Das Thema dieser Arbeit ist die hegelsche Geschichtsphilosophie und die Frage ist folgende: Was versteht Hegel unter "Geschichte" und inwiefern unterscheidet sich dieses Verständnis von der "reflektierenden Behandlungsart" der Geschichte, die Hegel in seinen Vorlesungen beschreibt? Die These ist, dass nach Hegel das eigentliche Geschichtssubjekt die Vernunft beziehungsweise der Geist ist, wobei Hegel die Geschichte als eine Darstellung des Zu-sich-selbst-Kommens des Geistes versteht. Die philosophische, also Hegels Betrachtungsweise der Geschichte, unterscheidet sich von den reflektierenden Betrachtungsweisen der Geschichte insofern, als sie "[…]die Vorstellung eines der Erkenntnis äußerlich gegebenen Inhalts aufgibt, welche allen verschiedenen Formen der Reflektierenden Geschichte […] zugrunde liegt."
Inhalt
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1 Die ursprüngliche Geschichte
2.2 Die reflektierende Geschichte
2.2.1 Die allgemeine reflektierende Geschichte
2.2.2 Die pragmatische reflektierende Geschichte
2.2.3 Die kritische reflektierende Geschichte
2.2.4 Spezialgeschichte eines allgemeinen Gesichtspunktes
2.3 Die philosophische Geschichte
2.3.1 Vernunft und Geist
2.3.2 Die Weltgeschichte als Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit
3. Schluss
4. Literatur
1. Einleitung
Heutzutage scheint es selbstverständlich zu sein, dass Menschen, Völker, Kulturen oder gar die ganze Menschheit eine Geschichte haben. Bekannt sind beispielsweise aus der Alltagserfahrung die Vorstellung der eigenen Lebensgeschichte oder aber auch das Schulfach Geschichte, in dem „weltgeschichtliche“ Ereignisse behandelt werden. Die Geschichte ist aber auch ein Thema der philosophischen Reflexion, also der Philosophie der Geschichte oder der Geschichtsphilosophie1 Diese beiden Begriffe sind insofern nicht bedeutungsgleich, als nicht jedes philosophische Nachdenken über die Geschichte unter den Begriff der Geschichtsphilosophie fällt.2 Während zwar auch „die rein anthropologische Frage, inwiefern es zum Wesen des Menschen gehört, Geschichte zu haben sowie die erkenntnistheoretisch motivierte Frage, wie sich Geschichte verstehen und ordnen lässt, unter dem Begriff der Geschichtsphilosophie verhandelt“3 werden, ist in der Regel im eigentlichen Sinn von Geschichtsphilosophie die Rede, wenn es um die Frage nach dem Sinn der Geschichte, also nach dem Ziel, nach der Richtung oder nach einem möglichen ordnenden Prinzip in der Geschichte geht4, denn Geschichtsphilosophie ist ,,[...]keine Metatheorie, d.h. sie hat nicht die Geschichtswissenschaft zum Gegenstand, sondern dieselbe Geschichte, die auch der Gegenstand der Geschichtswissenschaft ist.“5
Diese eigenständige Auseinandersetzung mit der Geschichte als solcher ist eine relativ junge Erscheinung, die erst ab der Aufklärung und (in besonders ausgearbeiteter Form) in den Entwürfen des deutschen Idealismus, also bei Fichte, Schelling und Hegel, auftritt.6 Das Thema der vorliegenden Arbeit ist die hegelsche Geschichtsphilosophie und die Frage, welche es zu beantworten gilt, ist folgende: Was versteht Hegel unter „Geschichte“ und inwiefern unterscheidet sich dieses Verständnis von der „reflektierenden Behandlungsart“7 der Geschichte, die Hegel in seinen Vorlesungen beschreibt? Die These ist, dass nach Hegel das eigentliche Geschichtssubjekt die Vernunft bzw. der Geist ist8, wobei Hegel die Geschichte als eine Darstellung des Zu-sich-selbst-kommens9 des Geistes versteht. Die philosophische., also Hegels Betrachtungsweise der Geschichte, unterscheidet sich von den reflektierenden Betrachtungsweisen der Geschichte insofern, als sie ,,[...]die Vorstellung eines der Erkenntnis äußerlich gegebenen Inhalts aufgibt, welche allen verschiedenen Formen der Reflektierenden Geschichte [...] zugrunde liegt.“10
Die Behandlung dieses Themas ist auf die Teile A und В (in dieser Reihenfolge) der Einleitung seiner Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte beschränkt. Zwar finden sich auch in Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts, der Phänomenologie des Geistes sowie seiner Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften geschichtsphilosophische Gedanken11, doch können diese auf Grund der Kürze der Arbeit gar nicht oder nur oberflächlich berücksichtigt werden. Der Gedankengang Hegels soll anhand seiner Ausführungen im Primärtext nachvollzogen werden und Sekundärquellen werden nur herangezogen, wenn es für die Darstellung der Gedanken Hegels in seiner Einleitung tatsächlich hilfreich ist. Es wird der Versuch unternommen, soweit es möglich ist die Gedanken Hegels in eigenen Worten darzustellen, wohlwissend, dass ein solches Unterfangen, so stellt es bereits Charles Taylor in der Vorrede zu seiner Hegelinterpretation fest, immer von der Gefahr begleitet ist, zwar klar und verständlich zu schreiben, Hegel dafür aber zu entstellen und zurechtzurücken12, weswegen eine gewisse Nähe zum Originaltext bewahrt wird.
In den Kapiteln 2.1 bis 2.2.4 werden zunächst die ursprüngliche Geschichte und die reflektierende Geschichte vorgestellt, um im Anschluss daran im Kapitel 2.3 die philosophische Behandlungsart der Geschichte und somit Hegels Geschichtsverständnis zu diskutieren. Zum Schluss werden noch einmal die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst.
2. Hauptteil
Hegel beginnt die Einleitung zu seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte mit einer Festlegung des Themas: „Der Gegenstand dieser Vorlesung ist die philosophische Weltgeschichte, das heißt, es sind nicht allgemeine Reflexionen über dieselbe, welche wir aus ihr gezogen hätten und aus ihrem Inhalte als dem Beispiele erläutern wollten, sondern es ist die Weltgeschichte selbst.13 “ Er stellt also, wie oben bereits erwähnt, klar, dass der Gegenstand seiner Vorlesungen der gleiche Gegenstand wie derjenige der Geschichtswissenschaft ist, wobei sich die philosophische Behandlungsweise der Geschichte freilich von derjenigen der Historiker unterscheidet, weswegen er, um zu zeigen, was die philosophische Behandlungsweise ausmacht und was diese von anderen unterscheidet, zunächst,,[...] die anderen Weisen der Geschichtsbehandlung [durchgeht].“14
2.1 Die ursprüngliche Geschichte
Unter den Begriff der ursprünglichen Geschichte fällt die Geschichtsschreibung aus eigener Anschauung, wobei Hegel hier an Geschichtsschreiber wie Herodot und Thukydides denkt.15 Diese schrieben, so Hegel, Geschichte, indem sie „vornehmlich die Taten, Begebenheiten und Zustände beschrieben, die sie vor sich gehabt, deren Geist sie selbst zugehört haben und das, was äußerlich vorhanden war, in das Reich der geistigen Vorstellung übertrugen.“16 Wichtig ist an dieser Stelle, dass Hegel bei der ursprünglichen Geschichte von einer Deckungsgleichheit des Geistes17 des Geschichtsschreibers und der Zeit, von der er erzählt, ausgeht, denn er schreibt weiter, dass ,,[...]der Geist des Verfassers und der Geist der Handlungen, von denen er erzählt, [...] einer und derselbe [ist]18 “ , was Hegel damit begründet, dass Historiker wie Herodot das beschrieben haben, was sie ,,[...] mehr oder weniger mitgemacht, wenigstens mitgelebt [haben].“19
2.2 Die reflektierende Geschichte
Die zweite Behandlungsart der Geschichte ist die reflektierende Geschichte, womit die Geschichtsschreibung der Aufklärung gemeint ist20, welche Hegel als die Geschichte charakterisiert, ,,[...]deren Darstellung nicht in Beziehung auf die Zeit, sondern rücksichtlich des Geistes über die Gegenwart hinaus ist.“21 Das meint, dass es sich hierbei nicht mehr um Geschichtsschreibung handelt, die auf eigener Anschauung, sondern auf historischen Quellen basiert, was zur Folge hat, dass der Geist des Geschichtsschreibers und der Geist der von ihm beschriebenen Zeit nicht mehr deckungsgleich sind, worauf bereits der Titel der reflektierenden Geschichte hindeutet, da die Reflexion im erkenntnistheoretischen Zusammenhang stets für die Vermittlung zweier zunächst voneinander getrennt erscheinender Bereiche zu gelten hat, womit im Fall der Geschichte die ursprünglichen Berichte und Erzählungen auf der einen und die theoretische Strukturierung und Zusammenfassung derselben durch den Historiker auf der anderen Seite gemeint sind.22 Hegel benutzt den Begriff der Reflexion hier also in einem abschätzigen Sinn und sieht den Mangel der reflektierenden Geschichte darin, dass die historischen Ereignisse nach äußeren Kriterien geordnet und beurteilt werden23. Im Folgenden werden die vier verschiedenen Arten (allgemeine Geschichte24, paradigmatische Geschichte25, kritische Geschichte26 und Spezialgeschichte eines allgemeinen Gesichtspunktes27 ), in welche Hegel die reflektierende Geschichte unterteilt, mit einem Fokus auf die von Hegel vorgebrachte Kritik dargestellt.
2.2.1 Die allgemeine reflektierende Geschichte
Als allgemeine Geschichte bezeichnet Hegel die ,,[...] Übersicht die Übersicht der ganzen Geschichte eines Volkes oder eines Landes oder der Welt[...].28 “ Wie bereits oben in Bezug auf alle Formen der reflektierenden Geschichte erwähnt, ist laut Hegel die fehlende Deckungsgleich des Geistes des Geschichtsschreibers und des Geistes der beschriebenen Begebenheiten charakteristisch für die allgemeine Geschichte, denn ,,[...][h]ierbei ist die Verarbeitung des historischen Stoffes die Hauptsache, an den der Arbeiter mit seinem Geiste kommt, der verschieden ist von dem Geiste des Inhalts.“29 Hegel denkt hierbei beispielsweise an Kompilationen von Historikern wie Livius, Diodors von Sizilien und Johann von Müller30, also an Zusammenfügungen ursprünglicher historischer Berichte, die dem Bedürfnis nach einer historischen Übersicht insofern Rechnung tragen, als sie eine längere Zeitspanne in den Blick nehmen. Hegel sieht genau darin das Problem, denn solche Kompilationen sind entweder von einem sehr disparaten Stil geprägt oder es wird ein einheitlicher Darstellungsstil für unterschiedliche Zeiten verwendet, wobei Hegel vor allen Dingen Letzteres besonders kritisch betrachtet. Dafür führt er als Beispiel hauptsächlich Livius‘ Römische Geschichte an:31
„Aber der eine Ton, den ein Individuum, das einer bestimmten Bildung angehört, haben muß, wird häufig nicht nach den Zeiten, welche eine solche Geschichte durchläuft, modifiziert, und der Geist, der aus dem Schriftsteller spricht, ist ein anderer als der Geist dieser Zeiten. So läßt Livius die alten Könige Roms, die Konsuln und Heerführer Reden halten, wie sie nur einem gewandten Advokaten der Livianischen Zeit zukommen und welche wieder aufs stärkste mit echten, aus dem Altertum erhaltenen Sagen, z. B. der Fabel des Menenius Agrippa, kontrastieren. So gibt uns derselbe Beschreibungen von Schlachten, als ob er sie mit angesehen hätte, deren Züge man aber für die Schlachten aller Zeiten gebrauchen kann und deren Bestimmtheit wieder mit dem Mangel an Zusammenhang und mit der Inkonsequenz kontrastiert, welche in anderen Stücken oft über Hauptverhältnisse herrscht.“32
2.2.2 Die pragmatische reflektierende Geschichte
Die zweite Art der reflektierenden Geschichte, die pragmatische, beschreibt Hegel folgendermaßen:
„Wenn wir mit der Vergangenheit zu tun haben und wir uns mit einer weit entfernten Welt beschäftigen, so tut sich eine Gegenwart für den Geist auf, die dieser aus seiner eigenen Tätigkeit zum Lohn für seine Bemühung hat. Die Begebenheiten sind verschieden, aber das Allgemeine und Innere, der Zusammenhang einer. Dies hebt die Vergangenheit auf und macht die Begebenheit gegenwärtig.“33
Mit der Aufhebung der Vergangenheit ist gemeint, dass der Geschichtsschreiber in gewisser Weise Geist von seinem eigenen Geist, also etwas Allgemeines, in der Vergangenheit entdeckt, was ihn in die Lage versetzt, vergangene Reden und Texte zu interpretieren.
[...]
1 Vgl. Rohbeck, Johannes (2004): Geschichtsphilosophie. Eine Einführung. Hamburg: Junius, S. 9.
2 Vgl. Schloßberg, Matthias (2013): Geschichtsphilosophie. Berlin: Akademie Verlag, S. 11.
3 Ebd.
4 Vgl. Ebd.
5 Kamlah, Wilhelm (1969): Utopie, Eschatologie, Geschichtsteleologie. Kritische Untersuchungen zum Ursprung und zum futurischen Denken in der Neuzeit. Mannheim: Hochschultaschenbücher-Verlag, S. 37.
6 Hübner, Dietmar (2011): Die Geschichtsphilosophie des deutschen Idealismus. Kant - Fichte - Schelling - Hegel. Stuttgart: Kohlhammer, S. llf.
7 Vgl. G.W.F Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Theorie Werkausgabe, Suhrkamp Verlag, Band 12, Frankfurt/Main 1970, S.ll.
8 Vgl. Hübner (2011), S. 12.
9 Vgl. Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, S. 31.
10 Winter, Max (2015): Hegels formale Geschichtsphilosophie. Tübingen: Mohr Siebeck, S. 97.
11 Vgl. Ebd., S. XIII.
12 Vgl. Taylor, Charles (1978): Hegel. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S.9.
13 Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, S. 11.
14 Ebd.
15 Vgl. Ebd.
16 Ebd.
17 Was unter Geist zu verstehen ist, wird näher in 2.3.1 erläutert.
18 Ebd., S. 12
19 Ebd.
20 Vgl. Rohbeck (2004), S. 54.
21 Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, S. 14.
22 Vgl. Winter (2015), S. 81.
23 Vgl. Rohbeck (2004), S. 54.
24 Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, S. 14.
25 Vgl. Ebd., S. 16.
26 Vgl. Ebd., S. 18.
27 Vgl. Ebd., S. 19.
28 Ebd., S. 14.
29 Ebd.
30 Vgl. Ebd.,S.15.
31 Vgl. Winter (2015], S. 84.
32 Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, S. 15f.
33 Ebd., S. 16.
- Arbeit zitieren
- Daniel Okpoto (Autor:in), 2019, Der Begriff der Geschichte bei Hegel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/510954
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