Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, warum mehr Männer für die frühpädagogische Arbeit verlangt werden. Männliche Erzieher machen in Kindertageseinrichtungen im Bundesdurchschnitt gerade einmal 3 % des gesamten pädagogischen Personals aus. Viele Jahre schien die große Überzahl der Erzieherinnen auch keinerlei Problem darzustellen, was sich aber in den letzten zwei Jahrzehnten mit der zunehmenden Wahrnehmung von Jungen als Bedarfsgruppe und der sich gleichzeitig entwickelnden Väterforschung geändert hat.
So hat die Väterforschung die These hervorgebracht, dass neben der Mutter auch der Vater eine entscheidende Rolle bei der Erziehung von Kindern spiele. Dies ist wiederum der Ausgangspunkt für die Annahme, dass sich die Bedeutung von Vätern auch auf andere männliche Bezugspersonen für Kinder übertragen ließe, in diesem Fall die Pädagogen in der Kita. Sie seien insbesondere dann für Kinder wichtig, wenn daheim kein Vater bei der Erziehung mitwirkt.
Das hat eine wissenschaftliche und öffentliche Debatte entfacht, in der die Forderung nach mehr Männern in Kindertageseinrichtungen zum Leitspruch wurde. Dabei hat der Diskurs mancherlei Fragen aufgeworfen, die auch bereits in wenigen empirischen Studien untersucht wurden.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Männer in ,Frauenberufen‘? - Eine theoretischen Einführung
2.1 „Geschlechtscharaktere“
2.2 Arbeitsmarktsegregation
2.3 Der Erzieher_innenberuf
3 (Mehr) Männer in Kindertagesstätten
3.1 Frauen sind verantwortlich für die Problemlage von Jungen
3.2 Eine Statusaufwertung durch männliche Erzieher
3.3 In Kitas fehlt das ,männliche Elemenf
3.4 Jungen brauchen Männer
3.5 Eine Männerquote als Lösung?
4 Der Generalverdacht
5 Zusammenfassung und Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
1 Einleitung
Männliche Erzieher machen in Kindertageseinrichtungen1 2 im Bundesdurchschnitt gerade einmal 3 % des gesamten pädagogischen Personals aus (Rohrmann 2012b: S. 290) und gleichen mit diesem Sonderstatus regelrecht einem „Solotänzer im Damenballett“ (Rohrmann 2012c: S. 127). Viele Jahre schien die große Überzahl der Erzieherinnen auch keinerlei Problem darzustellen, was sich aber in den letzten zwei Jahrzehnten mit der zunehmenden Wahrnehmung von Jungen als Bedarfsgruppe und der sich gleichzeitig entwickelnden Väterforschung geändert hat. So hat die Väterforschung die These hervorgebracht, dass neben der Mutter auch der Vater eine entscheidende Rolle bei der Erziehung von Kindern spiele. Dies ist wiederum der Ausgangspunkt für die Annahme, dass sich die Bedeutung von Vätern auch auf andere männliche Bezugspersonen für Kinder übertragen ließe, in diesem Fall die Pädagogen in der Kita. Sie seien insbesondere dann für Kinder wichtig, wenn daheim kein Vater bei der Erziehung mitwirkt (Brandes et al. 2016: S. 17-20).
Das hat eine wissenschaftliche und öffentliche Debatte entfacht, in der die Forderung nach mehr Männern in Kindertageseinrichtungen zum Leitspruch wurde. Dabei hat der Diskurs mancherlei Fragen aufgeworfen, die auch bereits in wenigen empirischen Studien untersucht wurden. Fünf der aktuellsten Studien zu diesem Themenkomplex werden auch in diese Arbeit mit einbezogen und im Folgenden kurz zusammengefasst:
Die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in Auftrag gegebene und im Jahre 2010 erstmals veröffentlichte Studie Männliche Fachkräfte in Kindertagesstätten beschäftigt sich mit allgemeinen Fragen, wie z. B. der Situation von Männern in der Ausbildung und später im Beruf als Erzieher. Um Antworten auf diese Fragen zu finden, wurden zunächst 40 Gruppen- und Einzelinterviews mit Auszubildenden, Erzieher_innen , Trägerverantwortlichen und Expert_innen durchgeführt. In einem zweiten Schritt hat das Forschungsteam zusätzlich 600 Kitaleiter_innen, 100 Trägerverantwortliche und 1.000 Eltern mit Kindern im Alter von 0 bis 6 Jahren mithilfe von standardisierten Telefoninterviews befragt (BMFSFJ 2015: S. 33-35). Ein zentrales Ergebnis der Untersuchung ist, dass der
Beruf für (junge) Männer mit steigenden Aufstiegsmöglichkeiten und höherem Gehalt auch proportional an Attraktivität gewinne. Der finanzielle Aspekt werde erst dann unwichtiger, wenn dafür die Tätigkeit eine wesentliche soziale Anerkennung erfahre. Außerdem seien Eltern, Kolleginnen oder Vorgesetzte einer Anstellung männlicher Erzieher gegenüber wohlwollend eingestellt (BMFSFJ 2015: S. 86-89).
Joseph Aigner und Tim Rohrmann (Hg.) haben im Jahre 2012 ihre Studie Elementar veröffentlicht, die zu den umfangreichsten Studien im deutschsprachigen Raum zählt und sich mit ähnlichen Fragen wie die Untersuchung des BMFSFJ beschäftigt. Mit einem Forschungsteam der Uni Innsbruck konnte aufgrund der Tatsache, dass in Österreich nur ca. 1 % der Kitabeschäftigen männlich sind, eine annähernde Vollstudie durchgeführt werden, die nicht nur Interviews mit Erziehern enthält, sondern ebenso Befragungen von Erzieherinnen und die Einstellungen einiger Eltern. Es wurden drei wesentliche Ziele verfolgt: Erstens etwas über die Motivation der Erzieher herauszufinden, also warum sich junge Männer für diesen Beruf entscheiden, zweitens die tägliche Arbeit der Männer in den Einrichtungen zu schildern und drittens ihre Erfahrungen mit Zuschreibungen und Erwartungen offenzulegen. Die Studie schließt nach den insgesamt sehr positiven Einstellungen männlichen Pädagogen gegenüber mit dem Versuch ab, Möglichkeiten für die Erhöhung des Männeranteils zu finden (Aigner/Rohrmann 2012: S. 11-16). Obwohl die Untersuchung in Österreich durchgeführt wurde, ist sie dennoch auch für Deutschland von Belang, da es einerseits vom Umfang bisher keine vergleichbare Studie gibt und andererseits die Ergebnisse bis auf regionale Spezifika gut übertragbar sind.
Im Jahre 2013 hat Anna Buschmeyer (Hg.) ihre Studie Zwischen Vorbild und Verdacht. Wie Männer im Erzieherberuf Männlichkeit konstruieren herausgegeben. Wenn es im Diskurs um die Forderung geht, mehr Männer ins frühpädagogische Berufsfeld holen zu wollen, dann liegt die Frage nahe, was denn eigentlich unter Mannsein bzw. Männlichkeit verstanden wird. Buschmeyer hat daher mithilfe von qualitativen Interviews untersucht, wie Männlichkeit konstruiert wird. Dazu gehören einerseits die Geschlechtsdarstellung der Männer selbst - hierfür wurden zehn Erzieher aus unterschiedlichen Einrichtungen befragt - und andererseits auch die Attribution, also die geschlechtsspezifischen Zuschreibungen von außen, welche beispielsweise in Gesprächen mit Trägerverantwortlichen und Expert_innen ermittelt wurden. Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass sich die interviewten Männer bezüglich ihrer Männlichkeitskonstruktion in einer ambivalenten Situation befinden (Buschmeyer 2013: S. 11-19). „In ihrem Handeln und in ihrer Darstellung bewegen sie sich zwischen Vorbild und Verdacht. Ihr berufliches Handeln wird von beiden Zuschreibungen beeinflusst, und je nach Männlichkeitstypus finden sie unterschiedliche Formen, mit diesen Zuschreibungen umzugehen“ (Buschmeyer 2013: S. 20).
Breitenbach et al. haben im Jahre 2015 die rekonstruktive Studie Männer in Kindertageseinrichtungen veröffentlicht. Der Fokus in dieser Untersuchung liegt auf dem Zusammenhang von Biographie, Professionalität und Männlichkeit. Nach detaillierten theoretischen Einführungen zu den Schwerpunktthemen werden die Porträts von sieben Erziehern vorgestellt, deren Inhalte in Gruppendiskussionen und narrativen Einzelinterviews ermittelt wurden (Breitenbach et al. 2015: S. 41-43). Breitenbach et al. folgern aus ihrem Material, dass die befragten Erzieher ihre eigenen persönlichen Erfahrungen in ausgeprägter Weise mit ihrer pädagogischen Orientierung verknüpfen. Dies würde in Untersuchungen recht häufig vorkommen und stünde dem Gedanken von Professionalität nicht grundsätzlich entgegen, da mit persönlichen Motivationen oftmals auch die Bereitschaft zur Weiterentwicklung einhergehe (Breitenbach et al. 2015: S. 162). Dennoch ergeben sich bei den Erziehern der Stichprobe Faktoren, die den Prozess der Professionalisierung erschweren, was Breitenbach et al. zu dem Fazit anregt, dass „der Prozess der Integration von Männern in die frühpädagogische Arbeit [...] nicht automatisch zu einer Qualitätssteigerung im Sinne des Erreichens einer höheren Stufe der Professionalisierung des Feldes“ führe (Breitenbach et al. 2015: S. 163).
Die Studie Macht das Geschlecht einen Unterschied von Brandes et al. ist erst im Jahre 2016 erschienen und stellt die ganz wesentliche Frage, ob sich das Geschlecht der Erzieher_innen auf die pädagogische Arbeit auswirkt. Hierfür wurden zunächst 41 gemischte Tandems (Erzieher und Erzieherin) in standardisierten und auf Video aufgezeichneten Einzelsituationen dahingehend untersucht, wie sie den Alltag mit den Kindern in Bezug auf Aktivitäten, verwendeten Materialien und Umgangsformen gestalten. Als Kontrolle wurde dasselbe Forschungsdesign bei zwölf rein weiblichen Tandems angewandt. In einem zweiten Schritt wurden mit den gemischten Tandems zusätzlich Leitfadeninterviews geführt, um die subjektiven Einschätzungen zu der Bedeutung des Geschlechts und dem Umgang miteinander zu ermitteln (Brandes et al. 2016: 11-12; 69; 129). Das übergeordnete Ergebnis dieser Studie ist, dass sich das pädagogische Verhalten von Erzieher_innen bezüglich deren Geschlechts nicht unterscheidet. Zwar gibt es teilweise Differenzen in einem geringen signifikanten Maße, welche allerdings ebenso durch den individuellen Charakter bedingt sein können und daher nicht eindeutig auf das Geschlecht zurückzuführen sind. Außerdem wird in der vorliegenden Stichprobe der Unterschied häufig von den Kindern selbst gemacht und somit nicht von den Erzieher_innen (Brandes et al. 2016: S. 167-170).
Dieser kurze Forschungsüberblick macht deutlich, dass die Forderung, mehr Erzieher in Kindertagesstätten einsetzen zu wollen, auf breite Akzeptanz trifft und nicht grundlegend angezweifelt wird. Das wirft jedoch die Frage auf - und diese wurde von den vorliegenden Studien bisher nicht ausführlich betrachtet - warum mehr Männer für die frühpädagogische Arbeit verlangt werden. Die dahinter stehenden Argumente werden in dem Diskurs mal mehr, mal weniger detailliert ausgeführt und bilden den Gegenstand der zugrundeliegenden Auseinandersetzung. Daher ist das Ziel dieser Arbeit, die Essenz einiger ausgewählter Argumentationen offenzulegen und zu analysieren. Die Leitfrage dieser Analyse lautet dabei stets: Ist das Argument wissenschaftlich haltbar? Um diese Frage zu beantworten, werden die jeweiligen Argumente zuerst inhaltlich mit Gedanken aus diskurstheoretischer Sicht untermauert, um sie daran anschließend einer empirischen Überprüfung zu unterziehen. Dabei werden jedoch keine eigenen empirischen Untersuchungen durchgeführt, sondern auf bereits vorliegende Studien zurückgegriffen.
Um eine fundierte Analyse der Argumente realisieren zu können, folgt auf diese Einleitung zunächst ein Theoriekapitel. Grundlage dieses Kapitels sind die ,Geschlechtscharaktere‘ aus dem 18. Jahrhundert nach Karin Hausen (1976), welche bestimmte Eigenschaften und Merkmale in die Kategorien männlich und weiblich einordnen (Abschnitt 2.1). Diese als natürlich angesehenen Zuordnungen bilden die Basis für das gesamte gesellschaftliche Leben, also beispielsweise auch für die Rollenverteilung innerhalb der Familie oder den Möglichkeiten im Erwerbsbereich. So bauen auch verschiedene Mechanismen der Arbeitsmarktsegregation zum Teil heute noch indirekt auf diesen „biologischen“ Wesensmerkmalen von Frauen und Männern auf (Abschnitt 2.2). Diese Aufspaltung der Erwerbsbereiche in ,Frauenberufe‘ und ,Männerberufe‘ findet sich auch im frühpädagogischen Bereich wieder. Daher wird im letzten Teil des Theoriekapitels mit einem historischen Abriss über die Entstehung und Entwicklung des Erzieher_innenberufs auch die Segregation speziell in Kindertageseinrichtungen erläutert (Abschnitt 2.3).
Darauf folgt im Hauptteil dieser Arbeit die Analyse der Forderung nach mehr Männern in Kindertageseinrichtungen anhand vier ausgewählter Argumente, die einen guten Querschnitt des Diskurses und zusammengenommen gewissermaßen den Kern der Debatte darstellen.
Mit dem ersten Argument „Frauen sind verantwortlich für die Problemlage von Jungen“ wird die Forderung, den Männeranteil in Kitas zu erhöhen derlei begründet, dass die zahlenmäßige Überlegenheit der Pädagoginnen in Kitas und Grundschulen dafür verantwortlich sei, dass Jungen und Mädchen im Vorschulbereich ungleich behandelt würden und dies zuungunsten der Jungen ausfalle. In der Schule zeige sich dieser Nachteil dann in der Form, dass Jungen schlechtere Noten als ihre Mitschülerinnen hätten (Abschnitt 3.1).
Das zweite Argument „Eine Statusaufwertung durch männliche Erzieher“ greift das insgesamt recht niedrige soziale Ansehen des Erzieher_innenberufs auf. Es wird die These vertreten, dass eine vermehrte Einstellung männlicher Erzieher zugunsten des gesamten Berufsfeldes und damit auch stellvertretend für die Erzieherinnen Einfluss auf die berufliche Hierarchie haben würde (Abschnitt 3.2).
Das dritte Argument „In Kitas fehlt das ,männliche Elemenf“ wird innerhalb des Diskurses oftmals ohne tiefgehende Erläuterung benutzt. Es wird deutlich, dass in vielen Fällen nicht einmal die Sprecher_innen selbst benennen können, was unter diesem „männlichen Element“ zu verstehen sei. Daher wird an dieser Stelle die Interpretation zugrunde gelegt, dass sich dieses erwünschte Element in seiner Ausgestaltung an hegemonialen Männlichkeitsmustern orientiert (Abschnitt 3.3).
Das vierte und letzte untersuchte Argument „Jungen brauchen Männer“ ist die am häufigsten rezipierteste Begründung für eine Erhöhung des Männeranteils in Kitas. Die Notwendigkeit der Pädagogen wird dabei auf zwei Ebenen gerechtfertigt. Erstens müsse ein Erzieher den Jungen als Vorbild für eine ,gesunde‘ Entwicklung der Geschlechtlichkeit dienen und zweitens sei ein Erzieher insbesondere für die Söhne alleinerziehender Mütter ein wichtiger Vaterersatz (Abschnitt 3.4).
Damit enthält der vorangegangene Diskursüberblick ein Argument aus pädagogischer, eines aus arbeitsmarktpolitischer und zwei aus psychologischer Sicht. Abgerundet wird dieses Analysekapitel mit einer kurzen Darstellung der Frage, ob das Ziel, mehr männliche Fachkräfte für die Arbeit in Kitas zu gewinnen, möglicherweise mit der Einführung einer „Männerquote“ zu erreichen sei. Dafür werden drei Positionen der Pro-Seite und drei der Kontra-Seite dargelegt, sowie ein Beitrag mit einer Kompromisslösung (Abschnitt 3.5).
[...]
1 Im Folgenden auch mit Kita abgekürzt.
2 Diese Form der geschlechtergerechten Sprache wird in der gesamten Arbeit immer dann verwendet, wenn sowohl Frauen als auch Männer gleichermaßen angesprochen werden sollen. Wird mit der Formulierung jedoch nur ein Geschlecht explizit angesprochen, so kann davon ausgegangen werden, dass in diesem Fall auch nur eine Genusgruppe gemeint ist.
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