Institutionell ist die Europäische Union in den letzten Jahren immer mehr zusammengewachsen. Immer mehr Bereiche wurden über die vergangenen Entwicklungsstadien hinweg vergemeinschaftet und sind unter gleiches europäisches Recht gefallen. Dazu gekommen sind in jüngster Zeit sowohl die Verhandlungen über eine weitere Osterweiterung der Union als auch Diskussionen über eine verstärkte Integration innerhalb der jetzigen Mitgliedsstaaten.
Bei letzterem spielt auch immer wieder die Überlegung zur Gründung einer gemeinsamen Europäischen Verfassung eine wichtige Rolle. Befürworter dieses Gedankens bringen vor allem das momentan bestehende Legitimationsproblem und das damit verbundene Demokratiedefizit innerhalb der Union als Argument dafür an. Darunter wird die Problematik verstanden, dass die Organe der EU immer mehr Kompetenzen zugesprochen bekommen und in immer mehr Bereichen rechtsverbindliche Entscheidungen treffen können, die direkten Einfluss auf die Bürger haben. Gleichzeitig erfolgt die Legitimierung eben dieser Organe nach wie vor fast ausschließlich über den Umweg der jeweiligen Parlamente und Regierungen der einzelnen Mitgliedsstaaten. Lediglich diese können sich in ihrem Handeln momentan vollständig auf eine wirkliche Legitimation durch ihr Staatsvolk berufen. Dies hat zur Folge, dass die Akzeptanz von Entscheidungen, die auf europäischer Ebene getroffen worden sind, auf lange Sicht nicht unbedingt gewährleistet ist. Das jedoch ist eine entscheidende Voraussetzung sowohl für eine weitere Integration der Mitgliedstaaten als auch für eine erfolgreiche Erweiterung der Europäischen Union.
Gliederung
I. Einleitung
II. Definitorische Klärung der Begriffe „Identität“ und „Nation“
III. Einschätzungen über das Entstehen einer europäischen Identität
III. 1. Argumente für die Herausbildung einer europäischen Identität
III. 2. Zwei Argumente gegen die Herausbildung einer europäischen Identität
IV. Empirische Daten über die Messung der Herausbildung einer europäischen Identität
V. Schlussfolgerung
Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Institutionell ist die Europäische Union in den letzten Jahren immer mehr zusammengewachsen. Immer mehr Bereiche wurden über die vergangenen Entwicklungsstadien hinweg vergemeinschaftet und sind unter gleiches europäisches Recht gefallen. Dazu gekommen sind in jüngster Zeit sowohl die Verhandlungen über eine weitere Osterweiterung der Union als auch Diskussionen über eine verstärkte Integration innerhalb der jetzigen Mitgliedsstaaten.
Bei letzterem spielt auch immer wieder die Überlegung zur Gründung einer gemeinsamen Europäischen Verfassung eine wichtige Rolle. Befürworter dieses Gedankens bringen vor allem das momentan bestehende Legitimationsproblem und das damit verbundene Demokratiedefizit innerhalb der Union als Argument dafür an. Darunter wird die Problematik verstanden, dass die Organe der EU immer mehr Kompetenzen zugesprochen bekommen und in immer mehr Bereichen rechtsverbindliche Entscheidungen treffen können, die direkten Einfluss auf die Bürger haben. Gleichzeitig erfolgt die Legitimierung eben dieser Organe nach wie vor fast ausschließlich über den Umweg der jeweiligen Parlamente und Regierungen der einzelnen Mitgliedsstaaten. Lediglich diese können sich in ihrem Handeln momentan vollständig auf eine wirkliche Legitimation durch ihr Staatsvolk berufen. Dies hat zur Folge, dass die Akzeptanz von Entscheidungen, die auf europäischer Ebene getroffen worden sind, auf lange Sicht nicht unbedingt gewährleistet ist.
Das jedoch ist eine entscheidende Voraussetzung sowohl für eine weitere Integration der Mitgliedstaaten als auch für eine erfolgreiche Erweiterung der Europäischen Union[1]. So schreibt Lepsius: „Je größer und umfassender die Kompetenz der europäischen Organe, desto größer der Anspruch auf volle Demokratisierung dieser Organe, und das heißt Mehrheitsentscheidung, parlamentarische Kontrolle der Regierung und parlamentarische Gesetzgebung“ (Lepsius 1991: 26).
Diese Problematik hat in den letzten Jahren immer mehr die Diskussion über die Bildung einer gemeinsamen europäischen Identität aufkommen lassen. Die Idee, die dahinter steht, lautet: „Je mehr sich die europäischen Staatsbürger mit der Union identifizieren, desto höher ist die Legitimität, denn die Legitimation speist sich vor allem aus zwei Quellen, aus der Akzeptanz eines politischen Regimes durch die Staatsbürger und aus der Effektivität und den Leistungen der Regierenden“ (Pfetsch 1998: 9).
Dem zweiten Aspekt soll im weiteren Verlauf der Arbeit keine weitere Beachtung geschenkt werden. Stattdessen möchte ich im weiteren Verlauf der Frage nachgehen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine gemeinsame europäische Identität bei den Bürgern der EU aufgebaut werden kann und inwieweit das eventuell bereits geschehen ist. Dazu herrschen in der Politikwissenschaft gegensätzliche Meinungen, die ich im folgenden anhand einiger Vertreter exemplarisch vorstellen und diskutieren möchte. Davor möchte ich jedoch zuerst einmal die beiden für diese Arbeit zentralen Begriffe der „Identität“ und der „Nation“ näher bestimmen. Dabei werde ich mich aus Platzgründen jedoch auf die Darstellungen derjenigen Autoren beschränken, die ich auch im weiteren Verlauf der Arbeit als Referenzen heranziehen werde.
II. Definitorische Klärung der Begriffe „Identität“ und „Nation“
Unter dem Begriff der Identität soll im folgenden die kollektive Identität einer Gruppe von Individuen verstanden werden. Der Begriff der kollektiven Identität bezeichnet die gefühlsmäßige Zugehörigkeit eines Individuums zu einer Gruppe aufgrund von Ähnlichkeiten und der Abgrenzung von anderen, die nicht diese Gemeinsamkeiten aufweisen und sich dadurch von der Gruppe unterscheiden. Nach Rainer M. Lepsius „[...] setzt [die Ausbildung von Identität] ein Objekt voraus, das sich als Einheit versteht, gegen andere abgrenzt und sich als solches selbst beschreibt“ (Lepsius 1999: 201). Des weiteren hält er fest, dass „für Kollektive [...] institutionalisierte Ordnungsvorstellungen [die Objekte ihrer Identität sind], die einen normativen Gehalt haben und verhaltensprägend wirken“ (ebd.).
Das Paradebeispiel für eine so beschriebene kollektive Identität stellt die Nation dar. Fuchs definiert die Nation als „Gruppe von Menschen [...], die sich aufgrund angenommener Gemeinsamkeiten als zusammengehörig betrachten, zusammen bleiben wollen und sich von anderen abgrenzen“ (Fuchs 2000: 220). Es besteht somit eine affektiv-starke Identifikation mit dieser Gemeinschaft.
Die beschriebenen Gemeinsamkeiten können neben der Sprache, der Religion, eines gemeinsamen Territoriums oder einer gemeinsamen Geschichte eben auch von allen Mitgliedern dieser Gruppe bestimmte, als verbindlich angesehene, Wertvorstellungen sein.
Nach Lepsius war für die europäischen Nationalstaaten zum Zeitpunkt ihrer Bildung das politische System die maßgebliche Ordnungsvorstellung, die die „Homogenisierung der Kulturen“ (Lepsius 1999: 202) bestimmte. Auf Grundlage dieser gemeinsamen Ordnungs- oder Wertvorstellungen und des daraus resultierenden Zusammengehörigkeitsgefühls bildete sich ein Solidaritätsverbund heraus, der den Individuen es einerseits erlaubte, Erwartungen an die Gemeinschaft zu stellen, und gleichzeitig die Bereitschaft bei den Mitgliedern hervorbrachte, Leistungen für diese Gemeinschaft zu erbringen. Die Nationalstaaten bilden so bis heute „den verfassten Rahmen für die wichtigsten kollektiven Integrationsprozesse von Gesellschaften, die in unmittelbarer Kommunikation hergestellte kollektive Selbstbeschreibung, die paktierten Verteilungsentscheidungen und die Bestimmung der Zurechnung von Leistungen und Defiziten des politischen, ökonomischen und sozialen Kollektivs“ (ebd. 208).
Für Offe definiert sich Nation als eine politische Gemeinschaft, die maßgeblich durch drei Merkmale gekennzeichnet ist. Neben dem Aspekt einer gemeinsamen Geschichte hebt er zum einen das gemeinsame, durch Grenzen festgelegte, Territorium hervor. Seiner Ansicht nach kann „nur mit Hilfe von Grenzen [...] die politische Gemeinschaft, die sich innerhalb derselben und unter Bezug auf sie konstituiert hat, bewirken, dass begehrte Ressourcen der internen Nutzung vorbehalten bleiben und nicht über die Grenzen entweichen, und dass umgekehrt unerwünschte Einwirkungen von außen unter Zugangskontrolle gehalten werden“ (Offe 1998: 102; zur Funktion von Grenzen für das Bestehen von Nationen vgl. auch Dittgen 1999: 8ff.).
Deutlich wird hierbei wieder die Hervorhebung der Abgrenzung von anderen, die eben nicht dieser Gemeinschaft angehören und deshalb auch kein Recht auf deren Ressourcen haben. Dies betont er auch bei der Beschreibung des dritten Merkmals einer Nation: das Vorhandensein einer „verfassten Staatsgewalt, [die] „dem Bürger [...] im Rahmen grundrechtlicher Schranken Pflichten auferlegt und die Erfüllung dieser Pflichten im Rahmen ihres Gewaltmonopols erzwingen kann“ (Offe 1998: 103). Essentiell ist ihm dabei eben auch wieder der Solidaritätsgedanke: das Individuum kann nicht davon ausgehen, dass ihm die Erfüllung der auferlegten Pflichten unmittelbar selbst wieder zugute kommen.
Offe folgert daraus, dass „der einzelne Bürger [...] also in den Zwangsverband einer Kultur-, Verteidigungs-, Staatshaushalts- und sonstigen Rechtsgemeinschaft eingegliedert [wird] über deren Inhalte und Zweckbestimmungen zwar letztlich ‚alle’ Bürger über den Weg der Verfahren demokratischer Legitimation und Elitenverantwortlichkeit disponieren, nicht aber der in die Pflicht genommene einzelne Bürger“ (ebd.).
Um das effektive Fortbestehen einer solchen Gemeinschaft zu gewährleisten, geht Offe davon aus, dass die genannten Pflichten von allen Bürgern weitestgehend freiwillig erfüllt werden. Das geschieht jedoch nur, wenn ein Mindestmaß an Solidarität und Vertrauen zwischen den Mitgliedern einer Gemeinschaft herrscht. Da diese Grundvoraussetzung besonders gut zwischen den Angehörigen einer Nation besteht, bietet diese seiner Ansicht nach „einen ungewöhnlich günstigen Struktur- und Deutungsrahmen für das Zustandekommen von assurance games, das heißt sich selbst reproduzierender kooperativer Lösungen [...], für den oberhalb oder unterhalb der nationalen Ebene nicht leicht funktionale Äquivalente auszumachen sind“ (Offe 1998: 106). Diese Einschätzung Offe´s bietet eine Überleitung zum Hauptteil dieser Arbeit, nämlich der näheren Untersuchung der Frage, ob es eine europäische Identität oberhalb der nationalstaatlichen Ebene geben kann und in absehbarer Zukunft auch geben wird.
[...]
[1] Da mit jeder Aufnahme neuer Mitgliedstaaten eine Änderung der bisherigen institutionellen Regelungen (bspw. Stimmenverteilung, Vetorechte usw.) in Richtung einer Kompetenzübertragung der einzelnen Staaten auf Organe der EU notwendiger wird, ist es unerlässlich für das weitere Funktionieren der Union, dass dies bei den Unionsbürgern auch auf eine grundlegende Akzeptanz stößt.
- Quote paper
- Marco Librera (Author), 2004, Europäische Identität und Identifikation. Herausbildung einer europäischen Identität oberhalb der Nationalstaatsebene?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50480
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