Im bekannten Drama "Faust - Der Tragödie erster Teil" von Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832), erstmals veröffentlicht 1808, spielt die sogenannte Gretchentragödie eine tragende Rolle und ist wohl heute noch mit ihrer Problematik der meist diskutierte und aktuellste Handlungsstrang des Dramas Faust I.
Vor allem die Kindstötung und die damit verbundene Schuldfrage stehen hier im Vordergrund, aber auch die Beziehung zu einem älteren Mann außerhalb einer Ehe sollte beachtet werden. Den Fall der Susanna Margareta Brandt, die 1772 wegen Kindstötung hingerichtet wurde, nachdem sie unehelich schwanger wurde und aus Panik vor gesellschaftlicher Ächtung ihr Kind getötet und verstümmelt hat, nahm sich Goethe zur Vorlage der Gretchen-Handlung.
Um die Frage der Opferrolle von Gretchen beantworten zu können, muss man untersuchen, welche Stellung Gretchen vor der Begegnung mit Faust in der Gesellschaft genießt und in welcher Verfassung sie sich befindet, als sie den Mord an ihrem eigenen Neugeborenen begeht.
Gretchen in Goethes Faust. Ein Opfer von gesellschaftlichen und moralischen Strukturen?
Im bekannten Drama Faust - Der Tragödie erster Teil von Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832), erstmals veröffentlicht 1808, spielt die sogenannte Gretchentragödie eine tragende Rolle und ist wohl heute noch mit ihrer Problematik der meist diskutierte und aktuellste Handlungsstrang des Dramas Faust I. Vor allem die Kindstötung und die damit verbundene Schuldfrage stehen hier im Vordergrund, aber auch die Beziehung zu einem älteren Mann außerhalb einer Ehe sollte beachtet werden.
Den Fall der Susanna Margareta Brandt, die 1772 wegen Kindstötung hingerichtet wurde, nachdem sie unehelich schwanger wurde und aus Panik vor gesellschaftlicher Ächtung ihr Kind getötet und verstümmelt hat, nahm sich Goethe zur Vorlage der Gretchen-Handlung.
Um die Frage der Opferrolle von Gretchen beantworten zu können, muss man untersuchen, welche Stellung Gretchen vor der Begegnung mit Faust in der Gesellschaft genießt und in welcher Verfassung sie sich befindet, als sie den Mord an ihrem eigenen Neugeborenen begeht.
Gretchen wird bei der ersten Begegnung mit Faust als ein frommes, tugendhaftes und naives Bauernmädchen mit Flechtfrisur, die hier als ein Symbol der kleinbürgerlichen Enge fungiert, dargestellt. Sogar Mephisto mokiert sich sarkastisch darüber, dass Gretchen selbst zur Beichte gehen würde, auch wenn sie keine Sünde begangen hat.1
Gretchen fällt in der damaligen kleinbürgerlichen Gesellschaft vor der ersten Begegnung mit Faust keinesfalls unangenehm auf, da sie als Vertreterin des Kleinbürgertums ein bescheidenes und bodenständiges Leben führt. Sie unterscheidet sich damit zu Faust, der nach Überirdischem strebt, was unter anderem in der Beschreibung der Zimmer von Faust und Gretchen deutlich wird. Während Faust in einem „engen gotischen Zimmer"2 lebt, haust Gretchen im Elternhaus in einem kleinem und reinlichen Zimmer3, was das Bild der frommen Unschuld unterstützt. Gretchen lebt in einem kleinbürgerlichen Milieu, welches von engstirnigen und peniblen Werte- und Moralvorstellungen und Konventionen geprägt ist, was ihr auch schnell zum Verhängnis werden soll. Die Verniedlichung ihres Namens Magarete in Gretchen unterstreicht das Bild des naiven und jungen Mädchens, signalisiert zudem aber auch menschliche Nähe und Verletzlichkeit.4
Gretchen begeht den Mord an ihrem eigenen Kind und wird schuldig gesprochen, zu Recht. Jedoch muss man sich fragen, ob sie die alleinige Schuld hat und inwieweit sie sich zu diesem Mord gezwungen und gedrängt fühlte. Dass im Kleinbürgertum nach einer unehelichen Schwangerschaft die Ächtung der Mutter folgt, wird vor allem in der Szene „Am Brunnen" deutlich, denn hier erkennt Gretchen anhand des Schicksals eines anderen Mädchens, dass eine unverheiratete junge Mutter ihr Ansehen in der Gesellschaft verliert und öffentlich gedemütigt und gemieden wird. Nachdem ihre Mutter verstirbt und Gretchen sich dafür verantwortlich fühlt, gerät sie zunehmend in eine soziale Isolation, versinkt in Einsamkeit und Trauer. Auch ihre Religion, die ihr immer wichtig war und ihr eine Stabilität geboten hat, entgleitet ihr und selbst in der Kirche fühlt sie sich nicht mehr willkommen und bricht im Dom, welcher für sie eigentlich einen schützenden Raum bieten sollte, zusammen. Eine mögliche Ursache für die Kindstötung kann auch die öffentliche Demütigung seitens Gretchens Bruder Valentin sein, der durch Fausts und Mephistos Hand stirbt und seine letzten Worte dafür nutzt, Gretchen öffentlich wegen ihrem Verhältnis zu Faust und ihrer bevorstehenden Entbindung zu ächten, zu demütigen und herabzuwürdigen. Er prophezeit ihr eine düstere Zukunft, Ausschluss aus der Kirche und das Leben in Armut.
[...]
1 Vgl. von Goethe, Johann Wolfang: Faust - Der Tragödie erster Teil (1808). V. 2621 - 2625.
2 Vgl. von Goethe, Johann Wolfang: Faust - Der Tragödie erster Teil (1808). V. 353.
3 Vgl. von Goethe, Johann Wolfang: Faust - Der Tragödie erster Teil (1808). V. 2677.
4 Von Essen, Gesa: Faust, das Genie - 1750 bis 1850, in: Mayer, Mathias / Rhode, Carsten / Valk, Thorsten (Hg.): Faust Handbuch. Konstellationen - Diskurse - Medien, S. 244 - 253.
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- Anonym,, 2019, Gretchen in Goethes "Faust". Ein Opfer gesellschaftlicher und moralischer Strukturen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/502809