Die folgende Arbeit soll klären, ob und inwiefern wissenschaftliche Geschichtsschreibung mit unterhaltungsorientierter Literatur zu verknüpfen ist. Im Vordergrund der Analyse sollen zwei Aspekte stehen: Primär werden die Möglichkeiten einer informativen Abbildung der Realhistorie sowie Inszenierung eines alternativen Modells und sekundär die Möglichkeit einer
Auseinandersetzung mit humanistischen Fragen, insbesondere der nach einer Form von Schuld, erörtert. In welchem Verhältnis steht die Vermittlung wissenschaftlich bestätigter Fakten sowie ethischer Überlegungen mit der Unterhaltung des Lesers? Droht eines der Ziele zulasten anderer überhandzunehmen? Welche Rolle hat der Erzählstil auf die informative und/oder unterhalterische Intention und was für einen Erinnerungsbeitrag kann kontrafaktisch orientierte Populärliteratur
leisten?
Die Gräueltaten der Naziherrschaft haben in ganz Europa und darüber hinaus ihre Spuren hinterlassen. Diese scheinen jedoch zunehmend zu verblassen: Soziologen zufolge wird rechtes Gedankengut, welches einst den Nährboden für eine Volksverhetzung unvorstellbaren Ausmaßes stellte, von weiten Teilen der Gesellschaft erneut gutgeheißen. Ohne Frage sind die heutigen Verhältnisse mit denen der 1920er Jahre nicht zu vergleichen, sodass ein Wiederaufflammen des Rechtsradikalismus hierzulande nicht als unmittelbare Entwicklung zu befürchten ist. Ein wachsender Rechtspopulismus sowie antisemitische Ansichten bis hin zu Ausschreitungen sind jedoch nicht zu leugnen, wenn etwa die Verbrechen des Dritten Reichs zu einem „[…] Vogelschiss in über 1.000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ verklärt werden.
Neben den Folgen des wachsenden Rechtspopulismus sind auch die Ursachen nur vage festzumachen. Der Schwund von Zeitzeugen und die wachsende Distanz zum Geschehenen mögen zum Beispiel ein Erinnern an das Entstehen des Dritten Reichs ebenso wie an dessen Verbrechen erschweren und die Empfängnis für rechtsradikale Politiken begünstigen. Bestrebungen, einen Erinnerungsprozess aufrechtzuhalten, sind jedoch nicht zu übersehen, wenn zum Beispiel technisch-revolutionäre Projekte wie das Holocaust-Museum in Chicago mit seinen hologrammbasierten Vorführungen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Problemaufriss: unterhaltende Wissenschaft?
- Kontrafaktische Geschichtsschreibung aus Sicht der Geschichtswissenschaft
- Kontrafaktische Geschichtsschreibung aus Sicht der Literaturwissenschaft
- Einführung in die Werke
- Inhalt und Resonanz
- Aufeinandertreffen faktischer und kontrafaktischer Elemente
- Zum Moment der Kontingenz
- Evaluierung der Parallelwelten
- Architektur
- Verkehrswesen
- Bürokratiewesen und Sicherheitskräfte
- Überwachungsstaat und Systemdruck
- Demokratieverständnis und Justizsystem
- Territoriale Aufteilung
- Wissenschaft und Technik
- Charaktere im Fokus
- Held und Antiheld? March und Michael
- Die Helfer: Maguire und Leo
- Zur (Un-)Nahbarkeit des „Führers“
- Der ersetzte Hitler
- Das Schicksal des Judentums
- Deportations- und Vernichtungspläne
- Gedenken durch Konfrontation?
- Fazit
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Masterarbeit befasst sich mit der kontrafaktischen Geschichtsschreibung in der Populärliteratur, insbesondere am Beispiel von "Vaterland" von Robert Harris und "Geschichte machen" von Stephen Fry. Im Fokus der Analyse steht die Frage, ob und inwiefern wissenschaftliche Geschichtsschreibung mit unterhaltungsorientierter Literatur zu verknüpfen ist. Dabei werden die Möglichkeiten einer informativen Abbildung der Realhistorie sowie die Inszenierung eines alternativen Modells untersucht, sowie die Möglichkeit einer Auseinandersetzung mit humanistischen Fragen, insbesondere der nach einer Form von Schuld.
- Verknüpfung von wissenschaftlicher Geschichtsschreibung und Unterhaltungsliteratur
- Möglichkeiten der informativen Abbildung der Realhistorie und Inszenierung eines alternativen Modells
- Auseinandersetzung mit humanistischen Fragen, insbesondere der nach einer Form von Schuld
- Zusammenspiel von Faktenvermittlung, Leserunterhaltung und Erinnerungsfunktion in der kontrafaktischen Populärliteratur
- Bedeutung der kontrafaktischen Geschichtsschreibung für die Erinnerungskultur und die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Arbeit beschäftigt sich mit der Kontroverse um die kontrafaktische Geschichtsschreibung in der Populärliteratur, insbesondere im Kontext der Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Die Einleitung beleuchtet den aktuellen Kontext und die Relevanz des Themas, unter anderem im Hinblick auf wachsenden Rechtspopulismus und Antisemitismus.
- Problemaufriss: unterhaltende Wissenschaft?: Dieser Abschnitt beleuchtet die kontrafaktische Geschichtsschreibung aus Sicht der Geschichtswissenschaft und der Literaturwissenschaft, wobei die theoretischen Grundlagen für die spätere Analyse der Romane gelegt werden.
- Einführung in die Werke: Die beiden Romane "Vaterland" von Robert Harris und "Geschichte machen" von Stephen Fry werden in diesem Kapitel vorgestellt. Es werden die Inhalte, die Rezeption und die Besonderheiten der beiden Werke beleuchtet, insbesondere im Hinblick auf die Kombination von faktischen und kontrafaktischen Elementen.
- Evaluierung der Parallelwelten: Dieser Abschnitt befasst sich mit der Darstellung der alternativen Welt in den Romanen. Themen wie Architektur, Verkehrswesen, Bürokratiewesen und territoriale Aufteilung werden im Kontext der kontrafaktischen Szenarien untersucht.
- Wissenschaft und Technik: Dieser Abschnitt erörtert die Rolle von Wissenschaft und Technik in der kontrafaktischen Geschichtsschreibung der Romane.
- Charaktere im Fokus: Hier werden die Hauptfiguren der Romane analysiert, insbesondere in Bezug auf ihre Rolle in der kontrafaktischen Geschichte.
- Zur (Un-)Nahbarkeit des „Führers“: Die Romane präsentieren alternative Szenarien, in denen Adolf Hitler ersetzt wird. Dieser Abschnitt untersucht die Darstellung des "Führers" und seine Bedeutung für das Gesamtbild der Geschichte.
- Das Schicksal des Judentums: Die Romane beschäftigen sich auch mit dem Schicksal des Judentums in den kontrafaktischen Welten. Dieser Abschnitt beleuchtet die Darstellung der Deportations- und Vernichtungspläne und die Frage nach Gedenken durch Konfrontation.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Themen kontrafaktische Geschichtsschreibung, Populärliteratur, Nationalsozialismus, Erinnerungskultur, Vaterland, Geschichte machen, Robert Harris, Stephen Fry, Deutschland, Großbritannien, Faktenvermittlung, Unterhaltungsliteratur, Schuld, humanistische Fragen, historische Fiktion.
- Quote paper
- Jan Lauer (Author), 2019, Unterhaltung trifft Wissenschaft. Untersuchung über kontrafaktische Geschichtsschreibung zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der Populärliteratur, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/515269