Eine Gefahrensituation kann in jedem Gebäude entstehen. Dies geschieht meist ohne Vorankündigung und führt zu einem plötzlichen Evakuierungsstrom der bedrohten Personen. Mit Hilfe von Evakuierungsmodellen kann dieser Prozess simuliert und die Stau- und Durchflussdauern eines solchen Personenstromes bestimmt werden.
Ein noch heute von Fachleuten häufig angewandtes Evakuierungsmodell ist in den 70er Jahren von den zwei russischen Wissenschaftlern W. M. Predtetschenski und A. I. Milinski entwickelt worden. Mit Hilfe dieses Verfahrens ist es möglich, gestützt auf empirisches Datenmaterial, die Entwicklung eines Personenstromes im Verlauf eines Rettungsweges mit Hilfe von definierten Bewegungsparametern zu beschreiben. Dabei wird nicht auf Mittelwerte zurückgegriffen, sondern jeder Wegabschnitt je nach Art und Beschaffenheit mit eigenen Bewegungsparametern belegt.
Ziel dieser Studienarbeit ist die Beschreibung dieses komplexen Evakuierungsmodells und die Erleichterung der Anwendung auf eine Vielzahl von Rettungswegen in Bauwerken verschiedenster Art durch die Erstellung einer Berechnungsdatei in Microsoft® Excel 2000.
Zunächst werden die Hauptgruppen der ingenieurmäßigen Evakuierungsmodelle kurz vorgestellt, gefolgt von der Einordnung des Evakuierungsmodells nach Predtetschenski und Milinski in die beschriebenen Gruppen. In dem darauf folgenden Kapitel erfolgt die Darstellung ausgewählter Inhalte des Berechnungsverfahrens. Dabei werden die Aspekte des Modells beschrieben, die in der Berechungsdatei Berücksichtigung finden. Das vierte Kapitel dieser Studienarbeit beinhaltet Erläuterungen zu der Berechnungsdatei „Implexc“, die das Ergebnis derImplementierungin Microsoft® Excel 2000 ist. Nach den Ausführungen zur Nutzbarkeit und zum Aufbau werden Ein- und Ausgabeoptionen beschrieben. Weiterhin werden Erweiterungsmöglichkeiten und Berechnungsgrenzen aufgezeigt, die als Ansatzpunkte für eine mögliche an diese Arbeit anschließende Bearbeitung dienen könnten. Ein Fazit, in dem die wesentlichen Erkenntnisse der Arbeit zusammengefasst und bewertet werden und ein Ausblick auf mögliche zukünftige Entwicklungen schließen diese Studienarbeit ab.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Evakuierungsmodelle
2.1 Rechnerische Verfahren zur Ermittlung von Evakuierungszeiten
3. Grundlagen des Evakuierungsmodells nach Predtetschenski und Milinski
3.1 Grundlagen der Bewegung von Personen in Gebäuden
3.2 Bewegungsarten
3.3 Bewegungsbedingungen
3.3.1 Normale Bedingungen
3.3.2 Komfortable Bedingungen
3.3.3 Gefahrenbedingungen
3.4 Projektionsfläche
3.5 Struktur von Personenströmen
3.6 Wegarten und Übergänge
3.7 Sonderfälle der Bewegung von Personenströmen
3.8 Bewegungsparameter
3.8.1 Dichte
3.8.2 Bewegungsgeschwindigkeit
3.8.3 Durchlassfähigkeit und Bewegungsintensität
3.8.4 Zusammenhang zwischen den beschriebenen Parametern
3.9 Personenstauungen
3.10 Vereinigung von Personenströmen
4. Implementierung in Microsoft® Excel
4.1 Voraussetzungen für die Anwendung
4.2 Aufbau
4.3 Eingabe
4.3.1 Eingabe für die Berechnung einzelner Ströme
4.3.2 Eingabe für die Berechnung der Vereinigung von Strömen
4.4 Berechnung
4.4.1 Berechnung einzelner Ströme
4.4.2 Berechnung der Vereinigung von Strömen
4.5 Ausgabe
4.5.1 Graphische Darstellung
4.5.2 Wertetabelle
4.6 Erweiterungsmöglichkeiten
4.7 Berechnungsgrenzen
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 3-1: Projektionsfläche des Menschen
Abbildung 3-2: Struktur eines Personenstromes
Abbildung 3-3: Kombinationen aufeinander folgender Abschnitte im Verlauf eines Rettungsweges
Abbildung 3-4: Bewegungsgeschwindigkeit in Abhängigkeit von Dichte und Wegart
Abbildung 3-5: Bewegungsgeschwindigkeit auf horizontalen Wegen in Abhängigkeit von Dichte und Bewegungsbedingung
Abbildung 3-6: Bewegungsintensität unter Normalbedingungen in Abhängigkeit von Dichte und Wegart
Abbildung 4-1: Aufbau der Berechnungsdatei „Implexc“
Abbildung 4-2: Auszug aus dem Arbeitsblatt „Berechnung einzelner Ströme“
Abbildung 4-3: Geometrien von Vereinigungen von zwei und drei Strömen
Abbildung 4-4: Diagramm zur Vereinigung von zwei Strömen
Tabellenverzeichnis
Tabelle 3-1: Projektionsfläche in Abhängigkeit von Alter, Bekleidung und Gepäck der Person
Tabelle 3-2: Werte für Zwischenraum Δb
Tabelle 4-1: Richtwerte für Reaktionszeiten abhängig vom Gebäudetyp, von der Art des Warnsystems sowie der Vertrautheit mit dem Gebäude
Tabelle 4-2: Richtwerte für Reaktionszeiten abhängig von der Art des Warnsystems sowie durchgeführter Evakuierungsübungen
Tabelle 4-3: Berechnungsschritte für die Berechnung einzelner Ströme
Tabelle 4-4: Berechnungsschritte für die Berechnung der Vereinigung von Strömen
1. Einleitung
Eine Gefahrensituation kann in jedem Gebäude entstehen. Dies geschieht meist ohne Vorankündigung und führt zu einem plötzlichen Evakuierungsstrom der bedrohten Personen. Mit Hilfe von Evakuierungsmodellen kann dieser Prozess simuliert und die Stau- und Durchflussdauern eines solchen Personenstromes bestimmt werden.
Ein noch heute von Fachleuten häufig angewandtes Evakuierungsmodell ist in den 70er Jahren von den zwei russischen Wissenschaftlern W. M. Predtetschenski und A. I. Milinski entwickelt worden. Mit Hilfe dieses Verfahrens ist es möglich, gestützt auf empirisches Datenmaterial, die Entwicklung eines Personenstromes im Verlauf eines Rettungsweges mit Hilfe von definierten Bewegungsparametern zu beschreiben. Dabei wird nicht auf Mittelwerte zurückgegriffen, sondern jeder Wegabschnitt je nach Art und Beschaffenheit mit eigenen Bewegungsparametern belegt.
Ziel dieser Studienarbeit ist die Beschreibung dieses komplexen Evakuierungsmodells und die Erleichterung der Anwendung auf eine Vielzahl von Rettungswegen in Bauwerken verschiedenster Art durch die Erstellung einer Berechnungsdatei in Microsoft® Excel 2000.
Zunächst werden die Hauptgruppen der ingenieurmäßigen Evakuierungsmodelle kurz vorgestellt, gefolgt von der Einordnung des Evakuierungsmodells nach Predtetschenski und Milinski in die beschriebenen Gruppen. In dem darauf folgenden Kapitel erfolgt die Darstellung ausgewählter Inhalte des Berechnungsverfahrens. Dabei werden die Aspekte des Modells beschrieben, die in der Berechungsdatei Berücksichtigung finden. Das vierte Kapitel dieser Studienarbeit beinhaltet Erläuterungen zu der Berechnungsdatei „Implexc“, die das Ergebnis der Impl ementierung in Microsoft® Exc el 2000 ist. Nach den Ausführungen zur Nutzbarkeit und zum Aufbau werden Ein- und Ausgabeoptionen beschrieben. Weiterhin werden Erweiterungsmöglichkeiten und Berechnungsgrenzen aufgezeigt, die als Ansatzpunkte für eine mögliche an diese Arbeit anschließende Bearbeitung dienen könnten. Ein Fazit, in dem die wesentlichen Erkenntnisse der Arbeit zusammengefasst und bewertet werden und ein Ausblick auf mögliche zukünftige Entwicklungen schließen diese Studienarbeit ab.
2. Evakuierungsmodelle
Evakuierungsmodelle geben Aufschluss über den Verlauf und die Dauer einer Evakuierung und bringen sowohl die bauliche Situation des Gebäudes als auch die Eigenschaften der sich in den Gebäuden befindlichen Menschen zusammen. Mit Hilfe der Evakuierungsberechnungen wird für den Einzelfall eine Beurteilungsgrundlage für die Planung und Dimensionierung von Flucht- und Rettungswegen gegeben.
Ingenieurmäßige Evakuierungsmodelle gründen auf unterschiedlichen Ansätzen, die sich in drei Gruppen einteilen lassen. In diesem Kapitel werden diese Gruppen dargestellt und das Verfahren nach Predtetschenski und Milinski zugeordnet.
2.1 Rechnerische Verfahren zur Ermittlung von Evakuierungszeiten
Es lassen sich die folgenden drei Hauptgruppen für Evakuierungsmodelle unterscheiden:
- empirisch abgeleitete Relationen zur Kapazitätsanalyse,
- hydraulische Modelle (Strömungsmodelle), inklusive Netzwerkmodelle und
- Individualmodelle.
Zu der ersten Gruppe gehören Relationen, welche die Kapazität einer Engstelle, einer Treppe oder eines Flures beschreiben. Als übliches Maß für die Kapazität gilt die maximale Anzahl der Personen, die pro Zeiteinheit einen Wegabschnitt mit definierter Breite passieren können. Für einen Wegabschnitt erhält man den maximal möglichen Personenstrom durch die Multiplikation dieser Größe mit der Breite dieses Wegabschnitts. Die Kapazität wird empirischen Daten zugrunde gelegt. Da das Datenmaterial aufgrund individueller Eigenschaften der Probanden stark streut, sind eindeutige Zusammenhänge nur bedingt ableitbar. Besonders im Falle der Vereinigung und des Aufteilens von Personenströmen ergeben sich mit diesem Verfahren Probleme bei der Auswertung.[1]
Komplexe Evakuierungsszenarien lassen sich mit Hilfe von hydraulischen Modellen (Strömungsmodellen) bestimmen. Dazu zählen erweiterte Kapazitätsanalysen, die weiterhin per Handrechnung durchgeführt werden, sowie rechnergestützte Netzwerkmodelle. Die zu evakuierenden Personen werden als kompressibles fluides Medium betrachtet, welches durch ein fiktives Leitungssystem „fließt“. Dieses wird durch die Rettungswege eines Gebäudes dargestellt. Die Zusammenhänge zwischen Bewegungsgeschwindigkeit und Personendichte werden auch bei diesen Verfahren aus empirischem Datenmaterial abgeleitet.[2]
Im Gegensatz dazu wird in den so genannten Individualmodellen jede Person als eigenständiges mobiles Individuum betrachtet, auch wenn sich diese in einem Personenstrom bewegt. Die Personen bekommen je nach Anwendungsfall individuelle Merkmale zugeschrieben, welche statistisch verteilt werden. Dies sind sowohl physische Eigenschaften wie z.B. Geschlecht, Bewegungsgeschwindigkeit und Körpergröße als auch psychische Merkmale, die als Verhaltensmuster festgelegt werden. Anstelle der empirischen Relationen beeinflussen diese Merkmale maßgeblich den Ablauf der Evakuierung.[3]
Das Verfahren nach Predtetschenski und Milinski ist in die hydraulischen Modelle einzureihen. Bewegungsparameter werden in Abhängigkeit von der Personendichte aus Modellversuchen ermittelt. Nachfolgend werden die Grundzüge des Evakuierungsmodells beschrieben.
3. Grundlagen des Evakuierungsmodells nach Predtetschenski und Milinski
In diesem Kapitel werden die theoretischen Grundlagen des Berechnungsverfahrens zusammengefasst erläutert. Beginnend mit allgemeinen Angaben über die Bewegung des Menschen werden die grundlegenden Annahmen und die mathematischen Zusammenhänge beschrieben, um für die daran anschließende Implementierung des Modells in die Berechnungsdatei „Implexc“ das nötige grundlegende Verständnis zu vermitteln.
3.1 Grundlagen der Bewegung von Personen in Gebäuden
Alle zu einer Einheit gehörenden Räume bilden in ihrer Gesamtheit das Gebäude. Die Räume werden untereinander durch so genannte Kommunikationsräume verbunden. Zu den Kommunikationsräumen, auch Verbindungsräume genannt, zählen unter anderem Korridore, Treppen, Wandelgänge, Foyers und Vestibüle (Vorhallen).[4] Gebäude und Einrichtungen müssen an die vorgesehene Nutzung angepasst werden. Dabei gilt es grundsätzlich gesellschaftliche und persönliche Funktionen der Menschen zu berücksichtigen.
Jeder Raum dient der Erfüllung einer oder mehrerer Funktionen, die je nach Wichtigkeit in Haupt- und Nebenfunktionen eingeteilt werden. Zu den Funktionen eines Gebäudes gehören:
- geistige Arbeit,
- Lern- und Sportbetätigung,
- Nahrungsaufnahme,
- Prozesse der persönlichen Hygiene,
- kulturelle Betätigung,
- Erholung und Schlafen,
- gesellschaftliche Versammlungen und
- Fortbewegung.[5]
Der letzte Punkt der Aufzählung beinhaltet die Bewegung des Menschen in und zwischen Räumen. Die Bewegung gehört als Nebenfunktion zu jedem funktionellen Prozess. In der Mehrzahl der Kommunikations- und Verbindungsräume ist sie auch die Hauptfunktion. Die Bewegungsflächen nehmen in einem Gebäude einen nicht unerheblichen Anteil der Gesamtfläche ein. Dieser kann bis zu 30 % betragen. Deshalb hat die Wahl der Abmessungen von Fluren und Wegen auch eine ökonomische Bedeutung. Der für die Bewegung benötigte Platz wird aus Kostengründen möglichst gering gehalten, sollte aber für eine gewisse Annehmlichkeit der Bewegung ausreichend dimensioniert werden. Es müssen insbesondere Verdichtungen des Personenstromes vermieden werden, welche zu unangenehmen Bewegungsstockungen führen. Auch für eine mögliche Evakuierung sollte der notwendige Platz vorhanden sein, da in einer Gefahrensituation die Kommunikations- und Verbindungsräume zu Flucht- und Evakuierungswegen werden. Verdichtungen und Stockungen werden sich jedoch bei größeren Personenzahlen und in Notfallsituationen nicht vermeiden lassen.[6]
3.2 Bewegungsarten
Es gibt zwei Hauptarten der Bewegung. Ist nur eine geringe Anzahl von Personen an dem Bewegungsstrom beteiligt, so spricht man von einer Einzelbewegung. Diese Bewegung entspricht zum Beispiel der Bewegung in Wohnungen. Die Einzelbewegung bleibt in dem Evakuierungsmodell unberücksichtigt, da es zu keinen Problemen im Laufe der Bewegung, wie z.B. Stauungen, kommt. Wichtig für die Evakuierungsberechnung ist jedoch die Massenbewegung, die durch die gleichzeitige Bewegung einer großen Menschenmenge in einer Richtung auf einer begrenzten Fläche charakterisiert ist. Die Massenbewegung wird dabei durch folgende Bewegungsarten weiter unterteilt:
- die ungerichtete Bewegung,
- die gerichtete Bewegung,
- die übereinstimmende Bewegung,
- die nicht übereinstimmende Bewegung,
- die freie Bewegung,
- die eingeschränkte Bewegung,
- die langandauernde Bewegung und
- die kurzzeitige Bewegung.
Für die Bewegung von Menschen in Gebäuden lassen sich aus diesen Bewegungsarten drei Grundarten kombinieren, die alle typischen Fälle einschließen.
- Massenbewegung, nicht übereinstimmend, gerichtet, eingeschränkt (oder frei), kurzfristig und unter normalen Bedingungen stattfindend,
- die gleiche Bewegung unter Gefahrenbedingungen und
- Massenbewegung, nicht übereinstimmend, gerichtet, eingeschränkt (oder frei), aber langandauernd und unter normalen Bedingungen stattfindend.
Die ungerichtete Bewegung muss gleichzeitig eine freie Bewegung sein, da sie nur bei kleinen Dichten möglich ist. Die freie Bewegung kann auch eine Bewegung in einem Strom sein, allerdings nur, wenn dieser kleine Dichten aufweist. Eine gerichtete und freie Bewegung kann bei höheren Dichten erfolgen als eine ungerichtete. Herrscht eine Gefahrenbedingung, so sollte eine Bewegung möglichst nicht langandauernd sein.[7]
3.3 Bewegungsbedingungen
Die Bewegungen können schließlich auch nach den Bedingungen, durch die sie hervorgerufen werden, unterschieden werden. Es wird zwischen Gefahrenbedingung, Normalbedingung und komfortabler Bedingung unterschieden, wobei Letztere einen Sonderfall der Normalbedingung darstellt.[8]
3.3.1 Normale Bedingungen
Unter Normalbedingungen läuft die Bewegung gleichförmig ab. Die Personen hindern sich auch bei größeren Dichten nicht, da sie unter keinem Zeitdruck stehen. Die Personen streben gezielt, jedoch nicht übereilt ein örtliches Ziel an. Falls unter normalen Bedingungen jemand stürzt, hat dies nur kurzzeitige, lokale Auswirkungen, behindert jedoch nicht den gesamten Strom.[9]
3.3.2 Komfortable Bedingungen
Die komfortablen Bedingungen sind dadurch gekennzeichnet, dass die Geschwindigkeit der Bewegung unbedeutend klein ist. Die Personen bewegen sich ohne Hast und gegenseitige Behinderung, da sie kein Ziel verfolgen. Als Beispiel wäre ein Spaziergang durch einen Park oder das Durchwandeln eines Museums zu nennen.[10]
3.3.3 Gefahrenbedingungen
Eine Gefahrensituation entsteht durch das Ändern äußerer Umstände, wie etwa durch einen Brandausbruch, Erdstöße oder Beschädigungen an technologischen Einrichtungen.[11] Unter Gefahrenbedingungen spielt der psychologische Faktor zusätzlich eine Rolle. Es kommt aufgrund der erhöhten nervlichen Erregung der betroffenen Personen zu einer hohen Bewegungsintensität. Durch den Wunsch des schnellen Entkommens aus dem Gefahrenbereich erhöht sich die Bewegungsgeschwindigkeit. Die Bewegungen werden durch den gleichen psychologischen Impuls besser aufeinander abgestimmt, wodurch eine höhere Bewegungsgeschwindigkeit möglich wird.[12] Die nervliche Belastung der Personen wird durch Stauungen und schlecht einsehbare folgende Wegabschnitte vergrößert. Dies gilt es durch ausreichend groß bemessene Verkehrswege zu verhindern.[13]
Eine direkte Beobachtung von Bewegungen unter Gefahrenbedingungen ist nicht möglich. Um Testpersonen nicht zu gefährden, können z.B. die bei einem Brand verströmenden Brandgase im Versuch nicht eingesetzt werden. Auch die echte nervliche Belastung kann nicht in einem Versuch erfasst werden. Daher bleiben die nervliche Belastung und eine eventuelle Steigerung zu einer Panik als nicht berechenbar unberücksichtigt.[14] Es muss also auf eine Extrapolation der Werte unter Normalbedingungen zurückgegriffen oder mit angenäherten Gefahrenbedingungen gearbeitet werden.[15]
Im Verlauf eines Rettungsweges kann sich die Bewegungsgeschwindigkeit der Personen ändern. In der Nähe des Gefahrenursprungs wird sie am größten sein und danach stufenweise abnehmen. In einer gewissen Entfernung können die Bewegungen dann wieder als „normal“ angesehen werden. Im Falle eines Erdbebens hingegen kann man davon ausgehen, dass die Bewegungsgeschwindigkeit der Menschen konstant bleibt, da es keinen definierten Gefahrenursprung gibt.[16]
3.4 Projektionsfläche
Um die Fläche zu beschreiben, die eine Person im Berechnungsmodell einnimmt, wird die so genannte Projektionsfläche f bestimmt. Diese ist abhängig von dem physischen Aufbau, dem Alter, der Bekleidung und der Art und Menge des mitgeführten Gepäcks der Personen. Dabei wird eine Ellipse als senkrechte Projektion angenommen. Die eine Achse dieser Ellipse entspricht der Breite der Schultern, die andere der Dicke in Höhe der Brust.[17] Die tatsächliche Projektion des Menschen auf Höhe der Brust weicht nur geringfügig von der angenommenen Ellipse ab. Für die Schulterbreite einer aufrecht stehenden Person wird ein durchschnittlicher Wert von 50 cm angenommen und für die Brustdicke ein Wert von 30 cm.[18]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3-1: Projektionsfläche des Menschen
Je nach Bekleidung und Gepäck vergrößert sich die Projektionsfläche, wobei Überschneidungen abgezogen werden.[19]
Die folgende Tabelle zeigt die Werte für die Projektionsflächen f auf Grundlage von Messungen in Abhängigkeit von Alter, Bekleidung und Art des mitgeführten Gepäcks.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 3-1: Projektionsfläche in Abhängigkeit von Alter, Bekleidung und Gepäck der Person[20]
3.5 Struktur von Personenströmen
Unter Normalbedingungen ist bei Personenströmen eine Struktur zu erkennen, die der Form einer Zigarre ähnelt. Dies entsteht dadurch, dass sich am Kopf- und Fußteil des Stromes eine kleine Menge an Personen mit einer größeren bzw. geringeren Geschwindigkeit als der Hauptteil der Personen fortbewegt. Unter Gefahrenbedingungen kommt es jedoch zu einer deutlichen Streckung des Stromes. Diesen Effekt und die daraus folgende stufenweise Veränderung der Dichte gilt es unbedingt zu berücksichtigen.[21]
Ein Strom wird durch die Länge lStrom und die Breite b beschrieben. Die Abbildung 3-2 zeigt die Struktur eines Personenstromes.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3-2: Struktur eines Personenstromes[22]
Die Breite b des Wegabschnitts wird an den Rändern um einen Zwischenraum Δb verringert. Dieser Zwischenraum bildet sich aufgrund der Angst des Anstoßens an die begrenzenden Wände und Geländer aus. Die lichte Breite wird bei Fluren von Wand zu Wand gemessen. Bei Türen entspricht die lichte Breite der Türbreite in geöffneter Position. In der folgenden Tabelle 3-2 sind die Werte für die Zwischenräume in Abhängigkeit von den angrenzenden Elementen dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 3-2: Werte für Zwischenraum Δb[23]
Handläufe müssen nur dann berücksichtigt werden, wenn sie mehr als 6 cm in den Wegabschnitt ragen.[24] Durch das Zurückweichen von den Wänden wird die Stromdichte in der Mitte größer als an den Rändern sein. Diese Ungleichmäßigkeit hat oft zufälligen Charakter. Es bilden sich örtliche Verdichtungen aus, die sich anschließend wieder auflösen. Dieser Umstand hat jedoch nur einen geringen Einfluss auf den gesamten Strom. Die Ungleichmäßigkeit der Dichte in Querrichtung bleibt daher unberücksichtigt und es wird ein Mittelwert der Dichte angenommen. Ebenso wenig finden die Zwischenräume Δb in diesem Evakuierungsmodell Berücksichtigung.[25]
3.6 Wegarten und Übergänge
Zeit und Charakter der Bewegung hängen von der Art des Weges ab.[26] Zusammenfassen lassen sich diese zu den folgenden vier Hauptarten:
- Horizontale Wege,
- Engstellen,
- Treppen aufwärts und
- Treppen abwärts.
Zu den horizontalen Wegen gehören Flure und Korridore mit einer Mindestbreite von 0,6 m. Diese Breite entspricht dem Platzbedarf eines Menschen unter Berücksichtigung geringer seitlicher Bewegungen beim Laufen.[27]
Als Engstellen bezeichnet man Türöffnungen und Verengungen durch architektonische oder technologische Vorsprünge. Die Weglänge einer Engstelle kann bei einer Länge bis zu 0,7 m vernachlässigt werden. Überschreitet die Länge dieses Maß, welches näherungsweise der Länge eines Schrittes entspricht, so wird die Engstelle als horizontaler Weg betrachtet.[28] Zu den geneigten Wegen gehören Treppen, die mit ihrer tatsächlichen Länge l nach der Formel
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Form der Treppe und die daraus folgende Anzahl der Wendungen auf Podesten und Zwischenpodesten haben keine Auswirkung auf die Geschwindigkeit und den Charakter der Bewegung.[30] Zur Vereinfachung werden Podeste und Zwischenpodeste mit zu den geneigten Wegen gezählt. Rampen werden bei Neigungen kleiner als 1:8 zu den horizontalen Wegen gerechnet. Sind die Neigungen größer werden sie wie Treppen behandelt.[31] Ein Rettungsweg setzt sich meist aus Wegabschnitten verschiedener Art und Breite zusammen. Die Übergänge zwischen diesen Wegabschnitten werden als Grenzen aufeinander folgender Abschnitte bezeichnet.[32]
Es gibt charakteristische Kombinationen aufeinander folgender Wegabschnitte, die in der folgenden Abbildung aufgeführt sind.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3-3: Kombinationen aufeinander folgender Abschnitte im Verlauf eines Rettungsweges[33]
Die Kombination von zwei Engstellen und die zwei möglichen Kombinationen von einer Treppe aufwärts und einer Treppe abwärts fehlen in dieser Aufstellung. Die Begründung dafür liegt in der Tatsache, dass das Auftreten dieser Kombinationen in der Realität unwahrscheinlich ist.
3.7 Sonderfälle der Bewegung von Personenströmen
Neben der Bewegung auf den oben genannten Wegarten gibt es Sonderfälle der Bewegung.
Zu diesen zählen Bewegungen
- auf Wegen mit veränderlicher Breite,
- auf Rolltreppen,
- um Ecken und durch Kurven,
-
- auf breiten Wegabschnitten mit begrenzter Länge,
- auf stark geneigten Wegabschnitte und
- durch Engstellen mit Auftreten einer Bogenbildung bei hohen Dichten.
Auf Wegen mit veränderlicher Breite nimmt die Dichte des Stromes bei einer stetigen Wegverengung zu. Bei einer Verbreiterung des Weges tritt das Gegenteil ein. Für die Berechnung wird der Weg in Abschnitte gleicher Länge mit der jeweils kleineren Breite eingeteilt. Für jeden dieser Abschnitte werden die Bewegungsparameter bestimmt.[34]
Bei der Bewegung auf Rolltreppen ist beim Übergang vom horizontalen Weg auf die Rolltreppe die Geschwindigkeit der Rolltreppe zu berücksichtigen. Diese ist im Gegensatz zu bisherigen Annahmen unabhängig von Dichte und Bewegungsintensität und wird als konstant angenommen. Außerdem ist ein Eingangsbereich zur Rolltreppe zu berücksichtigen.[35] Rolltreppen sollten in einer Evakuierungsberechnung wie normale unbewegliche Treppen berechnet werden, da ihre Funktionsfähigkeit in Gefahrensituationen nicht garantiert werden kann.[36]
Ecken und Kurven ergeben einen Sonderfall für die Bewegung, da es in deren Verlauf zu einer Neuverteilung der Bewegungsparameter kommt. Außerdem wird der Personenstrom insgesamt nach außen gedrückt. Dies geschieht durch die größere Dichte im Zentrum der Kurve, die Druck auf den äußeren Bereich mit geringerer Dichte ausübt. Diese Erscheinungen haben einen negativen Einfluss auf den Bewegungsprozess. Da das Durchlassvermögen jedoch konstant bleibt, werden Ecken und Kurven in der Berechnung nicht berücksichtigt.[37]
Ein Beispiel für die Bewegung durch einen breiten Wegabschnitt mit begrenzter Länge ist z.B. das Durchkreuzen eines Raumes oder Foyers mit Türen als Zu- und Ausgang. Weist ein Wegabschnitt eine bedeutend geringere Länge als Breite auf, so wird der Personenstrom nicht die gesamte Breite einnehmen. Der Strom verbreitert sich, behält über eine bestimmte Länge eine konstante Breite und verengt sich danach wieder bis zur Breite des Ausgangs. Bei geringen Längen folgt der Verbreitung direkt die Verengung.[38]
Stark geneigte Wegabschnitte sind als Treppen ausgeführt. Bei Treppen, deren Neigungen bis zu 1 : 1,75 zunimmt, nimmt die Bewegungsgeschwindigkeit bei gleich bleibender Dichte ab. Aus Untersuchungen ergibt sich ein so genannter Neigungskoeffizient, der die Bewegungsgeschwindigkeit entsprechend abmindert. Nach dieser Abminderung entsprechen die Werte der Bewegungsgeschwindigkeit unter Normalbedingungen annähernd den Werten der komfortablen Bedingungen und entsprechend die Werte unter Gefahrenbedingungen den Werten unter Normalbedingungen. Für Treppen mit Neigungen bis zu 1:1, wie sie bei Nottreppen auftreten, sollten bei Gefahrenbedingungen die Tabellenwerte der komfortablen Bewegung benutzt werden.[39]
Die Bogenbildung, auch Brücken- oder Gewölbebildung genannt, ist ein Prozess, bei dem sich ein entgegengesetzt zur Laufrichtung gewölbter Bogen aus Personen unmittelbar vor Ausgängen oder Wegeinengungen (in diesem Abschnitt als Öffnungen bezeichnet) ausbildet. Dieses Phänomen tritt meist bei hohen Dichten und unter Gefahrenbedingungen auf. Es handelt sich dabei um einen Spezialfall der Staubildung, der noch nicht vollkommen erforscht ist. Ein Grund dafür ist, dass nur Modelle ohne Personeneinsatz simuliert werden können, da für Testpersonen eine Gefahr für Leben und Gesundheit entstehen würde. Die Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer Bogenbildung ist theoretisch nicht vorhersehbar, da der Bewegungsablauf durch Öffnungen komplex und kompliziert ist. Es muss aber jederzeit mit einer Bogenbildung gerechnet werden. Die Zeitintervalle zwischen der Entstehung solcher Bögen sind dabei willkürlich, ebenso wie dessen Dauer des Bestehens. Ob es zur Ausbildung eines Bogens kommt ist hauptsächlich von folgenden Faktoren abhängig:
- der maximalen Dichte des Personenstromes unmittelbar vor der Öffnung,
- der Breite der Öffnung,
- dem Verhältnis Gang- bzw. Raumbreite zur Öffnungsbreite,
- der altersmäßigen und geschlechtlichen Zusammensetzung des Personenstromes,
- der konstruktiven Gestaltung der Öffnung und
- dem psychologischen Zustand der einzelnen Personen.[40]
[...]
[1] Vgl. Schneider, V. (2001), S. 246 f.
[2] Vgl. Schneider, U.; Oswald, M.; Lebeda, C. (2004), S. 11 f.
[3] Vgl. Schneider, V. (2001), S. 246 ff.
[4] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 17.
[5] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 13.
[6] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 20 ff.
[7] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 35 ff.
[8] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 37 f.
[9] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 37 f.
[10] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 38.
[11] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S 22.
[12] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 58.
[13] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 38.
[14] Vgl. Schneider, U.; Oswald, M.; Lebeda, C. (2004), S. 12.
[15] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 28.
[16] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 38 f.
[17] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 41.
[18] Vgl. Vogelbusch, F. (2002), 5-4.3, S. 2.
[19] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), Fußnote, S. 28.
[20] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 42.
[21] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 39 f.
[22] Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 39.
[23] Vgl. Schneider, U.; Oswald, M.; Lebeda, C. (2004), S. 12.
[24] Vgl. Schneider, U.; Oswald, M.; Lebeda, C. (2004), S. 12.
[25] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 40.
[26] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 22.
[27] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 42.
[28] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 44.
[29] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 43.
[30] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 209.
[31] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 44.
[32] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 68.
[33] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 69.
[34] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 141 ff.
[35] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 147 f.
[36] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 152.
[37] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 153.
[38] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 153 f.
[39] Vgl. Predtetschenski W. M. / Milinski A. I. (1971), S. 155.
[40] Vgl. Müller K. (1981), S. 8 ff.
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