Die französische Revolution von 1789 als die Geburt der Nation, eines Volkes, welches ihre
Souveränität selbst vertritt. Dieses gesellschaftliche und politische Drama in einer Zeit der
Denker und einer Umwälzung in verschiedenen Bereichen, versuchte Georg Büchner in
seinem Drama „Dantons Tod“ zu resümieren, selbst nachzuempfinden und zu verstehen. Er
setzte sich dabei mit den historisch überlieferten Originalmanuskripten und Belegen aus jener
Zeit auseinander und wollte realitätsnah die Revolution rekonstruieren. Eine solche
Rekonstruktion und unterschiedliche Verstehensversuche unternahmen auch viele
Philosophen und politisch aktive Personen, so zum Beispiel Emmanuel Joseph Sieyès, der
sich selbst zu Zeiten der französischen Revolution engagierte und bedeutend als
Verfassungskonstrukteur ein- und mitwirkte. In diesem Kontext und im intertextualen Bezug
zwischen dem berühmten Pamphlet Sieyès „Was ist der Dritte Stand?“ und Büchners Drama,
sind Parallelen, sowie Paradoxa zu entdecken, die verstehen helfen und zum Mit- und
Weiterdenken anregen. Was steckt nun hinter den Begriffen ‚Volk’, ‚Souverän’, ‚Nation’ und
‚Körperschaft’? Dies möchte ich in meiner Arbeit versuchen zu verdeutlichen und zu
hinterleuchten. Durch widersprüchliche Äußerungen der verschiedenen kritischen
Publikationen, ist eine eindeutige Stellungnahme nicht zu realisieren.
Inhalt
Einleitung
1 Emmanuel Joseph Sieyè - sein Lebenslauf im historischen Kontext
2 "Was ist der Dritte Stand?"
2.1 Darstellung und Beurteilung des Dritten Standes
2.2 Die Nation als "Körperschaft"
3 Beweislage von Sieyès Schrift anhand ausgewählter Beispiele aus "Dantons Tod"
3.1 Erster Akt, zweite Szene
3.2 zweiter Akt, siebente Szene
4 Parasitismus - Ursachen, Hintergründe, philosophische Aspekte
5 Über die Aktualität des Problems eines Parasitismus
Fazit
Literatur
Einleitung
Die französische Revolution von 1789 als die Geburt der Nation, eines Volkes, welches ihre Souveränität selbst vertritt. Dieses gesellschaftliche und politische Drama in einer Zeit der Denker und einer Umwälzung in verschiedenen Bereichen, versuchte Georg Büchner in seinem Drama „Dantons Tod“ zu resümieren, selbst nachzuempfinden und zu verstehen. Er setzte sich dabei mit den historisch überlieferten Originalmanuskripten und Belegen aus jener Zeit auseinander und wollte realitätsnah die Revolution rekonstruieren. Eine solche Rekonstruktion und unterschiedliche Verstehensversuche unternahmen auch viele Philosophen und politisch aktive Personen, so zum Beispiel Emmanuel Joseph Sieyès, der sich selbst zu Zeiten der französischen Revolution engagierte und bedeutend als Verfassungskonstrukteur ein- und mitwirkte. In diesem Kontext und im intertextualen Bezug zwischen dem berühmten Pamphlet Sieyès „Was ist der Dritte Stand?“ und Büchners Drama, sind Parallelen, sowie Paradoxa zu entdecken, die verstehen helfen und zum Mit- und Weiterdenken anregen. Was steckt nun hinter den Begriffen ‚Volk’, ‚Souverän’, ‚Nation’ und ‚Körperschaft’? Dies möchte ich in meiner Arbeit versuchen zu verdeutlichen und zu hinterleuchten. Durch widersprüchliche Äußerungen der verschiedenen kritischen Publikationen, ist eine eindeutige Stellungnahme nicht zu realisieren. Die Forschung in diesem Bereich wird auch noch weiter betrieben. Immer neue Manuskripte und Indizien tauchen auf, de wiederum neue Interpretationen und Erörterungen zulassen und erschweren eine Aktualität und Korrektheit des Themas. Um die Schriften Sieyès zu verstehen, werde ich einführend dessen Lebenslauf im historischen Kontext darstellen und Hintergründe illuminieren. Auf dieser Basis wird dann direkt auf sein Pamphlet „Was ist der Dritte Stand?“ („Qu’est-ce que le Tiers-État?“) eingegangen und dabei seine Ansichten und Vorstellungen vorgestellt. Um auf die Intertextualität hinzuweisen, erfolgt dann ein Versuch, Sieyès Standpunkte an Büchners Drama „Dantons Tod“ zu belegen und die Verhältnisse während der französischen Revolution im gesellschaftlichen und politischen Sinne aufzuzeigen. Dabei wird ein Phänomen deutlich, welches als ‚Fremdkörper’ der Gesellschaft auszulöschen oder zumindest auszugrenzen sei: der Parasitismus. Um dieses Phänomen zu verstehen, werde ich darauf gesondert eingehen und diesen Sachverhalt von verschiedenen Seiten betrachten. Dabei muss jedoch auch auf die Aktualität dieses Themas aufmerksam gemacht werden. Somit wird diese Aktualität ebenso analysiert, mit der Philosophie Sieyès im Hintergrund.
1. Emmanuel Joseph Sieyès – sein Lebenslauf im historischen Kontext
Emmanuel Joseph Sieyès [1] wurde am 3. Mai 1748 als fünftes von sieben Kindern eines Steuereinnehmers und Postbeamten in Fréjus geboren. Das heißt, er stammte selbst aus dem ‚dritten Stand’. In Familien des mittleren Beamtentums war es seit jeher üblich, für seine Kinder ebenfalls eine angemessene Ausbildung und Karriere zu ermöglichen. 1765 verließ Sieyès seine Heimat und schloss sich dem Seminar von Saint Sulpice in Paris an, von der er später abwertend über die verheerenden Zustände schreibt. Mit dem Studium an der Sorbonne bis zum Jahre 1772, strömten alle geistigen Einflüsse der Zeit auf ihn ein und im selben Jahr fand seine Priesterweihe statt. Um seine weitere Karriere sichern zu können, hatte Sieyès seit 1775 Monseigneur de Lubersac [2] als Gönner, der ihn unterstützte und arbeitete für ihn als dessen Sekretär, ab 1780 sogar als sein Generalsekretär. Sieyès entschloss sich dann innerhalb des Klerus für eine administrative Orientierung und wurde schließlich Abgeordneter des Klerus in der Provinzialversammlung von Orléans. Die Spitzenpositionen sollten ihm jedoch untersagt bleiben, da diese nur mit der geistlichen Laufbahn erreichbar und ausschließlich dem Adel vorbehalten waren. Er interessierte sich ebenfalls, neben theologischen Bereichen, sehr für die politischen Probleme, die in Frankreich debattiert wurden und ließ im Sommer 1788 die Schrift „Vues sur les moyens d´execution dont les représentants de la France pourront disposer“ drucken. Die Veröffentlichung dieser verschob er allerdings auf das folgende Jahr. Im November 1788 verfasste er den „Essai sur les privilèges“ und sein erfolgreichstes Pamphlet „Qu’est-ce que le Tiers-État?“, welches im Januar 1789 publiziert wurde. Diese Schriften waren, mit ihrem großen Erfolg, ausschlaggebend dafür, dass Sieyès von den Pariser Wählern zum Deputierten des Dritten Standes bestimmt wurde. Er wurde somit sozusagen zum ‚Motor’ der Vereinigung der Stände bei den Generalständen und verfasste den Ballhausschwur am 20. Juni 1789.[3] In der Sitzung vom 23. Juni 1789 verabschiedete Ludwig XVI. schließlich die Beschlüsse des Dritten Standes und befahl die Beratung nach den Ständen. Sieyès’ Aktivitäten während der Constituante[4] waren beachtlich. So legte er als Mitglied des Verfassungsausschusses das Fundament für die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte im Juli 1789 und wurde zur maßgeblichen Antriebskraft für die Einteilung Frankreichs in die einzelnen Départements. Nach 1791 schwand jedoch sein Einfluss. Er konnte seine Ideen zu einem Zweikammersystem, sowie zur Etablierung von Schwurgerichten im Zivilprozess nicht durchsetzen. Auch sein Engagement für den Erhalt des Zehnten blieb erfolglos. Nach der Schließung der Sitzungen der Constituante zog er sich zurück und eröffnete eine literarische Polemik gegen Thomas Paine, der für eine republikanische Regierungsform Partei ergriff, während Sieyès die konstitutionelle Monarchie verteidigte. 1792 wurde er in drei Départements zum Konvent gewählt: der Gironde, der Orne und der Sarthe. Als Mitglied des Comité d´instruction publique spielte er im Konvent jedoch eher die Rolle eines Zuschauers als die eines Akteurs. Im Prozess gegen den König stimmte er gegen die Befragung des Volkes und für dessen Hinrichtung. Während der Sitzung vom 10. November 1793 gab er schließlich sein Priestertum auf. Er ergriff allgemein im Konvent nur selten das Wort und hüllte sich während der revolutionären Umwälzungen komplett in Schweigen. Auch nach den Tagen des Thermidor blieb Sieyès stumm und weigerte sich, Mitglied des Komitees zu werden, das die neue Verfassung vorbereitete. Am 5. März 1795 wurde er zum Mitglied des neuen Wohlfahrtsausschusses bestimmt. Am 12. April wurde Sieyès zum Präsident des Konvents gewählt, lehnte jedoch die Amtsübernahme ab. In der Folgezeit wurde er in den Rat der 500 bestimmt, in dem er das Direktoriumssystem als Regierungsform entwickelte, weigerte sich aber weiterhin, die ihm angetragene Funktion eines Direktors zu übernehmen. Am 16. Mai 1799 trat er schließlich doch ins Direktorium ein, nachdem er zum Nachfolger Reubells gewählt worden war. Er begann ein kompliziertes politisches Spiel zwischen Barras, Bonaparte und Bernadotte. Schließlich entschied er sich für Bonaparte. Die zwei Männer einigten sich, der Staatsstreich vom 18. Brumaire (9./10. November 1799) fand statt, und Sieyès wurde unmittelbar darauf, neben Bonaparte, der erste der drei provisorischen Konsuln, nachdem das Direktorium aufgelöst wurde. Jedoch bestimmte Bonaparte auf der Grundlage seiner Armee und seines wachsenden Ruhmes das politische Leben und verdrängte Sieyès ohne Schwierigkeiten. So kam es 1804 zur Selbstkrönung Napoleons zum Kaiser. Nach der zweiten Rückkehr der Bourbonen wurde Sieyès als Königsmörder geächtet. Er zog sich nach Brüssel zurück, wo er bis 1830 lebte, kehrte nach der Julirevolution (27.-29.07.1830) nach Paris zurück und starb dort im Alter von 88 Jahren am 20. Juni 1836.
2 "Was ist der Dritte Stand?"
2.1 Darstellung und Beurteilung des Dritten Standes
Im Jahre 1788, als die vorgeschlagene Wiedereinberufung der Generalstände die Öffentlichkeit erregte und Jacques Necker (frz. Finanzminister) Autoren einlud, deren Ansichten hinsichtlich der Konstitution der Stände vorzutragen, bekam Sieyès erstmals Gelegenheit, sein Pamphlet „Qu’est-ce que le Tiers État?“ (Was ist der Dritte Stand?) zu veröffentlichen. Ab dem Januar 1789 wurden dann etwa 30.000 Exemplare verkauft und erreichte somit über eine Million Leser. Seine Schrift wurde zudem teilweise vorgetragen, da der Großteil der damaligen Bevölkerung nicht lesen konnte. Aufgrund dessen galt dieses Pamphlet als erfolgreichste Schrift aller Zeiten. Zu Zeiten der Aufklärung beschäftigte sich Sieyès besonders mit dem Sinn der Geschichte und sah diesen im Fortschritt der Menschheit. Durch seine Reisen nach Ägypten und Indien kam er zu dem Schluss, dass diese Hierarchie-Formen, nach denen sich viele Revolutionäre richteten, für Europa nicht akzeptabel seien, da in diesen Zivilisationsformen kein besonders großes Interesse für einen Fortschritt herrschte und diese somit kein Vorbild für Frankreich sein konnten[5]. Warum vertrat Sieyès aber nun die Meinung, gerade den Dritten Stand einen mitbestimmenden Einfluss in der französischen Regierung zukommen zu lassen? Begründungen und Abwägungen bringt er in seinem Pamphlet vor. Somit stellt er gleich zu Anfang drei Fragen und gibt sogleich prägnante Antworten dazu: 1. „Was ist der dritte Stand? Alles.“
2. „Was ist er bis jetzt in der staatlichen Ordnung gewesen? Nichts.“
3. „Was verlangt er? Etwas darin zu werden.“[6]
Um zu zeigen, wie man zu diesem Ziel gelangt, gibt Sieyès dann folgende Punkte in seinem Werk mit an: 4. „Was zu seinen Gunsten die Minister versucht haben und was die
Privilegierten vorschlagen.“
5. „Was man hätte tun sollen.“
6. „Endlich, was dem Dritten Stand zu tun übrig bleibt, um den Platz
einzunehmen, der ihm gebührt.“[7]
Im folgenden ersten Kapitel behandelt Sieyès nun gleich einführend die These ‚Der Dritte Stand ist eine vollständige Nation’. Er verdeutlicht, dass für den Unterhalt und das Wohl der Nation, private (Landwirtschaft etc.) und öffentliche (Kirche, Verwaltung, Armee,…) Arbeiten erforderlich wären. Diese Arbeiten, die die Gesellschaft erhalten, werden jedoch vom Dritten Stand verrichtet. Sieyès macht ebenfalls in seiner Schrift darauf aufmerksam, dass alle „ehrenvollen Stellen“ von Mitgliedern des privilegierten Standes besetzt wären, also dem Adel und geistlichen Klerus vorbehalten sind. Der Dritte Stand wurde bis dahin vollkommen ausgeschlossen. Sieyès bezeichnet diese Tatsache als Beleidigung, ein „gesellschaftliches Verbrechen“ und eine „Feindseligkeit gegen den Dritten Stand“[8]. Nach Sieyès besitze der Dritte Stand alles, was notwendig wäre, um eine vollständige Nation bilden zu können und metaphorisiert ihn als einen „starken und kraftvollen Mann, dessen Arm noch angekettet ist“[9]. Der Dritte Stand ist für Sieyès alles, würde aber behindert und unterdrückt. Wenn der privilegierte Stand nun wegfiele, wäre er immer noch alles, aber dann ein „freies, blühendes Alles“[10]. Der Adelsstand gehöre nicht in die gesellschaftliche Organisation, wäre kein Teil der Nation, sondern eher eine Last für sie und tritt durch seine Vorrechte und Privilegien aus der gemeinsamen Ordnung und dem gemeinschaftlichen Gesetz heraus. Die Geistlichkeit sieht Sieyès jedoch als eine Klasse, die ein öffentliches Amt verrichtet, also mehr einem Beruf, als einem Stand gleiche und gehöre damit zur gesellschaftlichen Ordnung. Zusammenfassend formuliert er am Ende des ersten Kapitels folgende Aussage:
„Der Dritte Stand umfasst alles, was zur Nation gehört. Und alles, was nicht der Dritte Stand ist, kann sich nicht als ein Bestandteil der Nation betrachten.“[11] Damit zeigt er erneut seinen Standpunkt, wen er in seine Vorstellung einer Nation einschließt und wer davon ausgeschlossen wird.
[...]
[1] Die Schreibweise seines Namens variiert in der Geschichtsschreibung. Er wird vielfach „Sieyès“ und
gelegentlich auch „Siéyès“ geschrieben. Seine Entwürfe während der Zeit der französischen
Verfassungsgebung zeichnete er selbst mit „Siéyes“
[2] de Lubersac war zunächst Bischof in Tréguier (Bretagne), dann in Chartres. Seit 1775 war Sieyès für ihn
persönlicher Sekretär, dann Kanoniker, in Chartres war er Generalvikar und schließlich Kanzler des
Domkapitels.
[3] Im Ballhaus von Versailles wurde von der Nationalversammlung beschlossen, dass diese sich nicht eher
Trennen wollte, bis Frankreich eine Verfassung hatte.
[4] Die ‘Constituant’ bezeichnet die konstitutionelle Verfassung Frankreichs, an der Sieyès maßgeblich beteiligt
war
[5] aus: Dann, Otto: Emmanuel Joseph Sieyes – Was ist der Dritte Stand?, Reimar Hobbing, Essen, 1988, S. 32
[6] aus: Meinecke, Friedrich und Oncken, Hermann: Emmanuel Sieyès – Was ist der dritte Stand?,
Reimar Hobbing, Berlin, 1924, S. 35
[7] aus: Dann, Otto: Emmanuel Joseph Sieyes – Was ist der Dritte Stand?, Reimar Hobbing, Essen, 1988, S. 29
[8] ebd., S. 31
[9] ebd., S. 32
[10] ebd., S. 32
[11] ebd., S. 34
- Arbeit zitieren
- Mathias Seeling (Autor:in), 2005, Georg Büchners 'Dantons Tod' - eine intertextuale Betrachtung mit Sieyès, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53003
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