In dieser Arbeit geht es um die Frage, wie Visualisierung von Geschichte in William Kentridges Werk "Stereoscope" vollzogen wird, wobei zwei Aspekte im Fokus stehen. Welche Art der Geschichte wird behandelt und welche Orte der Geschichte zeigt er? In seinen Animationsfilmen beschäftigt sich Kentridge mit verschiedenen Aspekten des Lebens im Kontext der jüngeren Vergangenheit und der Gegenwart in Südafrika. Während die ersten 5 Filme der Reihe im letzten Jahrzehnt der Apartheid fertiggestellt wurden, liegt die Vollendung der restlichen 4 Filme zeitlich nach 1994, dem Ende der Apartheid. Mit Hilfe seiner narrativ strukturierten, aber dennoch hochgradig assoziativen Animationsfilme zeigt er Bilder über die Natur menschlicher Emotionen und Erinnerungen und die Beziehungen zwischen Begierden, Ethik und Verantwortung. Damit thematisiert er die mitunter subtilen Wechselwirkungen zwischen den äußeren Umständen wie Politik, Geschichte und dem Leben und Handeln des Menschen. Die interpretationsoffenen Filmplots bieten auch Bilder persönlicher Betrachtungen über die eigene Identität und Geschichte im Kontext der Apartheid.
Im Film "Stereoscope" (1999) spielt Kentridge mit der Bedeutung des stereoskopischen Sehens, bei welchem mit dem biologischen Prinzip des Sehens gearbeitet wird, wobei die beiden Bilder der Augen, die aus verschiedenen Winkeln schauen, im Gehirn zu einem räumlichen Bild zusammengefügt werden. Der Protagonist in "Stereoscope" wird durch Splitscreen-Technik zu zwei verschieden handelnden Entitäten gemacht, die in der Logik des stereoskopischen Sehens zu einem Bild zusammengefügt werden müssten, um eine wahre Darstellung der Welt zu erhalten. Kentridge zeigt hier durch Doppelungen die potentielle Unmöglichkeit, die verschiedenen Aspekte der eigenen Person harmonisch zusammenzufügen. Die gespaltene oder verdoppelte Persönlichkeit des Protagonisten wird mit seinen Erinnerungen an ein Johannesburg konfrontiert, auf dessen Straßen die Gewalt herrschte. Auf sein Leben in Südafrika der Post-Apartheid bezogen, behandelt Kentridge die Art der Auseinandersetzung mit Fragen der Schuld und Begriffen wie Täter und Opfer, Erinnerung und Vergessen und die im Film explizit genannte Begriffen For/Give/Forgive, also Schuld und Vergebung.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. William Kentridges Animationsfilm „Stereoscope“
1.1 „Stereoscope“: Werkbeschreibung
1.2 Einordnung von „Stereoscope“ in William Kentridges Werk
2. Überblick: Darstellung von Geschichte seit der Aufklärung
3 Aspekte der Visualisierung von Geschichte
3.1 Was ist Geschichte bei Kentridge?
3.2 Kentridges Orte der Geschichte
Schlussbetrachtung
Einleitung
William Kentridge wurde 1955 in Johannesburg, Südafrika zur Zeit der Apartheid geboren. Er studierte Politik und Afrikanistik in Johannesburg, später Schauspiel in Paris. Bevor er sich ganz seiner eigenen Kunst zugewandt hat, arbeitete er als Art Director für Film und Fernsehen in Johannesburg. Seine künstlerischen Arbeiten erstrecken sich über verschiedene Bereiche, unter anderem Kollaborationen mit Theater- und Opernproduktionen, doch stehen in dieser Arbeit seine Zeichnungen und Animationsfilme, insbesondere der Film „Stereoscope“(1999) aus der Reihe „9 Drawings for Projection“(1989-2003) im Vordergrund.1
Die Zeit der Apartheid hatte ihre Hauptphase zwischen den 1940er und den 1980er und endete 1994 mit dem demokratischen Regierungswechsel. Die Nationale Partei hatte im Laufe der Apartheid durch Gesetze und die Einrichtung verschiedener Behörden die seit der Kolonialzeit bestehende Vorherrschaft des ursprünglich aus Europa stammenden weißen Bevölkerungsteils zunehmend gefestigt. Die rassistische Trennung während der Apartheid unterschied zwischen vier verschiedenen Gruppen: Weiße, Schwarze, Asiaten und People of Colour. Vor allem die schwarze Bevölkerung litt in allen Bereichen des alltäglichen Lebens unter der staatlich sanktionierten Diskriminierung. Unter anderem wurden alle städtischen Nicht-Weißen Südafrikaner in eigene Stadteile (Townships) umgesiedelt, Ausbildungsmöglichkeiten stark eingeschränkt und Mischehen verboten. Lange Zeit wurde der größtenteils friedliche innere Widerstand gegen die Apartheid mit Gewalt niedergeschlagen. Erst seit den 1970er-Jahren verbesserte sich durch zunehmende, organisierte Aktionen der Widerstandsbewegung, Intervention durch die Vereinten Nationen und den Druck einer Wirtschaftskrise die Lage der Schwarzen in Südafrika. Seit 1990 wurden die rassentrennenden Gesetzte nach und nach abgeschafft. Diese Maßnahmen dauerten noch über die erste demokratische Wahl 1994 hinaus an, bei der der Afrikanische Nationalkongress (ANC) die eindeutige Mehrheit erhielt und dessen Präsident Nelson Mandela zum Staatschef Südafrikas gewählt wurde.2
In seinen Animationsfilmen beschäftigt sich Kentridge mit verschiedenen Aspekten des Lebens im Kontext der jüngeren Vergangenheit und der Gegenwart in Südafrika. Während die ersten 5 Filme der Reihe im letzten Jahrzehnt der Apartheid fertiggestellt wurden, liegt die Vollendung der restlichen 4 Filme zeitlich nach 1994, dem Ende der Apartheid. Mit Hilfe seiner narrativ strukturierten, aber dennoch hochgradig assoziativen Animationsfilme zeigt er Bilder über die Natur menschlicher Emotionen und Erinnerungen und die Be- ziehungen zwischen Begierden, Ethik und Verantwortung. Damit thematisiert er die mitunter subtilen Wechselwirkungen zwischen den äußeren Umständen wie Politik, Geschichte und dem Leben und Handeln des Menschen. Die interpretationsoffenen Filmplots bieten auch Bilder persönlicher Betrachtungen über die eigene Identität und Geschichte im Kontext der Apartheid.
Im Film „Stereoscope“(1999) spielt Kentridge mit der Bedeutung des stereoskopischen Sehens, bei welchem mit dem biologischen Prinzip des Sehens gearbeitet wird, wobei die beiden Bilder der Augen, die aus verschiedenen Winkeln schauen, im Gehirn zu einem räumlichen Bild zusammengefügt werden.3 4 Der Protagonist in „Stereoscope“ wird durch Splitscreen-Technik zu zwei verschieden handelnden Entitäten gemacht, die in der Logik des stereoskopischen Sehens zu einem Bild zusammengefügt werden müssten, um eine wahre Darstellung der Welt zu erhalten. Kentridge zeigt hier durch Doppelungen die potentielle Unmöglichkeit, die verschiedenen Aspekte der eigenen Person harmonisch zusammenzufügen. Die gespaltene oder verdoppelte Persönlichkeit des Protagonisten wird mit seinen Erinnerungen an ein Johannesburg konfrontiert, auf dessen Straßen die Gewalt herrschte. Auf sein Leben in Südafrika der Post-Apartheid bezogen, behandelt Kentridge in „Stereoscope“ die Art der Auseinandersetzung mit Fragen der Schuld und Begriffe wie Täter und Opfer, Erinnerung und Vergessen und die im Film explizit genannte Begriffe „For/Give/Forgive“, also Schuld und Vergebung.5
Im ersten Kapitel erfolgt zunächst eine detaillierte Beschreibung von „Stereoscope“ und seine Einordnung in Kentridges Filmreihe „9 Drawings for Projection“. Dabei werden vor allem wichtige Aspekte und Themen seiner Arbeiten herausgestellt und teilweise mit ihrem geschichtlichen Kontext in Verbindung gebracht. Das zweite Kapitel gibt eine Übersicht über die Entwicklung der Darstellung von Geschichte in der bildenden Kunst seit der Aufklärung. Im dritten Kapitel geht es um die Frage, wie Visualisierung von Geschichte in Kentridges Werk vollzogen wird, wobei zwei Aspekte im Fokus stehen: welche Art der Geschichte wird in Kentridges Werk behandelt und welche Orte der Geschichte zeigt er. In der Schlussbetrachtung wird zusammenfassend behandelt, wie Kentridge in seinem Werk Geschichte visualisiert und die Frage aufgegriffen, wie sein Werk in die Tradition der Historienmalerei einzuordnen ist.
1. William Kentridges Animationsfilm „Stereoscope“
1.1 „Stereoscope“: Werkbeschreibung
Kentridges Werk „Stereoscope“ wurde 1999 fertiggestellt. Es handelt sich um einen 35mm-Animationsfilm mit einer Länge von 8:22 Minuten, übertragen auf Video und DVD. Er befindet sich im Besitz des Künstlers, Courtesy Marian Goodman Gallery, New York, und der Goodman Gallery, Johannesburg. Für Regie, Zeichnungen und Fotografie war Kentridge selbst zuständig, der Schnitt wurde von Catherine Meyburgh durchgeführt und die Tongestaltung von Wilbert Schübel übernommen. Die Musik stammt von Phillip Miller, eingespielt wurde sie von Peta-Ann Holdcraft, Marjan Vonk-Stirling, Ishmael Kambule und Minas Berberyan.6
Wie bereits die vorangegangenen Filme der Reihe „9 Drawings for Projection“, wurde auch „Stereoscope“ durch das mehrfache Abfotografieren von Kohlezeichnungen erstellt, an denen Kentridge zwischen den einzelnen Fotografien durch Radieren und Hinzufügen sukzessive Veränderungen vorgenommen hat. Charakteristisch bei dieser Technik ist die Tatsache, dass Radierungen in der Zeichnung unvollkommen sind und Spuren von vorherigen Zuständen der Zeichnung in der Entwicklung des Bildes weiterhin zu sehen sind. Der Stop-Motion-Animationsfilm besteht am Ende aus den Fotografien, den größtenteils schwarz-weißen Zeichnungen und der Untermalung durch Musik und vereinzelte Soundeffekte.
Die Handlung von „Stereoscope“ findet an drei unterschiedlichen Orten statt: einer urbanen Landschaft mit Hochhäusern, Straßenbahn und Industrie; einem Büroraum, in dem sich der männliche Protagonist durchgehend befindet und einem Bereich, den man als „Untergrund“ bezeichnen könnte. Mit zunehmender Schnittfrequenz sieht man in die drei Bereiche, die im Laufe der Handlung auf unterschiedliche Arten der Interaktion miteinander verbunden werden. Die zeitliche Dimension bleibt offen, man weiß nicht, ob die Handlungen der drei Räume linear ablaufen. Ebenso offen bleibt das reale Potential der Räume selbst, sie könnten teilweise realen Räumen nachempfunden sein oder auch den Erinnerungen bzw. Träumen entspringen. Aus dem Zusammenhang der anderen Filme Kentridges erkennt man im weißen Protagonisten den Charakter „Soho Eckstein“.
Zu Beginn des Films befinden wir uns in einem industriell wirkenden Raum mit Schaltpulten, der bis auf eine schnell vorwärts laufende Uhr leer und unbewegt ist. Kurze Bilder von Soho in seinem Büro und von verschiedenen Teilen des urbanen Raums folgen. Dort „schreibt“ eine schwarze Katze mit ihrem Schwanz im Vorbeigehen in blau den Filmtitel „Stereoscope“ graffitigleich an eine Häuserwand und gesellt sich dann zu Soho. Der Raum mit den Schaltpulten füllt sich mit Menschen, die scheinbar eine Art Telefonzentrale betreiben und aus deren Steckern blaue Linien fließen. Diese erstrecken sich langsam durch die Stadt als eine Art blaues Kommunikationsnetz. Die Darstellung von Sohos Büro wird nun als Split-Screen nebeneinander dargestellt, wobei auf den beiden Seiten teilweise Gleiches zu sehen ist, teilweise unterschiedliche Dinge dargestellt werden, zeitweise beide Seiten miteinander verbunden werden, z.B. durch ein gemeinsames Buch, durch die blaue Linie oder durch Interaktion der beiden Soho-Versionen. Auf beiden Schreibtischen befinden sich verschiedene Gegenstände, die zum Teil ein Eigenleben führen, z.B. wachsen in den Büchern die Zahlenkolonnen selbstständig oder sie zeigen kleine Filme von Menschen außerhalb des Büros oder der Straßenbahn vor dem Haus. Während eine Soho- Version telefoniert, geht die blaue Linie wieder aus dem Büro heraus in den „Untergrund“, von wo aus sie in Aufnahmegeräte oder Überwachungsmedien fließt. An der Trennlinie zwischen den beiden Büro-Versionen bricht die blaue Linie dann das Bild auf und aus der Mitte entspringen Szenen von Gewalt auf den Straßen der Stadt. Während die Musik dramatischer wird, läuft die blaue Linie als bedrohlicher Energiestrahl gleichsam Amok, scheint Gewalt und Lärm in der Stadt zu verbreiten. Man hört das Geschrei der Menschenmenge, sieht kurze Szenen von Schlägereien und Bilder von Menschen, die bewusstlos oder tot auf der Straße liegen. Die Unruhe macht auch vor den beiden Sohos in der Isolation ihres jeweiligen Büros nicht halt. Der eine Soho wird in seinem Büro von der blauen Linie geradezu angegriffen, der Raum füllt sich mit Zahlen und Gegenstände vermengen sich zu einer grauen erdrückenden Masse, gleichzeitig sitzt der andere Soho in einem leeren Zimmer und hält sich schützend die Arme über den Kopf, während man von draußen Schüsse hört. Auf den Straßen vor Sohos Bürogebäude bildet sich eine immer größer werdende, aggressiv wirkende Menschenmenge. Auf dem Höhepunkt der Eskalation, die durch zunehmende Schnittfrequenz und steigende Intensität der Musik begleitet wird, transformiert sich die schwarze Katze in zwei Bomben, deren Zündschnüre abbrennen und die dann explodieren. Während sich der Rauch der Explosion verzieht, wird die Musik ruhiger und das Netzwerk der blauen Linien bildet sich langsam zurück, verschwindet im „Untergrund" und bildet die Worte „Give - Forgive“. Zum Schluss sieht man nur noch eine Version Sohos in seinem leeren Büro. Er steht gebeugt im Raum und ihm läuft blaues Wasser aus den Anzugtaschen bis er knietief darin steht.
1.2 Einordnung von „Stereoscope“ in William Kentridges Werk
„Stereoscope“ ist der achte Film aus William Kentridges Reihe „9 Drawings for Projection“, die im Zeitraum zwischen 1989 und 2003 entstanden sind. Er ist der zweite Film, der nach dem Ende der Apartheid fertiggestellt wurde.
Die Technik ist bei allen Filmen die gleiche wie bei „Stereoscope“: Kentridge zeichnet zwischen 25 und 40 Kohlezeichnungen mit einem geringen Anteil an Pastellfarben für einzelne Aspekte des Films, wie z.B. blau für die Kommunikationslinien in „Stereoscope“ und Darstellungen von Wasser. Die Zeichnungen verändert er jeweils durch Hinzufügen und Radieren und jede Veränderung hält er per Foto fest. Diese Technik hinterlässt Schatten und Spuren der Entwicklung in der Zeichnung. Ist die Arbeit an einem Film beendet, besteht das Ergebnis aus 25 bis 40 Zeichnungen, die jeweils den letzten Zustand der Bildentwicklung zeigen und den Fotografien, die mit Musikstücken und Soundeffekten unter- legt zum Animationsfilm verarbeitet werden. An den Stummfilm anknüpfend arbeitet Kentridge bei allen Filmen ohne das gesprochene Wort, es sind allerdings meistens die Titel der Filme als Teil der Zeichnungen eingearbeitet. Teilweise werden Unter- und Zwischentitel verwendet, die die Situation der Charaktere oder deren Gefühle beschreiben.
Eine kurze Übersicht über die inhaltlichen Schwerpunkte der Filme aus „9 Drawings for Projection“ wird im Folgenden Aufschluss über wichtige Zusammenhänge, Themen und Entwicklungen der Filmreihe geben. Da die Filme eng mit Kentridges Leben, seiner Verbindung mit Südafrika und generell dem sozialen und politischen Leben der Menschen in Südafrika während und nach Ende der Apartheid verknüpft sind, wird an bestimmten Stellen bei der Interpretation der Filme auf diese Aspekte eingegangen.
Der erste Kurzfilm „Johannesburg, 2nd greatest City after Paris“ (1989) beinhaltet bereits einige Hauptaspekte von Kentridges Kurzfilmreihe und führt die beiden Hauptcharaktere ein: Soho Eckstein und Felix Teitlebaum. Die beiden Protagonisten stehen für antithetische Lebensentwürfe. Soho steht als Geschäftsmann für Gier und Korruption, trägt immer Anzug und wird zumeist als produktiver Lebensentwurf hinter seinem Schreibtisch sitzend dargestellt. Felix hingegen steht für den künstlerischen Freigeist, wird häufig nackt und in die Landschaft blickend gezeigt, seine Gesichtszüge haben große Ähnlichkeit mit denen von William Kentridge selbst. Der Film spielt, wie im Titel angezeigt, im südafrikanischen Johannesburg, dargestellt als städtebauliche Wüste, umgeben von Minen- und Industriegelände. Er zeigt die zunehmende Macht Sohos und wie sowohl die Landschaft, als auch die Bewohner von Johannesburg unter ihm leiden. Parallel wird die Dreiecksbezie hung von Soho, Mrs. Eckstein und Felix gezeigt, deren Geschichte eine persönliche, erotisch-fantastische Ebene in den Film bringt und gegensätzliche Bilder zur künstlichen, industriellen Ödnis der Stadt und Landschaft Johannesburgs und der Prozession einer körperlosen Masse von anonymen schwarzen Minenarbeitern erzeugt. Die Konflikte zwischen den Personen werden zwar aufgeworfen, jedoch nicht gelöst. Die Interaktion zwischen der Masse an Arbeitern und Soho lässt auf eine tiefer liegende Problematik schließen, die über bloße Beschäftigungsverhältnisse hinausführt und auf grundlegende politische und soziale Konflikte im Kontext der Apartheid in Südafrika verweist.
Diese Problematik wird im zweiten Film „Monument“(1990) auf besonders eindrückliche Weise bildlich dargestellt. Auf der einen Seite steht Soho Eckstein, der sich den Medien als bürgerlicher Wohltäter präsentiert, während er eine Rede zur Enthüllungsfeier eines Denkmals hält, das schließlich aus einem lebenden, angeketteten schwarzen Arbeiter besteht, der eine schwere Kiste auf den Schultern trägt - „das Denkmal ehrt die Sklaverei, nicht den Sklaven“7 8.
Im dritten Film „Mine“(1991) geht Kentridge weiter auf die Beziehung zwischen Soho Eckstein und einer anonymen Masse von schwarzen Arbeitern ein. Die Lebenswelten der beiden Seiten werden hier einander entgegengesetzt. Sohos bequemes Bett und seine Arbeit am Schreibtisch werden als das Leben im Hellen, oberirdisch dargestellt, während die Betten und Arbeitsstätten der Minenarbeiter in der Dunkelheit der unterirdischen Minen liegen. Dabei werden Assoziationen mit bekannten Bildern hergestellt, wie z.B. den Duschräumen in Konzentrationslagern und der Kojenbereich als Umriss eines Sklavenschiffs. Beide Welten werden durch verschiedene Oben/Unten-Bewegungen miteinander verbunden, so wird z.B. der Lift der Arbeiter bei der Fahrt nach oben zu Sohos Bett und der Pressstempel in Sohos Cafetiere wird bei der Bewegung nach unten zu einem Periskop transformiert. Diese Beziehung wird in der Filmhandlung nicht kritisch thematisiert, sondern als eine von Soho unreflektierte Tatsache und als unangefochtene Realität dargestellt. Im vierten Film „Sobriety, Obesity & Growing Old“ (1991) behandelt Kentridge wie bereits in „Johannesburg, 2nd greatest City after Paris“ die Dreiecksbeziehung, wobei Soho hier als der Verlassene dargestellt wird, der unter seiner persönlichen Situation leidet. Parallel wird gezeigt wie sein Imperium zusammenbricht: seine Hochhäuser in der ganzen Stadt stürzen ein und hinterlassen eine leere Landschaft, in der Soho allein in die Weite blickt. Während Soho am Schluss des Films wieder mit seiner Frau vereint ist, werden sie unbemerkt von einer demonstrierenden Menschenmenge umgeben, die zuvor durch die Straßen Johannesburgs gezogen war. Dies ist der erste Film, in dem Soho mit Gefühlen, wie Bedauern über sein Leben und einem Bewusstsein für seine Situation gezeigt wird. Außerdem tritt das erste Mal eine Menschenmasse in proaktiver Haltung auf, auch wenn keine klare politische Botschaft kommuniziert wird. Der Film knüpft an die reale Situation in Südafrika an: 1990 wurde das Verbot politischer Organisationen aufgehoben und die Gegner der Apartheid begannen mit Demonstrationen und Protestmärschen gegen die Einschränkungen der Bevölkerung durch das Regime.9
Der fünfte Film der Reihe „Felix in Exile“ (1994)
„was made at the time just before the first general election in South Africa, and questioned the way in which the people who had died on the journey to this new dispensation would be remembered - using the landscape as a metaphor for the process of remembering and forget- ting.”10 11
Dies wird über die Verbindung von Felix Teitlebaum und Nandi erzählt, einer schwarzen Kartographin, die die Landschaft um Johannesburg in ihren Zeichnungen festhält. Dort liegen blutende Tote, die zunehmend von Zeitungen verdeckt werden und langsam zum Teil der Landschaft werden, bis keine Spuren mehr von ihnen zu sehen sind. Währenddessen sitzt Felix allein in einem Hotelzimmer und schaut sich Nandis Zeichnungen an. Direkten Kontakt zu ihr hat er nur durch einen Spiegel über dem Waschbecken mittels eines Fernrohres, durch das er teils sie sieht und teils durch ihre Augen die Geschehnisse in der Landschaft um Johannesburg mit verfolgen kann. Man sieht, wie Nandi durch verschiedene Beobachtungs- und Messgeräte die Erschossenen auf den Feldern beobachtet, bis sie schließlich ebenfalls getötet wird und langsam zum Teil der Umgebung wird. Die letzte Einstellung zeigt Felix in der brachliegenden Landschaft, die keine sichtbaren Spuren mehr von Tod und Gewalt trägt. Die Bilder, die von vergangener Gewalt in Johannesburg, respektive Südafrika bleiben, sind offensichtlich nur noch in der Erinnerung von Felix bzw. von Zeitzeugen, und in Nandis Aufzeichnungen, bzw. Dokumenten, kulturellen Arte fakten und der Kunst zu finden.
Im sechsten Film „History of the Main Complaint” (1996) beschäftigt sich Kentridge weiter mit der Entwicklung Südafrikas nach dem Ende der Apartheid. Der Film wurde kurz nach der Einrichtung der Truth and Reconciliation Commision (TRC) erstellt. Die TRC organisierte eine Serie von öffentlichen Anhörungen sowohl von Opfern und Zeugen von Verstößen gegen die Menschenrechte als auch von Tätern. Wie der Name der Kommission andeutet, sollte es bei diesen Anhörungen um das Aufdecken und öffentliche Bekanntmachen von wahren Begebenheiten gehen. Den Tätern, die im Rahmen der TRC ihre Taten gestanden hatten und Reue zeigten, wurde Amnestie und Immunität von weiterer Strafverfolgung gewährt. Diese Maßnahmen sollten in der Konsequenz dazu beitragen, durch Verarbeitung und Versöhnung ein neues, postkoloniales Südafrika aufzubauen.12 13
[...]
1 Vgl. Carolyn Christov-Bakargiev: William Kentridge, Brüssel 1998, S. 151.
2 Vgl. Michael Sittenfeld (Hg.): William Kentridge, New York 2001, S.141ff.
3 Vgl. Christov-Bakargiev: William Kentridge, S. 9f.
4 Vgl. Mark Rosenthal (Hg.): William Kentridge. Fünf Themen, Ostfildern 2010, S. 120.
5 Vgl. ebd., S. 46.
6 Vgl. ebd., S. 260.
7 Vgl. Christov-Bakargiev: William Kentridge, S. 42.
8 Vgl. ebd., S. 42.
9 Rosenthal (Hg.): William Kentridge. Fünf Themen, S.41.
10 Vgl. Christov-Bakargiev: William Kentridge, S. 72.
11 Ebd., S. 90.
12 Vgl. ebd., S. 90.
13 Vgl. D. Cameron/ C. Christov-Bakargiev/ J.M. Coetzee: William Kentridge, London 1999, S. 132.
- Quote paper
- Rena Gottfried (Author), 2014, Visualisierung von Geschichte am Beispiel von William Kentridges Werk "Stereoscope", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/535524
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