Den gesellschaftlich-kulturellen Hintergrund für die Entstehung der sogenannten „Lebensreformbewegung“ bildete das facettenreiche sozial-, kultur- und mentalitätsgeschichtliche Klima des sogenannten „Fin de Siécle“ seit den 1880er Jahren - der entscheidende Startzeitpunkt in die industrielle Gesellschaft der Moderne. Der technische Fortschritt dieser Zeit, der als bahnbrechend bezeichnet werden kann, ließ ein kräftiges wirtschaftliches Wachstum beginnen, das bis zum 1. Weltkrieg anhielt. Transportmittel sorgten für eine immense Beschleunigung des täglichen Lebens. Die Lebensmittelproduktion stieg dramatisch durch den Einsatz chemischer Düngemittel und die Erfindung der Elektrizität führte zunächst zur Entwicklung der Telegrafie und schließlich zu Licht und Elektromotoren. Deutschland erfuhr einen rasanten Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft mit all den gesellschaftlichen Veränderungen und Verwerfungen. Es verstärkte sich die „Landflucht“ in die Stadt und schon 1913 arbeiteten fast 38% der Bevölkerung in der Industrie. Durch diese Wanderbewegung lebte schon 1907 fast die Hälfte der Bevölkerung nicht mehr an ihrem Geburtsort. Die positiven Aspekte dieser Entwicklung schlugen sich im stark gestiegenen Lebensstandard und in der Entwicklung des medizinischen Fortschritts wieder. Früher unheilbare Krankheiten konnten nun bekämpft werden, die Operationstechnik revolutionierte sich und die Möglichkeit der individuellen Lebensgestaltung eröffnete sich für weite Kreise der Bevölkerung. Glaube an die Segnungen der Technik und ein ausgeprägter Fortschrittsoptimismus prägten das Stimmungsbild. Diese Entwicklungen hatten allerdings nicht nur positive Konsequenzen für das Leben der Menschen.
Inhaltsverzeichnis
- Aufbruchsstimmung und Kulturkritik
- Gruppierungen der Lebensreformbewegungen:
- Gesundheit und gesundes Leben
- Schutz von Lebewesen, Natur, gewachsenen Landschaften, historischen Gebäuden, regionalen Baustilen
- Kulturelle, künstlerische und geistige Wende
- Die Jugendbewegung
- Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit befasst sich mit den Lebensreformbewegungen im späten Kaiserreich, die als Reaktion auf die gesellschaftlichen und kulturellen Umbrüche des Fin de Siècle entstanden sind. Die Arbeit analysiert die Ursachen und die vielfältigen Ausprägungen dieser Bewegungen, die eine radikale Umgestaltung des Lebens anstrebten.
- Die Kulturkritik und die Aufbruchsstimmung um 1900 als Ausgangspunkt der Lebensreformbewegungen
- Die verschiedenen Gruppierungen der Lebensreformbewegungen und ihre jeweiligen Schwerpunkte
- Die Rolle der Jugendbewegung innerhalb der Lebensreformbewegung
- Die Ambivalenz der Lebensreformbewegung: Fortschritt und Rückschritt, Modernisierung und Antimoderne
- Die Bedeutung der Lebensreformbewegung für die deutsche Gesellschaft des 20. Jahrhunderts
Zusammenfassung der Kapitel
Aufbruchsstimmung und Kulturkritik
Das Kapitel beleuchtet den gesellschaftlich-kulturellen Hintergrund der Lebensreformbewegungen im späten Kaiserreich. Der technische Fortschritt der Moderne führte zu einem rasanten Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft mit allen seinen gesellschaftlichen und kulturellen Verwerfungen. Die "Landflucht" in die Städte, die Auflösung traditioneller Lebensweisen und die zunehmende Verunsicherung der Menschen in einer von der Technik geprägten Welt bildeten den Nährboden für die Entstehung der Lebensreformbewegung. Der Verlust an Tradition und die Auflösung gewohnter Strukturen führten zu einer Krisenstimmung in der intellektuellen Elite und zu einem breiten Spektrum an "antimodernen" Gegenbewegungen, die sich von konservativer Rückkehr zur "guten alten Zeit" bis hin zu radikalen Utopien erstreckten. Die Lebensreformbewegung positionierte sich als evolutionäre Kraft, die eine grundlegende Veränderung des Lebens innerhalb der bestehenden gesellschaftlichen Strukturen anstrebte.
Gruppierungen der Lebensreformbewegungen
Dieses Kapitel behandelt die verschiedenen Gruppierungen der Lebensreformbewegung und ihre unterschiedlichen Schwerpunkte. Die Lebensreformbewegung strebte eine radikale Umgestaltung des Lebens in allen Bereichen an, von der Ernährung und Gesundheit bis hin zur Architektur und Kunst. Der Begriff der Lebensreform, der erstmals 1890 von Wolfgang Krabbe verwendet wurde, umfasste eine Vielzahl von Bewegungen, die sich um eine natürliche Lebensweise und eine Rückkehr zur Natur bemühten. Die Gartenstadtbewegung, die Antialkoholbewegung und der Vegetarismus bildeten wichtige Teile dieser Strömung, die in der Naturheilkunde ihren massenhaften Ausdruck fand. Die Lebensreformbewegung sah sich als Antwort auf die Verwissenschaftlichung der Medizin und die zunehmende Entfremdung des Menschen von seiner natürlichen Umwelt.
Schlüsselwörter
Lebensreformbewegung, Fin de Siècle, Kulturkritik, Moderne, Industrialisierung, Gesundheit, Naturheilkunde, Jugendbewegung, Gartenstadtbewegung, Antialkoholbewegung, Vegetarismus, Modernitätskritik, Antimoderne
- Quote paper
- Ullrich Michael Rasche (Author), 2018, Reformbewegungen. Kulturpessimismus, Avantgarde, Jugend- und Lebensreformbewegung im späten Kaiserreich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/508621