Diese Arbeit mit dem Titel "Zu G.W.F. Hegels "Jenaer Schriften"" enthält die Ausarbeitung folgender Klausurfragen (inklusive eines Literaturverzeichnisses):
- Erläuterung zur folgenden These Hegels: „das wahre Bedürfniß der Philosophie geht doch wohl auf nichts anders als darauf, von ihr und durch sie leben zu lernen.“;
- Inwiefern unterscheidet der frühe Hegel „Reflexion“ und „Spekulation“?;
- In welchem Verhältnis steht Hegels Begriff der Philosophie zum sogenannten „allgemeinen Menschenverstand“?;
Inhaltsverzeichnis
1. Erläutern Sie die folgende These Hegels: „das wahre Bedürfniß der Philosophie geht doch wohl auf nichts anders als darauf, von ihr und durch sie leben zu lernen.“1
2. Inwiefern unterscheidet der frühe Hegel „Reflexion“ und „Spekulation“?
3. In welchem Verhältnis steht Hegels Begriff der Philosophie zum sogenannten „allgemeinen Menschenverstand“?
Literaturverzeichnis
1. Erläutern Sie die folgende These Hegels: „das wahre Bedürfniß der Philosophie geht doch wohl auf nichts anders als darauf, von ihr und durch sie leben zu lernen.“.
2 Hegel meint hier, dass von und durch die Philosophie zu leben gelernt werden kann. Dies ist also bereits eine Antwort, eine Antwort auf die Fragen, was der Bezug der Philosophie zum Leben ist und welchen Mehrwert die Philosophie uns bieten kann. Die Philosophie ist für Hegel die Quelle der Vernunft. Die Vernunft und die Wahrheit zu finden, Vernunft gesehen als das Absolute, das Unabhängige, allumfassende Ganze im Gegensatz zum Individuellen und Besonderen ist das Ziel und zugleich auch der Weg. Um das zu erreichen, unterscheidet Hegel zwischen der Philosophie und dem Philosophieren, denn letzteres kann subjektiv betrieben werden, kann Scheinphilosophie sein und muss daher aufgehoben werden. Dieses Aufheben des subjektiven Besonderen ist ein (Denk-)Prozess, eine „Brükke“3 von der Subjektivität hinüber zu der Objektivität. Der Vorgang des Aufhebens, des Abstreifens besteht aus drei Schritten: Dem Negieren (lat. ‚negare‘), also dem Überwinden als erster Schritt, das Konservieren (lat. ‚conservare‘), also das Aufbewahren als zweiter Schritt und als dritter und letzter Schritt das Erheben (lat. ‚elevare‘) auf das objektive Niveau. Die Vernunft ist das Leben; das Leben wird erkannt, wenn die Vernunft erkannt wird und dies ist eine fortlaufende Bewegung. Die Vernunft, von Hegel auch als „absolutes Wesen“4 bezeichnet, ist also, genau wie das Leben, eine unendliche Bewegung, welche mit der Wissenschaft, der Entwicklung des Bildes der Idee beginnt (Logik, Metaphysik, Idealismus). Der zweite Schritt ist die Philosophie der Natur, in welcher die vorher entwickelte Idee realisiert und verwirklicht wird. Im dritten Schritt, der Philosophie des Geistes, wird die Idee zur Erkenntnis. Als vierter Schritt folgt die Philosophie der Religion und Kunst. In diesem Zwischenschritt findet durch die Anschauung Gottes eine Rückführung statt, welche es ermöglicht, als „freyes Volk“ unter vernünftigen Bedingungen zu existieren. Auch wenn dies der höchste Punkt in der Schrittfolge ist, endet die Bewegung hier nicht, sondern läuft immer weiter; dies geschieht nicht linear, sondern fortlaufend kreisend, sich an diversen Punkten kreuzend. Der vierte Schritt ist beispielsweise am Ende einer Epoche erreicht, einer Epoche, in welcher die Menschen mit ihren Identitäten und Kulturen in Harmonie existieren. Es entstehen durch die Bewegung neue Sitten, aber die Schrittfolge bleibt, weshalb die Menschen ein Unwohlsein empfinden, eine Dysbalance ihrer inneren Welt, die sie nicht verstehen. Die Aufgabe der Philosophie ist folglich, die Wirklichkeit wie sie wirklich ist zu beschreiben und aufzuzeigen, wie die Welt sich verändert. Hegel möchte somit den engen Zusammenhang zwischen dem Leben und der Philosophie, der Vernunft, darstellen.
2. Inwiefern unterscheidet der frühe Hegel „Reflexion“ und „Spekulation“?
„Die Philosophie hat nemlich [sic!] als die Wissenschaft der Wahrheit, das unendliche Erkennen, oder das Erkennen des Absoluten zum Gegenstande; diesem unendlichen Erkennen aber, oder der Spekulation aber steht das endliche Erkennen, oder die Reflexion gegenüber […].“5.
Damit meint Hegel folgendes: Spekulation ist für Hegel die unendliche Erkenntnis, die Vernunft. Spekulation ist das Allumschließende, das Ganze, es geht um das Erkennen von Einheit, von Identität, um die Aufhebung von Gegensätzen, um das Zusammenhängende, um positives Erkennen. Dies geschieht mit Hilfe der Metaphysik, durch die eigentliche Philosophie. Vernunft wird auch als Urbild der Welt gesehen.
Die Reflexion ist der Gegensatz zur Spekulation. Reflexion steht für endliche Erkenntnis, für den Verstand. Hier ist die Logik der Ausgangspunkt, sie abstrahiert, was eigentlich eine Einheit bildet, trennt, fokussiert somit das Einzelne, nicht das Ganze, und schafft so ein provisorisches Abbild, eine unvollkommene Rekonstruktion von Erkenntnissen. Die reine Reflektion wird von Hegel auch als Unphilosophie bezeichnet.
Dennoch benötigt die Spekulation die Reflexion und umgekehrt. Denn die Reflexion muss überwunden werden, um zur Spekulation zu gelangen. Die Spekulation wiederum muss über die Reflexion gehen, um die Bewegung der Vernunft mitzumachen.
Kant beispielsweise sieht die Tätigkeit des Philosophierens als Reflexion, bleibt bei dem abstrakten Denken, bei den entstehenden Dualismen stehen. Hegels Projekt hingegen ist es, genau darüber hinaus zu kommen. Dafür brauchte Hegel Kant, denn Hegel hat den Gedanken Kants, endend bei der Reflexion, mit der Spekulation weitergedacht. Aus der Gegenüberstellung ergibt sich zudem das Verhältnis von Metaphysik und Logik.
3. In welchem Verhältnis steht Hegels Begriff der Philosophie zum sogenannten „allgemeinen Menschenverstand“?
„Die Philosophie ist ihrer Natur nach etwas Esoterisches, für sich weder für den Pöbel gemacht noch einer Zubereitung für den Pöbel fähig; sie ist nur dadurch Philosophie, daß [sic!] sie dem Verstande und damit noch mehr dem gesunden Menschenverstande, worunter man die lokale und temporäre Beschränktheit eines Geschlechts der Menschen versteht, gerade entgegengesetzt ist; im Verhältnis zu diesem ist an und für sich die Welt der Philosophie eine verkehrte Welt. […] so muß [sic!] die Philosophie zwar die Möglichkeit erkennen, daß [sic!] das Volk sich zu ihr erhebt, aber sie muß [sic!] sich nicht zum Volk erniedrigen.“6.
Esoterisch bedeutet so viel wie ‚nur dem inneren Kreise zugänglich‘, während exoterisch so viel bedeutet wie ‚von außen zugänglich‘. Auf die Philosophie angewandt heißt das folgendes: Die Philosophie und die Vernunft sind nur den objektiv philosophierenden Philosophen zugänglich. Es kann zwar subjektiv philosophiert werden, wie es beispielsweise der „Pöbel“ mit dem allgemeinen Menschenverstand tut, aber diese Art des “philosophieren“ dringt niemals zur wahren Philosophie, zur Vernunft hindurch. Hegel möchte diesen gravierenden Unterschied immer wieder aufzeigen, trennt sein Verständnis von Philosophie von dem Philosophieverständnis des allgemeinen Menschenverstandes ab. So bezeichnet Hegel diese „Besonderheit, die sich für Originalität hält und ausgibt“7 und sich „innerhalb der allgemeinen Heerstraße der Kultur“8 befindet als „eine besondere Reflexionsform“9. Die Vernunft ist für Hegel von der allgemeinen, besonderen Masse, von dem „Schauspiel der Qual der Verdammten“10 getrennt, im Gegensatz zu dem induktiven Vorgehen von Kant (1724-1804) und Fichte (1762-1814), welche „eine solche Besonderheit zum System zu erweitern“11 suchen.
Um für diese theoretische Aussage ein veranschaulichendes, praktisches Beispiel zu geben, kann sich beispielsweise ein Historiker vorgestellt werden, welcher den Begriff ‚Geschichte‘/ ‚Historik‘ nicht erklären kann, den Zusammenhang gar nicht erkennen kann und somit auch keine Rechenschaft darüber ablegen kann, obwohl er eben Historiker ist und sich genau damit beschäftigt.
Eine tragende Rolle spielt ebenfalls die Philosophie als Universalwissenschaft, wie sie es für Hegel ist. Die Philosophie ist sozusagen die Wissenschaft, bestehend aus diversen Einzelwissenschaften, welche auch durch die Philosophie thematisiert werden und gewiss auch als Einzelwissenschaften eine starke Gewichtung haben. Aber genau diese Tatsache, dass die Ideen der zerlegten Einzelwissenschaften durch die Philosophie im Geiste wieder zusammengefügt werden, macht den Unterschied zwischen der wahren und zwischen der unechten Philosophie aus; ohne dieses Verständnis entsteht eine Orientierungslosigkeit, eine Bodenlosigkeit. Konkret gesagt soll nach Hegel die Philosophie die Einzelwissenschaften über sich selbst aufklären, was wiederum auch der Philosophie selbst zu Gute kommt, da diese als Universalwissenschaft den Umweg über die Einzelwissenschaften benötigt (siehe Reflexion und Spekulation).
Ein anderer Philosoph beschreibt das selbe Problem auf eine andere Art und Weise: Das Platonische Höhlengleichnis beschreibt die in der Höhle sitzenden, die Schatten an der Wand betrachtenden, angeketteten Menschen und es beschreibt die wenigen Menschen, die es aus der Höhle hinaus schaffen, die erkennen, was die Schatten in der Höhle wie an die Wand kommen lässt und die es sich zur Aufgabe gemacht sehen, die Menschen, noch unten in der Höhle sitzend, aufzuklären.
Zurück zu dem Verhältnis von Hegels Philosophie und dem allgemeinen Menschenverstand. Es kann hier zusammenfassend gesagt werden, dass Hegel sein Verständnis von Philosophie von dem Verständnis, wie es diejenigen mit dem allgemeinen Menschenverstand haben, abtrennt. Dies geschieht unter anderem durch die Unterscheidung von Objektivität und Subjektivität und dementsprechend durch die Unterscheidung von Philosophie und Unphilosophie, als auch durch die Begriffe Spekulation und Reflexion. Es bleibt zu vermerken, dass, auch wenn die Philosophie sich niemals zu dem Volk erniedrigen wird, sich das Volk dennoch zu der Philosophie emporheben kann. Ein hilfreicher Vorgang hierfür ist der Denkprozess der Dialektik, welcher sich aus den drei Schritten negieren, konservieren und erheben zusammensetzt (siehe Frage eins).
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1 1 G.W.F. Hegel, „Introductio in philosophiam“, in: ders., Gesammelte Werke. Bd. 5: Schriften und Entwürfe (1799-1808), hg. von Manfred Baum u. Kurt Rainer Meist, Hamburg 1998, S. 261.
2 1 G.W.F. Hegel, „Introductio in philosophiam“, in: ders., Gesammelte Werke. Bd. 5: Schriften und Entwürfe (1799-1808), hg. von Manfred Baum u. Kurt Rainer Meist, Hamburg 1998, S. 261.
3 Ebd., S. 261
4 Ebd., S. 262
5 Ebd., S.271
6 G. W. F. Hegel, Jenaer Schriften 1801-1807, Werke 2, 9. Auflage 2018, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1970, S. 182
7 Ebd., S. 177
8 Ebd.
9 Ebd.
10 Ebd.
11 Ebd., S. 178
- Quote paper
- Carolyn Heidinger (Author), 2019, Zu G.W.F. Hegels "Jenaer Schriften", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/517320