Einleitung
Diese Hausarbeit soll einen Versuch darstellen, die Bedeutung des Todes für das Individuum in der Philosophie Arthur Schopenhauers zu erklären. Die Grundfrage der vorliegenden Arbeit lautet dementsprechend:
Was ist der Tod? Nach einer einführenden Erläuterung der von Schopenhauer mehr oder weniger stark abgelehnten religiösen Konzepte soll diskutiert werden, ob und wie der Mensch in der Welt als
Wille und Vorstellung unsterblich sein kann. Dabei soll nicht eine bestimmte Textstelle, sondern sein Gesamtwerk betrachtet werden. Das Hauptaugenmerk soll allerdings seinem Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung gelten, während seine Parerga und Paralipomena lediglich zu ergänzenden Anmerkungen hinzugezogen werden.
Da Schopenhauer selbst sein Werk als organische Einheit, d.h. als nicht-lineare Argumentation bezeichnete, werden in dieser Arbeit verschiedene Stellen seines Hauptwerkes in ebenso nicht-linearer Reihenfolge diskutiert werden.
Desweiteren soll Schopenhauers Klage über die von ihm sog. Hegelei nicht übergangen werden, weshalb lediglich gegen Ende der Arbeit auf Kritik in der Sekundärliteratur eingegangen werden wird.
[...]
Inhaltsverzeichnis:
I. Einleitung
II. Tod und Unsterblichkeit bei Schopenhauer
1. Das metaphysische Bedürfnis des Menschen
1.1 Der Mensch als metaphysisches Tier
1.2. Was kommt nach dem Tod?
1.3. Zur Todesangst
1.4. Zeit und Identität
2. Über das Nichts
3. Unsterblichkeit der Gattung
3.1. Selbstmord
3.2. Verneinung des Willens
3.2.1. Zuflucht im Nichts
3.2.2. Der Asketismus
3.2.2.1. Kritik des Asketismus- Konzepts
III. Fazit
IV. Anhang
Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Diese Hausarbeit soll einen Versuch darstellen, die Bedeutung des Todes für das Individuum in der Philosophie Arthur Schopenhauers zu erklären. Die Grundfrage der vorliegenden Arbeit lautet dementsprechend: Was ist der Tod? Nach einer einführenden Erläuterung der von Schopenhauer mehr oder weniger stark abgelehnten religiösen Konzepte soll diskutiert werden, ob und wie der Mensch in der Welt als Wille und Vorstellung unsterblich sein kann. Dabei soll nicht eine bestimmte Textstelle, sondern sein Gesamtwerk betrachtet werden. Das Hauptaugenmerk soll allerdings seinem Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung gelten, während seine Parerga und Paralipomena lediglich zu ergänzenden Anmerkungen hinzugezogen werden.
Da Schopenhauer selbst sein Werk als organische Einheit, d.h. als nicht-lineare Argumentation bezeichnete, werden in dieser Arbeit verschiedene Stellen seines Hauptwerkes in ebenso nicht-linearer Reihenfolge diskutiert werden. Desweiteren soll Schopenhauers Klage über die von ihm sog. Hegelei nicht übergangen werden, weshalb lediglich gegen Ende der Arbeit auf Kritik in der Sekundärliteratur eingegangen werden wird.
II. Tod und Unsterblichkeit bei Schopenhauer
1. Das metaphysische Bedürfnis des Menschen
1.1 Der Mensch als metaphysisches Tier
Der Hauptunterschied zwischen Tier und Mensch besteht nach Schopenhauer im Bewußtsein. Dieses Bewußtsein des Menschen ist ein Selbstbewußtsein, in dem Sinne, daß sich der Mensch seiner selbst und seines eigenen Seins bewußt ist:
Erst nachdem das innere Wesen der Natur (der Wille zum Leben in seiner Objektion) sich durch die beiden Reiche der bewußtlosen Wesen und dann durch die lange und breite Reihe der Thiere, ..., gesteigert hat, gelangt es endlich, beim Eintritt der Vernunft, also im Menschen, zum ersten Male zur Besinnung: dann wundert es sich und frägt sich, was es selbst sei.1
Dieses Bewußtsein ist die Verwunderung über das eigene Sein und um die Endlichkeit des eigenen Lebens. Aus diesem Bewußtsein des eigenen Seins folgt auch das Bewußtsein um das Selbst.
Die Erkenntnis des eigenen Todes und die der Unausweichlichkeit desselben unterscheidet nach Schopenhauer den Menschen vom Tier, denn das Tier ist und begnügt sich mit seinem jetzigen Sein, während sich der Mensch in sein zukünftiges Sein und sein über das Sein hinausgehendes Sein oder zukünftiges Nichtsein hineinzudenken vermag. Und an eben dieser Stelle manifestiert sich das metaphysische Bedürfnis des Menschen, der nach einer über das Seiende hinausgehenden Erklärung für seine Existenz sucht, während das Tier -und intellektuell geringfügig entwickelte Menschen- "als Medium der Motive dem Willen dienstbar"2 sind und ihr Dasein als selbstverständlich verstehen.
Der Mensch beginnt mit dem Bewußtsein um den eigenen Tod, jenseits des Seienden und des Erfahrbaren nach Erklärungen für seine Existenz zu suchen. Dies ist das "dem Menschen eigene BEDÜRFNISS EINER METAPHYSIK"3, dessentwegen er sich Religion und Götter erschaffen hat.
Der Mensch ist also ein "animal metaphysicum" 4 . Die Definition des Menschen als animal metaphysicum bedingt allerdings auch die bekannte des animal rationale, da das metaphysische Bedürfnis durch die Vernunft bedingt wird5. Dieses metaphysische Bedürfnis aber drückt sich in der Suche des Menschen nach Trost über den Tod hinweg aus, und der Grad an Trost in einer Religion bestimmt das Verhältnis des Gläubigen zum Tod6. Die Verwunderung über den eigenen Tod aber ist nach Schopenhauer auch einer der ersten Antriebe zur Philosophie7.
1.2. Was kommt nach dem Tod?
Die den drei großen monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam gemeinsame Lehre, daß der Mensch aus Nichts geschaffen werde und dann bis in alle Ewigkeit sei, kritisiert Schopenhauer. Er hält das "Unhaltbare solcher Lehren"8 für offensichtlich. Er sieht u. a. die Problematik einer mit der Geburt entstehenden unsterblichen Seele, die nach dem Tod für alle Ewigkeit existiere und für ihr kurzes Leben zur Rechenschaft gezogen werde:
Z.B. ihn [den Menschen, Anm. d. Verf.] lehren, daß er erst kürzlich aus Nichts geworden, folglich eine Ewigkeit hindurch Nichts gewesen sei und dennoch für die Zukunft unvergänglich seyn solle, ist gerade so, wie ihn lehren, daß er, obwohl durch und durch das Werk eines Anderen, dennoch für sein Thun und Lassen in alle Ewigkeit verantwortlich seyn solle.9
Schopenhauer zufolge würde niemand solch einer Religion angehören wollen, wenn sie ihm nicht schon in der Kindheit als absolute und außer Frage stehende Wahrheit gelehrt worden sei.10
1.3. Zur Todesangst
Wie oben bereits erläutert, wird das metaphysische Bedürfnis des Menschen durch die Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit hervorgerufen, da sich der Mensch von diesem Augenblick an vor dem Tode zu fürchten beginnt. Wenn es jedoch kein höheres Wesen gibt, welches die Menschen nach ihrem Tod zur Rechenschaft zieht, weshalb sollte man dann den Tod fürchten? Wegen des Nichtseins?- Dies verneint Schopenhauer, denn:
Wenn was uns den Tod so schrecklich erscheinen läßt der Gedanke des Nichtseyns wäre; so müßten wir mit dem gleichen Schauder der Zeit gedenken, da wir noch nicht waren. Denn es ist unumstößlich gewiß, daß das Nichtseyn nach dem Tode nicht verschieden seyn kann von dem vor der Geburt, folglich auch nicht beklagenswerther.11
Dementsprechend sei der Tod nicht zu fürchten, denn nach Schopenhauer ist das individuelle Leben lediglich eine Unterbrechung des ewigen Nichtseins:
Denn die Unendlichkeit a parte post ohne mich kann so wenig schrecklich seyn, als die Unendlichkeit a parte ante ohne mich; indem beide durch nichts sich unterscheiden, als durch die Dazwischenkunft eines ephemeren Lebenstraums.12
Desweiteren führt er an, daß der Zustand des Lebendigseins keineswegs ein erstrebenswerter, und somit auch nicht zu bedauern sei13. Diese Prämisse des Schlechtseins des Lebens an sich ist eine notwendige Bedingung für Schopenhauers Bewertung des Todes und des Asketismus- Konzeptes.
1.4. Zeit und Identität
Aus Schopenhauers Theorie der Zeit folgt zudem, daß jedes Ich an sich unsterblich ist. Denn nach Schopenhauer existiert lediglich die Gegenwart, die fließend und stehend zugleich ist, d.h. man lebt im steten Jetzt, das durch das vorhergegangene Jetzt, welches gemeinhin Vergangenheit genannt wird, durch das Prinzip des Satzes vom zureichenden Grund bestimmt wird. Die Ursache der Form der jetzigen Gegenwart ist die vergangene Gegenwart, während es sich bei der Zukunft um die künftige Gegenwart als Folge der jetzigen Gegenwart handelt.
Am deutlichsten hat es Kant dargelegt, in seiner unsterblichen Lehre von der Idealität der Zeit und der alleinigen Realität des Dinges an sich. Denn aus dieser ergibt sich, daß das eigentlich Wesentliche der Dinge, des Menschen der Welt, bleibend und beharrlich im nunc stans liegt, fest und unbeweglich; und daß der Wechsel der Erscheinungen und Begebenheiten eine bloße Folge unserer Auffassung desselben mittelst unserer Anschauungsform der Zeit ist.14
Die einzige Zeit, die es nach Schopenhauer jemals gegeben hat und geben wird, ist die Gegenwart; Vergangenheit und Zukunft existieren lediglich als Ursache und Folge des Jetzt. Somit könnte man schließen, daß jedes Ich einer Person nur als Folge der Ursache die ist, die sie ist, während sie nicht identisch ist mit der, die sie vor zwanzig Jahren gewesen ist. Zum Zeitpunkt ihres Todes wird sie also auch nicht die sein, die sie jetzt ist, sondern diejenige, die aufgrund ihres jetzigen Handelns zu ihrem späteren Ich geworden sein wird. Die Frage der Identität des Individuums mit sich selbst in der Zeit während des Lebens diskutiert Schopenhauer jedoch nicht.15
In diesem Zusammenhang kann man allenfalls das von ihm zitierte Argument Epikurs betrachten, demzufolge das lebendige Ich und der Tod niemals gleichzeitig vorhanden sein können: "So lange Du lebst, ist der Tod nicht zugegen, tritt er aber ein, so bist Du nicht mehr vorhanden. Also geht der Tod Dich nichts an und du brauchst Dich nicht zu beunruhigen."16.
Wieso aber fürchtet sich der Mensch- und mit ihm jedes bewußte lebendige Wesentrotz alledem vor dem Tod? was uns den Tod so furchtbar macht, nicht sowohl das Ende des Lebens, da dieses Keimen als des Regrettierens nicht sonderlich werth erscheinen kann; als vielmehr die Zerstörung des Organismus: eigentlich, weil dieser der als Leib sich darstellende Wille selbst ist17.
Der Mensch fürchte also den Tod, da er vom Willen erfüllt ist, welcher der Wille zum Leben schlechthin ist.
Andererseits aber soll der Wille an sich unsterblich sein, und der Tod "in subjektiver Hinsicht, betrifft (...) allein das Bewußtsein."18. Das Bewußtsein aber ist es, welches nach Schopenhauer dem Willen gegenübersteht, durch das Bewußtsein entstehe die Welt als Vorstellung, und das Bewußtsein könne den Willen erkennen und sich ihm gegenüberstellen.
Die einzig mögliche Erklärung für die Todesangst wäre demnach die, daß sich der Wille in seiner Objektität allein begreift, und erkenntnislos im Individuum nach dem Leben strebt, ohne sich der Unvergänglichkeit seiner selbst bewußt zu sein. Leider erläutert Schopenhauer diesen Punkt nicht näher. Stattdessen diskutiert er die Frage des Sein und des Nichtseins a parte post und a parte ante, da aus der Klärung des a parte ante auch die des a parte post folge.19
2. Über das Nichts
Schopenhauer schreibt, daß nichts aus Nichts entstehen, und etwas lediglich zu etwas werden kann 20. Diese Aussage möchte ich an dieser Stelle mit Bezug auf die Mathematik diskutieren, wodurch man zu folgender Argumentation über das Nichts, das Sein und die Unsterblichkeit gelangt:
[...]
1 Schopenhauer, Arthur: Die Welt als Wille und Vorstellung. I und II. Nach den Ausgaben letzter Hand hrsg. v. L ü tkehaus, Ludger, 2. Aufl. München 2002, dtv, Bd. 2, S. 185. In Anlehnung an die Zitierweise der Schopenhauer-Gesellschaft wird o.g. Werk im folgenden abgekürzt mit WI, wenn auf den ersten Band, und mit WII, wenn auf den zweiten Band Bezug genommen wird.
2 WII, S. 185.
3 ebd.
4 ebd.
5 vgl. WII, S. 537 ff..
6 vgl. ebd.
7 vgl. WII, S. 536.
8 ebd., S.537.
9 WII, S. 537.
10 passim, vgl. ebd. sowie Schopenhauer, Arthur: Parerga und Paralipomena: kleine philosophische Schriften, Zürich 1977, Kap. 15.
11 WII, S. 540. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass sich diese Todesdiskussion lediglich auf den Tod des Individuums aus der Sicht desselben Individuums bezieht, nicht aber auf die Probleme, die dieser Tod für andere, überlebende Individuen mit sich bringt.
12 WII, S. 542.
13 vgl. WII, S. 543.
14 WI, S. 373.
15 Sehr wohl diskutiert er jedoch die Identität des Ichs nach dem Tode mit dem anderen Ich: "Sein ganzes Ich lebt also von jetzt an nur in dem, was er bisher als Nicht-Ich angesehen hatte: denn der Unterschied zwischen Äußerem und Innerem hört auf." (WII, S. 590). Bezüglich der Todesangst ist diese Form der Identität allerdings nicht relevant, da es sich hierbei um eine rein metaphysische Identität handelt. (vgl. hierzu auch WII, S. 541).
16 W II, S. 534.
17 WII, S. 543.
18 WII, S. 543
19 vgl. WII, S.541.
20 WII, S. 565, vgl. außerdem WI, S.199.
- Quote paper
- Erika von Bassewitz (Author), 2005, Tod und Unsterblichkeit in Arthur Schopenhauers "Welt als Wille und Vorstellung", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/51109
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