Die Arbeit beschäftigt sich mit der sozialen Integration von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SFB) an einer Gemeinschaftsschule. Ziel der Arbeit ist es, anhand unterschiedlicher Forschungsmethoden eine Standortbestimmung der sozialen Integration von Schülern mit SFB im gemeinsamen Unterricht der Gemeinschaftsschule zu erforschen, die Ergebnisse auszuwerten und gegebenenfalls neue Wege und Anregungen für eine gelungene soziale Integration zu finden.
Die Arbeit wird in einen Theorie- und Untersuchungsteil gegliedert. Der Theorieteil umfasst die Hinführung zum Thema, Aufbau und Ziele der Arbeit sowie eine Begriffserklärung. Des Weiteren wird die Entwicklung von der "Hilfsschule" zum Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum im historischen Kontext beschrieben. Außerdem werden die Theorien sozialer Vergleichsprozesse, nationale und internationale Studien und Forschungen zum Thema Soziale Integration vorgestellt und deren Aussagen zum Thema schulische Integration dargestellt.
Aus den dargestellten Forschungsergebnissen wird eine Hypothese gestellt und folgende Fragestellung zu den Inhalten der Untersuchung an der Gemeinschaftsschule abgeleitet: "Beeinflusst die heterogene Schülerschaft der Gemeinschaftsschule die soziale Integration von Schüler mit SFB?" Vor Beginn des Untersuchungsteils wird die Gemeinschaftsschule vorgestellt. Im ersten Teil der Untersuchungen wird die Fragestellung kurz erläutert und die Forschungsinstrumente werden vorgestellt. Dem folgt die Darstellung der Umsetzung und Durchführung der Forschung. Im weiteren Verlauf werden die Ergebnisse der Untersuchung aufgezeigt und analysiert.
Inhaltsangabe
I. Einleitung
1.1 Ziele der Wissenschaftlichen Hausarbeit
1.2 Aufbau der Wissenschaftlichen Hausarbeit
1.3 Hypothesenbildung und Fragestellung der Untersuchung
II. Theoretische Grundlagen
2. Begriffsbestimmung
3. Aufbau des Sonderschulwesens von der Hilfsschule zum SBBZ
3.1 Anfänge des Sonderschulwesens im 19. Jahrhundert, Gründung von Hilfsschulen
3.2 Die Rolle der Hilfsschulen zur Zeit des Nationalsozialismus
3.3 Die Bildungspolitische Wende
3.4 Die Inklusionsdebatte
3.5 Gründungen von Gemeinschaftsschulen
4. Soziale Integration in der Schule
4.1 Theorien sozialer Vergleichsprozesse
4.2 Soziale Integration im Kontext Schulforschung
4.3 Integrationsrelevante Persönlichkeitsmerkmale
4.4 Einfluss von Klassengröße, Heterogenität, unterrichtbezogene Faktoren und Lehrerpersönlichkeit
4.5 Anspruch auf inklusives Bildungsangebot
4.5.1 Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit
III. Empirischer Teil
5. Vorstellung der Gemeinschaftsschule
6. Darstellung der Methode
6.1 Klassen-Kompass
6.2 Das Problemzentrierte Interview nach Witzel
6.3 Transkription nach Dresing und Pehl
6.4 Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring
7. Ablauf der Untersuchung
7.1 Vorstellung der Stichproben
7.2 Klassen-Kompass Vorbereitung
7.3 Klassen-Kompass Durchführung
7.4 Interviewvorbereitungen
7.4.1 Darstellung der Leitfragen Schüler
7.4.2 Darstellung der Leitfragen Regelschulkraft
7.4.3 Darstellung der Leitfragen Fachlehrerin G
7.5 Interviewdurchführung
8. Ergebnisdarstellung
8.1. Ergebnisse des Klassen-Kompass
8.1.1 Ergebnisdarstellung Klasse 8b
8.1.2 Ergebnisdarstellung Klasse 7c
8.1.3 Ergebnisdarstellung Klasse 7a
8.1.4 Ergebnisdarstellung Klasse 5a
8.2 Zusammenfassungen der Interviews
8.2.1 Interview Schülerin Klasse 8
8.2.2 Interview Schüler Klasse 7
8.2.3 Interview Regelschulkraft
8.2.4 Interview Sonderpädagogin
8.3 Vorstellung des Kategoriensystems
8.4 Kategorienbasierte Darstellung der Ergebnisse
8.4.1 Kategorie 1. Personenkreis Interviewpartner
8.4.2 Kategorie 2. Fragestellung 1. soziale Integration
8.4.3 Kategorie 3. Heterogenität
8.4.4 Kategorie 4. Möglichkeiten Lehrkräfte oder weitere Aussagen
aus dem Interviewmaterial zur Förderung der sozialen Integration
9. Interpretation der Ergebnisse
9.1 Interpretation des Klassen-Kompass
9.2 Interpretation der Interviews
IV. Reflexion des methodischen Vorgehens
V. Schlussfolgerungen
VI. Literaturverzeichnis
VIII. Anhang
I. Einleitung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der sozialen Integration von Schülern und Schülerinnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf Lernen an einer Gemeinschaftsschule in Baden-Württemberg.
Seit Inkrafttreten des Artikels 24 der UN-Behindertenrechtskonvention und der Vorstellung des Nationalen Handlungsplans der Bundesregierung ist in der öffentlichen Diskussion immer häufiger der Begriff "Inklusion" zu lesen und zu hören.
Auffallend viele Informationsmaterialien, Unterrichtsvorschläge und Fortbildungsangebote zum Thema Inklusion werden von den Schulbuchverlagen und den Schulämtern angeboten. Meistens beschäftigen sich diese mit dem Thema des zieldifferenten Unterrichts, unter dem Motto “Wir fördern sie ALLE“ – aber vor lauter Förderung wird die soziale Integration der Schüler und Schülerinnen immer mehr in den Hintergrund gedrängt.
Zu einer gelungen Inklusion gehören natürlich die passenden Unterrichtsangebote, die Lehrerfortbildungen und die personelle Besetzung. Jedoch die soziale Integration von Schülern1 in Inklusionsklassen findet noch noch wenig Berücksichtigung.
Doch wie wichtig ist es für den Menschen Teil eines sozialen Gefüges zu sein? Ist der Mensch ausgegrenzt und kann nicht am sozialen Leben teilnehmen, fühlt er sich unwohl und allein. Dies hat bereits 2003 die amerikanische Hirnforscherin Naomi Eisenberger in einer Forschung nachgewiesen. In einem Bericht des Magazins „Science“ ist zu lesen, dass soziale Ausgrenzung und körperliche Schmerzen neurologisch vergleichbare Phänomene sind. Bei sozialer Missachtung werden im Gehirn eines Menschen ähnliche Hirnregionen aktiv wie bei körperlich zugefügten Schmerzen.2
Wer beim Sport (in der Studie von Eisenberger war dies ein virtuelles Ballspiel) von seinen Mitspielern ignoriert und ausgegrenzt wird, fühlt dies in der gleichen Hirnregion, in der auch körperlicher Schmerz signalisiert wird. Zusätzlich fand die Forscherin heraus, dass unabhängig von den Schmerzen bei einer sozialen Ausgrenzung das Gehirn auch unterscheidet, ob ihm die Qualen absichtlich oder unabsichtlich zugefügt wurden. Bei sozialer Missachtung wird zusätzlich noch das rechte Stirnhirn aktiv, von dem schon länger bekannt ist, dass es auf sozial unangenehme Situationen reagiert.
Die Ergebnisse der Forscherin führen einem vor Augen, welche weitreichende Bedeutung soziale Integration auf das Wohlbefinden des Menschen haben muss.
Transferiert man diese Erkenntnisse nun auf die Schule, so muss die soziale Integration eines Schülers auf seine allgemeinen Schulleistungen einen positiven Einfluss haben und schafft günstige Voraussetzungen für schulisches Lernen.
Durch die Umbenennung der „Hilfsschulen“ 1971 in Sonderschulen, mit dem Ziel die stigmatisierende Zuschreibung des Begriffs Hilfsschule zu vermeiden, änderte sich in diesem Zuge auch die Benennung der Schülerschaft. Hilfsschüler wurden zu Sonderschüler. Ob sich allein durch die Namensänderung und Aufhebung der äußeren Differenzierung auch die Stigmatisierung der Schülerschaft änderte, wage ich zu bezweifeln. Umfängliche Änderungen im Schulsystem hin zur Inklusion können solchen stigmatisierenden Merkmalen entgegenwirken, für ein Umdenken innerhalb der Gesellschaft braucht es weitaus mehr Zeit.
Um die Entwicklung des inklusiven Bildungsangebotes an einer Gemeinschaftsschule aufzuzeigen, untersuche ich in meiner Arbeit die soziale Integration von Schülern mit sonderpädagogischen Förderbedarf Lernen3 im gemeinsamen Unterricht einer Sekundarstufe.
Die M. Gemeinschaftsschule ist nun im vierten Jahr eine Gemeinschaftsschule. In den letzten Jahren gab es vielfältige Erfahrungen in der Umsetzung des inklusiven Bildungsangebots. Es gab Misserfolge, die bis zur Rückschulung eines Schülers ins SBBZ G führten, aber auch große Erfolge. Eine Schülerin mit sonderpädagogischen Förderbedarf L bezeichnet sich selbst als Hilfslehrerin, ein anderer Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf ist als Streitschlichter tätig und beide finden in diesen Funktionen Anerkennung bei Lehrern und Schülern.
In meinen Untersuchungen gehe ich dabei von drei Grundannahmen aus.
1. Die Bewertung des gemeinsamen Unterrichts von Schülern mit SFB ist grundsätzlich auf verschiedenen Ebenen möglich. Ich werde die anderen Bewertungsebenen nur am Rande erwähnen und die Ebene der sozialen Integration fokussieren.
2. Soziale Vergleichsprozesse sind geeignete Theorien zur Erklärung sozialer Integrationsprozesse an Schulen. Grundannahme ist hier, dass im gemeinsamen Unterricht soziale Vergleichsprozesse ablaufen und diese zu sozialer Integration und Ausgrenzung führen können. Ich werde im Hauptteil meiner Arbeit mit diesen Vergleichsprozessen arbeiten. Inhaltlicher Bezugspunkt der vorliegenden Arbeit ist dabei die empirische Untersuchung von Ch. Huber4.
3. Die Forschungsfragen und Forschungsprozesse betreffen ausschließlich die M. Gemeinschaftsschule in W. (Baden - Württemberg).
1.1 Ziel der Wissenschaftlichen Hausarbeit:
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, anhand unterschiedlicher Forschungsmethoden eine Standortbestimmung der sozialen Integration von Schülern mit SFB im gemeinsamen Unterricht der Gemeinschaftsschule W. zu erforschen, die Ergebnisse auszuwerten und gegebenenfalls neue Wege und Anregungen für eine gelungene soziale Integration zu finden.
1.2 Aufbau der Wissenschaftlichen Arbeit
Die vorliegende Arbeit kann grob in einen Theorie- und Untersuchungsteil gegliedert werden. Der erste Theorieteil umfasst die Hinführung zum Thema, Aufbau und Ziele der Arbeit sowie eine Begriffserklärung. Hier sollen die zentralen Begriffe welche Gegenstand der Arbeit sind definiert und abgegrenzt werden.
Im zweiten Theorieteil wird die Entwicklung von der „Hilfsschule“ zum Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum im historischen Kontext beschrieben. Des Weiteren werden die Theorien sozialer Vergleichsprozesse, nationale und internationale Studien und Forschungen zum Thema Soziale Integration vorgestellt und deren Aussagen zum Thema schulische Integration dargestellt.
Aus den dargestellten Forschungsergebnissen wird eine Hypothese gestellt und die Fragestellung zu den Inhalten der Untersuchung an der Gemeinschaftsschule abgeleitet.
Vor Beginn des Untersuchungsteils wird die Gemeinschaftsschule in W. vorgestellt.
Im ersten Teil der Untersuchungen wird die Fragestellung kurz erläutert und die Forschungsinstrumente werden vorgestellt. Dem folgt die Darstellung der Umsetzung und Durchführung der Forschung. Im weiteren Verlauf werden die Ergebnisse der Untersuchung aufgezeigt und analysiert.
Zum Ende der Arbeit wird nochmals auf die Fragestellung eingegangen und eine Zusammenfassung der Ergebnisse präsentiert. Beendet wird die Arbeit mit der Interpretation der Ergebnisse und einem persönlichen Fazit.
1.3 Hypothesenbildung und Fragestellung der Untersuchung
Im Kapitel 4 werden die nationale sowie international durchgeführten Untersuchungen und Forschungen zusammengefasst und vorgestellt. Aufgrund dieser Untersuchungen habe ich folgende Fragestellungen gebildet. Zu den jeweiligen Fragestellungen habe ich, basierend auf die in Kapitel 4 zusammengefasste Forschungsergebnisse, Hypothesen gebildet.
1. Fragestellung
Sind Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Klassenverband sozial integriert?
Hypothese
Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind häufig von sozialer Ausgrenzung betroffen und gehören häufiger einer Randgruppe an.
Begründung der Hypothese
In der Theorie der sozialen Vergleichsprozesse wird die soziale Ausgrenzung für Klassenmitglieder vorhergesagt, welche sich den in den Klassen vorherrschenden Normen nicht anpassen können und von diesen abweichen. Da Schüler mit SFB die Vergleichsprozesse, welche innerhalb der Klasse ablaufen, nicht ausgleichen können, sind sie öfter von Ausgrenzung bedroht. Ihnen fehlen oftmals die Möglichkeiten, sich durch selbstbewusstes-, soziales Verhalten oder besondere Schulleistungen zu profilieren, um so die Diskrepanz zwischen der eigenen Person und der Gruppe zu minimieren. (vgl. Kapitel 4.1)
2. Fragestellung
Beeinflusst die heterogene Schülerschaft der Gemeinschaftsschule die soziale Integration von Schüler mit SFB?
Hypothese
Die Heterogenität hat an Regelschulen keinen signifikanten Einfluss auf die soziale Integration von SFB Schülern, innerhalb der Gemeinschaftsschule könnte dies aber sehr wohl eine positive Auswirkung auf die soziale Integration von SFB Schülern haben.
Begründung der Hypothese
Die Annahme, dass in der Menge der heterogenen Klassen die Schüler mit SFB an einer Gemeinschaftsschule besser integriert werden, konnte anhand der Forschungen nicht eindeutig bestätigt werden. In früheren Forschungen kam man zu dem Ergebnis, dass die Heterogenität innerhalb der Klasse positive Auswirkungen auf die soziale Integration von SFB Schülern in den Klassenverband hat. In den neueren Untersuchungen von Huber konnten die Ergebnisse in diesem Umfang nicht bestätigt werden. Ein Maximum an Heterogenität wirkt sich nach seinen Erkenntnissen nicht in dem Maße auf die soziale Integration von SFB Schülern aus, als es vor dem Hintergrund der zahlreichen Modellversuche zu erwarten und zu wünschen gewesen wäre. (vgl. Kapitel 4.4)
In dieser Arbeit werden die heterogenen Klassen der Gemeinschaftsschule eine große Rolle spielen. Da die Gemeinschaftsschule nicht nur eine sehr heterogene Schülerschaft, sondern auch ein generell lerndifferenziertes Unterrichtsangebot hat, könnte sich diese Form der Heterogenität eventuell doch signifikant auf die soziale Integration der Schüler mit SFB auswirken. Hier unterscheiden sich nicht nur die Persönlichkeiten der Schüler stark voneinander, auch die Unterrichtinhalte für die einzelnen Schüler sind sehr differenziert und weichen in den jeweiligen Fächern voneinander ab.
3. Fragestellung
Haben Lehrkräfte Möglichkeiten die soziale Integration von SFB Schülern im Klassenverband zu fördern?
Hypothese
Eine offene und positive Einstellung der Lehrkräfte zur Inklusion kann die soziale Integration der SFB Schüler im Regelunterricht fördern.
Begründung der Hypothese
In den Forschungsergebnissen von Huber kam er zu dem Ergebnis, dass eine hohe Anzahl von Fortbildungen und ein langjähriger Erfahrungswert im Unterrichten von integrativen Klassen keine signifikanten Auswirkungen auf die soziale Integration von Schülern mit SFB hat. Eine Lehrkraft, welche ohne Erfahrungen, jedoch mit viel Engagement und Motivation, eine integrative Klasse übernimmt, kann die soziale Integration der SFB Schüler genauso fördern und unterstützen wie eine erfahrene Lehrkraft. (vgl. Kapitel 4.4) Aus meiner Erfahrung in der Praxis kann ich diese Ergebnisse bestätigen. Junge Lehrkräfte, welche mit viel Motivation und Engagement in den Unterricht gehen, können mit den Anforderungen der heterogenen Klasse sehr gut umgehen. Lehrkräfte mit viel Erfahrung im Unterrichten heterogener Klassen haben natürlich einen reichen Erfahrungsschatz und können auf diesen zurückgreifen, doch diese Erfahrungen helfen auch nur, wenn die Lehrkraft motiviert ist, auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler einzugehen.
Diesen drei Fragestellungen gehe ich in meiner Arbeit nach und untersuche und beantworte diese am Beispiel der Gemeinschaftsschule.
II. Theoretische Grundlagen
2. Begriffsbestimmung
Die begriffliche Erläuterung folgender in der Arbeit verwendeter Begriffe dient der Definition der durchgängig in der Arbeit verwendeten Begrifflichkeiten. Grundlegend ist festzuhalten, dass die Begriff Integration und Inklusion nicht gleichgestellt werden dürfen, Inklusion meint weitaus mehr als Integration. Die vorliegende Arbeit geht grundsätzlich von der Integration der Schüler aus. Vereinzelt eingesetzte Begriffe werden vor Ort definiert.
Integration
Zurückgeführt auf seinen lateinischen Ursprung steht „integratio“ für `Wiederherstellung eines Ganzen`5. Ganz allgemein lässt sich diese Definition als weitgehend verbindlicher Kern des Verständnisses von Integration festhalten. Unstrittig sollte damit sein, dass die zentrale Funktion von Integration die Verbindung einzelner Teile zu einem Ganzen ist.
Wenn nun aber die Struktur dieses Ganzen genauer betrachtet werden soll, dann stellt sich die Frage, wie sich die verschiedenen Teile in ihr wiederfinden.
Im Kontext Schule bedeutet die Integration, die Wiedereingliederung von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die Regelschule. Dabei muss berücksichtigt werden, dass dies keine „Inklusion“ ist. In der „Integration“ werden Schüler mit ihrer Form der Behinderung in ein bereits bestehendes Schulsystem eingegliedert. Ihr Status, welcher in einer Förderdiagnostik festgelegt wurde, bleibt dabei erhalten. Dadurch sind die betroffenen Schüler stigmatisiert, sie sind Schüler mit einer Behinderung6 und bekommen eine spezielle Förderung, individuelle Curricula und werden zur Förderung meist von der Regelgruppe separiert. Nach Häberlein-Klumpner bedeutet Integration eine Eingliederung/Anpassung der „kategorisierten“, für die Separation eingestuften Kinder in eine Gruppe von Kindern der normalen, homogenen Klasse.7
Diese Integrations- und Inklusionsdebatte ist in ihrem Kern ein Spannungsfeld zwischen sonderpädagogisch notwendiger individueller Förderung und Regelunterricht. Schulische Integration wird dabei als Mittel zu einem übergeordneten Zweck genutzt und eingesetzt, um die gesellschaftliche Integration zu erreichen.8
Die Integration meint das Gegenteil von Ausgliederung, die Wiederherstellung oder Wahrung der Gemeinsamkeit, des Zusammenhangs.9 Unter Berücksichtigung ihrer besonderen Bedürfnisse werden SFB-Schüler in eine bestehende Klasse integriert.
Soziale Integration
Soziale Integration bezieht sich insbesondere auf die Eingliederung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen in die Gesellschaft. Im speziellen wird in der vorliegenden Arbeit die gemeinsame Schule bzw. der gemeinsame Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern im Vordergrund stehen. Bezogen auf die Institution Schule stellt soziale Integration die „Aufhebung sämtlicher systematischer Zusammenhänge zwischen Beliebtheit und Ablehnung von Schülern in Schulklassen und irgendwelchen Ausgrenzungsmerkmalen wie bspw. äußere Erscheinung, soziale Herkunft, Sprachfähigkeit, Intelligenz, Leistungsfähigkeit und Verhaltensauffälligkeit“ dar.10
Sozial integriert sind somit Schüler, welche keine Diskriminierung erfahren und keine isolierte Position innerhalb der Klasse einnehmen. Alle Schüler akzeptieren sich gegenseitig, nehmen sich einander an und gehen in einem neuen Ganzen auf. Insofern umfasst soziale Integration ein weites Feld an subjektiver Akzeptanz, Interesse aneinander, Sympathien füreinander, Bereitschaft zu gemeinsamen Tätigkeiten, den Abbau von Vorurteilen, Toleranz, Hilfsbereitschaft, Unbefangenheit im Umgang miteinander, gegenseitige Wertschätzung, Rücksichtnahme, Verständigungsbereitschaft und Verständigungstechniken, emotionale Zuwendung, humane Akzeptanz, mitmenschliche Solidarität, prosoziales hilfreiches Verhalten und vieles mehr…!11
Der sozialen Integration wird eine herausragende Bedeutung, insbesondere auf der individuellen Ebene, zugeschrieben und gehört zu den menschlichen Grundbedürfnissen.12
Die Autoren um Haeberlin betonen den Einfluss der subjektiv empfundenen sozialen Integration eines Schülers auf die allgemeinen Schulleistungen: „Ein positives subjektives Befinden eines Schülers in der Schulumwelt gilt unbestritten als eine günstige Voraussetzung für das schulische Lernen.“13
Die soziale Position eines Schülers ist aufgrund der Erfahrung sozialer Anerkennung bestimmend für das Ausmaß der persönlichen Zufriedenheit und damit für das Maß der Selbstsicherheit. Umgekehrt kann die Erfahrung von Ablehnung zu Verunsicherungen, welches eine beeinträchtigende Wirkung auf das zukünftige Verhalten nach sich zieht, führen. Folglich kann sich die Situation eines unbeliebten Schülers durch Erfolglosigkeit, Minderwertigkeitsgefühlen und Unzufriedenheit – kurz mit sozialer Insuffizienz – auszeichnen. Damit verbunden wäre die Schmälerung individueller und kollektiver Entfaltungsmöglichkeiten. Der Schüler befindet sich im Spannungsfeld zwischen seinen eigenen Bedürfnissen und den eigenen Möglichkeiten.
Die schwierige Situation, in welcher sich ein Schüler am Rande einer Lerngruppe befindet, kann handlungsunfähig machen und zum anderen zu emotionalen Deprivationen führen. Den so genannten Außenseitern werden häufig Kommunikationsmöglichkeiten zur Kontaktfindung und Freundschaftsschließung verwehrt, da ihnen nur wenige Mitschüler für kommunikative Prozesse zur Verfügung stehen. Dadurch bleibt die soziale Bestätigung aus und die abgelehnten Schüler verhalten sich wahrscheinlich gemäß den Erwartungen ihrer Mitschüler, im Sinne der selbsterfüllender Prophezeiungen. Hingegen wird besonders beliebten Schülern durch die Vielzahl der Kommunikationsmöglichkeiten, welche ihnen aufgrund ihres sozialen Status zur Verfügung stehen, die Beibehaltung der eigenen sozialen Position erleichtert.14
Auch Erkenntnisse aus der Neurobiologie stützen die Bedeutung einer positiven sozialen Integration, wie schon in der Einleitung erwähnt. Es ist nachgewiesen, dass Menschen, welche in einer für sie unverständlichen Weise von anderen aus der Gemeinschaft ausgegrenzt und ausgeschlossen werden, nicht nur psychologisch, sondern auch neurobiologisch mit einer Mobilisierung des emotionalen Schmerzzentrums reagieren. Erfahrungen von Ausgrenzung beeinflussen die Entwicklung und individuelle Lernprozesse negativ.15
Der Faktor der sozialen Integration ist demnach in seinem Bedeutungsgehalt nicht zu unterschätzen. Die Auswirkungen haben langfristigen Charakter und formen die Persönlichkeitsstruktur. Somit kann soziale Integration im Sinne einer positiven Wechselwirkung eines Menschen mit seinen personalen und non-personalen Kontextfaktoren zu einer erleichterten Transformation von individuellen Entwicklungspotenzialen hin zur Performanz in unterschiedlichen kognitiven Leistungsbereichen beitragen.16
Doch nicht nur für die Lernleistungen ist die soziale Integration wichtig, der Aufbau von sozialen Beziehungen ist Teil der sozialen Integration und kann durch die soziale Aussonderung lernbehinderter Menschen erschwert werden. Die soziale Integration von SFB-Schülern stellt hohe Anforderungen an alle Schüler, Eltern und beteiligte Lehrkräfte, auf welche die Personen vorbereit werden müssen.
Soziale Beziehungen
Wenn man versucht soziale Beziehungen zu definieren, erkennt man wie vielfältig und komplex diese Beziehungen sind. Auch beschreiben und erleben Menschen soziale Beziehungen auf unterschiedliche Arten und Ebenen. Jedoch gibt es eine gemeinsame Vorstellung von sozialen Beziehungen, sie spiegelt sich in Freundschaften wieder. Der Mensch betrachtet sie als wertvolle Bereicherung seines Lebens, er empfindet gegenüber einem Freund menschliche Wärme und braucht den Kontakt zu anderen Menschen. Im alltäglichen Wortgebrauch ist jemand, mit dem man durch Zuneigung verbunden ist, ein Freund. Jemand, der als Beschützer oder Wohltäter wirkt, wird gleichfalls als Freund bezeichnet, daneben aber auch jemand, der einem nicht feindlich gesinnt ist.17
So sind auch Schüler mit SFB innerhalb des Klassenverbandes auf soziale Beziehungen angewiesen und streben diese an.
Die Schulklassen entstehen primär als Folge einer schulischen Differenzierung nach dem Lebensalter und nach der Leistung der Schüler. Die Zusammensetzung dieser Gruppe gleicht eher einer Zwangsgruppierung welche aus vorwiegend organisatorischen Gründen gebildet wurde und nicht, um die sozialen Bedürfnisse der Schüler zu befriedigen. Die Schulklasse ist jedoch nach wie vor ein außerordentlich wichtiger sozialer Erfahrungsraum, in dem Kinder und Jugendliche Beziehungen zu Gleichaltrigen eingehen können und zum Teil auch müssen, in dem sie sich mit anderen vergleichen, anfreunden oder mit ihnen konkurrieren können.18
Um die sozialen Beziehungen innerhalb einer Schulklasse, welche integrativ unterrichtet wird zu fördern, braucht die Gruppe Hilfe und Unterstützung. Dies könnte durch die Lehrkräfte, sonderpädagogische Unterstützung, Sozialarbeiter und Hilfe vom Schulamt gefördert und unterstützt werden.
Sonderpädagogischer Förderbedarf
Der in der Sonderpädagogik angewandte Begriff „Behinderung“ aus den 70`Jahren ist in die Jahre gekommen. So hieß es noch in einer Definition von Bach 1970:
„Behinderungen sind individuale Beeinträchtigungen, die umfänglich und schwer und langfristig sind.“19 Nach dieser Definition sind die Behinderungsmerkmale an der betreffenden Person zu suchen, ohne den Zusammenhang zwischen Behinderung und gesellschaftlichem Umfeld herzustellen. Erst im späteren Verlauf seiner Studien nennt er auch den Zusammenhang der Gesellschaft, welche für die Entstehung, Beibehalten oder Steigerung individualer Beeinträchtigungen verantwortlich sind.
Der Zusammenhang zwischen Behinderung und gesellschaftlichem Umfeld wird also durchaus gesehen; er kann aber in der von Bach damals entwickelten Systematik nicht zentral thematisiert werden.20
In seinem Buch „ Einführung in die Soziologie der Behinderung“ beschreibt Kastel unterschiedliche Definitionen des Begriffs. Einer lautet: „Mit Behinderung wird bezeichnet eine nicht terminierbare, negativ bewertete, körpergebundene Abweichung von situativ, sachlich, sozial generalisierten Wahrnehmungs- und Verhaltensanforderungen, die das Ergebnis eines schädigenden (pathologischen) Prozesses bzw. schädigender Entwicklung auf das Individuum und dessen/deren Interaktion mit sozialen und außersozialen Lebensbedingungen ist.“21
In dieser Definition wird deutlich, welch wichtiger Zusammenhang zwischen Behinderung und Gesellschaft besteht. Immer wieder wurden neue Definitionen gesucht, um die individuelle Andersartigkeit eines Menschen zu definieren.
Im Kontext Schule wurde der Begriff der „Behinderung“ im Zuge der heilpädagogischen Neuorientierung vielfach kritisiert und durch den Begriff„sonderpädagogischer Förderbedarf“ ersetzt.
In der Ausführung der Kultusministerkonferenz 1994 heißt es:
„Sonderpädagogischer Förderbedarf ist bei Kindern und Jugendlichen anzunehmen, die in ihren Bildungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten so beeinträchtigt sind, dass sie im Unterricht der allgemeinen Schule ohne sonderpädagogische Unterstützung nicht hinreichend gefördert werden können.“22
In dieser Arbeit wird weitgehend der Begriff „sonderpädagogischer Förderbedarf“ angewandt.
3. Aufbau des Sonderschulwesens von der Hilfsschule zum SBBZ
Die Entwicklung der sonderpädagogischen Einrichtungen dauert bereits über viele Jahrhunderte an.
Ab dem 9. Jahrhundert beginnt das deutsche Schulsystem mit den Klosterschulen, gefolgt von den Dom- und Stiftsschulen im 12. Jahrhundert. Im frühen Mittelalter waren vor allem die Klosterschulen von hoher Bedeutung, welche sich als Vorläufer der heutigen Gymnasien erweisen.23
Mit der Institutionalisierung wurde das Schreiben, Lesen und Rechnen als wertvoller Bestandteil der eigenen Kompetenzen angesehen. Aus diesem Grund wurden nun private und schließlich kommunale Schulen vom 13.-18. Jahrhundert gegründet.
Am Ende des 18. Jahrhunderts entstand die Realschule, welche für die Schüler geeignet war, die einerseits eine Bildung anstrebten, aber andererseits keinen akademischen Abschluss beabsichtigten.
Im 19. Jahrhundert entstehen die ersten „Hilfsschulen“ für geistig zurückgebliebene und gehörlose Kinder, mit dem Grundgedanken der besonderen Förderung und dem erhöhten Bildungsbedarf für „schwachsinnige“ Schüler. Dies war jedoch mit der Ausgrenzung und Separierung der Personengruppe verbunden. Diese Bildungs- und Fürsorgepraxis lindert zwar vordergründig die Not des Einzelnen und machte Gruppen zum Teil der Gesellschaft.24
Der Preis für die Zugehörigkeit war jedoch die Isolierung in gesonderten Anstalten.
3.1 Anfänge des Sonderschulwesens im 19.Jahrhundert, Gründung von Hilfsschulen
Bereits 1835 wurde in Chemnitz die Notschule gegründet, sie war für Schüler mit mangelndem Wissen für die Konfirmation gedacht. In Halle (Saale) richtete ein Rektor 1859 eine Nachhilfeklasse für „nicht vollsinnige Kinder“ ein. Im weiteren Verlauf besuchten vor allem lernschwache Schüler die „Notschule“. Heinrich Ernst Stötzner gründete 1881 eine der ersten „Hilfsschulen“ Deutschlands, im selben Jahr richtete Heinrich Kielhorn in Braunschweig eine Hilfsklasse ein.
Andere entstanden in Elberfeld und Leipzig. Mit seiner Schrift „Schulen für schwachbefähigte Kinder“ rief Stötzner praktisch die Hilfsschulen ins Leben. Stötzner propagiert darin eine eigenständige Schule für Kinder, die er als „die letzten in der Classe“ beschreibt. Der Besuch der Hilfsschulen war den Kindern vorbehalten, denen eine geringe kognitive Begabung attestiert wurde, nicht jedoch denen, die als nicht „schulbildungsfähig“ galten.
In einem Referat zur Heilpädagogischen Woche in Berlin verwendete Eduard Spranger erstmals die Bezeichnung Sonderschule. 1867 wurde schließlich die erste deutsche Hilfsschule eröffnet. Gleichzeitig entstanden sog. ‚Nachhilfeklassen‘, in denen die schwächsten Kinder einer Schule zusammengefasst und speziell gefördert wurden.25
Aus diesen Nachhilfeklassen bildeten sich 1879 die ersten „Hilfsschulen“.26 In den sogenannten „Hilfsschulen“ wurden Schüler mit Behinderung in das Schulsystem aufgenommen, wobei dies als Beitrag gegen die Exklusion zu sehen war.
„Innerhalb der Soziologie existiert kein einheitlicher theoretischer Exklusionsbegriff. Als kleinster gemeinsamer Nenner verschiedener Positionen lässt sich jedoch festhalten, dass mittels des Exklusionsbegriffs im sozialtheoretischen und bildungspolitischen Diskurs vorrangig soziale Selektionsprozesse, sowie deren Ergebnisse beschrieben werden, wie z.B. der Verlust von Teilhabechancen oder der Mangel an sozialer Bedeutung und sozialen Beziehungen. Exklusion wird in diesem Kontext vorrangig negativ konnotiert.“27
Unter Exklusion ist in diesem Zusammenhang zu verstehen, dass Kinder mit Beeinträchtigung zuvor grundlegend vom Schulwesen ausgeschlossen waren. Der Fortschritt bestand darin, dass nun die Kinder mit Beeinträchtigung erste Rechte auf Bildung hatten. Daraus entwickelte sich das Hilfsschutzgesetz von 1955 in Baden-Württemberg:
„Kinder, die infolge von Leistungsbehinderung dem Bildungsgang der Volksschule nicht zu folgen vermögen, jedoch gemeinschafts- und bildungsfähig sind, ist ein Unterricht mit vereinfachten Unterrichtszeiten im Rahmen der Volksschule einzurichten.“28.
Nun wurden Kindern mit Behinderungen verschlossene Türen geöffnet und neue Chancen ermöglicht.
Der Name „Hilfsschule“ ist deshalb auch Programm. Er drückt, wie Ellger-Rüttgardt hervorhebt, „…..recht gut aus, worum es den Vätern der Hilfsschule unter anderem auch ging: Jenen Kindern zu helfen, die in den überfüllten Volksschulklassen des ausgehenden 19. Jahrhunderts vergessen, verspottet und beiseite geschoben wurden.“29
Der Engländer Herbert Spencer beruft sich auf Charles Darwins Evolutionstheorie (1859), um die sozialen Strukturen in der Gesellschaft zu erklären und zu rechtfertigen. Dieser sog. „Sozialdarwinismus“ beeinflusst den Umgang der Gesellschaft von Menschen mit einer Behinderung und führt zur Gründung von Hilfsschulen als „Sammelbecken für Schulversager“ und zur Entlastung der Volksschulen. Zudem wird nach Abweichungen vom „normalen“ Menschen gesucht und genaue Vorstellungen davon entwickelt, was Kinder einer bestimmten Altersstufe leisten müssen.30
Im 19. Jahrhunderts entwickelte sich das dreigliedrige Schulsystem, bei der als Schulträger die Kirche und die reichsfreien unabhängigen Städte wirkten. In der Zeit der Moderne herrschte in der Gesellschaft das Leistungsprinzip vor, d.h., dass sich der „Wert“ der einzelnen Menschen an deren Leistungsfähigkeit orientierte bzw. sogar stark abhängig davon war.31
Im 19. Jahrhundert waren die Schulen im allgemein so geregelt, dass die Kirche verantwortlich für die Unterrichtsinhalte und die Bereitstellung von Lehrkräften war. Der Staat war beauftragt die äußeren Schulangelegenheiten zu regeln.32
Erst durch das Reichsgrundschulgesetz 1920 wurde die vierjährige Grundschule offiziell eingeführt und gesetzlich verankert. Die Unterrichtspflicht war bis 1918 in Kraft und wurde dann von der Schulpflicht abgelöst.33
Die Schulpflicht wurde in der Weimarer Reichsverfassung am 31.Juli 1919 im Artikel 145 festgeschrieben.
3.2 Die Rolle der Hilfsschulen zur Zeit des Nationalsozialismus
Im Nationalsozialismus erlebte die Exklusion ihren traurigen Höhepunkt hinsichtlich der Separation von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung. Mit der Machtergreifung Hitlers wurde das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 in Kraft gesetzt.
„Die Reichsregierung hat das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird:
§ 1(1) Wer erbkrank ist, kann durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden.
(2) Erbkrank im Sinne dieses Gesetzes ist, wer an einer der folgenden Krankheiten leidet
1. angeborenem Schwachsinn,
2. Schizophrenie,
3. zirkulärem (manisch-depressivem) Irresein,
4. erblicher Fallsucht,
5. erblichem Beitstanz (Huntingtonsche Chorea),
6. erblicher Blindheit,
7. erblicher Taubheit,
8. schwerer erblicher körperlicher Missbildung
Das Gesetz enthielt einen ausdrücklichen Hinweis auf den Umgang mit Hilfsschülern. Dadurch veränderte sich das Ziel der Hilfsschulen massiv: Zur Unterstützung der „Erb- und Rassenpflege“ und besonders zur Entlastung der Volksschulen wurden Kinder in den Hilfsschulen zur Beobachtung eingewiesen.
Die Hilfsschule als Institution war dadurch nicht gefährdet, wohl aber die Schüler selbst, unter anderem durch häufige Zwangssterilisation und Vernichtung „unwerten“ Lebens.
Die Vernichtung „unwerten“ Lebens wurde sogar im Namen der Menschlichkeit durchgeführt, nämlich als Gnade für bemitleidenswerte Menschen, um ihnen das Vegetieren in Anstalten zu ersparen. Die abstrakte Zielsetzung der Rassenhygiene wurde zur obersten „moralischen“ Instanz.34
Eine nationalsozialistische Propagandaschrift mit dem Titel: „Was muss der Nationalsozialist über Vererbung wissen?“, von A. Friehe, die bereits 1933 in der ersten Auflage im Schulbuchverlag Moritz Diesterweg erschienen war, machte den Vorschlag, schwere Fälle sogenannter „Minderwertiger“35 prinzipiell in „Asyle“ einzuweisen. Diese Asyle sollten vor allem zwei Funktionen haben. Zum einen sollten sie ein „Mittel zur Reinigung und Gesundung der eigenen Art“ sein. Dahinter stand die unverblümte Absicht, die Menschen notfalls mit Zwangsmittel (Sterilisation) daran zu hindern, Kinder zu bekommen. Zum anderen aber sollten diese Asyle dazu dienen, als „Schule der Anschauung“ für die sogenannten „Erbgesunden“ zu dienen.36
Zwischen 300.000 bis 400.000 Menschen wurden Opfer des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses.37
Dieser Aussonderung und Ausgrenzung der Menschen mit Beeinträchtigungen folgte dann 1939 das Euthanasie- Programm. Wobei hier der Begriff „Euthanasie“ (griechisch εὐθανασία, von εὖ / eu, gut, richtig, schön und θάνατος / thánatos, der Tod, das Sterben) in seiner Bedeutung missbraucht wurde und die Vernichtung bzw. Tötung „unwerten Lebens“ bezeichnete und nicht, wie im heutigen Sprachgebrauch die Sterbebegleitung todkranker Menschen.
Auf Grund der Proteste in der Bevölkerung wurde das offizielle Euthanasie- Programm Mitte 1941 gestoppt, inoffiziell gingen die Morde jedoch weiter. Die Zahl der Euthanasie Opfer wird heute auf 100.000 bis 275.000 geschätzt.38
In der Nachkriegszeit kam es nur sehr verlangsamt zu einem Umdenken in der Gesellschaft. Erst im Jahr 1958 mit Gründung der „Bundesvereinigung Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind“ wurden die Menschen mit Behinderung aus ihrer isolierten Lebenssituation geführt.39
3.3 Die bildungspolitische Wende
Die Anzahl von Sonderschulen erhöhte sich enorm zwischen den Jahren 1950 und 1964. Bezüglich der Exklusion und Separation im Nationalsozialismus brachte die Kultusministerkonferenz 1960 eine Wende, von da an wurde an die Achtung der Menschenwürde angeknüpft und erstmals von der Annahme der Bildungsunfähigkeit von Kindern und Jugendlichen Abstand genommen.40
In den 70er Jahren gab es eine Integrationsbewegung, die dafür sorgte, dass Chancengleichheit von Chancengerechtigkeit abgelöst wurde.41
Chancengleichheit ist ein Begriff der Zeitgeschichte. Erst mit der Thematisierung des Bildungsnotstandes und den damit zusammenhängenden Überlegungen zu sogenannten Begabungsreserven wurde er in den 60er Jahren erfunden. Die SPD forderte „Gleiche Bildungschancen für alle.“
Im Bildungsbericht von 1970 schrieb die Bundesregierung unmissverständlich: „ Der Verfassungsgrundsatz der Chancengleichheit muss durch eine intensive und individuelle Förderung aller Lernenden in allen Stufen des Bildungssystems verwirklicht werden.“ Nachdem der Terminus Chancengleichheit zunehmender Kritik ausgesetzt wurde, begannen insbesondere die CDU /CSU mit der Verbreitung des Gegenschlagworts „Chancengerechtigkeit“. „Nicht jedem die gleiche Chance, sondern jedem seine Chance“ – wer Chancengleichheit wollte, war Reformer/in, wer Chancengerechtigkeit wollte, war Bewahrer/in. Der SPD-Politiker Manfred Dammeyer formulierte es wie folgt: „Chancengerechtigkeit ist der Tod von Chancengleichheit.“ Wenn man die beiden Begriffe „Gleichheit“ und „Gerechtigkeit“ nebeneinanderstellt, liegt es nahe, Gleichheit als empirische und Gerechtigkeit als normative Kategorie zu verstehen. Empirie ist insofern Grundlage für Gleichheitsaussagen, als diese auf Daten beruhen. Gerechtigkeit indes ist nicht rein quantitativ zu bestimmen. Man kann sagen „Beamtenkinder haben dreimal mehr Chancen als Arbeiterkinder“. Die Formulierung „Arbeiterkinder erfahren nur 33 Prozent Gerechtigkeit“ macht hingegen keinen Sinn.42
Es führte dazu, dass auch Eltern von behinderten Kindern sich gegen das Sonderschulsystem auflehnten. Dies galt als erster Schritt der Integrationsbewegung.43
Zeitgleich wurden in den USA die „Disability Studies“ populär, diese stießen auch in Deutschland auf großes Interesse. Die Studie untersuchte im Schwerpunkt die kulturellen und sozialen Deutungsmuster und Deutungsprozesse von Behinderung. Insgesamt haben die „Soziologie der Behinderung“ (im deutschsprachigen Raum) und die „Disability Studies“ (im anglosächsischen Raum) eine in ihrer Stammdisziplin, der Soziologie, eine nahezu unbemerkte Erfolgsgeschichte hinter sich. Nicht nur, dass sie zu einer Verbreitung soziologischer Denkweisen geführt haben, sie haben auch die sozialpolitische und sozialpädagogische Diskussion und Praxis erheblich beeinflusst. In diesem Kontext wird Behinderung nun auch als Partizipationsproblem gesehen –„Ich bin nicht behindert – ich werde behindert!“44
Die Schulen wurden dadurch vor eine große Herausforderung gestellt. Mit der Forderung „Jedem das Seine!“, nicht nur „Allen das Gleiche!“ wird die Differenzierung aller Schüler/innen gefordert. Um dies zu gewährleisten mussten die Bedingungen an den Schulen umfänglich verändert werden. Die Forderungen beriefen sich hauptsächlich auf dem kindlichen Recht auf Bildung, das in den UN-Konventionen über die Rechte des Kindes (UN1989) im Artikel 29 verankert ist.45
Seit den 90er Jahren mit dem Aufkommen der Begriffe „inclusive education“ bzw. „inclusion“ im angloamerikanischen Raum, wird um die Weiterentwicklung und Verbesserung des Integrationskonzeptes verhandelt. In den USA und Kanada gilt „inclusion“ als pädagogischer Fachbegriff seit den 80er Jahren.
Seit der „World Conference on Special Needs Education“ der UNESCO 1994 in Salamanca, ist es ein international pädagogischer Fachbegriff worin die Notwendigkeit auf eine Schule für Alle gesehen und festgelegt wurde.
3.4 Die Inklusionsdebatte
Die Inklusionsdebatte begann bereits in den 70er Jahren, Mitglieder der Behindertenbewegung forderten die gleichwertige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Obwohl die Forderungen auf alle Lebensbereich bezogen waren, hatten diese vorwiegend Auswirkungen auf den Bildungsbereich. Dies führte unter anderem zur Salamanca-Erklärung im Juni 1994, der UNESCO-Weltkonferenz zur Pädagogik für besondere Bedürfnisse. Darin wurden konkrete Erklärungen über schulische Konsequenzen abgegeben und das gemeinsame Ziel einer Schule für Alle, die unabhängig von den physischen, intellektuellen, emotionalen, sozialen, sprachlichen oder anderen Fähigkeiten der Schüler beschlossen wurde. Sie forderte, „(…) dass jedes Kind ein grundsätzliches Recht auf Bildung hat und dass ihm die Möglichkeit gegeben werden muss, ein akzeptables Lernniveau zu erreichen und zu halten, dass jene mit besonderen Bedürfnissen Zugang zu regulären Schulen haben müssen, die sie mit einer Kind zentrierten Pädagogik, die ihren Bedürfnissen gerecht werden kann, aufnehmen sollten, dass die Regelschulen mit einer integrativen Orientierung das beste Mittel sind, um diskriminierende Haltungen zu bekämpfen, um Gemeinschaften zu schaffen, die alle willkommen heißen, um eine inklusive Gesellschaft aufzubauen und um Bildung für alle zu erreichen.“46
Der Kern der Erklärung besteht in der klaren Befürwortung von inklusiven Schulen als bestmögliche Form der schulischen Bildung.47
Die Salamanca-Erklärung legte den Grundstein zum Abbau von Diskriminierung der Schüler/innen mit Beeinträchtigung. Dies wurde auf der UN-Vollversammlung 2006 unterstützt, in der die Rechte von Menschen mit Behinderung beschlossen wurden.
Ein weiterer Meilenstein in der Inklusionsdebatte stellte die UN-Behindertenrechtskonvention von 2009 dar, welche 2006 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurden.
Im Jahr 2008 traten sie in Kraft, nachdem 20 Staaten die Konvention ratifiziert hatten. Inzwischen ist die Konvention von rund 160 Staaten und der EU ratifiziert worden, wobei Deutschland als einer der ersten Staaten die Konvention bereits 2007 unterzeichnete. Nur zwei Jahre später trat die Konvention in Deutschland in Kraft.
Die UN-Behindertenrechtskonvention ist ein Übereinkommen bzgl. der Rechte von Menschen mit Beeinträchtigung und fordert Inklusion bzw. die gleichwertige Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben.48
Im schulischen Kontext wird die Verpflichtung des Staates hervorgehoben, ein inklusives Schulsystem zu schaffen und die Gewährleistung zu geben, dass Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund einer Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden. Somit ist für alle Kinder unabhängig bestimmter selektiver Merkmale ein Rechtsanspruch auf gemeinsamen Unterricht legitimiert.49
Die rechtlichen Grundlagen der Inklusion stützen sich in Deutschland auf verschiedene Achsen. Wichtig ist zum einen Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist die Verpflichtung aller staatlicher Gewalt.“ Die Menschenwürde wird als oberster Grundwert und als Wurzel aller Grundrechte angesehen. Somit steht die Menschenwürde über den eventuell diskriminierenden Kategorien, wie Herkunft, Geschlecht, Alter, Bildung, Beruf und den körperlichen oder geistigen Zustand des Menschen.
Auch die Präambel in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN spricht von der unveräußerlichen Würde des Menschen auf der Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden.50
Somit sind sowohl auf staatsrechtlicher als auch auf völkerrechtlicher Ebene die Würde des Menschen und die Gleichberechtigung aller Menschen verankert.
Der Landtag von Baden-Württemberg hat am 15. Juli 2015 die Änderung des Schulgesetzes zur Inklusion verabschiedet. Seit der Gesetzesänderung haben Eltern von Kindern mit einem Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot die Möglichkeit zu wählen, ob ihr Kind an einer allgemeinen Schule oder einem Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ) lernen soll.
§ 83 Erfüllung des Anspruchs auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot, Elternwahl in der Primarstufe und in der Sekundarstufe I.
(1) Wird ein Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot festgestellt, berät die Schulaufsichtsbehörde die Erziehungsberechtigten umfassend über schulische Angebote sowohl an allgemeinen Schulen als auch an sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren. (2) Im Anschluss an die Beratung nach Absatz 1 wählen die Erziehungsberechtigten, ob der Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot in der Primarstufe oder in der Sekundarstufe I an einer allgemeinen Schule oder einem sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum erfüllt werden soll.51
3.5 Gründungen von Gemeinschaftsschulen
In Baden-Württemberg genehmigte die damalige Landesregierung aus Bündnis 90/Die Grünen und SPD nach einem landesweiten Bewerbungsverfahren zum Schuljahr 2012/13 an 42 Städten die ersten Gemeinschaftsschulen. Zu Beginn des Schuljahrs 2015/16 gab es 271 öffentliche Gemeinschaftsschulen.
§ 8a Gemeinschaftsschule
(1) Die Gemeinschaftsschule vermittelt in einem gemeinsamen Bildungsgang Schülern der Sekundarstufe I je nach ihren individuellen Leistungsmöglichkeiten eine der Hauptschule, der Realschule oder dem Gymnasium entsprechende Bildung. Den unterschiedlichen Leistungsmöglichkeiten der Schüler entspricht sie durch an individuellem und kooperativem Lernen orientierten Unterrichtsformen. Die Gemeinschaftsschule bildet nach pädagogischen Gesichtspunkten Lerngruppen. Leitend für die Bildung von Lerngruppen sind nicht schulartspezifische, sondern pädagogische Gesichtspunkte. Die Gemeinschaftsschule wird als christliche Gemeinschaftsschule nach den Grundsätzen der Artikel 15 und 16 der Landesverfassung geführt.
(2) Die Gemeinschaftsschule ist mindestens zweizügig. Sie kann auch eine Grundschule nach § 5 und im Anschluss an Klasse 10 eine dreijährige gymnasiale Oberstufe nach § 8 Absatz 5 führen; sie führt auch in diesen Fällen die Schulartbezeichnung Gemeinschaftsschule.
(3) Die Gemeinschaftsschule wird in Sekundarstufe I an vier, auf Antrag des Schulträgers und mit Zustimmung der Schulkonferenz an drei Tagen in der Woche als eine für Schüler und Eltern verbindliche (§ 72 Abs. 3) Ganztagsschule in einem Umfang von acht Zeitstunden pro Tag geführt.
(4) Jeweils nach Maßgabe der hierfür geltenden Regelungen erwerben die Schüler in der Sekundarstufe I im fünften oder sechsten Schuljahr den Hauptschulabschluss oder im sechsten Schuljahr den Realschulabschluss oder einen dem Realschulabschluss gleichwertigen Bildungsstand durch die Versetzung in die Eingangsklasse der gymnasialen Oberstufe; dabei müssen dem Unterricht in dem jeweiligen Abschlussjahr für die betroffenen Schüler in allen Fächern und Fächerverbünden die jeweiligen Anforderungen der in Absatz 1 genannten Schularten zugrunde liegen.52
Die neue Gemeinschaftsschule ist eine leistungsstarke und sozial gerechte Schule. Dabei steht die individuelle Förderung der Kinder und Jugendlichen im Zentrum. Die Schüler lernen miteinander und voneinander in gemischten Lerngruppen, mit intensiver individueller Förderung. Lehrerinnen und Lehrer verstehen sich als Lernbegleiter. Sie können jedem Kind so eine optimale Entwicklung ermöglichen.53 |
Charakteristisch für die Gemeinschaftsschule im neuen Verständnis sind folgende Merkmale:
- Lernangebote für alle Schüler, unabhängig von ihren individuellen, intellektuellen, sozialen oder sonstigen Voraussetzungen
- Gemeinsames Lernen der Schüler unter Verzicht auf äußere Differenzierung, über die Grundschulzeit hinaus bis zum Ende der Sekundarstufe I ( an der M. Schule wird bereits Ende der 8. Klasse eine Differenzierung vorgenommen und die Schüler bekommen Noten, um den voraussichtlichen Schulabschluss zu bestimmen)
- Angebot aller Schulabschlüsse der Sekundarstufe I
- Realisation als Ganztagsschule54
In der Broschüre zur Gemeinschaftsschule „Vielfalt macht schlau“ ist zu lesen:
An der Gemeinschaftsschule lernen Schülerinnen und Schüler mit und ohne Behinderung miteinander. Dies setzt voraus, dass sich die unterschiedlichen Kompetenzen der Lehrerinnen und Lehrer an Gemeinschaftsschulen gut ergänzen. Deshalb arbeiten dort auch Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen. Die Lehrerinnen und Lehrer übernehmen gemeinsam die Verantwortung für alle Kinder.55
Die Gemeinschaftsschule ist nach diesen Definitionen eine inklusive Schule und steht somit Schülern mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot offen. Sie berücksichtigt insbesondere die Heterogenität der Klassenzusammensetzung und nutzte die Vielfalt der Schülerschaft um ein respektvolles und wertschätzendes Miteinander aller Schüler aufzubauen.
Menschen mit Behinderungen, mit einem Migrationshintergrund oder anderen Differenzdimensionen sind als Teil der Gesellschaft zu sehen und müssen nicht in diese integriert werden. Vielmehr sollte die Gesellschaft sich auf diese Vielfalt einstellen und verändern.56
4. Soziale Integration in der Schule
Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt auf der Untersuchung der sozialen Integration von Schülern mit SFB. Aus diesem Grund werde ich die Forschungshintergründe genauer untersuchen. Ziel der sozialen Integration im Kontext Bildungsprozesse ist es, alle Schüler in ihre jeweilige Lernumgebung zu integrieren und dass zur Wiederherstellung eines Ganzen keine Kategorisierungsmerkmale mehr vorhanden sind. Alle Schüler verstehen sich als Teil einer Klassengemeinschaft, denn durch die soziale Eingebundenheit in einen Klassenverband, wird das Wertgefühl der Schüler gesteigert und dies wirkt sich laut Häberlin günstig auf das Lernverhalten der Schüler aus.
Für eine erfolgreiche Umsetzung im Gemeinsamen Unterricht fasst Huber in seinem Buch „Soziale Integration in der Schule“ die Ziele nochmals zusammen:
- Die soziale Integration von Schülern mit und ohne SFB soll sich nicht unterscheiden
- Soziale Integration verläuft nicht über Schülermerkmale, die Schüler mit SFB benachteiligen
- Normabweichungen führen nicht zu sozialer Ausgrenzung
- Mit wachsender Heterogenität einer Schulklasse verbessert sich die soziale Integration von Schülern mit SFB
- Unterrichtsbezogene Faktoren können soziale Integration von Schülern mit SFB beeinflussen57
4.1 Theorie sozialer Vergleichsprozesse
Die Theorie der sozialen Vergleichsprozesse gehört grundsätzlich zu den wichtigen und grundlegenden Theorien der Sozialpsychologie. „Die Sozialpsychologie befasst sich allgemeinen mit dem Verhalten, Denken und Fühlen von Menschen in sozialen Situationen; sie untersucht vor allem die Bedingungen und Folgen sozialer Beziehungen zwischen Menschen. Sozialpsychologie betrachtet deswegen auch die Schule unter den Gesichtspunkten der in ihr ablaufenden interpersonalen Prozessen.“58
Die Forschungen der vorliegenden Arbeit beziehen sich hauptsächlich auf die Theorie sozialer Vergleichsprozesse, da die Überprüfung der Zielsetzung aus Kapitel 1 mit dieser Theorie weitgehend möglich ist. In dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass soziale Vergleichsprozesse auch im gemeinsamen Unterricht von SFB Schülern und Regelschülern stattfinden. Grundannahme hierbei ist, dass Schüler ihre eigenes Verhalten und ihre Leistungen bewerten und mit der Klasse vergleichen. „Grundlage für diese Bewertung ist der Vergleich mit einer Bezugsgruppe. Ziel dieses Vergleiches ist es, die Diskrepanzen zwischen der eigenen Person und der Gruppe zu minimieren. Gelingt es nicht die Unterschiede zwischen sich und der Gruppe zu minimieren, droht ihnen der Ausschluss aus der Gruppe.“59
Im Folgenden werden bereits durchgeführte Studien zu sozialer Integration und ihre Ergebnisse vorgestellt.
4.2 Soziale Integration im Kontext „Schulforschung“
Die Soziale Integration von Schülern mit SFB im Gemeinsamen Unterricht steht im Mittelpunkt dieser Arbeit. Die von Huber verfassten Leitziele der Integrationspädagogik, s. Kapitel 3. stellen die Grundlage zur Formulierung der Fragestellung dar. Um die Fragestellung auf einer fundierten empirischen Basis aufzubauen, werden im weiteren Verlauf ausgewählte Studien im Hinblick auf die fünf zentralen Leitziele beschrieben.
Um Erkenntnisse über Stand, Entwicklung und Bedingungsgefüge der sozialen Integration von Schülern mit SFB zu gewinnen, muss zunächst die soziometrische Position der Schüler erfragt werden. Dies geschah in den nachfolgenden Studien überwiegend mit Hilfe der soziometrischen Diagnostik nach Moreno (1964). In seinen Forschungen befasste sich Moreno mit menschlichen Beziehungen, aufbauend auf einem emotionalen Beziehungsgeflecht, welches in eine Gruppe auf Ablehnung oder Wahl der Gruppenmitglieder basiert.60
Internationale Studien
Die ersten Untersuchungen über den soziografischen Status von Schülern mit Behinderung in Regelschulklassen, führte nach Angaben von Häberlin61 G.O. Johnson 1950 in den USA an 25 Regelschulklassen durch, wobei diese Schüler keine zusätzliche heilpädagogische Unterstützung bekamen. Johnson teilte die 698 Schüler in vier Gruppen auf. Die erste Gruppe bestand aus durchschnittlich begabten Schülern, die zweite aus Schülern welche laut ihrem IQ Grenzfälle darstellten ( IQ 70-89), die dritte Gruppe bestand aus Schülern mit starker Lernbeeinträchtigung (IQ < 60), in der vierten Gruppe befanden sich Schüler mit geringer Beeinträchtigung ( IQ 60-69). (zit.n. Haeberlin et.al.1999) Johnson konnte in seinen Forschungen für alle drei Teilgruppen schwächerer Schüler einen signifikant niedrigeren Wahlstatus sowie einen höheren Ablehnungsstatus nachweisen.
[...]
1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in der vorliegenden Arbeit vorwiegend den Begriff Schüler verwenden, selbstverständlich sind damit auch Schülerinnen gemeint.
2 Vgl. Magazin Science, Forschungen von Naomi Eisenberger Bd.302, S.290
3 Im Folgenden: Schüler mit SFB
4 Vgl. Huber, C. Soziale Integration in der Schule, Tectum Verlag 2006
5 Bibliographisches Institut GmbH Dudenverlag Mecklenburgische Straße 53 14197 Berlin, Integration -Herkunft
6 „Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.“ Art.2 Abs.1 Sozialgesetzbuch IX
7 Vgl. Häberlein-Klumpner,R.(2009),Inklusive Pädagogik, Peter Lang Verlag Kapitel 4.2 S.65-68
8 Ebd. Huber,C. 2006 S.15
9 Röbe, E, Die gesellschaftliche Funktion der Schule: Selegieren oder integrieren? In Spannungsfelder der Erziehung und Bildung, S.146, Schneider Verlag Hohengeren2008
10 Vgl. Haeberlin,U. Zeitschrift für Pädagogik, 2/1991, S.173
11 Vgl. Wocken, H. Bewältigung von Andersartigkeit, (1993) S.86 Bochumer Symposium
12 Ebd. Sonntag,M. S.1
13 Ebd. Haeberlin S.174
14 [14] Beitrag von Sonntag, Miriam, Soziale Integration S.2, http://www.inklusion-lexikon.de/index1.html Zugriff am 01.12.2017
15 Ebd. Eisenberger, N. S.290
16 Ebd. Sonntag, M. S.3
17 Vgl. Kelly, A. Beziehungsfähigkeiten und Sozialkompetenzen fördern, Persen Verlag, 6.Auflage 2016, S. 5
18 Vgl. Ulich, K. Soziale Beziehungen und Konflikte in der Schulklasse Einführung in die Sozialpsychologie der Schule. Weinheim und Basel 2001, S. 49-75.
19 Vgl. Bach, H. Allgemeine Sonderpädagogik, Sonderpädagogik im Grundriß, Berlin 1975,S.10
20 Vgl. Eberwein, H Handbuch Integrationspädagogik, 4.Auflage, Beltz Verlag S. 101
21 Vgl. Kastel, J. Einführung in die Soziologie der Behinderung, VS Verlag (2010) S.108
22 Vgl. Kultusministerkonferenz, 1994,4
23 Vgl. Döbert, H. Die Bildungssysteme Europas (2010) Hrsg. Hörner/Reuter, Hohengehren: Schneider Verlag Band 46, S.175
24 Vgl. Geißler, G. Schulgeschichte in Deutschland, Von den Anfängen bis in die Gegenwart, S.239 (2011) Frankfurt am Main: Internationaler Verlag der Wissenschaften
25 https://de.wikipedia.org/wiki/Förderschule_(Deutschland) Zugriff am 15.12.2017
26 Ebd. Geißler, G. S.239
27 Vgl. Terfloth, K. Beitrag Exklusion, http://www.inklusion-lexikon.de Zugriff am 15.12.2017
28 Hilfsschutzgesetz vom 27.06.1955 §1
29 Vgl. Ellger-Rüttgardt, S. (1995): Historische Aspekte der gemeinsamen Bildung behinderter und nichtbehinderter Kinder und Jugendlicher. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 46 S.477-484
30 Vgl. Vogt M. Sozialdarwenismus Wissenschaftstheorie, politische und theologische Aspekte der Evolutionstheorie (1997) Freiburg: Herder Verlag S.23
31 Vgl. Reich, K. Inklusion und Bildungsgerechtigkeit. Standards und Regeln zur Umsetzung einer inklusiven Schule. (2012) Weinheim/Basel: Beltz Verlag S.12
32 Ebd. Döbert, S.176
33 Vgl. Tenorth, H. Alle alles zu lehren. Möglichkeiten und Perspektiven allgemeiner Bildung Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft (1992) S.52
34 Ebd. Eberweib S.35
35 Darunter verstanden die Verfasser;“Alle erblichen Fälle von Schwachsinn, Schizophrenie, Fallsucht, manisch-depressives Irrsein, Veitstanz, Blindheit, Taubheit, schwere körperliche Missbildung und schweren Alkoholismus.“ (Friehe, A. Vererbungslehre, Moritz Diesterweg Verlag 1936 S.52)
36 Ebd. Kastel S.229
37 Vgl. Waldschmidt, A. Handbuch soziale Probleme, Band1, 2. überarbeitet Auflage, Hrsg. Albrecht /Groenemeyer Springer Verlag, S.728
38 Ebd. Waldschmidt S.728
39 Ebd. Waldschmidt S.729
40 Ebd. Döbert S.177
41 Ebd. Häberlein-Klumpner (2009) S.74
42 Vgl. Rolff, H.-G., Chancengleichheit oder Chancengerechtigkeit, in nds die Zeitschrift der Bildungsgewerkschaft, 4.- 2016
43 Vgl. Link, E. Eine Schule für Alle?, 1.Auflage Lang Verlag 2000, S.80-82
44 Ebd. Kastl S.43
45 Ebd. Röbe S.146
46 Deutsche UNESCO-Kommission 1994, S.3
47 Ebd. Reich S.35
48 Ebd Reich S.36-37
49 Vgl. UN-Behindertenrechtskonventionen 2006, Art.1-24
50 Vgl. UN-Menschenrechtskonventionen Art.1-30
51 http://www.landesrechtbw.de/jportal/portal/t/aw7/page/bsbawueprod.psml;jsessionid=230BC77DF9BC78AC83BC404609E6BC93.jp81?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=jlr-SchulGBW1983rahmen&doc.part=X&doc.price=0.0#jlr-SchulGBW1983V40G22 Zugriff am 1.03.2018
52 Ebd. www.landesrechtbw.de
53 https://www.baden-wuerttemberg.de/de/bw-gestalten/schlauesbadenwuerttemberg/schule/gemeinschaftsschule-faq/ Zugriff am 1.03.2018
54 Vgl. Bohl, T.; Meissner S. (2013) Expertise Gemeinschaftsschule Beltz Verlag, S.41
55 https://www.badenwuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/dateien/PDF/Gemeinschaftschule_Broschuere_neu.pdf Zugriff am 1.03.2018
56 Ebd. Bohl S.63
57 Ebd. Huber 2006 S.41
58 Ebd. Ulich S.9
59 Ebd. Huber 2006 S.44
60 Vgl. Moreno, J.L. Die Grundlagen der Soziometrie Wege zur Neuordnung der Gesellschaft Unveränderter Nachdruck der 3. Auflage Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 1996
61 Vgl. Haeberlin, U.,Bless, G.,Moser, U.,Klagenhofer, R. Die Integration von Lernbehinderten, Stuttgart 1999, Haupt Verlag S.59
- Quote paper
- Nicole Teufel-Specovius (Author), 2018, Soziale Integration und Inklusion von Schülern mit sonderpädagogischen Förderbedarf, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/509346
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