Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Eingliederung von "Neuen Medien" in den Musikunterricht. Zunächst wird geklärt, was in der Literatur unter dem Begriff Gehörbildung verstanden wird. Es wird die Entwicklung der Gehörbildung im Laufe der Geschichte aufgezeigt, um anschließend zu ergründen, ob eine klassische Gehörbildung im aktuellen Bildungsplan an Gymnasien in Baden-Württemberg noch vorzufinden ist und welche Kompetenzen durch Gehörbildung gestärkt werden. Der zweite Abschnitt dieser Arbeit befasst sich mit "Neuen Medien" allgemein, deren Definition sowie der Eingliederung "Neuer Medien" in den Unterricht, beziehungsweise in den Musikunterricht. Besonderen Fokus liegt dabei auf den Begriff Mobile Learning. Das Wort "mobile" steht nicht für die mobilen Geräte, sondern vor allem für die Mobilität des Lernens und der Lernenden während des Lernprozesses.
Im letzten Abschnitt werden beide Teile miteinander in Bezug gesetzt und mehrere Formen der Gehörbildung mit Neuen Medien vorgestellt. Um dem Leser einen Überblick über den aktuellen Markt bezüglich der Schwerpunkte und Aufgabenbereiche mobiler Gehörbildungsprogramme zu geben, werden 17 Gehörbildungs-Apps für Android und iOS hinsichtlich verschiedener Kategorien untersucht. Unser Alltag wird durch die mobilen Technologien immer mehr mediatisiert. Dieser Umstand, aber auch die Forderungen der Kultus-Minister-Konferenz sowie andere Positionspapiere aus der Politik, verdeutlichen, wie wichtig es ist, "Neue Medien" sinnvoll in den schulischen Alltag zu integrieren, auch um Jugendlichen die Möglichkeiten und Unzulänglichkeiten dieser Medien aufzuzeigen.
Inhaltsverzeichnis
1. EINFÜHRUNG
2. GEHÖRBILDUNG
2.1. INHALTE UND ZIELE DER GEHÖRBILDUNG
2.2. ENTWICKLUNG DER GEHÖRBILDUNG
2.3. GEHÖRBILDUNGSUNTERRICHT IN DER SCHULE
3. NEUE MEDIEN IM MUSIKUNTERRICHT
3.1. BEGRIFFSERKLÄRUNGEN
3.1.1. Der Medienbegriff
3.1.1.1. Der Medienbegriff in der Musik
3.1.2. „Neue Technologien“ / „Neue Medien“
3.1.3. „E-Learning“, „Blended Learning“, „Mobile Learning”
3.1.3.1. E-Learning
3.1.3.2. Blended Learning
3.1.3.3. Mobile Learning
3.2. MEDIATISIERUNG DER LEBENSWELT
3.3. NEGATIVE AUSWIRKUNGEN DER NEUEN MEDIEN
3.4. AUSWIRKUNGEN NEUER MEDIEN AUF DIE MUSIK
3.4.1. Auswirkungen auf die Rezeption von Musik
3.4.2. Auswirkungen auf die Musik allgemein
3.5. NEUE MEDIEN IM UNTERRICHT
3.5.1. Kritische Sicht
3.5.1.1. Die fehlenden sinnlichen Erfahrungen
3.5.1.2. Die Macht der Medien
3.5.1.3. Technische Schwierigkeiten
3.5.2. Neue Medien im Musikunterricht
3.5.2.1. Lernprogramme im Musikunterricht
4. FUSION: GEHÖRBILDUNGSUNTERRICHT MIT NEUEN MEDIEN
4.1. VERSCHIEDENE FORMEN NEUER MEDIEN, UM GEHÖRBILDUNG ZU BETREIBEN
4.1.1. Computer, Laptops – Desktopbetriebssysteme
4.1.2. Smartphones/Tablets/Phablets – Mobile Betriebssysteme
4.1.3. Kombination? – Web-Apps
4.2. NEUE FORMEN VON GEHÖRBILDUNG
4.3. ANALYSE VON GEHÖRBILDUNGSAPPS
4.3.1. Untersuchungskriterien
4.3.1.1. Interaktionsmöglichkeiten - Aktivitäten
4.3.1.2. Feedback
4.3.1.3. Visualisierung der Musik – Qualität der Übersetzung
4.3.1.4. Stilrichtungen - musikalischer Umfang
4.3.1.5. Anpassung - Integration in den Lehrplan - Datenschutz
4.3.2. Auswertung der Untersuchung
4.3.2.1. Interaktionsmöglichkeiten - Aktivitäten
4.3.2.2. Feedback
4.3.2.3. Visualisierung der Musik- Qualitat der Obersetzung
4.3.2.4. Stilrichtungen- musikalischer Umfang
4.3.2.5. Anpassung -Integration in den Lehrplan- Datenschutz
4.3.3. Zusammenfassung der Auswertung
5. FAZIT
LITERATURVERZEICHNIS
1. Einführung
Nachdem ich 2012 den Entschluss fasste, Schulmusik zu studieren, und mich auf die Aufnahmeprüfung vorbereitete, nahm ich neben Gesangsunterricht auch Gehörbildungs- unterricht. Gerade als Pianist war dies ein neues Thema, mit dem ich mich zuvor nur im Hinblick auf das fachpraktische Abitur beschäftigt hatte. Der private Gehörbildungs- unterricht machte Spaß und zeigte auch seine Wirkung. Bereits damals dachte ich, dass es bessere und günstigere Alternativen geben müsse, um das Gehör zu schulen. Meiner Ansicht nach ist es gerade bei der Gehörbildung wichtig regelmäßig zu üben. Mehrere kurze Übungseinheiten pro Woche erscheinen mir effektiver als eine lange Einheit am Stück. Als technikaffine Person kam ich früh mit Webdesign und Webprogrammierung in Kontakt und entschloss mich, eine Gehörbildungsapp für Smartphones und andere mobile Geräte zu entwickeln. Im Vergleich zum heutigen Markt gab es 2012 im Android- App-Store noch keine große Auswahl an Gehörbildungsprogrammen. Von Musiklehrern wurden Webseiten empfohlen, die lediglich als Audioplayer fungierten und bei denen man dann die Lösungen selbst korrigieren musste. Auch teure und umfangreiche Computerprogramme wurden zur Schulung des Gehörs empfohlen.
Meine App mit dem Namen „earTastic“ ist kurz vor meiner Aufnahmeprüfung im Frühjahr 2013 in den Android App-Store eingereicht worden und fand guten Anklang. Im Laufe des Studiums konnte ich die Entwicklung der Applikation nur sporadisch fortsetzten, da diese sehr zeitaufwendig war und sich auch finanziell nicht sonderlich lohnte. Während meines Musik- und Mathematikstudiums stellte ich fest, dass ich als Tablet und Notebooknutzer im Seminarraum und in den Vorlesungssälen noch zu den wenigen Ausnahmen gehörte. Lediglich eine Handvoll Kommilitonen nutzten digitale Endgeräte für Mitschriebe und Heimarbeiten. Im Gegensatz dazu hatten aber nahezu alle Studenten ihr Mobiltelefon immer griffbereit. Laut der aktuellen JIM-Studie von 20181, in der Jugendliche zwischen zwölf und 19 Jahren hinsichtlich ihrer Mediennutzung befragt wurden, scheint meine Beobachtung auch auf die Schule übertragbar zu sein. „Bring-Your-Own-Device“ heißt das Schlagwort, welches für die Nutzung der schülereigenen Geräte im Unterricht steht und in meinen Augen große Möglichkeiten eröffnet, Neue Medien im Unterricht sinnvoll einzubinden.
Unser Alltag wird durch die mobilen Technologien immer mehr mediatisiert. Dieser Umstand, aber auch die Forderungen der Kultus-Minister-Konferenz 2 sowie andere Positionspapiere aus der Politik3, verdeutlichen, wie wichtig es ist, Neue Medien sinnvoll in den schulischen Alltag zu integrieren, auch um Jugendlichen die Möglichkeiten und Unzulänglichkeiten dieser Medien aufzuzeigen. Im Sinne der Medienkompetenz soll nicht nur der reine Umgang der Geräte erlernt, sondern auch die kritische Reflexion über mediale Prozesse gefördert werden.
Im Zuge dieser Zulassungsarbeit möchte ich zunächst klären, was in der Literatur unter dem Begriff Gehörbildung verstanden wird. Darüber hinaus werde ich die Entwicklung der Gehörbildung im Laufe der Geschichte aufzeigen, um anschließend zu ergründen, ob eine klassische Gehörbildung im aktuellen Bildungsplan an Gymnasien in Baden- Württemberg noch vorzufinden ist und welche Kompetenzen durch Gehörbildung gestärkt werden.
Der zweite Abschnitt dieser Arbeit befasst sich mit Neuen Medien allgemein, deren Definition sowie der Eingliederung Neuer Medien in den Unterricht, beziehungsweise in den Musikunterricht. Besonderen Fokus lege ich dabei auf den Begriff Mobile Learning. Das Wort mobile steht nicht nur für die mobilen Geräte, sondern vor allem für die Mobilität des Lernens und der Lernenden während des Lernprozesses.
Im letzten Abschnitt werde ich beide Teile miteinander in Bezug setzen und mehrere Formen der Gehörbildung mit Neuen Medien vorstellen. Um dem Leser einen Überblick über den aktuellen Markt bezüglich der Schwerpunkte und Aufgabenbereiche mobiler Gehörbildungsprogramme zu geben, habe ich 17 Gehörbildungs-Apps für Android und iOS hinsichtlich verschiedener Kategorien untersucht.
2. Gehörbildung
2.1. Inhalte und Ziele der Gehörbildung
Was ist Gehörbildung? Was ist darunter zu verstehen, welche Ziele beinhaltet sie und in welchem Kontext ist die Gehörbildung zu finden? Diesen Fragen wird im Folgenden nachgegangen.
Eine wirkliche Definition findet sich in den meisten Gehörbildungsbüchern nicht. Gehörbildung wird hier durch die zu erwerbenden Fähigkeiten oder Kompetenzen definiert. Kaiser zeigt im MGG-Artikel zur Gehörbildung verschiedene Begriffs- bedeutungen auf. Die erste Bedeutung ist die Unterrichtsdisziplin, wie sie an Musik- schulen, Konservatorien und Musikhochschulen zu finden ist, „in der es um die Vermittlung der Fähigkeit geht, Musik und musikalische Ereignisse kognitiv wahrzunehmen und das Wahrgenommene in Wort (Höranalyse), Schrift (Notendiktat) und Ton (Nachsingen und -spielen) wiedergeben zu können.“ 4 Die zweite Begriffs- bedeutung ist die Gehörbildung, welche in der Zeit der Aufklärung entstanden ist, und „die systematische Ausbildung der Erkenntnisfähigkeit im Hören bei Kindern und Jugendlichen bezeichnet.“5 Bei diesem Verständnis von Gehörbildung werden Volkslieder, pädagogische Kompositionen sowie elementare Elemente der dur-moll-tonalen Musik zum Unterrichtsgegenstand gemacht.6 Die dritte und letzte Bedeutung, die Ulrich Kaiser anführt, ist das Erlernen von Tonhöhen- und Klangvorstellungen, „sowie die allgemeine Sensibilisierung für akustisch-sinnliche Ereignisse“ 7. In diesen Bereich ordnet er auch Bereiche ein, die den Begriff der Gehörbildung nicht explizit verwenden, wie zum Beispiel das kritische Hören oder die musikalische Geschmacksbildung im Sinne des 18. Jahrhunderts 8. Kaiser selbst schreibt, dass die Übergänge zwischen den einzelnen Bereichen fließend sind und sich teilweise nicht stark voneinander abgrenzen. Allen drei Bedeutungen gemeinsam ist, dass das Gedächtnis eine Grundvoraussetzung ist, um Gehörbildung erfolgreich betreiben zu können. In der Literatur werden die Begriffe Gehörbildung und Hörerziehung unterschieden: Die Gehörbildung ist dabei meist spezieller und technischer und auf einzelne Strukturelemente der Musik bezogen, 9 wohingegen die Hörerziehung umfassender angelegt ist. Zur Hörerziehung zählen viele Autoren die Höranalyse oder das Werkhören.10
Was sind nun aber die Inhalte und Ziele der Gehörbildung? Um diese Frage zu beantworten, werden verschiedene Lehrbücher der Gehörbildung vorgestellt, welche teils ausführlich, teils weniger ausführlich diese Lerninhalte beschreiben.
Stoverock sieht das Ziel des Gehörbildungsunterrichts darin, den Schüler zu befähigen, „Musik bewußt aufzunehmen, sie zu verstehen und ihre Elemente selbständig anzuwenden.“11 Als weitere Ziele nennt er das Vom-Blatt-Singen sowie das Dirigieren. Der letzte Zweck solle aber sein, musikalische Bildung zu vermitteln.12
In der Publikation „Übungsschule für musikalische Gehörbildung“ von Alois Gusinde aus dem Jahr 1911 lassen sich ebenfalls Unterrichtsinhalte des Unterrichts in Gehörbildung ausmachen. So sollen die Schüler befähigt werden, „die Töne nach Höhe, Länge, Stärke, Klangfarbe einzeln und in Verbindungen zu beurteilen, ihre Folgerichtigkeit zu erkennen, kunstgerechte Phrasen rasch und gewandt aufzufassen und festzuhalten sowie den Reiz klassischer Proben nach ästhetischen Grundsätzen zu beurteilen.“13 Bemerkenswert ist, dass Gusinde bereits außermusikalische Kompetenzen nennt, die durch den Gehör- bildungsunterricht gestärkt werden:
„Indem wir also die Ausbildung unseres Gehörs pflegen, stellen wir uns in die Entwicklungsreihe unserer Vorfahren, vervollkommnen die Disposition und Leistungsfähigkeit unserer Nervenzentren, entwickeln die musikalischen Anlagen und steigern so unsere Leistungen auf dem Gebiete der Tonkunst.“ 14
Weiterhin habe die Gehörbildung Auswirkungen auf alle anderen musikalischen Fertigkeiten und befördere diese.15 Die folgenden Kompetenzen lassen sich im Vorwort der Übungsschule finden: Hören, Auffassungs- und Vorstellungsvermögen, Ton- gedächtnis, musikalische Fantasie, Intervallurteil, ästhetisches Urteil, Harmonie, Einzelsingen und Chorsingen sowie Notenschreiben.
Güldenstein ist bei den Zielen der Gehörbildung etwas pragmatischer. Er unterscheidet zwischen einer idealen Gehörbildung und dem wirklichen Gehörbildungsunterricht. Seine Idealvorstellung wäre, die „Auffassung linearer Tongestalten, akkordlicher Tonkomplexe, Erkennen der Klangfarben und ihrer Kombinationen, genaues Erfassen aller zeitlichen Verhältnisse in Rhythmik und Agogik, Erkennen der Artikulation und Phrasierung sowie der Dynamik“16 zu vermitteln. Seiner Ansicht nach sei jedoch das realistische Ziel des wirklich stattfindenden Gehörbildungsunterrichts die gehörmäßige sowie theoretische Beherrschung des Tonraumes. 17 Wie Gusinde sieht auch er die Gehörbildung in alle anderen musikalischen Unterrichtsgebieten, wie Formenlehre, Instrumentalunterricht, Harmonielehre und Kontrapunkt, Musikgeschichte und Literaturkunde sowie Chorgesang mit einfließen. Diese Beeinflussung solle aber auch in anderer Richtung geschehen:
„Indem so die Gehörbildung sich als ein Spezialfach der allgemeinen Musikerziehung konstituiert, entsteht die berechtigte Forderung, daß alle übrigen Fächer unserer Berufsschulen für Musiker neben ihrer besonderen Fachaufgabe auch immer zugleich Gehörbildung sein sollen.“ 18
Güldenstein betont weiterhin die wichtige Rolle des Singens in der Gehörbildung und fordert, auch Gesangstechnik mit in den Gehörbildungsunterricht einzubeziehen.19 Er unterscheidet darüber hinaus ganz klar das Rhythmusdiktat von dem Melodiediktat:
„Die Sing- und Diktatübungen vermeiden zwar rhythmische Komplikationen nicht gänzlich, auferlegen sich aber doch eine gewisse Zurückhaltung, da unser Hauptanliegen im Fache Gehörbildung die Erschließung des Tonraumes ist. Der Rhythmus wird jedoch getrennt geübt: aktiv durch Klatschen von immer schwierigeren Rhythmen; analytisch durch Rhythmusdiktate.“ 20
Clemens Kühn beschreibt in seinem Buch „Gehörbildung zum Selbststudium“, die erforderlichen Kompetenzen im Bereich der Gehörbildung, die seiner Ansicht nach viele Studenten vermissen lassen: „Erkennen von Intervallen, Skalen, Dreiklängen, Sept- akkorden“ 21. Um überhaupt am Gehörbildungsunterricht teilnehmen zu können, sollte man „die Beherrschung der Notenschrift; satztechnisches Wissen; das Zusammenwirken mit musikalischer Praxis“22 sowie eine gewisse Repertoire-Kenntnis mit sich bringen. Wie die vorherigen Autoren sieht auch Kühn die Verbindung mit der musikalischen Praxis als wichtigstes Element einer funktionierenden Gehörbildung an:
„Das Hören konkretisiert sich – auch – in instrumentalpraktischen Vorstellungen, wie umgekehrt diese Vorstellungen auf das Hören zurückwirken. Höraufgaben am Instrument nachzuvollziehen oder – umgekehrt – das Instrumentalspiel mit Höraufgaben zu begleiten, ist deshalb von eminenter Wichtigkeit.“ 23
Er formuliert die Ziele eines gelungenen Gehörbildungsunterrichts wie folgt: „Die Fähigkeit zu bewußtem, differenziertem, verständigem, auch: urteilsfähigem Hören, gepaart mit der Fähigkeit, auch gelesene (statt gehörte) Musik innerlich erklingen zu lassen, ist nach meinem Verständnis letztlich das Ziel der Gehörbildung.“24 Kühn betont die Notwendigkeit, dass Singen, Spielen, Schreiben und Hören als Tätigkeitsfelder im Gehörbildungsunterricht zusammenwirken.25
Als Ziel der Gehörbildung sieht Wolf „nicht nur, implizit Unterschiede von Merkmalen in Musik zu erkennen, sondern diese Merkmale der Musik explizit benennen zu können.“26 Das heißt, Gehörbildungsunterricht sollte eng mit dem Sprechen über Musik sowie der Musiktheorie und Formenlehre verknüpft sein.
Estrada Rodríguez befasste sich mit den wichtigsten deutschsprachigen Gehörbildungs- büchern des 20. Jahrhunderts. Bei der Analyse dieser Bücher sind ihm zwei grundlegende Aktivitäten, um Musik wahrzunehmen, aufgefallen: das Hören und Lesen. 27 Bei der Untersuchung der Gehörbildungsbücher fand er sieben Aktionsformen der Gehörbildung, die in unterschiedlicher Weise miteinander kombiniert werden. Diese Aktionsformen sind Singen, Spielen, Schreiben, Hören, Lesen, Auswendig(-lernen) und Analysieren.28
2.2. Entwicklung der Gehörbildung
Seit jeher ist die Gehörbildung naturbedingt ein wichtiger und fester Bestandteil der Ausbildung von Sängerinnen und Sängern. Daher überrascht es nicht, dass die Geschichte der Gehörbildung zunächst eng mit der Geschichte des Gesangs, sowie der Notenschrift, also mit methodischen Konzepten, um „das Erlernen unbekannter Gesänge“ 29 zu er- möglichen, verbunden ist.
Bei Betrachtung des Aspekts der Höranalyse konstatiert Wolf, dass diese erst durch die Entstehung von notierter Musik benötigt wurde:
„Das aufmerksame, analysierende Hören von Musik besitzt aber eine implizite Geschichte, die vermutlich nicht viel jünger ist als die Geschichte der notierten Musik.“ 30
Antikes Griechenland
Anhand weniger Quellen zeigt Lange auf, dass es bereits im antiken Griechenland eine Solmisation gab.31 Die beiden Berichterstatter lebten im ersten und zweiten Jahrhundert nach Christus, dennoch wird vermutet, dass Solmisationsmethoden, also die Verwendung bestimmter Silben beim Singen in einem Tonsystem, schon in früheren Zeiten existiert haben sollen.32
Die nächste geschichtlich belegte Quelle zur Ausbildung des musikalischen Gehörs stammt aus dem 11. Jahrhundert und geht einher mit der Einführung der Musiknotation in Linien. Kaiser vermutet, dass vor dem 11. Jahrhundert eine Art Gehörbildung „hauptsächlich am Monochord und über das Vor- und Nachsingen“33 erfolgte.
11. Jahrhundert - Guido von Arezzo
Als einen großen Meilenstein der Musikgeschichte allgemein, aber auch der Gehör- bildung, beziehungsweise der Solmisation im Spezifischeren, gelten Guido von Arezzos Schriften, welche eine neuartige Notation von Gesängen in Notenlinien erklären. Nicht nur die Notenschrift, sondern auch gesangspädagogische Errungenschaften können ihm zugeschrieben werden. Guido von Arezzo wandte sich gegen damals übliche Methoden, Gesänge nur durch „Memorieren der durch einen Vorsänger (oder auf dem Monochord) vorgetragenen Melodien zu erlernen.“34 Er beschreibt eine Methode, mit dem ein Schüler selbstständig einen ihm unbekannten Gesang („ignotus cantus“) erlernen kann. Dieser soll zunächst die „verschiedenen Tonstufen eines Hexachords in ihrer Eigentümlichkeit“ 35 erfahren und erlernen, um anschließend diese sechs Töne anhand der ihm spezifischen „Eigentümlichkeit“ bestimmen zu können. Um diese Eigentümlichkeiten oder Tonqualitäten36 einzuführen, nutzte Guido von Arezzo die Anfangssilben der ersten sechs Halbzeilen des Hymnus „Ut queant laxis“, welche jeweils auf einem anderen Ton (C, D, E, F, G, A) und einer anderen Silbe (ut, re, mi, fa, sol, la) beginnen, wodurch jede Tonstufe, beziehungsweise Tonqualität, eine korrespondierende Silbe besitzt. Diese Ausführungen Guido von Arezzos sind deshalb von so großer Bedeutung für die Geschichte der Gehörbildung, da die durch ihn begründete „neuzeitliche“ 37 Solmisation der „sinnlich- auditive[n] Erschließung des Tonsystems“ 38 dient und Kaiser sie deshalb als „erste systematische Gehörschulungslehre“39 ansieht.
11.-17. Jahrhundert
Im Laufe der nächsten Jahrhunderte wurde das Solmisationssystem auf sieben Silben erweitert. Ebenfalls wurden die Silben durch Buchstaben des Alphabets, beziehungsweise Tonbuchstaben abgelöst. Hinzu kommen die gleichstufige Temperierung und ein zwölftönig gedachtes Tonsystem. In all diesen Faktoren sieht Kaiser die Zurückdrängung des auditiven Moments „der qualitativen Tonerkennung“40 und somit auch der Gehör- bildung im Gesamten.
17.-19. Jahrhundert - Aufklärung
Als Gegeninitiative zu dieser „mangelhaften inneren Tonvorstellung“ 41 lässt sich bei Matthesons „Vollkommenen Capellmeister“ 1739 das erste Mal das Notendiktat als Methode in der Literatur finden. Mit seiner Publikation wollte Mattheson einen Überblick über alle wichtigen Informationen für einen Musiker, der komponiert und Musik machen möchte, bereitstellen.42 Dieses Notendiktat wird in Pfeiffer und Nägelis „Gesangbildungs- lehre nach Pestalozzischen Grundsätzen“ aufgegriffen. Jene Gesangbildungslehre ist ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der Musikpädagogik und der Schulmusik, da sie das erste deutschsprachige gesangspädagogische Lehrbuch darstellt. Aufgrund der Tatsache, dass sich Pfeiffer und Nägeli an Pestalozzis Grundideen halten wollten, werden die einzelnen musikalischen Elemente in der Gesangsbildungslehre getrennt betrachtet und Stück für Stück erlernt. Im fünften Kapitel ihrer Gesangslehre mit dem Titel „Die Notierungskunst oder Unterricht und Übung im Auffassen, Zusammenfassen und Niederschreiben der Töne und Tonverhältnisse“ beschreiben Pfeiffer und Nägeli das Notendiktat:
„Die Tonreihe, die das Kind hört, soll ihm so deutlich vorschweben, dass es einen Moment später, allenfalls eine halbe Minute nachher, die Töne nach ihren Verhältnissen noch geistig um sein Ohr klingen hört, und die ihnen entsprechenden Noten vor seinem Auge dastehen sieht, gleich als wenn es sie äußerlich an die Tafel geheftet sähe.“ 43
Pfeiffer und Nägeli stellen die Behauptung auf, dass jeder Mensch ein Seelenohr und ein Seelenauge besitzt, was sie mit dem Vermögen der Kunstanschauung gleichsetzten. Diese Kunstanschauung soll „durch die Notierungskunst kultiviert werden“ 44. Sie sehen die vorangegangenen Kapitel ihrer Gesangsschule nur als Vorbildung, die dazu dient, diese Kunstanschauung (somit Gehörbildung) zu erlangen.45 Auch Robert Schumann schreibt in der Neuen Zeitschrift für Musik:
„Die Bildung des Gehörs ist das Wichtigste. Bemühe dich frühzeitig, Tonart und Ton zu erkennen. Die Glocke, die Fensterscheibe, der Kuckuck – forsche nach, welche Töne sie angeben.“ 46
Das Notendiktat gewann im Laufe des 19. Jahrhunderts im Bereich der Gehörschulung immer mehr an Bedeutung. 47 Zu nennen sind die musikalischen Schreib-Übungen von Heinrich Goetz und der Katechismus des Musik-Diktats von Hugo Riemann, welcher forderte, dass das Musikdiktat in den Lehrplan aufgenommen werden soll.48 Rodríguez sieht im 19. Jahrhundert zwei Phasen der Gehörbildungsgeschichte in Deutschland: „Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurden zwar sowohl das Diktat als auch das Vom-Blatt-Singen praktiziert, jedoch nicht zu einem gemeinsamen Fach zusammengefasst. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts erscheinen die ersten Gehörbildungsbücher. Es entstehen erste Ansätze zu einer Systematisierung und zu einer Didaktik.“49 Auch in anderen Ländern, wie Frankreich und im angloamerikanischen Sprachraum, „wurde das Musikdiktat für die Gehörbildung herangezogen.“50
Im 19. Jahrhundert überwogen in anderen Ländern jedoch unterschiedliche Lehrformen, die auf Grundlage der Solmisation entstanden. In Frankreich bildete sich am Pariser Konservatorium das Fach Solfège, welches Stimm- und Gehörbildung miteinander kombiniert, und vergleichbar, wie auch das italienischen Solfeggio, auf absolute Tonhöhen bei der Solmisation setzt.51 Sarah Ann Glover entwickelte hingegen 1812 in England die sogenannte Tonic-Solfa-Methode, die die Klangsilben der Solmisation für relative Tonbeziehung benutzte.52 Im Laufe des 19. Jahrhundert wurde diese relative Solmisation weiterentwickelt und kam schließlich 1897 durch Agnes Hundoegger unter der Bezeichnung Tonika-Do Methode auch nach Deutschland. Diese Methode wird auch heute noch angewandt. In Osteuropa setzte sich eine Solmisationslehre nach Kodály durch. Für diesen ist die Grundlage seiner Unterrichtsmethode das ungarische Volkslied. Aufbauend darauf soll eine musikalische Vorstellungsfähigkeit entwickelt und syste- matisch das Singen und die Gehörbildung eingeführt werden53:
„Nach dem ersten Singen nach dem Gehör im Kindergarten wird auf der Grundlage vokaler Beherrschung entsprechenden Liedmaterials mit Hilfe von Handzeichen und relativen Tonnamen musikalische Vorstellungsfähigkeit und Kenntnis erworben.“ 54
Erste Hälfte des 20. Jahrhunderts
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestand der Musikunterricht lediglich aus Gesangsunterricht. Das heißt, dass Elemente des Unterrichts, die der Gehörbildung zugeordnet werden können, auf das Singen und der Ausbildung der Stimme zurückzuführen sind. Die Gehörbildung und vor allem das Musikhören spielten „an den allgemeinbildenden Schulen in Deutschland eine untergeordnete Rolle“ 55. Trotz der schulpädagogischen Wirklichkeit gab es im Zuge der Jugendbewegung und der Reformpädagogik neue Ansätze hinsichtlich methodischer Überlegungen zur Ausführung der Gehörbildung. Hierzu zählen Methoden, „in denen Gehörbildung in ein ganzheitliches, körperbetontes Erleben eingebunden ist“ 56. Beispielhaft können hier Jaques-Dalcrozes körperbezogene Darstellungen von Rhythmik sowie die Toneurythmie von Steiner genannt werden.57
Die 1960er Jahre - nach Adornos Kritik
Bis Ende des Zweiten Weltkriegs und auch die ersten Jahre danach war der Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen stark geprägt vom Singen und Musizieren, wodurch beispielsweise das Musikhören eine untergeordnete Rolle spielte, und Gehörbildung lediglich in der Form betrieben wurde, in der sie das Singen oder Musizieren bereichern konnte.58
Nach der fundamentalen Kritik Adornos am Klassenmusizieren und der durch Pro- paganda ausgenutzten Singpraktiken können in Bezug auf die Gehörbildung, be- ziehungsweise Hörerziehung, zwei Richtungen erkannt werden. Zur ersten Grundrichtung zählt die Orientierung am Objekt, wie das Werkhören bei Alt (1968), das Hören nach Noten bei Venus (1969) und dem musikalischen Kunstwerk bei Richter (1979). Die zweite Grundrichtung ist die Orientierung am Subjekt. Als Vertreter hiervon ist Hentig (1972) zu nennen.59
Spürbar wurde der Umbruch, ausgelöst durch Adornos Kritik, nicht nur an den Schulen, sondern auch bei der Lehrerausbildung. Ferner entstanden in der Zeit nach 1945 viele Gehörbildungslehrgänge in Form von Büchern. Dies war vor allem im deutschsprachigen Raum zu beobachten. Kaiser erklärt deren Aufkommen durch eine „unzulängliche[…] Gehörschulung bei Kindern und Jugendlichen“60, die auf ein Missverhältnis zwischen dem „kognitivem Hörvermögen und instrumental-vokalen Fertigkeiten einerseits und [den] […] hohen Anforderungen an das Hören in Bezug auf die Vielfalt der zu rezipierenden Musikstile andererseits“61 zurückzuführen ist.
Die 1980er Jahre - der Beginn der Digitalisierung
In den meisten geschichtlichen Auflistungen der Gehörbildung werden die Digitalisierung und die neuen Technologien nur in einem Nebensatz erwähnt und spielen weiter keine große Rolle.
Der erste Meilenstein, welcher die Entwicklung von digitaler Musik beflügelte, war die Entwicklung des MIDI-Standards mit seiner Ausführung 1.0 im Jahre 1982.62 In dieser Zeit entstanden einige musikpädagogische Programme, welche sich diesen Standard zunutze machten. Gehörbildungsprogramme zählten, womöglich aufgrund ihrer „Einfachheit“ und aufgrund dessen, dass der MIDI-Standard die Überprüfung von Intervallen, Akkorden und Skalen sehr leicht ermöglichte, zu den ersten musikalischen Lernprogrammen.
Auch die analogen Technologien der damaligen Zeit wurden für die Gehörbildung genutzt. Ahner sieht in den „Fernsehsendungen wie das Telekolleg [oder] Sprach- lernmöglichkeiten über Kassetten“63 die ersten Formen des E-Learnings. Beispielsweise nutzte der Jazz-Pianist Sigi Busch die Möglichkeit, einen Gehörbildungskurs auf Kassette aufzunehmen.64
Die 1990er Jahre - erste Computerprogramme mit musikdidaktischen Überlegungen
Enders und Weyde entwickelten in den 1990er Jahren die Lernsoftware Computerkolleg Musik Gehörbildung. Hinter der Software steckte eine methodisch-didaktische Kon- zeption und wurde zunächst für den damals unter Musikern „weitverbreiteten Atari-ST“65 veröffentlicht. Zu erwähnen ist an dieser Stelle noch das an die „Hochschulausbildung orientierte“66 Programm Audi-Max, welches von Christoph Hempel an der Musikhoch- schule Hannover mitentwickelt wurde. Am Preis von 800 DM ist zu erkennen, dass sich das Programm eher an Bildungseinrichtungen, als an Privatnutzer wendete.67
Das 21. Jahrhundert - neue Chancen, neue Herausforderungen
Zu Beginn der 2000er gab es nicht etwa hinsichtlich Neuer Medien und Gehörbildung eine Kontroverse, sondern der Diskurs bestand darin, welches Verhältnis zwischen Gehörbildung und Musiktheorie bestehen soll, oder gar, ob die Gehörbildung überhaupt Teil der Musiktheorie sei.68
Auch wenn die Digitalisierung im schulischen Kontext oft noch keine große Rolle spielte, so setzte sich die Digitalisierung der Musik und Musikproduktion in der Popularmusik und in den Lebenswelten der Jugendlichen immer weiter fort.69
Ahner sieht digitale Technologien in Bezug auf die Musik nicht nur als Werkzeug an, sondern zeigt auf, dass die Technologien die Musik und das Musikmachen selbst in vielfältiger Weise verändern:
„Die Transformationen im Zusammenspiel von digitalen Technologien und musikalischen Praxen lassen aber nicht nur neue Formen und Formate entstehen, sondern fordern zugleich eine Neuperspektivierung traditioneller Musikpraxen, denn es verändern sich allgemein die Formen und Formate des Musizierens, Komponierens, Reflektierens und Konsumierens mit digitalen Endgeräten und Instrumenten.“ 70
Neben der klassischen Gehörbildung entstanden durch die Technisierung der Musik andere Formen der Gehörbildung, wie zum Beispiel die Klangfarben-Gehörbildung, die in Kapitel 4.2. näher betrachtet wird.
2.3. Gehörbildungsunterricht in der Schule
Die Geschichte der Gehörbildung zeigt, dass die Bildung des Gehörs zunächst für Musikerinnen und Musiker von Bedeutung war und erst später in die schulische Bildung eingegliedert wurde. Auch heute stellt sich die Frage, ob die Gehörbildung für die Schule von Bedeutung ist.
Bei der Betrachtung des Bildungsplans Musik von Baden-Württemberg für Gymnasien, können die Begriffe „Gehörbildung“ oder „Hörerziehung“ nicht gefunden werden. Dies hat unter anderem auch mit der Abwendung von lernzielorientierem Unterricht, hin zu kompetenzorientiertem Unterricht Anfang der 2000er Jahre zu tun.71 Der Bildungsplan teilt die Kompetenzen in prozessbezogene, „die von den Schülerinnen und Schülern im Laufe ihrer Schulzeit erworben werden“72, sowie in inhaltsbezogene Kompetenzen, „die sich auf bestimmte Klassen beziehen“73, ein. Gehörbildungselemente im Musikunterricht sind im Bildungsplan unter dem Bereich der Hörkompetenz eingeordnet. Diese ist in beiden Kompetenzbereichen, wie sie der Bildungsplan vorsieht, zu finden. Die Autoren des Bildungsplans räumen der Hörkompetenz eine wichtige Stellung ein: „Das Hören von Musik ist Basiskompetenz des Musikunterrichts und allen musikalischen Gebrauchs- praxen immanent.“74 Durch diese Aussage wird deutlich, was auch zuvor die Autoren der Gehörbildungsbücher beschrieben haben: Die Ausbildung des Hörens ist bei jeder Beschäftigung mit Musik von essenzieller Bedeutung. Durch die Ausbildung der Hörkompetenz soll ein emotional-affirmativer Zugang mit „analytisch erfassbaren Hörerfahrungen“75 verknüpft werden. Es kann die Frage gestellt werden, inwieweit die „klassische“ Gehörbildung, zu der das Erkennen von Intervallen, Akkorden und Skalen gehört, für die Hörkompetenz von Bedeutung ist. Erst durch das Beschäftigen mit musiktheoretischen Grundlagen und deren auditiver Erkennung, sind die Schülerinnen und Schüler in der Lage, ihre subjektiven Höreindrücke zu beschreiben und analytisch zu erfassen.
Die prozessbezogene Hörkompetenz soll es den Lernenden während ihrer Schulzeit ermöglichen: „1. sich auf einen Gesamteindruck von Klangereignissen“76 zu konzentrieren „2. sich auf mehrere Parameter von Klangereignissen und auf die musikalische Gestaltung von Zeit – auch komplexerer Werke -“ 77 zu konzentrieren. Darüber hinaus sollen sie „3. ein methodisches Repertoire zur differenzierten Wahrnehmung und Beschreibung von Klangereignissen anwenden“ 78 können. Dieses methodische Repertoire beinhaltet die Inhalte und Ziele der klassischen Gehörbildung. Die Hörkompetenz ist außerdem auch in kommunikativen Teilkompetenzen zu finden. Die Schülerinnen und Schüler sollen „Wirkungen von Musik wahrnehmen und zum Ausdruck bringen“79.
Bei der Beschreibung der inhaltsbezogenen Kompetenzen werden die für die Gehörbildung relevanten Ziele, wie Intervall- und Harmoniebestimmung, Instrumenten- unterscheidung sowie höranalytische Aufgaben im Bildungsplan genauer erläutert. Auf die inhaltsbezogenen Kompetenzen wird in Kapitel 4.3.1.5 genauer eingegangen.
Neben musikbezogenen Kompetenzen besitzt die Hörkompetenz auch außermusi- kalische Ziele. Sie soll auditive Zugänge eröffnen und diese gegenüber den visuellen Wahrnehmungen stärken. 80 Außerdem soll sie einen positiven Einfluss auf alle Fächer haben, da die Hörkompetenz die Konzentrationsfähigkeit und -leistung steigert sowie wichtig für die Persönlichkeitsbildung der Lernenden sei. Die Konzentrationsfähigkeit scheint eine Grundkompetenz der Gehörbildung zu sein, was auch Clemens Kühn in seiner Gehörbildungslehre anspricht.81
3. Neue Medien im Musikunterricht
3.1. Begriffserklärungen
3.1.1. Der Medienbegriff
Menschen nutzen Medien, um sich mit der Außenwelt zu verbinden und mit anderen Menschen zu kommunizieren.82 Der Begriff Medium wird nicht nur in der Wissenschaft verwendet, sondern findet sich auch im alltäglichen Sprachgebrauch wieder. Tulodziecki nennt folgende Beispielsätze: „Musik ist ein Medium, das vor allem zur Stimmungs- kontrolle eingesetzt wird.“83 Oder „Tafel und Kreide sind die am häufigsten verwendeten Medien im Unterricht.“84 Diese alltagssprachlichen Ungenauigkeiten tragen dazu bei, dass es in der Literatur keinen einheitlichen Medienbegriff gibt.85 86 Dieser ist im Laufe seiner Entwicklungsgeschichte verändert, ergänzt und von Autoren nach ihren Bedürfnissen angepasst worden.
Der Begriff Medium bedeutet übersetzt Mittelpunkt oder auch Vermittler und wird oft mit Kommunikationsmitteln gleichgesetzt. Harry Pross unterteilt die Medien in Primär-, Sekundär- und Tertiärmedien. 87 Primärmedien, etwa ein Gespräch oder ein Vortrag, bedürfen keiner Technik. Bei den Sekundärmedien benötigt der Empfänger ebenfalls keine Technik, jedoch der Ersteller. Zu den Sekundärmedien zählen Zeitschriften, Bücher und Zeitungen. Bei den Tertiärmedien hingegen benötigen Sender als auch Empfänger die erforderliche Technik, also zum Beispiel ein Telefon, ein Radio oder einen Fernseher. Die digitalen Medien besitzen eine Sonderstellung. Sie können den Tertiärmedien zugeordnet werden. Oft werden sie aber auch als Quartärmedien bezeichnet88, da sie eine neue Form von Medium darstellen und jeder Empfänger oft auch selbst als Sender fungiert. Aufgrund der Verschmelzung von Sender und Empfänger sind die Quartärmedien der „unmittel- baren, menschlichen Kommunikation“89 und somit den Primärmedien am nächsten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Medien Einteilung nach Harry Pross (lizenzfreie Bilder von https://www.pexels.com).
Für Ahlers ist diese Unterteilung zwar nachvollziehbar, er empfindet sie aber als zu wenig ausdifferenziert, „da wichtige ökonomische und politische Kontexte sowie deren (Aus- )Wirkungen nahezu ausgeblendet werden.“90 Er stellt des Weiteren verschiedene Defini- tionsansätze vor, wie die axiomatisch aufgebaute Definition der Medien von Hartmut Winkler:
„(1) Kommunikation: Medien sind Maschinen der gesellschaftlichen Vernetzung. (2) Symbolischer Charakter: Von anderen Mechanismen gesellschaftlicher Vernetzung – dem Warenaustausch, Arbeitsteilung, Politik, Sex oder Gewalt – unterscheiden die Medien sich durch ihren symbolischen Charakter. (3) Technik: Medien sind immer technische Medien. (4) ‚Fo r m‘ und ‚Inhalt‘: Medien erlegen dem Kommunizierten eine Form auf. (5) Medien überwinden Raum und Zeit: Die Überwindung geografischer Distanzen (Telekommunikation) ist für Medien ebenso typisch wie die Überwindung der Zeit, also der Aspekt von Speicherung und Traditionsbildung. (6) Medien sind unsichtbar: Je selbstverständlicher wir Medien nutzen, desto mehr haben sie die Tendenz zu verschwinden. Mediennutzung ist weitgehend unbewusst.“ 91
In der gesellschaftlichen Vernetzung der Medien finden sich bei dieser Definition auch ökonomische Facetten sowie politische Zwecke wieder. Nachdem Medien immer leichter reproduziert werden können, müssen politische oder wirtschaftliche Mechanismen Rechte, wie das Urheberrecht, durchsetzen. Als Beispiel nennt Winkler hier die Softwareindustrie. Bezogen auf die Mediengeschichte der letzten drei Jahrzehnte wird dies im Musikbereich besonders bei der Piraterie von MP3s in illegalen Tauschbörsen deutlich.
[...]
1 Vgl. mpfs - Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2018.
2 Kultusministerkonferenz 2017.
3 Vgl. Ahlers und Godau 2019, S. 4.
4 Kaiser 2016.
5 ebd.
6 Vgl. ebd.
7 ebd.
8 ebd.
9 Vgl. Weidner 2018, S. 315.
10 Vgl. ebd., S. 315–316.
11 Stoverock 1983, S. 5.
12 Vgl. ebd., S. 7.
13 Gusinde 1911, S. XI.
14 ebd.
15 Vgl. ebd., S. XII.
16 Güldenstein 1971, S. 13.
17 Vgl. ebd.
18 ebd.
19 Vgl. ebd., S. 14.
20 ebd., S. 16.
21 Kühn 1983, S. 7.
22 ebd., S. 10.
23 ebd., S. 13.
24 ebd., S. 17.
25 Vgl. ebd., S. 19.
26 Wolf 2015, S. 4.
27 Vgl. Estrada Rodríguez 2008, S. 17.
28 Vgl. ebd., S. 57ff.
29 Kaiser 2016.
30 Wolf 2015, S. 69.
31 Vgl. Lange 1899, S. 537.
32 Vgl. ebd., S. 538.
33 Kaiser 2016.
34 Hirschmann 2002.
35 ebd.
36 Vgl. ebd.
37 Bezeichnung des Autors in Anlehnung an die Antike Solmisation der Griechen.
38 Kaiser 2016.
39 ebd.
40 ebd.
41 ebd.
42 Vgl. Ehrenforth 2005, S. 302–306.
43 Nägeli und Pfeiffer 1810, S. 120.
44 ebd.
45 Vgl. ebd.
46 Schumann 1850, S. 1.
47 Vgl. Kaiser 2016.
48 Vgl. Kaiser 2005.
49 Estrada Rodríguez 2008, S. 18.
50 Kaiser 2016.
51 Vgl. Kaiser 2005.
52 Vgl. ebd.
53 Vgl. Abel-Struth 1985, S. 393.
54 ebd.
55 Kaiser 2005.
56 Kaiser 2016.
57 Vgl. ebd.
58 Vgl. Kaiser 2005.
59 Vgl. ebd.
60 Kaiser 2016.
61 ebd.
62 Vgl. Sitter 2015, S. 367.
63 Ahner 2018a, S. 380.
64 Vgl. Busch 1986.
65 Arnold 1990, S. 278.
66 ebd.
67 Vgl. Schuh 1991, S. 54.
68 Vgl. Kaiser 2005.
69 Vgl. Enders 2013, S. 58.
70 Ahner 2018a, S. 379–380.
71 Vgl. Wolf 2015, S. 9.
72 Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2016, S. 6.
73 ebd.
74 ebd., S. 7.
75 ebd.
76 ebd., S. 11.
77 ebd.
78 ebd.
79 ebd., S. 12.
80 Vgl. ebd., S. 7.
81 Vgl. Kühn 1983, S. 10.
82 Vgl. Höfer 2016, S. 9.
83 Tulodziecki et al. 2019, S. 29.
84 ebd.
85 Vgl. ebd., S. 37.
86 Vgl. Ahlers 2018, S. 365.
87 Vgl. ebd.
88 Vgl. ebd.
89 Ziesche 2014, S. 19.
90 Ahlers 2018, S. 365.
91 Winkler 2004.
- Quote paper
- Jonas Krug (Author), 2019, Lernen im Bereich Gehörbildung mit "Neuen Medien", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/512775
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