Diese Arbeit setzt sich mit dem Thema Inklusion im Religionsunterricht auseinander. Sie vertritt die Meinung, dass der Mensch als etwas Besonderes zu gehlten hat und immer etwas zu geben hat.
Der erste Teil der Arbeit geht der Frage nach, weshalb Inklusion überhaupt notwendig ist und gefordert wird. Zuerst wird zu Beginn das Wort "Behinderung" geklärt. Anschließend wird dem Begriff "Inklusion" auf den Grund gegangen, der Beschluss der UN-Behindertenrechtskonvention, der Auslöser dieses Begriffes war, wird erläutert und auf den aktuellen Stand der Inklusion in Baden-Württembergischen Schulen wird eingegangen. Es folgt ein Vergleich der Inklusion zur Integration. Es folgt eine Reflexion zu Theologie und Inklusion. Christliche Anthropologie, Gedanken zum Heil und das Recht auf Leben für alle Menschen werden dargestellt.
Der zweite Teil der Arbeit steht unter der großen Frage, in wie weit Inklusion zum jetzigen Zeitpunkt unserer Gesellschaft und unseres Schulsystems überhaupt schon möglich ist. Die Arbeit analysiert hierzu zunächst die institutionellen Bedingungen, geht dann auf die anthropologischen Gegebenheiten ein und weist abschließend methodische und didaktische Möglichkeiten der Unterrichtsgestaltung auf. Der ausgearbeitet Unterricht will außerdem noch zeigen, in wie weit die Schüler von inklusiven Unterricht und dem Umgang mit Menschen mit Behinderung profitieren.
Inhaltsverzeichnis
0. Einleitung
Teil 1: Warum Inklusion?
1. Inklusion
1.1. Behinderung
1.2. Von der Integration zur Inklusion
1.3. Vergleich Integration – Inklusion
1.4. Aktueller Stand der inklusiven Schulen in Baden-Württemberg
2. Theologie und Inklusion
2.1. Der Mensch als Ebenbild Gottes
2.2. Der Mensch als fragmentarisches, fragiles Geschöpf
2.3. Der Mensch als ergänzungsbedürftiges und -fähiges Geschöpf
2.4. Gedanken zur Heil(ung) und Behinderung
2.5. Leben ist kostbar von Anfang an – Recht auf Leben für alle Menschen
Reflexion: Warum Inklusion?
Teil 2: Ist inklusiver Unterricht in der Werkrealschule möglich?
3. Inklusion im Religionsunterricht der Werkrealschule – Institutionelle Voraussetzungen
3.1. Theoretisch
3.2. Praktisch
3.2.1. Die untersuchte Schule
3.2.2. Die Kooperationsklasse
3.2.3. Die inklusive Religionsklasse
4. Inklusion im Religionsunterricht der Werkrealschule – Anthropologische Gegebenheiten
4.1. Theoretisch
4.2. Praktisch
4.2.1. Anthropologische Bedingungen
4.2.2. Entwicklungspsychologische Aspekte
4.2.3. Bedeutungen für den Unterricht
5. Inklusion im Religionsunterricht der Werkrealschule – pädagogische Voraussetzungen
5.1. Theoretisch
5.1.1. Inklusive Unterrichtsgestaltung
5.1.2. Didaktische Überlegungen – Inklusion in der Religionspädagogik
5.2. Praktisch
5.2.1. Religion – Ein Fach für den inklusiven Unterricht?
5.2.2. Der Seelenvogel – Ein Thema für den inklusiven Unterricht?
6. Inklusion im Religionsunterricht der Werkrealschule – Die Unterrichtsreihe
6.1. Stoffverteilungsplan
6.2. Vorüberlegungen
6.3. Stunde 1: Was ist die Seele?
6.4. Stunde 2: Der Seelenvogel
6.5. Stunde 3: Wir hören auf unseren eigenen Seelenvogel
6.6. Stunde 4: Gefühle wahrnehmen und sie versuchen zu ändern
6.7. Stunde 5: Futtertüte für den Seelenvogel
Reflexion: Ist inklusiver Unterricht in der Werkrealschule möglich?
7. Übergreifende Abschlussreflexion
8. Fazit
Anhang I
I. Anhang zu den Unterrichtsstunden
I.I. Unterrichtsstunde 1
I.I.I. Stundenskizze
I.I.II. Material III
I.I.III. Schülerdokumente
I.II. Unterrichtsstunde 2
I.II.I. Stundenskizze
I.II.II. Material
I.II.III. Schülerdokumente
I.III. Unterrichtsstunde 3
I.III.I. Stundenskizze
I.III.II. Material
I.III.III. Schülerdokumente
I.IV. Unterrichtsstunde 4
I.IV.I. Stundenskizze
I.IV.II. Material
I.IV.III. Schülerdokumente
I.V. Unterrichtsstunde 5
I.V.I. Stundenskizze
I.V.II. Material
I.V.III. Schülerdokumente
Literaturverzeichnis
0. Einleitung
„Wir könnten alle miteinander leben,
und jeder Mensch hat was Besonderes zu geben,
die starken und die schwachen, die großen und die kleinen,
die fröhlichen und jene auch, die weinen.
Wir könnten alle lernen voneinander,
die anderen von dir und du von allen andern.
Und nennt man dich behindert und nennt man mich gesund –
wenn wir die Farben mischen, wird die Welt erst richtig bunt.“ [1]
Dieser kurze Text macht schon gleich zu Beginn dieser Arbeit das Thema und die Gedanken, die hinter ihr stehen, deutlich. Es muss lediglich aus dem „könnte“ noch ein „können“ werden. Der Gedanke der Inklusion und was sich dahinter verbirgt wird deutlich erkennbar: Der Mensch als etwas Besonders, der auf alle Fälle immer in irgendeiner Weise etwas zu geben hat, der Gedanke der „Mischung“ der Vielfalt und das Lernen miteinander in einer bunten, gemischten Zusammensetzung.
Nun zum Aufbau der Arbeit: Der erste Teil (Kapitel 1 und 2) der Arbeit geht der Frage nach weshalb Inklusion überhaupt notwendig ist und gefordert wird. In Kapitel 1 wird zu Beginn das Wort „Behinderung“ geklärt. Anschließend wird dem Begriff „Inklusion“ auf den Grund gegangen, der Beschluss der UN-Behindertenrechtskonvention, der Auslöser dieses Begriffes war, wird erläutert und auf den aktuellen Stand der Inklusion in Baden-Württembergischen Schulen wird eingegangen. Es folgt ein Vergleich der Inklusion zur Integration. Das Kapitel 2 beschäftigt sich mit Theologie und Inklusion. Christliche Anthropologie, Gedanken zum Heil und das Recht auf Leben für alle Menschen werden dargestellt. Den Abschluss dieses Teils bildet eine Reflexion.
Der zweite Teil (Kapitel 3 bis 6) der Arbeit steht unter der großen Frage, in wie weit Inklusion zum jetzigen Zeitpunkt unserer Gesellschaft und unseres Schulsystems überhaupt schon möglich ist. Ich werde hierzu in Kapitel 3 die institutionellen Bedingungen analysieren, in Kapitel 4 auf die anthropologischen Gegebenheiten eingehen und abschließend in Kapitel 5 und 6 methodische und didaktische Möglichkeiten der Unterrichtsgestaltung aufweisen. Dies wird so dargestellt, dass es zu jedem Kapitel einen Theorieteil gibt, der dann an der Schule, die mir für meine Arbeit zur Verfügung und zur Seite stand, praktisch überprüft und umgesetzt wird. Der ausgearbeitet Unterricht will außerdem noch zeigen, in wie weit die Schüler von inklusiven Unterricht und dem Umgang mit Menschen mit Behinderung profitieren. Den Abschluss dieses Teils bildet ebenfalls eine Reflexion.
Des Weiteren besteht zwischen Teil 1 und Teil 2 eine Verknüpfung. Dinge, die in Teil 1 erarbeitet wurden sind für Teil 2 von großer Bedeutung.
Den Abschluss der Arbeit (Kapitel 7) bildet eine übergreifende Reflexion des gesamten Inklusionsgedankens. Auch auf Chancen, Probleme und die Möglichkeiten, die es zurzeit gibt, wird eingegangen. Zum Abschluss steht ein Fazit.
Teil 1: Warum Inklusion?
1. Inklusion
1.1. Behinderung
Behinderung wird definiert als Funktionsbeeinträchtigung, die einen Menschen in seinen Alltagsverrichtungen wesentlich einschränkt. Sie umfasst den körperlichen oder geistigen Bereich. “Behinderte“ ist als Sammelbegriff zu verstehen für Menschen und Merkmale, die als krank oder außerhalb der Norm stehend angesehen werden. Behindert ist also, wer von der Norm abweicht – ein regelwidriger Zustand – und wer dadurch unfähig ist, die Funktionen auszuüben, die zur gesellschaftlichen Eingliederung nötig sind. Behinderte entsprechen also nicht den Rollenerwartungen der Gesellschaft, sie leben ein defizitäres Menschsein.[2] Alle Menschen, die den oben beschriebenen Zustand aufweisen, fallen unter den Begriff „behindert“. Aber nicht nur das, vielmehr wird der Begriff ausgeweitet auf all jene, die diesen Zustand einmal gehabt haben oder von anderen Menschen als behindert angesehen werden. Vor allem die Aussage, nach der ein Mensch von anderen als behindert angesehen werden kann, regt zum Nachdenken über die Sicht unserer Gesellschaft an. Wenn ich an dieser Stelle an Jugendliche denke, um die es in meiner Arbeit ja geht, so muss ich also alle unter den Begriff „behindert“ zusammenfassen, die nicht genau den gesellschaftlichen Vorstellungen entsprechen. Da ist dann der Junge mit dem Sprachfehler, das sehbehinderte Mädchen, die lernbehinderte Jugendliche, die hochbegabte Jugendliche, der Junge mit einer anderen Muttersprache, der Junge mit Hörgeräten, der Jugendliche mit der Gehhilfe, das Mädchen mit Verhaltensauffälligkeiten, der Junge mit Down- Syndrom, das schwer mehrfach behinderte Mädchen.Ich könnte die Liste noch lange weiterführen.
Wie wird Behinderung von der Gesellschaft wahrgenommen? In unserer Gesellschaft sind negative Sichtweisen von Behinderung so verbreitet, dass die Diskriminierung schon gar nicht mehr auffällt! Menschen mit Behinderungen werden aus der Sichtweise des personenbezogenen, medizinisch normorientierten Behindertenbegriffes wahrgenommen. Menschen mit Behinderungen werden stigmatisiert, werden zu Opfern, bekommen die Rolle einer passiven Marionette zugewiesen. Sie sind entweder leidend oder heldenhaft. Es kann keine glücklichen oder zufriedenen Behinderten geben. Aufgrund dieser negativen Erwartungshaltung der Gesellschaft den Menschen mit Behinderungen gegenüber, haben diese kaum eine Chance, inmitten dieser Gesellschaft ein Leben wie Nichtbehinderte zu führen. Nein, es ist vielmehr so, dass im Namen einer „anderen“ Normalität bestimmten Menschen das elementare Menschenrecht auf Schutz ihres Lebens abgesprochen und abgestritten wird.
An dieser Stelle ist es wichtig festzustellen, dass ein Mensch mit einer Behinderung an erster Stelle ein Mensch ist! Daher die etwas umständliche Formulierung „Menschen mit Behinderungen“. An erster Stelle steht ein Mensch mit seinen Begabungen und seinen Grenzen, seinen glückenden oder misslingenden Lebensbeziehungen, mit Hoffnungen, Visionen, Träumen, mit Enttäuschungen und unerfüllten Wünschen. Diese Sichtweise schließt die Verallgemeinerung „die Behinderten“ aus. Der einzelne Mensch ist zu sehen, genau so, wie er eben ist, mit seinen Begabungen und seinen Grenzen. Ihm sollte unsere Gesellschaft die Möglichkeit zur Entfaltung seiner Individualität geben.
Wer oder was ist normal? Gibt es ihn wirklich, den normalen Menschen? Gibt es den unbeeinträchtigten Menschen, der im Vollbesitz seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten und seiner seelischen Belastbarkeit lebt, an dem wirklich alles dran ist, wirklich alles „funktioniert“? Nein, es gibt ihn nicht. Denn normal ist vielmehr, dass Menschen mit Beeinträchtigungen leben, aufgrund welcher Besonderheiten (körperliche, geistige, seelische, materielle) auch immer. Es ist normal, dass Menschen auf die Hilfe anderer angewiesen sind.[3] Es sind auch nicht die Besonderheiten, die Differenzen zwischen den verschiedenen Menschen, die uns Probleme machen. Es ist die Anerkennung oder Nichtanerkennung der von den gesellschaftlich formierten Normen abweichenden Differenzen. Die Anerkennung von nicht üblichen Differenzen ist ein ethisches Grundproblem, das für unsere Gesellschaft eine große Herausforderung darstellt.
1.2. Von der Integration zur Inklusion
Wieso wird seit ca. drei Jahren Inklusion in der Schule gefordert? Grund dafür ist die am 26. März 2009 in Deutschland in Kraft getretene Konvention der Vereinten Nationen über die „Rechte behinderter Menschen“. Bundestag und Bundesrat stimmten damals zu, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Inhalt dieser Konvention ist „lediglich“, dass für Menschen mit Behinderung dieselben Möglichkeiten und Rechte geschaffen werden wie für alle anderen Menschen.[4] In §24 der Behindertenrechtskonvention heißt es: „Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderung auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen […]“[5]. Das Ausschlaggebende dieses Artikels ist die einfache Botschaft, dass Schüler[6] mit Behinderung die gleiche Schule besuchen dürfen wie das Nachbarskind ohne Behinderung. Es entfällt also die Sonderschulpflicht, die bis dato für alle Schüler mit Behinderung galt.[7]
Um nun zu beschreiben, wie so eine inklusive Schule aussehen muss, greift Wocken auf das sogenannte „A4 Schema“ von Katherina Tomasevski zurück. Sie war von 1998-2004 UN-Sonderberichterstatterin zum „Recht auf Bildung“. Hiernach lassen sich vier Merkmale nennen: Die Verfügbarkeit, die Zugänglichkeit, die Akzeptierbarkeit und die Anpassungsfähigkeit. Unter Verfügbarkeit wird verstanden, dass jeder Schüler das Recht auf Bildung hat, da Bildung ein allgemeines Gut ist und dass eben dieses Recht frei verfügbar sein muss. Hieraus folgt, dass Bildung in Sonderschulen, die dort gezwungener Maßen stattfindet, diesem Gleichheitsgebot wiederspricht. Zugänglichkeit meint, dass Bildungseinrichtungen finanziell für alle erschwinglich sein müssen und außerdem zugänglich in dem Sinne, dass z. B. ein Rollstuhlfahrer auch in die Schule gehen kann, die seinem Wohnort am nächsten ist. Akzeptierbarkeit oder auch Angemessenheit bezieht sich auf die Form, den Inhalt und die Qualität der Bildung. Gemeint ist hier, dass der Unterricht mit allen Kindern gemeinsam stattfindet und jeder nach seinen individuellen Möglichkeiten gefördert wird. Außerdem sind die Unterrichtsgebäude so auszustatten, dass ein guter Unterricht und eine gemeinsame Bildung möglich sind. Die Anpassungsfähigkeit als letzter Punkt bezieht sich auf die Schule. Die Schule muss sich an ihre Schüler anpassen und nicht umgekehrt. Dies ist ebenfalls eine zentrale Aussage des Inklusionsgedankens.[8] Eine inklusive Schule setzt also eine systematische Veränderung des Schulwesens voraus. In diese Veränderung sind die Schulorganisation, die Lehrpläne, die Pädagogik, die Didaktik, die Methodik und die Lehrerausbildung mit einzubeziehen.[9] Auf diese notwendigen Veränderungen wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit eingegangen.
Als Vorreiter der Inklusion ist die Integration zu betrachten. In dieser Arbeit wird der Begriff der Integration speziell für die Arbeit mit Menschen mit Behinderung definiert. Der Begriff der Integration wird heute auch im Bereich der Migration vor allem in der Politik häufig verwendet (z.B. Integrationsminister). Da ich jedoch der Meinung bin, dass die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in der Schule schon sehr gut läuft, beschränke ich mich in meiner Arbeit auf die Integration von Menschen mit Behinderung. Im Lexikon finden sich zur Integration nur Erklärungen allgemeiner Art: „lat. »Wiederherstellen eines Ganzen« 1.) allg.: Herstellen einer Einheit, Eingliederung in ein größeres Ganzes. [..] 5.) Soziologie: Bez.1) für einen gesellschaftl. Prozess, der durch einen hohen Grad harmon., konfliktfreier Zueinanderordnung der versch. Elemente (Rollen, Gruppen, Organisationen) gekennzeichnet ist, sowie 2) für Prozesse der bewusstseinsmäßigen oder erzieher. Eingliederung von Personen und Gruppen in oder ihre Anpassung an allgemein verbindl. Wert- und Handlungsmuster [...]“[10]. Diese Erklärungen sind für die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen nicht hilfreich. Hier hat sich eine andere Definition entwickelt. „Integration – ein Wort, das eine Idee in sich trägt – die Idee vom Erhalt oder der Wiederherstellung gemeinsamer Lebens- und Lernumfelder behinderter und nichtbehinderter Menschen, um der Erweiterung der Entwicklungsmöglichkeiten aller willen.“[11] So definiert Feuser seine Vorstellung von Integration. Diese Meinung teilen die meisten an Integration Interessierten. Integration bedeutet somit im Realen:
- Menschen mit Behinderungen können an ihrer natürlichen Lebens- und Lernwelt teilhaben.
- Menschen mit Behinderungen werden in das gesellschaftliche Leben einbezogen, integriert.
- Menschen mit Behinderungen erhalten all jene besonderen Hilfen, die sie zur Erhaltung ihrer Gesundheit und ihrer Persönlichkeitsentwicklung benötigen.
- Menschen mit Behinderung erhalten Hilfe zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.[12]
Eine Definition von Inklusion für den Bereich der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen findet sich auch in keinem gängigen Lexikon. Der Begriff ist ein Importartikel aus dem Amerikanischen und wurde vor allem durch die Salamanca-Konferenz von 1994 international verbreitet. Allerdings auch hier ohne eine konkrete Definition. In den deutschen Übersetzungen der Konferenzdokumente wird Inklusion meist mit Integration übersetzt, sodass die Begriffe sich in Deutschland verwischten und vermischten und eigentlich nicht wahrgenommen oder höchstens mit Integration gleichgesetzt wurden.[13]
Sander versucht eine Definition in drei Stufen:
- Inklusion als Gleichsetzung von Inklusion mit Integration.
- Inklusion als optimierte Integration.
- Inklusion als absolute Gleichwertigkeit und Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen und Menschen ohne Behinderung.[14]
Der Inklusion wird folglich keine Zwei-Gruppen-Theorie zu Grunde gelegt, wie bei der Integration, wo ja eine Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen in eine Gruppe von „normalen“ Menschen stattfinden soll. Vielmehr geht die Inklusion von einem Miteinander unterschiedlicher Gruppen und Personen aus. Das Wesentliche beim Begriff Inklusion ist also: die Aufmerksamkeit gilt der ganzen Gruppe und nicht einzelnen Menschen mit Behinderungen. Diese gehören gedanklich schon immer mit dazu.
Eine andere Definition findet man in dem Bericht von Bintinger und Wilhelm. Für sie bedeutet Inklusion:
- Jeder Mensch ist als Mensch vollwertig. Diese Vollwertigkeit wird nicht abhängig gemacht von Leistungen, die ihn für die Gesellschaft als vollwertig erscheinen lassen.
- Jeder Mensch muss alle anderen Menschen als Gleichberechtigte anerkennen und hat gleichzeitig das Recht, ebenso anerkannt zu werden.
- Jeder Mensch ist auf menschliche Gemeinschaft mit Kommunikation und Zusammenarbeit angewiesen, um sich als Mensch entwickeln zu können.
- Jeder Mensch hat das Recht auf Teilhabe, Mitsein und Nicht-Aussonderung.
- Jeder Mensch handelt als Subjekt seines Lebens und Lernens kompetent.[15]
Diese Definition ist noch weitgehender und macht die Dimension deutlich, die Inklusion einfordert. Es sind die Grundbedürfnisse des Menschseins, die angesprochen werden. Denn inklusiv Denken bedeutet in diesem Sinne, wirklich in die tiefsten Schichten unseres Denkens und unserer Weltkonstruktion zu gehen. Dort müssen wir beginnen, in diesen Wurzeln unseres Denkens nach den Möglichkeiten suchen, wie wir die defizitäre Sichtweise von Menschen überwinden können. Ich schließe mich dieser Meinung an, denn sie macht meines Erachtens auch sehr deutlich, wie lange und wie schwer der Weg zu einer inklusiven Gesellschaft sein wird.
1.3. Vergleich Integration – Inklusion
Meint Integrationen nun dasselbe wie Inklusion oder geht dieser Begriff doch in eine andere Richtung? Ein kleiner Unterschied wurde bereits in dem einführenden Kapitel deutlich. Jedoch möchte ich nun auf diese Diskussion noch etwas genauer eingehen. In der Literatur findet man eine große Menge an Diskussionsmaterial darüber, in wie fern sich die Begriffe Integration und Inklusion nun wirklich unterscheiden oder ob sie eben doch im Endeffekt auf dasselbe hinaus laufen. Wocken spricht in diesem Fall teilweise schon von einem „Abgrenzungszwang“[16] der sich aus dieser Diskussion entwickelt hat. Nach Wocken gibt es vor allem drei Vorwürfe von der Inklusion an die Integration:
- „Die Zwei-Gruppen-Theorie“[17]: Diese geht davon aus, dass in der Integration zwei Gruppen von Menschen unterschieden werden. Behinderte und Nicht-Behinderte. Weitere Heterogenitätsdimensionen, wie beispielsweise Alter, Herkunft oder Geschlecht bleiben dieser Theorie zu Folge bei der Integration unbeachtet.
- „Die Assimilationstendenz“[18]: Sie besagt, die Integration versuche die Menschen mit Behinderung zu normalisieren.
- „Defizitäre Integrationspraxis“[19]: Dieser Vorwurf gegenüber der Integration unterstellt, dass sie „[…] vielfach verflacht, halbherzig, segregierend und kritikwürdig […]“[20] sei.
Betrachtet man diese Vorwürfe im Hinblick auf die Definition von Inklusion, so zeigt sich, dass die Inklusion sich selbst deutlich als etwas Besseres, Übergreifenderes sieht als die Integration. Blickt man jedoch genauer auf die Wurzeln und ursprünglichen Intentionen der Integration zurück, so lassen sich die genannten Unterschiede nur schwer bestätigen. Wocken bringt diese Sache folgendermaßen zum Ausdruck: „Die theoretischen Konzepte der Integration, so das Urteil, seien schon von Anbeginn an inklusiv gewesen, auf theoretischer Ebene gebe es keinerlei Korrektur-, Ergänzungs-, oder Nachholbedarf. Inklusion ist in mancher Hinsicht nicht eine Weiterentwicklung der Integration sondern eine »wichtige Rückbesinnung« auf ihre Ursprünge.“[21]
Ein sehr großer Unterschied zwischen der Inklusion und der Integration liegt darin, dass die Inklusion inzwischen durch Gesetze und Beschlüsse unterstützt ist. Diese Unterstützung hat der Integration schlicht gefehlt. Sie konnte somit gar nicht die Komplexität aufbauen, die der Inklusion nun theoretisch vorschwebt.
Integration und Inklusion miteinander zu vergleichen und zu bewerten ist nicht sinnvoll. Ähnlich dem technischen Fortschritt in unserer Gesellschaft kann Integration als Vorreiter der Inklusion betrachtet werden. Die Inklusion kann aus den Fehlern der Integration lernen und sich so verbessern. Es wird sich im Laufe der Zeit zeigen, ob sich die Wünsche und Vorstellungen der Inklusion besser umsetzen lassen und ob der Wandeln der Gesellschaft und vor allem der im Denken der Menschen vollzogen werden kann. Denn geschieht dies nicht, so sind alle Gesetzte macht- und erfolglos.
1.4. Aktueller Stand der inklusiven Schulen in Baden-Württemberg
In Baden-Württemberg sollen ab dem Schuljahr 2012/2013 Gemeinschaftsschulen entstehen. Gemeinschaftsschule bedeutet, dass alle Schüler gemeinsam unterrichtet werden. Die Leitgedanken dieses neuen Bildungssystems sind: Bildungschancen für alle Schüler zu schaffen, sie zu fördern, sie in ihrer Verschiedenheit anzuerkennen und ihnen, daraus resultierend, die Möglichkeiten zu geben, das bestmögliche Potenzial zu entfalten.[22] Es wird versucht, der Forderung der inklusiven Schule für Alle nachzukommen. Das Modell der Gemeinschaftsschule möchte ich nun etwas genauer ausführen.
Das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport formuliert folgende Ziele der Gemeinschaftsschule:
- „Durch ein Maximum an individuellem und einem Optimum an gemeinsamem Lernen entwickeln Kinder und Jugendliche Freude am Lernen.
- Jedes Kind bekommt die bestmögliche Förderung und erreicht den optimalen Schulabschluss. Das gilt auch für Kinder mit Behinderung.
- Menschliche Unterschiede werden als Bereicherung erlebt und stärken im schulischen Alltag das Verständnis von Demokratie.
- Herkunft und Bildungserfolg werden weitgehend entkoppelt.
- Mit den Eltern wird aktive Erziehungspartnerschaft gelebt.“[23]
Man erkennt in den hier formulierten Zielen deutlich die Bedingungen und Aufgaben der Inklusion, wie ich sie in Kapitel 1.2 beschrieben habe. Das pädagogische Konzept, welches hinter der Gemeinschaftschule steht, lässt sich folgendermaßen darstellen: die Gemeinschaftschule ist leistungsstark und sozial gerecht. Sie ist an dem Leistungsprinzip und der Chancengleichheit orientiert. Des Weiteren finden in ihr inklusive Bildungsprozesse statt. Es ist Ziel der Gemeinschaftschule alle Bildungsstandards anzubieten. Das pädagogische Konzept lässt sich noch dadurch erweitern, dass es ein Optimum am gemeinsamen Lernen mit einem Maximum an individuellen Lernprozessen verbindet. Die Gemeinschaftschule ist außerdem ein Lebens- und Erfahrungsraum für Schüler, in dem sie ihre Persönlichkeit entwickeln können.[24]
Die knappe Darstellung der Gemeinschaftschule zeigt deutlich, dass die Ziele und Intentionen, die dahinter stehen, auf eine inklusive Bildung zielen. Ab dem Schuljahr 2012/2013 werden nun 40 Schulen[25] den Versuch der Gemeinschaftschule wagen. Ich hoffe es wird ihnen gelingen, denn meiner Meinung nach ist zumindest das dahinter stehende theoretische Konzept eine vielversprechende Möglichkeit, der Forderung nach einer inklusiven Schule für alle Schüler nachzukommen. Ich werde es mit großer Aufmerksamkeit beobachten, in wie weit das Modell der Gemeinschaftsschule verwirklicht und umgesetzt wird.
Ich möchte an dieser Stelle noch ein paar kritische Gedanken zur Gemeinschaftschule äußern, denn hier gibt es meiner Meinung nach noch einiges zu klären. Es stellte sich in Gesprächen mit Lehrern heraus, dass ein sehr großes Problem der Gemeinschaftschulen im Moment noch das ist, dass es keine Richtlinien gibt. Modellschulen probieren sich aus und das Ergebnis, was nachher erzielt wird ist unsicher. Was mir an den Ausführungen der Gesamtschulen, die ich im Internet gefunden habe, gefehlt hat, sind konkrete Umsetzungsbeispiele. Klare pädagogische Konzeptionen fehlen. Für mich treten an dieser Stelle Probleme auf. Um nur einige zu nennen: Wie sieht es mit der Benotung aus? Hat das bisherige Benotungssystem in einer Gemeinschaftschule Zukunft? Wie wird die Versetzung in andere Klassen geregelt? Oder gibt es dies überhaupt noch? Es kann ja nicht sein, dass Schüler, die nicht einmal richtig lesen können versetzt werden (hiermit meine ich nun Schüler mit Behinderung), andere Schüler, die jedoch im Moment dem normalen Schulsystem angehören eine Klasse wiederholen müssen. Gibt es Klassen oder findet der Unterricht offen statt? Wie wird es mit der Bezahlung der Lehrer gehandhabt? Es kann nicht sein, dass alle Lehrer in einer Gemeinschaftschule dieselbe Arbeit tun, jedoch nach unterschiedlichen Lohngruppierungen bezahlt werden, wie es im Moment noch der Fall ist. Es zeigt sich schon an dieser knappen Auseinandersetzung mit der Theorie der Gemeinschaftschule ein breites Feld an Unklarheiten, die meiner Meinung nach beseitigt werden müssen.
Wie sich aus diesem Unterkapitel zur Situation der inklusiven Schulen in Baden-Württemberg herauslesen lässt, ist es im Moment so, dass es Inklusionsklassen noch gar nicht gibt. Es existieren zurzeit nur sogenannte Kooperationsklassen. Diese gehören vom Stamm her zu einer Sonderschule, stehen aber in enger Kooperation mit einer Grund- bzw. Haupt-/Werkrealschule. Man spricht von einer Intensiv-Kooperation in Form einer Außenklasse. Wie dieses Modell konkret aussieht, wird sich in Kapitel 3.2 zeigen. Hier beschreibe ich die Organisation der „Inklusion“ an der hier untersuchten Schule. Diese Schule ist ebenfalls „nur“ eine Kooperationsschule. Da es im Moment jedoch in Baden-Württemberg noch keine anderen Möglichkeiten gibt, habe ich mich für meine Arbeit auf dieses Modell bezogen. Genauere Ausführungen hierzu in Kapitel 3.2.
2. Theologie und Inklusion
In Kapitel 1.1 bin ich bereits auf die Sicht auf Menschen mit Behinderung eingegangen. Nun ist die Frage: Ist die Sicht auf Menschen mit Behinderung in der evangelischen Kirche anders? Aus meiner Sicht nein. Sie unterscheidet sich nicht wesentlich. Auch hier werden sie als außerhalb der Norm stehend betrachtet, ausgegrenzt. Oft fehlt der Mut, sich diesen Menschen zuzuwenden. Ich will hier kurz von einer Erfahrung meiner Eltern berichten: Sie hatten meinen Bruder im Heimatort zur Taufe angemeldet. Kurz vor dem Tauftermin wurde die Diagnose Down-Syndrom gestellt. Meine Mutter rief den Pfarrer an und erzählte ihm, dass sie sich im Augenblick nicht in der Lage fühlten, eine Taufe zu feiern. Sie hat nach diesem Anruf nie wieder etwas von diesem Pfarrer gehört.
Ich beziehe mich im folgenden ersten Teil des Kapitels (2.1-2.3) auf den Artikel „Inklusion und Anthropologie – Christlich-pädagogische Perspektiven“[26] von Manfred L. Pirner.
2.1. Der Mensch als Ebenbild Gottes
Die Aussage Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde in Genesis 1[27] ist „die entscheidende theologische Aussage über den Menschen, die ihn einerseits von allen anderen Geschöpfen unterscheidet […], ihn andererseits aber auch zu allen anderen Geschöpfen in Beziehung setzt […].[28] Es wird hier deutlich, dass der Mensch in einer besonderen Beziehung zu Gott steht. Nach Härle meint Ebenbild Gottes außerdem, dass der Mensch eine „gelebte Veranschaulichung, eine Darstellung, ja eine Verwirklichungsform des Wesen Gottes“[29], welches Liebe ist, ist. Des Weiteren ist nach Pirner festzuhalten, dass sich die Aussage „der Mensch als Ebenbild Gottes“ nicht etwa auf das Aussehen bezieht. Vielmehr ist hier eine Statusaufwertung des Menschen gegenüber anderen Lebewesen gemeint: die Würde. Nach dem Verständnis der Bibel werden alle Menschen mit dieser Würde Gottes versehen. Kranke, Menschen mit Behinderung, Schwache. Interessant ist, dass bereits im alten Israel anhand dieser Bibelstelle Gerechtigkeit und somit Gleichheit für alle Menschen gefordert wurde. Im weiteren Verlauf geht Pirner darauf ein, wie Menschen mit Behinderung in der Schöpfungstheologie zu verstehen sind. Er stellt die Frage, ob diese Menschen auch als Teil der guten Schöpfung angesehen werden können oder nicht. Er sieht hier zwei Möglichkeiten. Die erste wäre, die Menschen mit Behinderung als Vielfalt der Schöpfung anzusehen.[30] Dieser Aussage stimme ich zu. Ich denke jeder Mensch ist von Gott so gewollt, wie er auf die Welt kommt. Pirner´s zweiter Vorschlag ist es, die Gottesebenbildlichkeit des Menschen als eine noch einzulösende Bestimmung Gottes zu sehen. Die Schöpfung, wie sie heute stattfindet, ist dann nicht die gute Schöpfung. Die gute Schöpfung vollzieht sich demnach erst durch das Heilswirken Gottes.[31] Ich kann mich mit dieser Aussage nicht identifizieren. Dies würde bedeuten, dass die Menschen mit Behinderung eben doch keine vollen oder vollwertigen Menschen sind, sondern dass sie erst durch das Heilswirken dazu werden. Hierzu in Kapitel 2.4 eine ausführlichere Stellungnahme, in der auf das Thema „Heil“ noch einmal genauer eingegangen wird.
2.2. Der Mensch als fragmentarisches, fragiles Geschöpf
Der Mensch – wirklich ein gebrechliches, unvollständiges Wesen? Um diese Frage zu beantworten, muss die Aussage der Ebenbildlichkeit des Menschen genauer ausgeführt werden. In der Aussage ist meines Erachtens bereits die menschliche Fragmentarität und Fragilität enthalten, auf die nun eingegangen wird. Dies schließe ich daraus, dass der Mensch eben „nur“ ein Ebenbild Gottes und nicht Gott selbst ist. Er kann dieser Aussage zu folge also überhaupt nicht perfekt sein. Der Mensch ist ein unvollkommenes Ebenbild, welches sich von Gott unterscheidet. Des Weiteren beschreibt Pirner den Menschen als ein von Gott „entfremdetes und durch eine charakteristische Gebrochenheit gekennzeichnetes fragmentarisches Geschöpf“[32]. Von dieser Gebrochenheit sind alle Menschen betroffen, manche mehr, manche weniger. Das Problem ist, dass die meisten Menschen in unserer heutigen Gesellschaft nicht in der Lage sind, sich und ihre Schwächen und andere Menschen mit ihren Schwächen so zu akzeptieren, wie sie sind. Dies zeigt sich auch darin, dass viele Menschen einfach den Kontakt zu Menschen mit Behinderung meiden, allein aus dem Grund, da sie hier ihrer eigenen Fragilität gegenüber stehen und damit nicht umgehen können und deshalb aus Angst vor Menschen mit Behinderung zurückschrecken.
Ziel einer christlichen Bildung sollte es sein, allen Menschen zu vermitteln, dass es „völlig normal [ist], Defizite zu haben“[33] und dass diese Defizite vor der Ebenbildlichkeit Gottes gesehen werden und somit nicht mehr als schlimm gelten. Gott hat die Vielfalt der Menschen so gemacht und gewollt. Es sollte daher völlig normal sein, die Menschen so anzunehmen, wie sie sind. Das gelingt jedoch nur den Menschen, die sich selbst so annehmen können, wie sie sind. Des Weiteren muss auch vor der Fragilität des Menschen, vor der manche Menschen sehr große Angst zu haben scheinen, keine Angst gehabt werden. Auch dies ist so von Gott gewollt und ebenfalls als sein Ebenbild geltend.
2.3. Der Mensch als ergänzungsbedürftiges und -fähiges Geschöpf
Aus der Aussage in Kapitel 2.2, dass der Mensch ein fragiles, fragmentarisches Geschöpf ist, lässt sich die Überschrift dieses Kapitels herleiten. Wenn alle Menschen eben nicht perfekt sind, so sind demnach auch alle Menschen ergänzungsbedürftig und -fähig. Diese Aussage lässt sich nach Pirner ebenfalls aus der Schöpfungserzählung belegen. Gott schafft hier „Mann und Frau als einander ergänzend[e]“[34] Geschöpfe. Dieser Gedanke wird im 1. Petrusbrief und der Gemeindetheologie des Paulus noch deutlicher. Schon jeher waren alle Menschen in den christlichen Gemeinden willkommen unabhängig von Religion, Herkunft, Geschlecht oder Intelligenz. Jeder hat in den damaligen Gemeinden das gegeben, was er hat und kann. Es wurde somit eine gegenseitige Ergänzung gelebt.
Im 1. Korintherbrief spricht Paulus von einer ganzheitlichen Entwicklung bzw. Bildung. Diese Ganzheitlichkeit bezieht sich bei ihm auf die Gemeinde und nicht auf den Einzelnen. Überträgt man diese Aussage auf heute, so kann die Ganzheit des Menschen nur in der Gemeinschaft entstehen. Es macht daher „die Fähigkeit zur Selbstüberschreitung, zum Engagement für andere, und die Fähigkeit zur Selbstbegrenzung, zum Akzeptieren der eigenen Grenzen und Sich-zurücknehmen-können“[35] einen aus christlicher Sicht gebildeten Menschen aus. Jeder Mensch ist mit seinen Fähigkeiten dazu im Stande, etwas zur Gemeinschaft beizutragen. Des Weiteren ist die Gemeinschaft von großer Bedeutung: denn erst in der Gemeinschaft wird mir deutlich, dass alle Menschen unterschiedlich sind und jeder seine Stärken und Schwächen hat. Diese Fähigkeiten sollen in der Gemeinschaft genutzt werden, um kooperativ und ergänzend zusammenzuwirken. Jeder Mensch ist wertvoll und bereichert die Gemeinschaft mit seinem Dasein.
2.4. Gedanken zur Heil(ung) und Behinderung
Ich beziehe mich in diesem Kapitel auf den Artikel „»Und siehe, es war (nicht) sehr gut?!« Theologische Gedanken zu Heil(ung) und Behinderung“[36] von Christian Rose, der auf das bereits in Kapitel 2.1 Gesagte noch einmal mit einem anderen Blickwinkel zugeht.
Wir kennen die biblische Schöpfungsgeschichte. Auf den ersten Seiten der Bibel wird berichtet, wie Gott durch sein Wort die Erde und den Menschen erschaffen hat. Am Ende seines Schöpfungswerkes blickt Gott zurück und es heißt in Genesis 1,31: „Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut!“[37] Rose wirft hierzu Fragen auf: „Gilt er auch für Menschen mit Behinderung und mit Assistenzbedarf? Ist also der Mensch mit Behinderung ein mit seiner Behinderung von Gott gewolltes Geschöpf? Kann von ihm gesagt werden: „Und siehe, es ist sehr gut!“? Oder gilt dieser Satz nur für die gesunden, die starken und leistungsfähigen Menschen? Theologisch gefragt: Gilt Gottes Heil nur dem gesunden Menschen? Muss also ein Mensch erst geheilt werden, um Gottes Heil empfangen zu können?“[38] Auf diese Fragen kann im Verlauf des Kapitels anhand des Textes von Rose und einer genauen Untersuchung von biblischen Texten eine Antwort versucht werden. Ein Zwiespalt wurde ja bereits in Kapitel 2.1 deutlich.
Im Alten Testament findet man, wie in der gesamten Bibel das Wort Behinderung nicht, es ist ein „moderner“ Begriff.[39] Zeitgeschichtlich merkt Rose an, dass es damals eine sehr hohe Säuglingssterblichkeit und eine kurze Lebenserwartung gab. Kranke Kinder hatten keine Überlebenschancen, altersbedingte Beeinträchtigungen kamen praktisch nicht vor. Ein weiterer Unterschied liegt in den gesellschaftlichen Gegebenheiten der damaligen Zeit. Das Leben in Großfamilie und Sippe bot Menschen mit etwaigen Behinderungen einen Platz, sie lebten im Schutz der Familien und wurden nicht zu einem gesellschaftlichen Problem.[40] Doch nach Rose gibt es an vielen Stellen Begriffe, die das beschreiben, was wir heute unter Behinderung oder Krankheit verstehen. Es ist von Moses schwerer Zunge (Exodus 4,10-12), von Blinden, Lahmen (Jesaja 29,18; 32,3; 35,5f), Aussätzigen (Deuteronomium 24,8f; 2 Könige 5,1ff; Hiob 19,13-22) die Rede.[41] Auffällig ist hier der Zusammenhang, in dem von diesen Behinderungen/Krankheiten geredet wird. Es ist meist vom Willen Gottes die Rede. Gott hat die Menschen so geschaffen, mit diesen Unzulänglichkeiten und kann sie genau so gebrauchen, siehe vor allem bei Mose (vgl. Exodus 4,11).[42] Noch schwieriger fällt uns das Verständnis dafür, dass Krankheit als Strafe für Schuld angesehen wird. Es gibt unendlich viele Texte im Alten Testament, die diesen Zusammenhang von Krankheit und Sünde belegen. Krankheit wird verstanden als Strafe für sündiges Verhalten (Exodus 15,26; Numeri 12,9ff) oder als Zeichen der Prüfung Gottes (Buch Hiob). Diese Texte sind Zeugnis dafür, dass es einem Menschen nach seinem Tun ergeht. Ein unterbrochenes, defektes, zu weit entferntes Gottesverhältnis ist Ursache für körperliche Versehrtheit. Gott allein kann helfen. Ein heiles Gottesverhältnis ist die Voraussetzung für körperliche Unversehrtheit. Und Gott hilft, er wendet sich Mose zu, er rettet Hiob, er ist für alle Menschen da, egal, ob krank, behindert, entfernt von seiner Liebe oder ganz nah. Wenn wir dann schauen, wie sich die Menschen des Alten Testamentes die Heilung vorstellen, sehen wir, dass sie von der Sühnevorstellung ausgehen und aus der alttestamentlichen Vorstellung von Sühne und Vergebung Heilung erwarten. Der Mensch tut Buße, bekennt seine Sünden, unterzieht sich verschiedenen Riten und erwartet dadurch Heilung von Gott.[43] Es handelt sich hierbei „in erster Linie um innerweltliche Zusammenhänge[…]“[44].
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Inklusion im Alten Testament sich auf den gleichen Ursprung aller Menschen als Gottes Geschöpfe beruft und in Gottes gleichwertigem Umgang und Zuwendung zu allen Menschen. Dies unterstreicht die Stelle in Exodus 4,11, wo Gott Mose klarmacht, dass er ihn geschaffen hat, so wie er ist.
Zurzeit Jesu hatte sich die Gesellschaft verändert. Rose beschreibt, dass die Menschen nun unter der Herrschaft der Römer lebten, es gab Spannungen zwischen den Bevölkerungsschichten, zwischen der Land- und Stadtbevölkerung, zwischen der jüdischen und der hellenistischen Tradition und Kultur. In dieser gesellschaftlich und religiös angespannten Lage bekommt die Not der Menschen und insbesondere die Not der Menschen mit Behinderungen eine neue Wertigkeit. Es gibt viele verarmte Bürger, viele Ausgestoßene. Die Großfamilien können ihrer früheren Sorgfalt im Bezug auf schwache und kranke Angehörige nicht mehr ganz nachkommen. Die Menschen mit Behinderungen können nicht mehr integriert werden, sie werden zum sozialen Problem.[45] In welchem Zusammenhang spricht nun das Neue Testament von diesen Krankheiten/Behinderungen? Einerseits steht nach Rose noch die Strafe Gottes für vom Menschen verschuldetes Vergehen von Schriftgelehrten und Pharisäern im Blick, doch auf der anderen Seite treten die Dämonen verstärkt in den Mittelpunkt. Dämonen schädigen den Menschen, oft wird genau das Organ geschädigt, das gesündigt hat. Doch dieser Punkt ist nicht der entscheidende.[46] Für uns Christen ist nach Rose die Frage entscheidend, wie Jesus mit den Krankheiten/Behinderungen umging. Jesus heilte Kranke, Menschen mit Behinderungen, er trieb Dämonen aus. Die Frage, ob Jesus Krankheit und Behinderung mit Dämonen in Verbindung bringt, stellt sich nicht. Ich sehe auch die von Dämonen befallenen Menschen als krank, die Dämonenaustreibung als eine Heilungstat, eine Heilung von einer geistigen Beeinträchtigung. Doch was war Jesu Beweggrund? Sieht er einen Zusammenhang zwischen Krankheit/Behinderung und Sünde, so wie viele „gläubige“ Christen noch heute?[47] Ich möchte an dieser Stelle zwei Geschichten aus dem Neuen Testament kurz vorstellen, die meine Sicht von Behinderung unterstreichen. Zum Ersten die Heilung des Gelähmten in Markus 2,1-12. Ich folge bei der Auslegung dieser Geschichte Bach. Er sagt, dass die Behinderung dieses Mannes nicht die Folge oder die Strafe für eine Sünde ist. Nein, dem Gelähmten fehlt nichts, er ist, mit seiner Behinderung im Frieden mit Gott. Wieso er geheilt wird? Die Heilung hat ihre Ursache nicht darin, dass dem Gelähmten etwas fehlt, nein, den anderen, den Umstehenden, fehlt etwas: Sie glauben nicht an die Vollmacht Jesu, Sünden vergeben zu können.[48] Zum Zweiten die Heilung des Blindgeborenen aus Johannes 9,1-4. Diese Textstelle zeigt nach Rose ganz deutlich, dass Gott in diesem Menschen, in allen Menschen, seine Werke offenbaren will. Gottes Werke, die so wunderbar sind, die uns zeigen sollen, es gibt keinen Zusammenhang dieser Werke mit Schuld oder Sünde.[49]
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass im Neuen Testament Inklusion als etwas Selbstverständliches angesehen wurde. Jesus geht mit den besonderen Menschen um wie mit allen anderen auch. Er zeigt uns sogar hierdurch: wer in seiner Nachfolge leben möchte, ist dazu aufgefordert ja sogar dazu verpflichtet, sich Menschen mit Behinderung zuzuwenden, sie zu unterstützen und sie so hinzunehmen wie sie sind.
2.5. Leben ist kostbar von Anfang an – Recht auf Leben für alle Menschen
Ich beziehe mich in diesem Kapitel auf das Kapitel „Leben“ aus dem Buch „Leben ist kostbar. Wider der Tyrannei gelingenden Lebens“[50] von Gunda Schneider-Flume.
Gott schenkt Leben, er hat uns die Gabe des Lebens anvertraut. Nicht als Fluch, sondern als Segen (Deuteronomium 30,19). So gegeben ist unser Leben nach Schneider-Flume gleichzeitig Teilnahme an der Geschichte Gottes. Dies aber bedeutet, dass es nicht nur ein eigenes, individuelles Leben ist, sondern von Anfang an besteht eine Beziehung zu Gott, unserem Geber, und zur gesamten Schöpfung, zu unseren Mitmenschen. Aus Gottes Sicht ist Leben bedingungslos gut, kostbar.[51] Und wenn wir an Gott glauben und unser Leben als Gabe Gottes sehen, so sehen wir nach Schneider-Flume deutlich, dass uns damit auch die Verfügung über das Leben entzogen ist, dass eine Endlichkeit und Begrenztheit entsteht und wir diese eingestehen müssen (Psalm 90,9-12). Gott setzt auf die Beziehung, Glaube ist Beziehung und dies macht das Leben so kostbar und unvergleichlich (Psalm 73,25ff; Psalm 64,4). Schneider-Flume äußert jedoch, dass sich der moderne Mensch damit schlecht identifizieren kann. Er will Selbstbestimmung, nicht Sich-Verlassen auf etwas nicht Greifbares, er will sich selbst Grenzen setzen, nicht Begrenztheit von außen erfahren. Der Mensch will selbst Bedingungen setzen, unter denen Leben lebenswert, annehmbar und würdig ist. Darunter versteht die heutige Gesellschaft Aktivität, Produktivität, Attraktivität. Leben, das dieser Eigenschaften entbehrt, gilt als wertlos, sinnlos.[52]
Wenn gewisse Lebensbedingungen nicht erfüllt sind, dann ist es kein Leben, dann wird das Recht auf Leben abgesprochen. Die organisierte Isolierung des sinnlosen Lebens entspricht ganz dieser gesellschaftlichen Denkweise. Alte Menschen werden in Heimen, Sterbende in den Kliniken in speziellen Zimmern und Behinderte in entsprechenden Einrichtungen untergebracht. Christliches Lebensverständnis orientiert sich an anderen Maßstäben, es legt nicht solche Bedingungen fest. Christliches Lebensverständnis stellt die Beziehung zu Gott, der Quelle des Lebens in den Mittelpunkt. Und dieses Leben lässt sich nicht mit einer Einheitsformel fassen, es hat vieldeutige Bestimmungen und viele Perspektiven. Menschliches Leben ist ein absoluter Wert. Es lässt sich nicht an Lebenserwartung, Gesundheitszustand oder Nutzen für die Gesellschaft messen.
Reflexion: Warum Inklusion?
Warum Inklusion wichtig und nötig ist lässt sich zum einen auf die gesetzliche Grundlage zurückführen, die in Kapitel 1 beschrieben wurde, wie auch auf die christlichen Werte. Hierfür hat Kapitel 2 meinem Erachten nach eindeutig gezeigt, dass Inklusion aus theologischer Sicht eine Pflicht ist. Dies muss jedem Christ bewusst sein, und es muss ihm sicherlich immer wieder in das Bewusstsein gerufen werden. Besonders wichtig ist es, dies im Religionsunterricht zu vermitteln, da dieser oft der einzige Ort ist, an dem den Schülern religiöse Werte vorgelebt werden. Ihr Handeln und Denken ist in der Schulzeit außerdem noch formbar. Diesen Vorteil sollten wir Religionspädagogen uns bewusst machen und ihn nutzen. Ebenfalls gilt es den theologischen Gedanken der Inklusion in die Kirchengemeinden zu tragen.
Aus meiner Sicht kann heute in Deutschland nur von Inklusion gesprochen werden, sofern sie mit Integration gleichgesetzt wird. Es ist Fakt, dass in der deutschen Gesellschaft und Schule Menschen behindert werden, Menschen mit Behinderungen ausgegrenzt sind, diskriminiert werden. Menschen mit Behinderungen kommen in allen Bereichen und bei allen Angeboten von außen dazu, sprich, sie können nur integriert werden. Inklusion dagegen würde bedeuten, dass alle bereits in gleicher Weise dazu gehören und davon sind sowohl Gesellschaft als auch Kirche in Deutschland noch weit entfernt. Wir können nur Schritt für Schritt versuchen, die Menschen mit Behinderungen wieder in die Gesellschaft einzugliedern, also zu integrieren. Unser Ziel muss es aber sein, dass sich Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit und ohne Behinderungen begegnen und miteinander auf den unterschiedlichsten Ebenen lernen. Es muss „normal“ sein, Menschen mit Behinderung an seiner Seite zu haben. Hierzu müssen sich die Denk- und Sichtweisen der Gesellschaft wandeln. Dabei können sich die verschiedenen Kompetenzen der Einzelnen entwickeln und sie erfahren Vertrautheit und Abhängigkeit Aller von Allen. Zur Inklusion ist unsere derzeitige Gesellschaft meines Erachtens noch nicht fähig. Und nur wenn die gesellschaftlich vorgegebenen Vorstellungen von Stärke und Schwäche, von Intelligenz und geistiger Behinderung, wenn die herrschenden ästhetischen Werturteile durch eigene Erfahrungen durchkreuzt oder wenigstens hinterfragbar werden, dann besteht eine gewisse Chance, dass unter solchen Einflüssen heranwachsende Generationen lernen können, Solidarität zu praktizieren. So hart dieses Urteil nun klingen mag, muss es für uns Menschen zur Pflicht werden Inklusion zu verankern.
Teil 2: Ist inklusiver Unterricht in der Werkrealschule möglich?
3. Inklusion im Religionsunterricht der Werkrealschule – Institutionelle Voraussetzungen
3.1. Theoretisch
Hier sind an erste Stelle Voraussetzungen seitens der Schule wichtig. Im Jahr 2002 wurde von Booth und Ainscow ein Index für Inklusion formuliert. Dieser Index enthält weltweit erprobte Anregungen und erprobtes Material, das Schulen auf dem Weg zur Inklusion unterstützen soll und ihnen Anregungen zur Weiterarbeit oder Evaluation bietet. Der Index besteht aus 560 Fragen, auf die jedoch keine Antworten gegeben werden. Dies ist dadurch begründet, dass die Autoren davon ausgehen, dass keine Schule das ganze Potenzial nutzen kann und durch diesen Aufbau außerdem eine Art Ideensammlung entsteht, in der sich jede Schule wiederfindet und sich dann individuell darauf einlassen kann, um ihre eigenen Potenziale zu entfalten. Der Index beschreibt drei Dimensionen, die wiederum zwei Unterpunkte enthalten. Es ist sicherlich einleuchtend, dass die Dimensionen auch immer Auswirkungen untereinander haben, jedoch sind sie eine sinnvolle Systematik bei der Suche nach anregenden, weiterführenden Ansätzen.[53]
- „Dimension A: Inklusive Kulturen schaffen. Das meint: Gemeinschaft bilden und inklusive Werte verankern“[54]
Dimension A beinhaltet die Aufforderung, dass Gemeinschaften geschaffen werden, in denen jeder so akzeptiert und angenommen wird, wie er ist. Es soll eine anregende Gemeinschaft entstehen, zu der jeder, der an ihr teilhat, etwas beitragen kann und mit seinem Beitrag auch ernstgenommen und anerkannt wird. Ziel ist es so, bestmögliche Leistungen zu erzielen. Wichtig ist es außerdem, dass jedem, der neu in die Kultur eintritt, diese Werte und die Gemeinschaft vermittelt werden.
- „Dimension B: Inklusive Strukturen etablieren. Das meint: Eine Schule für Alle entwickeln und Unterstützung für Vielfalt organisieren“[55]
Dimension B beschäftigt sich mit der Etablierung der inklusiven Strukturen in der Schule. Es steht hier an erster Stelle, dass Inklusion als zentraler Aspekt der weiteren Schulentwicklung festgehalten wird. Dies muss an alle Strukturen der Schule durchsickern. Es ist außerdem wichtig, alle Unterstützungsmöglichkeiten zusammen zu tragen und sie dann vom Blick der Schüler aus bestmöglich für sie zu gestalten.
- „Dimension C: Inklusive Praktiken entwickeln. Das meint: Lernarrangements organisieren und Ressourcen mobilisieren“[56]
Dimension C steigt in die Unterrichtspraxis ein. Es werden Lernarrangements entwickelt, die für alle Schüler von Vorteil sind und sie in ihrem Lernen vorantreiben. Das gemeinsame Lernen an gemeinsamen Gegenständen soll gefördert und unterstützt werden. Es werden hierzu Ressourcen aller Art mobilisiert. Zu nennen wären beispielsweise Eltern oder aktive Mitglieder aus Vereinen oder der Gemeinde.
Es wurde bereits deutlich, was die Schule leisten muss. Dies lässt sich auf die Lehrer, Eltern und Schüler übertragen. Alle, die an einem Inklusionsprojekt mitarbeiten, müssen voll dahinter stehen und es unterstützen. Nur so ist gewährleistet, dass eine Gemeinschaft entsteht, in dem gegenseitigen Vertrauen herrscht und die inklusiv gestaltet ist, wie es in den Dimensionen gefordert wird. Ängste, Sorgen, Erwartungen und Wünsche müssen im Voraus angesprochen werden. Ängste können insbesondere durch die in Kapitel 2.2 genannten Aspekte entstehen. Auch im Verlauf der inklusiven Arbeit steht eine gute Kommunikation an erster Stelle. Probleme und Wünsche müssen stets sofort angesprochen werden und es muss versucht werden, gemeinsam Lösungen zu finden. In einer inklusiven Schule gibt es keine Einzelkämpfer mehr. Alle bilden eine große Gemeinschaft, die hinter dem Zukunftsprojekt steht.
Es lässt sich abschließend festhalten, dass die Teamarbeit eine der wichtigsten Voraussetzungen ist, damit Inklusion in den Schulen funktionieren kann. Mit ihr steht und fällt die ganze Sache. Dies lässt sich auch aus der Arbeitsgrundlage der Karl-Georg-Haldenwang-Schule (siehe Anhang S. XXX) erkennen. Des Weiteren müssen alle Beteiligten voll und ganz hinter der Aktion stehen, sie unterstützen und fördern. Es muss gemeinsam gearbeitet, reflektiert und verbessert bzw. optimiert werden. Nur so ist es möglich, inklusiven Unterricht zu gestalten und eine Schule zu entwickeln, in der inklusive Kulturen verankert sind.
3.2. Praktisch
In diesem Unterkapitel werde ich auf die Situation der „Inklusion“ an der … Schule eingehen. Hierbei werde ich versuchen, die eben genannten theoretischen Voraussetzungen zu überprüfen. Das Kapitel ist so aufgebaut, dass ich zuerst in der gesamten Schule beginne, anschließend auf die Kooperationsklasse und abschließend auf die inklusive Religionsklasse[57], in der ich unterrichtet habe, eingehe.
3.2.1. Die untersuchte Schule
Die … Schule liegt in …. …. ist eine Kleinstadt mit ca. „45.500“[58] Einwohnern im Landkreis ….. Die Schule liegt im östlichen …, im Stadtteil ….. Da …. insgesamt über „13 Schulen“[59] verfügt, stammen die meisten Schüler der ….Schule aus der Umgebung und erreichen somit die Schule zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Die Schüler mit Behinderung dieser Klasse stammen aus dem ganzen … und werden mit einem separaten Bus zur Schule gebracht. Drei Schüler, die nahe wohnen, fahren jedoch selbstständig mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
Die ….Schule besteht aus einem großen Gebäude, in dem sich das gesamte Schulleben abspielt. Sie ist gegliedert in eine Grund- und Werkrealschule. Im Moment sind dort ca. 50 Lehrer beschäftigt, die rund 450 Schüler auf 23 Klassen verteilt unterrichten.
Seit dem Schuljahr … befindet sich in der …Schule eine Kooperationsklasse der … Schule. Diese Schulen haben als Grundlage der Integration eine Arbeitsgrundlage, die auf der Basis 17-jähriger Kooperationserfahrung beruht und von der … Schule zusammengestellt wurde (siehe Anhang S. XXVI). Diese spiegelt sehr gut den Index aus Kapitel 3.1 wider. Hier wird außerdem auch noch auf unterrichtliche Prinzipien eingegangen. Die ….Schule und damit alle Kollegen stehen hinter dem Projekt der Integration. Es wurden die nötigen Räume, Materialien und Lehrer bereitgestellt. So hat die Klasse zwei Klassenräume direkt nebeneinander und der Unterricht findet meist in Doppelbesetzung statt. Der Index, wie er von Booth und Ainscow gefordert wird und außerdem auch nötig ist, wird gut umgesetzt und eingehalten. Dies wurde über die Arbeitsgrundlage erreicht.
3.2.2. Die Kooperationsklasse
Die Kooperationsklasse besteht aus 23 Schülern. Davon sind sechs Schüler mit Behinderung einbegriffen. Die Schüler ohne Behinderung werden als „Auli´s“ und die Schüler mit Behinderung als „Kali´s“ bezeichnet. Die Klasse entstand zu Beginn des 5. Schuljahres neu. Zuvor waren die Schüler mit Behinderung an der …Schule in …. Da diese jedoch lediglich eine Grundschule ist, wurde ein Übergang an die ….Schule geschaffen. Zu Beginn und während des 5. Schuljahres verlief alles weitgehend gut. Die Schüler fanden meist spielerisch zusammen und akzeptierten sich so wie sie sind. Zu Beginn des Projektes, vor eineinhalb Jahren, bestand das Lehrerteam aus zwei Personen: Einer Werkrealschullehrerin und einer Sonderschullehrerin. Dies ist eigentlich ideal, da so viel Unterricht bei den gleichen Lehrern stattfindet. Dies ist für eine Kooperationsklasse wichtig. Jedoch kam es im Laufe der Zeit zu einer starken Überforderung der Werkrealschullehrerin, daher wurden zwei weitere Lehrer mit in das Team geholt, um für Entlastung zu sorgen. Wie es zu dieser Überforderung kommen konnte, dazu eine kurze Erklärung. Die Rolle des inklusiven Lehrers ist nicht mehr mit der Rolle des Lehrers, die wir im heutigen Unterricht sehr oft erleben, zu vergleichen. Hiermit kam die Klassenlehrerin der „Auli´s“, die eben erst aus dem Referendariat in den Schulbetrieb überging, nicht klar. Es muss bei einem inklusiven Lehrer von einer veränderten Lehrerrolle gesprochen werden. Es wird nicht mehr sortiert und dann gefördert, sondern der Lehrer muss alle Schüler willkommen heißen und allen eine Bildung, die den jeweiligen Möglichkeiten entspricht, ermöglichen.[60] Der inklusive Lehrer ist also ein Manager des Unterrichtsgeschehens, ein Architekt, der Lernlandschaften konstruiert und als Berater die Schüler bei ihrem Lernprozess begleitet. Seine Haupttätigkeiten liegen nicht mehr im Unterrichthalten selbst, sondern liegen in der differenzierten und ausgeklügelten Vorbereitung, die nicht während der Unterrichtsstunde stattfindet. Es gilt zu organisieren, welche Helfer und Mittler den Unterricht mitgestalten können. An dieser Stelle wird meiner Meinung nach deutlich, dass es in Zukunft auch in der Arbeitsplanung eines Lehrers zur Umstrukturierung kommen muss. Die Unterrichtsvorbereitung ist aufwendiger und zeitintensiver. Wird es hier nicht einen Wandel geben, der sich von oben vollzieht, so ist dies nicht möglich. Ein Vorschlag hierfür wäre mehr Vorbereitungszeit für den Unterricht einzuplanen. Ein weiteres Merkmal eines inklusiven Lehrers ist, dass er an den Lernwillen der Schüler glaubt. Sicherlich sollte dies jeder Lehrer auch bereits heute tun, jedoch ist es im Hinblick auf das inklusive Lernen eine wichtige Voraussetzung. Die Schüler haben einen eigenen Wachstumswillen, der in ihnen schlummert. Diesen gilt es zu wecken, zu unterstützen und auszubauen.[61] Des Weiteren sind die Lehrer, so war es in diesem Fall auch, oft nicht richtig und nicht gut auf ihre veränderte Aufgabe vorbereitet. Hierzu werde ich mich in der abschließenden übergreifenden Reflektion kritisch äußern.
[...]
[1] Mitscha-Eibl (2000)
[2] Vgl. Kriechbaum (1996), S. 55
[3] Vgl. Grewel (1994), S. 13
[4] Vgl. Wocken (2011), S. 91
[5] UN-Behindertenrechtskonvention (2009), S.35
[6] Ich werde mich in meiner Arbeit darauf beschränken immer nur den männlichen Teil zu formulieren. Es sind jedoch beide Geschlechter in gleichwertiger Weise gemeint.
[7] Vgl. Wocken (2011), S. 92
[8] Vgl. Wocken (2011), S. 93-94
[9] Vgl. Klauß (2010), S.282
[10] Meyers Grosses Taschenlexikon (2003), S. 3299
[11] Feuser (1996)
[12] Vgl. Feuser (1996)
[13] Vgl. Sander (2004), S. 11
[14] Vgl. Sander (2004), S. 11
[15] Vgl. Bintinger (2001), S. 5
[16] Wocken (2011), S. 61
[17] Wocken (2011), S. 61
[18] Wocken (2011), S. 61
[19] Wocken (2011), S. 61
[20] Wocken (2011), S. 61
[21] Wocken (2011), S. 63
[22] Vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport I
[23] Ministerium für Kultus, Jugend und Sport II
[24] Vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport III
[25] Vgl. Allgöwer (2012)
[26] Pirner (2011), S. 155-167
[27] Diese und die im Folgenden der Arbeit genannten Bibelstellen beziehen sich auf die Zürcher Bibel
[28] Härle (2007), S. 434
[29] Härle (2007), S. 436
[30] Vgl. Pirner (2011), S. 158-159
[31] Vgl. Pirner (2011), S. 159
[32] Pirner (2011), S. 160
[33] Hermann (2006), S. 268
[34] Pirner (2011), S. 162
[35] Pirner (2011), S. 163
[36] Rose (2005), S. 88-104
[37] Zürcher Bibel
[38] Rose (2005), S. 90
[39] Vgl. Rose (2005), S. 93
[40] Vgl. Rose (2005), S. 95-96
[41] Vgl. Rose (2005), S. 93
[42] Vgl. Rose (2005), S. 93
[43] Vgl. Rose (2005), S. 94-95
[44] Rose (2005), S. 95
[45] Vgl. Rose (2005), S. 96
[46] Vgl. Rose (2005), S. 96
[47] Vgl. Rose (2005), S. 97-98
[48] Vgl. Bach (1991), S. 83-90
[49] Vgl. Rose (2005), S. 99
[50] Vgl. Schneider-Flume (2002)
[51] Vgl. Schneider-Flume (2002), S. 21
[52] Vgl. Schneider-Flume (2002), S. 25-27
[53] Vgl. Hinz I (2010), S. 67
[54] Hinz II (2010), S. 12
[55] Hinz II (2010), S. 12
[56] Hinz II (2010), S. 12
[57] Ich spreche an dieser Stelle und im weiteren Verlauf der Arbeit von inklusiver Religionsklasse, da diese Zusammensetzung der Klasse, wie auch der Ablauf des Unterrichtsgeschehens in meinen Augen inklusiv abläuft. Dass es eigentlich noch keine inklusiven Klassen gibt wurde bereits in Kapitel 1.4 deutlich. Es müsste eigentlich von Kooperationsklasse gesprochen werden.
[58] Kreisgebiet Böblingen: Leonberg
[59] Stadt Leonberg
[60] Vgl. Klauß (2010), S.285
[61] Vgl. Wocken (2011), S. 185-186
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