Die Ergebnisse der internationalen PISA-Studie 2000 führten erwartungsgemäß zu einer wortreichen Debatte um schulpädagogische und bildungspolitische Zielsetzungen. Zahlreiche Faktoren wurden als Ursachen für das schlechte Abschneiden der deutschen Schüler und die erheblichen Beteiligungs- und Leistungsunterschiede zwischen sozialen Schichten diskutiert. Dennoch gibt es nach wie vor kaum gesicherte Erkenntnisse über die Ursachen von Bildungsungleichheiten.
Dennoch möchte ich in diesem Aufsatz - soweit es der momentane Forschungsstand zulässt - die grundlegenden Ursachen für die Entstehung herkunftsbedingter Ungleichheiten im deutschen Bildungssystem erläutern. In diesem Zusammenhang werde ich mich auf die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen familiären Lebensverhältnissen und der Bildungsbeteiligung bzw. des Kompetenzerwerbs konzentrieren und damit einen wesentlichen Teil der PISA-Studie darstellen. Dabei interessiert mich, ob in Deutschland ein deterministisches Verhältnis zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg besteht, und welche Maßnahmen zu einer Verringerung der Ungleichheiten im Bildungssystem führen könnten.
Eine Rückschau auf das Bildungssystem der 50er Jahre und die in dieser Zeit einsetzende Bildungsexpansion halte ich für ein umfassendes Verständnis dieser Thematik für notwendig. Daher beginnt dieser Aufsatz mit einer Darstellung der wesentlichen Ursachen und Wirkungen der Bildungsexpansion und dem damit einhergehenden Wandel von Bildungs- und Beteiligungschancen. Hiervon ausgehend werde ich skizzieren was genau im Rahmen der PISA-Studie untersucht wurde und wie die dafür herangezogenen Daten gesammelt wurden. Dabei stehen zunächst die angewandten Messverfahren und grundlegende Indikatoren für relevante Randbedingungen im Vordergrund. Größere Aufmerksamkeit werde ich jedoch den Ergebnissen der einzelnen Untersuchungsbereiche zukommen lassen.
Aufgrund der Heterogenität der gesammelten Daten scheint es sinnvoll den Einfluss von Zuwanderungsmerkmalen auf die Bildungsbeteiligung und den Kompetenzerwerb getrennt von der sozialen Herkunft zu betrachten.
Abschließend werde ich ausgehend von den Ergebnissen der PISA-Studie die wesentlichen Ursachen für die Reproduktion herkunftsbedingter Ungleichheiten im Bildungssystem beleuchten und miteinander in Beziehung setzen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Bildungsexpansion
2.1 Ursachen der Bildungsexpansion
2.2 Die Bildungsexpansion und ihre Folgen
3. Die PISA-Studie 20006
3.1 Vorgehensweise und Begriffserklärung
3.2 Indikatoren der sozialen Herkunft
3.3 Sozialstrukturelle Merkmale der Familien
3.4 Soziale Herkunft und Bildungsbeteiligung
3.4.1 Soziale Herkunft und erworbene Kompetenzen
3.4.2 Grundlegende Ergebnisse der Studie
3.5 Internationaler Vergleich des Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft und Kompetenzerwerb
4. Jugendliche mit Migrationshintergrund
4.1 Bildungsbeteiligung der Jugendlichen aus Migrationsfamilien
4.2 Untersuchung des Zusammenhangs von Migration und Kompetenzerwerb
5. Die Reproduktion herkunftsbedingter Ungleichheiten im Bildungssystem
5.1 Ursachen für die Reproduktion herkunftsbedingter Ungleichheiten in der Bildungsbeteiligung und im Bildungserfolg
5.2 Lebensweltliche und institutionalisierte Bildungsprozesse im Vergleich
6. Zusammenfassung
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Ergebnisse der internationalen PISA-Studie 2000 führten erwartungsgemäß zu einer wortreichen Debatte um schulpädagogische und bildungspolitische Zielsetzungen. Zahlreiche Faktoren wurden als Ursachen für das schlechte Abschneiden der deutschen Schüler und die erheblichen Beteiligungs- und Leistungsunterschiede zwischen sozialen Schichten diskutiert. Dennoch gibt es nach wie vor kaum gesicherte Erkenntnisse über die Ursachen von Bildungsungleichheiten.[1]
Dennoch möchte ich in diesem Aufsatz - soweit es der momentane Forschungsstand zulässt - die grundlegenden Ursachen für die Entstehung herkunftsbedingter Ungleichheiten im deutschen Bildungssystem erläutern. In diesem Zusammenhang werde ich mich auf die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen familiären Lebensverhältnissen und der Bildungsbeteiligung bzw. des Kompetenzerwerbs konzentrieren und damit einen wesentlichen Teil der PISA-Studie darstellen. Dabei interessiert mich, ob in Deutschland ein deterministisches Verhältnis zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg besteht, und welche Maßnahmen zu einer Verringerung der Ungleichheiten im Bildungssystem führen könnten.
Eine Rückschau auf das Bildungssystem der 50er Jahre und die in dieser Zeit einsetzende Bildungsexpansion halte ich für ein umfassendes Verständnis dieser Thematik für notwendig. Daher beginnt dieser Aufsatz mit einer Darstellung der wesentlichen Ursachen und Wirkungen der Bildungsexpansion und dem damit einhergehenden Wandel von Bildungs- und Beteiligungschancen. Hiervon ausgehend werde ich skizzieren was genau im Rahmen der PISA-Studie untersucht wurde und wie die dafür herangezogenen Daten gesammelt wurden. Dabei stehen zunächst die angewandten Messverfahren und grundlegende Indikatoren für relevante Randbedingungen im Vordergrund. Größere Aufmerksamkeit werde ich jedoch den Ergebnissen der einzelnen Untersuchungsbereiche zukommen lassen. Die Darstellung der PISA-Studie werde ich mit einem internationalen Vergleich des Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft und Bildungsbeteiligung bzw. zwischen sozialer Herkunft und Kompetenzerwerb abschließen.
Die Ergebnisse der Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Migrationshintergrund und Bildungsbeteiligung sollten in diesem Rahmen gesondert dargestellt werden. Aufgrund der Heterogenität der gesammelten Daten scheint es sinnvoll den Einfluss von Zuwanderungsmerkmalen auf die Bildungsbeteiligung und den Kompetenzerwerb getrennt von der sozialen Herkunft zu betrachten.
Abschließend werde ich ausgehend von den Ergebnissen der PISA-Studie die wesentlichen Ursachen für die Reproduktion herkunftsbedingter Ungleichheiten im Bildungssystem beleuchten und miteinander in Beziehung setzen.
2. Die Bildungexpansion
2.1 Ursachen der Bildungsexpansion
Der Begriff ‚Bildungsexpansion’ bezeichnet den weit reichenden Ausbau der sekundären und tertiären Bereiche des Bildungssystems, der in den 50er Jahren einsetzte. Das Ziel der Bildungsexpansion war die Verbesserung der Qualifikationsstruktur der Gesellschaft, was bedeutet, dass immer mehr Menschen mittlere oder höhere Abschlüsse erwerben. Aus soziologischer Perspektive betrachtet macht die Bildungsexpansion erkennbar, dass sich die deutsche Gesellschaft auf dem Weg in die „wissenschaftlich-technische Zivilisation“ befindet.[2] Die wesentliche Ursache für das Einsetzen der Bildungsexpansion war ein zunehmender struktureller Bedarf an Bildung. Aufgrund der Durchdringung der Arbeitswelt durch technische und wissenschaftliche Neuerungen und Technologien stieg der Bedarf an höheren Qualifikationen. Auch die zunehmende Komplexität der Gesellschaft durch diese Verwissenschaftlichung und Technisierung ist ein wichtiger Faktor, der für den erhöhten Bedarf an qualifizierten Personen ursächlich ist. Hiervon ausgehend kann die Bildungsexpansion als Antwort auf einen steigenden Bildungsbedarf verstanden werden. Zudem erhoffte man sich durch eine Höherqualifizierung der Bevölkerung eine Verringerung der Abstände zwischen sozialen Schichten zu erreichen.
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Bildungsexpansion, die eigentlich initiiert wurde um den sozioökonomischen Wandel in einer zunehmend komplexer werdenden Gesellschaft zu kontrollieren und zu steuern, heute in vielen Bereichen einer kaum kontrollierbaren Eigendynamik unterliegt. Die Konkurrenz der Menschen um Statussicherung und sozialen Aufstieg sind dabei die Triebfedern dieses Prozesses.[3]
2.2 Die Bildungsexpansion und ihre Folgen
Zu den augenfälligsten Folgen der Bildungsexpansion gehört der enorme Anstieg der Abiturientenquoten. Die Quote nahm in den Jahren von 1960 bis 1999 um das 4,5 fache zu. In ähnlichem Umfang stiegen auch die Zahlen der Studienanfänger. Der in den 60er Jahren eher geringe Anteil von 6% eines Jahrgangs die ein Hochschulstudium begonnen stieg bis zum Jahr 2000 auf 24%.[4] Die wesentlichen Gründe für diesen enormen Anstieg waren der Ausbau der Hochschulen und die staatliche Studienförderung, die allgemein unter dem Namen ‚Bafög’ bekannt ist. Auch wenn diese Daten die Bildungsexpansion zunächst in ein eher positives Licht stellen ist damit noch nicht beantwortet, ob alle Schichten vom Bildungsausbau profitierten und die Abstände zwischen den sozialen Schichten tatsächlich verringert wurden.
Die angestrebte Umverteilung der Bildungschancen zugunsten der benachteiligten Schichten wurde nicht oder nur teilweise erreicht.[5] Nach Ansicht von Experten habe die Bildungsexpansion ein sehr paradoxes Ergebnis produziert: „Sie hat die Bildungschancen aller Schichten verbessert, ohne gleichzeitig gravierende schichttypische Ungleichheiten zu beseitigen.“[6] Zwar wurden die Bildungschancen für alle Schichten erheblich erhöht, dennoch ist es nur bei den mittleren Abschlüssen zu einem Abbau der Chancenunterschiede zwischen den Schichten gekommen. Die Chancen auf eine höhere Ausbildung an Gymnasien oder Universitäten sind nach wie vor sehr ungleich unter den Schichten verteilt. Die Gewinner der Expansion der Gymnasien und Hochschulen sind die Kinder aus dem Mittelstand. Trotz verbesserter Chancen können die Arbeiterkinder als die Hauptverlierer der Bildungsexpansion betrachtet werden. Ihr Abstand zu allen anderen Schichten hinsichtlich ihrer Bildungsbeteiligung und ihres Bildungsniveaus hat sich erheblich vergrößert.[7]
Die Auswirkungen der Bildungsexpansion auf die Gesellschaftsstruktur und das Leben der Menschen in dieser Gesellschaft sollten nicht unerwähnt bleiben. Eine der auffälligsten Auswirkungen ist eine zunehmende Akzeptanz von ethnischen Minderheiten, die sich teilweise durch den Anstieg des Bildungsniveaus erklären lässt. Der Anstieg des Bildungsniveaus wird auch von vielen Experten als Ursache für Individualisierungstendenzen innerhalb der Gesellschaft betrachtet. Dieser Individualisierungsprozess sei zudem der Auslöser für eine „Erosion traditioneller Normen und Werte und für mehr Pluralismus (…) in den Lebensformen.“[8]
Teilweise sogar empirisch belegt sind die Zusammenhänge zwischen der Bildungsexpansion und der Verringerung der sozialen Ungleichheit zwischen Mann und Frau.
Schließlich bezeichnet der Begriff „Postadoleszenz“[9] eine weitere Auswirkung der Bildungsexpansion auf die Gesellschaftsstruktur. Immer mehr junge Menschen verweilen lange im Bildungssystem und treten erst relativ spät in das Berufsleben ein, wodurch sich zwischen die Statusgruppen der Jugendlichen und Erwachsenen eine weitere Lebensphase (‚Postadoleszenz’) schiebt.[10]
3. Die PISA-Studie 2000
3.1 Vorgehensweise und Begriffserklärung
PISA ist eine international standardisierte Leistungsmessung, die von den Teilnehmerstaaten gemeinsam entwickelt wurde und mit 15-jährigen Schülerinnen und Schülern in ihren Schulen durchgeführt wurde. Die Teilnehmer waren 32 Staaten, von denen 28 Mitgliedsstaaten der OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) sind. In jedem Land wurden zwischen 4.500 und 10.000 Schülerinnen und Schüler getestet.[11]
Familiäre und soziale Lebensverhältnisse wurden in PISA als wichtige kulturelle und soziale Ressourcen betrachtet, die mit Bildungsbeteiligung, Leistungen und Lebenschancen kovariieren und Bildungswege nicht festlegen, aber anbahnen können. Daher ging es in PISA um eine möglichst genaue Bestimmung der sozialen Lebensverhältnisse, um den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungsbeteiligung einerseits und den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Kompetenzerwerb andererseits untersuchen zu können.[12]
Die soziale Herkunft der untersuchten Jugendlichen wurde in PISA in verschiedene Faktoren aufgespaltet. Dabei sind die sozioökonomische Stellung der Eltern, sowie das kulturelle und soziale Kapital der Familien die wesentlichen unter diesen Faktoren. Die sozioökonomische Stellung der Eltern wurde in PISA, wie auch in anderen Untersuchungen üblich, auf der Basis von Angaben zu dem Beruf der Eltern bestimmt. Im Wesentlichen geht es dabei um eine Klassifizierung von Berufen nach sozialstrukturell bedeutsamen Kriterien, um somit die Stellung von Personen die bestimmte Berufe ausüben in der sozialen Hierarchie einer Gesellschaft einordnen zu können. Dabei spielt das jeweilige Prestige eines Berufes eine große Rolle. Der Prestigerang von Berufen ist in den untersuchten Ländern sehr ähnlich, was einen internationalen Vergleich der Wirkung dieses Faktors auf die Bildungsbeteiligung erlaubt. Im Allgemeinen soll die Erfassung der sozioökonomischen Stellung der Eltern bestehende Unterschiede zwischen den Familien und ihren Berufen beleuchten. Diese Unterschiede manifestieren sich in einem schichtspezifischen Zugang zu Einkommen, Macht, Bildung und gesellschaftlicher Anerkennung, welcher der Kindergeneration sehr unterschiedliche Entwicklungschancen bietet.
Erst seit den 80er Jahren werden über die sozioökonomische Stellung der Eltern hinaus weitere Aspekte der sozialen Herkunft berücksichtigt, und zwar jene die Bordieu mit den Begriffen „kulturelles Kapital“ und „soziales Kapital“[13] gekennzeichnet hat. Bordieu verwendet diese Begriffe für kulturelle und soziale Ressourcen, welche die Handlungsmöglichkeiten von Personen vergrößern und damit auch ihre sozioökonomische Stellung positiv beeinflussen können. Ausgehend von der Annahme, dass der Grad der Teilnahme an der vorherrschenden Kultur einer Gesellschaft eng mit dem Bildungserfolg der Heranwachsenden korreliert, wird das hierdurch erkennbar werdende erworbene kulturelle Kapital als wichtige Ressource in PISA betrachtet.[14]
[...]
[1] Vgl. Hillmert 2004, S.69
[2] Geißler 2002, S.335f
[3] Vgl. Geißler 2002, S.340f
[4] Vgl. Geißler 2002, S.336f
[5] Vgl. Geißler 2002, S.348ff
[6] Geißler 20002, S350
[7] Vgl. Geißler 2002, S.350
[8] Geißler 20002, S.341
[9] Geißler 2002, S.342
[10] Vgl. Geißler 2002, S.341f
[11] Vgl. Max-Planck-In s titut: PISA 2000 – Zusammenfassung zentraler Befunde
http://www.mpib-berlin.mpg.de/pisa/ergebnisse.pdf
[12] Vgl. PISA-Konsortium 2001, S.351
[13] PISA-Konsortium 2001, S.326
[14] Vgl. PISA-Konsortium 2001, S.326ff
- Quote paper
- Markus Mikikis (Author), 2005, Die PISA-Studie 2000 - Die Reproduktion herkunftsbedingter Ungleichheiten im Bildungssystem, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53551
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