Einleitung
„Ine kann deheinen buochstap“1 ist wohl das berühmteste Zitat von Wolfram von Eschenbach aus seinem Werk Parzival. Doch meint Eschenbach wirklich, dass er selbst nicht lesen und schreiben kann oder spricht hier die Erzählerfigur?
Aus dem Mittelalter sind uns weder Urkunden noch andere historische Zeugnisse erhalten geblieben, die uns mehr über diesen damaligen Dichter berichten könnten. „Wolfram ist kein Einzelfall; von seinen Konkurrenten, Hartmann von Aue und Gottfried von Straßburg, haben wir ebenfalls kein einziges Lebenszeugnis außer eben ihre Werke“2. Außer in seinen eigenen Werken oder in Äußerungen anderer Dichter findet sich sein Name nicht, so dass die Forschung gezwungen ist seine Lebensumstände aus den überlieferten Schriftstücken zu rekonstruieren. Doch lässt sich der Erzähler aus dem Parzival mit dem Autor gleichsetzen? Wer war Wolfram von Eschenbach wirklich? Und wie lebten damalige Dichter seiner Zeit? Viele unterschiedliche Meinungen sind zu diesem Thema in der Mediävistik vorzufinden und es scheint, als hätte uns Eschenbach mit der Rekonstruktion seiner Biographie wohl das größte Rätsel aufgegeben. Kann dieser Dichter also ohne weiteres mit dem Erzähler im Parzival gleichgesetzt werden?
Jenen Fragen und Unklarheiten möchte ich mit dieser Hausarbeit nachgehen. Auf Grund des großen Umfangs werde ich mich bei der Textanalyse des Parzivals auf einige wenige, aber bedeutende Ausschnitte konzentrieren. Dabei möchte ich den Versuch wagen aus der Handlungsstruktur und den Einschüben des Erzählers eventuelle Erkenntnisse über das Leben und den Charakter von Wolfram von Eschenbach in Erfahrung zu bringen. Nachdem ich die allgemeinen gesellschaftlichen Umstände von Dichtern seiner Zeit geklärt habe, werde ich mich den persönlichen Einschüben und Anspielungen des Erzählers im Parzival widmen, um daraus am Ende dieser Hausarbeit eventuelle Schlussfolgerungen über Eschenbach ziehen zu können.
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1 P. 115,27ff.
2 Reichert, H.: Parzival. S. 7.
Inhalt
1. Einleitung
2. Das Leben eines Dichters im Mittelalter
3. Analyse von Textausschnitten aus dem Parzival
3.1. Erzähler und Autor
3.2. Die Erzählerfigur
3.3. Erzählerreden
4. Schlussfolgerungen
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Ine kann deheinen buochstap“[1] ist wohl das berühmteste Zitat von Wolfram von Eschenbach aus seinem Werk Parzival. Doch meint Eschenbach wirklich, dass er selbst nicht lesen und schreiben kann oder spricht hier die Erzählerfigur?
Aus dem Mittelalter sind uns weder Urkunden noch andere historische Zeugnisse erhalten geblieben, die uns mehr über diesen damaligen Dichter berichten könnten. „Wolfram ist kein Einzelfall; von seinen Konkurrenten, Hartmann von Aue und Gottfried von Straßburg, haben wir ebenfalls kein einziges Lebenszeugnis außer eben ihre Werke“[2]. Außer in seinen eigenen Werken oder in Äußerungen anderer Dichter findet sich sein Name nicht, so dass die Forschung gezwungen ist seine Lebensumstände aus den überlieferten Schriftstücken zu rekonstruieren. Doch lässt sich der Erzähler aus dem Parzival mit dem Autor gleichsetzen? Wer war Wolfram von Eschenbach wirklich? Und wie lebten damalige Dichter seiner Zeit? Viele unterschiedliche Meinungen sind zu diesem Thema in der Mediävistik vorzufinden und es scheint, als hätte uns Eschenbach mit der Rekonstruktion seiner Biographie wohl das größte Rätsel aufgegeben. Kann dieser Dichter also ohne weiteres mit dem Erzähler im Parzival gleichgesetzt werden?
Jenen Fragen und Unklarheiten möchte ich mit dieser Hausarbeit nachgehen. Auf Grund des großen Umfangs werde ich mich bei der Textanalyse des Parzivals auf einige wenige, aber bedeutende Ausschnitte konzentrieren. Dabei möchte ich den Versuch wagen aus der Handlungsstruktur und den Einschüben des Erzählers eventuelle Erkenntnisse über das Leben und den Charakter von Wolfram von Eschenbach in Erfahrung zu bringen. Nachdem ich die allgemeinen gesellschaftlichen Umstände von Dichtern seiner Zeit geklärt habe, werde ich mich den persönlichen Einschüben und Anspielungen des Erzählers im Parzival widmen, um daraus am Ende dieser Hausarbeit eventuelle Schlussfolgerungen über Eschenbach ziehen zu können.
Im Mittelpunkt meiner Analyse werden der Zusammenhang zwischen Erzähler und Autor sowie die besondere Erzählstruktur stehen. Anders als in der heutigen Zeit kann man beim Interpretieren des Werkes Parzival nicht auf eine Biographie des Autors zurückgreifen und mögliche Parallelen ziehen. So gestaltet es sich schwierig ohne Hintergrundwissen über den Autor sein Werk zu deuten und gleichzeitig Rückschlüsse auf den Dichter zu ziehen. In wie weit der Verfasser eigene Züge mit einbezieht oder individuelle Eigenschaften abwandelt, damit sie der Geschichte dienen, ist selbstverständlich von Schriftsteller zu Schriftsteller verschieden. So bleiben auch Positionen in der Mediävistik über die unterschiedlichen Überlieferungen zwar textgebunden, lassen aber einen größeren Interpretationsfreiraum für persönliche Meinungen und können demnach noch weniger objektiver sein, als Erörterungen der Texte, bei welchen zumindest einige Fakten über dessen Verfasser überliefert worden sind.
Alle heutigen Textausgaben des Parzivals gehen auf die Arbeit von Karl Lachmann zurück, der 1833 die erste wissenschaftliche Ausgabe sämtlicher Werke von Wolfram von Eschenbach zusammentrug[3]. Dies war eine besonders schwierige Aufgabe, da vom Parzival so viele Handschriften wie von keinem anderen Werk des 13. Jh. überliefert worden sind. Allein 15 vollständige Exemplare und von über 70 weiteren Handschriften größere oder kleinere Fragmente sind erhalten geblieben. Karl Lachmann traf aus allen Überlieferungen eine Auswahl und gliederte den Parzival in 16 Teile, die er „Bücher“ nannte[4]. So wurde der Wolfram-Forschung ein einheitliches Fundament gegeben, auf das sich nun alle folgenden Interpretationen und Ausführungen stützen konnten.
2. Das Leben eines Dichters im Mittelalter
Ungeachtet vieler gegenteiliger Standpunkte konnten Dichter bzw. Minnesänger im Mittelalter aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten stammen. So lassen sich im Wesentlichen drei große Gruppen von Schriftsteller erkennen: „aus dem Hochadel stammende Autoren wie Heinrich von Meißen, die dem Ministerialadel angehörenden Sänger wie Ulrich von Lichtenstein und die nicht-adligen Städter wie Konrad von Würzburg“[5]. Diese Städter und Berufssänger aus der nicht sozial definierbaren Schicht waren die sogenannten fahrenden Sänger, welche zum Teil nur Nachsänger waren. Als Fahrender musste sich der Dichter an den für Kunst günstigen Plätzen einfinden und um Gunst und Brot singen. Unklar ist hierbei, wie schon vorher geschrieben, in welche Schicht sich Wolfram von Eschenbach einordnen lässt. In der früheren Forschung herrschte die Auffassung, dass alle respektablen Minnesänger und Dichter aus dem Adelsgeschlecht stammten. Diese Auslegung ist heutzutage längst überholt. Der Grund dieser „Pauschal- Nobilitierung“[6] lag in der Verherrlichung des Hochmittelalters im 19. Jh., welches das Hochmittelalter als Zeit echter Ritterlichkeit verstand. In dieses Weltbild passte es nicht, dass auch ein mittelloser Dichter erfolgreich in der früheren Zeit gewesen sein konnte. Jedoch wurde diese Meinung längst revidiert und man nimmt heute an, dass die Autoren aus allen sozialen Schichten stammen konnten.
Zwar nicht durch historische Zeugnisse belegt, aber weit verbreitet ist die Ansicht, dass die Dichter der damaligen Zeit ihre Stücke vor einem Auditorium vortrugen. Diese Zuhörerschaft der Minnesänger wird als weitgehend homogen angenommen. So glaubt man, dass vor allem der „durch eine gemeinsame Ritterideologie geeinte weltliche und geistliche Adel im 12. Jh. und im 13. Jh. zusätzlich das städtische Patriziat“[7] zu dem Publikum der Minnesänger zählte.
Über Art und Umfang der Ausbildung der Minnesänger in Lesen, Schreiben, Kenntnisse formaler Gesetze und Kompositionstechnik gibt es keine Quellen. Auch hier muss sich die Mediävistik hauptsächlich auf Selbstaussagen der Dichter über ihre sprachlichen Fähigkeiten verlassen. Hinweise auf damalige Lebensumstände der Schriftsteller erfährt man aus „Urkunden und Chroniken, Spruchdichtungen, die zum Teil biographische Details enthalten und selten auch aus der Minnelyrik“[8], welche meist nur von der Teilnahme an Kreuz- oder Pilgerzügen berichtet. Auch seltene Querverweise auf Gönner oder Konkurrenten, welche das Leben der Autoren erheblich beeinflussten, sind nur den Schriftstücken zu entnehmen und müssen aus großen intertextuellen Zusammenhängen erschlossen werden.
Durch eben diese Bezüge der literarischen Schriften aufeinander können auch teilweise Beziehungen der Autoren untereinander ermittelt werden. Über persönliche Begegnungen mittelhochdeutscher Lyriker ist zwar nichts urkundlich belegt, jedoch wird oft über gemeinschaftliche Begegnungsstätten geschrieben, wie zum Beispiel über Hochzeitsfeste, Reichs- und Fürstentage oder große Höfe wie Hagenau. Von Wolfram von Eschenbach ist nach eigenen Zeugnissen überliefert, dass er wie Walther von der Vogelweide im Thüringer Hof einkehrte. Aber auch in diesem Bereich muss sich die Mediävistik auf Überlieferungen stützen, da die Geschichtsschreibung zu dieser Zeit als sehr lückenhaft bezeichnet werden kann. So existiert die Annahme, dass einige öffentliche politische Auseinandersetzungen zwischen den Dichtern vor Publikum stattfanden. Die sogenannten „Fehden“[9] haben wahrscheinlich zwei neue verschiedene Liedgattungen hervorgebracht: das Partimen und die Tenzone.
So finden sich oft gegenseitige Anspielungen oder parodistische Umdichtungen bei den Begegnungen der Autoren. Sei es zum Spaß des Publikums, „zur Darstellung der eigenen Virtuosität, zur Verteidigung der eigenen Minnekonzeption oder eines eigenen Frauenideals“[10]. Unter solchen intertextuellen Bezügen versteht man neben den gelegentlichen Zitaten anderer Künstler auch Nachrufe, Vorbildbeschwörungen und Dichterkataloge oder Abwandlungen von Liedern.
An diesen Nennungen misst die Mediävistik die Bedeutung und Wirkung einzelner Autoren und entwirft ganze „Ranglisten“ der damaligen Dichter. Offenbar war Minnesang als mögliche Freizeitbeschäftigung eines Adligen höher eingeschätzt, als die tagesaktuelle Spruchdichtung, die man anscheinend den professionellen Sängern überließ. Aus dieser Hochschätzung der Dichtkunst ist wahrscheinlich auch das Selbstbewusstsein der Minnesänger zu erklären, das in vielen Liedern durchscheint und im paradoxem Spannungsverhältnis zu der Demuts- und Unterwerfungsgeste des Werbenden und einigen Äußerungen, wie zum Beispiel des Erzählers im Parzival von Eschenbach steht. Daher zeugt das Selbstbewusstsein der Dichter, die vermutlich in ihrer Eigenschaft als Autoren eine wichtige gesellschaftliche Funktion ausübten.
Abschließend lassen sich die Dichter am besten als Sprachrohr der Gefühle und Wünsche ihres Publikums beschreiben, in die sich offensichtlich gerade Außenstehende hineinfühlen.
3. Analyse von Textausschnitten aus dem Parzival
3.1. Erzähler und Autor
Anders als in der meisten Literatur des Mittelalters, gibt der Erzähler im Parzival viele individuelle Züge preis. Gerade auf Grund der mangelnden biographischen Kenntnisse von Wolfram von Eschenbach und dieser Fülle von persönlichen Bemerkungen zögerte die Forschung nicht, Autor und Erzähler gleichzusetzen. Lange schien es unbestritten, dass eben aus der Figur des Erzählers Eschenbach selbst spreche. Durch den dreimaligen Einschub „ich Wolfram von Eschenbach“[11] im Parzival schien der Autor diese Auffassung zu bestätigen. Doch hat sich Eschenbach vielleicht mehr dabei gedacht, als den Erzähler nur zum Sprachrohr seiner eigenen Gedanken werden zu lassen?
[...]
[1] P. 115,27ff.
[2] Reichert, H.: Parzival. S. 7.
[3] Vgl. Reichert, H.: Parzival. S. 11.
[4] Vgl. Reichert, H.: Parzival. S. 13.
[5] Schweikle, G.: Minnesang. S. 103.
[6] Schweikle, G.: Minnesang. S. 107.
[7] Schweikle, G.: Minnesang. S. 104.
[8] Schweikle, G.: Minnesang. S. 106.
[9] Schweikle, G.: Minnesang. S. 109.
[10] Schweikle, G.: Minnesang. S. 110.
[11] P. 114, 12; 185,07; 827,13.
- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2004, Die Erzählerrolle im Parzival von Wolfram von Eschenbach als autobiographisches Zeugnis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/51525
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