Ist das Initial Coin Offering (ICO) das neue Initial Public Offering (IPO)?


Master's Thesis, 2019

104 Pages

Anonymous


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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Persönliches Erkenntnisinteresse
1.3 Theoretischer Hintergrund und Forschungsstand
1.4 Ziele und (Forschungs-)Fragen
1.5 Methodisches Vorgehen

2 Theoretische Grundlagen: Begriffe und Konzepte
2.1 Eigenkapitalbeschaffung durch Unternehmen
2.2 Initial Public Offering (IPO)
2.2.1 IPO-Prozess
2.2.2 Rechtliche Grundlagen und aufsichtsrechtliche Voraussetzungen
2.3 Initial Coin Offering (ICO)
2.3.1 Blockchain
2.3.2 Kryptowährungen
2.3.3 Smart Contracts
2.3.4 Digitale ‚Assets‘
2.3.5 ICO-Prozess
2.3.6 Security Token Offering (STO)
2.3.7 Rechtliche Grundlagen
2.4 Modelle zur Beschreibung von Geschäftsmodellen
2.4.1 Diffusion von Innovationen
2.4.2 ‚Four Box Business Model Framework‘
2.4.3 Umsetzung neuer Geschäftsmodelle

3 Analysen zur Deckung des Informationsbedarfs
3.1 Empirische Untersuchung: Design und Durchführung
3.1.1 Forschungsdesign und Ablauf
3.1.2 Forschungsmethode und Datenerhebung
3.1.3 Interviewstruktur
3.1.4 Auswertung der Interviewergebnisse
3.1.5 Kritische Reflexion
3.2 Analyse von Studien und Literaturäußerungen
3.2.1 Vergleiche der Studien führender Unternehmensberatungen
3.2.2 Aktuelle Situation des Marktes für digitale ‚Assets‘

4 Auswertung der gewonnenen Kenntnisse
4.1 Vergleich von Initial Coin Offering und Initial Public Offering
4.1.1 Parallele Geschäftsmodelle oder Substitute
4.1.2 Disruptiver Charakter von Initial Coin Offering
4.2 Ableitung von Einsatzmöglichkeiten von Initial Coin Offering im ‚Corporate-Finance‘-Geschäft von Banken: Erste Hypothesen

5 Einsatzmöglichkeiten von ‚Initial Coin Offering‘ im ‚Corporate-Finance‘-Geschäft von Banken
5.1 Kapitalmarktgeschäft (M&A)
5.2 Beratungsmöglichkeiten kleinerer und mittlerer Unternehmen
5.3 Digitale Plattformen

6 Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesenform

7 Abbildungsverzeichnis

8 Tabellenverzeichnis

9 Literaturverzeichnis

10 Anhang
10.1 Interviewleitfaden

1 Einleitung

‚Initial Coin Offering‘ ist ein auf der ‚Blockchain‘-Technologie basierender Prozess, durch den Unternehmen die Möglichkeit haben, sogenannte ‚Tokens‘ mit gewissen Merkmalen zu emittieren, u. a. ließe sich über diesen Prozess Eigen- oder Fremdkapital beschaffen. Welche Möglichkeiten sich für Banken ergeben, diese Technologie in der Kapitalmarktberatung zu nutzen, und welche Risiken bei einer Substitution klassischer Methoden bestehen, soll in dieser Arbeit durch Experteninterviews ermittelt werden.

1.1 Problemstellung

Uber, the world’s largest taxi company , owns no vehicles . Facebook, the world’s most popular media owner, creates no content. Alibaba , the most valuable retailer , has no inventory . And Airbnb , the world’s largest accommodation provider , owns no real estate . Something interesting is happening.1

Vor etwa vier Jahren machte Tom Goodwin, Ressortleiter einer globalen Medienagentur, mit einem Artikel darauf aufmerksam, dass Online-Plattformen Strukturen schaffen können, die diesen Unternehmen dazu verhelfen, ohne eine eigene physische Infrastruktur zu globalen Playern heranzuwachsen, und damit für bereits etablierte Unternehmen eine Existenzbedrohung darstellen können. In den letzten Jahren haben sich im Bankgeschäft einige derartige Player, wie z. B. der Zahlungsdienstleister PayPal, entwickelt, die den Banken stetig Marktanteile ihres operativen Geschäftes entziehen. Mit einer Marktkapitalisierung von rund 112 Mrd. Euro2 ist PayPal ein Unternehmen, das mittlerweile eine so hohe Relevanz hat, dass es für viele Kunden fast nicht mehr wegzudenken ist.

Neben den ‚Fintechs‘3 stellen auch neue Technologien, wie z. B. die ‚Blockchain‘-Technologie, Herausforderungen für die Banken dar. Wo die meisten ‚Fintechs‘ sich noch der Infrastruktur der Banken bedienen und dadurch deren Margen zum Teil übernehmen, können über die ‚Blockchain‘-Technologie Zahlungen, Kapitaltransaktionen oder sonstige Vertragsschlüsse, die von Finanzintermediären abgewickelt werden, ohne den Einbezug einer Bank erfolgen.

Dieser weltweite Trend wird deutlich zu spüren sein: In den nächsten Jahren ist dadurch ungefähr ein Drittel aller bisherigen Bankerträge in Deutschland gefährdet.“4

Der Begriff des ICO ist an den Begriff des IPO angelehnt, also den eines Börsengangs. Im Gegensatz zum IPO wird der Investor nicht mit Aktien an dem Unternehmen beteiligt, sondern er erhält mit Kryptowährung (meistens Ether oder Bitcoin) oder einer herkömmlichen Währung (Fiatgeld) Tokens oder Coins.5 Hierdurch ergibt sich die Möglichkeit für Unternehmen, sich direkt öffentlich Kapital zu beschaffen ohne einen Intermediär hinzuzuziehen.

Im Kapitalmarktgeschäft für Unternehmen spielen Investmentbanken, ‚Venture-Capital‘- und ‚Private-Equity‘-Gesellschaften eine tragende Rolle. „Keine Kapitalmarktransaktion, sei es ein Börsengang, eine M&A-Transaktion, strukturierte Transaktion oder der Handel in Wertpapieren, kann ohne eine oder mehrere Banken durchgeführt werden.“ 6 Bisher gibt es keine andere Quelle, über die sich Unternehmen Kapital in Milliardenhöhe beschaffen können. Darüber hinaus bietet der organisierte Kapitalmarkt den Unternehmen weitere Möglichkeiten, an deren Profitabilität zu arbeiten und Wachstumsoptionen wahrzunehmen.

Das ‚Initial Coin Offering‘ ist eine ernstzunehmende Alternative für die Beschaffung von Kapital, so zeigen es unter anderem die jüngsten Zahlen und Kommentare aus verschiedenen Studien führender Unternehmensberatungen sowie einschlägige Internetquellen. „ Seit unserem letzten Bericht im Dezember 2017 haben ICOs weiter an Dynamik gewonnen und entwickeln sich zunehmend zu einer attraktiven Finanzierungsalternative “.7 Im Jahr 2018 wurden weltweit 1.083 ICOs initiiert, die ein durchschnittliches Volumen i. H. v. rund 20 Mio. US-Dollar eingeworben haben.8

Bisher waren der Primär- und der Sekundärmarkt für Aktien alternativlos. Durch die neue Option eines ICO und den fortlaufenden Handel von ‚Tokens‘ an einem Sekundärmarkt könnten sich auch einige Vorgehensweisen im klassischen ‚Corporate Finance‘ verändern.

1.2 Persönliches Erkenntnisinteresse

Seit über 10 Jahren arbeite ich in der Anlageberatung in einer deutschen Privatbank und habe daher ein persönliches Interesse am Thema „Kapitalmarkt“. In der Beratung von vermögenden Privatkunden beschäftige ich mich fast ausschließlich mit dem Sekundärmarkt, weshalb ich mir durch die intensivere Betrachtung des Primärmarktes erhoffe, zusätzliche Kenntnisse zu gewinnen, die mir auf meinem weiteren beruflichen Werdegang hilfreich sein werden.

Da ich meine berufliche Karriere weiterhin in der Banken-Branche verbringen möchte, ist es mir wichtig, mich mit zukünftigen Veränderungen und Herausforderungen der Branche auseinanderzusetzen. In den letzten Jahren haben klassische Banken Marktanteile an standardisierten Geschäften (wie z. B. Baufinanzierung, Einlagen, Zahlungsverkehr) erst an Direktbanken und dann an ‚Fintechs‘ verloren. Komplexere Beratungsgeschäfte, wie z. B. die Kapitalmarktberatung von Unternehmen, blieben davon bisher unberührt.9 Ich möchte durch meine Masterarbeit eine Einschätzung treffen können, wie hoch das Risiko ist, in den nächsten Jahren in komplexen Beratungsgeschäften Marktanteile an neue Marktteilnehmer zu verlieren. Neben den Verlust von Marktanteilen kann es auch zu weiteren Schmälerungen der Margen im Bankgeschäft kommen, wenn man z. B. einen Zahlungsdienstleister wie PayPal betrachtet, der die Infrastruktur der Banken nutzt, um Zahlungsdienstleistungen weltweit kostengünstig abzuwickeln.

Jedoch gehen mit der Digitalisierung nicht nur Risiken, sondern auch Chancen einher. Damit könnte die ‚Blockchain‘-Technologie bei richtiger Anwendung auch im klassischen Bankgeschäft dabei helfen, Kunden zu halten oder gar neue Märkte zu erschließen. Das wiederum könnte ebenfalls Auswirkungen auf meine tägliche Arbeit mit Kunden haben.

Darüber hinaus habe ich selbst bereits in Kryptowährungen und andere digitale ‚Assets‘ investiert, weshalb ich die aktuelle Entwicklung mit persönlichem Interesse verfolge. Auch der klassische Kapitalmarkt könnte sich durch die ‚Blockchain‘-Technologie bedeutend verändern, somit wäre ich auch als Privatanleger mit meinen übrigen ‚Assets‘ davon betroffen. Klassische ‚Assets‘, wie Währungen, Aktien und Anleihen, könnten durch Kryptowährungen, ‚Coins‘, ‚Tokens‘ und andere digitale ‚Assets‘ substituiert werden oder an Bedeutung verlieren. All dies sind Umstände, die sowohl auf meine persönliche Situation als Privatanleger als auch als Angestellter einer Bank erhebliche Auswirkungen haben können, weshalb ich die Thematik mit großem persönlichem Interesse bearbeitet habe.

1.3 Theoretischer Hintergrund und Forschungsstand

Das Thema lässt sich in zwei wesentliche theoretische Themenblöcke unterteilen. Zum einen die bisherige Form der Kapitalbeschaffung an einem organisierten Kapitalmarkt durch Ausgabe von Aktien (‚Initial Public Offering‘) und zum anderen die Kapitalbeschaffung mittels ‚Blockchain‘-Technologie durch die Ausgabe von ‚Tokens‘ (‚Initial Coin Offering‘).

Die Kapitalbeschaffung am organisierten Kapitalmarkt mittels ‚Initial Public Offering‘ (IPO) ist eine seit Jahren praktizierte Methode, um Unternehmen am Kapitalmarkt mit Eigenkapital zu versorgen. Aus diesem Grund ist hierzu umfangreich Literatur in Form von Lehrbüchern, wissenschaftlichen Ausarbeitungen sowie Studien zu finden. Da das Thema ‚Initial Coin Offering‘ (ICO) sehr aktuell ist, ist die Literatur hierzu deutlich begrenzter. Wissenschaftliche Ausarbeitungen in Form von Büchern sind kaum vorhanden, daher stellen Artikel aus einschlägigen Zeitschriften oder wissenschaftliche Arbeitspapiere den größten Teil der wissenschaftlichen Ausarbeitungen dar.

Die großen Unternehmensberatungen, wie z. B. ‚Pricewaterhouse Coopers‘ oder ‚Ernst & Young‘ erstellen regelmäßig Studien und ‚Trend-Reports‘ zu ICOs und Kryptowährungen. Da das Thema der Arbeit praktisch angelegt ist, ist es sinnvoll diese Informationen der Unternehmensberatungen in die Arbeit einzubeziehen und kritisch zu beurteilen. Schließlich beschäftigt sich die Unternehmensberatung mit neuen Trends und deren Umsetzung bei den eigenen Kunden.

Neben den klassischen Medien, die für eine wissenschaftliche Arbeit üblich sind, werden auch Blogs von Experten oder andere Online-Veröffentlichungen herangezogen. Diese Quellen haben die höchst mögliche Aktualität und bieten die Möglichkeit, verschiedene Perspektiven auf die Thematik einzunehmen. Bei derartigen Quellen gilt es jedoch, immer deren Validität anhand weiterer Literatur zu überprüfen.

Aufgrund der schnell voranschreitenden Entwicklung des Marktes für ICOs ist die Aktualität der Literatur ein Aspekt von besonderer Relevanz und muss bei der Bearbeitung des Themas kontinuierlich überprüft werden. Ältere Literatur sollte mit aktuellen Quellen verglichen und auf ihre Aktualität hin geprüft werden.

1.4 Ziele und (Forschungs-)Fragen

Das Ziel der vorliegenden Masterthesis ist es herauszuarbeiten, welche Auswirkung die zunehmende Relevanz von ICOs auf das Beratungsgeschäft einer Bank haben kann, bzw. wie Banken diese neue Methode der Kapitalbeschaffung im Beratungsgeschäft nutzen können. Da das IPO bereits eine seit Jahren geübte Methode für die Eigenkapitalfinanzierung von Unternehmen ist, soll mir diese als Vergleichsmöglichkeit dienen, um auf dieser Basis Handlungsempfehlungen für Banken abzuleiten.

Vor diesem Hintergrund lautet die zentrale Forschungsfrage:

- Auf welche Weise lässt sich ICO in das ‚Corporate-Finance‘-Geschäft einer Bank integrieren?

Um alle relevanten Aspekte der Fragestellung im Detail zu berücksichtigen, lassen sich aus der zentralen Forschungsfrage weitere Forschungsfragen ableiten:

- Welche wesentlichen Unterschiede ergeben sich aus der neuen Technologie des ICO und des bisher geübten Prozesses des IPO? Inwiefern gibt es zwischen den beiden Verfahren Möglichkeiten zur Substitution oder Ergänzung?
- Welche Anpassungen müssten aus technischer oder rechtlicher Sicht erfolgen, damit ICOs in der Kapitalmarktberatung angewandt werden können?

Speziell bezugnehmend auf die Integration von ICOs in das ‚Corporate-Finance‘-Geschäft einer Bank soll ein entsprechendes Geschäftsmodell entwickelt werden, wodurch sich folgende weitere Forschungsfragen ableiten lassen:

- Welche Anforderungsprofile (potenzielle Zielkundensegmente) können mit ICOs bedient werden und was ist die ‚Value Proposition‘ des Geschäftsmodells?
- Welche Beratungsprozesse oder -leistungen lassen sich für ICOs ableiten?
- Welche Infrastruktur wird für ICOs benötigt?

Die zentrale Forschungsfrage und die daraus abgeleiteten Forschungsfragen werden anhand von Experteninterviews untersucht. Die daraus gewonnen Ergebnisse werden im Hauptteil der Masterarbeit diskutiert und mit Literatur verknüpft.

1.5 Methodisches Vorgehen

Das methodische Vorgehen meiner Masterthesis soll mithilfe der nachfolgenden Darstellung veranschaulicht werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Schaubild des methodischen Vorgehens.10

Der theoretische Teil (Kapitel 2) soll die Basis der Arbeit bilden und unterteilt sich in zwei wesentliche Unterpunkte:

1) IPO

Der erste Theorieteil befasst sich mit der bisher in der Praxis geübten Methode zur Beschaffung von Eigenkapital für Unternehmen. In diesem Teil soll auf die Funktionsweise von IPO und dessen in der Praxis geübten Prozess sowie den Einsatz des Instruments näher eingegangen werden. Einerseits soll dies dem besseren Verständnis sowie andererseits einer Bestandsaufnahme der aktuellen Handhabung von IPOs im Beratungsgeschäft von Banken dienen.

2) ICO

Im zweiten theoretischen Teil wird der Begriff ICO näher definiert und anhand von wesentlichen Merkmalen genauer dargestellt. Für ein besseres Verständnis der Thematik wird auf die Funktionsweise von digitalen Währungen und ‚Assets‘ sowie auf die grundlegende ‚Blockchain‘-Technologie eingegangen, auf der diese basieren.

Die theoretischen Grundlagen zu den beiden Kapitalbeschaffungsmethoden werden durch „allgemeine Grundlagen zur Eigenkapitalbeschaffung durch Unternehmen“ und „Modelle zur Beschreibung von Geschäftsmodellen“ ergänzt, damit die Forschungsfragen möglichst gut erfasst werden können.

Darauf aufbauend sollen mithilfe der Literatur entscheidende Ansatzpunkte für die Erstellung des Interviewleitfadens identifiziert werden, sodass die notwendigen Kenntnisse zur Beantwortung der Forschungsfrage gewonnen werden können. Darüber hinaus soll die Literatur aus dem Kapitel 2 erste Erkenntnisse für die Gegenüberstellung und Verdichtung der Informationen in Kapitel 4 „Vergleich von IPO und ICO“ liefern.

Da es sich bei dem Forschungsgegenstand um ein sehr aktuelles und spezifisches Thema handelt, ist davon auszugehen, dass die Beantwortung der Forschungsfrage am besten gelingt, wenn die Datenerhebung in Kapitel 3 mittels Experten-Interviews erfolgt. Die Interviewpartner sollten Experten im Thema ‚Blockchain‘ und bzw. oder im ‚Corporate Finance‘ sein, damit sichergestellt ist, dass die Interviewpartner über die notwendige Sachkenntnis verfügen, um die Interviewfragen aussagekräftig beantworten zu können.

Problematisch könnte sein, dass die Experten aus dem Bereich ‚Corporate Finance‘ nicht über ausreichend Wissen bzgl. der ‚Blockchain‘-Technologie verfügen, und umgekehrt, dass die Experten aus dem Bereich ‚Blockchain‘ nicht ausreichend mit den üblichen Abläufen des ‚Corporate-Finance‘-Geschäfts vertraut sind. Dieser Umstand soll bei der Zusammenführung und Auswertung der Interviewergebnisse mithilfe der Literatur bestmöglich verifiziert werden.

Ergänzend werden in Kapitel 3 aktuelle Studien von Unternehmensberatungen und Literaturäußerungen analysiert, um die durch das Interview gewonnenen Erkenntnisse zu ergänzen.

In Kapitel 4 sollen die gewonnenen Erkenntnisse aus Theorie und Empirie so zusammengeführt werden, dass die wesentlichen Abweichungen und Übereinstimmungen zwischen IPO und ICO dargestellt werden, um auf deren Basis erste Hypothesen zu Einsatzmöglichkeiten von ICO im ‚Corporate-Finance‘-Geschäft von Banken ableiten zu können.

Durch die intensivere Betrachtung der Einsatzmöglichkeiten in Kapitel 5 soll ein Geschäftsmodell zur Nutzung von ICO im ‚Corporate-Finance‘-Geschäft von Banken entwickelt werden.

Abschließend werden die Ergebnisse der Untersuchung in Kapitel 6 in Form von Thesen zusammengefasst.

2 Theoretische Grundlagen: Begriffe und Konzepte

Im folgenden Kapitel sollen theoretische Grundlagen zum aktuellen Forschungsstand von ICO und IPO und Konzepte zum Entwurf von Geschäftsmodellen, die für das allgemeine Verständnis zum Vorgehen der Arbeit notwendig sind, näher erläutert werden.

2.1 Eigenkapitalbeschaffung durch Unternehmen

Grundsätzlich kann sich ein Unternehmen Eigenkapital in Form einer Innen- oder einer Außenfinanzierung beschaffen.

- Innenfinanzierung sind Maßnahmen zur Beschaffung von Eigenkapital innerhalb der Unternehmung wie etwa aus dem Umsatzprozess oder der Umschichtung von Vermögen.11
- Außenfinanzierung (Marktfinanzierung) ist eine Art der Kapitalbeschaffung über den Kapitalmarkt durch zusätzliche Kapitaleinlagen der bisherigen Eigentümer oder Beteiligungen Dritter.12

Die Eigenkapitalfinanzierung lässt sich nach unterschiedlichen Segmenten aufteilen, die in folgender Darstellung veranschaulicht werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Struktur des Marktes für Eigenkapital, eigene Darstellung.13

Als öffentlichen Kapitalmarkt bezeichnet man in der Regel etablierte öffentliche Börsenplätze. Unter ‚Private Equity‘, also dem nicht-öffentlichen Kapitalmarkt, bezeichnet man alle Eigenkapitaltransaktionen außerhalb organisierter Handelssysteme.14

In der Regel werden Eigenkapitaltransaktionen mithilfe von Intermediären durchgeführt. Dies sind bei ‚Public-Equity‘-Transaktionen15 in der Regel Investmentbanken und bei ‚Private-Equity‘-Transaktionen16 insbesondere ‚Private-Equity‘-Gesellschaften. Am ‚Public-Equity‘-Markt erhalten die Gesellschaften überwiegend von einem breiten, vielfach anonymen Anlegerstamm neues Eigenkapital. Im Gegensatz dazu erhalten Gesellschaften am ‚Private-Equity‘-Markt ihr Kapital von einem überwiegend kleinen und bekannten Anlegerstamm, wie z. B. Aktien-, ‚Hedgefonds‘ sowie ‚Private-Equity‘-Portfoliogesellschaften.17 Die Intermediäre treten bei den Kapitaltransaktionen, sofern sie selbst keine Investitionsabsicht haben, in der Regel als Vermittler zwischen Kapitalgebern und Kapitalnehmern auf. Der Prozess wird durch sie intensiv begleitet und überwacht.

2.2 Initial Public Offering (IPO)

Der Begriff des IPO beschreibt die Erstemission von Aktien eines Unternehmens an einer Wertpapierbörse. Die Begrifflichkeiten „Going Public“18 oder ‚Börsengang‘ werden hierfür in der Regel synonym verwendet. Darauffolgende Kapitalmarkttransaktionen, wie z. B. eine anschließende Kapitalerhöhung, werden auch als „Secondary-Offering“19 bezeichnet.

Die unterschiedlichen Formen von IPO lassen sich wie folgt systematisieren:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Systematisierung unterschiedlicher IPO-Formen.20

2.2.1 IPO-Prozess

Die meist in der Öffentlichkeit wahrgenommene finale Phase eines Börsenganges umfasst nur wenige Wochen, jedoch beginnt der Prozess für die erstmalige Emission von Aktien bereits 12-24 Monate vor dem eigentlichen ‚going public‘.21

Der IPO-Prozess lässt sich in drei wesentliche Phasen einteilen: Pre-IPO, Durchführungs- und Vermarktungsphase, Post-IPO. Zum besseren Verständnis soll die folgende Darstellung den Prozess des IPO veranschaulichen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: IPO-Prozess, eigene Darstellung.22

Fasst ein Unternehmen den Entschluss, sich Eigenkapital über einen regulierten Kapitalmarkt mittels Ausgabe von Aktien einzuwerben, beginnt es den Prozess der Pre-IPO-Phase (Vorbereitungsphase).

In der Pre-IPO-Phase werden erste grundlegende Schritte für den Börsengang vorbereitet. Einer der wesentlichen Schritte in dieser Phase ist die Herstellung der Kapitalmarktreife des Unternehmens. Die Kapitalmarktreife lässt sich in drei wesentliche Bausteine aufteilen; die rechtliche, die organisatorische und die wirtschaftliche Börsenreife.23 Die rechtlichen Kapitalmarktreife umfasst in erster Linie die Anpassung der Rechtsform in eine börsenfähige Gesellschaftsform wie z. B. eine Aktiengesellschaft (AG) mit entsprechenden Organen (Vorstand, Aufsichtsrat) und Schaffung einer börsenfähigen Satzung.24 Je nach Marktsegment, in dem die Aktie nach Emission gehandelt werden soll, müssen gewisse Publizitätspflichten eingehalten werden. Darüber hinaus sind für Unternehmen, die sich an einem organisierten Kapitalmarkt mittels Ausgabe von Wertpapieren finanzieren wollen, die Standards des Deutschen ‚Corporate-Governance‘-Kodex25 entsprechend zu berücksichtigen.

Grundsätzlich wäre es mit Erreichen der rechtlichen Kapitalmarktreife schon möglich ein Unternehmen an die Börse zu bringen, doch ohne eine wirtschaftliche Kapitalmarktreife kann das Unternehmen wohl kaum das notwendige Investoreninteresse wecken. Daher ist es sinnvoll, dass ein Unternehmen, das sich über den organisierten Kapitalmarkt finanzieren möchte, auch eine entsprechende ‚Equity-Story‘26 vorweisen kann, damit es für die Anleger auch attraktiv ist.27 Die ‚Equity-Story‘ sollte kurz und prägnant formuliert sein, Aufschluss über das Vorhaben des Unternehmens geben und dem Anleger die Frage beantworten, warum er in das Unternehmen investieren sollte.28 Dabei ist es wichtig, dass den potenziellen Investoren das Unternehmen und das Geschäftsmodell aus Kapitalmarktsicht näher gebracht wird. Das heißt, die klare und verständliche Darstellung der Kernkompetenzen, der ‚Customer-Value‘-Proposition (CVP)29, der ‚Profit-Formula‘30 sowie der Stärken und Schwächen des Geschäftsmodells. Um die Attraktivität der Investition aus Sicht eines Investors beurteilen zu können, ist es des Weiteren notwendig, einen Zukunftsausblick, insbesondere im Hinblick auf die Wachstumsperspektiven, zu geben. Die Erarbeitung der ‚Equity-Story‘ setzt eine vorangegangene ‚Due Diligence‘31 voraus, die zur Ermittlung wichtiger Daten und zur Validierung der ‚Equity-Story‘ beiträgt.

Nachdem die ersten beiden Teile der Kapitalmarktreife hergestellt wurden, soll die organisatorische Kapitalmarktreife abschließend gewährleisten, dass das Unternehmen so organisiert ist, dass es langfristig durch geschaffene Prozesse und Strukturen die kapitalmarktrechtlichen Voraussetzungen eigenständig erfüllen kann.32

Nach Herstellung der Börsenreife beginnen erste Kommunikationsaktivitäten für den geplanten Börsengang. Die Aktivitäten dienen einerseits der Steigerung der Bekanntheit des Vorhabens als auch andererseits der Feststellung des Interesses der Marktteilnehmer am geplanten Börsengang.

Bei der Auswahl der Emissionsbanken wird darüber entschieden, welche Banken den Börsengang begleiten sollen und welche Bank die Rolle des Konsortialführers einnehmen wird. Der Konsortialführer hat eine herausragende Bedeutung für den Erfolg des Börsengangs, da er die Gesamtverantwortung des Projekts von der ‚Equity-Story‘ bis hin zur Übernahme der Aktien trägt.33 Es ist also entscheidend einen oder mehrere Partner für den Börsengang zu finden, die die Interessen des zu finanzierenden Unternehmens am besten vertreten können. Alle im Konsortium vertretenen Banken sollen durch ihren Zugang zu institutionellen Investoren für eine erfolgreiche Platzierung sorgen. Die Auswahl der Investmentbanken für das Mandat erfolgt im Rahmen eines sogenannten ‚Beauty Contest‘.34 Hierbei werden ausgewählte Banken mittels RFP (‚Request for Proposal‘)35 aufgefordert, ein ‚Proposal‘ abzugeben, mit dem sie erklären können, dass sie die beste Wahl für das Bankenkonsortium oder für die Rolle des Konsortialführers sind. Kriterien für die Auswahl der Emissionsbanken beim ‚Beauty Contest‘ sind: 1.) Platzierungskraft bzw. Distributionsnetz, 2.) Unterstützung am Sekundärmarkt und 3.) Erfahrung und Reputation.36

Wurde das Projektteam ausgewählt, werden im Rahmen eines ‚Kick-Off‘-Meetings alle an der Transaktion beteiligten Parteien zusammengebracht, damit das weitere gemeinsame Vorgehen im Rahmen eines Zeitplans abgestimmt wird und die Rollen der einzelnen Teilnehmer klar definiert sind. Schließlich sind verschiedene Parteien von Investmentbanken, Rechtsanwaltskanzleien, Unternehmensvertretern, externen Beratern etc. an dem Vorhaben beteiligt, die üblicherweise sonst nicht im Austausch stehen.

Hat das Projektteam zusammengefunden, müssen im Rahmen der Entwicklung des Emissionskonzeptes entscheidende Fragestellungen behandelt werden:

- Wie soll das Emissionsvolumen in alte und neue Aktien aufgeteilt werden?
- Welche Aktiengattung soll für die Emission gewählt werden?37
- An welchem Börsenplatz soll die Ausgabe der Aktien erfolgen?
- Sollen bestimmte Investorengruppen angesprochen werden und soll ggf. eine bestimmte Investorengruppe bei der Aktienzuteilung bevorzugt werden?
- Ist eine Garantie der Abnahme der neuen Aktien (‚Underwriting Agreement‘38 ) durch die Emissionsbanken erforderlich?39
- Sind kursstabilisierende Maßnahmen nach dem Börsengang notwendig?
- Sind Veräußerungsverbote oder ‚Lock-Up‘-Verpflichtungen notwendig?40
- Welches Marktsegment soll angestrebt werden (‚Prime Standard‘, ‚General Standard‘) und ist ein zusätzliches ‚Listing‘ an anderen Börsenplätzen sinnvoll?

Bevor der Antrag zur Zulassung der Aktien an der Börse gestellt werden kann, muss ein entsprechender Wertpapierprospekt erstellt werden.41 Der Prospekt enthält eine Zusammenfassung, eine Emittentenbeschreibung und eine Wertpapierbeschreibung.42 Nach §5 des Wertpapierprospektgesetzes (WpPG) muss der Prospekt43:

- Auskunft über die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für die Beurteilung der emittierten Aktien wesentlich sind.
- Die Angaben müssen richtig und vollständig sein.
- Die Angaben müssen in leicht analysierbarer und verständlicher Form aufbereitet sein.

Ist der Prospekt erstellt, muss er von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gebilligt und veröffentlicht werden. Sind die vorbereitenden Maßnahmen abgeschlossen, müssen der Emittent und die Emissionsbank(en) einen schriftlichen Zulassungsantrag und den von der BaFin gebilligten Börsenzulassungsprospekt bei der Geschäftsführung der Wertpapierbörse einreichen.44

Die Durchführungs- und Vermarktungsphase beginnt mit der Feststellung der Marktstimmung. Um das gewünschte Emissionsvolumen zu erreichen oder zu übertreffen, ist der Zeitpunkt entscheidend. Wie wichtig der Zeitpunkt und die Markstimmung bei einem IPO sind, lässt sich an einem aktuellen Beispiel verdeutlichen. VW hat diesen Sommer ihre LKW-Sparte „Traton“ an die Börse gebracht. Der IPO wurde bereits im März aufgrund des schwachen Marktumfeldes durch die Handelsstreitigkeiten verschoben. Als im Juni die Zeichnungsphase mit einer Spanne von 27­–33 € begann, erwartete Volkswagen einen Erlös von rund 1,9 Mrd. €. Die Emission der Aktien erfolgte zu einem Kurs von 27 €, womit die Konzernmutter nur das untere Ende des Emissionsziels mit einem Erlös i. H. v. 1,5 Mrd. € erreichte.45 Für die Beurteilung der Marktstimmung werden eine Vielzahl von Kriterien herangezogen, wie beispielsweise die Marktliquidität, Marktvolatilität, Stimmungsindikatoren, aber auch Faktoren, die sich nicht anhand solcher Datenerhebungen ergeben, wie z. B. bevorstehende wirtschafts- oder weltpolitische Ereignisse.

Ist der geeignete Zeitpunkt für die Emission gekommen, erfolgt jener Teil des IPOs, den die Öffentlichkeit in der Regel am meisten wahrnimmt, die Preisfindung bzw. die Zeichnungsphase.

Die folgende Darstellung soll die gängigsten Verfahren zur Feststellung des Emissionspreises verdeutlichen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Preisbildungsverfahren bei Aktienemissionen, eigene Darstellung.46

Das ‚Bookbuilding‘-Verfahren findet bei der Preisfindung für Erstemissionen über die Börse die häufigste Anwendung, da die Anleger bei der Preisgestaltung mitwirken können. Entscheidet sich das Unternehmen für die Preisfindung mittels des ‚Bookbuilding‘-Verfahrens, erfolgt dies in vier Schritten: 1.) ‚Pre-Marketing‘-Phase, 2.) ‚Marketing‘-Phase, 3.) ‚Order-Taking‘-Phase, 4.) Zuteilungsphase.47 Die ‚Pre-Marketing‘-Phase dient der Verdichtung der Preisspanne. Durch spezielle Veranstaltungen werden institutionelle Anleger über die geplante Emission informiert. Die potenziellen Investoren können bei diesen Veranstaltungen unverbindliche Angebote für die neue Emission abgeben, die als Richtgröße für die Ermittlung der Preisspanne dienen.

Fast während des gesamten IPOs werden Marketingmaßnahmen durchgeführt. Bei der Findung der Preisspanne und während der Zeichnungsphase befinden sich die Marketingaktivitäten jedoch auf einem Höhepunkt. Ist die Preisspanne festgelegt, folgt die Marketingphase, in der das Bankenkonsortium gezielt auf institutionelle Anleger und Großinvestoren zugeht, um durch Werbung für die anstehende Emission die potenziellen Anleger dazu zu bewegen, Zeichnungen abzugeben. Abschließend wird die Öffentlichkeit über den Angebotsrahmen informiert, damit ggf. auch Privatanleger an der Platzierung teilnehmen können. Nach der Preisfindung folgt die Zeichnungsphase, bei der die Anleger ihre Aufträge für die Zeichnung der Aktien innerhalb der Preisspanne abgeben oder verändern können. Wenn die Zeichnungsphase, vorzeitig oder zum regulären Ende der Frist, beendet wird, können die Anleger nicht mehr von ihrem Gebot zurücktreten und es erfolgt die Feststellung des Emissionspreises. Im gleichen Zuge wird darüber entschieden, wie die Zuteilung der Aktien erfolgt. Diese erfolgt entweder per Losverfahren oder nach einem bestimmten Verteilungsschlüssel. Der Schlüssel berücksichtigt i. d. R. die bevorzugte Investorengruppe des Emittenten bei der Zuteilung.48 Die Lieferung und Abrechnung der Aktien auf den Kundenkonten erfolgt binnen zwei ‚Valuta‘-Tagen nach Notierungsaufnahme.

Mit dem Beginn der Notierung der Aktien an der Börse beginnt die dritte und letzte Phase, die Sekundärmarktbetreuung (Post-IPO). Am ersten Handelstag nach Platzierung der Aktien besteht die Gefahr, dass es zu Kursverwerfungen beim Handel der neuen Aktien kommt. Ein Grund hierfür kann eine Unsicherheit aufgrund des fehlenden Track-Records der Aktie sein. Häufig gibt es bei Aktienemissionen eine erhöhte Nachfrage, da sich beispielsweise einige Marktteilnehmer durch die neuen Aktien kurzfristige Kursgewinne bei Notierungsaufnahme erhoffen und die neu zugeteilten Aktien gleich zum Verkauf stellen.49 Um einen möglichst stabilen Kurs nach Notierungsaufnahme zu erreichen, erfolgt daher kurz nach Handelsbeginn eine intensive Kursbeobachtung durch die Emissionsbank(en), um ggf. Gegenmaßnahmen einleiten zu können.

Sollte sich das Unternehmen bei der Emission dazu entschlossen haben, kursstabilisierende Maßnahmen durchzuführen, wird es hierbei von der begleitenden Investmentbank unterstützt. Bei einer ‚Green-Shoe‘-Option50 erfolgt über die geplante Zuteilung des Emissionsvolumens hinaus eine Mehrzuteilung an Aktien, die von den Alt-Aktionären mittels Wertpapierdarlehen geliehen werden. Sollte der Kurs der Aktien nach Ausgabe unter den Emissionspreis fallen, kann durch Aktienrückkäufe das Angebot verkleinert werden, wodurch wiederum der Kurs steigt. Sollte der Aktienkurs nach der Ausgabe der Aktien über den Emissionspreis steigen, bleiben die Aktien zugeteilt und somit ein höheres Emissionsvolumen erreicht.

Die folgende Darstellung soll das Vorgehen bei einer ‚Green-Shoe‘-Option51 veranschaulichen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: ‚Green-Shoe‘-Option, eigene Darstellung.52

Das Unternehmen kann die weiteren nach dem IPO folgenden Aufgaben selbst wahrnehmen oder im Nachgang dauerhaft die Unterstützung einer Bank in Anspruch nehmen. Sobald die Aktien am Sekundärmarkt gehandelt werden, muss das Unternehmen umfangreiche Zulassungsfolgepflichten erfüllen. Hierzu gehört die Regelpublizität, je nach Marktsegment. Im ‚Prime Standard‘ wären das beispielsweise ein Jahresfinanzbericht und Halbjahresfinanzbericht nach den Vorgaben des WpHG, Quartalsmitteilungen und ein Quartalsfinanzbericht, mind. eine jährliche Analystenkonferenz, einen Unternehmenskalender, um den Kapitalmarkt auf wichtige Termine aufmerksam zu machen, und die Veröffentlichung von Insiderinformationen nach WpHG.53 Da die ‚Deutsche Börse AG‘ Chancengleichheit, insbesondere auch für internationale Marktteilnehmer schaffen möchte, sind alle Informationen in deutscher und englischer Sprache zu veröffentlichen.54

Emittenten von Finanzinstrumente müssen nach dem WpHG und der europäischen Marktmissbrauchsverordnung (MAR) umfangreiche Publizitätspflichten erfüllen. Hierzu zählen Ad-hoc-Publizität, ‚Directors Dealings‘, Stimmrechtsanteile in Unternehmen sowie Informations- und Veröffentlichungspflichten.55

2.2.2 Rechtliche Grundlagen und aufsichtsrechtliche Voraussetzungen

Seit der Finanzkrise 2007 haben sich die regulatorischen Vorgaben für Banken deutlich verschärft56, daher sollen im Folgenden einige relevante Grundlagen hierzu näher betrachtet werden. Das Kapitalmarktrecht ist bei der Kapitalbeschaffung essenziell, obgleich es bisher für den Begriff des Kapitalmarktrechts keine anerkannte Definition gibt, was die Systematisierung der Thematik schwierig gestaltet.57 „Das Kapitalmarktrecht hat zwei Regelungsziele: den Funktionsschutz des Kapitalmarkts und den Anlegerschutz. Beide sind miteinander verflochten.“58 Wesentliche Rechtsquellen des Kapitalmarktrechts sind das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG), das Börsengesetz (BörsG) sowie das Europarecht, das aus Richtlinien und Verordnungen besteht. Darüber hinaus sind ggf. kleinere Rechtsquellen, wie z. B. das Wertpapierprospektgesetz (WpPG), das Investmentgesetz (InvG) sowie das Geldwäschegesetz (GWG), und ggf. international geltendes Recht relevant.

Wesentlichen Einfluss auf die Gesetzgebung hat die EU-Richtlinie „Markets in Financial Instruments Directive (MiFID)“, die von den EU-Mitgliedsstaaten in nationales Recht übersetzt werden muss. Sie gilt seit 2007 in der gesamten Europäischen Union und ist ein Eckpfeiler der EU-Finanzmarktregulierung. Die Richtlinie legt folgendes fest59:

- Geschäftsführung und organisatorische Anforderungen an Wertpapierfirmen
- Zulassungsanforderungen für geregelte Märkte
- Meldewesen zur Vermeidung von Marktmissbrauch
- Handelstransparenzpflicht für Aktien und Regeln für die Zulassung von Finanzinstrumenten zum Handel

Seit dem 03.01.2018 wurde die besagte Richtlinie weiterentwickelt (MiFID II) und um eine andere Richtlinie, die „Markets in Financial Instruments Regulation (MiFIR)“ ergänzt, um eine noch stärkere Markttransparenz für alle Teilnehmer und einen sichereren, gerechteren und effizienteren Markt zu schaffen.60

Mit dem Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) werden in Deutschland wesentliche Teile der MiFID-Richtlinie in nationales Recht übersetzt. Das WpHG bildet zusammen mit dem Börsengesetz (BörsG) den zentralen Teil des Kapitalmarktrechts61, der ggf. durch weitere Rechtsquellen ergänzt wird. Vom Gang an die Börse (IPO) über laufende Pflichten für Emittenten und Verhaltenspflichten für Wertpapierdienstleistungsunternehmen bis hin zum Wiederruf (‚Delisting‘) von Wertpapieren enthalten die Gesetze wesentliche Regelungen, die zu beachten sind. Folgende Darstellung soll einen Überblick über relevante Regelungen geben:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7: Wesentliche Regelungen des Kapitalmarktrechts.62

Rechtsfolgen bei Verstößen gegen die genannten Vorschriften können für Unternehmen verheerend sein. Z. B. bei Verstößen des Insiderrechts oder bei Vorliegen des Tatbestandes der Marktmanipulation können den betroffenen Personen Geldstrafen und bis zu fünf Jahre Gefängnisstrafe drohen.63 Neben den betroffenen Personen können sich die Strafen, je nach Fall, auch auf den Emittenten oder dritte Personen erstrecken, sofern sie vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben.

Beschafft man sich Kapital an einem regulierten Markt, können sich die Marktzulassungsfolgepflichten, je nach gewählten Anlegerpublikum, unterschiedlich gestalten. Das WpHG unterscheidet drei Anlegergruppen mit unterschiedlicher Schutzbedürftigkeit: Privatkunden, professionelle Kunden und geeignete Gegenparteien.64 Privatkunden sind nach dem Gesetz die Anlegergruppe mit der höchsten Schutzbedürftigkeit. Sofern sich ein Emittent dazu entschließt, Privatkunden in sein Anlegerpublikum aufzunehmen, so sollte er in der Lage sein, den gesetzlichen Umfang an geforderten Informationspflichten zu erfüllen. Professionelle Kunden im Sinne des WpHG §67 Abs.2 sind Kunden, die über ausreichende Erfahrungen, Kenntnisse und Sachverstand verfügen, um ihre Anlageentscheidungen zu treffen und die damit verbundenen Risiken angemessen beurteilen zu können. Aufgrund der Sachkenntnis dieser Anlegergruppe ist die Schutzbedürftigkeit geringer als die der Privatkunden. Z. B. kann hier in der Beratung oder bei der Auftragsausführung auf die Aushändigung von Pflichtunterlagen, wie z. B. das Basisinformationsblatt, verzichtet werden. Professionelle Kunden sind beispielsweise institutionelle Anleger, Wertpapierfirmen oder Versicherungsvereine, die zulassungs- oder aufsichtspflichtig sind, um auf den Finanzmärkten tätig sein zu können oder einen Geschäftsumfang aufweisen, der nach WpHG eines professionellen Anlegers würdig ist. Geeignete Gegenparteien sind eine Sonderform der professionellen Anleger. Hierzu zählen z. B. Börsen-, Warenderivatehändler, Zentralbanken, die Weltbank oder der Internationale Währungsfonds. Die geeigneten Gegenparteien weisen die geringste Schutzbedürftigkeit der drei Anlegergruppen aus, daher kann bei Wertpapiergeschäften mit dieser Anlegergruppe auf einige Verhaltenspflichten nach WpHG verzichtet werden.

Ist ein Unternehmen an der Börse notiert, gehört gem. §161 Aktiengesetz (AktG) es zu den Zulassungsfolgepflichten, eine jährliche Mitteilung zur Umsetzung des ‚Deutschen Corporate-Governance-Kodex‘ im Bundesanzeiger und auf der Internetseite des Unternehmens zu veröffentlichen. „Der Deutsche Corporate Governance Kodex stellt wesentliche gesetzliche Vorschriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften dar und enthält in Form von Empfehlungen und Anregungen international und national anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung.“65

Kommt es zur Verwahrung von Werten, sei es in Form von Buchgeld, Wertpapieren oder anderen Wertgegenständen, haben die Verwahrer wesentliche Regelungen des Geldwäschegesetzes (GWG) zu beachten. Das GWG dient der Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung sowie der Aufdeckung von Geldern, die aus Straftaten stammen und in den legalen Wirtschaftskreislauf eingeführt werden sollen.

[...]


1 Goodwin 2015

2 Vgl. Deutsche Börse AG 2019 a

3 Unternehmen im Bereich Finanztechnologie

4 McKinsey&Company 2016 S.1

5 Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht 2017 a S.16

6 Wohlschlägl-Aschberger 2019 S.121

7 Strategy& Pricewaterhouse Coopers Switzerland 2018 S.1

8 Vgl. CoinSchedule Beta 2019

9 Vgl. McKinsey&Company 2016 S.4

10 Eigene Darstellung

11 Vgl. Achleitner, et al. 2015 S.75

12 Vgl. Achleitner, et al. 2015 S.15

13 Vgl. Eilenberger und Haghani 2008 S.11

14 Vgl. Eilenberger und Haghani 2008 S.11

15 Engl. Öffentliches Eigenkapital, Anteile sind öffentlich an einem Markt handelbar

16 Engl. Privates Eigenkapital, Anteile sind an einem öffentlichen Börsenplatz handelbar

17 Vgl. Eilenberger und Haghani 2008 S.12 ff.

18 Engl. An die Öffentlichkeit gehen

19 Engl. Zweites Angebot

20 Vgl. Wirtz und Salzer 2001 S.7

21 Vgl. Handelsblatt Research Institute 2014

22 Vgl. Henge, Kostadinov und Kleinwort 2006 S.239, Vgl. Habersack, Mülbert und Schlitt 2019 S.60 ff. u. 91 ff., Vgl. Schanz 2012 S.187 ff. u. S.315 ff.

23 Vgl. Handelsblatt Research Institute 2014

24 Vgl. Blättchen 2006 S.129 ff.

25 Siehe auch Kapitel 2.2.2

26 Engl. Eigenkapital Geschichte, kurze Zusammenfassung des Gesamtkonzepts der Kapitalbeschaffung

27 Vgl. Handelsblatt Research Institute 2014 S.5

28 Vgl. Haubrock 2006 S.33

29 Engl. Kundennutzenversprechen, welchen Mehrwert möchte das Unternehmen für seine Kunden schaffen

30 Engl. Gewinnformel

31 Sorgfältige Prüfung im Zusammenhang mit Kapitaltransaktionen

32 Vgl. Handelsblatt Research Institute 2014 S.9

33 Vgl. Blättchen 2006 S.137

34 Engl. Schönheitswettbewerb, beschreibt ein Auswahlverfahren; vgl. Wiesmann, von Gossler und von Harder 2011 S.42

35 Engl. Aufforderung zur Abgabe eines Angebots

36 Vgl. Straoßom 2013 S.375

37 Vgl. Habersack, Mülbert und Schlitt 2019 S.69

38 Engl. Zeichnungsvereinbarung, das Bankenkonsortium garantiert die Abnahme einer bestimmten Anzahl von Aktien zu einem bestimmten Preis

39 Vgl. Schanz 2012 S.287

40 Vgl. Schanz 2012 S.200 ff.

41 Vgl. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht 2013

42 Vgl. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht 2018 a

43 Vgl. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz 2018

44 Vgl. Deutsche Börse AG 2019 a

45 Vgl. Bloomberg 2019

46 Vgl. Schuster und Uskova 2015 S.60 ff

47 Vgl. Schuster und Uskova 2015 S.62

48 Vgl. Deutsche Börse AG 2019 b

49 Vgl. Wiesmann, von Gossler und von Harder 2011 S.58

50 Vgl. Deutsche Börse AG 2019 c

51 Engl. Mehrzuteilungsoption

52 Vgl. Drinhausen 2018 Rn. 155

53 Vgl. Deutsche Börse AG 2019 d

54 Vgl. Deutsche Börse AG 2019 d

55 Vgl. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht 2018 b

56 Vgl. Deutsche Bank AG 2018 d

57 Vgl. Buck-Heeb 2013 S.2

58 Buck-Heeb 2013 S.3

59 Vgl. European Security and Markets Authority 2019

60 Vgl. European Security and Markets Authority 2019

61 Vgl. Buck-Heeb 2013 S.7

62 Vgl. Buck-Heeb 2013 S.32 ff., S.87 ff., S.211 ff.

63 Vgl. Buck-Heeb 2013 S.106ff.

64 Vgl. Buck-Heeb 2013 S.213ff.

65 Regierungskomission Deutscher Corporate Governance Kodex 2019

Excerpt out of 104 pages

Details

Title
Ist das Initial Coin Offering (ICO) das neue Initial Public Offering (IPO)?
College
University of Applied Sciences Ludwigshafen
Year
2019
Pages
104
Catalog Number
V515234
ISBN (eBook)
9783346107572
ISBN (Book)
9783346107589
Language
German
Keywords
initial, coin, offering, public
Quote paper
Anonymous, 2019, Ist das Initial Coin Offering (ICO) das neue Initial Public Offering (IPO)?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/515234

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