„Die Welt ist von Zeichen bedeckt, die man entziffern muß, und diese Zeichen, die Ähnlichkeiten und Affinitäten enthüllen, sind selber nur Formen der Ähnlichkeit. Erkennen heißt also interpretieren: vom sichtbaren Zeichen zu dem dadurch Ausgedrückten gehen, das ohne das Zeichen stummes Wort, in den Dingen schlafend bliebe.“ (Michel Foucault, zitiert in Palm 1995, S.IX)
Phraseologismen begegnen uns regelmäßig in der Alltagssprache. Sie dienen der Erweiterung unseres Wortschatzes und der Benennung und Verarbeitung der sprachlichen und v. a. mentalen Welt. (vgl. ebd., S.1) Auch in der Wissenschaft haben sie Aufmerksamkeit erhalten. Als Teildisziplin der Lexikologie oder auch als selbstständige linguistische Disziplin ist die Phraseologie seit den 70er Jahren in den Fokus der Sprachwissenschaft gelangt. (vgl. ebd., S.XI)
Im Rahmen dieser Arbeit soll sowohl eine wissenschaftliche Begriffsbestimmung als auch eine Betrachtung psycholinguistischer Aspekte und Aspekten des Erlernens von Phraseologismen vorgenommen werden. Schlussfolgernd ergibt sich folgender Aufbau:
Der erste Teil der Arbeit dient der Beantwortung der Frage „Was sind Phraseologismen?“. Um eine hinreichende Begriffsbestimmung gewährleisten zu können, soll dabei sowohl auf bedeutende Merkmale als auch auf Klassifikationsmöglichkeiten und Funktionen von Phraseologismen eingegangen werden. Jedoch beansprucht dieses Kapitel keine Vollständigkeit, da je nach Autor in der Literatur differente Merkmale, Klassifikationen und Funktionen zu finden sind. Aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Arbeit stützen sich folgende Darlegungen auf einen Auszug dessen, was die Fachliteratur offenbart.
Im zweiten Teil der Arbeit liegt der Fokus auf die psycholinguistischen Aspekte von Phraseologismen und den Spracherwerb. Nachdem zunächst ein relativ allgemein dargestellter Auszug vom Lernen, Produzieren und Verstehen der Phraseologismen vorgenommen wird, findet abschließend zudem die Redensartendidaktik Beachtung.
Inhalt
1. Einleitung
2. Was sind Phraseologismen?
2.1 Merkmale
2.2 Klassifikationen
2.3 Funktionen
3. Psycholinguistische Aspekte und Spracherwerb
3.1 Das Lernen, Produzieren und Verstehen von Phraseologismen
3.2 Aspekte der Redensartendidaktik
4. Fazit
5. Literatur
1. Einleitung
„Die Welt ist von Zeichen bedeckt, die man entziffern
muß, und diese Zeichen, die Ähnlichkeiten und Affinitäten
enthüllen, sind selber nur Formen der Ähnlichkeit.
Erkennen heißt also interpretieren: vom sichtbaren Zeichen
zu dem dadurch Ausgedrückten gehen, das ohne das
Zeichen stummes Wort, in den Dingen schlafend bliebe.“
(Michel Foucault, zitiert in Palm 1995, S.IX)
Phraseologismen begegnen uns regelmäßig in der Alltagssprache. Sie dienen der Erweiterung unseres Wortschatzes und der Benennung und Verarbeitung der sprachlichen und v. a. mentalen Welt. (vgl. ebd., S.1) Auch in der Wissenschaft haben sie Aufmerksamkeit erhalten. Als Teildisziplin der Lexikologie oder auch als selbstständige linguistische Disziplin ist die Phraseologie seit den 70er Jahren in den Fokus der Sprachwissenschaft gelangt. (vgl. ebd., S.XI)
Im Rahmen dieser Arbeit soll sowohl eine wissenschaftliche Begriffsbestimmung als auch eine Betrachtung psycholinguistischer Aspekte und Aspekten des Erlernens von Phraseologismen vorgenommen werden. Schlussfolgernd ergibt sich folgender Aufbau:
Der erste Teil der Arbeit dient der Beantwortung der Frage „Was sind Phraseologismen?“. Um eine hinreichende Begriffsbestimmung gewährleisten zu können, soll dabei sowohl auf bedeutende Merkmale als auch auf Klassifikationsmöglichkeiten und Funktionen von Phraseologismen eingegangen werden. Jedoch beansprucht dieses Kapitel keine Vollständigkeit, da je nach Autor in der Literatur differente Merkmale, Klassifikationen und Funktionen zu finden sind. Aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Arbeit stützen sich folgende Darlegungen auf einen Auszug dessen, was die Fachliteratur offenbart.
Im zweiten Teil der Arbeit liegt der Fokus auf die psycholinguistischen Aspekte von Phraseologismen und den Spracherwerb. Nachdem zunächst ein relativ allgemein dargestellter Auszug vom Lernen, Produzieren und Verstehen der Phraseologismen vorgenommen wird, findet abschließend zudem die Redensartendidaktik Beachtung.
2. Was sind Phraseologismen?
Bereits bei dem Versuch einer allgemeinen Definition lassen sich differente Herangehensweisen verzeichnen. Zwei Definitionen seien an dieser Stelle vorgestellt. Burger/Buhofer/Sialm definieren Phraseologismen auf folgende Weise:
„Phraseologisch ist eine Verbindung von zwei oder mehr Wörtern dann, wenn (1) die Wörter eine durch die syntaktischen und semantischen Regularitäten der Verknüpfung nicht voll erklärbare Einheit bilden und wenn (2) die Wortverbindung in der Sprachgemeinschaft, ähnlich wie ein Lexem, gebräuchlich ist.“ (Burger/Buhofer/Sialm 1982, S.1)
Palm hingegen nimmt eine Definition unter sprecherbezogenen und semantischen Gesichtspunkten vor:
„Die Phraseologie ist die Wissenschaft oder Lehre von einer festen Wortverbindung einer Sprache, die in System und Satz Funktion und Bedeutung einzelner Wörter (=Lexeme) übernehmen können. Damit sind Phraseologismen ein Mittel zur Erweiterung des Wortschatzes, zur Benennung (Nomination) und Verarbeitung der Welt in der menschlichen Sprachtätigkeit. Was vorzugsweise durch Phraseologismen verarbeitet wird, sind mentale Größen, wie Emotionen, Einstellungen, (negative) Verhaltensweisen, man spricht deshalb neuerdings vom mentalen Lexikon einer Sprache im Zusammenhang mit der Phraseologie.“ (Palm 1995, S.1)
Des Weiteren differenziert die Autorin zwischen einer Phraseologie im engeren und einer im weiteren Sinne. Wobei Phraseologismen im engeren Sinne ausschließlich Phraseme, d.h. Phraseolexeme, Wortgruppenlexeme, Idiome, feste Wendungen sowie Redensarten und Phraseologismen im weiteren Sinne Sprichwörter, Antisprichwörter, Lehnsprichwörter und geflügelte Wörter umfassen. (vgl. ebd., S.1ff)
Aus diesen m. E. ergänzenden Definitionen gehen Merkmale von Phraseologismen hervor, die eine transparente Begriffsbestimmung im Folgenden gewährleisten sollen. Sowohl die Merkmale als auch die Klassifikationen sollen dabei durch entsprechende phraseologische Beispiele verdeutlicht werden.
2.1 Merkmale
Den Definitionen geht hervor, dass sich die untere lexikalische Grenze eines Phraseologismus aus zwei Wörtern zusammensetzt. Als obere Grenze hingegen erscheint zunächst der Satz sinnvoll. Jedoch können u. U. auch Kurztexte phraseologischer Natur sein. Dieses Merkmal, dass Phraseologismen aus mindestens zwei Wörtern bestehen müssen, wird von Preußer als Polylexikalität (vgl. Preußer 2003, S.59) und von Burger als Mehrgliedrigkeit (Burger 1998) bezeichnet. In dem Beispiel „Irren ist menschlich“ sagte der Igel und stieg von der Drahtbürste (Simon 1988) sieht Preußer einen Sonderfall: hier offenbart sich ein Wellerismus, der „von jemanden verwendet [wird], dessen Situation in meist witzigem oder ironischem Kontrast zu seiner Äußerung steht.“ (Preußer 2003, S.59)
Palm kristallisiert bei dem Merkmal der Polylexikalität bzw. Mehrgliedrigkeit das Merkmal Lexikalisierung heraus: Dabei versteht die Autorin die Aufnahme der phraseologischen Wortverbindung in den Wortschatz (Lexikon) und die Versprachlichung dieser. (vgl. Palm 1995, S.36)
Eng damit verbunden erscheint das Merkmal der Reproduzierbarkeit: Da ein Phraseologismus in seiner Gesamtheit im Lexikon existieren muss, kann er gleichsam in seiner Gesamtheit abgerufen oder produziert werden. Er muss demnach nicht neu gebildet werden, sondern steht in seiner Gesamtheit einer Reproduktion zur Verfügung. (vgl. ebd., S.41) Deutlich wird die Reproduzierbarkeit an dem häufig in Phraseologismen verwendeten Wort Herz, dessen folgende differente Bedeutungen im mentalen Lexikon gespeichert sein müssen, um ein jeweiliges Verstehen gewährleisten zu können: Jemandem blutet das Herz, Jemandem lacht/ hüpft das Herz, Jemandem bleibt das Herz stehen, Jemandem sein Herz ausschütten und Jemandem das Herz schwer machen.
Als zweites Merkmal nennt Preußer die Festigkeit. (vgl. Preußer 2003, S.60ff) Unter diesen Begriff vereint sie den Tatbestand, dass Phraseologismen nicht in seinen Einzelkomponenten, sondern in seiner Gesamtheit im mentalen Lexikon gespeichert und abgerufen werden. Dabei gibt es mehr oder weniger feste phraseologische Verbindung, d. h. sie sind graduell. Die Festigkeit lässt sich mittels Lückentests empirisch belegen, indem „es bei festen Wortverbindungen oft nur eine, ansonsten sehr wenig Auswahlmöglichkeiten [gibt].“ (ebd.) Des Weiteren sind Phraseologismen v. a. dann stabil bzw. fest, wenn bei ihnen Operationen ohne Sinnverschiebungen vorgenommen werden können. Diese Operationen können beispielsweise Passiv- oder Relativsatztransformationen, Nominalisierungen, Expansion durch Attribute oder durch korrelative Konjunktionen oder Frage-Satz-Transformationen sein. (vgl. Fleischer 1982, S.54ff) Auch können Einzelkomponenten nicht durch Synonyme ersetzt werden, was sich in folgendem Beispiel verdeutlichen lässt: Die Katze im Sack kaufen erscheint sinnvoll, hingegen Die Katze im Beutel kaufen befremdlich erscheint. Dennoch gibt es Phraseologismen mit differenten Überlieferungen bzw. Varianten wie sich einen umhängen/ ballern/ zwitschern (= sich betrinken), dessen Grad der Festigkeit dann als relativ gering anzusehen sind. Je mehr Varianten eines Phraseologismus demnach existieren, desto geringer ist der Grad der Festigkeit. Hingegen das Beispiel Vom Regen in die Traufe fallen verdeutlicht, dass „Je weniger semantische Leerstellen der Kern eines Phraseologismus enthält, desto größer ist sein Grad der Festigkeit.“ (Preußer 2003., S.62) Durch regionale Unterschiede, Sprachwandel oder z. B. auch durch simple Pluralbildungen lassen sich zahlreiche Phraseologismen mit differenten Varianten verzeichnen. So auch Jemanden passt/ gefällt jemandens Nase nicht oder Einem geschenkten Gaul guckt/ schaut man nicht ins Maul. (vgl. ebd.) Somit bewirkt das erhöhte Vorkommen von Varianten eine Relativierung der strukturellen Festigkeit. (vgl. Burger 1998, S.25)
Die Differenz zwischen der wörtlichen und der phraseologischen Gesamtbedeutung kann unter dem Merkmal Idiomatizität verstanden werden. (vgl. ebd., S.31; vgl. Preußer 2003, S.63ff) Burger (u. a.) definieren dieses Merkmal bei Phraseologismen folgendermaßen: „Ihre Gesamtbedeutung [die der Phraseologismen], die Bedeutung, die sie als lexikalisierte Einheit haben, entspricht nicht der Summe der Bedeutungen der einzelnen Wörter, aus denen sie bestehen.“ (Burger/Buhofer/Sialm 1982, S.3) Wie auch bei Ins Gras beißen sind eben diese Phraseologismen nicht wörtlich zu verstehen. Generell ist hierbei ein Kriterium für das Verstehen von Phraseologismen zu erkennen. Bezüglich der Idiomatizität lassen sich drei Einstufungen (Graduierungen) vornehmen:
(1) Ist die phraseologische Gesamtbedeutung mit der wörtlichen Bedeutung identisch wie bei Zur Verfügung stellen oder Ein Problem aufwerfen, so ist der Phraseologismus als nicht-idiomatisch anzusehen. (vgl. Preußer 2003, S.63) Dies sind zumeist Funktionsverbgefüge oder Kollokationen, „da diese durch ihre Verbindung zu einem Vollverb durchschaubar sind“ (Balsliemke 2001, S.24). Oft sind aber auch metaphorische Phraseologismen oder eine Metonymie nicht-idiomatisch einzustufen. (vgl. ebd., S.23)
(2) Ist zumindest eine Komponente in der phraseologischen Gesamtbedeutung wörtlich zu verstehen wie bei der freien Bedeutung von gesund in Gesund wie ein Fisch im Wasser, so liegt hier eine Teil-Idiomatizität vor. (vgl. Preußer 2003, S.63)
(3) Lässt sich hingegen die phraseologische Bedeutung nicht der wörtlichen Bedeutung entnehmen wie bei Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, so offenbart sich ein (voll-)idiomatischer Phraseologismus. Hier werden die Gebrauchsrestriktionen „allein im Umgang mit ihm gelernt und sind meist nur von aktiven Muttersprachlern […] zu erfassen.“ (ebd., S.64)
Hinzu kommt, dass sich die Gebrauchrestriktionen aus der jeweils aktuellen Situation, in der das Sprichwort gebraucht wird, ergeben können. Demnach kann das eben genannte Beispiel sowohl positiv als auch negativ konnotiert sein und sowohl eine Eltern-Kind-Beziehung als auch eine Lehrer-Schüler-Beziehung implizieren. (vgl. ebd., S.65)
Legt die wörtliche Bedeutung eines Phraseologismus die phraseologische Bedeutung bereits nahe, d. h. wenn es „in irgendeiner Form [eine] entschlüsselbare semantische Basis besitz[t]“ (ebd., S.66), so kann auch von einer „Motiviertheit“ gesprochen werden, die somit der Idiomatizität des Phraseologismus entgegensteht. Dabei kann die semantische Basis sowohl durch historisches, fachliches oder kulturelles Wissen des Sprechers oder Hörers als auch durch einleuchtende Bildhaftigkeit des Phraseologismus oder der jeweiligen Einbettung in den Kontext entschlüsselt werden. (vgl. ebd. S.65f) Burger hingegen versteht unter „Motiviertheit“ ausschließlich eine Übereinstimmung von phraseologischer und wörtlicher Bedeutung. Dem entgegen steht die „Motivierung“, die dann vorliegt, wenn durch die Kontexteinbettung die wörtliche Bedeutung oder die Bedeutung einzelner Komponenten zu erschließen ist bzw. sind. (vgl. Burger 1998, S.29) Palm verwendet für dieses Phänomen den Begriff „Remotivierung“ (Palm 1995). Wenn die Kontexteinbettung eine der Ausgangsdomäne fremde wörtliche Bedeutung impliziert, bezeichnet Burger dies als „Literalisierung“ (Burger 1998, S.29).
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- Regine Riedel (Author), 2005, Phraseologismen - ihr Wesen und ihr Erlernen -, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50301
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