Die Arbeit geht vor dem Hintergrund des Verhältnisses von Sport und Politik der Frage nach, inwiefern politische Positionierungen von Profisportlern ihr Image beeinflussen. Hierzu wird auf Basis des Framing-Ansatzes ein Experiment durchgeführt, bei dem die Versuchspersonen nach der Rezeption eines manipulierten Interviews, einen Profisportler hinsichtlich der Imagedimensionen Sympathie, Glaubwürdigkeit, Expertise und Vorbildfunktion bewerten. Die Ergebnisse lassen vermuten, dass der Einfluss von politischen Positionierungen der Profisportler auf ihr Image deutlich positiver ist, als ursprünglich angenommen. Dies zeigt sich besonders stark, wenn sich der Profisportler kritisch äußert. Die Befunde weisen insgesamt darauf hin, dass sich die Sportrezipienten mündige Profisportler wünschen, da unkritische Stellungnahmen, die eine Trennung von Sport und Politik fordern, zu einer negativen Imagebewertung führen.
Obwohl es im Zusammenhang mit den Olympischen Sommerspielen 2008 in Peking zu massiven Menschenrechtsverletzungen kam, wird die chinesische Hauptstadt 2022 der erste Ort sein, in dem sowohl Olympische Sommer- als auch Winterspiele ausgetragen werden. Im selben Jahr wird die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft im Wüstenstaat Katar stattfinden, welcher bereits seit Jahren wegen der Missachtung der Menschenrechte kritisiert wird. Weder das IOC noch die FIFA scheinen sich entschieden gegen die Verletzung von Menschenrechten einzusetzen, da in den Augen der Organisationen Sport und Politik getrennt voneinander betrachtet werden sollen. Auch die Profisportler schweigen trotz ihrer großen medialen Reichweite als Hauptakteure der Sportgroßveranstaltungen zu diesem politischen Thema.
Inhaltsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Sport und Politik
2.1 Definitionen
2.1.1 Der Begriff Sport
2.1.2 Der Begriff Politik
2.1.3 Der Begriff Sportpolitik
2.2 Der kontroverse Umgang mit Sportpolitik
2.3 Das Verhältnis von Sport und Politik
2.4 Sportpolitik in Deutschland
2.5 Transnationale Sportpolitik
2.5.1 Akteursbereich I: Politik
2.5.2 Akteursbereich II: Wirtschaft
2.5.3 Akteursbereich III: Medien
2.5.4 Akteursbereich IV: Sport
2.6 Das politische Mandat des Sports
3 Sportgroßveranstaltungen und Politik
3.1 Bedeutung und Vergabe von Sportgroßveranstaltungen
3.2 Sportgroßveranstaltungen und Menschenrechte
4 Der Framing-Ansatz
4.1 Definition und Grundannahmen des Framing-Ansatzes
4.2 Frames im Kommunikationsprozess
4.3 Arten von Frames
4.4 Wirkungen von Frames auf den Rezipienten
5 Aktueller Forschungsstand
5.1 Sport und Politik
5.2 Sportgroßveranstaltungen und Politik
5.3 Profisportler und Politik
5.4 Hypothesenbildung
6 Methodisches Vorgehen
6.1 Untersuchungsdesign
6.2 Stichprobe
6.3 Versuchsaufbau
6.4 Erhebungsinstrument
7 Ergebnisse
8 Diskussion
9 Gesamtbetrachtung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Zusammenfassung
Obwohl es im Zusammenhang mit den Olympischen Sommerspielen 2008 in Peking zu massiven Menschenrechtsverletzungen kam, wird die chinesische Hauptstadt 2022 der erste Ort sein, in dem sowohl Olympische Sommerals auch Winterspiele ausgetragen werden. Im gleichen Jahr wird die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft im Wüstenstaat Katar stattfinden, welcher bereits seit Jahren wegen der Missachtung der Menschenrechte kritisiert wird. Weder das IOC noch die FIFA scheinen sich entschieden gegen die Verletzung von Menschenrechten einzusetzen, da in den Augen der Organisationen Sport und Politik getrennt voneinander betrachtet werden sollen. Auch die Profisportler schweigen trotz ihrer großen medialen Reichweite als Haupakteure der Sportgroßveranstaltungen zu diesem politischen Thema. Die vorliegende Arbeit geht daher vor dem Hintergrund des Verhältnisses von Sport und Politik der Frage nach, inwiefern politische Positionierungen von Profisportlern ihr Image beeinflussen. Hierzu wird auf Basis des Framing-Ansatzes ein Experiment durchgeführt, bei dem die Versuchspersonen nach der Rezeption eines manipulierten Interviews, einen Profisportler hinsichtlich der Imagedimensionen Sympathie, Glaubwürdigkeit, Expertise und Vorbildfunktion bewerten. Die Ergebnisse lassen vermuten, dass der Einfluss von politischen Positionierungen der Profisportler auf ihr Image deutlich positiver ist, als ursprünglich angenommen. Dies zeigt sich besonders stark, wenn sich der Profisportler kritisch äußert. Die Befunde weisen insgesamt darauf hin, dass sich die Sportrezipienten mündige Profisportler wünschen, da unkritische Stellungnahmen, die eine Trennung von Sport und Politik fordern, zu einer negativen Imagebewertung führen. Weil sich die deutschsprachige Forschung bislang nicht mit den Folgen von politischen Positionierungen von Profisportlern auseinandergesetzt hat, sind diese ersten Erkenntnisse trotz methodischer Limitationen als besonders wertvoll einzuschätzen.
Abstract
Despite massive human rights violations at the Beijing 2008 Summer Olympics, in 2022 the Chinese capital will be the first city to hold both Summer and Winter Olympics. In the same year, the FIFA World Cup will take place in Qatar, which has been criticized for years for its contempt for human rights. Neither the IOC nor the FIFA seem to do something about the violation of human rights, because following those organisations the issues of sports and politics should be considered separately. Also the professional athletes remain silent on this political issue, despite their large reach as the main players of those major sports events. Considering the background of the relationship between sports and politics, the present work examines the question of how political positioning of professional athletes influences their image. For this purpose an experiment based on the framing approach is carried out, in which the research participants evaluate a professional athlete in terms of image dimensions after the reception of a manipulated interview. The results indicate that the influence of political positioning of professional athletes on their image is much more positive than originally assumed. This is particularly evident when the professional sportsman expresses his criticism for human rights violations. The results also suggest that sports fans wish for responsible professional athletes, since uncritical statements calling for a separation of sport and politics lead to a negative image assessment. Because research in Germany has so far not dealt with the consequences of political positioning of professional athletes, these first findings, despite methodological limitations, are particularly valuable.
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Die Akteurskategorien der Sportpolitik (in Anlehnung an Groll, 2005, S. 76)
Tabelle 2: Politische Positionierungen des Profisportlers im Stimulus
Tabelle 3: Mittelwertindizes für das Image des Profisportlers
Tabelle 4: Ergebnisse der Bonferroni-korrigierten post-hoc Tests
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Zugriffe des Framing-Ansatzes (in Anlehnung an Matthes, 2007, S. 20)
Abbildung 2: Arten von Frames (in Anlehnung an Matthes, 2014, S. 63)
Abbildung 3: Empirisches Modell
1 Einleitung
Nach den Olympischen Sommerspielen 2008 in Peking stand das Internationale Olympische Komitee (IOC) erheblich in der Kritik. Bereits im Vorfeld der Spiele diskutierten internationale Beobachter vor allem die Auswirkungen auf die Menschenrechtssituation in China. Befürworter der Austragung in Peking erwarteten eine Verbesserung, während Gegner von verstärkten Repressionen ausgingen. Die chinesische Regierung investierte rund 40 Milliarden Dollar in Infrastrukturmaßnahmen, um der Welt moderne und harmonische Spiele zu präsentieren. Die Menschenrechtssituation verbesserte sich durch die Austragung der Olympischen Spiele hingegen nicht: Neben vielen Verhaftungen von oppositionellen Regimekritikern und der strengen Zensur der Medien wurde die Kommunikation über das Internet für sämtliche Bürger eingeschränkt (Mittag & Nieland, 2011, S. 626-627). Trotz der anhaltenden Kritik vermied das IOC Stellungnahmen zur Lage der Menschenrechte in China, denn „man solle die Spiele nicht unnötig politisieren“ (Güldenpfennig, 2009, S. 206). Ferner wird Peking 2022 die erste Stadt der Welt sein, in der nach den olympischen Sommerspielen auch die Winterspiele ausgetragen werden. Der IOC-Präsident Thomas Bach sieht keine gesellschaftliche oder politische Verpflichtung bei seiner Organisation: „Die Verantwortung des IOC bezieht sich auf die Olympischen Spiele. Wir sind keine Weltregierung, die dafür Sorge tragen kann, dass ein souveränes Land Gesetze verabschiedet, bestimmte Standards einhält“ (Schweizer, 2019). Wie bereits in der Vergangenheit verdeutlichte das IOC durch seine Erklärungen erneut die Forderung nach einem neutralen und unpolitischen Sport (Hungerman & Meinhardt, 2014).
Auch die Vergabe des Austragungsortes von Fußball-Weltmeisterschaften sorgte in der näheren Vergangenheit immer wieder für großes Aufsehen und Kritik in der Öffentlichkeit. Mit Russland und Katar sind zwei Staaten als Gastgeber der Turniere 2018 und 2022 gewählt worden, die in der Medienberichterstattung mit erheblichen Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht werden (u. a. Aumüller, 2017; Güldenpfennig, 2017). Trotzdem ist weder heute noch im Vorfeld des WM-Turniers 2018 von Verbänden oder Sportlern Kritik an den Gastgeberländern zu vernehmen gewesen. Vor der WM in Russland lobte der Deutsche Fußball-Bund den Gastgeber in Form eines offenen Briefs des Nationalspielers Julian Draxler sogar ausdrücklich. Kritik an Menschenrechtsverletzungen, Einschränkungen der Meinungsfreiheit oder dem Umgang mit homosexuellen Menschen war nicht Teil seiner Äußerungen (Deutscher Fußball-Bund, 2017). Ein ähnliches Verhalten des DFB zeigt sich mit Blick auf die WM 2022 in Katar. Obwohl auf den Stadionbaustellen bereits mehrere hundert Gastarbeiter verstorben sind, vermeidet der Sportverband klare Positionierungen (Vohra, 2018). Für Ex-DFB-Präsident Theo Zwanziger ist dieses Verhalten aus taktischen Gründen logisch: „Es würde dem DFB nur schaden, etwa wenn es darum geht, das nächste Mal ein großes Turnier auszurichten“ (Behnisch, 2019).
Anhand der beiden größten Sportveranstaltungen der Welt wird deutlich, wie wichtig derzeit die Frage nach dem Verhältnis von Sport und Politik ist. Kann es unter den oben genannten Umständen überhaupt möglich sein, Sport und Politik getrennt voneinander zu betrachten? Welche gesellschaftliche Verantwortung haben Akteure aus dem Bereich Sport? Aus wissenschaftlicher Sicht gilt Sport als „ein wichtiges gesellschaftliches Phänomen, weshalb es den völlig autonomen, politikfreien Sport nicht geben kann“ (Groll, 2005, S. 9). Trotzdem scheinen neben den nationalen Sportverbänden und -vereinen auch die Profisportler politische Positionierungen umgehen zu wollen. Dabei kommt den Athleten eine besondere Bedeutung zu, da sie das Fundament der Sportgroßveranstaltungen wie Olympia oder Fußball-Weltmeisterschaften darstellen. Aus einer gemeinsamen Studie der Stiftung Deutsche Sporthilfe und der Deutschen Sporthochschule Köln ging weiterhin hervor, dass über 80 Prozent der deutschen Bundesbürger Spitzensportler als Vorbilder für die Gesellschaft ansehen (Breuer & Hallmann, 2011). Bislang scheinen die Athleten sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung hinsichtlich politischer Themen allerdings nicht bewusst zu sein. Die werbetreibende Wirtschaft hingegen nutzt diesen Umstand aus, indem sie die Profisportler als Testimonials für ihre Marken einsetzt. Vor allem bei der jungen Zielgruppe hat die Vorbildfunktion der Athleten positive Auswirkungen auf die Kaufabsichten (Dix, Phau & Pougnet, 2010). Folglich stellen die finanziellen Abhängigkeiten einen möglichen Grund für die Zurückhaltung der Profisportler bei gesellschaftlichen Fragen dar. Interessanterweise stehen populäre Musiker und Schauspieler vor der gleichen Herausforderung. Sie nutzen ihre Aufmerksamkeit jedoch viel häufiger für politische Appelle, da diese vom Publikum akzeptiert und teilweise sogar erwünscht sind (Kaufman, 2008, S. 218). Vor diesem Hintergrund ist es lohnenswert zu untersuchen, wie Sportrezipienten auf politische Äußerungen von Athleten reagieren: Sind Profisportler besser beraten sich bei politischen Themen weiterhin zurückzuhalten oder können sie durch politische Statements sogar ihr Ansehen steigern, um noch attraktivere Werbetestimonials zu werden?
In der wissenschaftlichen Forschung wurde das Verhältnis von Sport und Politik bereits aus mehreren Perspektiven untersucht. Robeers (2019) stellte beispielsweise fest, dass das politische Thema Nachhaltigkeit beim Rennsport aus Angst vor den Zuschauerreaktionen nicht thematisiert wird. Kilvington und Price (2019) analysierten den Umgang von englischen Fußballoffiziellen mit der wachsenden Zahl rassistischer Beiträge in sozialen Medien und entdeckten institutionelle Probleme bei Vereinen sowie dem Verband. Auch die politische Dimension von Sportgroßveranstaltungen ist Teil nationaler und internationaler Forschungsarbeiten. Mittag (2017) untersuchte die politischen Proteste der brasilianischen Bürger vor der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und zeigte, dass die öffentliche Aufmerksamkeit ab Beginn des Turniers einzig auf den Sport gerichtet wurde. Zu vergleichbaren Ergebnissen kam die Studie von Schallhorn und Häußinger (2019), die das Image des Ausrichterlandes Russland vor und nach der WM 2018 überprüfte. Trotz kritischer Berichterstattung im Vorfeld des Turniers, verbesserte sich das Image des Gastgebers vor allem bei den Zuschauern, die besonders viele Sendungen während der WM rezipiert hatten. Mehrere Studien widmeten sich, fokussierend auf die Menschenrechtssituation in China, den Olympischen Spielen in Peking 2008 (u. a. Liang, 2010; Poerner, 2009). Huang und Fahmy (2013) stellten beim Vergleich von US-amerikanischen mit chinesischen Zeitungsartikeln fest, dass sich die Themenschwerpunkte grundlegend unterschieden. Während in den US-Medien Protest im Mittelpunkt stand, fokussierten sich die Chinesen auf die Darstellung von Harmonie.
Mit den Reaktionen von Rezipienten auf politische Positionierungen von Profisportlern beschäftigten sich bislang nur US-amerikanische Forschungsarbeiten. In diesen wurden vorrangig Beiträge von Sportrezipienten in den sozialen Medien analysiert, die im Zusammenhang mit politischen Positionierungen von Profisportlern verfasst wurden (u. a. Frederick, Pegoraro & Sanderson, 2018; Sanderson, Frederick & Stocz, 2016). Schmidt, Frederick, Pegoraro und Spencer (2018) befassten sich beispielsweise mit den Facebook-Kommentaren auf den Profilen des Footballspielers Colin Kaepernick und der Fußballspielerin Megan Rapinoe, die gegen soziale Ungleichheit, Rassendiskriminierung und die Diskriminierung von Homosexuellen protestierten. Im Ergebnis zeigte sich in den Reaktionen der Sportrezipienten ein starkes nationalistisches Narrativ, welches deutlich von den eigentlichen Intentionen der Profisportler abwich.
Zusätzlich wurde die Rolle der Athleten als politische Akteure in Frage gestellt. Andere Forscher untersuchten die Konsequenzen für politisch engagierte Profisportler (Kaufman, 2008). Kaufmann und Wolff (2010) identifizierten auf Grundlage von Interviews mit politisch engagierten Profisportlern Dimensionen des Sports, die sowohl im Sport als auch in der Gesellschaft präsent sind und beide Phänomene verbinden. Laut den Autoren macht dies Sport zu einem legitimen Mittel für sozialen Wandel. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam Galily (2019), der den politischen Einfluss des Basketballspielers LeBron James analysierte. Gaily konstatierte, dass vor allem bekannte Profisportler Filterblasen durchdringen können, um den politischen Diskurs zu entpolarisieren. In der Folge könnten sie als Mediator die rivalisierenden Kräfte zusammenbringen und zur Lösung politischer Probleme beitragen. Um die Lücke in der deutschsprachigen Forschungsliteratur zu schließen, ergibt sich damit auf Basis der bisherigen Forschungsarbeiten und vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Kernfrage nach dem Verhältnis von Sport und Politik die wissenschaftliche Fragestellung für diese Arbeit:
Inwiefern beeinflussen politische Positionierungen von Profisportlern ihr Image?
Das theoretische Grundgerüst dieser Arbeit ist der Framing-Ansatz, der in der Medienwirkungsforschung „vor allem zur Analyse der Informationsverarbeitung von politischer Kommunikation angewendet“ (Bonfadelli & Friemel, 2017, S. 193) wird. Grundsätzlich werden Frames als Deutungsmuster verstanden, welche der Rezipient nutzt, um Bewertungen zu einem Thema vorzunehmen. Entscheidend hierfür ist die Perspektive, aus der ein Thema betrachtet wird, da bestimmte Aspekte von Kommunikatoren hervorgehoben werden und andere in den Hintergrund rücken (Dahinden, 2006, S. 14). In der Forschungstradition lässt sich allgemein zwischen der Erfassung von Frames bei den Kommunikatoren und der Untersuchung der Wirkung von Medien-Frames unterscheiden (Matthes, 2014, S. 36-51). Für die vorliegende Arbeit steht primär die Wirkung von Medien-Frames auf den Rezipienten im Mittelpunkt. Ziel ist es, mit Hilfe eines Experiments Framing-Effekte bei den Rezipienten zu messen, die sich aus den unterschiedlichen politischen Positionierungen von Profisportlern ergeben. Da diese Arbeit nur einen Ausschnitt der Realität untersuchen kann, werden als Fallbeispiel die European Games 2019 ausgewählt. Die Sportgroßveranstaltung europäischer Staaten mit olympischem Charakter wurde im Juni 2019 im weißrussischen Minsk ausgetragen. Der Gastgeber stand im Vorfeld des Wettbewerbs als autoritär geführter Staat aufgrund der Menschenrechtslage und der Verhaftung von Journalisten sehr in der Kritik (Aumüller, 2019). Vor diesem Hintergrund scheint diese Sportgroßveranstaltung in Verbindung mit dem politischen Thema Menschenrechte ideal, um die gestellte Forschungsfrage zu beantworten.
Das zweite Kapitel dieser Arbeit widmet sich zunächst dem grundsätzlichen Verhältnis von Sport und Politik, beginnend mit den Definitionen der wichtigsten Grundbegrifflichkeiten. Weiterhin werden die Interdependenzen der Bereiche Sport und Politik anhand des Konzepts der Transnationalen Sportpolitik veranschaulicht und nach dem politischen Mandat des Sports gefragt. Das dritte Kapitel befasst sich mit der politischen Dimension von Sportgroßveranstaltungen. Hierzu werden zunächst die Bedeutung sowie die Vergabepraxis verdeutlicht, bevor auf die Verbindung zum Thema Menschenrechte eingegangen wird. Kapitel vier gibt einen detaillierten Überblick über den Framing-Ansatz, indem Grundannahmen des Ansatzes sowie Arten und Wirkungen von Frames vorgestellt werden. Danach wird im fünften Kapitel der aktuelle Forschungsstand präsentiert, aus dem anschließend die Hypothesen für diese Arbeit abgeleitet werden. In Kapitel sechs wird das methodische Vorgehen erklärt, bevor in Kapitel sieben die Ergebnisse präsentiert werden. Diese werden anschließend in Kapitel acht diskutiert. Die Arbeit schließt im letzten Kapitel mit einer Gesamtbetrachtung und einem Ausblick.
2 Sport und Politik
„Kein Zweifel: Sport und Politik haben etwas miteinander zu tun, sie sind aufeinander bezogen, auch wenn im Zentrum der Politikwissenschaft nicht der Sport, im Zentrum der Sportwissenschaft nicht die Politik steht“ (Lösche, 2002, S. 44). Dieses Zitat vermag einen Hinweis auf ein Forschungsdesiderat im Bereich Sport und Politik zu geben. Zwar sind im Sportalltag und in den Massenmedien mannigfache Verbindungen zwischen Sport und Politik zu finden, jedoch fehlt es häufig an systematischen Untersuchungen eben dieser (Bulgrin, 2006, S. 4). Einige Forscher fordern daher die Bildung einer einheitlichen wissenschaftlichen Disziplin der Sportpolitik (u. a. Groll, 2005; Güldenpfennig, 2002) . Bis zu deren Realisierung hält Groll den Themenkomplex für „ein wissenschaftlich nicht abgesichertes Terrain, dessen Unberührtheit quasi alle Möglichkeiten offen lässt, sich diesem Gebiet zu nähern“ (2005, S. 13). Bevor diese Annäherung von der vorliegenden Arbeit geleistet wird, sollen im Folgenden zunächst die wichtigsten Grundbegriffe Sport, Politik sowie Sportpolitik geklärt werden, um im Anschluss zu klären, warum der Bereich Sport und Politik in der Wissenschaft anscheinend ein Schattendasein fristet. Danach wird das Verhältnis der beiden Disziplinen unter mehreren Gesichtspunkten veranschaulicht.
2.1 Definitionen
Damit eine Erörterung der Beziehung von Sport und Politik möglich ist, müssen die grundlegenden Begriffe genauer betrachtet werden. Dafür werden zunächst die Begriffe Sport und Politik einzeln beleuchtet, bevor der weitverbreitete Begriff der Sportpolitik behandelt wird.
2.1.1 Der Begriff Sport
Eine einheitliche und präzise Definition des Begriffs Sport scheint unmöglich zu sein, da seine Bedeutung vor allem vom umgangssprachlichen Gebrauch und dem jeweiligen Kontext abhängt. Dieser wiederum ist „von den historisch gewachsenen und tradierten Einbindungen in soziale, ökonomische, politische und rechtliche Gegebenheiten bestimmt“ (Röthig & Prohl, 2003, S. 493). Dies lässt sich anhand der aktuellen Debatte um das Phänomen „eSport“ veranschaulichen. Um als Sportart zu gelten, steht für den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) als Selbstzweck einer Betätigung „die Ausübung der eigenmotorischen Aktivitäten“ (2000) im Mittelpunkt. Folglich lehnt der Verband die Anerkennung von „eSport“ als eigenständige sportliche Aktivität ab (DOSB, 2018). Trotzdem ist der Begriff „eSport“, der sportliches Handeln impliziert, im umgangssprachlichen Gebrauch weitläufig anerkannt. Dieses Fallbeispiel verdeutlicht, dass es der Begrifflichkeit Sport an Trennschärfe und Präzision fehlt. Demzufolge ist die Unterscheidung von Sport als „Tätigkeitssystem“ und Sport als „institutionelles System“ (Güldenpfennig, 1981, S. 24) von entscheidender Wichtigkeit. Während das Tätigkeitssystem vor allem auf die körperliche Betätigung und den unmittelbaren sportlichen Wettbewerb beschränkt ist, berücksichtigt das institutionelle System Sport neben seinen Organisationen auch die Verknüpfungen mit gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen (Lösche, 2002, S. 46). Da politisches Handeln grundsätzlich nur für Sport als institutionelles System relevant ist, rückt Sport als Tätigkeitssystem somit für die vorliegende Arbeit in den Hintergrund.
2.1.2 Der Begriff Politik
Analog zum Begriff des Sports ist eine eindeutige Definition des Politikbegriffs in der Literatur nicht zu finden, denn „seit den frühen klassischen Politiklehren eines Aristoteles oder eines Machiavelli, wird die Bestimmung von Politik immer wieder neu versucht“ (Alemann, 1994, S. 140). So versteht zum Beispiel der deutsche Soziologe Max Weber unter Politik das „Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung“ (1919, S. 4). Mitte der 1960er Jahre definiert der amerikanische Sozialwissenschaftler David Easton hingegen Politik als die vom Staat „verfügte Verteilung von materiellen und immateriellen Werten in der Gesellschaft“ (Woyke, 2001, S. 511). Diese Beispiele zeigen, dass sich die traditionellen Definitionen vor allem auf einzelne Aspekte wie Machtverteilung und das Staatswesen fokussieren. In der jüngeren Politikwissenschaft hat sich jedoch ein breiteres Verständnis von Politik etabliert. Im Lehrbuch „Einführung in die Politikwissenschaft“ definieren die Autoren Politik als „soziales Handeln, das auf Entscheidungen und Steuerungsmechanismen ausgerichtet ist, die allgemein verbindlich sind und das Zusammenleben von Menschen regeln“ (Bernauer, Jahn, Kuhn & Walter, 2015, S. 24). Diese Definition verdeutlicht, dass politische Handlungen nicht auf staatliche Organe zu reduzieren sind. Vielmehr nimmt die private Sphäre einen höheren Stellenwert ein, sodass unter anderem Akteure wie Interessensgruppen, Verbände und die Medien auf der sogenannten intermediären Ebene politisch handeln (Bernauer et al., 2015, S. 24-26). Auch Güldenpfennig plädiert für einen weit gefassten Politikbegriff, indem er „jedes öffentliche Handeln in konfliktstrukturierten sozialen Umwelten […] innerhalb eines gesellschaftlichen Bereiches oder zwischen gesellschaftlichen Bereichen“ (1992, S. 45) als Politik definiert.
Während eine spezifische Begriffsdefinition von Politik nicht existiert, nutzt die Politikwissenschaft einheitlich drei Dimensionen, in denen verschiedene Kategorien von Politik systematisch erklärt werden können. Dafür haben sich auch in der deutschsprachigen Forschung die englischen Begriffe polity, politics und policy etabliert. Die Dimension polity beinhaltet dabei die institutionelle Ebene, zu der die Ordnung und die Organisationsform des politischen Systems zählen. Diese Institutionen, zu denen unter anderem Verfassungen und Gesetze gehören, geben den Handlungsrahmen für politische Entscheidungsprozesse der Akteure vor. Diese Entscheidungsprozesse werden auf der Ebene der politics analysiert. Im Mittelpunkt stehen die Eigenheiten der Entstehung von Zielen, Interessen und Inhalten. Auf der Ebene der policy werden wiederum die Ziele, Inhalte sowie Aufgaben der Politik analysiert. Die Inhalte sind hierbei nie wertneutral, sondern basieren immer auf unterschiedlichen normativen Vorstellungen, welche zu Interessenskonflikten in der Politik führen (Lösche, 2002, S. 47-48).
Die Dimensionen polity, politics und policy werden neben dem oben genannten breiteren Verständnis von Politik die Grundlage dieser Arbeit sein, um das Verhältnis von Sport und Politik zu prüfen.
2.1.3 Der Begriff Sportpolitik
Nach genauerer Betrachtung der Begrifflichkeiten Sport und Politik ist zu konstatieren, dass allgemeingültige Definitionen und Abgrenzungen für beide Begriffe kaum möglich sind. Bulgrin (2006) vermutet, dass die fehlende terminologische Schärfe der beiden Begriffsbestimmungen neue Erkenntnisse über das Verhältnis der beiden Disziplinen und die Bildung der wissenschaftlichen Fachrichtung der Sportpolitik erschwert (2006, S. 12). Diese Annahme wird durch das sportwissenschaftliche Lexikon unterstützt, welches die Frage nach der Existenz eines generellen Verständnisses von Sportpolitik in der Sportwissenschaft verneint (Röthig & Prohl, 2003, S. 440). Güldenpfennig findet zwar, dass sich „der auch in der Alltagskommunikation gebräuchliche Begriff Sportpolitik“ (2002, S. 73) für diesen Teilbereich der Politik anbietet, bleibt aber eine genaue Definition schuldig. Einer ausführlichen Klärung des Begriffs Sportpolitik widmet sich Groll (2005), der versucht „eine gemeinsame Sprachregelung zu finden, die das Verständnis für die je eigenen Inhalte fördern soll“ (2005, S. 6061). Für die Begriffsdefinition sind neben der Mitwirkung an der Sportpolitik von gesellschaftlichen Akteuren wie der Wirtschaft und den Medien, der Wirkungsbereich sportpolitischer Handlungen maßgebend. Der Autor unterscheidet hierbei zwischen der sportbezogen-intentionalen Dimension und der nichtsportbezogen-intentionalen Dimension. Erstere beschreibt politische Handlungen, die innerhalb des Systems Sport stattfinden und zu dessen Gestaltung beitragen. Dagegen beinhaltet Letztere jene politische Interaktionen außerhalb des Systems Sport, welche eine Instrumentalisierung des Sports zur Folge haben (Groll, 2005, S. 61). In Einklang mit den oben genannten Begriffsbestimmungen von Sport als institutionellem System und eines breit gefassten Politikbegriffs, ergibt sich für die vorliegende Arbeit folgende Definition von Sportpolitik: „ein auf die Gestaltung und/oder Instrumentalisierung des Sports gerichtetes Handeln von Akteuren aus den Bereichen Politik, Sport und Gesellschaft“ (Groll, 2005, S. 61).
2.2 Der kontroverse Umgang mit Sportpolitik
Wie bereits eingangs erwähnt, sind die Systeme Sport und Politik aus wissenschaftlicher Sicht untrennbar miteinander verbunden. Dessen ungeachtet fokussiert sich die Sportwissenschaft vor allem auf die Analyse sportpraktischen Handelns und die gesellschaftliche Legitimation von Sport. Eine systematische Auseinandersetzung mit Sport als politischem Gegenstand und Handlungsfeld bleibt die Ausnahme (Bulgrin, 2006, S. 10-11). Ferner ist in der Gesellschaft „das alltägliche Reden über Sport und Politik […] bestimmt durch eine extreme Form der Vereinfachung “ sowie „typischer Kennzeichen von Stammtischkommunikation“ (Güldenpfennig, 1992, S. 7; Hervorh. im Orig.), die häufig in einer Forderung nach politikfreiem Sport münden. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick zu möglichen Gründen für diese Beobachtungen gegeben werden.
Bulgrin (2006) macht vor allem die nähere deutsche Vergangenheit für den kontroversen Umgang mit dem Themenkomplex Sport und Politik verantwortlich. Nachdem der Sport im Nationalsozialismus durch das Regime vereinnahmt und instrumentalisiert wurde, bestand in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg „kein Bedarf an irgendeiner, wie auch immer gearteter politischer Dimension des Sports“ (2006, S. 11). Laut Güldenpfennig (1992) befürchten außerdem viele Beobachter seit jeher, dass das Kulturgut Sport darunter leiden würde, mit politischen Problemen konfrontiert zu werden. Dies soll vor allem aus dem möglichen Konflikt zwischen Eigen und Fremdbestimmung des Sports resultieren. Des Weiteren bietet die kulturelle Tätigkeit Sport für die Beteiligten eine Art Rückzugsort, der einen eigenen Kosmos ohne politische Probleme und Krisen darstellt (1992, S. 57-59). In der Literatur werden diese Motive für unpolitisches Agieren und Denken unter dem Vorwurf der mangelnden Politikfähigkeit des Sports zusammengefasst. Dies bedeutet in erster Linie, dass die Öffentlichkeit Sport nicht gerne in Verbindung mit Politik bringt und sich einen neutralen Sport wünscht, der selbst keine politische Agenda betreibt (Rütten, 1996, S. 83). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es verschiedene Ursachen gibt, die einen kontroversen Umgang in Wissenschaft und Gesellschaft mit dem Themenkomplex Sport und Politik erklären. Im Folgenden soll nun auf das real existierende Verhältnis von Sport und Politik eingegangen werden.
2.3 Das Verhältnis von Sport und Politik
Trotz der Schwierigkeiten mit der eindeutigen Begriffsklärung von Sport und der Komplexität der Bedeutung von Politik haben verschiedene Autoren versucht, das Verhältnis von Sport und Politik darzustellen. Lüschen (1996) bietet mit Hilfe von drei Perspektiven eine grundlegende Übersicht bestehender Überschneidungen der Disziplinen an: Sport in der Politik, Politik im Sport sowie die politische Struktur und Organisation des Sports. Die erste Kategorie Sport in der Politik bezieht sich vor allem auf die Relevanz des Sports im System der Politik. Als Paradebeispiel gilt die Instrumentalisierung in totalitären Systemen, bei der Sport als ein Mittel von Propaganda und Machterhaltung eingesetzt wird. Weiterhin zählen nichtstaatliche Organisationen wie das Internationale Olympische Komitee (IOC) zur ersten Kategorie, da sie politische Entscheidungen von Staaten durch Einflussnahme zu ändern versuchen. Politik im Sport meint im Wesentlichen die politische Einflussnahme von außerhalb auf das System Sport. Beispielhaft ist hier der Boykott der Olympischen Sommerspiele 1980 in Moskau zu nennen, dem das Nationale Olympische Komitee (NOK) für Deutschland wegen des Drucks der Bundesregierung zustimmte. Zuletzt erkennt Lüschen bei der politischen Struktur und Organisation des Sports einige Ähnlichkeiten hinsichtlich des Gefüges demokratischer Staaten. Auch in Sportvereinen und -verbänden gibt es analog zur Politik feste Machtstrukturen sowie Meinungskonflikte, die innerhalb dieser Organisationen politisch ausgetragen werden (Lüschen, 1996, S. 5-7).
Laut Güldenpfennig „stellt die gesamte Sportgeschichte zugleich immer auch eine politische Geschichte dar“ (2002, S. 68). Auf Grundlage dieses Gedankens formuliert der Autor vier unterschiedliche Möglichkeiten, die beschreiben, wie Politik und Sport im Verhältnis stehen können. Als Erstes kann Sport ein politisches Symbol sein, welches als die „Deutung des sportpraktischen Geschehens im Sinne eines symbolischen Ausdrucks von allgemeinen gesellschaftlichen Strukturen und Sachverhalten“ (Güldenpfennig, 2002, S. 68) auftritt. Des Weiteren kann Sport, zweitens, Gegenstand politischen Handelns werden, wenn gesellschaftliche Organisationen auf das Innere des Systems Sport direkt oder indirekt einwirken wollen. Bei den Fragen nach der eigenen Entwicklung und der Interessendurchsetzung nach außen ist Sport, drittens, Feld politischen Handelns. Die vierte Möglichkeit beschreibt Sport als politisches Mittel, welches dazu eingesetzt wird, politische Ziele außerhalb des eigenen Systems durch Instrumentalisierung durchzusetzen (Güldenpfennig, 2002, S. 68-69). Insgesamt ähneln sich die Ausführungen von Lüschen und Güldenpfennig somit sehr. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass Letzterer zusätzlich zwischen Sport als politischem Mittel und Sport als politischem Symbol trennt (Bulgrin, 2006, S. 16). Ferner betont Güldenpfennig die Besonderheiten, die Sport wegen der Eigenschaft als Kulturgut im Verhältnis zur Politik aufweist. So „besteht ein Primat der Politik im Hinblick auf die Frage, ob Sport überhaupt stattfinden kann“, aber „es besteht hingegen ein Primat der Kultur im Hinblick auf die Frage, wie Sport aussehen soll“ (2002, S. 80, Hervorh. im Orig.). Inwiefern politische Eingriffe dem Sport schaden oder ob er gefördert wird, lässt sich daher nicht allein aus der Tatsache ableiten, dass politisch gehandelt wird, sondern muss anhand von Einzelfallanalysen über die Art der Interventionen überprüft werden (Güldenpfennig, 2002, S. 80). Daher zeigt das nächste Kapitel, wie Sportpolitik in Deutschland funktioniert.
2.4 Sportpolitik in Deutschland
Lösche (2010) beschreibt Sportpolitik in Deutschland mit Hilfe der oben vorgestellten politischen Dimensionen polity, politics und policy. Auf der Ebene der polity unterscheidet er zwischen den staatlichen Institutionen und den sportorientierten Interessensgruppen. Die Bedeutung des Sports für die Bundesrepublik wird durch den Sportausschuss deutlich, der im Bundestag und den meisten Landtagen eine fest institutionalisiert ist. Weiterhin befassen sich mehrere Ministerien der Bundesregierung mit Sportpolitik. Zum Beispiel tritt „der Bundesminister für Verteidigung als größter Sponsor des Spitzensports“ (Lösche, 2010, S. 15) in Erscheinung. Einmal jährlich kommt zusätzlich die Konferenz der Sportministerinnen und Sportminister der Länder zusammen, um die politischen Interessen der Bundesländer im Bereich Sport zu besprechen. Aus dem Bereich der nichtstaatlichen Akteure sind vor allem die Vereine, die Sportverbände und Spitzenverbände wichtige Akteure, die von Kommunalebene bis Bundesebene politischen Einfluss nehmen. Mit Sportartikelherstellern, Sponsoren und der Touristik und Freizeitindustrie nennt Lösche einige weitere Akteure, die eine klare Grenzziehung im Bereich Sportpolitik zwischen Gesellschaft, Ökonomie, Sport und Politik erschweren (Lösche, 2010, S. 14-19).
Die Existenz der vielen unterschiedlichen Institutionen und Interessengruppen hat Folgen für die Dimension der politics, welche hauptsächlich die Entscheidungsprozesse beinhaltet. Durch die mannigfachen Verflechtungen findet die Vorbereitung von politischen Entscheidungen häufig in informellen Formen statt. In diesen gebildeten Netzwerken werden Themen zunächst abseits der Öffentlichkeit verhandelt, bevor sie offiziell auf die politische Agenda kommen. Lösche beschreibt diese Art von Lobbyismus als „völlig legitim und Realität jeder lebendigen Demokratie“ (2010, S. 21). Davon ausgeschlossen sind explizit Korruption und Bestechungen, welche durch den hohen Kommerzialisierungsgrad des Spitzensports eine Gefahr für die Sportpolitik darstellen. Ein weiterer Faktor, der Einfluss auf Entscheidungsprozesse in der Sportpolitik nimmt, ist der Austausch von Akteuren zwischen den Systemen Sport und Politik. So ist es zum Beispiel nicht selten, dass ein ehemaliger Politiker eine führende Position in einem Sportverband einnimmt (Lösche, 2010, S. 19-22).
Auf der Ebene der policy stehen die Inhalte und Ziele der Sportpolitik im Mittelpunkt, die aus der Perspektive von staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen veranschaulicht werden. Vom Staat wird „Sportpolitik als Teil wohlfahrtstaatlicher Sozialpolitik, gleichsam als Baustein des deutschen Sozialmodells begriffen“ (Lösche, 2010, S. 23). Demnach besteht staatliche Sportpolitik zum Großteil aus finanzieller Förderung des Schulsports und des organisierten Sports. Dem Spitzensport kommt dabei eine Sonderrolle zu, da dieser im eigenen Dienstbereich (u.a. bei der Bundeswehr) gesondert gefördert wird. Als Resultat besteht die Mehrheit der Medaillengewinner bei Olympischen Spielen aus Bundeswehrsoldaten. Des Weiteren nimmt der Staat den Kampf gegen Doping im Spitzensport sehr ernst. Neben der Gründung der Nationalen Anti-Doping Agentur (NADA), wurden die Gesetze bezüglich des Dopings verschärft. Aus der Perspektive der nichtstaatlichen Organisationen geht es bei Sportpolitik vor allem um finanzielle Förderungen und den Erhalt von Arbeitsplätzen im Bereich des organisierten Sports (Lösche, 2010, S. 22-25).
Mit der Strukturierung der Sportpolitik in Deutschland anhand der Dimensionen polity, politics und policy liefert Lösche einen wichtigen Baustein für das Verständnis des Zusammenspiels der Systeme Sport und Politik. Allerdings bemerkt der Autor, dass dieses Vorgehen einen wichtigen Forschungsbereich unberücksichtigt lässt: Die bereits oben mehrfach erwähnte politische Instrumentalisierung des Sports (Lösche, 2010, S. 26). Des Weiteren sind vor allem Sportgroßveranstaltungen wie Weltmeisterschaften und Olympische Spiele nur im internationalen Kontext zu analysieren. Beide fehlenden Faktoren berücksichtigt Groll (2005) in seinem Konzept der transnationalen Sportpolitik, auf welches im folgenden Kapitel eingegangen wird.
2.5 Transnationale Sportpolitik
Wie bereits in Kapitel 2.1.3 dargestellt, handeln laut Groll (2005) mehrere Akteure aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen aus verschiedensten Motiven in der Sportpolitik. Außerdem geht er nicht nur davon aus, „dass Sport und Politik in einem Interdependenzverhältnis stehen, Groll stellt vielmehr auch fest, dass die ‚Instrumentalisierung‘ für nicht-sportbezogene Ziele essentiell für die Ressourcenbeschaffung des Sports ist“ (Meier, 2005, S. 318). Grundlegend für diese Beziehungen von Sport und Politik ist laut Groll der Begriff der Transnationalität, der aus der Politikwissenschaft stammt und den Bedeutungszuwachs von gesellschaftlichen Akteuren in der internationalen Politik beschreibt. Diese Akteure „besitzen auf Grund der heutigen weltpolitischen Interdependenz gegenüber staatlichen Entscheidungsträgern eine zumindest relative Autonomie, die ihnen nach außen gerichtete Handlungsspielräume bietet“ (Groll, 2005, S. 30). Die für Sportpolitik relevanten Akteure stammen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Medien und Sport und werden im Folgenden detailliert dargestellt (Tab. 1). Der Fokus liegt dabei auf der Instrumentalisierung des Sports, was bedeutet, dass die intendierten Ziele nicht innerhalb des Systems Sport liegen, sondern in den Bereich des jeweils handelnden Akteurs fallen.
Tabelle 1: Die Akteurskategorien der Sportpolitik (in Anlehnung an Groll, 2005, S. 76)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.5.1 Akteursbereich I: Politik
Bei den zwischenstaatlichen Organisationen instrumentalisieren vor allem Nichtregierungsorganisationen wie UNICEF und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) neben EU-Institutionen den Sport für ihre Zwecke. So werden prominente Sportler und Sportverbände von UNICEF und WHO für PR-Zwecke eingebunden, um gemeinnützige Programme und Aktionen mit Hilfe der hohen Reichweite des Spitzensports zu bewerben. Die EU-Institutionen nutzen den Sport zum einen als Druckmittel der Mitgliedsländer gegenüber anderen Staaten, indem Boykotte oder Sanktionen angedroht werden. Zum anderen soll die europäische Integration beispielsweise durch europaweite Sportveranstaltungen vorangetrieben werden (Groll, 2005, S. 105-108).
Für die nationalstaatlichen Regierungen war Sport lange Zeit kein politischer Faktor. Dies änderte sich erst nach dem Ersten Weltkrieg, als „ein sportlicher Nationalismus, ausgelöst durch einen kompetitiven Impuls, sich mit anderen Sportlern und Teams im Wettbewerb zu messen“ (Groll, 2005, S. 110) entstand. Während des Zweiten Weltkriegs gipfelte dieses Phänomen in der totalen Vereinnahmung des Sports durch die Politik. Auch zu Zeiten des Kalten Krieges sollte durch sportliche Überlegenheit gleichzeitig die Überlegenheit eines politischen Systems ausgedrückt werden (Groll, 2005, S. 109-111). Insgesamt lässt sich die Instrumentalisierung des Sports durch nationalstaatliche Regierungen in nach innen gerichteter und nach außen gerichteter Politik unterscheiden. Durch nach innen gerichtete Politik soll durch den Sport nationale Leistungsfähigkeit nach innen demonstriert und eine nationale Identität gebildet werden. Dies geschieht häufig in Verbindung mit der Ausrichtung von Sportgroßveranstaltungen. Außerdem werden durch den Sport die Ziele der Gesundheitspolitik der nationalstaatlichen Regierungen gefördert, die sich gesunde und sportliche Bürger wünschen. Wenn Sport für außenpolitische Zwecke instrumentalisiert wird, dann wird er vor allem durch Erfolge bei Sportgroßveranstaltungen für internationale Aufmerksamkeit und die Demonstration nationaler Leistungsfähigkeit nach außen genutzt. Des Weiteren kann unter dem Vorwand des Sports Diplomatie auf bilateraler Ebene betrieben werden. Als Beispiel hierfür gilt die Annäherung von Süd und Nordkorea im Rahmen von Olympischen Spielen (Groll, 2005, S. 120-126).
Parteien und Politiker werden sehr häufig im Kontext von Sportveranstaltungen wahrgenommen. Vor allem bei Weltmeisterschaften oder wichtigen nationalen Wettkämpfen geben sie bereitwillig Auskunft über ihre Leidenschaft für den Sport, um bestenfalls nicht nur auf der Politikseite, sondern auch im Sportteil einer Zeitung zu erscheinen. Die positive Strahlkraft des Sports wird außerdem bei politischen Reden genutzt, indem sportliche Bezüge hergestellt und Anekdoten erzählt werden. Parteien binden zudem ehemalige Spitzensportler an sich, um ein größeres Wählerpotential zu generieren. Insgesamt instrumentalisieren Parteien und Politiker den Sport, um ihre Bekanntheit und ihre Sympathiewerte in der Bevölkerung zu steigern (Groll, 2005, S. 126-131).
2.5.2 Akteursbereich II: Wirtschaft
Die Bedeutsamkeit der Akteure aus dem Bereich Wirtschaft ist für den Sport durch die Professionalisierung und Kommerzialisierung des Spitzensports stetig gewachsen, denn „ohne die Unterstützung der Wirtschaft ist das Fortbestehen oder gar die Weiterentwicklung vieler Sportvereine oder Sportverbände in Frage gestellt“ (Groll, 2005, S. 131). Trotzdem besitzen die Wirtschaftsakteure eigene Interessen und Zielsetzungen, die sie mit ihrem Engagement im Bereich Sport erreichen wollen. Investoren sind vorrangig an finanziellen Erlösen interessiert, die sich aus Investitionen in Stadionbauten und Beteiligungen an Profivereinen realisieren lassen. Vermarkter hingegen sichern sich die TV und Marketingrechte von Sportgroßveranstaltungen oder ganzen Sportverbänden, um durch die Weiterveräußerung finanziellen Gewinn zu erwirtschaften (Groll, 2005, S. 140-142).
Der professionelle Sport ist heute ohne Sponsoren kaum noch vorstellbar, denn „Sponsoring hat zweifellos die Handlungsspielräume des Sports erweitert. Aber es hat sie insbesondere auch qualitativ verändert “ (Güldenpfennig, 1992, S. 161, Hervorh. im Orig.). Anhand dieses Zitats wird deutlich, dass die Sponsoren nicht nur finanzielle Mittel bereitstellen, sondern auch Gegenleistungen erwarten. Zum einen erhoffen sich Unternehmen die Erhöhung ihres Bekanntheitsgrades und zum anderen wollen sie vom guten Image des Sports sowie der Sportvereine profitieren, welches auf das Unternehmen abfärben soll. Langfristig sollen somit durch die Wirkungen des Sponsorings auch ökonomische Ziele verfolgt werden. Dies ist bei Mäzenen nicht der Fall, da diese Sportvereine oder Sportverbände aus intrinsischer Motivation fördern und normalerweise keine Gegenleistungen erwarten (Groll, 2005, S. 142-146).
2.5.3 Akteursbereich III: Medien
Analog zu den Akteuren der Wirtschaft spielen die Massenmedien eine bedeutende Rolle für den Sport. Durch die hohe Reichweite in primär visuellen Medien und der daraus resultierenden Popularität wird der Sport für die Wirtschaft erst interessant (Bulgrin, 2006, S. 49). Im vergangenen Jahr waren 19 der 20 reichweitenstärksten TVSendungen Sportereignisse, was zum Großteil auf die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland zurückzuführen ist. Aber auch 2017 finden sich in der gleichen Statistik elf TV-Sendungen mit Sportbezug (AGF Videoforschung, 2019). Durch diese Zahlen wird verdeutlicht, welche Ziele die Medien mit der Instrumentalisierung von Sport verfolgen. Durch die hohen Einschaltquoten und Marktanteile können zum einen Einnahmen durch Werbung erhöht werden, während zum anderen der TV-Sender sein Image mit dem Zuschauermagneten Sport profilieren kann (Groll, 2005, S. 149-154).
2.5.4 Akteursbereich IV: Sport
Auch Akteure aus dem Bereich des Sports verfolgen Ziele, welche außerhalb des Systems Sport liegen. Auf der Ebene der Sportorganisationen stehen die nationalen Verbände indirekt in Konkurrenz miteinander, wenn es um die Besetzung von Führungspositionen in internationalen Sportverbänden geht. Dies ist vor dem Hintergrund der Mitbestimmung in den internationalen Gremien von entscheidender Bedeutung, denn es geht „mit anderen Worten auch bei den Sportorganisationen um Machtfragen, genauer: um Machtaufbau, Machterhalt oder Machtzuwachs“ (Groll, 2005, S. 177). Dieses Resümee bestätigt sich bei einem genaueren Blick auf die Funktionärselite des Sports. Wenn es um die Vergabe von Sportgroßveranstaltungen oder die Wahl von Verbandsfunktionären geht, kann nahezu jede internationale Sportorganisation bereits auf mehrere Korruptionsskandale zurückblicken (u. a. Aumüller & Kistner, 2018; Behn, 2017; Opfermann, 2019). Persönliche Vorteilsname sowie Machterwerb, Machterhalt und Machtzuwachs scheinen eine große Motivation für die Führungselite zu sein, für welche sie den Sport instrumentalisieren (Groll, 2005, S. 177-180).
Anders stellt sich das Bild bei der Sportlerelite dar. Groll stellt fest, „dass die eigentlichen Akteure, die Sportler, fast völlig aus dem Zentrum des sportpolitischen Interaktionsgeflechtes verdrängt worden sind“ (2005, S. 169). Die Athleten haben zumindest in der Theorie die Möglichkeit die Sportbühne zu nutzen, um persönliche Meinungen kundzutun. Dies kann vor gesellschaftlichen sowie politischen Hintergründen geschehen, allerdings positionieren sich Sportler in der Praxis öffentlich nur selten. Ein bekanntes Beispiel ist der 2016 verstorbene, weltberühmte Boxer Muhammad Ali, der zu seiner aktiven Zeit gegen den Vietnamkrieg protestierte und öffentlich gegen die US-Regierung Stellung bezog (Groll, 2005, S. 180-185). Einen Protest gegen Krieg unternahm auch die deutsche Sportlerelite, welche sich 2003 gegen den Einmarsch US-amerikanischer Streitkräfte in den Irak positionierte. Vordergründig beteiligten sich dabei Olympioniken, während Profifußballer beinahe komplett fehlten, obwohl man dem Fußball „aufgrund der weltweiten Verbreitung und seiner friedenspolitischen und völkerverbindenden Eigenschaften eine globale Sonderstellung unterstellt“ (Bulgrin, 2006, S. 59).
Insgesamt sind gerade populäre Sportler attraktive Interviewpartner für die Massenmedien, wobei die Interviews meistens oberflächlich bleiben und sich auf Fragen zur sportlichen Situation beschränken. Geht eine Interviewfrage über das Gewohnte hinaus, wollen sich die Sportler zum Großteil nicht eindeutig positionieren oder überhaupt Stellung beziehen. Bulgrin verdeutlicht dieses Phänomen am Beispiel des Testspiels zwischen Bayern München und Persepolis Teheran im Jahr 2006, als der Iran u.a. aufgrund seines Atomprogramms im Konflikt mit mehreren westlichen Staaten stand. Angesprochen auf die prekäre Situation und die Strahlkraft eines solchen Fußballspiels antwortete der damalige Nationaltorhüter Oliver Kahn mit der Floskel, dass er Sport und Politik eindeutig trennt (2006, S. 57-58). Vor dem Hintergrund der angespannten politischen Lage, die zu einem Krieg hätte führen können, stellt sich Bulgrin folgende Fragen:
„Kann ein Sportler wie Oliver Kahn unter diesen Umständen dann allen Ernstes einen derartigen Standpunkt vertreten? Hat er nicht auch gerade als Sportler eine Vorbildfunktion, die auch über den Sport hinausgehen sollte? War das Spiel tatsächlich notwendig oder hätten sich Kahn und seine Mitspieler nicht weigern müssen zu spielen […]?“ (2006, S. 58).
Diese Fragestellungen sind eng verbunden mit der Frage nach dem politischen Mandat des Sports. Ob Sportler oder Sportorganisationen politisch handeln dürfen oder sogar sollen, wird daher im folgenden Kapitel geklärt.
2.6 Das politische Mandat des Sports
Prominenten Sportlern wird aufgrund ihrer Präsenz in den Massenmedien hohes Einflusspotential sowie eine entsprechende Vorbildfunktion zugesprochen. Diese Phänomene verstärken sich mit einer wachsenden Popularität der Sportler und werden vor allem durch die werbetreibende Wirtschaft ausgenutzt. Es steht außer Frage, dass die Athleten ihren Einfluss auch für gesellschaftspolitische Zwecke nutzen könnten, um zum Beispiel Druck auf die Führungselite im Sport oder auch in der Politik auszuüben (Bulgrin, 2006, S. 60). Im Gegensatz zum Einsatz als Testimonial in der Werbung wird das vorhandene Potential der Sportler jedoch nicht genutzt, was zur Frage nach dem politischen Mandat des Sports führt. Güldenpfennig teilt diese Frage in zwei Fragen „nach der faktischen Wahrnehmung eines solchen Mandats, und die nach der grundsätzlichen Legitimation für ein solches politisches Handeln“ auf (1992, Hervorh. im Orig.). Es geht demnach zum einen darum, ob der Sport in der Vergangenheit politisch gehandelt hat und zum anderen, ob der Sport überhaupt zum politischem Handeln berechtigt ist. Zum ersten Punkt findet der Autor eindeutige Beispiele aus der Vergangenheit, bei denen Sportorganisationen oder Sportler vor allem im Zusammenhang mit Sportgroßveranstaltungen politisch gehandelt haben. Bei der Frage nach der Legitima-
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- Benedikt Mensing (Autor:in), 2019, Sport und Menschenrechte. Der Einfluss politischer Positionierungen von Profisportlern auf ihr Image, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/538646
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