Diese Arbeit thematisiert die Derogation von in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerten Rechten im Falle eines staatlichen Notstandes gemäß Art 15 EMRK. Ausgehend von den Ereignissen in den Jahren 2015 und 2016 in Österreich, in denen eine Vielzahl von Migranten durch und in das Bundesgebiet reisten, soll anhand der bisher ergangenen Rechtsprechung und einschlägiger Fachliteratur die derzeitige Rechtslage, auch das Verfahren betreffend, dargestellt werden. In weiterer Folge wird versucht, auf Migrationsbewegungen als Grundlage der Aussetzung von Rechten der EMRK einzugehen.
Im Sommer 2015 stiegen die Asylzahlen in Österreich kontinuierlich an. Anfang Juli befanden sich in der BBO bereits 3200 Asylsuchende im Lager, Ende Juli 4500. darunter allein 2000 unbegleitete Minderjährige. Die vielen Menschen übernachteten unter freiem Himmel, bei Unwettern mussten Reisebusse abgestellt werden, um einen temporären Regenschutz zu bieten. Das UNHCR und Amnesty International übten deutliche Kritik an den Verhältnisse und sprachen von einer zum Teil unmenschlichen Behandlung.
Auch kam es an der Staatsgrenze zu Slowenien zu unkontrollierten Bewegungen der Flüchtlinge (als Durchbrüche bezeichnet). Der Landeshauptmann sprach von "Chaos" und warnte vor einer "Explosion". In Spielfeld waren rund 3000 Flüchtlinge vor Ort in Betreuung, in den Nachtstunden wurde mit einem weiteren Zustrom von 6000 bis 10.000 Flüchtlingen gerechnet. Am Grenzübergang Nickelsdorf (zu Ungarn) wurden die Einreisenden mangels Kapazitäten nicht kontrolliert, sodass über Monate hinweg Hunderttausende Einreisende nicht registriert wurden. Immer wieder kam es zu heiklen Situationen auf den Bahnhöfen in Wien, Salzburg, Graz oder an der Grenze. Eines nachts machten sich Hunderte Flüchtlinge in Nickelsdorf zu Fuß auf den Weg und jagten den Dorfbewohnern einen großen Schrecken ein. Die Flüchtlingszahlen sprengten alle Kapazitäten. Mit der Arbeit - quasi trichterförmig aufgebaut: von der relativ breiten Darstellung der in den Artikeln verankerten Rechtsgrundlagen und der grundlegenden Entscheidungen des EGMR soll immer fokussierter die wissenschaftliche Frage beantwortet werden: Kann ein Massenzustrom von Menschen einen Anlass zu einer Derogationserklärung – auch in Österreich - im Sinne Art 15 EMRK darstellen?
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung.
- 1.1. Die Europäische Menschenrechtskonvention.
- 1.2. Der Geltungsbereich.
- 1.3. Der Eingriff.
- 1.4. Die Wiener Vertragsrechtskonvention.
- 1.5. Die Frage des Vorbehaltes.
- 2. Artikel 15 EMRK – Außerkraftsetzen im Notstandsfall.
- 2.1. Das Verfahren.
- 2.2. Die Voraussetzungen.
- 2.2.1. Krieg, welcher das Leben der Nation bedroht:
- 2.2.2. Öffentlicher Notstand, welcher das Leben der Nation bedroht:
- 2.3. Margin of Appreciation.
- 2.4. Die Verhältnismäßigkeit:
- 2.5. Kein Widerspruch zu sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen:
- 3. Derogationsfeste Rechte.
- 3.1. Art 2 EMRK - Recht auf Leben.
- 3.2. Art 3 EMRK - Verbot der Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung.
- 3.3. Art 4 EMRK - Verbot der Sklaverei und Zwangsarbeit.
- 3.4. Art 7 EMRK – Keine Strafe ohne Gesetz.
- 4. Derogationserklärungen der Ukraine, der Türkei, Frankreichs und Großbritanniens.
- 4.1. Volksrepublik Ukraine.
- 4.2. Republik Türkei.
- 4.3. Republik Frankreich.
- 4.4. Großbritannien.
- 4.5. Bemerkungen.
- 5. Derogierbare Rechte.
- 5.1. Art 5 EMRK - Recht auf Freiheit und Sicherheit.
- 5.2. Art 6 EMRK - Recht auf ein faires Verfahren.
- 5.3. Art 8 EMRK - Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens.
- 5.4. Art 10 - Freiheit der Meinungsäußerung.
- 5.5. Art 11 EMRK - Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit.
- 5.6. Art 13 EMRK - Recht auf wirksame Beschwerde.
- 6. Conclusio.
- 7. Österreich.
- 8. Generelle abschließende Bemerkungen.
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Master-Thesis untersucht die Suspendierung von Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) im Notstandsfall. Sie analysiert die relevanten Bestimmungen der EMRK und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in diesem Bereich. Darüber hinaus befasst sich die Arbeit mit der Frage der derogationsfesten Rechte, die selbst im Notstandsfall nicht außer Kraft gesetzt werden können. Die Arbeit befasst sich mit folgenden Themen: * Die EMRK und ihre Bedeutung für die Wahrung der Menschenrechte in Europa * Die Suspendierung von EMRK-Bestimmungen im Notstandsfall gemäß Art. 15 EMRK * Die Unterscheidung zwischen derogationsfesten und derogierbaren Rechten * Die Anwendung des Margin of Appreciation-Prinzips bei der Auslegung von Art. 15 EMRK * Die Bedeutung der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Suspendierung von EMRK-Bestimmungen * Beispiele für Derogationserklärungen verschiedener Staaten im Zusammenhang mit NotstandslagenZusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Relevanz der EMRK in der heutigen Zeit und die Frage der Suspendierung von Bestimmungen im Notstandsfall in den Kontext. Sie geht auf den Geltungsbereich der EMRK, die Definition des Eingriffs und die Wiener Vertragsrechtskonvention ein. Kapitel 2 analysiert Art. 15 EMRK, der die Suspendierung von Bestimmungen im Notstandsfall regelt. Es wird das Verfahren der Derogation, die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 15 EMRK, das Margin of Appreciation-Prinzip und die Verhältnismäßigkeitsprüfung betrachtet. Kapitel 3 untersucht die derogationsfesten Rechte, die selbst im Notstandsfall nicht außer Kraft gesetzt werden können. Es behandelt insbesondere die Rechte auf Leben (Art. 2 EMRK), das Verbot der Folter (Art. 3 EMRK), das Verbot der Sklaverei (Art. 4 EMRK) und das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 7 EMRK). Kapitel 4 beleuchtet Derogationserklärungen verschiedener Staaten wie der Ukraine, der Türkei, Frankreichs und Großbritanniens im Kontext der Notstandslagen. Es werden die jeweiligen Erklärungen analysiert und ihre Relevanz im Hinblick auf die EMRK betrachtet. Kapitel 5 behandelt die derogierbaren Rechte, die unter bestimmten Bedingungen im Notstandsfall außer Kraft gesetzt werden können. Es befasst sich insbesondere mit dem Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5 EMRK), dem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK), dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK), dem Recht auf Meinungsfreiheit (Art. 10 EMRK), dem Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art. 11 EMRK) und dem Recht auf wirksame Beschwerde (Art. 13 EMRK).Schlüsselwörter
Europäische Menschenrechtskonvention, Notstandsfall, Derogation, Derogationsfeste Rechte, Derogierbare Rechte, Margin of Appreciation, Verhältnismäßigkeit, Art. 15 EMRK, Krieg, Öffentlicher Notstand, Recht auf Leben, Folter, Sklaverei, Recht auf ein faires Verfahren, Freiheit und Sicherheit, Privat- und Familienleben, Meinungsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Recht auf wirksame Beschwerde.- Quote paper
- Erwin Schmidt (Author), 2019, Die Europäische Menschenrechtskonvention. Suspendierung von Bestimmungen im Notstandsfall, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/512125