Der Begriff der Zivilgesellschaft hat im Zuge des Zusammenbruchs des Ostblocks eine Renaissance erfahren. Er wurde zum Leitbegriff antitotalitärer Bürgerbewegungen und zum Symbol eines demokratischen Leitbilds. Dies scheint Grund genug, sich mit der Zukunft der Zivilgesellschaft in den nunmehr postsozialistischen Transformationssystemen auseinanderzusetzen. Ziel dieser Arbeit ist es, die Chancen zivilgesellschaftlicher Entwicklungen in den jungen Demokratien, unter besonderer Berücksichtigung deren sozialistischen Erbes, abzuschätzen.
Hierzu erfolgt zunächst der Versuch einer Bestimmung des Begriffs der Zivilgesellschaft aus den unzähligen vorhandenen Definitionen. Anschließend gilt es, die in der Transformationsforschung vorherrschende Auffassung über die Funktion der Zivilgesellschaft beim Systemwechsel herauszuarbeiten. In einem zweiten Schritt geht es darum, den sozialistischen Kollektivbegriff als eine der Zivilgesellschaft entgegengesetzte, vergangene aber durchaus noch wirkungsmächtige Organisationsform zu rekonstruieren, um so in einem dritten und letzten Schritt von der Kompatibilität bzw. Inkompatibilität der beiden Begriffe auf die Chancen zivilgesellschaftlicher Entwicklungen im postsozialistischen Systemen schließen zu können.
Wie sich aus der Vorgehensweise ablesen lässt, beschränkt sich diese Arbeit auf eine rein begriffliche Analyse. Empirisch anders lautende Teilbefunde können zugunsten der Aufdeckung genereller Entwicklungslinien ebenso wenig berücksichtigt werden, wie mögliche Unterschiede zwischen einzelnen postsozialistischen Systemen. Bei der Bestimmung des Kollektivbegriffs stützen sich die Ausführungen, in Ermangelung aktueller Literatur, auf eine historische Rekonstruktion mittels sozialistischer Primärquellen. Auch hier wird auf eine Ausdifferenzierung nationaler Unterschiede verzichtet. Herangezogen wurde in erster Linie soziologische Literatur aus der ehemaligen DDR. Allerdings dürften die Abweichungen in Anbetracht der ideologischen Hegemonie der damaligen Sowjetunion in diesem Zusammenhang tatsächlich kaum von Bedeutung sein.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Die institutionelle Verortung von Zivilgesellschaft zwischen Bereichs- und Interaktionslogik…
- 2. Das Antriebsmoment der Zivilgesellschaft zwischen Tugend und Interesse
- 2.1 Die neorepublikanische Rezeption: Zivilgesellschaft als Ausdruck von Bürgertugend…
- 2.2 Die liberale Rezeption: Zivilgesellschaft als Austragung von Interessenkonflikten…
- 2.3 Die reflexive Perspektive: Zivilgesellschaft als Verschmelzung von Tugend und Interesse…
- 3. Der Zivilgesellschaftsbegriff der Transformationsforschung…
- 4. Die Zivilgesellschaft im Transformationsprozess…
- 4.1 Liberalisierungsphase und Aufschwung der Zivilgesellschaft…
- 4.2 Demokratisierungsphase und Boom der Zivilgesellschaft…
- 4.3 Konsolidierungsphase und Abschwung der Zivilgesellschaft…
- 5. Sozialistisches Kollektiv und demokratische Zivilgesellschaft…
- 5.1 Das sozialistische Kollektiv: Eine Begriffsgeschichte…
- 5.2 Das Individuum im Sozialismus…
- 5.3 Individuum und Kollektiv…
- 5.4 Kollektiv und Gesellschaft…
- 6. Die Konsequenzen für die postsozialistischen Zivilgesellschaften…
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Hausarbeit analysiert die Entwicklung der Zivilgesellschaft in postsozialistischen Transformationssystemen vor dem Hintergrund des sozialistischen Erbes. Das Hauptziel ist es, die Chancen zivilgesellschaftlicher Entwicklungen in diesen jungen Demokratien unter Berücksichtigung des spezifischen historischen Kontextes abzuschätzen.
- Definition und Konzeption von Zivilgesellschaft im Kontext der Transformationsforschung
- Analyse der institutionellen Verortung von Zivilgesellschaft zwischen Staat, Markt und Privatsphäre
- Rekonstruktion des sozialistischen Kollektivbegriffs als Gegenmodell zur zivilgesellschaftlichen Organisation
- Untersuchung der Kompatibilität bzw. Inkompatibilität von Zivilgesellschaft und sozialistischem Kollektiv
- Bewertung der Chancen zivilgesellschaftlicher Entwicklungen in postsozialistischen Systemen
Zusammenfassung der Kapitel
- Kapitel 1: Dieses Kapitel beleuchtet zwei grundlegende Perspektiven zur Definition von Zivilgesellschaft: die bereichslogische und die interaktionslogische. Es diskutiert die Vor- und Nachteile beider Ansätze und zeigt die Schwierigkeiten auf, die mit einer klaren Abgrenzung von Zivilgesellschaft zu anderen gesellschaftlichen Bereichen verbunden sind.
- Kapitel 2: Dieses Kapitel analysiert die unterschiedlichen Motivationen für zivilgesellschaftliches Engagement. Es betrachtet den neorepublikanischen Ansatz, der Zivilgesellschaft als Ausdruck von Bürgertugend begreift, sowie den liberalen Ansatz, der Zivilgesellschaft als Austragung von Interessenkonflikten versteht. Schließlich wird eine reflexive Perspektive vorgestellt, die beide Ansätze miteinander verbindet und Zivilgesellschaft als Verschmelzung von Tugend und Interesse definiert.
- Kapitel 3: Dieses Kapitel beleuchtet die Rolle von Zivilgesellschaft im Transformationsprozess. Es zeigt, wie zivilgesellschaftliche Akteure die Systemtransformationen in postsozialistischen Staaten beeinflusst haben und welche Herausforderungen sie im Übergang von autoritären zu demokratischen Systemen bewältigen mussten.
- Kapitel 4: Dieses Kapitel befasst sich mit dem sozialistischen Kollektivbegriff als Gegenmodell zur zivilgesellschaftlichen Organisation. Es analysiert die Begriffsgeschichte des Kollektivs und beleuchtet die Rolle des Individuums und seine Beziehung zum Kollektiv im Sozialismus. Darüber hinaus werden die Auswirkungen des Kollektivs auf die Gesellschaft im Ganzen untersucht.
- Kapitel 5: Dieses Kapitel untersucht die Konsequenzen des sozialistischen Kollektivs für die Entwicklung der Zivilgesellschaft in postsozialistischen Staaten. Es analysiert die Herausforderungen und Chancen, die sich aus dem historischen Erbe des Kollektivs für die zivilgesellschaftliche Entwicklung ergeben.
Schlüsselwörter
Die vorliegende Hausarbeit befasst sich mit den zentralen Begriffen Zivilgesellschaft und sozialistisches Kollektiv im Kontext postsozialistischer Transformationsprozesse. Der Fokus liegt auf der Analyse der institutionellen Verortung von Zivilgesellschaft zwischen Staat, Markt und Privatsphäre, den Motivationen für zivilgesellschaftliches Engagement, der Rolle von Zivilgesellschaft im Systemwandel sowie den Auswirkungen des sozialistischen Erbes auf die Entwicklung zivilgesellschaftlicher Strukturen in den postsozialistischen Transformationssystemen. Die Arbeit beleuchtet die Bedeutung von Begriffen wie Bürgertugend, Interessenkonflikt, Kollektiv, Individuum und Systemtransformation im Zusammenhang mit der Analyse von Zivilgesellschaft in postsozialistischen Ländern.
- Quote paper
- Jan Trützschler (Author), 2005, Die Zivilgesellschaft in den postsozialistischen Transformationssystemen vor dem Hintergrund des kollektivistischen Erbes, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50317