Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Gutachtenstil bei juristischen Klausuren. Dieser ist eine der größten Herausforderungen für angehende Studierende. Er unterscheidet sich wesentlich vom Urteilsstil. Während im Urteilsstil das Ergebnis am Anfang steht und die Voraussetzungen vom Ergebnis ausgehend geprüft werden, wird beim Gutachtenstil mit einer Fragestellung begonnen und anhand dieser die Voraussetzungen geprüft. Diese Prüfungen führen dann zu einem Ergebnis, das am Schluss genannt wird. Dieses Skript erklärt diesen einfach und macht ihn anhand eines Beispieles verständlich. Darüber hinaus enthält das Skript Hinweise und Tipps für den richtigen Umgang mit einer Klausur und einem Sachverhalt.
Inhaltsverzeichnis
1. Der Gutachtenstil
1 a) Aufbau des Gutachtenstils
1 a i) Obersatz
1 a ii) Definition
1 a iii) Subsumtion
1 a iv) Konklusion
1 b) Schema fur den Gutachtenstil
1 c) Beispiel fur den Gutachtenstil
2. Herangehensweise an eine Klausur
2 a) Umgang mit einem Sachverhalt
2 a i) Selektives Lesen
2 a ii) Umgang mit bereits vorgegebenen Tatsachen
2 a iii) Negativprufungen
2 a iv) Hinweise zu einem Sachverhalt
2 b) Zeitmanagement
2 b i) Die richtige Zeiteinteilung
2 b ii) Tipps bei Zeitmangel
2 b iii) Der richtige Umgang mit Stress
3. Anhang
3 a) Rechtsgrundlagen im SGB VI
3 b) Rechtsgrundlagen im SGB X
3 c) Rechtsgrundlagen im BGB
Hinweis:
Bei diesem Skript handelt es sich lediglich um eine Hilfe fur die Bearbeitung einer Klausur. Es gibt sehr viele Moglichkeiten, mit einer Prufung und Sachverhalten umzugehen und jeder Prufling reagiert anders auf die Stresssituation. Betrachten Sie dieses Skript insoweit bitte nur als Anregung. Es nutzt Ihnen nichts, zwanghaft nach diesem Schema einen Sachverhalt zu losen, wenn Sie personlich damit nicht klarkommen.
1. Der Gutachtenstil
Bei der Erstellung von juristischen Klausuren ist in der Regel der Gutachtenstil zu verwenden. Der Gutachtenstil unterscheidet sich wesentlich vom Urteilsstil. Wahrend im Urteilsstil das Ergebnis am Anfang steht und die Voraussetzungen vom Ergebnis ausgehend gepruft wer- den, wird beim Gutachtenstil mit einer Fragestellung begonnen und anhand dieser die Voraussetzungen gepruft. Diese Prufengen fuhren dann zu einem Ergebnis, das am Schluss ge- nannt wird. Das folgende Kapitel erklart den Gutachtenstil und beinhaltet abschlieRend ein Beispiel zu einer Regelaltersrente.
Damit Sie das Beispiel nachvollziehen konnen finden Sie die Gesetzestexte hierzu im Anhang.
1 a) Aufbau des Gutachtenstils
Eine Klausur im Gutachtenstil beginnt immer mit einem Einleitungssatz. Wichtig ist, dass dieser immer im Konjunktiv geschrieben wird. Eine Klausur, bei der eine Regelaltersrente zu prufen ist, konnte daher folgendermaRen beginnen: „Der am 13. Februar 1964 geborene Willi Winzig konnte gemafe § 35 SGB VI ab 1. Marz 2031 Anspruch auf Regelaltersrente ha- ben". Wichtig hierbei ist, dass immer auf die Aufgabenstellung eingegangen wird und die sogenannte „Eingangsvorschrift" genannt wird. Das ist in der Regel die Vorschrift, aus der sich der Anspruch auf die in der Fragestellung des Sachverhaltes genannte Leistung ergibt.
Ein Merksatz (bzw. besser eine Merkfrage) hierzu lautet:
Wer will was von wem woraus?
Diese vier Punkte mussen Sie in einem Einleitungssatz nennen. Auf dem Gebiet des offentli- chen Rechts ist es haufig nicht erforderlich, dass die Frage nach dem „von wem" beantwor- tet wird. Hierbei kommt es aber immer auf die Aufgabenbeschreibung im Sachverhalt an.
Im Anschluss sind alle Voraussetzungen fur den moglichen Anspruch zu prufen. Jede einzelne Anspruchsvoraussetzung wird dabei mit einem Obersatz eingeleitet. Darauf folgen die Definition, die Subsumtion und die Konklusion. AnschlieRend wird die nachste Voraussetzung im selben Schema gepruft.
Am Ende der Klausur hat ein Schlusssatz zu erfolgen, der im folgenden Beispiel „Willi Winzig hat gemafi § 35 SGB VI einen Anspruch auf Regelaltersrente ab 1. Marz 2031“ lauten konnte.
Wichtig ist zudem, dass eine Klausur nicht in der 1. Person Singular (Ich-Form), sondern in der 3. Person Singular geschrieben wird. Statt „Als nachstes prufe ich XY“ ware in der Klausur „Im Folgenden ist XY zu prufen" oder „Es ist XY zu prufen" zu verwenden. Daruber hinaus werden im Gutachtenstil zwar Fragen aufgeworfen, die jedoch nicht als Frage, sondern als Satz formuliert werden sollen.
Die folgenden Unterkapitel gehen auf den Ablauf einer einzelnen Voraussetzung ein.
1 a i) Obersatz
Jede Voraussetzung ist durch einen eigenen Obersatz zu prufen. Der Obersatz hat immer eine Vorschrift zu enthalten. Wie der Einleitungssatz am Anfang der Klausur ist dieser mog- lichst im Konjunktiv zu schreiben und ist durch die im Abschnitt 1 a iv) beschriebene Konklu- sion abzuschlieRen. Mit dem Obersatz soll dem Leser bzw. dem Korrektor gezeigt werden, welche konkrete Fragestellung gerade gepruft wird.
Ein Beispiel fur einen Obersatz beim Beispiel des Regelaltersrentners konnte lauten: „Zu- nachst musste der Versicherte gemafi § 35 Satz 1 Nr. 1 SGB VI die Regelaltersgrenze erreicht haben."
1 a ii) Definition
Im Anschluss an den Obersatz ist die zu prufende Voraussetzung aufzuzeigen zu definieren. Das bedeutet, dass die Voraussetzung zu nennen ist. AuRerdem zu beschreiben, wie diese Voraussetzung erfullt werden kann.
Eine Definition konnte bezogen aus das oben angefangene Beispiel lauten: „Die Regelaltersgrenze wird gemafi § 35 Satz 2 SGB VI mit Vollendung des 67. Lebensjahres erreicht."
1 a iii) Subsumtion
1st eine Voraussetzung definiert mussen die Angaben im Sachverhalt unter die Norm subsu- miert werden. Das bedeutet nichts anderes, als dass mit den Angaben aus dem Sachverhalt gepruft wird, ob die Voraussetzung erfullt ist. Wichtig ist, dass auf jedes Merkmal der Definition eingegangen wird. Ein blower Hinweis darauf, dass alle Merkmale erfullt sind, ist nicht ausreichend.
Eine Subsumtion konnte in Anlehnung an das Beispiel lauten: „Der Versicherte ist am 13. Februar 1964 geboren. Das 67. Lebensjahr vollendet er unter Anwendung der §§ 26 SGB X, 187 Absatz 2,188 Absatz 2 BGB am 12. Februar 2031."
1 a iv) Konklusion
Zum Schluss ist der Obersatz mit einer Konklusion zu beantworten. Das bedeutet, dass zum Obersatz ein Ergebnis formuliert werden muss. Ein guter Konklusionssatz wird unter ande- rem mit den Worten „Schlussendlich", „Folglich" oder „Demnach" eingeleitet. Wichtig ist, dass immer ein Bezug zum Obersatz besteht. Stunde im Obersatz „Der Versicherte musste das 67. Lebensjahr vollendet haben" ist es unglucklich, in der Konklusion „Somit hat der Versicherte die Regelaltersgrenze erreicht" zu schreiben.
Eine Konklusion unter dem Beispiel von 1 a i) konnte demnach lauten: „Somit hat der Versicherte nach § 35 Satz 1 Nr. 1 SGB VI die Regelaltersgrenze erreicht."
1 b) Schema fur den Gutachtenstil
1. Einleitungssatz
2. Prufung 1. Voraussetzung
a. Obersatz
b. Definition
c. Subsumtion
d. Konklusion
3. Prufung 2. Voraussetzung
a. Obersatz
b. Definition
c. Subsumtion
d. Konklusion
4. Prufung der weiteren Voraussetzungen im selben Stil
5. Schlusssatz
Dieses Schema soll Ihnen nur eine grobe Ubersicht geben. Da Voraussetzungen, die Sie unter (b) definieren, haufig ihrerseits ebenfalls Voraussetzungen haben, kann die Definition ein wenig langer ausfallen, bevor Sie subsumieren konnen. Das Beispiel in Kapitel 1c) zeigt dies auf.
1 c) Beispiel fur den Gutachtenstil
Sachverhalt:
Die am 19. Mai 1964 geborene Hausfrau Yvonne Kampmann beantragt am 14. Mai 2031 Re- gelaltersrente ab dem 1. Juni 2031. In ihrem Versicherungsverlauf sind 72 Kalendermonate mit Beitragszeiten vorhanden.
Aufgabe:
Prufen Sie, ob ein Anspruch auf Regelaltersrente ab 1. Juni 2031 besteht. Die Rechtsgrundla- gen finden Sie im Anhang.
Losung:
Die Versicherte Yvonne Kampmann (K) konnte gemaR § 35 SGB VI einen Anspruch auf Regelaltersrente ab dem 1. Juni 2031 haben.
Zunachst musste K gemaR § 35 Satz 1 Nr. 1 SGB VI die Regelaltersgrenze erreicht haben. GemaR § 35 Satz 2 SGB VI wird die Regelaltersgrenze mit Vollendung des 67. Lebensjahres erreicht. Fur die Berechnung von Fristen und fur die Bestimmung von Terminen gelten gemaR § 26 Absatz 1 SGB X die §§ 187 bis 193 des Burgerlichen Gesetzbuches entsprechend. Ist der Beginn eines Tages der fur den Anfang einer Frist maRgebende Zeitpunkt, so wird dieser Tag gemaR § 187 Absatz 2 Satz 1 BGB bei der Berechnung der Frist mitgerechnet. Das Glei- che gilt nach § 187 Absatz 2 Satz 2 BGB von dem Tage der Geburt bei der Berechnung des Lebensalters. Eine Frist, die nach Wochen, nach Monaten oder nach einem mehrere Monate umfassenden Zeitraum bestimmt ist, endigt gemaR § 188 Absatz 2 BGB im Falle des § 187 Absatz 2 BGB mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher dem Tage vorhergeht, der durch seine Benennung oder seine Zahl dem Anfangstag der Frist entspricht. Die Versicherte ist am 19. Mai 1964 geboren. Das 67. Lebensjahr vollen- det sie am 18. Mai 2031. Folglich hat K die Regelaltersgrenze erreicht.
Des Weiteren musste K gemaR § 35 Satz 1 Nr. 2 SGB VI die allgemeine Wartezeit erfullt haben. GemaR § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI betragt die allgemeine Wartezeit fur Regelalters- renten funf Jahre. GemaR § 122 Absatz 2 Satz 1 SGB VI umfasst ein Zeitraum, der in Jahren bestimmt ist, fur jedes zu berucksichtigende Jahr zwolf Monate. GemaR § 51 Abs. 1 SGB VI werden auf die allgemeine Wartezeit Kalendermonate (KM) mit Beitragszeiten angerechnet.
Ebenfalls Berucksichtigung auf die allgemeine Wartezeit finden nach § 51 Abs.
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