Diese Arbeit setzt sich mit dem hermeneutisch-exegetischen Ansatz von John H. Walton zu Gen 1,1-2,3 auseinander. In einem ersten Schritt wird Waltons Ansatz dargestellt. Hier wird auf seine grundsätzliche Methode eingegangen, auf seine Analyse altorientalischer Literatur und auf seine Exegese des alttestamentlichen Schöpfungstextes. Ein Schwerpunkt wird auf Waltons Sichtweise der Erschaffung des Menschen gelegt, um seine Hermeneutik und Auslegung von Gen 1 an einem repräsentativen Textabschnitt tiefer zu beleuchten. Neben Gen 1,26-28 wird daher auch Gen 2,4-24 wichtig.
In einem zweiten Schritt wird Waltons Ansatz kritisch reflektiert. Dabei wird auf den im ersten Schritt dargestellten Argumentationsstrang Bezug genommen (grundsätzliche Methode, altorientalische Literatur, Gen 1,1-2,3, Menschenbild), die einzelnen Argumente von Walton werden untersucht und mit anderen Interpretationen ins Gespräch gebracht.
Mit dem Aufkommen der Altorientalistik in den letzten Jahrhunderten stellte sich vermehrt die Frage, in welchem Verhältnis das Alte Testament und der restliche Alte Vordere Orient zueinander stehen. Friedrich Delitzsch stellte im Zuge des sogenannten „Bibel-Babel-Streites“ die These auf, dass sich das Alte Testament ausschließlich mesopotamischer Literatur und Kultur bedient hätte. Auf der anderen Seite begegnet man häufig auch einer konfessionellen Altorientalistik, die das Alte Testament vom altorientalischen Hintergrund völlig lösen möchte oder sich zumindest nur auf die Unterschiede fixiert. Insbesondere bei der Urgeschichte in Gen 1-11 muss man nach dem Einfluss altorientalischer Kultur fragen und damit auch nach einer angemessenen Exegese, die diese Einflüsse berücksichtigt.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Waltons Interpretation von Gen 1,1-2,3
2.1 Der hermeneutische Rahmen
2.1.1 Grundsätzliche Methodologie
2.1.2 Materielle Ontologie vs. Funktionelle Ontologie
2.2 Altorientalische Schöpfungsmythen haben eine funktionale Ontologie
2.2.1 Die funktionale Gestalt des Kosmos
2.2.2 Die Rolle der Götter im Kosmos
2.2.3 Funktionsuntüchtiger Urzustand
2.2.4 Funktionale Schöpfungsaktivitäten
2.2.5 „Control attributes“ und „destinies“
2.2.6 Tempel und Kosmos
2.3 Gen 1,1-2,3 hat eine funktionale Ontologie
2.3.1 Gen 1,1 als einleitende Überschrift
2.3.2 ברא bezieht sich auf Funktionen
2.3.3 Gen 1,2: Der Urzustand ist funktionsuntüchtig
2.3.4 Funktionen und Funktionsträger
2.3.5 Gen 1,3-13: Die Tage 1-3 etablieren Funktionen
2.3.6 Gen 1,14-25: Die Tage 4-6 etablieren Funktionsträger
2.3.7 Ruhe, Tempel und Tempeleinweihung in Gen 1,1-2,3
2.4 Zusammenfassung
3 Gen 1,26-31 und Gen 2,4-25: Ein funktionsorientiertes Menschenbild
3.1 Die Erschaffung des Menschen in altorientalischer Literatur ist funktional
3.2 Die Erschaffung des Menschen in Gen 1,26-28 ist funktional
3.2.1 Der Mensch als Gottes Ebenbild und Herrscher auf Erden
3.2.2 Der Mensch soll sich vermehren
3.2.3 Der Mensch als Mann und Frau
3.3 Die Erschaffung des Menschen in Gen 2,4-24 ist archetypisch
3.3.1 Gen 2,4ff. ist eine Fortsetzung von Gen 1,1ff
3.3.2 Die Erschaffung Adams
3.3.3 Die Erschaffung Evas
3.4 Zusammenfassung der Erschaffung des Menschen bei Walton
4 Kritische Reflexion von Waltons Ansatz
4.1 Gen 1 als altorientalisches Dokument
4.1.1 Der Einfluss altorientalischer Kultur
4.1.2 Funktionale oder materielle Ontologie?
4.2 Haben altorientalischen Schöpfungsmythen eine funktionale Ontologie?
4.3 Gen 1,1-2,3: Geht es ausschließlich um Funktionen?
4.3.1 Die literarische Funktion von Gen 1,1
4.3.2 Das Verb ברא
4.3.3 Die literarische Struktur von Gen 1,1-2,3
4.3.4 Gen 1,3-13: Die Tage 1-3
4.3.5 Gen 1,14-25: Die Tage 4-6
4.3.6 Ist Genesis 1,1-2,3 ein Tempeltext?
4.3.7 Zusammenfassung zu Gen 1,1-2,3
4.4 Die Erschaffung des Menschen
4.4.1 Die Erschaffung des Menschen in altorientalischer Literatur
4.4.2 Die Erschaffung des Menschen in Gen 1,26-28
4.4.3 Die Erschaffung des Menschen in Gen 2,4-24
5 Fazit und Ausblick
6 Bibliografie
1 Einleitung
Mit dem Aufkommen der Altorientalistik in den letzten Jahrhunderten, stellte sich vermehrt die Frage, in welchem Verhältnis das Alte Testament und der restliche Alte Vordere Orient zueinanderstehen. Friedrich Delitzsch stellte im Zuge des sogenannten „Bibel-Babel-Streites“ die These auf, dass sich das Alte Testament ausschließlich mesopotamischer Literatur und Kultur bedient hätte.1 Auf der anderen Seite begegnet man häufig auch einer konfessionellen Altorientalistik, die das Alte Testament vom altorientalischen Hintergrund völlig lösen möchte oder sich zumindest nur auf die Unterschiede fixiert.2 Insbesondere bei der Urgeschichte in Gen 1-11 muss man nach dem Einfluss der altorientalischer Kultur fragen und damit auch nach einer angemessenen Exegese, die diese Einflüsse berücksichtigt.
In dieser Arbeit möchte ich mich mit dem hermeneutisch-exegetischen Ansatz von John H. Walton zu Gen 1,1-2,3 auseinandersetzen. In einem ersten Schritt werde ich Waltons Ansatz darstellen. Hier gehe ich auf seine grundsätzliche Methode ein, auf seine Analyse altorientalischer Literatur und auf seine Exegese des alttestamentlichen Schöpfungstextes.3 Einen Schwerpunkt möchte ich auf Waltons Sichtweise der Erschaffung des Menschen legen, um seine Hermeneutik und Auslegung von Gen 1 an einem repräsentativen Textabschnitt tiefer zu beleuchten. Neben Gen 1,26-28 wird daher auch Gen 2,4-24 wichtig. In einem zweiten Schritt werde ich Waltons Ansatz kritisch reflektieren. Dabei nehme ich auf den im ersten Schritt dargestellten Argumentationsstrang Bezug (grundsätzliche Methode, altorientalische Literatur, Gen 1,1-2,3, Menschenbild), untersuche die einzelnen Argumente von Walton und bringe diese mit anderen Interpretationen ins Gespräch. Zwar werde ich im Reflexionsteil auch auf Waltons Analyse altorientalischer Schöpfungstexte eingehen, doch möchte ich einen Schwerpunkt auf seine Interpretation der biblischen Texte legen.
Walton hat bereits diverse Werke zum Genesis-Schöpfungsbericht verfasst. In „Ancient Near Eastern Thought and the Old Testament“ stellt er die altorientalische Denkkultur in ihren Grundsätzen dar. Dieses Buch werde ich insbesondere bei der Darstellung seiner Methode und stellenweise bei seiner Analyse altorientalischer Kultur verwenden. Mit Gen 1 setzt Walton sich fachwissenschaftlich in „Genesis 1 as Ancient Cosmology“ und populärwissenschaftlich in „The Lost World of Genesis One“ auseinander. Zwar werde ich mich auf beide Werke beziehen, doch wird die primäre Quelle das populärwissenschaftliche Buch sein, da ich insbesondere den Gemeindekontext berücksichtigen möchte. Die Erschaffung des Menschen in Gen 2 beschreibt Walton am ausführlichsten in „The Lost World of Adam and Eve“. Walton hat zudem einen Genesis-Kommentar (NIV) verfasst, auf den ich stellenweise zurückgreifen werde.
Es gibt zurzeit noch keine Monografie, die sich systematisch mit Waltons Interpretation von Gen 1 auseinandersetzt. Deswegen stütze ich mich bei der kritischen Auseinandersetzung in erster Linie auf diverse Genesis-Kommentare (insb. Wenham, Mathews, Fischer, Hamilton) sowie auf das Werk „Die Welt am Anfang“ von Michaela Baucks.
2 Waltons Interpretation von Gen 1,1-2,3
2.1 Der hermeneutische Rahmen
2.1.1 Grundsätzliche Methodologie
Walton betont im Umgang mit alttestamentlichen Texten im Allgemeinen und mit Gen 1 im Speziellen, besonders stark, dass die Israeliten in der Kultur des Alten Vorderen Orients (AVO) beheimatet waren. Auch wenn sie sich von gewissen Aspekten der altorientalischen Kultur trennen sollten, waren sie in diesem „kulturellen Fluss“ fest beheimatet.4 Die Verwobenheit des Alten Testaments in der Welt des AVO zu erkennen, sei für den Exegeten zentral, da die Denkvoraussetzungen eines altorientalischen Menschen und eines modernen Menschen grundverschiedenen seien. Um nicht die gegenwärtige kognitive Kultur in altorientalische Texte hineinzuprojizieren, müsse man kulturelle Studien und komparative Studien durchführen. „The goal of background studies [bzw. kulturelle Studien] is to examine the literature and archaeology of the ancient Near East in order to reconstruct the behavior, beliefs, culture, values, and worldview of the people.”5 In der Assyriologie und Ägyptologie werden die kulturellen Studien durchgeführt. Die kulturellen Studien bilden die Basis für komparative Studien. Komparative Studien möchten die Ergebnisse der kulturellen Studien gegenüberstellen, um zu bewerten, inwiefern sie zum besseren Verständnis beider Kulturen beitragen können.6
Komparative Studien müssen innerhalb des literarischen Genres der damaligen Zeit vollzogen werden. Auf diese Weise können Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausgearbeitet werden, die wiederrum die Aussageabsicht des alttestamentlichen Textes erhellen.7
Walton grenzt sich einerseits von einer konfessionellen Assyriologie ab, die in erster Linie apologetische Absichten hat, und andererseits von einer säkularen Altorientalistik, wonach das Alte Testament nichts anderes als eine Adaption altorientalischen Gedankenguts darstellt.8 Dies bedeute, dass es zwar eine kulturelle Abhängigkeit zwischen Altem Testament und der Literatur des AVO gebe, nicht jedoch eine literarische Abhängigkeit.9 Walton schlägt damit einen Weg ein, der sich zwischen zwei Extremen befindet: Dem einen Extrem, wonach biblische Texte keinerlei Bezug zur altorientalischen Kultur haben sollen, weil sie Gottes Wort sind und dem anderen Extrem, dass die biblischen Texte nur altorientalische Dokumente sind, nicht aber Gottes Wort.
Die Implikationen für das Verständnis von Gen 1 sind weitreichend. Der Schöpfungsbericht könne nicht als naturwissenschaftlicher Text über die Entstehung der Welt verstanden werden, sondern müsse im kulturellen Denkrahmen der damaligen Zeit, der noch nicht naturwissenschaftlich oder modern geprägt war, eingeordnet werden.10 Gen 1 sei am besten im Kontext altorientalischer Schöpfungsmythen zu begreifen, da sie dasselbe Genre teilen. Mit „Mythos“ ist nach Walton nichts über die Fiktionalität des Textes ausgesagt. Er versteht Mythen als eine Literaturgattung „that offered an explanation of how the world functioned and … [that] conveyed an identity rooted in what we might call deep reality.“11 Altorientalische Mythen (und Gen 1) müssen als solche in ihrem kosmologischen Verständnis ernstgenommen werden und dürfen bei der Interpretation nicht mit unserer modernen Kosmologie vermischt werden. Gott habe sich selbst in einer für die Erstadressaten verständlichen Art und Weise mitgeteilt, ohne vorerst ihre Denkparadigma „wissenschaftlich richtigzustellen“.12 Den biblischen Schöpfungsbericht aus Gen 1 im Kontext der AVO-Literatur zu lesen und zu verstehen, bedeutet für Walton zuerst einmal, dass man sich des völlig anderen Verständnisses von „Existenz“ bewusstwird.13
2.1.2 Materielle Ontologie vs. Funktionelle Ontologie
Wenn man sich mit der Entstehung dessen beschäftigt, was existent ist (die Welt), muss man über das Wesen von Existenz bzw. über Ontologie reden. Die Ontologie beschäftigt sich mit der „Grundbestimmung des Seienden, die ihm als Seienden als solchem zukommt.“14 Für Walton ist die Frage nach der Ontologie für das Verständnis von Gen 1 zentral: „What does it mean for something to exist?“15 Er ist der Überzeugung, dass Menschen im AVO (zu denen auch die Israeliten gehörten) diese Frage ganz anders beantwortet hätten, als wir es heute tun. Während nämlich bei uns eine materielle Ontologie vorherrsche, dachten die Menschen im AVO in funktionalen Kategorien. Sie hatten eine funktionale Ontologie.16 Unsere Ontologie sei insofern materiell orientiert, als dass etwas dann existiert, wenn es eine Substanz hat. Walton ist der Überzeugung, dass Menschen mit einer funktionalen Ontologie ganz andere Schwerpunkte legen.
„In a functional ontology, to bring something into existence would require giving it a function or a role in an ordered system, rather than giving it material properties. Consequently, something could be manufactured physically but still not `exist´ if it has not become functional.”17
Eine funktional orientierte Ontologie sei jedoch nicht damit zu verwechseln, dass man dann nicht mehr in materiellen Kategorien denken könne. Babylonier, Ägypter, Israeliten etc. konnten die physikalische Natur von Gegenständen sehr wohl erfassen, doch hätten sie dieser materiellen Komponente keine Bedeutung beigemessen. Damit etwas eine Funktion haben kann, muss es zwar zuerst eine Substanz besitzen, doch hätten Menschen im AVO eine funktionslose Substanz nicht als „Schöpfung“ bezeichnet.18 Erst wenn Funktion, Rolle und Bestimmung eines Objekts festgelegt waren, existierte dieses im vollen Sinne.
2.2 Altorientalische Schöpfungsmythen haben eine funktionale Ontologie
Walton hat bereits in diversen Werken Grundlagenarbeit geleistet, in denen er die funktional ausgerichtete Ontologie in altorientalischen Schöpfungsmythen belegt.19 Im Folgenden möchte ich seine wichtigsten Argumente dazu zusammenfassen.
2.2.1 Die funktionale Gestalt des Kosmos
Altorientalische Schöpfungsmythen sind nach Walton funktional orientiert, weil sie eine Beschreibung dafür geben, wie innerweltliche Strukturen eingesetzt wurden, sodass die verschiedensten Vorgänge ablaufen können.20 Walton verdeutlicht die altorientalische Denkweise am Beispiel des Regens: Weil der Regen aus dem Himmel herabfällt, müsse sich dort irgendwo Wasser befinden. Dieses Wasser kommt allerdings nur phasenweise herab, sodass es etwas geben muss, das den Regen zurückhält - ein festes Firmament. Dieses feste Firmament wird wiederrum von den Bergen gestützt.21 Altorientalische Kosmologien erklären und begründen diese Vorgänge im Kosmos (bspw. den Regen) funktional, möchten aber nicht die Entstehung der Materie begründen.
2.2.2 Die Rolle der Götter im Kosmos
Im Ägypten des AVO wurden die einzelnen Elemente der kosmischen Geografie, wie bspw. Sonne, Erde oder Mond, mit Gottheiten assoziiert. Walton schließt daraus, dass sich die Ägypter daher in erster Linie für die Götter interessierten, die hinter den Elementen zu finden waren, aber nicht für die materielle Seite dieser kosmisch-geografischen Elemente.22 Gottheiten existierten, weil ihnen im Kosmos eine spezielle Funktion beigemessen wurde.23 Um Götter „existieren zu lassen“, musste man sich also mit der Existenz des Kosmos beschäftigen.
In altorientalischen Kosmologien werden Kosmogonie und Theogonie eng miteinander verknüpft. Dieses Zusammenspiel der Entstehung des Kosmos und der Entstehung der Götter zeige erneut den funktionalen Charakter altorientalischer Weltentstehungsvorstellungen.24 In eine ähnliche Richtung weisen die Götterkämpfe, in deren Verlauf der Kosmos kreiert wird.
Nach Walton ist die zentrale Rolle der Götter in Kosmogonie und Kosmos ein Hinweis darauf, dass altorientalische Schöpfungserzählungen nicht an der materiellen Entstehung der Welt interessiert sind, sondern primär funktionale Aussagen (z.B. theologische) tätigen möchten.
2.2.3 Funktionsuntüchtiger Urzustand
Ein wichtiges Argument für Walton ist der Zustand des Kosmos vor der Schöpfung (insofern man da schon von einem Kosmos reden kann). In altorientalischer Literatur wird der präkosmische Zustand in nicht-funktionalen Kategorien beschrieben. In Ägypten war die Vorstellung geläufig, dass sich aus einer Singularität heraus die Diversität des Kosmos gebildet habe. So wurde die Gottheit Atum als Ursprung betrachtet, aus dem sich alles Geschaffene durch Teilung und Scheidung entwickelt habe.25 Diese präkosmische Singularität stellten sich Menschen im AVO ungeteilt und vereinheitlicht vor, was angesichts des Trennens und Scheidens, als wichtigster Schöpfungsakt (vgl. 2.2.4), mit Funktionslosigkeit gleichgesetzt werden könne.26 Es zeige sich hierin, dass altorientalische Denkstrukturen von einer materiellen Kontinuität ausgingen, die sich, angefangen beim präkosmischen Zustand, über den gesamten Schöpfungsakt erstrecke.27 Materie wurde also nicht erst beim Schöpfungsakt geschaffen, sondern war schon vorher vorhanden, was gegen eine materielle Erschaffung der Welt spricht.
Im AVO stellte man sich den Urzustand unproduktiv, unordentlich und unorganisiert vor – ein funktionsloser Zustand also, der erst durch eine funktionszuweisende Schöpfung abgelöst wird. Walton redet hier auch von „Chaos“, was dann das Gegenteil und die Vorstufe von „Kosmos“ wäre.28 In sumerischen und akkadischen Quellen wird das „Chaos“ mit Dunkelheit, Wasser, Unproduktivität, Abwesenheit der Götter, des Kultes und des sozialen Systems verbunden.29 Walton zieht aus dem funktionslosen Urzustand den Schluss, dass in altorientalischen Schöpfungsmythen eine funktionale Ontologie vorhanden sei, die keine Interesse an der materiellen Entstehung der Welt habe.
2.2.4 Funktionale Schöpfungsaktivitäten
„The acts of creation were naming, separating, and temple building.”30 Walton sieht in diesen funktionalen Schöpfungsaktivitäten einen weiteren Hinweis auf eine funktionale Ontologie im AVO. In altorientalischen Schöpfungsberichten beginnt etwas zu existieren, wenn es einen Namen besitzt. Mit dem Namen waren Identität, Rolle, Bestimmung und Funktion verbunden.31 Der mesopotamische Schöpfungsmythos Enuma Elisch beginnt bspw. mit der Feststellung, dass weder Himmel noch Erde noch die Götter einen Namen hatten und damit noch inexistent waren. Wenn der Name für die Existenz eines Objekts ausschlaggebend war, ist diese Existenz funktional, aber nicht materiell zu verstehen. Unter 2.2.3 habe ich bereits die Trennung und Scheidung als wichtigen Schöpfungsakt erwähnt. Walton führt aus, dass sowohl in Mesopotamien als auch in Ägypten die Trennung von Himmel und Erde, von „oberen Wassern“ und „unteren Wassern“ sowie von Meer und Land, bekannte Motive waren.32 Da vorhandener Materie durch das Scheiden und Teilen eine Funktion zugeteilt wird, liege eine funktionsorientierte Schöpfung erneut auf der Hand. Tempelbau und -einweihung waren im AVO ebenfalls eine zentrale Schöpfungsaktivität, auf die ich allerdings in 2.2.6 ausführlicher eingehen werde. In den ausschließlich funktional verstandenen Schöpfungsaktivitäten in der Literatur des AVO sieht Walton damit einen deutlichen Hinweis auf eine funktionale Ontologie.
In altorientalischen Kulturen gab es jedoch Begriffe für „schaffen“ oder „kreieren“.33 Implizierten diese Wörter nur ein funktionales Erschaffen? Walton leugnet nicht, dass sich diese Begriffe auf eine materielle Schöpfung beziehen können, führt allerdings an, dass, wenn eine Gottheit das Subjekt ist, die Objekte meistens funktionaler Natur sind. Außerdem gebe es kein Wort, dessen Bedeutung ausschließlich einem materiellen Schöpfungsprozess vorbehalten bleibt.34
Interessant ist auch die Tatsache, dass in altorientalischen Schöpfungsmythen die Geschöpfe selbst fast nie erwähnt werden. Walton schließt daraus einen weiteren Hinweis auf das Desinteresse an einer materiellen Schöpfung.35
2.2.5 „Control attributes“ und „destinies“
Walton nimmt in seinen Büchern regelmäßig auf die übergeordneten Leitprinzipien Bezug, die, nach der Vorstellung der Menschen im AVO, den gesamten Kosmos bestimmt haben. In mesopotamischen Texten gibt es eine Unterscheidung zwischen „control attributes“ und „destinies“ bzw. zwischen den sumerischen Begriffen ME (control attributes) und NAM (destinies).36 Von diesen beiden leitenden Prinzipien seien Himmel und Erde, die Götter, der Tempel, die Stadt, der König und die gesamte Menschheit betroffen37, mit einem Wort: der Kosmos. Walton definiert die „control attributes“ als „impersonal cosmic principles that make the cosmos what it is.”38 Es handele sich dabei um Grundprinzipien, um statische Abstrakta, die den Kosmos festsetzen und nach denen alles abläuft. Walton betont, dass die „control attributes“ ausschließlich funktionaler Natur sind.39 Die „destinies“ (NAM) seien eher dynamisch und führen die Prinzipien der „control attributes“ im Kosmos aus. Auch die NAMs besitzen Funktionen, die sie erfüllen sollen.40 Für Walton begünstigen die Leitprinzipien, die dem Kosmos Funktionen übertragen und selbst Funktionen ausführen, eine funktionale Ontologie im Denken des AVO.
2.2.6 Tempel und Kosmos
Im AVO wurden Tempel und Kosmos eng miteinander verbunden.41 Das Zentrum des Kosmos war der Tempel. Man betrachtete den Tempel selbst als Mikrokosmos, der in sich den gesamten Kosmos repräsentiere.42 Dies spiegelte sich beispielsweise in ägyptischen Tempelgebäuden wider, deren einzelne Bauteile kosmisch-geografische Bedeutung hatten.43 Auch die Funktionen, die dem Tempel zugeschrieben wurden, hatten kosmische Bedeutung: Der Tempel sollte den Kosmos zusammenhalten und Fruchtbarkeit spenden.44 Aber nicht nur der bestehende Kosmos, sondern auch die Kosmogonie, also die Entstehung des Kosmos, war auf den Tempel ausgerichtet, was sich in zahlreichen altorientalischen Schöpfungsberichten zeigt.45 So wird beispielsweise „in der Tempelgründungsschrift aus Eridu der Urzustand als Zeit der Nichtexistent der Tempel und Kultorte beschrieben.“46 Walton macht auch auf die Beziehung von Tempel und göttlicher Ruhe aufmerksam, die sich durch altorientalische (Schöpfungs-)Texte zieht. „Divine rest generally represents a state that has been achieved through a particular action that was undertaken as a response to a condition or situation that prior to the divine action was usually viewed as unacceptable.”47 Wenn die Situation im Kosmos geordnet und sicher ist, ruht die Gottheit. Die Ruhe der Götter ist immer ein Zeichen von kosmischer Stabilität.48 Das Konzept der göttlichen Ruhe findet man nach genereller Aktivität, Exilzeiten, kosmischer und sozialer Unordnung, harter Arbeit und Krieg.49 Der Ort der Ruhe ist dabei immer der Tempel.50 Unter „Ruhe“ sei allerdings kein Müßiggang zu verstehen, sondern Kontrolle und Herrschaft. Wenn sich die Gottheit ruhend im Tempel befindet, regiert sie den Kosmos.51 Für Walton ist die Verknüpfung von Tempel und Kosmos im AVO vor allem für die Exegese von Gen wichtig. Aber auch unabhängig von diesem exegetischen Anliegen werde deutlich, dass die altorientalische Kosmogonie weniger an der Erschaffung von Materie interessiert sei und stattdessen ein (in diesem Fall) theologisches Anliegen verfolge.
Walton nennt zahlreiche Argumente, die für eine funktionale Ontologie in altorientalischen Schöpfungsberichten sprechen: Die Gestalt des Kosmos, die Rolle der Götter, der Urzustand, die Schöpfungsaktivitäten, die kosmischen Leitprinzipien und die Beziehung von Kosmos und Tempel. All dies mache eine materielle Kosmologie unwahrscheinlich, begünstige hingegen ein funktionales Schöpfungsverständnis. Die Ontologie altorientalischer Schöpfungsmythen ist für Walton insofern wichtig, als dass er Gen 1 in genau diese kognitive Kultur verortet. Die alttestamentliche Umwelt könne also helfen, um alttestamentliche Texte besser zu verstehen. Mit diesem funktional ausgerichteten Denkmuster im AVO als exegetisch-hermeneutische Grundlage, interpretiert Walton nun Gen 1.
2.3 Gen 1,1-2,3 hat eine funktionale Ontologie
Walton ist der Überzeugung, dass in Gen 1, ähnlich wie in altorientalischen Schöpfungsmythen, ein funktionales Weltentstehungsverständnis zu finden ist. Im Folgenden möchte ich die Argumente skizzieren, die er anführt, um seine These zu untermauern.
2.3.1 Gen 1,1 als einleitende Überschrift
Walton versteht Gen 1,1 als literarische Überschrift bzw. Einleitung für das nachfolgende Kapitel.52 Für dieses Verständnis von Gen 1,1 führt er mehrere Argumente an. Erstens beziehe sich רֵאשִׁית eher auf eine Zeitperiode als auf einen Zeitpunkt.53 Sowohl biblische Texte (Hiob 8,7 Jer 28,1),54 als auch ägyptische Schöpfungstexte, in denen von einer anhaltenden Schöpfungsperiode die Rede ist,55 deuten auf ein periodisches Verständnis von רֵאשִׁית hin. רֵאשִׁית in Gen 1,1 müsse daher als Überschrift der 7-Tage-Periode verstanden werden und nicht als Beschreibung einer eigenständigen schöpferischen Aktivität, die noch vor Gen 1,2 stattgefunden hat.56 Zweitens erwähnt Walton, dass Gen 1,1 und Gen 2,1 als literarische Klammer verstanden werden müssen, die sich zusammenfassend auf den dazwischenliegenden Schöpfungsakt beziehen.57 Gen 1,1 wäre dann die Einleitung und Gen 2,1 der Schluss. Ein drittes Argument bezieht sich auf die grundlegende Struktur des Genesisbuches. Walton geht auf die toledot-Formeln ein (Gen 2,4; 5,1; 6,9; 10,1.32; 11,10,27; 25,12.19; 36,1; 37,2), die immer etwas Vorangegangenes mit etwas Nachfolgendem verbinden, sich also immer in einer Reihenfolge befinden. Auch Gen 1,1 müsse als Teil dieser übergreifenden Struktur verstanden werden, allerdings sei Gen 1,1 der Beginn dieser Reihenfolge, was den Gebrauch des Wortes רֵאשִׁית statt תּוֹלֵדוֹת erkläre.58 Die Konsequenz von Waltons Auslegung ist, dass Gen 1,1 nicht über eine materielle Entstehung von Himmel und Erde berichtet. Wenn Gott mit dem Schöpfungsprozess in Gen 1,3 startet, ist also bereits Materie vorhanden (Gen 1,2), was einer materiellen Schöpfung widersprechen würde. Dennoch belegen Waltons Ausführungen zur literarischen Funktion von Gen 1,1 für sich genommen noch keine funktionale Ontologie. Sie sind für Walton allerdings wichtig, weil sie zum einen die grundsätzliche Auslegung von Gen 1 stark bestimmen und zum anderen Waltons Wortstudie von ברא vorbereiten.
2.3.2 ברא bezieht sich auf Funktionen
Versteht man Gen 1,1 als Überschrift, die in gewisser Weise schon den Inhalt des nachfolgenden Berichtes enthält, gewinnt das in V.1 vorkommende Verb ברא an Bedeutung, weil es dann nämlich alle Schöpfungsaktivitäten in Gen 1,2-1,31 näher klassifiziert.
Das Verb ברא („schaffen, hervorbringen“59 ) kommt in Gen 1,1-2,3 insgesamt 7 Mal vor (1,1.21.27; 2,3.4) und befindet sich jeweils an zentralen Stellen.60 Walton erwähnt, zusammen mit zahlreichen anderen Kommentatoren61, dass das Subjekt von ברא immer Gott ist und es sich daher um eine ausschließlich göttliche Aktivität handelt.62 Größeren Wert legt er jedoch auf die Objekte des Verbes, die für die Frage nach einem materiellen oder funktionalen Schaffen eine weitaus größere Bedeutung haben. Walton gesteht ein, dass sich ברא theoretisch sowohl auf materielle als auch funktionale Schöpfungsprozesse beziehen kann.63 Es gebe jedoch exegetische Hinweise, die den Schluss zulassen, dass die funktionale Bedeutung von ברא überwiegt. So werden im Kontext von ברא nie die Materialien erwähnt werden, aus denen etwas geschaffen wird. Eine creatio ex nihilo anhand von Gen 1 belegen zu wollen, ist für Walton daher unsachgemäß.64 Walton führt zudem eine gesamtbiblische Untersuchung der Objekte von ברא durch und kategorisiert die Ergebnisse wie folgt:
Kosmos (10, neuer Kosmos eingeschlossen)
Menschen im Allgemeinen (10)
Spezifische Menschengruppen (6)
Spezifische Individuen oder Typen von Individuen (5)
Geschöpfe (2)
Phänomene (z.B. Dunkelheit) (10)
Komponenten kosmischer Geografie (3)
Bedingungen (1, reines Herz)65
Walton zieht aus den exegetischen Ergebnissen folgendes Fazit:
„No clear example occurs that demands a material perspective for the verb, though many are ambiguous. In contrast, a large percentage of the context require a functional understanding. These data cannot be used to prove a functional ontology, but they offer support that existence is viewed in functional rather than material terms.”66
Er kommt insgesamt zu dem Schluss, dass die Bedeutung des Verbes zwar mit „to bring something into existence“ übersetzt werden müsse, doch beziehe sich das dann meistens auf eine funktionale Existenz. Es gehe darum, dass Funktionen und Rollen in einem geordneten System zugewiesen werden.67
Wie im Zitat schon angedeutet, versteht Walton die Bedeutung von ברא nicht als Beweis für eine funktionale Ontologie. Für ihn geht es um funktionale Schwerpunkte und Betonungen, die dem Verb inhärent sind. Walton negiert eine creatio ex nihilo, bei der Gott auch für Materie zuständig ist, nicht grundsätzlich, meint jedoch, dass diese nicht in Gen 1 zu finden sei.68
Neben ברא kommt auch עשׂה als Verb des Schaffens in Gen 1,1-2,3 vor (1,7.16.25.26.31; 2,2.3). Zwar könne dieses Verb sich auch auf einen materiellen Schöpfungsprozess beziehen, aber sei diese materielle Bedeutung dem Verb nicht inhärent.69 Walton betont, „that in many cases the verb asa focuses on God´s actions rather than on his material projects.”70 Er erinnert zudem mit einem Hinweis auf Gen 1,26-27, dass ברא und עשׂה dieselbe Bedeutung annehmen können.71 עשׂה bekommt im funktionalen Kontext von Gen 1 darum eine funktionale Bedeutung.
Gen 1,1 ist nach Walton eine einleitende Überschrift, die durch das Verb ברא, das sich vor allem auf funktionale Vorgänge bezieht, den gesamten Schöpfungsbericht in das Licht einer funktionalen Ontologie stellt.
2.3.3 Gen 1,2: Der Urzustand ist funktionsuntüchtig
Walton stellt die These auf, dass der Urzustand in Gen 1,2 als funktionsuntüchtig beschrieben wird.72 Wichtig wird hierbei vor allem das hebräische Adjektiv תֹּהוּ („etwas Wüstes, Einöde“)73, weil das andere Wort בֹּהוּ nur 3 Mal im AT vorkommt. Bei seiner Wortstudie kommt Walton zu dem Fazit, dass es im Kontext von תֹּהוּ immer um Zustände ohne Funktion, Bedeutung oder Bestimmung gehe.74 Dasselbe könne man daher auch für den vorweltlichen Zustand in Gen 1,2 annehmen: „The earth is described as not yet functioning in an ordered system. (Functional) creation has not yet taken place and therefore there is only (functional) nonexistence.”75 Walton verweist besonders darauf, dass תֹּהוּ in Hiob 26,7 eine funktionale Nicht-Existenz impliziere, da die Erschaffung der Welt mit den präkosmischen (und damit nicht-geordneten) Wassern kontrastiert werde.76 Dass bei der Schöpfung bereits Materie vorhanden war, und eine materielle Schöpfung damit unwahrscheinlich ist, zeige der Begriff תְּהֹום („Urwasser“77 ).78 An dieser Stelle verweist Walton auf die altorientalischen Vorstellungen vom Urzustand (siehe 2.2.3.), die mit der Funktionslosigkeit in Gen 1,2 übereinstimmen.79
Die Qualitätsbeschreibungכִּי־טֹ֑וב, die sich durch den gesamten Schöpfungsbericht zieht und als Gegensatz zum funktionalen Begriff תֹּהוּ verstanden werden müsse, beziehe sich demnach auf die Funktionstüchtigkeit des geordneten Kosmos.80
2.3.4 Funktionen und Funktionsträger
Nachdem in Gen 1,2 der funktionslose Urzustand beschrieben wurde, beginnt mit V.3 nun der, nach Walton, funktionale Schöpfungsakt, der sich bis Gen 1,31 hinstreckt. Die Tage 1-3 korrelieren mit den Tagen 4-6. Walton versteht diese Korrelation nun so, dass in den ersten drei Tagen Funktionen etabliert werden, während die letzten drei Tage Funktionsträger („functionaries“) einsetzen. Die Funktionsträger führen die Funktionen aus, die in den ersten drei Tagen geschaffen wurden.81 82 Walton zieht eine Parallele zu den altorientalischen Vorstellungen von ME und NAM (vgl. 2.2.5), wenn er die „control attributes“ (ME) mit den Tagen 1-3 in Verbindung bringt und die Tage 4-6 mit den „destinies“ (NAM). Während die statischen MEs Ordnung etablieren, agieren die dynamischen NAMs innerhalb dieser Ordnung.83 Walton sieht zwar eine deutliche Korrelation zwischen den Tagen 1-3 und den Tagen 4-6, doch betont er gleichzeitig auch, dass die literarische Struktur nur sekundäre Bedeutung hat.84 Die literarische Struktur von Gen 1,3-31 nach Walton, kann man wie folgt darstellen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Walton stellt damit alle 6 Tage in den Kontext einer funktionalen Schöpfung. Im Folgenden möchte ich sein Verständnis der einzelnen Schöpfungstage kurz darstellen.
2.3.5 Gen 1,3-13: Die Tage 1-3 etablieren Funktionen
Laut biblischem Schöpfungsbericht wurde am ersten Tag das Licht „אֹור“ geschaffen. Für Walton macht V.5 deutlich, dass man das Licht als Periode verstehen muss, weil dort das Licht mit dem Tag bzw. die Dunkelheit mit der Nacht gleichgesetzt wird. Es handle sich also um eine Metonymie, bei der das Konzept „Tag“ mit dem Begriff „Licht“ ausgedrückt werde.85 Die Scheidung von Licht und Finsternis in V.4, die keinen Sinn mache, wenn man sie als Scheidung von materiellem Licht betrachtet, werde durch die Tag-Nachtzyklen ebenfalls gut erklärt.86 Der schöpferische Ausspruch Gottes in V.3 müsste demnach mit „Es werde eine Lichtperiode“ übersetzt werden. Letztlich werde am ersten Tag die Erschaffung der Zeit beschrieben und nicht die Schöpfung des materiellen Lichtes.87 Wenn am ersten Tag die Zeit erschaffen wurde, würde es sich um einen funktionalen Schöpfungsakt handeln. Walton erwähnt, dass diese Interpretation gut in den Gesamtkontext von Gen 1 passt. Zum einen werde so erklärt, warum bei der wiederkehrenden Formel „Es wurde Abend und es wurde Morgen“ der Abend vor dem Morgen genannt wird, was bei einem materiellen Verständnis nicht ohne weiteres erklärt werden könne. Da der präkosmische Zustand von Dunkelheit geprägt war, wird der dunkle Tagesabschnitt (der Abend) zuerst genannt. Das Licht (der Morgen) war erst in einem zweiten Schritt vorhanden.88 Zum anderen erkläre diese Interpretation, wie das „Licht“ bereits am ersten Tag ohne Sonne existieren konnte, die ja erst am vierten Tag erschaffen wurde.89 Walton weist auch darauf hin, dass die Menschen im AVO das Licht nie als materielles Objekt, sondern als Zustand aufgefasst haben.90
Am zweiten Schöpfungstag wurde die „feste Himmelswölbung“91 (רָקִיעַ) gemacht, die die Wasser voneinander trennen soll. Altorientalische Vorstellungen stimmen in der Vorstellung eines festen Himmels überein.92 Walton nennt zwei Funktionen, die diese Himmelwölbung im altorientalischen (und biblischen) Denken erfüllte. Erstens wird dadurch der menschliche Lebensraum geschaffen und zweitens wird das Wetter kontrolliert.93 Walton führt aus, dass sich die Menschen im AVO die Himmelskuppel als Behälter des Regens und damit als kontrollierende Instanz des Niederschlages vorgestellt haben. Bei der Erschaffung der Himmelswölbung gehe es also nicht um die Erschaffung des Himmels oder der Atmosphäre (was materiell gedacht wäre), sondern um die Einsetzung des Wettersystems.94 Walton kommt zu dem Schluss, dass es auch am zweiten Tag um einen funktionalen Schöpfungsprozess geht, der kein Interesse an Materie hat.
[...]
1 Bernhardt, Delitzsch, 433.
2 Walton, Thought, 4.
3 Im Folgenden werde ich den Begriff „altorientalische Literatur“ für mesopotamische und ägyptische bzw. nichtbiblische Texte verwenden. Dies ist angelehnt an das Wissenschaftsgebiet der Altorientalistik, in der alttestamentliche Texte ebenfalls nicht miteinbezogen werden.
4 Walton, Thought, 6.
5 Ebd. 7.
6 Ebd.
7 Ebd. 11f.
8 Ebd. 4.
9 Religionswissenschaftliche Ansätze, die bspw. Ähnlichkeiten von Gen 1 und Enuma Elisch als direkte Adaption interpretieren (vgl. Speiser, Genesis, 9), lehnt Walton somit ab.
10 Walton, Lost, 14.
11 Walton, Thought, 34.
12 Walton, Lost, 15.
13 Die Datierung von Genesis ist für die die Einordnung von Gen 1 in die altorientalische Kultur zwar wichtig, jedoch nicht ausschlaggebend. Ob man nun eine weitgehend mosaische Verfasserschaft und damit frühe Abfassung vertritt (bspw. Walton) oder Genesis als eine spätere Kompilation verschiedener Quellen sieht (bspw. Wenham, Speiser, Fischer) – die altorientalischen Züge bleiben dieselben.
14 Heinrichs, Ontologie, 245.
15 Walton, Lost, 21.
16 Ebd. 24.
17 Ebd.
18 Ebd. 25.
19 Siehe: Walton, Thought; Walton, Genesis 1.
20 Walton, Lost, 27f.
21 Vgl. ebd.
22 Ebd. 28.
23 Walton, Genesis, 63.
24 Walton, Lost, 28.
25 Walton, Genesis, 28.
26 Walton, Lost, 29.
27 Walton, Genesis, 28.
28 Ebd. 27.
29 Ebd. 32.
30 Ebd. 120.
31 Walton, Lost, 29.
32 Ebd. 30.
33 Im Akkadischen „banu“ und „basamu“. Im Ägyptischen „hpr/shpr“, „írí“, „msí“ und „km“ (Walton, Thought, 150f.).
34 Walton, Thought, 151.
35 Walton, Lost, 30.
36 Walton, Thought, 161.
37 Walton, Genesis, 57ff.
38 Ebd. 46.
39 Ebd. 51.
40 Ebd. 55.
41 Vgl. Baucks, Anfang, 253; Janowski, Gegenwart, 216; Auffarth, Kosmologie, 1707; Walton, Thought, 83ff.
42 Walton, Thought, 85.
43 Ebd. 86.
44 Walton, Genesis, 102f.
45 Ebd. 107f.
46 Baucks, Anfang, 241.
47 Walton, Genesis, 110.
48 Ebd. 113.
49 Ebd. 112ff.
50 Ebd.
51 Ebd. 119.
52 Walton, Lost, 44.
53 Ebd. 43.
54 Ebd.
55 Walton, Genesis, 125f.
56 Walton, Lost, 43.
57 Ebd. 44.
58 Ebd.
59 Gesenius, bara, 172f.
60 So kennzeichnet ברא Anfang und Ende des Schöpfungsberichts sowie die Erschaffung des Menschen.
61 Bspw. Wenham, Genesis, 14; Mathews, Genesis, 128.
62 Walton, Lost, 38.
63 Ebd. 39.
64 Ebd. 42.
65 Ebd. 39ff.
66 Ebd. 41.
67 Walton, Genesis, 132.
68 Walton, Lost, 42f.
69 Ebd. 64.
70 Walton, Genesis, 136.
71 Ebd.
72 Walton, Lost, 46.
73 Gesenius, tohu, 871.
74 Walton, Lost, 48.
75 Ebd.
76 Ebd. 48f.
77 Gesenius, tehom, 871.
78 Walton, Lost, 48.
79 Ebd. 51f.
80 Ebd. 50.
81 Walton redet von „functionaries“. Der übersetzte Begriff „Funktionsträger“ stammt von Schneider, Genesis, 15.
82 Ebd. 62.
83 Walton, Genesis, 167.
84 Walton, Lost, 62.
85 Ebd. 54.
86 Ebd.
87 Ebd. 55.
88 Ebd.
89 Ebd.
90 Ebd. 53.
91 Gesenius, raqia, 774.
92 Walton, Lost, 55.
93 Ebd. 56.
94 Ebd. 56f.
- Arbeit zitieren
- John Schröder (Autor:in), 2019, Genesis 1 im Kontext altorientalischer Schöpfungsmythen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/535042
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