Rechtsnatur und Funktion des Widerspruchsverfahrens
Das Widerspruchsverfahren ist ein Verwaltungsverfahren. Es ist zwar teilweise in §§68 ff. VwGO1 geregelt, was nahe legen könnte, es handle sich um ein zum Verwaltungsprozess gehörendes Verfahren. Der verwendete Begriff „Vorverfahren“ spricht jedoch für die Annahme eines vom Verwaltungsprozess strukturell und inhaltlich getrennten Verfahren, ebenso wie die in §79 2.HS VwVfG vorgesehene ergänzende Anwendung des VwVfG auf das Widerspruchsverfahren2. Dem doppelten Charakter (als Zulässigkeitsvoraussetzung einer verwaltungsgerichtlichen Klage erfüllt das Widerspruchsverfahren zugleich eine prozessuale Funktion3) entsprechend beurteilt sich die Kompetenz zur Gesetzgebung. Nach Art. 74 Nr.1 GG steht diese unstreitig dem Bund zu, die Voraussetzungen für die Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Klage zu erheben. Davon unberührt bleiben die inhaltlichen Befugnisse der Wbeh, in der Sache zu entscheiden. Die Sachentscheidung orientiert sich, da sie in einem Verwaltungsverfahren ergeht, am Vwvfr, dessen Regelungen gemäß Art.70 I, Art. 84 I GG grds. Angelegenheit der Länder ist.
Das Widerspruchsverfahren hat drei Funktionen, die nachfolgend benannt werden. Zunächst soll der Bürger einen Rechtsschutz erlangen. Zum einen soll ihm eine zusätzliche Rechtsverfolgung gegeben werden, um sein Ziel einfacher, schneller und kostengünstiger zu erreichen. Andererseits wird ihm ein Schutz gewährt, indem dieser Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung (§80 I) hat. Die Überprüfung umfasst nicht nur die Rechtmäßigkeitskontrolle, sondern auch eine volle Überprüfung der Zweckmäßigkeit der angezweifelten Entscheidung. Eine weitere Funktion des Widerspruchsverfahrens besteht darin, dass sich die Verwaltung selbst kontrollieren kann. Ihr wird mit der Einlegung des Widerspruchs die Möglichkeit gegeben, die angegriffene Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht noch einmal zu überprüfen. Auch steht ihr eine Heilung und Kompensation von Fehlern zu, indem die Behörde eine fehlerhafte oder ausgelassene Verfahrenshandlung korrekt nachholt4. Zuletzt soll damit auch eine Entlastung der Gerichte erzielt werden...
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1 Alle nicht näher bezeichneten §§ sind solche der VwGO
2 Vgl. Weides, Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren, 3. Aufl., S. 222f.
3 Vgl. Brandt/Sachs (Hrsg.), Handbuch Verwaltungsverfahren und -prozess, Kapitel F, RdNr. 18
4 Vgl. Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 3.Aufl., RdNr. 527
Gliederung
1 Rechtsnatur und Funktion des Widerspruchsverfahrens
2 Ablauf des Widerspruchverfahrens
2.1 Beginn und Wirkung
2.2 Verfahrensablauf und Beendigung
3 Zulässigkeitsvoraussetzungen des Widerspruchs
3.1 Verwaltungsrechtswegeröffnung §40 (1) VwGO analog
3.2 Statthaftigkeit des Widerspruchs
3.3 Ordnungsgemäße Erhebung des Widerspruchs
3.3.1 Zuständigkeit der Behörde
3.3.2 Form
3.3.3 Widerspruchsfrist §70 (1) S.1 VwGO
3.3.3.1 Dauer der Frist und Einhaltung
3.3.3.2 Berechnung der Frist
3.3.3.3 Entscheidung in der Sache bei einem verfristeten Widerspruch
3.3.3.4 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand §60 VwGO
3.4 Allgemeine Verfahrensvoraussetzungen
3.5 Widerspruchsbefugnis und allgemeines Rechtsschutzinteresse
4 Begründetheit des Widerspruchs
4.1 Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit
4.2 Maßgebliche Sach- und Rechtslage
4.3 Umfang der Prüfung
4.4 Reformatio in peius - Verschlechterung im Widerspruchsverfahren
4.4.1 Begriff und Abgrenzung
4.4.2 Zulässigkeit der reformatio in peius
4.4.3 Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde und Umfang
5 Anforderungen an den Widerspruchsbescheid
5.1 Form, Begründung und Rechtsbehelfsbelehrung
5.2 Zustellung des Widerspruchsbescheides
5.3 Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Rechtsnatur und Funktion des Widerspruchsverfahrens
Das Widerspruchsverfahren ist ein Verwaltungsverfahren. Es ist zwar teilweise in §§68 ff. VwGO[1] geregelt, was nahe legen könnte, es handle sich um ein zum Ver-waltungsprozess gehörendes Verfahren. Der verwendete Begriff „Vorverfahren“ spricht jedoch für die Annahme eines vom Verwaltungsprozess strukturell und in-haltlich getrennten Verfahren, ebenso wie die in §79 2.HS VwVfG vorgesehene ergänzende Anwendung des VwVfG auf das Widerspruchsverfahren[2].
Dem doppelten Charakter (als Zulässigkeitsvoraussetzung einer verwaltungs-gerichtlichen Klage erfüllt das Widerspruchsverfahren zugleich eine prozessuale Funktion[3] ) entsprechend beurteilt sich die Kompetenz zur Gesetzgebung. Nach Art. 74 Nr.1 GG steht diese unstreitig dem Bund zu, die Voraussetzungen für die Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Klage zu erheben. Davon unberührt bleiben die inhaltlichen Befugnisse der Wbeh, in der Sache zu entscheiden. Die Sachentscheidung orientiert sich, da sie in einem Verwaltungsverfahren ergeht, am Vwvfr, dessen Regelungen gemäß Art.70 I, Art. 84 I GG grds. Angelegenheit der Länder ist.
Das Widerspruchsverfahren hat drei Funktionen, die nachfolgend benannt werden. Zunächst soll der Bürger einen Rechtsschutz erlangen. Zum einen soll ihm eine zusätzliche Rechtsverfolgung gegeben werden, um sein Ziel einfacher, schneller und kostengünstiger zu erreichen. Andererseits wird ihm ein Schutz gewährt, in-dem dieser Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung (§80 I) hat. Die Überprüfung umfasst nicht nur die Rechtmäßigkeitskontrolle, sondern auch eine volle Überprü-fung der Zweckmäßigkeit der angezweifelten Entscheidung. Eine weitere Funk-tion des Widerspruchsverfahrens besteht darin, dass sich die Verwaltung selbst kontrollieren kann. Ihr wird mit der Einlegung des Widerspruchs die Möglichkeit gegeben, die angegriffene Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht noch einmal zu überprüfen. Auch steht ihr eine Heilung und Kompensation von Fehlern zu, indem die Behörde eine fehlerhafte oder ausgelassene Verfahrens-handlung korrekt nachholt[4]. Zuletzt soll damit auch eine Entlastung der Gerichte erzielt werden. Der Entlastungseffekt ergibt sich aus den beiden vorher genannten Funktionen. Fehler können ohne Inanspruchnahme der Gerichte beseitigt werden und der Bürger sieht dadurch von einer verwaltungsgerichtlichen Klärung ab.
2 Ablauf des Widerspruchsverfahrens
2.1 Beginn und Wirkung
Mit Erhebung des Widerspruchs durch den Beschwerten beginnt das Vorverfah-ren (§69), wobei er sich gegen einen VA richten muss. Er ist erhoben, wenn die Anforderungen des §70 I erfüllt sind und der zuständigen Behörde zugegangen ist. Das setzt voraus, dass der Widerspruch in den Machtbereich der Behörde gelangt ist. In dem Widerspruchsschreiben muss mindestens erkennbar sein, von wem es stammt, gegen welchen VA es sich richtet und dass eine Nachprüfung begehrt wird. Bewirkt wird die Eröffnung eines Verwaltungsverfahrens und der Eintritt des Suspensiveffekts sowie des grds. vorgesehenen Devolutiveffekts. Der Suspen-siveffekt ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs, wodurch verboten wird, Maßnahmen zu treffen, die darauf gerichtet sind, einen VA zu verwirk-lichen, insb. ihn zwangsweise zu vollziehen. Tritt der Devolutiveffekt ein, geht das Verfahren mit Außenwirkung auf eine übergeordnete Instanz über.
2.2 Verfahrensablauf und Beendigung
Es muss unterschieden werden, ob es sich bei der Ausgangs- und Widerspruchs-behörde um zwei verschiedene oder identische Behörden handelt. Gemäß §72 hat zunächst die Ausgangsbehörde eine Prüfung vorzunehmen (Abhilfeverfahren), wenn es sich bei der Ausgangs- und Widerspruchsbehörde um zwei verschiedene Behörden handelt. Bei Behördenidentität entfällt das Abhilfeverfahren. Im Ab-hilfeverfahren entscheidet die Ausgangsbehörde in eigener Zuständigkeit über die Zulässigkeit und Begründetheit des Widerspruchs. Bei einem positiven Ergebnis für den Widerspruchsführer erlässt die Behörde einen Abhilfebescheid gemäß §72. Damit ist der Widerspruch verbraucht, das Verfahren wird beendet und der Devolutiveffekt tritt nicht ein. Wird die Möglichkeit einer Abhilfe nicht wahrge-nommen oder nicht eröffnet, liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor, der zur isolierten Anfechtung des Widerspruchsbescheides berechtigt, §79 II S.2[5].
[...]
[1] Alle nicht näher bezeichneten §§ sind solche der VwGO
[2] Vgl. Weides, Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren, 3. Aufl., S. 222f.
[3] Vgl. Brandt/Sachs (Hrsg.), Handbuch Verwaltungsverfahren und -prozess, Kapitel F, RdNr. 18
[4] Vgl. Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 3.Aufl., RdNr. 527
[5] Weides, Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren, 3. Aufl., S.229
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