Die Lage ist ruhig und scheinbar entspannt. Vorbei sind die Zeiten, in denen sich Naturwissenschaft und Theologie kämpferisch und gegenseitig die Richtigkeit ihrer Ansätze absprachen. Heute handele es sich viel mehr um ein Verhältnis „friedlichuninteressierter Koexistenz“ zweier Lager. Im Laufe der Geschichte ist die Wissenschaft zu einem immer wichtigeren Bestandteil unseres Lebens geworden. Schon seit den Anfängen der Wissenschaften durch Galilei, Keppler und Newton ist mit wissenschaftlichen Erkenntnissen eine zentrale Hoffnung verbunden: „Dies war vor allem eine grandiose Versprechung, die Ungewißheit der Weltläufe, die Unvorhersagbarkeit der künftigen Ereignisse durch Einsicht in die Naturgesetze zu überwinden, das, was sich ereignen könnte, berechenbar, das heißt vor allem vorausberechenbar und damit beherrschbar zu machen.“
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Aufstieg der Wissenschaften
2.1 Der Kampf mit der Kirche
2.2 Die Parole: Wissenschaft als Weltgesinnung
3. Das Dogma der Wissenschaften
3.1 Popularisierung der Wissenschaft
3.2 Ungetrübter Fortschrittsglaube
3.3 Szientismus – wenn Wissenschaft zur Ideologie wird
3.4 Wissenschaft als Irrweg?
4. Der Autoritätsverlust
4.1 Die Ambivalenz des Fortschritts
4.2 Der Wunsch nach Irrtumslosigkeit
4.3 Das Risiko des Nichtwissens
5. Auf dem Weg zu einer besseren Wissenschaft?
5.1 Der Umgang mit wissenschaftlichem Nichtwissen
5.2 Pluralisierung des Wissens
5.3 Wissenschaft im politischen Prozess
6. Gegenentwurf und Warnung: Kreationismus
6.2 Der alte Glaubensstreit heute
6.3 Geht es nicht ohne Wissenschaft?
7. Schlussbetrachtung
Bibliografie
1. Einleitung
Die Lage ist ruhig und scheinbar entspannt. Vorbei sind die Zeiten, in denen sich Naturwissenschaft und Theologie kämpferisch und gegenseitig die Richtigkeit ihrer Ansätze absprachen. Heute handele es sich viel mehr um ein Verhältnis „friedlich-uninteressierter Koexistenz“ (Römer, 1993, 15) zweier Lager. Im Laufe der Geschichte ist die Wissenschaft zu einem immer wichtigeren Bestandteil unseres Lebens geworden. Schon seit den Anfängen der Wissenschaften durch Galilei, Keppler und Newton ist mit wissenschaftlichen Erkenntnissen eine zentrale Hoffnung verbunden:
„Dies war vor allem eine grandiose Versprechung, die Ungewißheit der Weltläufe, die Unvorhersagbarkeit der künftigen Ereignisse durch Einsicht in die Naturgesetze zu überwinden, das, was sich ereignen könnte, berechenbar, das heißt vor allem vorausberechenbar und damit beherrschbar zu machen.“ (Markl, 1998, 173f)
Doch dann wurden die Kosten und Nebenwirkungen von Forschung und Fortschritt deutlich, und plötzlich wurden Physikern, Chemikern, Biologen, Ingenieuren und Informatikern die Auswirkungen ihrer wissenschaftlichen Arbeiten als verantwortungsloses Handeln vorgeworfen. (vgl. Schnakenberg, 1993, 29) In der Regel wurde aber versucht, diese Probleme wieder mit wissenschaftlich-technischen Mitteln zu lösen. Heute hat sich die Situation noch einmal verschärft, denn wir müssen „das „Risiko kontrollieren, dass wir möglicherweise nicht alle Risiken kennen“ (van den Daele, 180), die wissenschaftliche Erkenntnisse mit sich bringen. Dabei steht eins fest: Der Glaube an die Wissenschaft ist „immer noch eine Macht, die unser Denken prägt“ (Hemminger/ Hemminger, 1991, 238).
Die vorliegende Arbeit versucht aus der Retrospektive die Frage zu klären, welche Ansprüche von der Gesellschaft an die Wissenschaft gestellt werden und wie sich diese mit den Möglichkeiten der Wissenschaft vereinbaren lassen. Dabei geht es folglich darum, wie eine Gesellschaft mit wissenschaftlichen Erkenntnissen umgeht, beziehungsweise, mit ihnen umgehen sollte. Dazu werden sowohl die Eigenschaften der Wissenschaft beleuchtet, als auch ihre Grenzen aufgezeigt. Dies geschieht nicht im Rahmen eines gesonderten Kapitels, sondern dient als Leitgedanke um das Verhältnis der Wissenschaft zwischen „Ideologie und Irrtum“ zu bestimmen. Die Arbeit ist chronologisch aufgebaut, sie beginnt mit dem Kampf gegen die Kirche und endet mit einer Ausführung zur Wissenschaft in der Wissensgesellschaft. Abschließend soll anhand eines Beispiels verdeutlicht werden, wie sich das Verhältnis von Wissenschaft und Religion heute darstellt und was dieses bedeutet.
2. Der Aufstieg der Wissenschaft
2.1 Der Kampf mit der Kirche
Ein Blick in die Geschichte des Verhältnisses von Naturwissenschaft und Religion macht eines deutlich:
„Historisch gesehen ist das vorherrschende Verständnis der Beziehung von Naturwissenschaft und Religion dasjenige des Konflikts.“ (McGrath, 2001, 61)
Es wird die Auffassung vertreten, die Kirche „habe immer getan, was sie konnte, um die Entfaltung der Naturwissenschaft zu hemmen“ (Wildiers, 1981, 9).
Als Anfangspunkt dieses Konflikts wird gewöhnlich die Kontroverse um Galileo Galilei bezeichnet. (vgl. Heisenberg, 1981, 11) Dabei ist zu beachten, dass die Auseinandersetzung mit Galilei in die Zeit der Reformation fällt.
„Daher hatte sich in ihren [denen der Kirche, Anm. d. Verf.] Führungskreisen ein Reflex von Angst und Misstrauen gebildet, der sich gegen alles richtete, was nach Neuerung aussah und die traditionelle Lehre bedrohen konnte. Gebannt von der Angst vor neuen Schwierigkeiten, erblickte man in jeder neuen Idee eine potentielle Bedrohung für den Glauben und betrachtete jede Kritik an der Vergangenheit als verhängnisvoll.“ (Wildiers, 1981, 9)
Noch 80 Jahre vor Galilei hatte Kopernikus, der die gleiche heliozentrische Theorie vertrat, keine Probleme mit der Kirche. Da die Kirche in ihrer starren Haltung verharrte und ihren Irrtum nicht zugegeben hat, „ist der Fall Galilei zu einem Symbol geworden und wird noch heute als klassischer Beweis für die Feindschaft der Kirche der Naturwissenschaft gegenüber betrachtet“ (a.a.O., 10).
Die Angst vor Neuem ist damit kennzeichnend für die Haltung der Kirche geworden.
„Immer stand das Lehramt der Kirche allen neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zumindest reserviert, wenn nicht ablehnend gegenüber; immer meinte es, daß die Substanz der Offenbarung in Gefahr stünde.“ (Dolch, 1981, 136f.)
Dies wurde wieder deutlich beim Aufkommen der Entwicklungstheorie von Darwin. Als Darwin (1871) die Abstammung des Menschen von Tieren erklärte, fühlten christliche Kreise ihr Weltbild bedroht. (vgl. Reutterer, 1990, 73) „Die Arbeiten Darwins, […], wurden heftig bekämpft, und ihn selbst stellte man als eine Art Verbrecher dar.“ (Wildiers, 1981, 10)
Festzuhalten bleibt, dass die christlichen Kirchen zumeist als Hüterinnen der Tradition angesehen wurden, „als Gegnerinnen radikal neuer Ideen“ (McGrath, 2001, 68). Auf der anderen Seite wurden die Naturwissenschaften oft als radikal angesehen, gerade weil sie das überlieferte Wissen in Frage stellten. (vgl. a.a.O., 69)
„Als Nikolaus Kopernikus, Johannes Keppler und Galileo Galilei die Erde aus dem Zentrum stießen, war das nicht nur ein naturwissenschaftlicher Durchbruch. Es war der Umsturz eines Weltbildes und zugleich ein Zusammenprall zwischen einer neuen Methode des Erkenntnisgewinns auf der einen Seite und religiösen Traditionen und Doktrinen auf der anderen.“ (Vaas, 1999, 42)
2.2 Die Parole: Wissenschaft als Weltgesinnung
Es ist der große Gedanke der frühen Neuzeit gewesen, dass die Menschen besser leben können, wenn sie ihr Schicksal mit Technik verändern. Francis Bacon hat die Weltgesinnung begründet, auf der „das Zeitalter der Wissenschaft und des Fortschritts beruht“ (Wagner, 1970, 67). Er sagt, dass die Menschen die Natur erforschen müssen, um sie zu beherrschen. Wissen ist Macht und „sein Programm, die Welt durch neue Entdeckungen und Erfindungen zu bereichern zur Mehrung der Macht des Menschen und zur Erleichterung seines Lebens, blieb bis in unsere Zeit das Leitbild der Wissenschaftswelt“ (ebd.).
Die Technik wird als Befreiung des Menschen von den Zwängen der Natur gefeiert und jede technische Neuerung gilt als weiterer Fortschritt für die Verbesserung der menschlichen Lebenslage. (vgl. Ropohl, 2003, 16) Doch die Erwartung bestand auch darin, dass „Wissenschaft und Technik […], die Gerechtigkeit der Institutionen, den moralischen Fortschritt, mit einem Wort das Glück der Menschen befördern würden“ (Klems, 1988, 15f.).
Bacon wird damit zum „Propheten der Wissenschaftswelt“ (Wagner, 1970, 67) und das obwohl: „It was not that Bacon made any scientific discoveries of his own; he simply proclaimed the doctrine that science could save us“ (Cranston, 1985, 48 zitiert in: Sorell, 1991, 34.)
Allerdings herrscht bis heute Uneinigkeit darüber, inwieweit Bacon diese These tatsächlich vertreten hat. (vgl. Sorell, 1991, 35ff.)
3. Das Dogma der Wissenschaft
3.1 Popularisierung der Wissenschaft
Die Entstehung der neuzeitlichen Naturwissenschaft ging mit der allmählichen Ablösung des allgemeinen Bewusstseins von den dogmatisch-kirchlichen Bedingungen parallel. Dadurch „bildete sich eine neue Auffassung von Wirklichkeit.“ (Neubauer, 1972, 16) Während bis dahin „die Welt Gottes die eigentliche Wirklichkeit wahr“ (ebd.), weist uns heute die Wissenschaft den „Weg zur Erfassung der Wirklichkeit, mit der wir es im Leben zu tun haben“ (a.a.O., 15f.) Die Wissenschaft sei die ordnende Erkenntnisbemühung des Menschen, um mit der Lebenswirklichkeit fertig zu werden. (vgl. a.a.O., 16) Denn: „Wissenschaft legitimiert Wissen nicht mehr religiös oder durch Offenbarung, sondern durch Methode und ihre dauerhafte Befragung hinsichtlich ihrer Gültigkeit.“ (Böschen, 2003, 194)
Damit sind Wissenschaft und Technik „bestimmend für das Welt- und Lebensbewußtsein des modernen Menschen geworden“ (Neubauer, 1972, 16).
Doch erst durch Erfindungen wie die der Kernspaltung und die Errungenschaften der modernen Biologie und Medizin, der Molekularbiologie, Virologie oder der Genetik, wurden die Wissenschaften populär. Auch wenn deutlich wurde, dass sie meistens „im Dienste der Rüstung und der Vorbereitung kriegerischer Auseinandersetzungen stand“ (Hunger, 1980, 7). Der Glaube an die Wissenschaft aber blieb und schien sich sogar noch zu steigern. (vgl. ebd.) Doch nicht nur die wissenschaftlichen Entdeckungen haben zum Wissenschaftsglauben beigetragen:
„Dazu kam, dass die christlichen Konfessionen in der westlichen Welt in den letzten Jahrzehnten eine Periode der Schwäche und des inneren Zerfalls erlebten, wie ihn kaum jemand für möglich gehalten hätte. So wandten sich die Menschen vielfach der Wissenschaft als einer neuen Autorität zu, die – ähnlich wie manche Parteiideologen – eine Art Ersatzreligion zu bieten schien.“ (ebd.)
3.2 Ungetrübter Fortschrittsglaube
Diese Wissenschaftsgläubigkeit ist eng verbunden mit einem Fortschrittsglauben. Fortschritt soll der Idee nach vom „Schlechteren zum Besseren, von knappen zu immer reichlicheren Lebensmöglichkeiten führen“ (Tödt, 1983, 148). Die Wissenschaftsgläubigkeit begründete sich dabei auf die Exaktheit wissenschaftlicher Aussagen. (vgl. Hübner, 2002, 372) Die Ausdifferenzierung von wissenschaftlichen Feldern nach Disziplinen und Subdisziplinen führte dazu, dass wissenschaftliche Erkenntnisse mit besonderen Qualitätsmerkmalen ausgestattet wurden. (vgl. Böschen, 2003, 196) Dazu zählt vor allem die Objektivität. Dabei handelt es sich „um eine bestimmte Wissenschaftsauffassung (um nicht zu sagen ‚Ideologie’), die durch die bahnbrechenden und fortschreitenden Erfolge der Wissenschaft im gesellschaftlichen Bewusstsein Fuß fasste“ (ebd.). Im Anschluss wurden Prozesse der Validierung von Tatsachenfeststellungen verfeinert und die Kontexte weiter begrenzt, so dass die Wissenschaft ihren „Anspruch auf Qualität und auf Herrschaft über die Wahrheit“ (ebd.) weiter behaupten konnte. In diesem Klima nimmt die Rede vom Fortschritt „den Charakter einer säkularen Ersatzreligion an“ (Huber, 1983, 19).
„Gegen Rationalität oder gegen den Fortschritt sein zu wollen, ist heute für die meisten ebenso, als ob jemand einst gegen die göttliche Weltordnung protestiert hätte. “ (Hübner, 2002, 372)[1]
Dass, was die Wissenschaft den Menschen zeigt, wurde für sie zur Wirklichkeit (vgl. Hemminger/ Hemminger, 1991, 246) Denn sie „zeigt ihm Gesetze und Regeln, nach denen er sich richten muß, um die Welt zu beherrschen. Und nur das, was für die Herrschaft über die Natur wichtig ist, ist für ihn wirklich.“
Zum Wissenschaftsglauben gehört dabei auch, „daß man gleichzeitig über das Ganze der Welt, über letzte, große Lebensfragen reden und dabei ‚wissenschaftlich’ sein will“ (a.a.O., 240). Dies wirkt sich auch auf das Fortschrittsdenken aus:
„Charakteristisch für den neuen Fortschrittsglauben ist die These, dass die Fortschritte im gesellschaftlichen Zusammenleben der Menschen sich nach denselben Gesetzmäßigkeiten vollziehen, von denen auch die Natur bestimmt ist;….“ (Huber, 1983, 19f.)
Darauf baut auch der Szientismus auf.
3.3 Szientismus – wenn Wissenschaft zur Ideologie wird
Der Szientismus hat seinen Ursprung im 19. Jahrhundert und geht davon aus, das es möglich sei, so verlässliche und voraussagbare Erkenntnisse wie über Sterne und Atome auch über das Verhalten der Menschen machen zu können. Die Naturwissenschaften würden demnach eine „Methode liefern, mit der sich die Geheimnisse sowohl des menschlichen Herzens als auch des Werdegangs der Gesellschaft lüften lassen“ (Postman, 1991, 158). Und somit auch ihre Probleme lösen.
[...]
[1] Um eine zeitliche Einordnung dieses Zitates zu ermöglichen, sei angemerkt, das es sich hierbei um die 4. Auflage der „Kritik der wissenschaftlichen Vernunft handelt , einem unverändertem Nachdruck der
dritten Auflage von 1986.
- Arbeit zitieren
- Sonja Lindenberg (Autor:in), 2005, Geschichte der Wissenschaften. Von der Entstehung der Wissenschaften in Abgrenzung zur Religion bis heute., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/52544
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