sodass zwischen agilen Methoden für Führung, Projektumsetzung, Produktentwicklung oder Organisationsentwicklung differenziert werden kann (Hofert, 2016)9. Durch den Einsatz agiler Methoden, grenzt sich die agile Arbeitsweise grundlegend von der klassischen Vorgehensweise, z. B. der Wasserfallmethode ab, die einen monolithischen Ansatz verfolgt und sich durch einen hohen Standardisierungsgrad sowie eine feste Abfolge mit festgelegten Meilensteinen und Projektphasen auszeichnet (Book, Gruhn und Striemer, 2017). Damit liegt der Fokus des klassischen Projektmanagements auf einer genauen Vorplanung, der Sicherheit der Durchführung sowie auf das zu erreichende Ergebnis. Im Kontext der Unvorhersehbarkeit und der zunehmenden Volatilität, um auf spontane Änderungen flexibel reagieren zu können, versagt diese Methode jedoch (Scheller, 2017).
Aufgrund einer verstärkten VUCA Umwelt, bedarf es neben den tradierten Projekt-Management-Methoden neue Ansätze. Mithilfe von agilen Methoden wird ein iterativ-inkrementeller Prozess mit kurzen Rückkopplungsschleifen verfolgt, indem eine Untergliederung in kurze Intervalle erfolgt und diese anschließend getestet werden (Schermuly, 2019). In diesen sequenziellen Phasen, den sog. Iterationen, können sowohl Teilprobleme analysiert, als auch die Komplexität im Ganzen durch eine Spezifikation und Umsetzung reduziert werden. Somit besteht die Möglichkeit, kontinuierlich neue Anforderungen für die nächsten Arbeitsphasen in das Ergebnis zu implementieren. Agile Methoden zielen darauf ab, schnell und dynamisch auf Veränderungen reagieren und eine Anpassungsfähigkeit realisieren zu können. Aufgrund der kurzen Zyklen und Iterationen besteht schließlich die Möglichkeit einer flexiblen Reaktion auf passgenaue Kundenwünsche.
Die Auswahl der Methode verfolgt nicht das Ziel, eine Entscheidung für oder gegen die andere Methode herbeizuführen, vielmehr soll je nach Bedarf und Passgenauigkeit ausgewählt werden, wobei verschiedene Möglichkeiten denkbar sind. Die vom Hochschulprofessor Ralph Douglas Stacey entwickelte Stacey-Matrix (Abb. 1), soll hierfür als Orientierungs- und Entscheidungshilfe hinzugezogen werden, um das Vorgehen beim Management von Projekten und Prozessen zu bestimmen. Sie zeigt auf, an welchen Stellen jeweils der Einsatz von agilen, hybriden oder klassischen Projektmethoden am geeignetsten ist. Sie dient als einfacher Ordnungsrahmen und differenziert zwischen einfachen, komplizierten, komplexen sowie chaotischen Aufgaben. Die Aufgaben werden anhand:
- der Klarheit ihrer Zielvorgaben sowie Anforderungen ("Was?") und
- dem Verständnis für die Aktivitäten sowie der Beherrschbarkeit der Methoden und Werkzeuge zur Umsetzung („Wie?“) dieser Parameter entsprechend innerhalb der Matrix klassifiziert (Komus & Schmidt, 2017). Auch weitere Faktoren wie Management-Attention, Zusammenstellung und Qualifikationen des Teams oder Einflüsse aus dem Umfeld können von Bedeutung sein (von Bergen, 2019).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Stacey-Matrix
Quelle: Komus & Schmitdt, 2017
Auf Basis der vorliegenden Definition (S.10) wird der Begriff Agilität umfassender und nicht lediglich synonym für agile Methoden und agiles Arbeiten verwendet (Graf, Gramß & Edelkraut, 2017). Auch Scheller (2017) versteht Agilität nicht als Methode oder Prozess, sondern vielmehr als Denkweise bzw. Haltung. Dahingehend kann die Anwendung agiler Praktiken, Methoden und Frameworks nur gewährleistet werden, sofern dies aus einer Haltung entsteht, Einschränkungen und die Begrenzung des Denkens sowohl in der Organisation, als auch im subjektiven Handeln überwinden zu wollen (Hofert, 2016). Aus den Erfahrungen des Change Managements ist bekannt, dass Organisationen und somit Mitarbeitende den Wandel nur akzeptieren, sofern die Gründe, die Notwendigkeit und damit auch der Sinn für diesen Wandel bekannt sind (Knese, 2019). Unternehmen, die die Fragen nach dem „Warum“ bzw. „Wofür“ in ihrer Gesamtheit beantworten können und zugleich ein einheitliches Verständnis darüber herrscht, sind nach Simon Sinek (2014) wirklich erfolgreich. Mithilfe des Why-How-What Modells (Abb. 2) kann der Sinn eines Unternehmens definiert und eine Perspektive auf die Frage, wofür es stehen soll, gelöst werden. Im Gegensatz zu traditionellen Unternehmen, die sich über das „Was“ und „Wie“ ihrer Leistung definieren, wird in agilen Organisationen ein höherer Sinn gesehen, in welchem Selbstverantwortung und agiles Arbeiten entwickelt werden können (Sinek, 2014).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Why-How-What Modell (Simon Sinek)
Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Diehl, 2018
2.4 Die agile Organisation
Vor dem Hintergrund, dass Branchen sowie Industrien einem tiefgreifenden und weitestgehend unvorhersehbaren Wandel unterliegen (werden), besteht ein hoher Druck im Geschäftsklima vieler Organisationen (Dyer und Shafer, 1998). Unternehmen haben Probleme, der Veränderungsrate in ihrem externen Umfeld nachzukommen, da diese häufig ihre organisatorischen Kapazitäten übertreffen (Foster & Kaplan, 2001). Angesichts dieser Herausforderungen, wird versucht durch partielle Änderungen z.B. in Form von crossfunktionalen Produktentwicklungsteams oder verstärkter Mitarbeiterbeteiligung diesen entgegenzuwirken, um in Situationen des Wandels und der Unsicherheit aktiv, flexibel und initiativ agieren zu können (Dyer und Shafer, 1998). Da diese Veränderungen nur einen geringen Erfolg erzielen, wächst das Interesse an einem neuen Organisationsparadigma, in welchem eine organisationale Anpassung nicht nur einmalig oder periodisch, sondern in einem kontinuierlichen Prozess erfolgt (ebd.). Damit eine entsprechende Wettbewerbsfähigkeit gesichert und Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz erzielt werden, bedarf es nicht nur einer effizienteren Arbeitsweise, sondern vielmehr eines Handlungsspielraumes anders zu arbeiten, neues auszuprobieren und den Status quo zu hinterfragen (Hamel, 2000). Eine Möglichkeit, um dies zu bewirken besteht darin, die durch die Dynamik verursachte Unsicherheit nicht länger zu bewältigen, sondern sie zu akzeptieren und zu organisieren (Nijssen & Paauwe, 2012). Dies ist, was agile Organisationen tun. Sie ermöglichen agile Arbeitsweisen unter Beachtung der agilen Werte und Prinzipien.
2.4.1 Definition und Merkmale einer agilen Organisation
Nijssen und Paauwe (2012) bezeichnen agile Organisationen als sich entwickelnde Organisationen, die sich den verändernden Marktdynamiken anpassen, während organisationale Agilität jedoch nicht einfach an- oder ausgeschaltet werden kann. Nach Laloux durchlaufen agile Organisationen eine Evolution des Bewusstseins. Er schreibt, „dass sich diese Evolution in Richtung zunehmend komplexer und verfeinerter Verhaltens- und Beziehungsformen in der Welt ausdrückt [...]“ (2015: 43). Organisationen dieser Art unterliegen einer kontinuierlichen Veränderung, sodass es zu einem Paradigmenwechsel kommt. Sie konzentrieren sich auf ihre Stärken, lernen mit Widrigkeiten angemessen umzugehen, zeigen Weisheit jenseits von Rationalität und streben eine tiefe Sehnsucht nach der Ganzheit an (Laloux, 2015). Organisationen werden von Laloux als selbstführende, sich verändernde und „lebendige Systeme“ (2015: 55) bezeichnet. Dyer und Shafer verdeutlichen, was agile Organisationen ausmacht und pointieren deren Kernkompetenz als „[...] die vollkommene Anpassungsfähigkeit ohne sich verändern zu müssen. Es wird als notwendige Kernkompetenz für Organisationen angesehen, die sich in dynamischen externen Umgebungen befinden.“ (1998: 6). Die Fähigkeit, sich zu verändern, sich schnell zu bewegen und anzupassen, sobald sich Umstände ändern, kann dabei entweder alleine oder in Kooperation mit Allianzpartnern erfolgen (Dyer & Shafer, 1998). Das Ziel ist es, internen Tätigkeiten den gleichen Grad an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit zu gewähren, welcher für das Chaos der externen Umwelt gefordert wird, Morgan (1997) spricht hierbei von notwendiger Vielfalt. Neben den aufgeführten Fähigkeiten finden sich in der einschlägigen Literatur weitere, die für agile Organisationen typisch sind und von verschiedenen Autoren benannt werden. Lu und Ramanurthy (2011) sowie Nijssen und Pauwe (2012) bekräftigen die schnelle Reaktion und schnelle Implementierung von Produkten und Serviceleistungen, die es braucht, um am Wettbewerb bestehen zu können. Weiterhin wird die Selbstorganisation als wichtiger Aspekt benannt, die nach Gloger und Rößner (2015) ein komplexer, eigenständig gelenkter Lernprozess ist, da Führung und Management zwar weiterhin gebraucht werden, sich die Aufgaben und Anforderungen jedoch ändern. Zudem schätzt u. a. Appelo (2010) die Vernetzung in einer Organisation als bedeutungsvoll ein, da Agilität eine hohe Kommunikation und Beziehung zwischen Individuen benötigt. Die Vernetzung beschränkt sich hierbei nicht nur auf Mitarbeitende, sondern basiert auf einen ständigen Austausch mit dem Netzwerk aus Kunden, Lieferanten und der Umwelt.
2.4.2 Agiler Reifegrad
Bevor ausgeführt wird, wie Organisationen agil(er) werden können ist es zunächst wichtig zu analysieren, wie sich der IST-Zustand des Unternehmens hinsichtlich der Agilität ausgestaltet, wo z. B. etwaige Anpassungen und Potentiale vorliegen. Dafür muss extrahiert werden, ob aktuell die gesamte Organisation, oder lediglich bestimmte Funktionen, Abteilungen oder Teams agil sind und werden sollen (Nijssen und Paauwe, 2012). Organisation können ein bestimmtes Level an Agilität besitzen, das häufig als Reifegrad bezeichnet wird (Nijssen & Pauwe, 2001). Im wissenschaftlichen Diskurs existiert keine einheitliche Aussage über den Zweck agiler Reifegradmodelle. Grundlegend sollen sie den aktuellen Erfüllungsgrad des agilen Potentials von Teams, Bereichen oder der gesamten Organisation bewerten (Krieg, 2016). Aufgrund unterschiedlicher Unternehmensziele und Begründungen agiler zu werden, sind auch die agilen Ausprägungen von Aspekten in Unternehmen entsprechend different. Aus diesem Grund sollten Reifegradmodelle eine gewisse Allgemeingültigkeit verfolgen, sodass es möglich ist, unabhängig dieser Differenzen einen bestimmten Reifegrad ermitteln zu können (ebd.). Nach diesem Grundsatz richtet sich das „Reifegradmodell für agile Unternehmensentwicklung (Agile Maturity Model)“10 von Alexander Krieg (2016), welches versucht, den agilen Grad der gesamten Organisation zu erfassen und dabei auf die unterschiedliche Verbreitung der agilen Reifegrade in einem Unternehmen einzugehen. Ein weiteres Modell, welches eine agile Reifegradbeurteilung auf Basis einer ganzheitlichen Organisationsanalyse realisiert, ist das von der Unternehmensberatung HR Pioneers GmbH in Zusammenarbeit mit Fischer entwickelte Trafo-Modell™. Es stellt die agile Entwicklungsmöglichkeit von Unternehmen auf Grundlage von sechs maßgeblichen Dimensionen dar, in denen Transformationen stattfinden. Eine detaillierte Ausführung erfolgt in Kapitel 2.4.5.
2.4.3 Agile Unternehmensentwicklung
Das Vorgehen bei der Einführung bzw. Entwicklung von organisationaler Agilität kann auf prozessualer Ebene je nach Unternehmen variieren – von einem eingegrenzten Pilotprojekt bis zur Bildung eines Transformationsteams für eine ganzheitliche Unternehmenstransition (Krieg, 2016). Krieg betont, dass „ein mögliches Spannungsfeld zwischen den auf Stabilität setzenden bewährten Strukturen, Prozessen sowie Rollen und dem auf Flexibilität und Dynamik ausgerichteten agilen Ansatz“ (2016: 161) berücksichtigt werden muss. Nach Kotter (2012) können Unternehmen nur agiler werden, wenn sie identifizieren, wie viel Agilität sowie Stabilität für einen jeweiligen Bereich benötigt wird, da verschiedene Wege und Varianten innerhalb eines Unternehmens existieren, die sich unterscheiden können. Er verdeutlicht dies mit dem Beispiel des „dual operating systems“ (Kotter, 2012), in welchem neben den formalen Organigrammen und Hierarchien für Konstanz und Effizienz, flexible Strukturen mit informellen Netzwerken vorliegen. Folglich muss analysiert werden, in welchen Bereichen einer Organisation klare Prozessstrukturen, Hierarchien sowie Entscheidungswege sinnvoll sind, um die Effizienz des Geschäftsmodells zu optimieren und wo agile Strukturen mit hoher Selbstorganisation, Flexibilität und Exploration einen größeren Nutzen erzeugen. Nach Aulinger haben in agilen Organisationen „Flexibilität und Stabilität die richtigen Plätze sowie das jeweils richtige Maß gefunden“ (2017: 3). Dieses Vorgehen kann als Ambidextrie bezeichnet werden. Ziel dieses Konzepts ist es, ein Gleichgewicht zwischen der Nutzung des bestehenden Wissens (Exploitation), sowie der Generierung neuen Wissens (Exploration) herzustellen (March, 1991). Um damit sowohl effizient als auch innovativ zu agieren, benötigen Unternehmen beides (Neyer und Müller, 2015). Demnach bauen agile Strukturen auf den zuvor beschriebenen Organisationsformen auf und ermöglichen dahingehend organisationale Agilität.
Die Betrachtung der Agilität von Organisationen in Bezug auf die dynamischen Fähigkeiten, insbesondere der HR-Aspekte ist ein relativ neues Forschungsfeld. Es wird davon ausgegangen, dass nur in strategischen Geschäftsprozessen das Vorhandensein von organisationaler Agilität zu einem nachhaltigen Wettbewerbsvorteil in einem dynamischen Umfeld führt, weshalb dahingehend fokussiert untersucht werden sollte, ob organisationale und HR-bezogene Praktiken mit diesen Geschäftsprozessen verknüpft sind (Nijssen und Paauwe, 2012). Das von Fischer sowie der HR Pioneers GmbH entwickelte Trafo-Modell™ verknüpft die thematisierten Geschäftsprozesse mit organisationaler und HR-bezogenen Tätigkeiten der Dimensionen von Agilität, als auch auf den Dimensionen von Organisationen und wird im folgenden Teilkapitel näher erläutert.
2.4.4 Agile Transformation: Das Trafo-Modell™
Das vorliegende, theoriegeleitete Trafo-Modell™11 (Abb. 3) stellt ein geeignetes Grundgerüst dar, mit welchem das Entwicklungspotenzial eines Unternehmens auf Basis umfassender, ganzheitlicher Organisationsanalysen beurteilt werden kann. Im Gegensatz zu anderen Reifegradmodellen, die sich auf agilen Entwicklungsmöglichkeiten von Teams oder Abteilungen konzentrieren, stellt dieses Modell die Erfassung der gesamten Organisation mit dem Fokus auf sechs Dimensionen, in denen eine agile Transition verläuft, in den Vordergrund.12 Wie zuvor beschrieben, verknüpft das Trafo-Modell™ strategische Geschäftsprozesse mit organisationalen und HR-bezogenen Praktiken, wobei eine Trennung zwischen Kunden- und Mitarbeiterorientierung erfolgt. Aufgrund der beschriebenen Verknüpfung sowie des Differenzierungsgrades des Modells, bildet dies die theoretische Grundlage der folgenden Forschungsarbeit – ohne dabei die Dimensionen als vollständig autark und ohne Beeinflussungsmöglichkeiten auf den jeweiligen anderen Bereich anzusehen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass keine „one-size-fits-all-Lösung“ zur Transformation einer agilen Organisation existiert und daher keine „best practices“, sondern „own practices“, bzw. der „best fit“ angestrebt werden sollten (Denning, 2018 und Dethloff, 2016). Unter Beachtung dessen, fasst das vorliegende Modell exemplarisch relevante Aspekte in Form von Dimensionen zusammen, die es bei einer Transformation zu beachten gilt und die hinsichtlich der Bestimmung eines Reifegrades zu berücksichtigen sind. Nachfolgend werden die einzelnen Dimensionen nach Häusling (2017) beschrieben:
Abb. 3: Pioneers Trafo-Modell™
Quelle: HR-Pioneers GmbH, 2019
2.4.4.1 Strategie
Das primäre Ziel der agilen Transformation ist die Steigerung der Anpassungsfähigkeit einer Organisation hinsichtlich zukünftiger Veränderungen. Es bedarf einer klaren Zieldefinition und strategischen Grundsatzentscheidung des Managements, wie diese Transformation erzielt werden kann. Dazu muss die am Nutzen für das Unternehmen ausgerichtete inside-out-Denkweise, die stabilitätsgeprägt ist zu einer konsequenten Steigerung des Kundennutzens zentralisierten outside-in Denkweise erfolgen, in der die Neu- und Weiterentwicklung von Produkten im Fokus steht.
2.4.4.2 Struktur
Damit Organisationen die Reaktionsgeschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit steigern können, müssen entsprechende Rahmenbedingungen in Form einer adäquaten Organisationsstruktur etabliert werden. Die zunehmende Fokussierung hin zu einer verstärkten Kundenorientierung veranlasst damit eine Anpassung durch agile Strukturen, da Linienorganisationen mit hierarchischer Struktur ihren Fixpunkt auf die Führungskräfte, statt auf den Kunden richten. Solche Anordnungen werden durch Netzwerkstrukturen ersetzt und Abteilungen durch interdisziplinäre Teams substituiert, sodass sich die Verantwortung an den Rand des Netzwerkes zu den Mitarbeitenden und somit in Richtung des Kunden verlagert (Häusling und Rutz, 2017).
2.4.4.3 Prozess
Begründet durch eine geringe Produktqualität, hohe Kosten oder geringe zeitliche Ressourcen aufgrund von langen Planungszyklen, stellt die Einführung iterativer Prozesse einen relevanten Aspekt der agilen Transformation von Unternehmen dar. Standardisierte, wasserfallartige Projektprozesse basieren auf einer ausgeprägten Push-Mentalität, sodass Entscheidungen nicht selbstverantwortlich und flexibel im Team, sondern von der Führungskraft getroffen wird. Spontane Änderungen sind mit einem hohen Aufwand verbunden. Aufgrund der iterativen Vorgehensweise und der Kundeneinbindung bei agilen Prozessstrukturen, erfolgt eine schnelle Anpassung an Kundenwünsche und eine Erhöhung der Prozessgeschwindigkeit. Zudem wird die Verantwortung auf das gesamte Team übertragen und Entscheidungen selbstständig getroffen.
2.4.4.4 Führung
Um eine gewinnbringende Neuausrichtung hin zu einer Mitarbeiter- und Kundenorientierung zu erzielen, gilt es das mitarbeiterzentrierte Führungsverständnis zu fördern, in welchem die Führungskräfte lernen Kontrolle abzugeben und interdisziplinäre sowie hierarchiefreie Zusammenarbeit zu gestalten (ebd.). Führungskräfte klassischer Organisationen definieren sich primär durch ihr fachliches Know-how. Das interaktive Führen von Mitarbeitenden kommt ergänzend hinzu, sodass eine fachorientierte statt mitarbeiterzentriete Menschenführung stattfindet. Um sich abzugrenzen, akkumulieren sie Expertenwissen und gebrauchen dieses als Machtinstrument, wodurch Wissensmonopole entstehen. In agilen Organisationen verändert sich das Führungsverständnis dahingehend, dass die Führungskraft Verantwortung an das Team überträgt, Mitarbeitende zum selbstverantwortlichen Arbeiten befähigt, sie dazu ermächtigt Entscheidungen aktiv mitzugestalten und eine Wissensweitergabe aktiv unterstützt.
2.4.4.5 HR
Der HR-Bereich kann in der Rolle der Kultur- und Organisationsentwicklung Treiber von (agilen) Veränderung sein, indem Personalinstrumente überprüft, modifiziert und in Form von modernen, flexiblen Instrumenten nutzbar gemacht werden, mit dem Ziel Mitarbeitende (lateral) zu führen und optimal zu unterstützen. Dafür bedarf es einem Umdenken nach dem outside-in Prinzip (siehe Kapitel 3).
2.4.4.6 Kultur
Im Rahmen agier Transformationen ist die Unternehmenskultur von besonderer Relevanz, da sich dort wiederspiegelt, inwieweit eine agile Ausrichtung konsequent gelebt wird und diese in Strukturen und Denkweisen verankert ist. Aufgrund von Reportings und Absicherungsmechanismen findet sich in klassischen Unternehmen eine Kultur wieder, die auf Fehlervermeidung basiert und die Organisation verlangsamt. In agilen Unternehmen besteht eine ausgeprägte Vertrauens- und Feedbackkultur, in welcher Fehler als Lernchance im Rahmen von Innovationen gesehen werden.
„Eine agile Organisation ist kein Selbstzweck, sondern die Grundlage für langfristige Anpassungsfähigkeit auf der Basis eines kundenorientierten, lernenden Netzwerkes“ (ebd. 2017: 111). Eine Transformation zu einer agilen Organisation kann nur gelingen, sofern in allen vorgestellten sechs Dimensionen alte Verhaltensmuster geändert werden. Generell ist jedoch bei allen Organisationsmodellen zu hinterfragen, inwiefern die Messung eines agilen Reifegrades für das Gesamtunternehmen als sinnvoll erachtet wird, da sich verschiedene Unternehmensbereiche mit differenten (Umwelt-) Anforderungen auseinandersetzen müssen und im Ableitung dessen über unterschiedliche Ausprägungen von agilen Fähigkeiten verfügen müssen (Häusling,2017).
2.4.5 Die Rolle „Agile Coach“
Aufgrund der besonderen Stellung im Rahmen einer agilen Transformation und Organisationsgestaltung sowie als identifizierte Erhebungseinheit im Rahmen dieser Forschungsarbeit , soll die Rolle und das Berufsbild des Agile Coaches nachfolgend näher erläutert werden. Aus der wissenschaftlichen Literatur lässt sich kein einheitlich definierbares Anforderungsprofil oder Berufsbild eines Agile Coaches ableiten, jedoch aus Fachdiskussionen extrahieren (Marchand und Linkdken, 2019). Das Profil zeichnet sich u. a. durch die Steigerung der Adaptionsfähigkeit einer Organisation, die Entwicklung eines agilen Mindsets, die Stärkung der Kooperation zwischen Organisationsmitgliedern sowie die Beseitigung von Hindernissen und Lösung von Problemen aus (ebd.). Das von Adkins und Spayd (2011) in Zusammenarbeit mit dem Agile Coaching Institute entwickelte „Agile Coaching Competency Framework“13 fasst die in der Literatur vielfältigen, relevanten Eigenschaften und Aufgaben dieses Berufsbildes zusammen, wobei nicht jederzeit alle, sondern je nach Bedarf und Anforderungen bestimmte Aufgaben zum Tragen kommen. Demnach begleitet ein Agile Coach Organisationen und unterstützt diese anpassungsfähig und selbstlernend zu werden, um nachhaltig agil zu werden (Adkins und Spayd, 2011). Resümierend kann festgehalten werden, dass agile Organisationsstrukturen (die bspw. durch einen Agile Coach forciert werden können) Unternehmen ermöglichen auf die neuen Anforderungen der Um- und Inwelt zu reagieren.
3 Human Resource Management in Zeiten der Agilisierung
Der in Kapitel 2.1 thematisierte Wandel der Inwelt in Form von trägen Veränderungsprozessen in starren Strukturen sowie der Umwelt durch schnelllebige Kundenwünsche im rapiden Marktumfeld, haben umfassende Auswirkungen auf die gesamte Organisation und ihre Teilbereiche – insbesondere für den HR-Bereich (Häusling und Rutz, 2017). Speziell klassische, hierarchiebasierte Unternehmen müssen sich diesen Herausforderungen adäquat in Form eines neuen Wertegerüstes, passgenauen kunden- und mitarbeiterorientierten Führungsverständnisses sowie der Anwendung und Weiterentwicklung neuer, innovativer Personalinstrumente stellen, wofür primär das HR Management verantwortlich ist (Häusling und Rutz, 2017).
Eine zentrale Business Herausforderung mit weitreichenden Folgen wird in der von Lumesse im Jahr 2012 herausgebrachten Studie deutlich (Miles, 2013). In dieser berichten über 50% der weltweit befragten HR Manager, dass die Personalabteilungen ihrer Unternehmen nicht das volle Potenzial ausschöpfen, um den Mitarbeitenden passgenaue Schulungen und erforderliches Wissen für ihre Aufgaben bereitzustellen (Miles, 2013). HR steht damit teilweise in der Kritik, keine geeigneten Antworten auf die anstehenden Veränderungen bieten zu können, weshalb das Human Resource Management neu gedacht werden und bestehende „best practices“ hinterfragen muss (Häusling, et al., 2016). Wie dies gelingen und der HR-Bereich14 die Ausrichtung zu einem agilen Unternehmen unterstützen kann sowie wo nach aktuellem wissenschaftlichen Stand Einflussmöglichkeiten bestehen, wird zunächst in Kapitel 3.1 analysiert, bevor auf die Implementierung von agil zugeschnittenen Personalinstrumenten und eines agilen HR Managements (Kapitel 3.2) Bezug genommen wird.
3.1 Einflussmöglichkeiten von HR in der agilen Organisation
Ein geringer Anteil an wissenschaftlichen Publikationen setzt sich im Kontext agiler Organisationen mit dem Wirkungsverhältnis zwischen HR und Agilität auseinander. An dieser Stelle sollen relevante Förderungsmöglichkeiten des Human Resource Managements aus der einschlägigen Literatur extrahiert werden, wobei in den einzelnen Studien größtenteils nur bestimmte Aspekte untersucht werden, die Einfluss auf die Agilität von Organisation bzw. die Belegschaft haben. Weitere Einfluss- und Förderungsmöglichkeiten von HR auf die gesamte Organisation werden unter Berücksichtigung der identifizierten Forschungslücke mithilfe der durchgeführten qualitativen Studie erschlossen.
Nijssen und Pauuwe (2012) analysierten, aus welchem Grund bestimmte Organisationen einen Wettbewerbsvorteil in dynamischen Umgebungen erzielen und aufrechterhalten. In ihrem Konzept (Abb.4) identifizierten sie drei elementare Faktoren (blau unterlegt), aus welchen sich organisationale Agilität zusammensetzt. Auf Basis dessen liefern die Autoren Ansätze, wie diese Faktoren durch organisationale Praktiken sowie mit dem Einfluss des HR-Bereiches gefördert werden können. Dieses Konzept wurde als Basis genommen. Einzelne Aspekte die eine Schnittmenge zu weiteren relevante Förderungsfaktoren aus der einschlägigen Literatur aufwiesen, wurden zu neuen Faktoren ergänzt (grau unterlegt). Nachfolgend werden diese Faktoren erläutert und mit Förderungsmöglichkeiten durch Human Resource Management illustriert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: Erfolgsfaktoren organisationaler Agilität
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Nijssen & Paauwe, 2012: 3319
3.1.1 Skalierbare Belegschaft („Scalable workforce“)
Mit Mitarbeitenden als fundamentalen Unternehmenswert muss über Kompetenzen nachgedacht werden, um die Belegschaft neu auszurichten und zu transformieren (Nijssen und Paauwe, 2012). Als Anforderung an Unternehmen empfehlen Dyer und Ericksen (2006), die Skalierbarkeit der Belegschaft an die Geschäftsanforderungen auszurichten, um schnell auf Veränderungen reagieren zu können. Die Ausrichtung wird nach den beiden Autoren an folgende vier Dimensionen geknüpft: (1) Die Mitarbeiteranzahl mit Vollzeitäquivalenten, (2) der Kompetenzen-Mix mit der Verteilung des Wissens und der Fähigkeiten von Mitarbeitenden, (3) der Personaleinsatz für die Zuordnung der Mitarbeitenden nach organisatorischen bzw. physischen Standorten und (4) die Mitarbeiterbeteiligung mit dem organisatorischen Wert der Aufgaben (Dyer und Ericksen, 2006). Die skalierbare Belegschaft beinhaltet sowohl die strategische Anpassungsfähigkeit, basierend auf dem strategischen Personaleinsatz (Fit), als auch die erforderliche Flexibilität für die Effektivität der Organisation (Nijssen und Paauwe, 2012). Dahingehend kann HR eine Flexibilität im Arbeitseinsatz durch die Gestaltung von Arbeitsverhältnissen z.B. durch Projektmitarbeitende oder Freelancer oder durch die Auswahl von Arbeitszeit und Arbeitsort realisieren.
3.1.2 Agiles Lernen
Die Passgenauigkeit der Belegschaft entsprechend der vorhandenen Anforderungen kann erreicht werden, indem Mitarbeitende mit breit gefächerten Fähigkeiten bspw. durch Schulungen, Weiterbildungen und Trainings ausgebildet werden (Wright, Snell, 1998). Spezifische Trainingsmöglichkeiten in agilen Organisationen um sich das erforderliche Kompetenzprofil anzueignen sind u. a. bereichsübergreifende Trainings und „job-rotations“ (ebd.). Damit verbunden ist jedoch eine Problematik: Nach einer globalen Studie von Lumesse aus dem Jahr 2012 gaben nur 53% der Unternehmen mit 10.000 oder mehr Mitarbeitenden an, die erforderlichen Schulungen und Fähigkeiten bereitstellen zu können, um mit dem Wandel ihrer Märkte, Wettbewerber und Kunden Schritt zu halten (Miles, 2013).
The problem presented by rapid, on-going change is one especially in the minds of HR and learning professionals. Not only is there the backdrop of tough economic times, but there is pressure to deliver new employee skills to the front line more rapidly, more often and with much greater impact than ever before. There is also pressure to embrace a broader range of learning styles via a wider range of technologies – in short, HR is being asked to achieve much more with much less, and to do it right now (Miles, 2013: 20)
Um das zu bewerkstelligen, muss ein radikales Umdenken im Bereich der Personalentwicklung stattfinden. Die Philosophie des Lernens auf Vorrat mit geplanten Weiterbildungskatalogen und einer zeitlich verzögerten und unspezifischen Unterstützung, muss durch ein „Lernen auf Abruf“ (Graf, Gramß und Edelkraut, 2017) ersetzt werden. Agiles Lernen wird dabei durch das Charakteristikum, schnell auf Veränderungen zu reagieren und die Lücke zwischen dem identifizierten Bedarf und dem genutzten bzw. angewendeten Lernen (ebd.) zu schließen, beschrieben. Dies kann mithilfe von Experten aus der Praxis geschehen um gute Lerninhalte zu liefern und dabei individualisiert auf die aktuellen Bedürfnisse der Mitarbeitenden zu reagieren (Miles, 2013). Im Fokus steht demnach ein nachfrageorientiertes Konzept, welches durch HR angeboten werden muss.
[...]
1 Der Begriff Experteninterview(s) impliziert auch die weibliche Sprachform und wird synonym für beide Geschlechter im weiteren Verlauf dieser Arbeit verwendet.
2 Im Folgenden wird dieser Bereich als ‚HR-Bereich‘ oder Personalwesen bezeichnet und die Kurzform ‚HR‘ synonym verwendet.
3 Der Begriff stammt aus dem englischen [ˈajəl]. Die Rolle wird in Kapitel 2.4.6 thematisiert.
4 Im weiteren Verlauf dieser Arbeit als HRM abgekürzt
5 Eine ausführliche Definition der Begriffe Arbeitswelt 4.0 und Industrie 4.0 ist Becker, 2016: 197ff. zu entnehmen.
6 Für eine vertiefende Auseinandersetzung kann Klaffke, 2014 hinzugezogen werden.
7 Das Manifest basiert auf zwölf Prinzipien und folgenden vier Werten: Individuen und Interaktionen haben Vorrang vor Prozessen und Werkzeugen, funktionsfähige Produkte (Software) haben Vorrang vor ausgedehnter Dokumentation, Zusammenarbeit mit dem Kunden hat Vorrang vor Vertragsverhandlungen und Reagieren auf Änderungen hat Vorrang vor strikter Planverfolgung (Beck et al., 2001)
8 Aufgrund des begrenzten Umfangs, kann an dieser Stelle nicht ausführlich auf agile Techniken eingegangen werden. Andere Beispiele mit weiterführenden Erklärungen sind https://www.manymize.com/agile-methoden zu entnehmen (letzter Stand: 16.09.2019)
9 Eine ausführliche Unterteilung agiler Methoden ist in Hofer, 2016 einsehbar
10 Eine vertiefende Auseinandersetzung bieten Krieg, 2016 sowie Zhang und Sharifi, 2000.
11 Trafo wird als Kurzform für Transformation verwendet
12 Die einzelnen Dimensionen können in fünf Entwicklungsstufen durchlaufen werden, die in dieser Forschungsarbeit nicht näher thematisiert werden. Die verschiedenen Ebenen und Prinzipien der agilen Reife werden vertiefend in Häusling (2017) weiterbehandelt.
13 Das Framework ist in Agile Coaching Institute, 2011 einsehbar.
14 Nachfolgend wird in dieser Arbeit zwischen einer personellen (agiler Coach) und einer organisationalen Rolle (HR-Bereich) unterschieden
- Quote paper
- Kevin Gruca (Author), 2021, Human Resource Management und Agilität. Anforderungen und Einfluss des Personalmanagements in agilen Unternehmen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/540336
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