Diese Abschlussarbeit befasst sich mit der Frage, wie eine gezielte Förderung des Wortschatzes im Fach Erdkunde dazu beitragen kann, ein- und mehrsprachige Schülerinnen und Schüler in diesem Bereich gezielt zu unterstützten.
Zu Beginn und Ende des Schuljahres 2003/2004 wurde die Studie „DESI“ an mehreren deutschen Schulen durchgeführt. Untersucht wurden die sprachlichen Leistungen der Schülerinnen und Schüler des neunten Jahrganges in den Fächern Deutsch und Englisch. Teil der Studie war ein Wortschatz-Test, welcher ergab, dass die Wortschatzkompetenz 38% aller Schülerinnen und Schüler unter dem Niveau A liegt. Das bedeutet, dass diese den Grundwortschatz von 2000 Wörtern nur teilweise beherrschen. Betroffen sind davon verstärkt Schülerinnen und Schüler, deren Hauptsprache nicht Deutsch ist, aber auch deutschsprachige Jugendliche weisen hier einen Förderbedarf auf. Auffällig ist, dass sich vorrangig in den Hauptschulen und den Integrierten Gesamtschulen über 50% der Schülerinnen und Schüler unter dem Niveau A befinden. Willenberg befürchtet, dass unter anderem die fehlende Fachliteratur zur Wortschatzarbeit im Sekundarbereich schuld daran ist, dass die Lehrerschaft sich zwar thematisch mit Wortschatzproblemen auseinandersetze, diese jedoch nicht systematisch behandeln könne. Zudem seien sich die Lehrkräfte der Wichtigkeit eines differenzierten Wortschatzes nicht bewusst.
Um dem Ziel dieser Arbeit nachzukommen, wird deshalb zunächst eine Überblick über die wichtigsten Aspekte der Sprach- und Wortschatzförderung gegeben, bevor in Kapitel zwei der Spracherwerb im Deutschen und verschiedene Spracherwerbstypen theoretisch vorgestellt werden. Anschließend wird auf das sogenannte mentale Lexikon eingegangen, bevor im Kapitel 4 der Wortschatzerwerb selbst in Erst- und Zweitsprache vorgestellt wird. Hiernach werden dann die verschiedenen fachsprachlichen Register, speziell das Fach Erdkunde, näher beleuchtet. Kapitel sechs endet zusammenfassend mit den wichtigsten Kompetenzen, die Fachlehrkräfte zur gezielten Förderung des Wortschatzes mitbringen müssen. Aufbauend auf den Kapiteln zwei bis sechs werden dann die Erkenntnisse in eine empirische Studie, basierend auf Leitfadeninterviews, umgesetzt. Im letzten Kapitel wird eine Beispielstunde, die auf den zuvor gesammelten Erkenntnissen beruht, dargestellt, bevor die Arbeit mit einer reflektierenden Zusammenfassung und einem Ausblick endet.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Spracherwerb im Deutschen
2.1 Spracherwerbstypen
2.2 DaM, DaF und DaZ
3 Wortschatz und mentales Lexikon
3.1 Aufbau des mentalen Lexikons
3.2 Wortschatz
4 Wortschatzerwerb
4.1 Im Erstspracherwerb
4.2 Im Zweitspracherwerb
5 Sprachen in der Schule
5.1 Schulische Sprachregister
5.2 Merkmale und Herausforderungen der Fachsprache Erdkunde
5.3 Sprachsensibler Fachunterricht
6 Wortschatzarbeit
6.1 Prinzipien der Wortschatzarbeit
6.2 Beispiele fur die Umsetzung im Erdkundeunterricht
6.3 Notwendige Kompetenzen seitens der Lehrkrafte
6.4 Sprachliche Ausbildung von Fachlehrkraften
7 Empirische Studie: Wortschatzforderung im Erdkundeunterricht
7.1 Fragestellungen
7.2 Methoden: Erhebung und Auswertung
7.2.1 Probanden
7.2.2 Das Leitfadeninterview
7.2.3 Entwicklung des Leitfadens
7.2.4 Durchfiihrung
7.2.5 Transkription
7.2.6 Inhaltsanalyse
7.3 Ergebnisse der empirischen Studie
7.3.1 Besonderheiten des Erdkundeunterrichts
7.3.2 Umsetzung des Wissens Uber Wortschatzarbeit
7.3.3 Rolle der Fachlehrkrafte bei der Sprachforderung
7.3.4 Umgang mit Sprachforderung an den Schulen
7.4 Diskussion der Ergebnisse der empirischen Studie
8 Beispielstunde: Wortschatzarbeit im Erdkundeunterricht
8.1 Sprachdidaktische Begriindung der Beispielstunde
8.2 Stundenverlaufsplan
9 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
A1 Kurzfragebogen
A2 Interviewleitfaden
A3 Transkriptionsregeln
A4 Transkript eines Interviews (exemplarisch)
A5 Materialien fur die Beispielstunde
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Ubersicht Probanden
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Zu Beginn und Ende des Schuljahres 2003/2004 wurde die Studie „DESI" (Deutsch-Englische-Schtilerleistung-lnternational) an mehreren deutschen Schulen durchgeftihrt. Untersucht wurden die sprachlichen Leistungen der Schtilerinnen und Schuler des neunten Jahrganges in den Fachern Deutsch und Englisch. (DIPF, 2006) Teil der Studie war ein Wortschatz-Test, welcher ergab, dass die Wortschatzkompetenz 38% aller Schulerinnen und Schuler unter dem Niveau A liegt. Das bedeutet, dass diese den Grundwortschatz von 2000 Wortern nur teilweise beherrschen. Betroffen sind davon verstarkt Schulerinnen und Schuler, deren Hauptsprache nicht Deutsch ist, aber auch deutschsprachige Jugendliche weisen hier einen Forderbedarf auf. Auffallig ist, dass sich vorrangig in den Hauptschulen und den Integrierten Gesamtschulen tiber 50% der Schulerinnen und Schuler unter dem Niveau A befinden. (Willenberg, 2007) Willenberg befurchtet, dass unteranderem die fehlende Fachliteratur zur Wortschatzarbeit im Sekundarbereich schuld daran ist, dass die Lehrerschaft sich zwar thematisch mit Wortschatzproblemen auseinandersetze, diese jedoch nicht systematisch behandeln konne. Zudem seien sich die Lehrkrafte der Wichtigkeit eines differenzierten Wortschatzes nicht bewusst.
Zu den unbefriedigenden Ergebnissen der DESI-Studie im Bereich Wortschatz kommt hinzu, dass die Bundesrepublik Deutschland schon lange nicht mehr einsprachig ist (Rothweiler, 2007). Sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel bekannte sich 2015 offentlich dazu, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei, was als Bereicherunggesehen werden konne (FAZ, 2015). Es ist ein Land mitethnischer und sprachlicher Vielfalt (Rothweiler, 2007). So hatten im Jahr 2016 rund ein Drittel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland einen Migrationshintergrund (Statistisches Bundesamt, 2016a), das bedeutet haufig, auch wenn sie in Deutschland geboren wurden, ist ihre Erstsprache nicht Deutsch. Bedingt durch die Fluchtlingskrise wird die Zahl der Kinder und Jugendlichen, mit einer anderen Herkunftssprache und wenigen bis keinen Deutschkenntnissen, in den Schulen weiter ansteigen. Sobald ihr Aufenthaltsstatus geklart ist, mussen die meisten von ihnen eine Schule besuchen und sich somit aktiv mit der deutschen Sprache auseinandersetzen. (Massumi & Dewitz, 2015) Die Beherrschung der Umgebungssprache ist fur die gesellschaftliche Teilhabe entscheidend und somit auch fur eine gelingende Integration dieser Kinder und Jugendlichen. Sie mussen demzufolge den deutschen Wortschatz neu erlernen und sind dabei auf das deutsche Bildungssystem angewiesen.
Das Unterrichten von sprachlich heterogenen Lerngruppen ist inzwischen zum Alltag einer jeden Lehrkraft geworden (Dtippe, 2013), vor allem fur jene, die an den Mittelstufen unterrichten. Hier hatten im Schuljahr 2014/2015 etwa 8% (ca. 320.000) der SchiJlerinnen und Schtiler einen Migrationshintergrund, wahrend sie im Sekundarbereich II mit 6% (ca. 58.000) unterreprasentiert waren (Statistisches Bundesamt, 2016b). Durch die steigende Zahl an Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in den Schulen, rtickt der sprachsensible Fachunterricht als eine MalSnahme um Bildungsgerechtigkeit herzustellen, immer mehr in den Vordergrund. Dabei ist jedoch zu beachten, dass das sprachsensible Unterrichten nicht nur auf die nicht-deutschsprachigen SchiJlerinnen und Schulern ausgerichtet werden darf, auch deutsche Muttersprachler sollten davon profitieren. Vor allem den Fachlehrkraften, welche nicht sprachlich ausgebildet sind, fehlen Handlungsstrategien dafur, wie sie mit der sprachlichen Heterogenitat ihrer SchiJlerinnen und SchiJler umgehen sollen, um deren Sprachkompetenz zu fordern (Duppe, 2013). Immer wieder aulSern Fachlehrkrafte Vorbehalte, weshalb sie in ihrem Unterricht nicht aktiv am Wortschatz der Lernenden arbeiten konnten. Sei es die mangelnde Zeit oder die didaktische bzw. methodische Unsicherheit, aufgrund der fehlenden Ausbildung. (Duppe, 2013)
Erdkunde ist ein Fach, welches uber eine eigene fachspezifische Sprache verfugt und viele Fachbegriffe aufweist. Dennoch ist den Fachlehrkraften haufig nicht bewusst, welche Bedeutung die Spracharbeit auch fur ihr Fach hat, obwohl ihnen meist auffallt, wenn SchiJlerinnen und SchiJler Defizite in den sprachbezogenen Kompetenzbereichen haben. Spatestens dann, wenn die Lernenden aufgrund von fehlenden Sprachkompetenzen die Inhalte des Erdkundeunterrichts nicht mehr erfassen konnen, sollten die Fachlehrkrafte MalSnahmen einleiten. SchlielSlich kann der geographische Fachwortschatz nicht von einer Lehrkraft im Fach Deutsch vermittelt werden, die Erdkundelehrkrafte miJssen die Verantwortung dafur innerhalb ihres Faches selbst ubernehmen. (Duppe, 2013)
Vor diesen Hintergrunden wird die Fragestellung zu der vorliegenden wissenschaftlichen Hausarbeit formuliert: Wie kann eine gezielte Wortschatzforderung im Fach Erdkunde dazu beitragen, ein- und mehrsprachige SchiJlerinnen und SchiJler mit Forderbedarf im Bereich Wortschatz zu unterstijtzen? Um diese zu beantworten, wird zunachst ein theoretischer Uberblick zu den wichtigsten Aspekten des Sprach- und Wortschatzerwerbes gegeben. In Kapitel 2 werden der Spracherwerb im Deutschen sowie die verschiedenen Spracherwerbstypen und Sprachbezeichnungen in den Schulen skizzenhaft erlautert. AnschlielSend wird in Kapitel 3 kurz auf den Aufbau des mentalen Lexikons sowie die verschiedenen Arten von Wortschatz eingegangen. Darauf aufbauend kann in Kapitel 4 der Wortschatzerwerb in Erst- und Zweitsprache in seinen Grundztigen dargestellt werden. In Kapitel 5 werden die verschiedenen sprachlichen Register, welche in Schulen Verwendung finden, vorgestellt. Da sich diese Arbeit mit der gezielten Wortschatzarbeit im Erdkundeunterricht beschaftigen soil, wird aufgezeigt, welche Besonderheiten und Merkmale die Fachsprache Erdkunde besitzt. Dartiber hinaus gehort zu diesem Kapitel auch die Erlauterung des sprachsensiblen Fachunterrichts im Allgemeinen, welche zum Fokus dieser Arbeit, der Wortschatzarbeit, uberleitet. Nachdem die Prinzipien der Wortschatzarbeit im Unterricht zu Beginn des sechsten Kapitels dargelegt wurden, werden Umsetzungsbeispiele fur diese im Fach Erdkunde vorgestellt. Kapitel 6 endet mit der Aufzahlung der notwendigsten Kompetenzen seitens der Fachlehrkrafte, um am Wortschatz zu arbeiten, sowie mit der Untersuchung der sprachlichen Ausbildung von Fachlehrkraften, vor allem im Bereich der Wortschatzarbeit.
Aufbauend auf den in Kapitel 2 bis 6 erworbenen Erkenntnissen wird im zweiten Teil dieser wissenschaftlichen Arbeit eine empirische Studie entwickelt und durchgefuhrt. Das siebte Kapitel umfasst die Entwicklung eines Leitfadeninterviews zur Beantwortung von zuvor formulierten Forschungsfragen und dessen Durchfuhrung. AbschlielSend werden die Ergebnisse prasentiert und unter Berucksichtigung der Fachliteratur aus dem ersten Teil der Arbeit diskutiert. Zum Schluss wird im achten Kapitel eine Unterrichtsstunde vorgestellt, die die vorab dargestellten theoriegeleiteten Kriterien fur gelungene Wortschatzarbeit im Erdkundeunterricht integriert. Die wissenschaftliche Arbeit endet mit einer reflektierten Zusammenfassung beider Teile und einem daraus resultierenden Ausblick.
2 Spracherwerb im Deutschen
Die Fahigkeit, eine Sprache zu erlernen ist Teil der genetischen Veranlagung eines Menschen, welcher sich ohne erblich bedingte Dispositionen entwickelt. Das fruhe kindliche Gehirn besitzt die besten Voraussetzungen, um auf alien Sprachebenen Muster zu erkennen und Regeln zu bilden. Damit eine Sprache erfolgreich gelernt werden kann, ist kein zusatzlicher Unterricht notig. Forderlich ist jedoch ein regelmalSiges sowie abwechslungsreiches Sprachangebot. (Tracy, 2008) Kinder, welche eine normale Entwicklung durchlaufen, benotigen fur die ErschlielSung der wichtigsten sprachlichen Strukturen ihrer Primarsprache und den Aufbau eines beachtlichen Wortschatzes nur zweieinhalb bis drei Jahre (Tracy, 2007). Den kindlichen Spracherwerb im Deutschen hat Kauschke (2012) in mehrere Entwicklungssequenzen oder auch Meilensteine eingeteilt. Diese stellen Schritte in der Sprachentwicklung dar, welche jedes Kind individuell durchlaufen muss, um eine Sprache und ihr System beherrschen zu konnen. Kauschkes Meilensteine sind in drei Bereiche gegliedert: Fruhe Sprachwahrnehmung, Vokalisationsentwicklung und Phonologieerwerb. Innerhalb der drei Bereiche befinden sich verschiedene Entwicklungsschritte bzw. sprachbezogene Fahigkeiten, welche an ein bestimmtes Lebensalter gebunden sind. Der dargestellte Zeitraum beginnt vor der Geburt und endet mit dem dritten bis funften Lebensjahr. (Kauschke, 2002: 173) Solche Entwicklungsschritte sind teilweise nur fur eine einzelne Sprache untersuchbar, da sich die Sprachen in ihren spezifischen Fahigkeiten voneinander unterscheiden. Einige Meilensteine des Spracherwerbs konnen hingegen auf mehrere Sprachen ubertragen werden, beispielsweise wenn es um das Produzieren erster Worter geht. (Kauschke, 2012)
Der Erwerb der deutschen Sprache lasst sich zusatzlich in verschiedene Spracherwerbstypen gliedern, welche durch bestimmte Erwerbsbedingungen charakterisiert werden.
2.1 Spracherwerbstypen
Die verschiedenen Erwerbstypen der deutschen Sprache lassen sich anhand einiger Aspekte, welchen den Spracherwerb charakterisieren, unterscheiden. Zunachst einmal ist es wichtig, festzustellen, ob es sich um einen monolingualen oder einen bilingualen Erwerb handelt, bevor man noch spezifischer auf die unterschiedlichen Merkmale der Erwerbstypen eingeht. Beim monolingualen bzw. einsprachigen Erwerb handelt es sich um den erstmaligen Spracherwerb einer Muttersprache, dem Ll-Erwerb (Rothweiler, 2015: 255). Der doppelte bzw. bilinguale Spracherwerb umfasst den Erwerb von zwei oder mehreren Sprachen in der frtihen Kindheit. Das bedeutet, dass die Konfrontation mit einer zweiten Sprache in den ersten drei bis sechs Lebensjahren stattfinden muss, nicht selten kommt dies bei Kindern mit Migrationshintergrund vor. (Rothweiler, 2015: 255) Liegt der Beginn des Erwerbs von zwei Sprachen in den ersten zwei Lebensjahren und lauft deren Erwerb simultan bzw. gleichzeitig ab, spricht man vom doppelten Erstspracherwerb (2L1). Die beiden Sprachen werden gleichwertig und gleichermalSen vollstandig erworben wie bei Kindern, welche nur eine Erstsprache erlernen. (Rothweiler, 2007:115) Eine weitere Bedingung zum Unterscheiden der Erwerbstypen ist somit, ob der Zweitspracherwerb simultan oder sukzessiv erfolgt. Der sukzessive Zweitspracherwerb (L2) wird dadurch charakterisiert, dass dieser erst dann beginnt, wenn die erste Sprache mindestens in ihren Grundzugen erworben wurde. Zudem verlauft der sukzessive Erwerb einer zweiten Sprache haufig ohne aulSere Hilfestellungen. (Rothweiler, 2007) Beginnt der Erwerb einer Zweitsprache nach dem dritten Lebensjahr, spricht man von einem fruhen sukzessiven Zweitspracherwerb (fL2). Bei einem Erwerbsbeginn der zweiten Sprache im Alter von funf Jahren oder spater handelt es sich um einen kindlichen Zweitspracherwerb. (Chilla, Rothweiler & Babur, 2013) Ab einem Alter von zehn Jahren oder mehr wird der Erwerb einer zweiten Sprache bereits als Zweitspracherwerb Erwachsener definiert. Die Unterscheidung der Erwerbstypen nach der Bedingung des Alters erfolgt aufgrund der individuellen Spracherwerbsfahigkeiten eines Menschen. Diese andern sich im Verlauf der Kindheit und sind Grund daftir, dass Jugendliche und Erwachsene eine Sprache anders, haufig schwieriger, erwerben als es Kleinkinder tun. (Chilla et al., 2013) Des Weiteren lasst sich der Erwerb einer zweiten bzw. weiteren Sprache auch noch danach differenzieren, ob dieser gesteuert oder ungesteuert erfolgt. Der gesteuerte Zweitspracherwerb findet meist im schulischen Rahmen oder innerhalb eines Sprachkurses statt. Hierbei handelt es sich um eine angeleitete Aneignung einer neuen Sprache. (Rothweiler, 2015) Ohne die Unterstutzung durch einen Lehrenden ereignet sich der ungesteuerte Erwerb einer weiteren Sprache. Dieser kann sich unteranderem durch die standige Konfrontation mit der Zielsprache im Alltag oder den Kontakt mit Sprechern dieser Sprache abspielen. Meist befindet sich der Lerner in dem Land, in dem die Zielsprache als Hauptverstandigungssprache genutzt wird. (Runte, 2015)
Im Fokus dieser Arbeit stehen unteranderem SchiJlerinnen und Schtiler, welche Deutsch als Zweitsprache erlernen. Diese sind meist Kinder mit Migrationshintergrund, welche erst mit Beginn ihrer Schullaufbahn in direkten Kontakt mit der deutschen Sprache kommen. Dies kann den Grund haben, dass sie zuvor nur die Familiensprache erlernten und erst spater im Kindergarten oder der Grundschule mit dem Erwerb des Deutschen konfrontiert werden. Andere Kinder sind erst im fortgeschrittenen Alter nach Deutschland gekommen und mussen aus diesem Grund Deutsch als neue Sprache erlernen. (Chilla et al., 2013) Es handelt sich also je nach Zeitpunkt des Erstkontaktes um einen frtihen ungesteuerten L2-Erwerb (fL2), einen kindlichen Zweitspracherwerb oder einen L2-Erwerb, wie er bei jungen Erwachsenen erfolgt. Kinder und Jugendliche, welche Deutsch erst seit Kurzem als ihre Zweit- oder Drittsprache erlernen, werden oftmals auch als Seiteneinsteiger benannt (Brandt & Gogolin, 2016).
2.2 DaM, DaF und DaZ
Im schulischen Kontext werden die oben erlauterten Spracherwerbstypen nur selten mit diesen Benennungen verwendet, was an der fehlenden Sensibilisierung und Qualifizierung wahrend der Lehrkraftausbildung liegen kann (vgl. 5.5). Es wird eher von Deutsch als Muttersprache (DaM), Deutsch als Fremdsprache (DaF) oder Deutsch als Zweitsprache (DaZ) gesprochen. Diese Begrifflichkeiten beschreiben, welchen Zugang SchiJlerinnen und Schuler zur deutschen Sprache haben und auf welche Weise sie diese eriernt haben oder aktuell erwerben. Wird Deutsch als Erstsprache (Ll-Erwerb) erworben spricht man auch vom Erwerb der Muttersprache, sie wird von Geburt an eriernt. Die Muttersprache spielt bei der Entwicklung der Personlichkeit eines Menschen eine zentrale Rolle und beinhaltet eine emotionale Dimension, da mit ihr Normen, Werte und Gefuhle uberliefert werden. (Weis, 2013) Man konnte auch sagen, dass ein Mensch sich tiber seine Muttersprache identifiziert und durch sie zu einer bestimmten sozialen Gruppe zugehorig ftihlt.
Die Muttersprache ist nebenbei erlernbar und auch lehrbar, hierfur ist kein Unterricht notwendig und auch grammatische Kategorien oder Fachbegriffe sind nicht relevant. Als Sprachlehrpersonen konnen Eltern oder andere Bezugspersonen fungieren, welche auf die sprachlichen AulSerungen des Kindes reagieren und diese auch korrigieren. Die sprachliche Wechselbeziehung zwischen dem Kind und seinen Bezugspersonen findet gleichzeitig mit dessen physischer und psychischer Entwicklung statt. (Weis, 2013: 9)
Bei Deutsch als Fremdsprache handelt es sich um einen gesteuerten und strukturierten Erwerb, welcher zu unterschiedlichen Zeitpunkten beginnen kann. Der Erwerb findet in der Regel in einem schulischen Kontext statt, dies konnen auch Sprachkurse im Ausland oder das eigenstandige Lernen anhand eines Lernprogramms sein. (Weis, 2013) Entscheidet sich ein Lerner also dafur, Deutsch als weitere Sprache zu erwerben, geschieht dies folglich haufig aus der eigenen Motivation und dem Interesse an der Sprache heraus.
Der Fremdspracherwerb erfolgt ublicherweise erst, wenn die Erstsprache altersgemal? beherrscht wird, also ein ausreichendes linguistisches Bezugssystem besteht. Der Erwerb zieht sich meist tiber mehrere Jahre und wird von ausgebildeten Lehrkraften betreut bzw. gesteuert. Diese passen die Lehr- und Lernmaterialien dem Alter und der Erwerbssituation der Lerngruppe an, wobei die Zielsprache immer als Lerngegenstand behandelt wird. (Weis, 2013: 12) Deutsch als Fremdsprache wird als solcher Begriff an deutschen Schulen selten bis uberhaupt nicht verwendet, hier ist vielmehr die Rede von Deutsch als Zweitsprache.
Von Grund auf unterscheidet sich der Erwerb von Deutsch als Zweitsprache von den Erwerbstypen DaM und DaF. Bei den Lernern handelt es sich haufig um Kinder mit Migrationshintergrund, welche Deutsch in alltaglichen Situationen erlernen wie auf dem Spielplatz oder im FulSballverein. Dies geschieht allerdings nicht innerhalb einer strukturierten Unterrichtssituation, sondern ganz nebenbei. Das Kind greift in den verschiedensten Situationen Sprachfetzen auf und ubernimmt diese ohne jegliche Korrektur oder Steuerung. In der Sprachwissenschaft wird diese Art von Erwerb als Submersion beschrieben. Das Kind gelangt in seinem Alltag in ein „Sprachbad", in welchem es Sprachkenntnisse erlangt, welche ausschlielSlich fur den Alltagsgebrauch ausreichen und stets kontextgebunden sind. Fur den schulischen Kontext sind diese Kenntnisse ungenugend und zu oberflachlich. (Weis, 2013: 11) Die Sprachen, welche in Schulen gesprochen werden, gehen weit tiber die alltagssprachliche Kommunikation hinaus. Im Unterricht wird die Sprache stets an die Lehrsituation angepasst und weist deshalb bildungssprachliche und fachliche Merkmale sowie zur Unterrichtsorganisation notwendige sprachliche Mittel auf (vgl. Kapitel 5). Zudem beginnt der Erwerb des Deutschen als Zweitsprache meistens, wenn das Kind seine Erstsprache noch nicht ausreichend entwickelt hat, jedoch ist es auch moglich, dass der Erwerb zu spateren Zeitpunkten einsetzt. (Weis, 2013)
Es ist festzuhalten, dass die deutsche Sprache den schulischen Unterricht bestimmt und Voraussetzung fur ein erfolgreiches Lernen und die Teilnahme an der Gesellschaft ist. Allerdings verftigen viele Kinder mit Migrationshintergrund nicht uber genugend Sprachkenntnisse, was zu einer sprachlichen Uberforderung fuhrt und letztendlich eine kognitive Unterforderung zur Folge hat. (Weis, 2013: 11) Sie sind somit im Unterricht gegenuber ihren MitSchiJlerinnen, deren Muttersprache Deutsch ist, benachteiligt. Ihnen steht nicht die gleiche Zeit zur Verftigung, um Deutsch zu erlernen und ihnen wird es wahrscheinlich auch nicht moglich sein, die Sprache ebenso gut zu beherrschen wie Muttersprachler es tun. (vgl. Kapitel 4) Fur die betroffenen Kinder und Jugendlichen kann sich diese sprachliche Benachteiligung negativ auf ihre spatere gesellschaftliche Teilhabe auswirken, zum Beispiel auf ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Grund dafur ist unteranderem, dass Familien mit Migrationshintergrund haufig ein geringeres Einkommen haben als die Mehrheitsbevolkerung. Sie konnen also weniger Geld aufbringen, um ihren Kindern geeignete Lernmaterialien, wie einen Computer, zur Verfugung zu stellen oder fur eine anregende Lernumgebung mit zusatzlichen Forderungen, beispielsweise durch Nachhilfen oder Reisen, zu sorgen. AulSerdem ist es Eltern, welche ihre Bildung in einem anderen Land erfahren haben, oft nicht moglich, ihre Bildungserfahrungen auf das deutsche Schulsystem und die Lehrplane zu ubertragen. Zudem konnen sie ihre Kinder meistens aufgrund von sprachlichen Defiziten nicht bei Hausaufgaben oder beim Lernen unterstutzen. (SVR, 2016b) Zusatzlich sind das deutsche Schulsystem sowie die Lehrkrafteausbildung noch nicht ausreichend auf die Forderung von Kinder mit Deutsch als Zweitsprache ausgelegt und man bringt der Muttersprache dieser Kinder, sofern sie nicht Englisch, Franzosisch oder eine andere in Schulen unterrichtete Sprache ist, zu wenig Beachtung entgegen (vgl. Kaptiel 6). Dabei ist in § 3 Absatz 14 des hessischen Schulgesetzes folgendes festgehalten: , £ chulerinnen und Schuler, deren Sprache nicht Deutsch ist, sollen unabhdngig von der eigenen Pflicht, sich um den Erwerb hinreichender Sprachkenntnisse zu bemuhen, durch besondere Angebote so gefordert werden, dass sie ihrer Eignung entsprechend zusammen mitSchiJlerinnen und Schuler deutscher Sprache unterrichtet und zu den gleichen Abschlussen gefuhrt werden konnen."(HschG, 2017) Fur den Unterricht bedeutet das, dass diese Schulerlnnen keinerlei Nachteile aufgrund ihrer Herkunftssprache erfahren durfen. (Tajmel, 2010)
3 Wortschatz und mentales Lexikon
Wie zuvor schon erwahnt gehoren zum Erwerb einer Sprache das Produzieren von Wortern und der Aufbau eines Wortschatzes. In Kapitel 4 wird vergleichend auf den Wortschatzerwerb bei deutschen Muttersprachlern und jenen bei Lernern, welche Deutsch als Zweitsprache erwerben, eingegangen. Zuvor wird jedoch definiert was Wortschatz ist und wie das mentale Lexikon aufgebaut ist.
3.1 Aufbau des mentalen Lexikons
Das mentale Lexikon ist der menschliche Wortspeicher, sozusagen das Worterbuch in unseren Kopfen. Allerdings ahnelt das mentale Lexikon in seinem Aufbau auf keine Weise einem normalen Worterbuch. Beide enthalten zwar ahnliche Informationen, jedoch sind diese von Inhalt und Organisation vollkommen unterschiedlich. Die Anordnung der Lexikoneintrage ist keineswegs alphabetisch wie es bei einem gangigen Worterbuch der Fall ist, dies konnte durch die Sammlung verschiedener Versprecher belegt werden. (Aitchison, 1997) Die Organisation des mentalen Lexikons geschieht vielmehr nach Bedeutung der Eintrage sowie aus den Beziehungen zwischen den Eintragen, was sie weitaus komplexer als die Organisation eines Worterbuchs macht (Aitchison, 1997 und Rothweiler & Kauschke, 2007). Aufgrund der Kreativitat einer Sprache ist der Inhalt des entsprechenden mentalen Lexikons unbegrenzt. Es ist moglich, neue Worter hinzuzufugen sowie Worter in ihrer Aussprache oder Bedeutung abzuandern. Dies geschieht meist wahrend des Sprechakts. Ein einfaches Worterbuch ist in seinem Umfang weniger flexibel und kann erst mit einer neuen Auflage erweitert werden. (Aitchison, 1997) Der lexikalische Speicher ist demzufolge ein aktives System, welches ein Leben lang auf- und umgebaut wird (Rothweiler & Kauschke, 2007). Ein lexikalischer Eintrag fur ein Wort kann sich auch aufgrund von Erfahrungen oder Wissenszuwachs andern (Apeltauer, 2008), zum Beispiel kann sich die Bedeutung des Worts Liebe oder lieben im Laufe des Lebens verandern, da man eventuell die Verwendung des Wortes durch hinzukommende Erfahrungen oder Erkenntnisse einschrankt bzw. erweitert. (vgl. Kapitel 4).
Das mentale Lexikon besteht aus einer Vielzahl von lexikalischen Einheiten bzw. Lexemen und den dazu abgespeicherten Informationen. Zusammengefasst ergeben diese Informationen einen lexikalischen Eintrag. Eine lexikalische Einheit kann ein Wort sein oder nur eine Wortwurzel, aber auch samtliche Affixe bilden jeweils eine eigene lexikalische Einheit. (Rothweiler & Kauschke, 2007: 42) Die Informationen, welche ein Lexikoneintrag enthalt, sind phonologischer sowie phonetischer, morphologischer, syntaktischer, semantischer, pragmatischer und auch orthographischer Natur. Der Phonetik und Phonologie unterliegen Informationen, welche die Aussprache eines Wortes, dessen Silbenanzahl sowie den Wortakzent reprasentieren. Um welchen Genus oder welche Flexionsklasse es sich handelt wird unter den morphologischen Informationen abgespeichert, ebenso die Wortstruktur. Syntaktischer Art sind die Informationen zur Wortart und Argumentstruktur. Die Bedeutung eines Wortes sowie die semantischen Rollen (Patiens, Agens usw.), die den Erganzungen eines Verbs zukommen, werden durch die semantischen Informationen zusammengefasst. Der Pragmatik wird die Verwendung eines Worts zugeordnet, das heilSt, in welchem sprachlichen Kontext es verwendet werden kann bzw. angemessen ist. Hat eine Person die Schriftsprache erworben, werden zusatzlich orthographische Informationen gespeichert, also eine Vorstellung davon, wie ein Wort geschrieben aussieht. (Rothweiler & Kauschke, 2007)
Weiterhin ist das mentale Lexikon in verschiedene lexikalische Felder bzw. Wortfelder strukturiert, welche bestimmte Einheiten des Lexikons zusammenfugen. Die einzelnen Elemente eines Feldes sind allerdings nicht synonym und lassen sich durch semantische Merkmale voneinander abgrenzen. Vielmehr hat ein Wortfeld Unterkategorien, so ist beispielsweise im Wortfeld Gewasserbezeichnungen das Wort Wasserlauf ein Oberbegriff, wahrend das Wort Rinnsal ein Unterbegriff ist. Ein Rinnsal ist zwar immer ein Wasserlauf, ein l/l/osser/ot//jedoch nicht immer ein Rinnsal. (Meibauer, 2015:19) Ahnlich verhalt es sich mit den sogenannten Frames bzw. Scripts, innerhalb dieser werden Beztige zwischen Wortbedeutungen hergestellt, welche auf dem Wissen einer Person tiber die Welt basieren. Ein solches Script kann zum Beispiel unter dem Namen Restaurantbesuch zusammengefasst werden, es umfasst alle Worter (z.B. Speisekarte, Kellner usw.), welche eine Person mit dem Aufenthalt in einem Restaurant assoziiert. Die Annahme fur das Bestehen lexikalischer Felder beruht ebenfalls auf gesammelten Versprechern, da ein falsch verwendetes Wort meist aus demselben Wortfeld stammt wie das eigentlich gemeinte Wort. (Meibauer, 2015: 20)
Neben Wortern oder Wortbestandteilen werden im mentalen Lexikon auch Idiome, Phrasen bzw. feste Redewendungen, die als Gesamtes abgespeichert werden mussen, oder Kollokationen wie eingefleischter Junggeselle hinterlegt. Ebenso verhalt es sich mit metaphorischen Wendungen ( „ Ein Licht am Ende des Tunnels sehen") oder Abktirzungen, Kurzungen und Akronymen. (Meibauer, 2015: 19)
Lernt ein Sprecher also ein neues Wort kennen, so muss dieser verschiedenste Informationen tiber dieses Wort entdecken, aufnehmen und miteinander verkntipfen. AnschlielSend muss das Wort mit all seinen Informationen in Beziehung zu bereits bestehenden Eintragen im mentalen Lexikon gesetzt werden, um es korrekt abspeichern zu konnen. (Rothweiler, 2015: 268)
3.2 Wortschatz
Der Inhalt des mentalen Lexikons ist der Wortschatz, tiber welchen ein Mensch verftigt. Die GrolSe des Wortschatzes ist individuell, weshalb es zwischen einzelnen Sprechern zu starken Abweichungen kommen kann (Meibauer, 2015). Fasst man alle umgangssprachlichen, fachlichen und gruppensprachlichen Worter zusammen, erhalt man den allgemeinen Wortschatz, welcher zwischen 300.000 und 400.000 Worter umfasst. Einzelne Sprecher verftigen dagegen meist nur tiber einen Wortschatz zwischen 50.000 und 250.000 Wortern, hierbei werden die aktive und die passive Nutzung zusammengefasst. Es wird angenommen, dass der passive Wortschatz eines Sprechers dessen aktiven Wortschatz um einiges tibertrifft. Der aktive bzw. produktive Wortschatz beschreibt die Worter, welche ein Sprecher nutzen kann. Worter, welche ein Sprecher jedoch nur verstehen kann, sind im passiven bzw. rezeptiven Wortschatz enthalten. (Meibauer, 2015) Der rezeptive und produktive Wortschatz gehen ineinander tiber, denn Worter, welche tiber einen langeren Zeitraum nicht aktiv genutzt werden, konnen in den passiven Wortschatz absinken oder komplett verblassen. Selbst aus dem rezeptiven Wortschatz konnen Worter ganzlich verschwinden, wenn sie keinen Gebrauch finden. Invers konnen auch Worter aus dem Verstehenswortschatz in den Mitteilungswortschatz tibergehen, wenn sie entsprechend haufig gebraucht werden. (Apeltauer, 2008) Weiterhin unterscheidet man noch den Kernwortschatz, welcher Wortzusammensetzungen sowie Ableitungen aulSer Acht lasst und bis zu 10.000 Worter beinhaltet (Meibauer, 2015: 15).
Der Wortschatz eines Menschen wachst in den ersten Lebensjahren betrachtlich schnell an, aber auch im Erwachsenenalter baut ein Sprecher seinen Wortschatz stets weiter aus. Anders als der Wortschatzerwerb in der Muttersprache, wird der Wortschatzerwerb einer Zweitsprache erst im fortgeschrittenen Alter begonnen.
4 Wortschatzerwerb
Wird eine Sprache erworben, sei es als Erst- oder Zweitsprache, bedeutet das auch, dass der Lerner einen Wortschatz erwirbt. Hierbei werden Worte nicht einfach abgespeichert, sondern ein komplexer Prozess durchlaufen, bis ein Wort im mentalen Lexikon verankert ist. Der Wortschatzerwerb findet in mehreren Phasen statt und auch die Bedeutungserfassung eines Wortes erfolgt schrittweise.
4.1 Im Erstspracherwerb
Neue Worter werden erkannt und im mentalen Lexikon gespeichert, auf diese Weise wird der Wortschatz eines Menschen aufgebaut und erweitert. Wie bereits erwahnt, teilt sich der Wortschatz in einen passiven und einen aktiven Teil. Der passive Wortschatz baut sich bereits ab etwa dem sechsten Lebensmonat auf, erste Worter konnen erkannt werden. Das Verstehen von bis zu 200 Wortern ist nach einem bis eineinhalb Jahren moglich. In dieser Zeit beginnt sich dann auch der aktive Wortschatz zu entwickeln, beschrankt sich zunachst allerdings hauptsachlich auf Inhaltsworter. Funktionale Kategorien wie Artikel, Prapositionen und Konjunktionen werden erst spater erlernt, dafur ist der Anteil an sozial-pragmatischen Ausdrucken hoch (Worter wie Hallo, da oder nein). Vor allem ab der zweiten Halfte des zweiten Lebensjahres erweitert er sich sehr schnell, der sogenannte Wortschatzspurt setzt ein und im Alter von zwei Jahren umfasst der aktive Wortschatz somit zwischen 200 und 300 Wortern. (Grimm & Schulz, 2012) Beim Eintritt in den Kindergarten (im Alter von drei oder vier Jahren) konnen Kinder einfache Satze bilden, wobei sie aber die Flexionsformen der Worter noch nicht sicher beherrschen. Sie konnen nun bis zu 4.000 Worter benutzen und teilweise mehr als das Doppelte an Wortern verstehen. Dieses Wachstum des Wortschatzes beschrankt sich anfangs primar auf Nomen, Verben, vereinzelte Adjektive, Adverbien und erste Prapositionen folgen nach und nach. (Apeltauer, 2008: 18) Einen Umfang von bis zu 14.000 Wortern besitzt der passive Wortschatz nach circa sechs Jahren, der aktive Wortschatz enthalt zu diesem Zeitpunkt hingegen nur zwischen 3.000 und 5.000 Worter. Das bedeutet jedoch, dass ein Kind taglich funf bis zehn Worter lernt. (Grimm & Schulz, 2012: 160) Bei der Satzbildung kann inzwischen auf komplexe syntaktische und morphologische Strukturen zuruckgegriffen werden, das heilSt, dass unteranderem Nebensatze und verschiedene Zeitformen gebildet werden konnen. (Apeltauer, 2008: 18)
Nattirlicherweise verlauft der Wortschatzerwerb nicht bei alien Kindern gleichermalSen, er wird durch verschiedene aulSere und auch innere Bedingungen beeinflusst. Bei Kindern, welche sprachlich auffallig sind, kann es zu Verzogerungen kommen. AulSere Einflusse wie der soziookonomische Status der Familie wirken sich ebenfalls auf den Wortschatzerwerb aus. So konnen Kinder, deren Eltern einen hoheren Bildungsabschluss oder ein hoheres Einkommen haben, gewohnlich zu Schulbeginn mehr Worter produktiv nutzen und auch verstehen als es Kinder aus soziookonomisch unterprivilegierten Familien konnen. (Apeltauer, 2008: 19) Das Lernen von Wortern bei Kindern erscheint als sehr einfach, dabei stecken hinter dem Wortschatzerwerb hochkomplexe Prozesse. Kinder mtissen Worter in einem Lautstrom identifizieren, Wortformen separieren, eine Bedeutung und grammatische Eigenschaften zuteilen sowie die neue lexikalische Einheit speichern. Selbst Worter, die ein Kind nur wenige Male gehort hat, tibernimmt es in sein Lexikon. Diesen Vorgang nennt man fast mapping. Beim/osf mopp/ngentstehteine vorlaufige lexikalische Representation eines Wortes, die weder vollstandig noch genau ist, dennoch zur Wiedererkennung in einem neuen Kontext genugt. Eine eigene Produktion des Wortes ist normalerweise noch nicht moglich. AnschlielSend an das fast mapping folgt eine langere Phase, in der die Wortreprasentation ausdifferenziert bzw. vervollstandigt wird. (Rothweiler & Kauschke, 2007: 47) Fur Kinder mit Migrationshintergrund konnte es schwierig werden, die Representation eines nur wenige Male gehorten Wortes zu vervollstandigen. Der Grund dafur ist, dass in ihren Familien meist kein oder nur wenig Deutsch gesprochen wird (SVR, 2016b) und das Kind das entsprechende Wort folglich nicht in moglichst vielen Kontexten wahrnehmen kann.
Da Kinder einem Wort unmoglich beim ersten Kontakt eine eindeutige Bedeutung zuweisen konnen, wird angenommen, dass es bestimmte Erwerbsstrategien geben muss, nach denen der Hypothesenraum des Kindes beschrankt wird (Grimm & Schulz, 2012). Damit einem Wort der korrekte Referent zugeordnet werden kann, kann zum Beispiel das Prinzip novel name - namless category zur Verwendung kommen. Demnach bezieht sich ein neues Wort auf eine bisher unbekannte Kategorie (Rothweiler & Kauschke, 2007: 48), liegt vor einem Kind zum Beispiel ein Apfel und eine Kiwi, wobei es bisher nur einen Apfel mit seiner Bezeichnung kennt. Wird das Kind nun explizit dazu aufgefordert, die Kiwi zu ergreifen, so wird es automatisch zum bisher unbekannten Objekt, der Kiwi, greifen. Es zieht also den Schluss, dass sich die ihm neue Bezeichnung auf das ihm unbekannte Objekt bezieht. Eine weitere Annahme ist, die des gegenseitigen AusschlielSens von
Wortern (mutual exclusivity assumption). Fur jedes Objekt gibt es demzufolge nur einen Namen, da sich die Bedeutungen von Wortern gegenseitig ausschlielSen. (Rothweiler & Kauschke, 2007: 48)
Demnach erfolgt der Bedeutungserwerb eines Wortes nicht sofort und ganzlich, sondern schrittweise. Dabei kommt es bei Kindern haufig zu Unter- sowie zu Ubergeneralisierungen. Von der Untergeneralisierung eines Wortes spricht man, wenn ein Kind ein Wort auf eine Untergruppe von Referenten bezieht, die das Wort umfasst. Es spricht also einem Wort eine zu enge Bedeutung zu, was jedoch nicht falsch ist und aus diesem Grund oft unbemerkt bleibt. (vgl. Grimm & Schulz, 2012; Rothweiler & Meibauer, 1999) So wird das Wort Pferd zum Beispiel nur fur weilSe Pferde genutzt und nicht fur andersfarbige. Seltener tritt das Ubergeneralisieren von Wortern auf, dies ist eine Uberdehnung des Bedeutungsbereiches eines Wortes. Das Zusprechen einer zu weiten Bedeutung fallt meistens sehr schnell auf, da es falsch ist. (vgl. Grimm & Schulz, 2012; Rothweiler & Meibauer, 1999) Ein Beispiel fur die Ubergeneralisierung ist, wenn ein Kind fur jede mannliche Person das Wort Vater verwendet.
Selbst im Erwachsenenalter kommt es noch dazu, dass einigen Wortern nicht ihre korrekte Bedeutung zugewiesen werden kann oder sie nicht verstanden werden. Dies liegt daran, dass das Erwerben der Bedeutung von komplexen und abstrakten Ausdrucken mehr Zeit und auch Wiederholung benotigt. Ebenso verhalt es sich mit umgangssprachlichen Ausdrucksweisen und Redewendungen. (Grimm & Schulz, 2012)
AbschlielSend ist zu sagen, dass derjenige, der tiber einen umfangreichen Wortschatz verfugt als besonders sprachkompetent gilt, da ihn dieser dazu befahigt, in den verschiedensten Situationen sprachlich adaquat und vor allem erfolgreich zu agieren. Dies gilt nicht nur fur das Sprechen oder Schreiben, sondern auch fur das Lesen. Gerade die Lesefahigkeit steht in einer starken Verbindung zum Wortschatz, wer viel Nest, erweitert sein mentales Lexikon um viele neue Lexeme. Die Kenntnis von moglichst zahlreichen Wortbedeutungen hilft wiederum dabei, Texte besser verstehen zu konnen. (Merten, 2011)
4.2 Im Zweitspracherwerb
Mit dem Erwerb des Wortschatzes einer Zweitsprache verhalt es sich ahnlich wie mit jenem in der Erstsprache, es mussen ebenfalls umfangreiche Ablaufe durchgangen werden. Allerdings erfolgt der Erwerb nicht mehr ganz so beilaufig wie in der Erstsprache, er ist oft mit grolSeren Lernanstrengungen verbunden. Das Ziel des Wortschatzerwerbs einer neuen Sprache ist die Aneignung eines ausreichend grolSen Teils der fremdsprachlichen Lexik, um sich in dieser Sprache muhelos verstandigen zu konnen. Hingegen ist es unmoglich, diesen Wortschatz vollstandig zu erlernen, da er zu grol? ist und eine Sprache zu viele Teilsysteme (Fachsprachen etc.) beinhaltet. Als vorrangiges Ziel sollte deshalb der Erwerb eines Grundwortschatzes, zur adaquaten Verstandigung, dienen. Dieser kann und muss kontinuierlich und systematisch ausgebaut werden. (Runte, 2015) Das bedeutet fur die Lernenden, dass sie sich aktiv mit dem fremdsprachlichen Wortschatz auseinandersetzen mussen. Damit einem fremden Wort eine Bedeutung zugewiesen werden kann, muss dessen Wortform bekannt sein. Also das Wissen daruber, wie ein Wort klingt, wie es betont wird und, um es spater schreiben zu konnen, wie seine orthographische Form aussieht. Das Lernen der Artikulation und Schreibweise benotigt Zeit, um ein Wort im Lautstrom identifizieren zu konnen, muss es acht bis zehnmal wiederholt werden. Mehr als zwanzig Wiederholungen sind notig, um ihm eine Bedeutung zuzuordnen und tiber funfzig, um es eigenstandig gebrauchen zu konnen. (Apeltauer, 2008: 8)
Ist ein neues Wort bedeutungsgleich mit einem Wort aus der Erstsprache, fallt es leichter es sich zu merken, da man die Bedeutung nicht neu erlernen muss, sondern das fremdsprachliche Wort nur mit der bestehenden verknupfen kann (assoziatives Lernen). Auch ist es einfacher, Worter verwandter Sprachen zu lernen als welche nicht-verwandter Sprachen, deren Wortformen nicht der eigenen Sprache ahneln. (Apeltauer, 2008: 6)
Apeltauer (2008) hat den Wortschatzerwerb einer Zweitsprache in mehrere Stufen eingeteilt, welche nacheinander oder aber auch parallel ablaufen. Zunachst muss, wie schon erwahnt, der Klang eines Wortes (Betonung, Wortgrenze) erkannt werden. Dies ist auch die Voraussetzung fur den nachsten Schritt, die Artikulation. Nun kann das Wort verschriftlicht und seine kontextspezifische Bedeutung erfasst werden. Wie der Bedeutungserwerb eines Wortes genauer verlauft und wodurch er gefordert werden kann, wird spater nochmals vertieft. Damit das Schriftbild eines Wortes selbst umgesetzt werden kann, muss die erforderliche Schreibmotorik verinnerlicht werden. Auch die morphologische Struktur eines Wortes muss eriernt werden, das heilSt, ob ein Wort transparent oder intransparent ist. Besteht es zum Beispiel aus mehreren voneinander trennbaren Morphemen (Transparenz) oder muss es stets als Ganzes gesehen (Intransparenz) werden. (Apeltauer, 2008) Damit es richtig angewendet werden kann, muss ein Lerner auch wissen, welcher Wortart das neue Wort angehort und mit welchen anderen Wortern sowie Affixen es im Rahmen der Wortbildung verbunden werden kann. Genauso ist das Wissen tiber die Kombinierbarkeit eines Wortes mit anderen Wortern in Kollokationen wichtig, um spater sinnvolle Satze bilden zu konnen. Damit ein Lerner zu einem guten Sprecher werden kann, sollte er Synonyme fur Worter und ihre Vernetzungen kennen. Worter, zwischen denen eine Vernetzung besteht sind zum Beispiel Hyponyme und Kohyponyme. Hyponyme sind Unterbegriffe eines Wortes (Hyperonym), wahrend Kohyponyme auf einer gemeinsamen Ebene unter dem Hyperonym stehen (siehe auch 6.1). (Apeltauer, 2008) Weiter spielt die (Nicht-)Markiertheit eines Wortes bezuglich einer bestimmten Stilebene eine Rolle im Wortschatzerwerb, das bedeutet, welche Bedeutung bzw. Verwendung es in den verschiedenen sprachlichen Registern (Alltagssprache, Fachsprache etc.) hat. Letztendlich sind noch das allgemeine Vorkommen eines Wortes, seine Frequenz, und sein Vorkommen in Redewendungen oder Sprichwortern von Bedeutung. Uber die Fahigkeit ein Wort seinem Register zuzuordnen oder seine Frequenz zu kennen, verftigen in der Regel nur Muttersprachler und Zweitsprachler, welche sich auf einem hohen Niveau befinden. (Apeltauer, 2008)
Zu Beginn des Zweitspracherwerbs werden meist sozial-pragmatische Ausdrucke am schnellsten gelernt, da diese vorwiegend in der alltaglichen Kommunikation benotigt werden. Vor allem Nomen dominieren den aktiven Wortschatz eines Zweitsprachlerners, dieser wird ebenso wie bei Muttersprachlern stets vom rezeptiven Wortschatz im Umfang ubertroffen. Lernende konnen eine neue Sprache demzufolge schneller verstehen, als dass sie sie anwenden konnen. Jedoch kommt es zu keinem Wortschatzspurt, wie es von dem Erstspracherwerb bekannt ist. Der fremdsprachliche Wortschatz wachst eher gleichmalSig. Um ihre sprachlichen Defizite zu iJberbrucken, greifen Zweitspracherwerber haufig auf nonverbale Strategien zuruck. Durch den Einsatz von beschreibender Gestik und gestischer Deixis (Zeigegesten) versuchen sie sich zu verstandigen. Wenn davon ausgegangen werden kann, dass ein Kommunikationspartner tiber Kenntnisse der Muttersprache des Lerners verfugt, kommt es vor, dass die Lernenden die beiden Sprachen mischen, um WortschatzlLicken abzudecken. (Grimm & Schulz, 2012)
Wie oben bereits erwahnt, gehort es zum Erlernen eines Wortes dazu, auch seine Bedeutung zu kennen. Zu der Bedeutung eines Wortes gehort dessen Denotat, also das, worauf mit dem Wort verwiesen wird. Dies kann ein Objekt, eine Vorstellung oder ein Begriff sein. Ein Denotat kann sich abhangig vom Kontext verandern, dies kann Lernern bei der Wortaneignung Schwierigkeiten bereiten und sollte aus diesem Grund erst zu einem spateren Zeitpunkt berucksichtigt werden. Das Denotat eines Wortes genugt allerdings nicht aus, um die Wortbedeutung im Ganzen zu erfassen. Zu einem Wort gehort immer ein gewisses Weltwissen, welches zum Beispiel die Verwendung eines bestimmten Objekts enthalt. AulSerdem sollten Lernende Situationen oder Texte kennen, die fur das Vorkommen des Wortes typisch sind oder in denen es zu erwarten ist. (Apeltauer, 2008)
Bei der Wortbedeutung handelt es sich um einen dynamischen Faktor, da sie sich aufgrund von Erfahrungen oder Wissenszuwachs verandern kann. Das macht es auch schwieriger, Worter verschiedener Sprachen in ihrer Bedeutung gleichzusetzen. Denn einige Worter sind in den einzelnen Sprachen mit unterschiedlichen Werten und Normen belegt. Mit einem Wort sind folglich diverse Zusatzinformationen verknijpft, welche von einem Zweitsprachlerner oft nicht ganzlich erfasst werden konnen. (Apeltauer, 2008)
Lernende einer fremden Sprache wenden ahnliche Lernprinzipien wie Erstsprachlerner an. Sie setzen Neues ebenfalls in Beziehung zu bereits Vertrautem, suchen hingegen zusatzlich in der Erstsprache nach bedeutungsahnlichen oder -gleichen Wortern, um das neuerlernte Wort daran anzukoppeln. Auch das Kontrastprinzip, welches ebenso beim Erwerb der Erstsprache vermutet wird (vgl. 4.1), wird von Zweitsprachlernern genutzt. Hierbei wird pro Bedeutung nur ein Wort angenommen, weshalb Synonyme erst nach Aufbau eines Grundwortschatzes vermittelt werden sollten. Viele Lerner stellen zunachst Hypothesen tiber die Bedeutung eines Wortes auf und konzentrieren sich auf die gesamte Aulserungsbedeutung. Erst spater versuchen sie, die einzelnen Worter richtig zu deuten. (Apeltauer, 2008)
Ein Problem, auf das Lerner beim Zweitspracherwerb immer wieder treffen, sind lexikalische Lucken. Das bedeutet, dass es fur manche fremdsprachlichen Worter keine direkten Entsprechungen in der Erstsprache gibt bzw. umgekehrt. Oft kommt es bei den Lernern zu einer Vermeidungsgstrategie und sie verwerfen nicht-zuordenbare Worter. (Apeltauer, 2008)
Kinder, deren Herkunfts- bzw. Familiensprache nicht Deutsch ist, bilden haufig in beiden Sprachen Wortschatzbereiche unterschiedlich stark aus, weil sie diese nicht in beiden Sprachen gleichermalSen benotigen. So wird die Familiensprache meist zur privaten Kommunikation genutzt und ist dementsprechend gut ausgebildet. Wahrend die Umgebungs-/Mehrheitssprache fur die offizielleren bzw. offentlichen Themen genutzt wird. Es kann demzufolge vorkommen, dass SchiJierinnen und Schuler die fachliche Sprache des Unterrichts nur im Deutschen beherrschen, da sie keine passenden Worter in ihrer Herkunftssprache kennen. (siehe auch 6.1)
5 Sprachen in der Schule
Denkt man an die verschiedenen Sprachen in den Schulen, so kommen einem meist als erstes die Landessprachen in den Sinn, wie Franzosisch oder Englisch. Allerdings lasst sich jede dieser Sprachen in sprachliche Register unterteilen. Das heilSt, je nachdem in welcher Kommunikationssituation die Sprache gebraucht wird, weist sie andere Merkmale und Besonderheiten auf.
In Schulen wird bekanntlich sehr viel gesprochen, seien es Gesprache unter den SchiJierinnen vor Unterrichtsbeginn, der Vortrag der Lehrkraft zu einem bestimmten Thema oder fachspezifische Unterhaltungen in einer Klasse. Die Sprache, welche wahrend eines Schultages verwendet wird, andert sich stets mit der Kommunikationssituation. Selbst beim Lesen eines Textes, zum Beispiel im Schulbuch, kommt eine eigene Sprache zur Verwendung.
Jede Kommunikationssprache in der Schule besitzt eigene charakteristische Merkmale und auch einen fur sie spezifischen Wortschatz. Welche Register der deutschen Sprache in den Schulen gesprochen werden, wie sich diese voneinander abgrenzen und wie der Nicht-Sprachunterricht auf diese Sprachvariationen eingehen kann, wird in diesem Kapitel thematisiert.
5.1 Schulische Sprachregister
Auf dem Pausenhof sprechen die SchiJierinnen gewohnlich in derselben Sprache wie sie es auch aulSerhalb der Schule tun. In alltaglichen Kommunikationssituationen und vor allem im interpersonalen Bereich wird die Alltagssprache verwendet. Diese stellt die grundlegenden Kommunikationsfahigkeiten dar, die sogenannten BICS (= Basic Interpersonal Communicative Skills). Zu diesen Kommunikationsfahigkeiten gehort auch die Sprache der Nahe, diese wird meistens in der direkten Kommunikation zwischen zwei oder mehreren Personen, die einander vertraut sind, verwendet. Sie hat somit einen dialogischen Charakter und zeichnet sich durch umgangssprachliche Ausdrticke, unvollstandige Satze und dem erhohten Gebrauch von deiktischen Begriffen (hier, da, dann) sowie Ftillwortern (ja, doch) aus. Zudem wird die Alltagssprache vorwiegend in der mtindlichen Kommunikation verwendet und in Situationen, in denen die Gesprachspartner auf denselben Kontext zuruckgreifen konnen. Solche Situationen konnen ein vertrautes Gesprach, ein Telefonat mit einem Freund oder ein Interview sein. Die Lexik solcher konzeptionell mundlichen Kommunikationssituationen ist meistens sehr einfach gehalten, da die Kommunikation oft sehr spontan ablauft. (Weis, 2013 und Koch & Oesterreicher, 1985) Das Kommunizieren anhand der alltaglichen Sprache wird zudem haufig durch die Mimik, Gestik oder Intonation des Sprechers unterstutzt, welcher anhand dieser paraverbalen und nonverbalen Mittel seinem Gegenuber zusatzlich Informationen vermitteln kann (Ahrenholz, 2010).
Dieser doch sehr lockeren und mit wenig Regeln behafteten Verwendung von Sprache steht die Sprache gegenuber, die in unterrichtlichen Situationen angewandt wird. Hier werden schulbezogene kognitive Sprachkenntnisse (CALP = Cognitive Academic Language Proficiency) gefordert, diese dienen der Ubermittlung von stark konzentrierten sowie kognitiv fordernden Informationen in formellen, kontextgelosten Situationen (Brandt & Gogolin, 2016: 8). Kognitiv anspruchsvoll, da diese Art der Verstandigung von den Sprechern ein abstrahierendes Sprachdenken verlangt (Feilke, 2012: 6). Diese Sprachkenntnisse werden in verschiedenen Variationen der Sprachen in Schulen verlangt, in der Bildungssprache sowie in der Fachsprache. Beide Sprachregister konnen verwendet werden, ohne dass Rezipient und Sender einen gemeinsamen Kontext haben oder ein Dialog zwischen ihnen entsteht. Zwischen dem Senden der Informationen und dem Empfangen kann aulSerdem eine raumzeitliche Trennung liegen, da die bildungssprachlichen und fachsprachlichen SprachaulSerungen grolStenteils konzeptionell schriftlich erfolgen, wie zum Beispiel in Fachtexten. Aus diesem Grund kann auch nicht auf die Mimik, die Gestik oder die Intonation als sprachunterstutzende Mittel zuruckgegriffen werden. In der konzeptionellen Schriftlichkeit ist es erforderlich, dass alle Informationen zu einem Sachverhalt anhand sprachlicher Mittel dargelegt werden. Aufgrund der formellen und unpersonlichen Sprachverwendung werden die akademischen Sprachkenntnisse auch die Sprache der Distanz genannt, die unteranderem in Vortragen oder Zeitungsartikeln vorkommt. (Weis, 2013 und Koch & Oesterreicher, 1985) Die Fachsprache sowie die Bildungssprache greifen beide auf einen grolSen Wortschatz zuruck und verfugen jeweils tiber sprachspezifische Ausdrucke.
Zusatzlich handelt es sich meistens um eine prazise verdichtete Sprache, welche sich durch komplizierte und verschachtelte Satze auszeichnet. (Weis, 2013 und Koch & Oesterreicher, 1985) Fur die Teilhabe an Bildung ist es erforderlich, dass uber bildungssprachliche Kompetenzen verftigt wird. Aus diesem Grund wird die Bildungssprache vorwiegend fur das Lernen in Schulen oder ahnlichen Institutionen verwendet. (Leisen, 2011) Typisch fur diese Sprache ist die Verwendung des Passivs oder des Nominalstils sowie das Einsetzen von Partizipialattributen oder Komposita. Das Beherrschen und das Verstandnis dieser und weiterer sprachlicher Mittel ist Voraussetzung fur das Verstehen von AulSerungen oder Texten, welche in der Bildungssprache verfasst werden. (Feilke, 2012)
Die Bildungssprache unterscheidet sich darin von der Fachsprache, dass sie sich nicht auf ein spezielles Fach oder eine Wissenschaft bezieht, sondern zwischen Alltag und Wissenschaft vermitteln soil (Feilke, 2012). Die Fachsprache charakterisiert sich dadurch, dass sie die Sprachwelt eines Faches widerspiegelt, in welcher Kommunikation anhand eigener mundlicher und schriftlicher Strukturen stattfindet. Diese Strukturen unterscheiden sich von Fach zu Fach durch jeweils spezifische Ausdrucke und die Art, wie Sprache verwendet wird. (Leisen, 2011) Solchefachsprachlichen Eigenarten sind Fachtermini, spezifische Kollokationen und Besonderheiten fachspezifischer Diskurse oder Texte. Vor allem die hohe Dichte an fachsprachlichen Begriffen und die Komplexitat von Fachtexten, konnen zu Verstandnisschwierigkeiten fuhren, weshalb unteranderem ein ausreichendes Themenwissen seitens der Schulerlnnen erforderlich ist. (Ahrenholz, 2010 und Leisen, 2011). Das jeweilige fachspezifische Vokabular wird im Verlauf fachlicher Auseinandersetzungen mit alltaglichen Begriffen angereichert und zu fachsprachlichen Satzen verbunden (Rincke, 2010: 236). Vor allem Satz- und Textstruktur unterscheiden sich deutlich von der Alltagssprache, unteranderem bei fachsprachlichen Schriften wie Merksatzen oder Definitionen (Leisen, 2011). Solche erklaren haufig einen Sachverhalt, indem sie diesen in verschachtelten Satzen mit anderen Fachbegriffen umschreiben. Die sprachlichen Strukturen, welche fur ein Fach jeweils kennzeichnend sind, haben oftmals, innerhalb der Fachsprache, eine andere Bedeutung als sie in der Alltagssprache haben (Leisen, 2011). Bereits in den Aufgabenstellungen eines Faches sind erste sprachliche Htirden zu finden, denn jedes Fach verwendet bestimmte Operatoren (Hessisches Kultusministerium, 2017b). Operatoren sind Aufforderungsverben wie berechnen, charakterisieren oder beurteilen. Deren Bedeutungen werden im Kontext eines Faches genau spezifiziert und sollen den Schulerlnnen verdeutlichen, welche Tatigkeiten und Losungsdarstellungen von ihnen erwartet werden. (Hessisches Kultusministerium, 2017b) Versteht ein Lernender diese Aufforderungen jedoch nicht, wird es ihm folglich auch nicht moglich sein, eine Aufgabe korrekt zu losen. Zwischen dem alltagssprachlichen Register, den BICSs, und den bildungssprachlichen sowie fachsprachlichen Registern, den CALPs, liegen die Schulsprache und die Unterrichtsprache (classroom-language). Bei der Schulsprache handelt es sich um eine eigens fur die Schule konstruierte Sprache, die Sprache des Lehrens. Anders als die Bildungssprache, welche didaktisch genutzt wird, ist die Schulsprache demnach eine didaktisch gemachte Sprache. (Feilke, 2012) Im Erdkundeunterricht findet die Schulsprache zum Beispiel Anwendung, wenn die SchiJierinnen eriernen, wie man eine Auswertung eines Klimadiagramms verfasst. Hierbei handelt es sich um eine sprachliche Handlung, die fur den Unterricht erzeugt wird und bestimmte Sprachverhaltenserwartungen an die Lernenden stellt. Ihre Ausfuhrung anhand bestimmter sprachlicher Mittel fordert zudem die Ausbildung bildungssprachlicher Kompetenzen. (Feilke, 2012) Als sprachliches Handein wird die Verwendung von Sprache bezeichnet, welche einer bestimmten Situation angemessen ist und einem bestimmten Zweck dient. Dies kann sowohl die Produktion eines Textes, als auch die Rezeption sein. Um sprachlich angemessen handein zu konnen, sind spezifische Fahigkeiten erforderlich, welche meist konzeptionell schriftlicher Art sind, auch wenn sie Teil der mundlichen Kommunikation sind. Typische Sprachhandlungen sind Berichten, Erzdhlen, Zusammenfassen oder Beschreiben. (Tajmel, 2012) Die Unterrichtssprache hingegen weist eher alltagssprachliche Merkmale auf und dient lediglich der Organisation des Unterrichts. Dies kann die BegrtilSung zu Stundenbeginn oder aber AufforderungsaulSerungen der Lehrkraft an die SchiJierinnen sein, zum Beispiel: „ Holt eure Bucher herausl" oder „ Bitte wische die Tafell". (Feilke, 2012)
Damit die Lernenden erfolgreich am Unterricht teilhaben konnen, sollten sie bestenfalls alle sprachlichen Register auf einem angemessenen Niveau beherrschen. Besonderer Wert wird auf die bildungssprachlichen und fachsprachlichen Kompetenzen gelegt, tiber welche SchiJierinnen, die den mittleren Schulabschluss erwerben mochten, verfugen sollten. Das bedeutet, dass sie fahig sind, AulSerungen innerhalb dieser Register zu verstehen und auch selbst zu produzieren. (Rincke, 2010) Allerdings hat die DESI-Studie, wie anfangs beschrieben (vgl. Kapitel 1), gezeigt, dass vor allem an der Hauptschule und der Integrierten Gesamtschule zwischen 40 und 60 Prozent der SchiJierinnen nicht zum bewussten sprachlichen Handeln fahig sind und sich auch die restlichen Lernenden nur auf den niedrigeren Niveaus befinden. Vor allem nicht-deutschsprachige Lernende haben laut der Studie einen erhohten Forderbedarf, besonders im Bereich des Wortschatzes. (DIPF, 2006)
5.2 Merkmale und Herausforderungen der Fachsprache Erdkunde
Die Sprache ist ein wichtiges Medium des Erdkundeunterrichts, denn tiber sie werden fachliche Informationen vermittelt und anhand ihr werden Unterrichtsmedien, wie zum Beispiel Landkarten, ausgewertet. AulSerdem werden im geographischen Unterricht Diskussionen tiber fachliche Zusammenhange durchgefiJhrt und Arbeitsergebnisse verbalisiert bzw. verschriftlicht. Sprache ist somit die Grundlage, der Lern- und Reflexionsgegenstand, das Lernmedium, das Kommunikationsmittel und das wichtigste Mittel zur Leistungsuberprufung im Unterricht. (Budke & Kuckuck, 2017)
Die von der Deutschen Gesellschaft fur Geographie (DGfG) entworfenen Bildungsstandards fur den mittleren Schulabschluss enthalten unteranderem den Kompetenzbereich der Kommunikation. SchLilerlnnen sollen eine angemessene Verwendung der Fachsprache erlernen, um einen geographischen bzw. geowissenschaftlichen Sachverhalt in seinem vollen Umfang zu verstehen und adaquat vermitteln zu konnen (DGfG, 2014: 21). Im hessischen Kerncurriculum wird dies konkretisiert, demnach beschreibt die geographische Kommunikationskompetenz die Fahigkeit zu einer sach- und adressatengerechten ErschlielSung und Darstellung von geographischen Informationen, indem Inhalte fachlich angemessen und unter BerLicksichtigung fachlicher Konventionen und Termini kommuniziert werden (Hessisches Kultusministerium, 2011a). Budke und Weiss (2014) haben bundesweit verschiedene Curricula und Lehrplane des Faches Erdkunde darauf untersucht, wie die Ausbildung sprachlicher Kompetenzen in diesen verankert ist. Sie konnten dabei verschiedene Ziele bzw. Anforderungen formulieren, die sich in vielen Lehrplanen wiederfinden. Erdkunde gilt als eines der medienintensivsten Facher, in welchem sich mit den unterschiedlichsten Informationsquellen zur Beantwortung von geographischen Fragestellungen auseinandergesetzt werden muss. Das konnen unteranderem Karten, Statistiken, Diagramme, Bilder oder Sachtexte sein. Vor allem die Auswertung von Letzteren soil im Unterricht im Vordergrund stehen, dabei sollen den Texten Informationen entnommen und diese im Anschluss selektiert und zusammengefasst werden. AulSerdem mtissen die Schtilerlnnen fahig sein, die verschiedenen Operatoren des Faches Erdkunde zu verstehen und die damit gemeinten Sprachhandlungen zu erkennen und auszufuhren. In manchen Bundeslandern sollen die Lernenden im Rahmen des Unterrichts Befragungen durchfuhren. Hierzu mussen sie zunachst das Benennen von kontroversen Themen, das Formulieren von Interviewfragen, das richtige Ansprechen von Personen sowie das Erheben und Auswerten von Daten erlernen. Denn fur diese Handlungen ist eine hohe sprachliche und kommunikative Kompetenz erforderlich. (Budke & Weiss, 2014) Ein weiterer wichtiger Aspekt der Lehrplane ist der Fachwortschatz Erdkunde, welcher erworben und angewendet werden soil. Das heilSt, dass der Wortschatz zunachst ausgebaut und die Fachbegriffe anschlielSend in den Kontext eingebunden sowie fur die Beantwortung von geographischen Fragestellungen genutzt werden sollen. Die Schulerlnnen sollen des Weiteren dazu fahig sein, die Fachsprache in die Alltagssprache zu ubersetzen. Ebenso mussen die sprachlichen Strukturen von gesellschaftlichen Diskursen, welche im Erdkundeunterricht eine zentrale Rolle spielen, beherrscht werden, um diese zu verstehen und bewerten zu konnen. (Budke & Weiss, 2014) Wie in den anderen gesellschaftlichen Fachern werden auch in Erdkunde verschiedene Meinungen und Intentionen zu fachspezifischen Sachverhalten thematisiert. Die Argumente fur diese mussen die Lernenden verstehen und bewerten konnen sowie eigene Argumente entwickeln und in Diskussionen vertreten konnen. Damit die Ergebnisse von Aufgaben der einzelnen Lernenden fur die gesamte Lerngruppe zuganglich werden, mussen diese in der Lage sein, ihre Ergebnisse zu prasentieren. Dazu sollten sie sich sprachlich sowie fachlich korrekt ausdrucken und mit der Nutzung von relevanten Geomedien vertraut sein. Letztendlich ist noch die Fahigkeit des kritischen Reflektierens fur den Erdkundeunterricht von Bedeutung, diese bezieht sich sowohl auf die genutzten Medien, als auch auf die Unterrichtsergebnisse sowie den individuellen Lernprozess der Schulerlnnen. (Budke & Weiss, 2014) Es sind also einige fachsprachlichen Ziele in den Curricula verankert, allerdings fehlt dabei ein prozessualer Aufbau und eine geordnete Reihenfolge der sprachlichen Anforderungen (Budke & Kuckuck, 2017).
Bevor es zu einer fachbezogenen Kommunikation jeglicher Art im Erdkundeunterricht kommen kann, mussen den Lernenden die fachsprachlichen Kompetenzen vermittelt werden. Die Schulerlnnen mussen mit den fachspezifischen Termini und deren festgelegter Bedeutung vertraut gemacht werden. (Kniffka & Neuer, 2008) Die geographischen Fachbegriffe lassen sich systematisch einteilen, entweder in einfache und schwierige Begriffe oder nach humangeographischen Beg riff en (z.B. Siedlung), naturgeographischen Beg riff en (z.B. Wasserkreislauf), Strukturbegriffen (z.B. Bevolkerungspyramide), Funktionsbegriffen (z.B. Rohstoffquelle) und Prozessbegriffen (z.B. Migration). Im Unterricht sollten beide Ansatze miteinander verbunden werden, um eine integrative Forderung des sprachlichen und inhaltlichen Lernens zu ermoglichen (vgl. Kapitel 6). (Budke & Kuckuck, 2017)
Der geographische Wortschatz ermoglicht es den Sprechern, die tiber ihn verftigen, fachliche Zusammenhange zu verstehen und diese prazise zu beschreiben (Budke & Kuckuck, 2017). Allerdings uberschneiden sich vor allem im humangeographischen Bereich viele Fachbegriffe mit Begriffen aus der Alltagssprache, was das Erlernen erschwert. Beispiele hierftir sind Worte wie Stadt, Dorf und Landschaft. Deren alltagliche Bedeutung muss zu ihrer Fachbedeutung umgewandelt werden, damit die Schulerlnnen sie als (humangeographische) Fachbegriffe erkennen und anwenden konnen. (Kniffka & Neuer, 2008) Auch Komposita (Zusammensetzungen verschiedener lexikalischer Elemente) treten haufig im erdkundlichen Fachwortschatz auf und lassen sich nicht immer aus der Grundbedeutung der einzelnen Worter erschlielSen (Budke & Kuckuck, 2017). Daher sollten zusammengesetzten Worter, wie Niederschlagsaufnahme oder Wasserdampferuption, den Lernenden immer verstandlich vermittelt werden. Auch die fur Fachsprachen typischen Nominalisierungen finden in der Geographie Anwendung, in Formulierungen wie ,beim Messen' oder ,zur Bestimmung der Himmelsrichtung'. (Kniffka & Neuer, 2008:125) Da es sich bei Erdkunde um ein Fach handelt, das sich mitThemen beschaftigt, die unteranderem von globaler Relevanz sind, kommt es immer wieder vor, dass manche Fachbegriffe einer anderen Sprache (Englisch, Latein) entstammen (Wassong & Kuckuck, 2017). Ein weiteres besonderes Merkmal des Faches Erdkunde sind Karten, Diagramme sowie Statistiken, welche von den Lernenden ebenso wie ein Fachtext entschlusselt und verstanden werden mussen. Die Auswertung einer thematischen Karte oder eines Klimadiagramms erfordern einen besonderen Wortschatz, welchen die Schulerlnnen im Unterricht von Grund auf erwerben mussen. Oft gibt es je nach Karte, Diagramm oder Statistik bestimmte Formulierungen oder Begriffe, welche adaquat genutzt werden mussen. (Dtippe, 2013) So mussen bei einem Klimadiagramm meistens die Koordinaten des Ortes und seine Lage in Abhangigkeit des Meeresspiegels angegeben werden. Dies und auch die Beschreibung des Kurvenverlaufs von Temperatur und Niederschlag unterliegen spezifischen Fachbegriffen. Haufig kommt es im Erdkundeunterricht auch vor, dass die Schtilerlnnen mit diskontinuierlichen Texten konfrontiert werden. Das sind Texte, die aus Textabschnitten, Bildern und Diagrammelementen zusammengesetzt sind. Es werden also viele wichtige Informationen nicht nur sprachlich, sondern auch visuell vermittelt, durch Symbole, Formen und deren raumliche Anordnung. Diese Textelemente konnen sich gegenseitig erganzen oder aufeinander verweisen. AulSerdem werden Informationen sowie komplexe Sachverhalte ubersichtlich und komprimiert dargestellt. Ein diskontinuierlicher Text unterscheidet sich in seiner Strukturierung von einem normalen FlielStext, weshalb besondere Lesestrategien erforderlich sind. (Reisch, 2017) Die Schtilerlnnen mussen demzufolge in der Lage sein, neben Fachtexten, auch die anderen Darstellungsformen von fachlichen Informationen lesen zu konnen.
Alle Schtilerlnnen sollen im Erdkundeunterricht ihre Sprachkompetenz durch die Fachsprache erweitern. Allerdings ist hier von Seiten der Lehrkraft besonders auf diejenigen Schtilerlnnen zu achten, welche DaZ erlernen. Da der Erwerb fachsprachlicher Kompetenz weitaus mehr Zeit benotigt als alltagssprachliche Kompetenzen zu erwerben, ist eine zusatzliche Untersttitzung im Unterricht unerlasslich. (Kniffka & Neuer, 2008)
Im Fachunterricht Erdkunde spielt Sprache folglich eine grolSe Rolle, vor allem die angemessene Verwendung der Fachsprache und das Beherrschen von Fachtermini stehen im Vordergrund. Die Lernenden konnen sich dies jedoch nicht ganzlich selbststandig aneignen und sind auf die Untersttitzung der Lehrkrafte angewiesen, um ihre geographische Kommunikationskompetenz zu erweitern. Wie eine solche Untersttitzung im sprachsensiblen Erdkundeunterricht fur Schtilerlnnen mit Forderbedarf im Bereich Wortschatz aussehen sollte bzw. konnte, wird in den folgenden Kapiteln thematisiert. Zuvor wird auf das Prinzip des sprachsensiblen Fachunterrichts eingegangen, wovon die Arbeit am Wortschatz ein grolSer Teil ist.
5.3 Sprachsensibler Fachunterricht
Wie bereits dargestellt unterscheiden sich die Sprachen in der Schule von jener im Alltag, sie stellen besondere sprachliche Anforderungen an die Schtilerlnnen. Im schulischen Kontext kommt es haufig zu Schwierigkeiten, welche auf die Sprache und die mangelnde Kommunikationsfahigkeit seitens der Lernenden in der Unterrichtssituation, zuruckzuftihren sind. Hierbei sind nicht nur Schtilerlnnen betroffen, welche Deutsch als Zweitsprache erlernen, sondern auch Erstsprachlerner. Der Bildungsspracherwerb gehort zu den Aufgaben von Schule, wobei fur die durchgangige Sprachbildung nicht alleine der Sprachunterricht zustandig ist. Auch im Fachunterricht muss Sprachbildung stets stattfinden, daran knupft das Konzept des sprachsensiblen Fachunterrichts an. (Luft, Manzel & Nagel, 2015)
Laut der Standigen Konferenz der Kultusminister der Lander in der Bundesrepublik Deutschland (2013) soil Schule der zentrale Ort fur den Erwerb bildungssprachlicher Kompetenzen sein, weshalb die Umsetzung von Sprachbildung als Kernaufgabe jedes Faches gesehen werden sollte. Eine durchgangige Unterstutzung beim Erwerb dieser Kompetenzen benotigen vor allem Schulerlnnen, die DaZ erlernen oder aus soziookonomisch unterprivilegierten Familien stammen (Brandt & Gogolin, 2016). Damit den Lernenden die bestmogliche Unterstutzung zukommen kann, mussen alle Lehrkrafte der verschiedenen Facher zu Sprachlehrerinnen und -lehrern werden und gemeinsam das Ziel der durchgangigen Sprachbildung verfolgen. Nur auf diese Weise kann ein nachhaltiger Erfolg des sprachsensiblen Fachunterrichts gewahrleistet werden. An den Schulen muss folglich ein internes Konzept zur Sprachbildung entworfen und durch die Zusammenarbeit aller Facher prazisiert werden. (Bolte, 2013) Fur hessische Schulen besteht seit dem Schuljahr 2011/2012 die Moglichkeit ein eigenes Schulcurriculum zu erstellen. Hierbei sollte sich an dem vom Kultusministerium zur Verftigung gestellten Kerncurriculum und denen darin enthaltenden Kompetenzbereichen orientiert werden. Die Schulen haben dadurch die Moglichkeit, ihre Unterrichtsinhalte an die schulstandortsspezifischen Erfordernisse und Bedingungen sowie an ihr Schulprofil und die individuellen Voraussetzungen ihrer Schulerschaft anzupassen. (Hessisches Kultusministerium, 2011b)
(Bildungs-)Sprachliche Kompetenzen konnen durch das Bewaltigen authentischer Anforderungssituationen erlernt werden. Damit es zu solchen Situationen kommt, in denen die Schulerlnnen bestmoglich gefordert werden, muss die Lehrkraft die Lernumgebung entsprechend anpassen. Den Schulerlnnen muss die Moglichkeit gegeben werden, sich intensiv, aktiv, selbstgesteuert und gemeinschaftlich mit dem Lerngegenstand auseinanderzusetzen. (Leisen, 2011) Die Entwicklung und Erweiterung der fachlichen sowie sprachlichen Kompetenzen der Lernenden muss allezeit im Vordergrund stehen. Dasfachliche und sprachliche Lernen darf demnach nicht getrennt voneinander gesehen werden, da Sprache im Fachunterricht stets kontextgebunden gelernt wird. Anders als im reinen Sprachunterricht, wo sich ausschlielSlich mit grammatikalischen Phanomenen oder allgemeinen Sprachstrukturen beschaftigt wird, soil Sprache und sprachliches Lernen dem fachlichen Lernen dienen und dieses untersttitzen. Bei der Stundenplanung stehen allerdings nach wie vor die inhaltlichen Lernziele im Vordergrund und werden durch das sprachliche Lernen erganzt. (Luft et al., 2015) Leisen (2011) beschreibt Sprache im Fachunterricht als Werkzeug, welches genutzt wird wahrend es noch entsteht. Das bedeutet, dass die SchiJierinnen von der Fachsprache Gebrauch machen, wahrend sie diese noch eriernen. Sie beobachten, erproben und erzeugen die Sprache eines Faches wahrend des Lernens. Durch dieses Aufnehmen und Anwenden der Fachsprache entwickeln sie eine Bewusstheit fur die Sprache und ihr Eriernen. (Leisen, 2011)
Der sprachsensible Fachunterricht zeichnet sich durch einen bewussten Umgang mit Sprache aus. Sprache wird als Hilfsmittel gesehen, welches verhindern soil, dass das fachliche Lernen durch Sprachbarrieren beeintrachtigt wird. Wahrend die fachlichen Themen, Inhalte, Lerngegenstande und Kompetenzen den sprachsensiblen Fachunterricht zwar vorrangig pragen, gehort ebenso die Entwicklung sprachlicher sowie kommunikativer Kompetenzen der SchiJierinnen dazu. In Bezug auf sprachsensiblen Fachunterricht muss sich die Lehrkraft stets bewusst sein, dass die Orientierung an Sprach- sowie Fachkompetenzen sich niemals auf nur eine Unterrichtsstunde beschranken kann. Vielmehr handelt es sich um einen langwierigen Prozess, welcher sich in die vorherigen und nachfolgenden Stunden ausbreitet. Die Anforderungen an die Lernenden und auch Lehrenden, welche grolStenteils nicht fur das sprachliche Lehren ausgebildet sind, sind demnach besonders hoch. (Leisen, 2011: 17)
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- Anonymous,, 2018, Wie gelingt Wortschatzförderung im Unterricht? Sprachsensibler Erdkundeunterricht für ein- und mehrsprachige Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Zweitsprache, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/512867
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