In der Arbeit wird das Thema der sozialen Benachteiligung behandelt. Die These ist, dass soziale Benachteiligung Auswirkungen auf die Zukunftschancen und Lebensverhältnisse von Kindern und Jugendlichen hat. Die leitende Fragestellung lautet: "Wie zeigen sich diese Auswirkungen und inwiefern können durch Bildung und Konzepte die Auswirkungen der sozialen Benachteiligung verringert oder verhindert werden?" Der Autor betrachtet Armut, Migrationshintergrund und Familie als die entscheidenden Faktoren der sozialen Benachteiligung.
Zunächst wird geklärt, was mit Kindern und Jugendlichen gemeint ist und wie diese Gruppe definiert wird. Danach werden die Lebensphasen beziehungsweise Entwicklungsphasen von Kindheit und Jugend beschrieben. Darüber hinaus ist eine Definition der sozialen Benachteiligung erforderlich. Dabei werden die relevanten Faktoren Armut, Migrationshintergrund und Familie beschrieben und genauer erläutert. Anschließend muss geklärt werden, was der Lebensstandard für Heranwachsende in Deutschland ist. Damit festgestellt werden kann, inwiefern Kinder und Jugendliche sozial benachteiligt sind, werden die Auswirkungen genauer betrachtet. Da die Heranwachsenden einen großen Teil ihrer Jugend und Entwicklung in der Schule verbringen, hat diese eine besondere Bedeutung für die Entwicklung und die Benachteiligung ihrer Schüler. Hierfür erörtert der Autor, was unter Bildung verstanden wird und welchen Stellenwert diese hat. Schließlich werden Ideen vorgestellt, wie die soziale Benachteiligung verringert werden könnte. Im Vordergrund steht dabei, was für die Zukunft von Kindern wichtig ist und was Stadtteilarbeit bewirken kann.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Definitionen und Stand der Forschung
2.1 Kindheit und Jugend
2.2 Was wird unter sozialer Benachteiligung verstanden?
2.2.1 Armut
2.2.2 Migrationshintergrund
2.2.3 Familie
3 Auswirkungen der Benachteiligung
3.1 Armut
3.2 Migrationshintergrund
3.3 Familie
4 Bildung und Schule
4.1 Welche Bedeutung und welchen Stellenwert hat Bildung heute?
4.2 Schule und soziale Benachteiligung
5 Konzepte und Ideen zur Reduzierung sozialer Benachteiligung
6 Schlussfolgerungen
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Art. Artikel
AWO Arbeiterwohlfahrt
BRD Bundesrepublik Deutschland
IGLU Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung
ISS Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik
KMK Kultusminister Konferenz
OECD Organisation for Economic Co-operation and Development
PISA Programme for International Student Assessment
UN United Nations
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Ausländerpädagogik und interkulturelle Pädagogik 17
Abbildung 2: Migranten-Milieus in Deutschland 2008 18
Abbildung 3: Typologie von Familienformen 20
1 Einleitung
In der folgenden Arbeit wird das Thema der sozialen Benachteiligung behandelt. Die These ist, dass soziale Benachteiligung Auswirkungen auf die Zukunftschancen und Lebensverhältnisse von Kindern und Jugendlichen hat. Die leitende Fragestellung ist „Wie sich diese Auswirkungen zeigen und inwiefern können durch Bildung und Konzepte die Auswirkungen der sozialen Benachteiligung verringert oder verhindert werden?“
Die Verfasserin dieser Arbeit hat im Rahmen eines Freiwilligen sozialen Jahres in einem Stadtteilzentrum gearbeitet und befasst sich vor diesem Hintergrund mit Lösungsvorschlägen zur Bekämpfung von sozialer Benachteiligung.
Bei dieser Bachelorarbeit werden Armut, Migrationshintergrund und Familie als die entscheidenden Faktoren der sozialen Benachteiligung betrachtet. Auch andere Faktoren wie z.B. Behinderung stellen eine soziale Benachteiligung dar, jedoch beschränkt sich die Arbeit aus Gründen des Umfangs nur auf die genannten Punkte. Genau diese drei Faktoren wurden ausgewählt, da es zu jedem einzelnen zwar einige bekannte Studien gibt, diese aber meistens einen Aspekt wie zum Beispiel den der Armut genauer erforschen und dann in den Ergebnissen nur am Rande erwähnen, dass auch der Migrationshintergrund oder die Familiensituation von Bedeutung sind. Aus diesem Grund sollen in dieser Bachelorarbeit alle der drei Aspekte gleichwertig betrachtet werden. Obwohl sich diese Arbeit mit Kindern und Jugendlichen beschäftigt solle in Bezug auf Bildung nur die Schule betrachtet werden. Der Kindergarten oder die Universität können aus Gründen des Umfangs nicht behandelt werden. Da die Kinder und Jugendlichen in der Regel die Schule länger als Kindergärten oder Universitäten besuchen wird diese Bildungsinstitution als die Wichtigste erachtet.
Der Stand der Forschung im Bereich der Sozialen Benachteiligung und den behandelten Themen dieser Arbeit ist sehr umfassend. Es gibt einzelne Forschungen zu den Formen der Benachteiligungen, zu dem Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen oder den Auswirkungen von Benachteiligungen auf die Heranwachsenden. Eine wichtige Studie ist zum Beispiel die World Vision Kinderstudie. Aber auch im Bereich der Bildung und Schule gibt es bedeutende Forschungen wie zum Bespiel die PISA oder IGLU Studien.
Die These „Soziale Benachteiligung hat Auswirkungen auf die Zukunftschancen und die Lebensverhältnisse von Kindern und Jugendlichen“ sowie die Fragestellung „Wie zeigen sich diese Auswirkungen und inwiefern können durch Bildung und Konzepte die Auswirkungen der sozialen Benachteiligung verringert oder verhindert werden?“ sollen im Rahmen dieser Bachelorarbeit geklärt werden. Die Vermutung liegt nahe, dass die Bildung einen großen Stellenwert bei der Lebensperspektive von Schülern hat. Benachteiligungen könnten durch spezielle Konzepte verringert werden, ob eine Verhinderung möglich ist wird sich im Laufe der Arbeit zeigen.
Für die Beantwortung der Forschungsfrage muss zunächst geklärt werden, was mit Kindern und Jugendlichen gemeint ist, wie diese Gruppe definiert wird. Im Punkt 2.1 werden die Lebensphasen beziehungsweise Entwicklungsphasen von Kindheit und Jugend beschrieben. Darüber hinaus ist eine Definition der sozialen Benachteiligung erforderlich. Dabei werden in Punkt 2.2 die relevanten Faktoren Armut, Migrationshintergrund und Familie beschrieben und genauer erläutert. Die Themen werden hauptsächlich auf Kinder und Jugendliche bezogen. Dabei wird definiert wer als arm zählt, was Kinderarmut bedeutet. Beim Faktor des Migrationshintergrunds wird beschrieben wer nach dem Mikrozensus 2005 als Mensch mit einem Migrationshintergrund gesehen wird, es werden die Migranten-Milieus genauer vorgestellt und die Entwicklung der Pädagogik in Bezug auch Migration skizziert. Im Bereich der Familie wird der demografische Wandel von Familie beschrieben, es werden die verschiedenen Familienkonstellationen vorgestellt und der Stellenwert von Familie erläutert.
Um festzustellen, welchen Einfluss diese Faktoren auf die Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen haben, muss geklärt werden, was der Lebensstandard für Heranwachsende in Deutschland ist. Was muss ein Kind haben und können, um sich individuell zu entwickeln und damit alle die gleichen Startchancen haben? Hier wird Bezug auf die World Vision Kinderstudie und die UN-Kinderrechtskonvention genommen.
Damit festgestellt werden kann, inwiefern Kinder und Jugendliche sozial benachteiligt sind, müssen die Auswirkungen genauer betrachtet werden. Wie sehen die schlechteren Zukunftsperspektiven aus und wodurch entsteht diese Ungleichheit? Die Auswirkungen werden im dritten Gliederungspunkt behandelt.
Da die Heranwachsenden einen großen Teil ihrer Jugend und Entwicklung in der Schule verbringen, hat diese eine besondere Bedeutung für die Entwicklung und die Benachteiligung ihrer Schüler. Im vierten Punkt Bildung und Schule muss zunächst muss geklärt werden, was unter Bildung verstanden wird und welchen Stellenwert diese hat. Daraufhin wird das Schulsystem in Deutschland betrachtet. Welche Erfolge und Misserfolge hat das Schulsystem in Deutschland zu verzeichnen? Des Weiteren soll die Frage geklärt werden welche Schüler die Schulen besuchen, das heißt, woher sie stammen und aus welchen Verhältnissen sie kommen. Danach wird ein Migrationshintergrund in der Schule genauer betrachtet. Zum Thema Armut wird gezeigt, wie Bildung eine Ressource zur Bekämpfung von Armut darstellen kann.
Schließlich sollen im fünften Punkt Ideen vorgestellt werden, wie die soziale Benachteiligung verringert werden könnte. Im Vordergrund steht dabei, was für die Zukunft von Kindern wichtig ist und was Stadtteilarbeit bewirken kann.
Im Fazit sollen die wichtigsten Ergebnisse wiedergegeben werden und die Forschungsfrage beantwortet werden.
Zu Gunsten der einfacheren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit sowohl für die männliche als auf für die weibliche Form die männliche Form verwendet.
2 Definitionen und Stand der Forschung
Um der Forschungsfrage genauer nachgehen zu können ist es zunächst notwendig einige Begriffe zu definieren und den aktuellen Stand der Forschung mit einzubeziehen.
2.1 Kindheit und Jugend
Die Struktur des Lebenslaufes hat sich seit dem letzten Jahrhundert durch die Wirtschaft, kulturelle Einflüsse sowie soziale Faktoren deutlich verändert (vgl. Andresen & Hurrelmann, 2010, S.45). In diesem Punkt der Arbeit werden die Entwicklungsaufgaben von Kindheit und Jugend betrachtet, wie sie für die Beantwortung der Forschungsfrage relevant sind. Es werden dabei nur die Lebensphasen skizziert. Aspekte wie die Sozialisation von Kindheit und Jugend, den geschichtlichen Hintergrund oder die Forschung auf dem Gebiet können auf Grund des Umfangs nicht betrachtet werden.
Wenn in dieser Arbeit die Rede von Kindern oder Kindheit ist, dann sind in der Regel Heranwachsende von der Geburt bis zur Pubertät gemeint. Ein genaues Alter kann nicht definiert werden, da sich Kinder unterschiedlich schnell entwickeln und das Erwachsenwerden unterschiedlich beginnt. Der Eintritt in den ersten Lebensabschnitt wird mit der Geburt begonnen. Die Lebensphasen der Kindheit werden in die frühe Kindheit und die späte Kindheit unterteilt. Die frühe Kindheit beginnt bei der Geburt und endet ca. wenn das Kind 5 Jahre alt ist. In dieser Phase lernen die Kinder eine emotionale Bindung aufzubauen, sie entwickeln ein soziales Bindungsverhalten und die Kommunikationsfähigkeit. Die Kinder bauen in diesem Zeitrahmen auch die grundlegenden sensorischen und motorischen Fähigkeiten auf und entwickeln eine sprachliche Ausdrucksfähigkeit. Auch die Identifikation mit dem eigenen Geschlecht findet in dieser Phase statt. In der späten Kindheit (von 6-11Jahren) bauen die Kinder Beziehungen zu Gleichaltrigen auf und entwickeln Freundschaften. Sie üben ein männliches und weibliches Rollenverhalten ein, sie entwickeln kognitive Konzepte und leiten das Denkschemata ein. Des Weiteren sollten sie grundlegende Fähigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen entwickeln sowie lernen mit dem System Schule umzugehen. Außerdem sollte in dieser Phase das Gewissen, die Moral und die Wertprioritäten aufgebaut werden. (Andresen & Hurrelmann, 2010, S.49) Die Lebensphase der Kindheit hat sich im Laufe der Zeit stark verkürzt. Da die Lebenserwartung gleichzeitig gestiegen ist, macht die Kindheit fast nur noch ein Achtel der gesamten Lebenszeit aus. Aber gerade in dieser Lebensphase sind viele elementare Entwicklungen der Persönlichkeit vorhanden. (vgl. Andresen & Hurrelmann, 2010, S.45f) „In dem knappen Abschnitt von nur wenig mehr als zehn Jahren sind breit gefächerte Anforderungen an vielfältige Entwicklungsaufgaben charakteristisch.“ (Andresen & Hurrelmann, 2010, S.46)
Kinder werden als eigenständige Akteure bezeichnet, die aktiv an der Gestaltung ihres sozialen Lebens teilnehmen, Beziehungen zu anderen und der Gesellschaft aufbauen. (vgl. Joos, 2001, S.57) Die Herausbildung von Kindern hängt stark mit den Eltern, der Familie und dem Sozialmilieu zusammen, in dem die Kinder aufwachsen. Die Eltern geben die sozialen, kulturellen und materiellen Ressourcen an die Kinder weiter. Aber auch die Schule und damit verbunden Bildung haben eine zentrale Stellung für die Entwicklung der Kinder. Denn die Entwicklungs– und Lebenschancen von Kindern resultieren unter anderem aus den Bildungschancen. (vgl. Joos, 2001, S.124)
Die Lebensphase der Kindheit hat sich durch gesellschaftliche und kulturelle Einflüsse verkürzt. Der Beginn der Pubertät und damit der Beginn des Erwachsenwerdens, der Jugendphase, liegt bei Mädchen im Durchschnitt bei 11,5 Jahren und bei Jungen um die 12,5 Jahre. (vgl. Gille, 2006, S.10) So wird das frühe Jugendalter für das Alter von 12 bis 17 Jahren definiert. In diesem Zeitraum müssen die Jugendlichen die Geschlechtsreife bewältigen und die Veränderungen der körperlichen Erscheinung akzeptieren. Sie entwickeln eine psychische und soziale Identität. Eine Stärkung der schulischen Leistungsfähigkeit sollte stattfinden. Die Jugendlichen leiten in diesem Lebensabschnitt die Ablösung von den Eltern ein und bauen Beziehungen zu Gleichaltrigen beider Geschlechter auf. Das späte Jugendalter bezeichnet die Alterspanne von 18 bis 25 Jahre. In dieser Zeit schließen die Jugendlichen die schulische Ausbildung ab und lernen eine emotionale Unabhängigkeit zu den Eltern herzustellen. Sie bauen sexuelle Beziehungen auf und entwickeln ein stabiles Selbstbild sowie eine Ich-Identität. Die Jugendlichen bereiten in dieser Zeit ihre berufliche Karriere vor. (Andresen & Hurrelmann, 2010, S.49)
Auf der anderen Seite beginnt die Pubertät nicht nur früher, auch das Ende der Jugendphase zögert sich hinaus. Durch die Verlängerung der Bildungswege und die erschwerten Zugangsbedingungen zur Arbeitswelt leben die Jugendlichen immer länger bei den Erziehungsberechtigen. Die Selbständigkeit tritt bei vielen später ein, sodass die Jugendphase zum Teil bis zum 30. Lebensjahr andauern kann. (vgl. Gille, 2006, S.10) Die jungen Menschen, die eine Schule besuchen oder eine Berufsausbildung machen, leben zum größten Teil bei den Eltern. Studierende sind dabei selbstständiger, diese leben öfter alleine oder mit dem Partner zusammen. Am häufigsten sind selbstständige Lebensformen jedoch bei erwerbstätigen jungen Menschen. (vgl. Gille, 2006, S.278)
Die verschiedenen Lebensphasen bauen auf vorhergehende Entwicklungen auf. Nicht alle Kinder entwickeln sich gleich schnell, daher kann es auch zu einigen Abweichungen kommen. Die genannten Altersspannen sind daher eher Richtlinien und müssen nicht auf alle Kinder oder Jugendlichen zutreffen. Aus leserlichen Gründen wird in dieser Arbeit nicht immer „Kinder und Jugendliche“ geschrieben. Wenn nur das Wort „Kinder“ verwendet wird, werden auch Jugendliche damit gemeint.
2.2 Was wird unter sozialer Benachteiligung verstanden?
In dieser Arbeit werden die Faktoren Armut, Migrationshintergrund und Familie als entscheidend für eine soziale Benachteiligung angesehen.
2.2.1 Armut
Die sozialen Schichten in unserer Gesellschaft werden immer durchlässiger, das bedeutet jedoch nicht, dass der Aufstieg durch Bildung und Leistung einfach ist. Für die sozial schwachen Familien ist es sogar schwerer geworden, da sich die Armutsgrenzen verschärfen und auch die Menschen aus dem sogenannten Mittelstand oft weniger Geld zu Verfügung haben. Viele Menschen, die einmal in den Kreislauf der Armut gekommen sind, haben es schwer dort wieder hinaus zu finden. Besonders die Exklusion am Arbeitsmarkt erschwert eine Überwindung von Armut. Ein weiterer Grund für die Armut ist die ökonomische Exklusion. Das Einkommen durch den vorhandenen Arbeitsplatz reicht häufig nicht aus, um davon leben zu können. Das Einkommen wird dann durch Sozialleistungen aufgestockt, dies kann zu Folge haben, dass der Lebensstandard sinkt. (vgl. Thomas, 2010, S.17f)
Die Einkommensverteilung in Deutschland zeigt, dass sich die Situation für Familien mit Kindern deutlich verschlechtert hat. In den östlichen Bundesländern ist die Situation weitaus brisanter als in den westdeutschen Bundesländern. Jedoch ist es für viele Familien schwer bei nur einem Einkommen nicht in die Armutsfalle zu rutschen. Arbeit ist ein wichtiger Schlüssel zur Bekämpfung von Armut. Dabei müssen die Kinder während der Arbeitszeit der Eltern betreut werden. Besonders Alleinerziehende haben es schwer, da nicht genug Betreuungsmöglichkeiten vorhanden sind. (vgl. Träger, 2009, S.33) Seit Mitte der 90er Jahre ist ein Anstieg der Einkommensungleichheit und der Armutsquote zu verzeichnen. Mit der Einkommensungleichheit steigt die Armut. (vgl. Schaweh, 2009, S.11-16)
Im Laufe der Jahre ist eine neue Art von Armut entstanden. Früher galten vorwiegend Alte, Behinderte und Kranke als arm. Heute sind es Arbeitslose im „besten Lebensalter“, Alleinerziehende, Familien mit vielen Kindern oder Migranten. Überwiegend leiden Familien mit Kindern unter Armut. Diese Situation wird anhand der Armuts- und Reichtumsberichte der Bundesregierung belegt. (vgl. Chassé, 2010, S.11)
Doch wann genau beginnt Armut und wer ist eigentlich arm? In dem dritten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung wird deutlich gemacht, dass die Einkommensarmut oft mit einem Defizit an Bildung, Gesundheit, Sozialem, Kultur sowie Wohnen zusammenhängt. (vgl. Träger, 2009, S.34) Armut wird anhand der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel gemessen. (vgl. Chassé, 2010, S.17) In der empirischen Armutsforschung sowie in der Politik gibt es bis heute noch keine einheitliche und anerkannte Definition von Armut. Ein Grund dafür ist, dass für die Messung des sozioökonomischen Phänomens nicht auf objektive Maßstäbe zurückgegriffen wird, sondern auf normative Maßstäbe. Es gibt verschiedene Armutskonzepte. Die „absolute Armut“ beschreibt einen starken Mangel an materiellen Ressourcen, Hunger und unzureichendem Zugang zu Trinkwasser, körperliche Deprivation, mangelhafte medizinische Versorgung, inadäquate Wohnverhältnisse, Verlust lebenswichtiger Artikel des täglichen Bedarfs. Dabei sind einzelne Personen oder Bevölkerungsgruppen nicht in der Lage das physische Überleben aus eigener Kraft zu schaffen. „Subjektive Armut“ bedeutet, dass ein Individuum einen persönlichen Mangel empfindet, das subjektive Erleben einer materiellen Benachteiligung. „Relative Armut“ bedeutet, dass „bei der Unterversorgung mit materiellen und immateriellen Ressourcen von Menschen bestimmter sozialer Schichten in Verhältnis zum Wohlstand beziehungsweise Einkommensverteilung der jeweiligen Gesellschaft als Messkriterium angesetzt wird.“ (Feustel, 2007,S.13) Alle Menschen, die unterhalb oder direkt an der Sozialhilfeschwelle leben, leben in einer relativen Armut. (vgl. Feustel, 2007, S.13) „Relative Armut stellt ein erhebliches, seit Jahren zunehmendes Problem in Deutschland dar, von dem bestimmte familiale Lebensformen und Kinder in besonderer Weise, das heißt überproportional betroffen sind.“ (Gleich, 2009, S.41) Die heutigen Armutslagen sind keine Probleme die nach einiger Zeit vorübergehen, es handelt sich hierbei um eine dauerhafte Erscheinung von Armut (vgl. Gleich, 2009, S.42) Arm sein bedeutet in Deutschland einer sozialen Ungleichheit ausgesetzt zu sein. Das bedeutet, dass die Kinder, die in einer relativen Armut leben, gemessen an dem mittleren Standard deutscher Bürger, über eine schlechtere finanzielle Lage verfügen. (vgl. Chassé, 2010, S.12) Nach der Relativen Armut entsteht Armut beim Unterschreiten der 50 Prozent Marke des Durchschnittseinkommens aller deutschen Haushalte. „Armutsgefährdung“ liegt bei Unterschreitung von 60 Prozent und eine „strenge Armut“ liegt bei weniger als 40 Prozent. Die Armuts- und Reichtumsberichte orientieren sich an der 60 Prozent-Schwelle. (vgl. Thomas, 2010, S.19)
Es gibt verschiedene Armutskonzepte. Zum Beispiel das Konzept Armut als Lebenslage. Der Begriff der Lebenslage bezieht sich auf die Unterversorgung in den zentralen Lebensbereichen. Armut wird dabei als eine mehrdimensionale Problemlage definiert. Das Konzept geht davon aus, dass neben den schlechten Einkommensverhältnissen, Probleme in den Bereichen Wohnen, Ernährung, Arbeit oder Ausbildung, Gesundheit sowie der sozialen Integration oder der soziokulturellen Teilhabe auftreten können. Armut als Lebenslage muss also nicht nur auf die Einkommensverhältnisse beschränkt werden, ebenso kann Armut hier Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Zufriedenheit aufzeigen. (vgl. Chassé, 2010, S.18) Bei dem Konzept „Armut als relative Deprivation“ wird von Armut gesprochen, wenn ein Ausmaß der Deprivation erreicht ist, sodass der Lebensstil stark eingeschränkt ist. (vgl. Chassé, 2010, S.18) Des Weiteren gibt es das Konzept der Dynamischen Armutsforschung: „Im Zentrum der dynamischen Armutsforschung steht die lebensverlaufssoziologische Rekonstruktion von „Sozialhilfekarrieren“. (Chassé, 2010, S.19f). Das Ziel dabei ist die verschiedenen Wege in und aus der Armut zu erfassen und zu typisieren. (vgl. Chassé, 2010, S.20) „Im Ergebnis ist Armut so zu fassen als „verzeitlicht“, „individualisiert“ und „im erheblichen Maße sozial entgrenzt“.(Leibfried u.a., 1995, S.9) Somit muss Armut keine dauerhafte Problemlage sein, Armut kann kommen, aber auch überwunden werden. (vgl. Chassé, 2010, S.20) Die Duale Armutsforschung ist der Auffassung, das Armut viele Gesichter hat. Christoph Budderwegge sieht die Duale Armut als eine Folge der wirtschaftlichen Globalisierung und verbunden damit, mit der Standortpolitik Deutschlands. (vgl. Chassé, 2010, S.21) Das Konzept Armut als soziale Ausgrenzung geht davon aus, dass durch den Verlust der Erwerbstätigkeit auch ein Verlust der Teilhabe an der Gesellschaft entsteht, es kann schließlich zu einer sozialen Ausgrenzung kommen. Nur wenige Langzeitarbeitslose kehren in die Erwerbstätigkeit zurück. (vgl. Chassé, 2010, S.22) Bei dem Konzept von Krämer, Armut als soziale Behinderung, hängt Armut somit nicht vom Geld und Einkommen direkt ab, sondern davon was Geld und Einkommen beim Einzelnen bewirken kann. „Jeder ist also seines Glückes Schmied.“ (vgl. ebd.)
Früher waren Menschen, die arbeitsunfähig, krank und /oder alt waren häufig von Armut betroffen. Das Konzept der neuen Armut zeigt aber, dass die Betroffenen heute „arbeitsfähig, arbeitslos und zum großen Teil jung“ sind. Die sogenannte neue Armut hängt stark vom Einkommen und damit verbunden mit der Arbeitslosigkeit zusammen. Von dieser Art von Armut kann so gut wie jeder getroffen werden. Sie ist fast schon ein alltäglicher und normaler Zustand in der Gesellschaft. Die Verlierer des Ganzen sind die Kinder der Familien, denn die Kinder können sich der Armut so gut wie gar nicht entziehen. Sie sind der Situation ausgeliefert und haben selten die Möglichkeit dem Kreislauf der Armut zu entkommen. (vgl. Chassé, 2010, S.18)
Armut bei Kindern ist kein Tabuthema mehr. Jedoch wird viel darüber gestritten, wer die Schuld für die Armut trägt, die Eltern selbst oder die gesellschaftlichen Strukturen. Eins ist jedoch klar, die Kinder können am wenigsten für ihre Situation, sie können die Situation nicht ändern. Ihnen muss geholfen werden. Dafür müssen Bund und Länder kooperieren. Sie müssen so zusammenarbeiten, dass die Kinder in Wohlergehen aufwachsen und jedem Kind, unabhängig von dem Familienstatus und der Herkunft, eine vielfältige Entwicklungschance und Zukunftschance ermöglicht werden kann.
Kinderarmut ist nicht in erster Linie durch das Verhalten der Eltern zu erklären. Auch arme Eltern wollen in der Regel das Beste für ihr Kind. Statistiken zeigen, dass 2007 rund jedes 4. Kind von Armut betroffen war. Ursachen dafür sind (Langzeit-)Erwerbslosigkeit der Eltern, Erwerbstätigkeit auf niedrigem Zeitniveau und /oder mit Niedriglohn oder arbeitende Arme (Vollzeit), die aber dennoch kein Einkommen haben das über die Armutsgrenze hinaus geht (working poor). Weitere Ursachen können Überschuldung, Scheidung und Trennung, Behinderung oder multiple Problemlagen darstellen. Kinder, die aus Haushalten mit mehreren genannten sozialen Merkmalen stammen, sind besonders gefährdet. (vgl. Die Dezernentin für Soziales, Senioren, Jugend und Recht, 2009, S.9 ff)
Durch die Armuts- und Reichtumsberichte der Bundesregierung kommen neue Ansätze der Kinderarmut zur Geltung. Die Lebenslage der Kinder wird betrachtet. Dabei wird Armut als eine Vielzahl von Indikatoren definiert. Es werden nicht nur materielle Aspekte, sondern auch die schulische Bildung, die politische Partizipation und die kulturelle Freiheit betrachtet. In Deutschland durchgeführte Studien zu Armut beziehen sich auf die „relative Armut“ und die „Ressourcenarmut“. Die Studien berechnen Armut oder ein Armutsrisiko über die Unterschreitung des Durchschnittseinkommens. (vgl. Garhammer, 2009, S.31f)
Kinderarmut ist auch eine Form von „Exklusionsarmut“, beschreibt Feustel. „Als Exklusionsrisiko schließt Kinderarmut die in Armutslagen befindlichen Kinder und Jugendlichen von weiten Teilen des sozialen gesellschaftlichen Lebens in der Gegenwart-…- mit einem hohen Korrelationsgrad auch in der Zukunft aus, mindert Teilhabechancen und bedroht ihr Persönlichkeitsrecht der freien, ihren individuellen Anlagen entsprechenden Entwicklung.“ (Feustel,2007,S.15) Feustel berichtet, dass es bei der Armut von Kindern nicht nur um die materiellen Ressourcen geht, sondern auch um immaterielle Indikatoren wie der Mangel an Bildung, schlechtere Teilhabenchancen oder auch eingeschränkte gesellschaftliche, politische oder kulturelle Partizipation. (vgl. Feustel,2007, S.17) Besonders die Armut von Kindern ist ein Indikator für soziale Ungleichheit in der Gesellschaft. (vgl. Die Dezernentin für Soziales, Senioren, Jugend und Recht, 2009, S.30) Die Zahl der Kinder, die von Hartz IV leben ist seit der Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe angestiegen. Schon vor der Zusammenlegung warnte der Deutsche Kinderschutzbund vor diesen Folgen. Denn seit dieser Zusammenlegung ist jedes sechste Kind in Deutschland von Hartz IV anhängig. Viele Kinder die von Hartz IV abhängig sind leben bei alleinerziehenden Eltern. Diese sind besonders häufig von Armut betroffen. Ebenso steigt die Zahl der „Aufstocker“. Darunter werden Menschen verstanden, die mit ihrem Einkommen alleine nicht mehr sich oder die Familie finanzieren können. Es muss sich bewusst gemacht werden, dass Kinderarmut auch im reichen Deutschland vorkommt und nicht nur in den Ländern der Dritten Welt. Die oft traurige Wahrheit ist, so von Welser, dass Menschen ohne Arbeit und ein festes Einkommen die Armut an ihre Kinder weitergeben. Die Kinder befinden sich in einem Teufelskreis, den sie nur schwer durchbrechen können. Außerdem behaupten Fachärzte, dass sie am Gesundheitszustand erkennen könnten wie arm die Familie ist. (vgl. von Welser, 2009, S.7-13)
Auf internationaler Ebene, bezogen auf die OECD Länder heißt es, dass bei der Berichtserstattung über Kinderarmut, Konzept des „ kindlichen Wohlbefindens “ (Child-Well-Being-Index) sechs verschiedene Dimensionen gemessen werden: materielles Wohlbefinden (material well- being), Gesundheit und Sicherheit (health and safety), bildungsmäßiges Wohlbefinden (Educational well-being), familiäre- und Gleichaltrigenbeziehungen (Family and peer realationshios), Risiko-Verhalten (Behaviours and risks), subjektives Wohlbefinden (Subjective well-being). Das Konzept über das kindliche Wohlbefinden wird aus dem Kinderrechtskatalog der UN-Kinderrechtskonvention abgeleitet. Dabei geht es um die Nicht- Diskriminierung (Art.2), das beste Interesse des Kindes (Art.3), um das Überleben und die Entwicklung des Kindes (Art. 6) sowie um den Respekt vor der Meinung des Kindes (Art. 12). (vgl. Chassé, 2010, S.23)
2.2.2 Migrationshintergrund
„Noch nie waren weltweit so viele Menschen bereit, aufgrund von Kriegen, ökologischen Veränderungen, Bürgerkriegen und anderen Bedrohungen gezwungen und aufgrund der technologisch bedingten Veränderung von Raum und Zeit in der Lage, ihren Arbeits- oder Lebensmittelpunkt, sei es vorübergehend oder auf Dauer, zu verändern.“ (Mecheril, 2010, S.7) Migration stellt für die Gesellschaft und deren Veränderung einen bedeutenden Motor dar. Migranten bringen neues Wissen, Sprache, Erfahrungen und Perspektiven mit in einen Staat. (vgl. Mecheril, 2010, S.8) „Der Ausdruck „Migration“ erfasst eine Vielzahl von Phänomenen, die für die Gesellschaft charakteristisch sind, in der Aus- und Einwanderung, das Entstehen von Zwischenwelten oder „Fremdheit“ erfindende Diskurse von großer Bedeutung sind.“ (Mecheril, 2010, S.11)
Das Statistische Bundesamt definiert Personen mit einem Migrationshintergrund wie folgt: „Alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland Geborenen mit zumindest einem nach 1949 zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil.“, gelten als Menschen mit Migrationshintergrund. (Hamburger & Stauf, 2009, S.30) Der Begriff Menschen mit Migrationshintergrund löst die Begriffe Ausländer oder Migrant ab. (vgl. Hamburger & Stauf, 2009, S.30)
In Frankfurt am Main haben dadurch fast 40 Prozent der Einwohner einen Migrationshintergrund. (vgl. Mecheril, 2010, S.8) Insgesamt lebten im Jahre 2005 15,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Das sind 19 Prozent der Bevölkerung in Deutschland. Dies bedeutet auch, dass immer mehr Schüler einen Migrationshintergrund haben. Viele Kinder mit einem Migrationshintergrund haben in der Schule Probleme, als Grund werden meistens sprachliche Barrieren genannt. (vgl. Apeltauer, 2006, S. 6 f)
Deutschland hat sich von einem Gastarbeiterland über ein Zuwanderungsland in eines der wichtigsten Einwanderungsländer der Welt entwickelt. Die Kinder der Migranten sollen nicht unter der Situation leiden, denn der Schlüssel der Integration soll Gleichberechtigung sein. Bei den Kindern mit Migrationshintergrund kommt jedoch noch die Sprache als Hindernis hinzu. (vgl. Geißler & Weber-Menges, 2008, S. 15 f)
Damit die Situation der Menschen mit einem Migrationshintergrund genauer betrachtet werden kann wird zunächst die Entwicklung der Pädagogik in diesem Bereich beschrieben.
Die Anwerbung der Gastarbeiter in den 60er Jahren war zunächst kein Thema für die Pädagogik. Die Gastarbeiter waren meist unverheiratet oder die Familien lebten im Heimatland. Die Politik rechnete damit, dass die Arbeiter bald wieder in das Heimatland zurückkehren. Jedoch blieben die Gastarbeiter länger in Deutschland, gründeten Familien oder holten die schon bestehenden Familien nach Deutschland. (vgl. Holzbrecher, 2004, S.51f) Vor Beginn der pädagogischen Arbeit musste zunächst geklärt werden, ob die Gastarbeiterkinder in Deutschland überhaupt schulpflichtig sind. Doch die Schulpflicht für Kinder mit Migrationshintergrund einzuführen war in den 60er Jahren nicht frei von Kritik. Durch den Beschluss der KMK vom 18. Januar 1962 wurde in acht Bundesländern der BRD ein Gesetz erlassen, das die Schulpflicht von ausländischen Kindern begründet. In den drei übrigen Ländern wurden ebenfalls Maßnahmen getroffen, damit die Kinder der Gastarbeiter die Schule besuchen dürfen. (vgl. Schmidtke, 2006, S.144f) Erst seit 2 Jahren gilt die Schulpflicht für alle Kinder, die einen Aufenthaltsstatus in Deutschland haben. Flüchtlingskinder, deren Abschiebung lange hinausgezogen wird, haben keine Schulpflicht. Die ersten Gastarbeiterkinder tauchten demnach zu Beginn der 60erJahre in den Schulen auf. Dies stellte die Schulen vor ein Problem. Viele Kinder beherrschten die deutsche Sprache nicht richtig und die Lehrer befürchteten, dass die neuen Schuler zu einer Belastung der Klasse werden könnten. Um diese Belastung zu vermeiden kam es zu den Anfängen der „Ausländerpädagogik“. Diese hatte zum Ziel, „durch den Ausgleich der Sprachdefizite den Schulbesuch und damit eine bessere gesellschaftliche Integration zu ermöglichen. „Integration“ wurde meist- zumal von Seiten der politischen Entscheidungsträger- im Sinne der Assimilation verstanden, d.h. einer einseitigen Anpassung der Migranten und ihrer Kinder an die bestehenden Verhältnisse.“ (Holzbrecher,2004, S.52) Damit es den ausländischen Kindern leichter falle wurden sie zunächst in eigenen Klassen zusammengefasst. Dort sollten sie die deutsche Sprache lernen, um dann in normale Schulklassen integriert zu werden. Im Jahre 1964 wurde dann die allgemeine Schulpflicht für alle Migrantenkinder mit einem sicheren Aufenthaltsstatus in allen (alten) Bundesländern festgeschrieben. Damit konnte die eigentliche Maßnahme beginnen: den Gastarbeiterkindern die Teilnahme am normalen Unterricht zu gewährleisten. (vgl. Schmidtke, 2006, S.144f) Die Option für eine Rückkehr in das Herkunftsland sollte offen gehalten werden, somit sollte es muttersprachlichen Unterricht geben und die Identität der Kultur gewahrt werden. Da die Politik fest damit rechnete, dass die Familien wieder in ihr Herkunftsland zurückkehren, wurden die Gastarbeiterkinder zum Teil in separaten Klassen unterrichtet. (vgl. Holzbrecher, 2004, S.51f) Für die Programme gab es keine Hilfen oder einen Wegweiser für die Lehrer an den Schulen. Aus diesem Grund wendeten sich die Lehrer hilfesuchend an die Erziehungswissenschaftler. Ende der 60er Jahre gab es dann erste Beschreibungen über Schulen, an denen überdurchschnittlich viele Kinder mit Migrationshintergrund am Unterricht teilnahmen. Dies war ein Grund für Erziehungswissenschaftler sich mit dem Phänomen zu beschäftigen. Beteiligte der Schulen und Wissenschaftler versuchten zusammen Lösungen zu entwickeln. Eine Arbeitsgruppe aus Sozial-, Sprach- und Erziehungswissenschaftlern wurde eingerichtet. Deren eigentliche Aufgabe bestand darin, „ein Modell für die Lehrerfortbildung zu entwickeln, damit möglichst rasch und möglichst viele Lehrkräfte zur Verbesserung und Erleichterung ihrer Arbeit mit den Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung vertraut gemacht werden konnten.“ (Schmidtke, 2006, S.147) Von jetzt auf gleich konnten den Lehrkräften keine Lösungsvorschläge gemacht werden. Dennoch brauchten diese sofortige Unterstützung, sodass die Fortbildungen von Lehrern schnell beginnen mussten. (vgl. Schmidtke, 2006, S.145f) Die Ausländerpädagogik ist letztendlich aus einem Hilferuf von Lehrern entstanden. Aber genau für die Lehrer gab es nicht das entscheidende Konzept um den Unterricht zu verbessern und erleichtern zu können. So beschreibt Schmidtke, „in Wirklichkeit stellte sich die Ausländerpädagogik als ein Sammelsurium der verschiedenen Lehr- und Glaubenssätze dar: vor der ernsthaften Suche nach tragfähigen Lösungen für eine Verbesserung der Lebensqualität von Eingewanderten und ihren Kindern über eine einseitige assimilatorische Ausrichtung an den Ausländern und das „Übersehen“ institutioneller Behinderung bis hin zu mehr oder weniger reflektierten Berichten über mehr oder weniger gelungene Praxis.“ (Schmidtke, 2006, S.151) Bei der Ausländerpädagogik steht die Anpassung der Zugewanderten an die Mehrheitsgesellschaft im Vordergrund. Es liegt ein einseitiger Fokus auf den Menschen mit Migrationshintergrund. Die Integration wird als Bringschuld der Ausländer definiert. Durch den Begriff der Ausländerpädagogik kann der Eindruck entstehen, dass die Probleme und Defizite der Zugewanderten so groß seien, dass sie eine eigene Sonderpädagogik benötigen. Damit werden die Migranten als eine Randgruppe etikettiert. Bei Schülern steht oftmals die Orientierung an den Defiziten im Vordergrund. Die Sprachdefizite werden als großes Problem dargestellt. (vgl. Sallaba, 2008, S.13f)
Doch in der Wirtschaft bahnte sich in den 70er Jahren ein Strukturwandel an, sodass viele Migranten dauerhalft in Deutschland blieben. Durch den Daueraufenthalt entstand ein bildungspolitisches und damit verbunden ein gesellschaftliches Problem. So stellte sich zum Beispiel die Frage, ob Kindern mit Migrationshintergrund nicht Bildungschancen verwehrt bleiben, wenn sie in einigen Bundesländern über längere Zeit in separaten Vorbereitungsklassen unterrichtet werden und nicht mit allen Schülern gemeinsam eine Regelklasse besuchen. So kam es durch die Kritik zu einem Wandel in den 80er Jahren, von der „Ausländerpädagogik“ hin zum Konzept der „Interkulturellen Pädagogik“. (vgl. Holzbrecher ,2004, S.51f) Die didaktischen Ansätze des Konzepts „Interkulturelle Pädagogik“ bestanden darin, eine Verständigung und den Abbau von Vorurteilen zu erlangen. Es sollten Informationen über die Herkunftsländer ausgetauscht werden. Erziehungswissenschaftler kritisierten jedoch diese Methode, da dadurch Formen der Stigmatisierung und Etikettierung entstehen können. Ein weiterer Aspekt ist die Bereicherung durch Vielfalt. Schul- und Stadtfeste sollten die Gemeinsamkeit und die Multikultur fördern, neue Traditionen sollen erkannt werden. Ebenso wird die Idee angebracht, dass Migrantenkinder als „Experten“ für ihr Heimatland gelten. Hier gibt es auch Kritik der Erziehungswissenschaftler, da nicht alle Kinder im „Heimatland“ geboren sind. Bei den Kindern entwickelt sich außerdem eine Art Mischkultur. Das Ziel ist es die Fremdheit zu überwinden, Vorurteile abzubauen und Toleranz und Akzeptanz von Menschen mit Migrationshintergrund zu erlangen. (vgl. Holzbrecher, 2004, S.53) Interkulturelle Pädagogik lebt also durch die gegenseitige Bereicherung; voneinander lernen und sich über Feste, Küche und Traditionen austauschen. Jedoch merkt Schmidtke dazu an, dass die „Sinnhaftigkeit des Ausschmückens einer Klasse mit nationalen Symbolen aller vermeintlicher Herkunftsstaaten der Kinder äußerst fragwürdig, und das nicht nur, weil möglicherweise der überwiegende Teil der Kinder bereits in der Bundesrepublik geboren ist und über eine deutsche Staatsangehörigkeit verfügt, sondern weil gerade durch nationale Symbole Fremdheit (re-)produziert und verfestigt wird.“ (Schmidtke, 2006, S.155)
Nach dem Fall der Mauer zu Beginn der 90er Jahre gab es viele neue Herausforderungen in Bezug auf die Migranten und die damit zusammenhängende Pädagogik. Es gab rechtsextreme Anschläge auf Migranten- „Die interkulturellen Pädagogen sahen sich vor der Aufgabe einer verstärkten Auseinandersetzung mit Rassismus und Rechtsextremismus, d.h. auch mit deren politischen und gesellschaftlichen Ursachen.“ (Holzbrecher, 2004,S.53) Aber auch die Ergebnisse der PISA und IGLU Studien deckten Probleme auf und forderten einen öffentlichen Diskurs. Diese Studien zeigen, dass Kinder mit einem Migrationshintergrund in der Schule benachteiligt sind. (vgl. Mecheril, 2010, S.12) Zudem wurde anerkannt, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. (vgl. Mecheril, 2010, S.58)
Die Ausländerpädagogik und die interkulturelle Pädagogik stellen keine zeitlich und räumlich getrennten Phasen dar. Beide sind eine Reaktion auf migrationsgesellschaftliche Unterschiede. (vgl. Mecheril, 2010, S.60f)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Ausländerpädagogik und interkulturelle Pädagogik in Anlehnung an Mecheril, 2010, S.61
An dieser Stelle werden nur die Aspekte der Ausländerpädagogik und interkulturellen Pädagogik betrachtet. Konzepte wie die Integrationspädagogik oder Diversity können aus Gründen des Umfangs nicht betrachtet werden.
Es muss auch beachtet werden, dass Menschen mit Migrationshintergrund genauso unterschiedlich sind wie Einheimische untereinander.
Aus diesem Grund entwickelte das Sinus Sociovision Institut, im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, ein Modell mit acht verschiedenen Migranten - Milieus. In dieser Studie wurden die Wertorientierungen, Lebensziele, Wünsche und Zukunftsvorstellungen der Migranten untersucht. Das Ergebnis sind acht unterschiedliche Milieus. (vgl. Migration und Bevölkerung, 07.12.2012 )
Abbildung 2: Migranten-Milieus in Deutschland 2008
Je höher das Milieu auf der Abbildung angesiedelt ist, desto höher sind auch das Einkommen und die Bildung. Je weiter unten das Milieu auf der Grafik ist, desto schlechter sind die Einkommensverhältnisse und die Bildung. Je weiter rechts auf der Abbildung das Milieu ist, desto moderner sind die Menschen.
Das Adaptive Bürgerliches Milieu ist die moderne Mitte der Migranten. Diese 16 Prozent streben nach sozialer Integration und einem Leben in gesicherten Verhältnissen, sie haben eine mittlere Bildung sowie ein mittleres Einkommen. Auch das Statusorientierte Milieu strebt nach Integration, einem sozialen und materiellen Aufstieg. Die 12 Prozent dieses Milieus werden als ein Aufsteiger-Milieu gesehen. Das Multikulturelle Performermilieu ist hingegen von jungen flexiblen und leistungsorientierten Menschen geprägt. Diese 13 Prozent sind sehr offen und anpassungsfähig gegenüber anderen Kulturen und Sitten. Die 11 Prozent des Intellektuell-kosmopolitischen Milieus streben nach einer Selbstverwirklichung sowie einer schnellen und aktiven Integration, sie haben vielfältige intellektuelle Interessen. Eine kleine Gruppe, mit nur 7 Prozent, stellt das Religionsverwurzelte Milieu dar. Diese Menschen möchten gerne zurück in ihre Heimat, sie haben eine große Distanz zu Deutschland, sprechen oft nicht richtig Deutsch und haben ein niedriges Einkommen. Auch die 16 Prozent des Traditionellen Arbeitermilieus haben den Traum von der Rückkehr ins Vaterland noch nicht aufgegeben. Dennoch versuchen sie, trotz der schlechten Deutschkenntnisse, in Deutschland zurecht zu kommen. Die 9 Prozent des Entwurzelten Milieus bestehen überwiegend aus Flüchtlingsfamilien, diese Familien haben kaum eine Perspektive auf Integration, meist sind sie von staatlichen Hilfen abhängig und haben wenig bis gar keine Deutschkenntnisse. Das hedonistisch-subkulturelle Milieu besteht aus unangepassten, jungen Menschen. Diese 15 Prozent wollen sich nicht mit der Mehrheitskultur identifizieren. (vgl. http://www.migration-info.de/mub_artikel.php?Id=070902 ,07.12.2012)
Von den acht entstandenen Milieus ist keins von einer Herkunftsgruppe bestimmt. Bei den Menschen mit Migrationshintergrund gibt es Unterschiede wie bei der gesamtdeutschen Bevölkerung, denn auch hier sind eine bürgerliche Mitte, intellektuelle und moderne Milieus vorhanden.
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- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2013, Auswirkungen von sozialer Benachteiligung auf die Zukunftschancen und Lebensverhältnisse von Kindern und Jugendlichen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/535106
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