In der Arbeit geht es um den Umgang mit Tätern nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur am Beispiel von August Wilhelm Reinartz während der Majdanek-Prozesse. Im Mittelpunkt steht die Forschungsfrage, inwiefern die Täter nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes zur Rechenschaft gezogen wurden. Hierfür wurden original Quellen aus der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslager Majdanek genutzt.
Zunächst werden die Majdanek-Prozesse im Allgemeinen beschrieben. Anschließend folgt die Biografie des, in diesem Prozess angeklagten, August Wilhelm Reinartz, um ein allgemeines Verständnis über die Thematik entwickeln zu können. Dafür setzt sich der Autor mit den Ereignissen vom 3. und 4. November 1943, die mit dem Decknamen "Aktion Erntefest" betitelt worden sind, auseinander. Umfassend wird das Gerichtsverfahren gegen August Wilhelm Reinartz im polnischen Majdanek-Prozess und die darin getätigten Zeugenaussagen aufgeführt sowie die Urteile der Düsseldorfer Majdanek-Prozesse. Im Anschluss daran werden kritische Positionen zum Düsseldorfer Majdanek-Prozess thematisiert.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2.1 Die polnischen Majdanek-Prozesse
2.2 Der Düsseldorfer Majdanek-Prozess
3.1 Biografie
3.2 Beteiligung an der „Aktion Erntefest"
3.3.1 Verurteilung vor dem Lubliner Kriegsgericht
3.3.2 Freispruch im Düsseldorfer Majdanek-Prozess
4. Kritische Aussagen von Johannes Rau zum Majdanek-Prozess
5. Schlussbetrachtung
6. Literatur-/Quellenverzeichnis
1. Einleitung
In der vorliegenden Arbeit geht es um den Umgang mit Tätern nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur am Beispiel August Wilhelm Reinartz' während der Majdanek-Prozesse. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die Forschungsfrage, inwiefern die Täter nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes zur Rechenschaft gezogen wurden. Diese Problematik ist von besonderem Interesse, weil die Folgen des nationalsozialistischen Regimes bis heute nicht an Relevanz verloren haben. Es ist das Ziel der Arbeit, die Urteile gegen die Täter des nationalsozialistischen Regimes am Beispiel des SS-Unterscharführers1 August Wilhelm Reinartz zu untersuchen, dabei werde ich neben der Schuld aus der juristischen Sicht, auch die moralische Schuld, während des Verfahrens heraus kristallisieren und an seinem Beispiel ermitteln, wie die Strafverfolgung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechern und deren Verurteilungen abgelaufen sind und herausarbeiten, ob die moralische Schuld im Gericht aufgegriffen wurde. Außerdem soll mit dieser Arbeit ein Beitrag dazu geleistet werden, zu verstehen, wie und ob die Ereignisse durch dieses Verfahren geklärt wurden. Darüber hinaus besteht auch ein persönliches Interesse an dem Verfahren gegen August Wilhelm Reinartz, da die Zeugen ihn allgemein als einen „guten Menschen“ beschrieben, was widersprüchlich zu dem Verhalten der anderen SS-Männer ist, weil diese eher ein brutaleres Vorgehen gegen die Häftlinge bevorzugten.
Zur Beantwortung der angebrachten Forschungsfrage wird in dieser Arbeit wie folgt vorgegangen: Zunächst werden die Majdanek-Prozesse im Allgemeinen beschrieben und anschließend folgt die Biografie des in diesem Prozess Angeklagten August Wilhelm Reinartz, um ein allgemeines Verständnis über die Thematik entwickeln zu können. Dafür werde ich mich mit den Ereignissen vom 3. und 4. November 1943, die mit dem Decknamen „Aktion Erntefest“ betitelt worden sind, auseinander setzten, um ein Basiswissen zu schaffen. Dies soll dazu beitragen, dass einige Tatbestände August Wilhelm Reinartz' in den Majdanek-Prozessen verständlich sind. Umfassend werden das Gerichtsverfahren gegen August Wilhelm Reinartz im polnischen Majdanek-Prozess und die darin getätigten Zeugenaussagen aufgeführt, sowie die Urteile der Düsseldorfer Majdanek-Prozesse. Im Anschluss daran werde ich mich mit kritischen Positionen zum Düsseldorfer Majdanek-Prozess auseinandersetzen. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der gesammelten Erkenntnisse ab. Schlussendlich stelle ich, mit Hilfe dieser Erkenntnisse einen Bezug zu meinem Aufenthalt im Konzentrationslager Majdanek auf.
2.1 Die polnischen Majdanek-Prozesse
Der erste polnische Majdanek-Prozess fand im Zeitraum vom 27. November bis zum 2. Dezember 1944, noch vor Kriegsende statt.2 Dieser Prozess wurde von dem in Lublin installiertem Sonderstrafgericht vom 12. September 1944 geführt und fand gegen ,,[...] vier rangniedrige Wachmänner und zwei Kapos des KZ-Lublin-Majdanek“3 statt. Es war ,,[...] der erste Prozess wegen nationalsozialistischer Verbrechen in Polen und gleichzeitig eines der ersten Verfahren gegen NS-Kriegsverbrecher überhaupt“.4 Die Angeklagten waren der SS-Ober- sturmführer Anton Ternes, der SS-Schütze Hermann Vogel, der SS-Hauptscharführer Wilhelm Gerstenmeier, der SS-Rottenführer Theodor Schöllen und die beiden Funktionshäftlinge Heinz Stalp und Edmund Pohlmann.5 Mit diesem Verfahren und der Einrichtung des Sonderstrafgerichts versuchte die damalige Regierung eine „strafrechtliche Normalität“ wiederherzustellen.6 Der Gerichtshof bestand ,,[...] aus dem Vorsitzenden, Richter Bohdan Zem- brzuski, und zwei Schöffen7 - einer Frau und einem Mann [und] als Ankläger agierten die Staatsanwälte Neryk Ciesluk und Dr, Jerzy Sawicki“.8 Das Gericht orientierte sich an der PKWN9 vorgegebenen juristischen Grundlage, dem sogenannten „Augustdekret“, welches auch als „Dekret über das Strafmaß für die hitlerfaschistischen Verbrecher, die der Tötung und Misshandlung von Zivilbevölkerung und Kriegsgefangenen schuldig sind, sowie für die Verräter der polnischen Nation“ bezeichnet wird.10 Diese sah für viele Delikte die Todesstrafe vor, welche auch von der Bevölkerung die ,,[...] [durch] Rachegefühle und dem Wunsch nach harter Bestrafung der deutschen Verbrecher und ihrer einheimischen Helfershelfer“11 gefordert wurde. Der leitende Gerichtshof setzte mit der Einhaltung der rechtsstaatlichen Verführungsregeln den Grundstein, für Gerichtsverfahren gegen Nationalsozialistischen Verbrechen.12
Der Augenzeuge Edmund Dimitrów, beschrieb in seinem im Jahre 1980 veröffentlichten Buch den Vorabend des Prozesses und schilderte, dass „die Angeklagten [...] auf dem Weg zum Gericht beinahe gelyncht worden [wären] [und] die Bewacher versuchten über längere Zeit vergeblich, die hasserfüllte Menge durch Schüsse in die Luft zurückzudrängen. Zeitungsberichten zufolge retteten erst auffahrende Panzer Angeklagte und Bewacher vor dem Tod“.13 Am Prozesstag kam es schon zu Komplikationen seitens der Pflichtverteidiger der Angeklagten. Sie beantragten beide eine Entbindung von der Aufgabe als Pflichtverteidiger, dies begründete Anton Ternes Verteidiger Kazimierz Krzymowski mit seiner,,[...] persönlichen Betroffenheit [,..]“14 und Wilhelm Gerstenmeiers und Anton Vogels Verteidiger Wojciech Ja- roslawski begründete seinen Antrag damit, dass ,,[...] die Angeklagten ausschließlich dazu abgestellt waren, Angehörige anderer Völker umzubringen, und nicht, [um ihre] Heimat [kriegerisch zu verteidigen] [...] [und weil sie] auf dem Gelände des Todeslagers Majdanek die scheußlichsten Verbrechen begangen haben [und deshalb] könne er als Pole und als Advokat, der zum Schutz von Recht und Gerechtigkeit, [...] die Verteidigung der Angeklagten nicht übernehmen.“15 Auch wenn der Staatsanwalt Neryk Ciesluk Verständnis für die Gründe der Pflichtverteidigung hatte, erinnerte er sie daran, dass das „[..^demokratische Recht auf einen Verteidiger für alle gelte [dies tat er] unter der Berufung auf das Augustdekret und die polnische Verfassung von 1921, welche jedem [...] das Recht auf einen Verteidiger [...] zuspricht“ und bat die Verteidiger ihren Pflichten nachzukommen, was die Verteidiger zur Kenntnis nahmen und ihre Anträge zurückzogen.16
Nach dem die Anklageschriften vorgetragen worden sind, bekannten sich alle Angeklagten nicht schuldig, bis Anton Ternes umfangreiche Aussagen über die Tötungen der Häftlinge sowie über den Raub und Mord der Häftlinge im Konzentrationslager Majdanek machte.17 Auch der Angeklagte Heinz Stalp machte Aussagen über einige Mordaktionen im Lager.18 An dem zweiten und dritten Verhandlungstag sagten einige Zeugen aus, darunter auch Romuald Olszahski, ein polnischer Funktionshäftling, welcher detaillierte Aussagen über die ,,[...] Geschehnisse im Lager, die Struktur der deutschen Lagerbelegschaft, aber auch die Nationalität der Häftlinge“ machte.19 Unter den Angeklagten wurde Edmund Pohlmann schwer beschuldigt, jedoch beging er in der Nacht auf den 30. November 1944 Selbstmord in seiner eigenen Gefängniszelle.20 In seinem Schlussplädoyer erwähnte der Staatsanwalt Ne- ryk Ciesluk, dass „Hauptopfer der verbrecherischen Politik der NS-Führung Polen und Juden [seien], die Angeklagten seien Vollstrecker dieser Politik gewesen [und] aus all diesen Gründen sei einzig die Todesstrafe angemessen“,21
Am 3. Dezember 1944 wurde das Urteil verkündet, welches alle fünf Angeklagte mit Tod verurteilte. Diese Todesstrafe wurde auf dem Platz neben dem Krematorium im Konzentrationslager Majdanek, am Galgen öffentlich vollstreckt.22 Darüber berichtet die United Press am 6. Dezember 1944 aus Moskau wie folgt: „Die fünf Deutschen, die wegen ihrer Teilnahme an den Massenmorden im Vernichtungslager Maidanek zum Tode verurteilt werden, sind auf dem Hauptplatz von Lublin öffentlich gehängt worden. Eine Menschenmenge von etwa 25.000 war bei der Hinrichtung zugegen“.23
Weitere polnische Majdanek Prozesse fanden im Zeitraum von 1945 bis 1952 statt, darunter auch der Prozess gegen August Wilhelm Reinartz vor dem sogenannten Sonderstraf- oder Kriegsgericht Lublin.24 Vor diesem Gericht mussten sich vor allem die ,,[...] ehemaligen Mitglieder der Wachmannschaft und Bedienstete des KZ Majdanek, die aus alliierten Internierungslagern nach Polen überstellt [worden sind]“ rechtfertigen.25 Außerdem lieferten die Alliierten bis 1948 1.817 mutmaßliche NS-Täter an Polen aus, von denen wurden 120 Personen verdächtigt im Konzentrationslager Majdanek tätig gewesen zu sein und dort Verbrechen begangen zu haben. Von diesen Tätern wurden 95 vom Kriegsgericht Lublin verurteilt.26 Wenn die Angeklagten von den ehemaligen Häftlingen, welche vor Gericht als Zeugen aussagten, nicht beschuldigt wurden im Konzentrationslager Majdanek verbrecherisch tätig gewesen zu sein, ,,[...] kamen sie mit einer geringeren Strafe davon, die aufgrund der Mitgliedschaft in der SS verhängt wurde [und] [...] viele dieser Verurteilten wurden lange vor ihrer Strafe entlassen und in die Bundesrepublik Deutschland überstellt [worden]“.27
2.2 Der Düsseldorfer Majdanek-Prozess
Der Düsseldorfer Majdanek-Prozess war ein eigentlich für 1300 SS-Leute gedachter Prozess, welcher letztendlich gegen 15 Personen, darunter auch August Wilhelm Reinartz, begann am 26. November 1975, 31 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Majdanek28 und war das bundesweit längste Gerichtsverfahren das Nationalsozialistische Gewaltverbrechen behandelte. Schwierigkeiten bereitete vor allem die Zeugensuche, da der Großteil der Zeugen mittlerweile verstorben oder unauffindbar war29. Außerdem gab es gegen einige der verdächtigten SS-Leute nur geringe Tatbestände, da sie nicht konkret verdächtigt werden konnten, an den koordinierten Morden im Konzentrationslager Majdanek beteiligt gewesen zu sein.30
[...]
1 „SS“ = Schutzstaffel; „Unterscharführer“ = Niedrigster Rang der Dienstgradgruppe der Unteroffiziere des Schutzstaffel.
2 Claudia Kuretsidis-Haider, Irmgard Nöbauer, Winfried R. Garscha, Siegfried Sanwald, Andrzej Selerowicz (Hrsg.): Das KZ Lublin-Majdanek und die Justiz Strafverfolgung und verweigerte Gerechtigkeit: Polen, Deutschland und Österreich im Vergleich, Graz, 2011, S. 88.
3 Ebd.
4 a.a.O, S .89.
5 Vgl. ebd.
6 Vgl. ebd.
7 Ehrenamtlich eingesetzte Richter.
8 Claudia Kuretsidis-Haider, Irmgard Nöbauer, Winfried R. Garscha, Siegfried Sanwald, Andrzej Selerowicz (Hrsg.): Das KZ Lublin-Majdanek und die Justiz Strafverfolgung und verweigerte Gerechtigkeit: Polen, Deutschland und Österreich im Vergleich, Graz, 2011, S. 91.
9 Das auf polnisch sogenannte „Polski Komitet Wyzwolenia Narodoweg“ (=Polnische Komitee der Nationalen Befreiung, kurz PKWN) bezeichnete, die von der Sowjetunion gegründete Komitee, dass das ab 1944 besetzte Gebiet der Roten Armee zwischen Weichsel und Bug regierte.
10 Claudia Kuretsidis-Haider, Irmgard Nöbauer, Winfried R. Garscha, Siegfried Sanwald, Andrzej Selerowicz (Hrsg.): Das KZ Lublin-Majdanek und die Justiz Strafverfolgung und verweigerte Gerechtigkeit: Polen, Deutschland und Österreich im Vergleich, Graz, 2011, S. 90.
11 Vgl. ebd.
12 Vgl. ebd.
13 Claudia Kuretsidis-Haider, Irmgard Nöbauer, Winfried R. Garscha, Siegfried Sanwald, Andrzej Selerowicz (Hrsg.): Das KZ Lublin-Majdanek und die Justiz Strafverfolgung und verweigerte Gerechtigkeit: Polen, Deutschland und Österreich im Vergleich, Graz, 2011, S. 90.
14 a.a.O., S .91.
15 a.a.O., S. 92.
16 Ebd.
17 Vgl. a.a.O., S. 93f.
18 Vgl. ebd.
19 a.a.O., S. 94f.
20 Claudia Kuretsidis-Haider, Irmgard Nöbauer, Winfried R. Garscha, Siegfried Sanwald, Andrzej Selerowicz (Hrsg.): Das KZ Lublin-Majdanek und die Justiz Strafverfolgung und verweigerte Gerechtigkeit: Polen, Deutschland und Österreich im Vergleich, Graz, 2011, S. 95.
21 Ebd.
22 Vgl. a.a.O., S. 96.
23 a.a.O., S. 96f.
24 a.a.O., S. 97.
25 a.a.O., S. 100.
26 Vgl. a.a.O., S.101.
27 Ebd.
28 Bundeszentrale für Politische Bildung: Die Familie Chotzen Lebenswege einer jüdischen Familie von 1914 bis heute, in 2011: http://www.chotzen.de/bibliothek/suchergebnis?searchterm=majdanek&suchb ereich=glo ssar, (Abrufdatum: 08.02.2019).
29 Sabine Horn, Erinnerungsbilder Auschwitz Prozess und Majdanek Prozess im westdeutschen Fernsehen, 09.Dezember.2009, S 61.
30 Bundeszentrale für Politische Bildung: Die Familie Chotzen Lebenswege einer jüdischen Familie von 1914 bis heute, in 2011: http://www.chotzen.de/bibliothek/suchergebnis?searchterm=majdanek&suchb ereich=glo ssar, (Abrufdatum: 08.02.2019).
- Quote paper
- Kerem Kocaoglu (Author), 2019, Umgang mit Tätern nach dem Ende des NS-Regimes, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/506996
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