Susan Sontag beschreibt ihre erste Berührung mit der Photographie als einschneidendes Ereignis ihrer Kindheit. Als die 12 jährige New Yorkerin Bilder aus dem KZ Auschwitz betrachtet, öffnet sich ihr eine Welt, die ihr zuvor völlig unbekannt war: „Mein Leben wurde gespalten in die Zeit, bevor ich die Bilder sah und in die Zeit seither. Es war eine Art Offenbarung, die mich in zwei Hälften riss.“
Photographie ist für Sontag ein Medium, das anders als Literatur oder Malerei im Kontext zur Moderne ein Symbol selbiger ist und die Zeit des 19. und 20. Jahrhunderts wiederspiegelt. In der Entwicklung der Photographie und der damit einhergehenden Wahrnehmung der Gegenwart zeichnet sich der geistige Zustand der westlichen Gesellschaft klar ab. In einem Interview aus dem Jahr 1978 bezeichnet Sontag die Photographie als „a distinctly modern activity. Not just because it was invented in what we call the modern age, but because it incorporates and is the vehicle of all sorts of modern attitudes and ways of perceiving.“
Im Folgenden beschäftigt sich diese Arbeit mit Susan Sontags Kritik an der Photographie und mit ihrer Motivation im Hinblick auf ihre politische Einstellung:
Welche Parallelen bestehen zwischen der Entwicklung des photographischen Sehens und einer Krise des Liberalismus der Nachkriegszeit? Welche Aspekte ihrer Argumentation stimmen mit der Theorie Walter Benjamins überein, der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Kunst im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit beschäftigt hatte? Worin liegen die Gründe für eine unterschiedliche Sicht der Dinge von Benjamin und Sontag?
Und wie und warum verändert sich Susan Sontags Ansicht gegen Ende ihres Schaffens?
Inhalt
I Einleitung und Fragestellung
II Kunst war gestern.
2.1 Das surrealistische Sehen des photographischen Auges
2.2 Konsum der Realität – eine Gefahr für den Liberalismus
2.3 Die Ästhetisierung der Politik – Walter Benjamin
2.4 Die Qualen anderer betrachten
III Schlussfolgerung
IV Literaturliste
I. Einleitung und Fragestellung
Susan Sontag beschreibt ihre erste Berührung mit der Photographie als einschneidendes Ereignis ihrer Kindheit. Als die 12 jährige New Yorkerin Bilder aus dem KZ Auschwitz betrachtet, öffnet sich ihr eine Welt, die ihr zuvor völlig unbekannt war: „Mein Leben wurde gespalten in die Zeit, bevor ich die Bilder sah und in die Zeit seither. Es war eine Art Offenbarung, die mich in zwei Hälften riss.“[1]
Photographie ist für Sontag ein Medium, das anders als Literatur oder Malerei im Kontext zur Moderne ein Symbol selbiger ist und die Zeit des 19. und 20. Jahrhunderts wiederspiegelt. In der Entwicklung der Photographie und der damit einhergehenden Wahrnehmung der Gegenwart zeichnet sich der geistige Zustand der westlichen Gesellschaft klar ab. In einem Interview aus dem Jahr 1978 bezeichnet Sontag die Photographie als „a distinctly modern activity. Not just because it was invented in what we call the modern age, but because it incorporates and is the vehicle of all sorts of modern attitudes and ways of perceiving.“[2]
Im Folgenden beschäftigt sich diese Arbeit mit Susan Sontags Kritik an der Photographie und mit ihrer Motivation im Hinblick auf ihre politische Einstellung:
Welche Parallelen bestehen zwischen der Entwicklung des photographischen Sehens und einer Krise des Liberalismus der Nachkriegszeit? Welche Aspekte ihrer Argumentation stimmen mit der Theorie Walter Benjamins überein, der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Kunst im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit beschäftigt hatte? Worin liegen die Gründe für eine unterschiedliche Sicht der Dinge von Benjamin und Sontag?
Und wie und warum verändert sich Susan Sontags Ansicht gegen Ende ihres Schaffens?
II. Kunst war gestern.
2.1 Das surrealistische Sehen des photographischen Auges
Seit der Erfindung der Photographie im Jahr 1839 haben Photographen es sich zur Aufgabe gemacht, Schönheit und Wahrheit in der Welt zu enthüllen und festzuhalten, in gewisser Weise Heuchelei aufzudecken und Unwissenheit zu bekämpfen. Der Photograph ist in dieser Frühphase ein reiner Beobachter, der nichts von sich selbst in das Produkt seines Schaffens einbringt. Die Kamera, die zwischen demjenigen, der den Auslöser betätigt und dem Objekt, welches sie festhält steht, gilt als Garant für die Wahrheit eines Photos. Keine künstlerische oder interpretatorische Motivation steht hinter dem Photographen, sondern lediglich sein Wunsch Wirklichkeit festzuhalten und deren Vergänglichkeit ein Stück weit aufzuheben – sei es die Vergänglichkeit eines Moments oder eines photographierten Objektes.
Das Wissen darüber, dass jedes Objekt unweigerlich der Vergänglichkeit unterworfen ist, macht die Photographie zu einem Engel des Todes, der uns unsere eigene Sterblichkeit in Erinnerung ruft. „Photography converts the whole world into a cemetery. Photographers, connoisseurs of beauty, are also – wittingly or unwittingly – the recording angels of death.“[3] Photographien sind Objekte der Melancholie, wie Sontag einen ihrer Essays in „On Photography“ überschreibt.
Photographien gelten weithin als Beweis für Erlebtes und gemachte Erfahrungen. Der Reisende, der Bilder aus fernen Ländern zurückbringt brüstet sich mit der Gewissheit an diesem oder jenem Ort gewesen zu sein. Er kann seine so in Besitz genommenen Erlebnisse in Form der Bilder „zu den Akten legen“.
Diese sind jedoch gerade nicht mit der Wirklichkeit identisch, sondern bilden eine zweite Erfahrungswelt, eine Kopie der Realität, die nur aus einer Aneinanderreihung der Erscheinungen der festgehaltenen Dinge besteht. Bedingt durch die Aufwertung des äußeren Scheins der diese Bilderwelt beherrscht, beschränkt sich im Umkehrschluss die Suche nach Erfahrung auf die Suche nach Fotogenem.
[...]
[1] S. Sontag, Über Photographie S. 24
[2] Liam Kennedy, Mind as Passion S. 88
[3] L. Kennedy, Mind as Passion S. 88
- Arbeit zitieren
- Miriam Bartosch (Autor:in), 2005, Susan Sontag - Das photographische Sehen und der Pluralismus der Moderne, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/52264
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