Dan Flavins zunächst kühl, minimalistisch und nüchtern wirkende Rauminstallation „monuments“ for V.Tatlin (1964 - 1969) in der Pinakothek der Moderne in München bietet zunächst so gut wie keine Zusatzinformation, narrative Elemente oder ähnliche Anhaltspunkte zur Deutung. Obgleich das Material Leuchtstoffröhre vielen Personen als Alltagsgegenstand bekannt ist, ist es „in seiner künstlerischen Verwendung nicht unbedingt verständlich“ (vgl. von Marlin, 2008). Das Werk lässt einen ratlos, womöglich frustriert und mit Sicherheit fragend zurück: ‚Wieso arbeitet der Künstler mit Leuchtstoffröhren? Was ist mit dem Titel anzufangen und was soll das Ganze überhaupt?‘ Trotz meines Kunststudiums war ich bei der ersten Begegnung mit Flavins ‚monuments‘ ebenfalls äußerst ratlos. Diese Ratlosigkeit, die vom Kunstwerk ausgehende Lichtwirkung als auch der Materialreiz motivierten mich zur intensiveren Beschäftigung mit Flavins Arbeit. Als Kunststudentin interessierte mich zudem vor allem der bildnerische Prozess, durch den das künstlerische Anliegen des Künstlers und die Entstehung des Werkes nach-vollziehbar wird.
Ich habe die ‚monuments‘ von Dan Flavin schlussendlich gewählt, da ich es als angehende Kunstvermittlerin als äußerst wichtig empfinde, die für Laien oftmals schwer zugängliche Konzeptkunst des 20. Jahrhunderts, insbesondere die der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, verständlich, spannend und zum Nachdenken anregend zu vermitteln. Die museumspädagogische Führung möchte zur sensiblen Wahrnehmung der Rauminstallation einladen, Diskussionen und Gespräche über das Werk anstoßen und den Teilnehmenden basierend auf Dialog, eigenständiger Erarbeitung und Gestaltungspraxis Perspektiven der Kunstbetrachtung im Museum eröffnen.
Die vorliegende Arbeit beginnt mit einer ausführlichen Sachanalyse der ‚monuments‘. Daraufhin beschäftigt sie sich mit der Frage, welche inhaltlichen Kenntnisse am Werk gewonnen wer-den sollen und weshalb. Auf dieser Grundlage wird anschließend die Konzeption der Führung erläutert. Den darauffolgenden Abschnitt bildet die kritische Reflexion der Konzeption und der Durchführung vom 10.07.2018. Am Ende steht ein kurzes Fazit, welches unter anderem auf den persönlichen Lernfortschritt eingeht und mögliche weitere Schritte aufzeigt.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Sachanalyse: Dan Flavin, „monument“ for V. Tatlin (1964 -1969)
2.1 Charakterisierende Beschreibung
2.2 Formale Analyse
2.3 Interpretation und kunstgeschichtlicher Hintergrund
3 Inhalte und Ziele
4 Konzeption
4.1 Rahmenbedingungen: Zielgruppe, Ort, Zeit
4.2 Methodische Entscheidungen und Planungszusammenhänge
5 Kritische Reflexion der Führung am 10. Juli 2018
6 Fazit
Anhang
1 Tabellarische Verlaufsplanung
2 Abbildungen
3 Bildmaterial Führung
4 Übungsaufgaben
4.1 Aufgabe: Komposition
4.2 Aufgabe: Licht
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
Dan Flavins zunächst kühl, minimalistisch und nüchtern wirkende Rauminstallation „ monu- ments“ for V.Tatlin 1 (1964 - 1969) in der Pinakothek der Moderne in München bietet zunächst so gut wie keine Zusatzinformation, narrative Elemente oder ähnliche Anhaltspunkte zur Deu- tung. Obgleich das Material Leuchtstoffröhre vielen Personen als Alltagsgegenstand bekannt ist, ist es „in seiner künstlerischen Verwendung nicht unbedingt verständlich“ (vgl. von Marlin, 2008, S.48). Das Werk lässt einen ratlos, womöglich frustriert und mit Sicherheit fragend zurück:
‚Wieso arbeitet der Künstler mit Leuchtstoffröhren? Was ist mit dem Titel anzufangen und was soll das Ganze überhaupt?‘ Trotz meines Kunststudiums, war ich bei der ersten Begegnung mit Flavins ‚monuments‘ ebenfalls äußerst ratlos. Diese Ratlosigkeit, die vom Kunstwerk ausge- hende Lichtwirkung als auch der Materialreiz motivierten mich zur intensiveren Beschäftigung mit Flavins Arbeit. Als Kunststudentin interessierte mich zudem vor allem der bildnerische Pro- zess, durch den das künstlerische Anliegen des Künstlers und die Entstehung des Werkes nach- vollziehbar wird. Ich habe die ‚monuments‘ von Dan Flavin schlussendlich gewählt, da ich es als angehende Kunstvermittlerin als äußerst wichtig empfinde, die für Laien oftmals schwer zugängliche Konzeptkunst des 20. Jahrhunderts, insbesondere die der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, verständlich, spannend und zum Nachdenken anregend zu vermitteln. Die muse- umspädagogische Führung möchte zur sensiblen Wahrnehmung der Rauminstallation einladen, Diskussionen und Gespräche über das Werk anstoßen und den Teilnehmenden2 basierend auf Dialog, eigenständiger Erarbeitung und Gestaltungspraxis Perspektiven der Kunstbetrachtung im Museum eröffnen.
Die vorliegende Arbeit beginnt mit einer ausführlichen Sachanalyse der ‚monuments‘. Darauf- hin beschäftigt sie sich mit der Frage, welche inhaltlichen Kenntnisse am Werk gewonnen wer- den sollen und weshalb. Auf dieser Grundlage wird anschließend die Konzeption der Führung erläutert. Den darauffolgenden Abschnitt bildet die kritische Reflexion der Konzeption und der Durchführung vom 10.07.2018. Am Ende steht ein kurzes Fazit, welches unter anderem auf den persönlichen Lernfortschritt eingeht und mögliche weitere Schritte aufzeigt.
2 Sachanalyse: Dan Flavin, „monument“ for V. Tatlin (1964 -1969)
Das folgende Kapitel beschreibt fachlich relevante Inhalte für die Erarbeitung der museumspä- dagogischen Führung zu Dan Flavins ‚monuments‘. Hierbei werden zur fachlichen Orientierung mitunter Inhalte genannt, die zum Teil über das Niveau der tatsächlichen Führung hinausgehen.
Der erste Abschnitt bietet eine charakterisierende Beschreibung des Kunstwerks. Die formale Analyse im Anschluss soll Aufschluss über vorherrschende bildnerische Mittel und deren mög- liche Wirkungen bieten3. Direkt daran anknüpfend folgt die Interpretation des Werkes.
2.1 Charakterisierende Beschreibung
Bei den vier derzeit in der Dauerausstellung der Pinakothek der Moderne in München gezeigten Lichtobjekten der 39-teiligen Werkserie „monument“ for V. Tatlin von Dan Flavin handelt es sich um die Installationen „monument“ for V. Tatlin I (1964) (Abb.1), „monument“ for V. Tatlin VII (1964) (Abb.2), „monument“ for V. Tatlin (1966 - 1969) (Abb.3) und „monument“ for V. Tatlin (1969) (Abb.4), die aus jeweils sieben handelsüblichen Leuchtstoffröhren mit der Lichtfarbe cool white in den Standardlängen 60, 120, 180 und 240 cm bestehen.
Die vier zusammengehörigen Lichtobjekte befinden sich in einem separaten Raum, welcher ab- gesehen vom Leuchten der Leuchtstoffröhren und der baubedingten indirekten Deckenbe- leuchtung keine weitere Beleuchtung aufweist. Der Raum kann von zwei seitlichen, sich gegen- überliegenden Eingängen betreten werden. Zur Veranschaulichung wurde eine Skizze des Rau- mes mitsamt Verteilung der ‚monuments‘ angefertigt (Abb.5)4. Da jede der vier Installationen eine eigene der vier Wandflächen bespielt und jeweils mittig montiert wurde, kann die Werk- gruppe nicht gleichzeitig als Ganzes betrachtet werden. Somit muss sich der Betrachter im Raum bewegen und sich durch Umhergehen und Umdrehen einen Überblick verschaffen. Dabei fallen nach einiger Zeit Geräusche, wie das monotone Surren der eingeschalteten Leuchtstoffröhren, auf, welches von zeitweisen Hintergrundgeräuschen der anderen Museumsbesucher begleitet wird.
Mit Ausnahme der längsten Röhre (240 cm), die bei diesen vier Arbeiten immer mittig angeord- net ist, sind die anderen Längen pro Werk immer zweimal vertreten und symmetrisch angeord- net. Die Ausrichtung der Röhren ist dabei stets vertikal. Der Anordnung der verschiedenen Längen liegt stets folgende Reihenfolge zugrunde: 60 cm, 120 cm, 180 cm, 240 cm, 180 cm, 120 cm, 60 cm. Es handelt sich somit um einen symmetrischer Aufbau von kurz nach lang und umgekehrt. Unterschiede weisen die vier Werke lediglich hinsichtlich der höhenmäßigen An- ordnung der einzelnen Röhren auf. So fällt auf, dass die Röhren bei „monument“ for V. Tatlin I (Abb.1) allesamt auf Bodenhöhe beginnen. Bei „monument“ for V. Tatlin (Abb. 3) dagegen wurde beginnend mit der ersten Röhre (60 cm) von links nur jede zweite Röhre auf Bodenhöhe ange- setzt, während die Röhren dazwischen erst auf einer Höhe von 30 Zentimeter angebracht wur- den, was genau der Hälfte der ersten und letzten Röhre entspricht. „monument“ for V. Tatlin VII (Abb.2) wiederrum weist Bodenkontakt nur mehr mit der zweiten und sechsten Röhre (je 120 cm) von links auf, wohingegen alle anderen Röhren erst auf einer Höhe von 60 Zentimeter angesetzt wurden, was erneut exakt der Hälfte der beiden Röhren mit Bodenkontakt entspricht. Bei „monument“ for V. Tatlin (Abb.4) beginnen sich alle Röhren mit Ausnahme der dritten und fünften Röhre, die Bodenkontakt haben, auf einer Höhe von 60 Zentimetern. Die unterschied- lichen Höhen bewirken unterschiedliche Gesamtformen der zusammengestellten Leuchtstoff- röhren.
Das kaltweiße Licht strahlt gleichmäßig ab. Auch die Form des Lichts kann genauer beschrieben und dabei unterschieden werden. Zunächst fallen drei ‚Lichter‘ auf: das Licht, welches der tech- nisch vorgegebenen Form der länglichen Leuchtstoffröhre folgt, die Lichtprojektionen an Wän- den und Fußboden, deren Formgrenzen sich bereits diffus aufzulösen scheinen, sowie das Licht, das den Raum erleuchtet, jedoch durch seine Immaterialität keine konkret fassbare Form hat. Dort, wo die Leuchtkraft der Röhren zum völligen Erleuchten des Raumes nicht mehr ausreicht, dunkelt der Raum nach und nach ab. Dies ist vor allem in den Ecken und ein Stück über den ‚monuments‘ der Fall, da das Licht vor allem nach vorne abstrahlt.
2.2 Formale Analyse
Die formale Analyse beleuchtet die bildnerischen Mittel Komposition, Form, Licht und Raum5. Den Abschluss dieses Kapitels bildet eine kurze Erörterung des Zusammenhangs von Licht und Raum bei Dan Flavins ‚monuments‘.
Hinsichtlich der Komposition erzeugen vertikale und parallel nebeneinander angeordnete Rich- tungen Ruhe, Stabilität, Statik. Des Weiteren entsteht eine nüchterne, einfache und daher wo- möglich auch langweilige Gesamtwirkung.
Obwohl es durch die direkt aneinander angrenzend angeordneten Röhren mitsamt ihren Halte- rungen keine Abstände zwischen den Röhren gibt, bewirkt gerade die unterschiedliche Höhena- nordnung der Röhren je nach Werk horizontale Richtungszusammenhänge (z. B. bei „monu- ment“ for V.Tatlin (Abb.4) durch Beginn bzw. Ende einzelner Röhrenlängen auf gleicher Höhe) und unterschiedlich große Abstände bzw. ‚Lücken‘ (z. B. im unteren Bereich der Installationen „monuments“ for V.Tatlin (Abb.3)). Diese horizontalen Richtungsbeziehungen sorgen dafür, dass man neben den einzelnen Röhren, die länglich-vertikal ausgerichtet sind, den Blick nicht nur von unten nach oben und von oben nach unten, sondern auch von rechts nach links wan- dern lässt. Dadurch entsteht aus den Einzelformen eine Gesamtform, was durch die Nähe der Röhren zueinander und die symmetrische Anordnung insgesamt unterstützt wird. Die Formen erinnern mitunter an Raketen, Wolkenkratzer oder Turm(spitzen), was von der stets mittig an- geordneten längsten Röhre, die dadurch eine aufstrebende Wirkung erzeugt, unterstützt wird.
Die zunächst durchgängig erscheinende Symmetrie wird jedoch durch die Unterschiede der vier Einzelkompositionen zueinander aufgelockert. Flavin erzeugt trotz gleicher Ausgangsbedingun- gen der der in der Pinakothek der Moderne gezeigten ‚monuments‘ vier unterschiedliche Kom- positionsvariationen, wodurch die Installation trotz ihrer ruhigen, sachlichen Wirkung auch eine spielerische Wirkung erfährt. Die insgesamt recht strengen Rahmenbedingungen der Komposi- tionen sind dadurch wiederrum nicht sofort deutlich erkennbar.
Die Form der einzelnen Leuchtmittel wird dabei nicht verändert. Flavin belässt es bei der ge- normten, stark in die Länge gezogenen rechteckigen Form der Leuchtstoffröhre, wodurch der technische, industriell erzeugte Charakter des Leuchtmittels bestehen bleibt. Materialeigenschaf- ten wie die glatte, glänzende Oberflächenbeschaffenheit unterstützen dies zusätzlich. Flavin ver- wendet diese Ausgangsform dabei in unterschiedlichen Längen. Auf diese Weise entstehen vier verschiedene Zusammenstellungen, die in ihrer Gesamtform wie bereits erwähnt zum Beispiel an Raketen oder Türme bzw. etwas aus Einzelteilen Gebautes erinnern.
Hinsichtlich der Lichtwirkung erzeugt das weiße Leuchtstoffröhrenlicht mit dem Standardfarb- wert cool white eine insgesamt kühle Lichtwirkung, die von dem strengen Kompositions- und Formschema verstärkt wird. Das gleichmäßige Leuchten lässt das Licht im Vergleich zu einer flackernden Lichtquelle dauerhaft oder statisch wirken. Durch die in der charakteristischen Be- schreibung bereits aufgeführten Lichtformen (längliches Licht der Röhre, auf eine Fläche pro- jiziertes Licht und das Erleuchten) kann die zunächst kühle und gleichmäßige Lichtwirkung nochmals differenziert werden. Das in der Röhre gefasste Licht wirkt in seiner Form gefasst und klar begrenzt. Das vor allem auf die Bodenflächen projizierte Licht wirkt bereits etwas diffuser, greift die längliche Form der Lichtquelle als Spiegelung jedoch noch deutlich auf. Das an keine konkrete Form gebundene Erleuchten des Raumes und lässt auch eine erhabene, sak- rale Wirkung entstehen.
Der länglichen Form der Röhren folgende Schattenzonen direkt neben den Fassungen der Leuchtstoffröhren wirken wie eine Umrandung der ‚monuments‘. Durch ihr helles Leuchten scheinen die Röhren trotz ihrer direkten Nähe zur Wand im Vergleich zum dunklen, rahmenden Schatten räumlich hervorzutreten.
In Bezug auf den Raum wurde die Installation auf den ersten Blick wandbezogen und schausei- tig konzipiert. Der von den Lichtobjekten eingenommene Platz ist im Verhältnis zum übrigen Raum minimal, wodurch der Raum nahezu leer und nüchtern wirkt. Dem Betrachter bleibt viel Platz zum Erkunden und Umherschreiten, wodurch die leere, sachliche Wirkung verstärkt wird. Durch das helle, gleichmäßige Leuchten erhält der Raum zudem auch eine sakrale Wirkung. Letzteres bildet bereits einen ersten Hinweis darauf, dass die Raumwirkung von der Lichtwir- kung und umgekehrt beeinflusst wird. Beide Bestandteile können durch die Lichtprojektionen auf die Raumflächen, das immateriell in den Raum abstrahlende Licht sowie Schattenzonen im Raum als untrennbare Einheit betrachtet werden. Erlischt das Licht, so verschwindet auch die spezifische Raumwirkung. Der Raum und dessen Architektur wird durch das Licht somit auf eine ganz bestimmte Weise empfindbar. Wiederrum benötigt das Licht den Raum, um seine Wirkung zu entfalten, welche abermals von der Raumarchitektur beeinflusst wird. Dieser Zu- sammenhang verdeutlicht, dass Flavins Installation als ganzheitliches Gefüge aus Licht und Raum auf den Betrachter wirken.
2.3 Interpretation und kunstgeschichtlicher Hintergrund
Hinsichtlich der Interpretation bieten zunächst allgemeine Daten zur Biografie und zum künst- lerischen Werdegang des Künstlers eine grobe Orientierung. Auf eine tiefergehende Darlegung der Biographie sowie künstlerischer Entwicklung des Künstlers wird verzichtet, da dies für die Führung von geringerer Bedeutung ist. Stattdessen wird ein Fokus auf materialtechnische und kunstgeschichtliche Hintergrundaspekte gelegt, die für das Verständnis der ‚monuments‘ rele- vant sind. Somit folgen vertiefende Erläuterungen zum Material der Leuchtstoffröhre als auch zu Flavins Umgang mit diesem Werkstoff bei den ‚monuments‘. Zuletzt wird der Bezug zum Künstler Vladimir Tatlin näher erläutert, welcher durch den Titel unweigerlich erzeugt wird, dem Laien jedoch ein eher nichtssagender Hinweis sein dürfte.
Der am 01. April 1933 in New York geborene Dan Nicholas Flavin (Abb.6) realisierte seit 1961 bis zu seinem Tod am 29. November 1996 Kunstwerke mit elektrischem Licht (Museum mo- derner Kunst, 2012, S. 205ff.). Zuvor fertigte er unter anderem Zeichnungen, Aquarelle und Collagen aus gefundenen Alltagsmaterialien an (vgl. ebd. S. 10). 1963 entsteht das erste Werk, das nur aus einer einzigen Leuchtstoffröhre besteht, die er unverändert an einer Wand anbringt (vgl. ebd., S. 9) (Abb.7). Nie zuvor hatte ein Künstler eine handelsübliche Leuchtstofflampe als ein für sich stehendes, künstlerisches Material verwendet (vgl. Oettl, 2008, S. 322). Daraufhin folgen in Flavins künstlerischem Werk ausschließlich Raum- bzw. Lichtinstallationen (Museum moderner Kunst, 2012, S. 205ff.). Mit den ‚monuments‘ beschäftigte er sich bis in die 90er Jahre hinein und schuf zahlreiche Varianten (vgl. Museum moderner Kunst, 2012, S. 19). Kennzeich- nend für Flavins Werke ist die Vielfalt seiner Skizzen (vgl. von Marlin, 2008, S.46; Derveaux, 2012, S. 17). Für die Reihe der ‚monuments‘ sind ebenfalls zahlreiche Entwürfe entstanden (siehe Abb.8-10), die auf eine intensive Erarbeitung und Vorbereitung der letztlich gewählten Kompositionen schließen lassen. Auf die Sammlung erster zeichnerischer Ideen (Abb.8) erfolgt eine Auswahl, die in ausführlichere Entwürfe und ein Raumkonzept mündet (Abb.9 und Abb.10)6. Flavin setzte seine Konzepte nicht selbst in die Wirklichkeit um. Stattdessen beauf- tragte er Techniker für die Installation seiner Lichtobjekte (Derveaux, 2012, S. 24). Der Entste- hungsprozess der ‚monuments‘ zeigt auf, dass die künstlerische Leistung im Falle Flavin in der künstlerischen Idee begründet liegt und weniger mit der individuellen, künstlerischen ‚Hand- schrift‘ zu tun hat.
Ein kurzer Blick auf das Material (Leuchtstoffröhre) eröffnet eine weitere Ebene, die eine An- näherung an Flavins künstlerisches Anliegen ermöglicht. Leuchtstoffröhren waren aufgrund ih- rer Effizienz und Sparsamkeit bis zum Ende der 70er Jahre eine vorherrschende Beleuchtungs- form in institutionellen Räumlichkeiten (vgl. Brown, 2016, S. 388; Museum moderner Kunst, 2012, S.75). Die Leuchtstoffröhren für die ‚monuments‘ erwarb Flavin bei der Radar Fluorescent Company (vgl. Brown, 2016, S. 390), einem amerikanischen Hersteller für Leuchtstoffröhren. Leuchtstoffröhren werden oftmals fälschlich als Neonröhren bezeichnet. Die korrekte Benen- nung seines Werkstoffes war dem Künstler sehr wichtig (vgl. Oettl, 2008, S.305). Dieser durfte nicht mit der Neonröhre verwechselt werden (vgl. ebd. S. 305). Der augenscheinlichste Unter- schied der beiden Leuchtmittel liegt in der Lichtwirkung (vgl. ebd. S. 307). Das Licht der Leucht- stoffröhre strahlt in den Raum aus bzw. scheint sich auszubreiten, während das Licht der Ne- onröhre eher nach innen gerichtet wirkt und wie eine Linie im Raum erscheint (vgl. ebd. S. 307). Letzteres stünde jedoch Flavins künstlerischem Anliegen entgegen, Licht und Raum zu einer optischen Einheit verschmelzen zu lassen. Im Alltag unterliegt die Verwendung der Leucht- stoffröhre und deren Licht funktionalen Aspekten wie z. B. der Beleuchtung von Gegenständen (vgl. Kruithof, 1962, S. 57). Obgleich das Licht im Werk von Flavin zunächst zweckentfremdet und zu einem Kunstwerk umfunktioniert erscheinen mag, trifft es dies nicht ganz. Die ursprüng- liche Funktion des Erleuchtens durch die Helligkeit des Lichts bleibt erhalten (vgl. von Marlin, 2008, S. 46). Die Lichtquelle entsagt sich jedoch ihrer Rolle als zumeist nicht wahrgenommene, den Raum erhellende Raumausstattung (vgl. Brown, 2016, S. 386), wie auch der Aussage des Kunsthistorikers, Museumsleiters und Kurators Jochen Poetter entnommen werden kann:
„Die >dienende< Funktion dieser Lichtröhren ordnet sich jetzt keinem wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Zweck unter, sondern den Gesetzen des Raumes, in dem sie sich niederlassen. Mauer oder Wand sind ihre Träger, Architektur ihr Dialogpartner.“ (Poetter, 1989, S. 11).
Eigenschaften wie Farbgebung, Leuchtkraft und Ausdehnung im Raum treten nun in den Vor- dergrund (vgl. Brown, 2016, S. 386).
Obgleich die Wahl eines Alltagsprodukts dem künstlerischen Zeitgeist der 60er Jahre entsprach (vgl. Museum moderner Kunst, 2012, S. 64), erkannte Flavin das besondere Potential der einen unmittelbar einnehmenden Lichtwirkung der industriell hergestellten Leuchtstofflampe (vgl. Oettl, 2008, S. 322). Das genormte Material bot ihm die Möglichkeit, unterschiedlichste Anord- nungsmöglichkeiten auszuloten, zu variieren und das Licht sowie dessen unmittelbare Wirkung auf den Raum selbst zu thematisieren (vgl. Heid, 2004, S. 102, S. 104). Mithilfe des kühlen Ma- terials und der nüchternen Konstruktion seiner Objekte eliminiert Flavin eine individuell künst- lerische Handschrift. Ohne jeglichen deskriptiven Kommentar wird der Betrachter auf das Er- leben eines Licht- und Raumphänomens zurückgeworfen. Auf diese Weise soll der Betrachter dem Werk unmittelbar und ohne nötige Vorkenntnisse begegnen können (vgl. ebd. S, 233). Ziel war also eine Begegnung mit Kunst, die nicht auf privilegiertem, bildungsbürgerlichem Vorwis- sen beruhen sollte. Statt symbolgeladener, narrativer Kunst ging es um eine allgemeine Ver- ständlichkeit und die direkte Wahrnehmung durch den unmittelbaren Einsatz von Materialien (vgl. von Marlin, 2008, S. 13). Erst die Bewegung durch den Raum, das Wahrnehmen der At- mosphäre durch eigenes Bewegen, Sehen und Hören, führen zum ‚Begreifen‘ des Werkes.
Die Widmung des Titels lässt Bezüge zwischen Dan Flavin und Vladimir Tatlin vermuten. Fla- vin widmet die ‚monuments‘ dem 1885 in Moskau geborenen Künstler Vladimir Tatlin (Abb.11) und dessen Entwurf für das Monument der Dritten Internationale von 1920 (Abb.12-13) (vgl. Govan & Bell, 2004, S. 44). Bei der Dritten Internationale handelt es sich um einen Zusammenschluss kommunistischer Parteien zu einer gemeinsamen Organisation (Lodder, 1992, S. 101). Tatlin war Maler, Grafiker, Bildhauer und Bühnenbildner (Wolter & Schwenk, 1992, S.774). Das von Tatlin häufig aus dem Industriekontext gegriffene Material (Stahl, Eisen, Glas, usw.) war für ihn kein untergeordnetes Mittel zum Zweck der Darstellung eines übergeordneten Inhalts, sondern sollte eigenständig für sich stehen und durch den Alltagskontext Nähe zum Betrachter bewirken (vgl. Govan & Bell, 2004, S. 42). Tatlin erlebte im Jahre 1917 die Oktoberrevolution, die ange- führt von Lenin zum Ende der bis dato vorherrschenden Zarentum und zum Beginn der Sow- jetunion führte. Als Zeichen einer „neuen Epoche“ (vgl. Rakitin, 1992, S. 27) entwarf 1919 das bereits erwähnte Modell Monument der Dritten Internationale (Abb.12) , welches er ein Jahr später als Modell umsetzte (Abb.13). Der sich von einer Eisenspirale umgebende Turm sollte als 400 Meter hohe Synthese aus Symbol- und „Zweckbau“ (vgl. Lodder, 1992, S. 101) unter anderem Konferenzräume, ein Restaurant und einen Radiosender beherbergen (vgl. Museum moderner Kunst, 2012, S. 20; vgl. Lodder, 1992, S. 101) und Verwaltungszentrum der Dritten Internationale werden (vgl. Lodder, 1992, S. 101). Baukomponenten waren industrielle Materialien wie Eisen und Glas als „Ausdruck einer neuen Gesellschaftsordnung“ (vgl. ebd. S.101). Dabei versuchte Tatlin ein Sinnbild einer neuen Gesellschaft zu schaffen, welches die „Dynamik des Fort- schritts“ wiederspiegelt (vgl. Lodder, 1992, S. 101). Das für die Stadt Petrograd geplante Monu- ment allerdings nie realisiert.
Flavins „monument“ for V.Tatlin I von 1964 (Abb.1) scheint aufgrund seiner aufstrebenden, turm- artigen Wirkung an Tatlins Denkmalentwurf zu erinnern. Zudem verwenden beide Künstler für ihre jeweilige Zeit zeitgemäße Industriematerialien. Jedoch greift es zu kurz, den Bezug zwischen Flavin und Tatlin lediglich durch eine optische Ähnlichkeit und die Verwendung alltäglicher 3 Inhalte und Ziele 10 Materialien herzustellen. Vielmehr ist es das jeweils künstlerische Anliegen, das Gemeinsamkei- ten zwischen den beiden aufzeigen lässt. Während Tatlin die gleichwertige Verbindung von Kunst, Technik und Material verfolgt und bereits einen innovativen Ansatz für ein Denkmal entwickelt, das dem Betrachter als aktiv zu nutzender Lebensraum über die bloße Funktion eines Erinnerungsobjekts zur Verfügung stehen soll, sollen auch Flavins Lichtinstallationen nicht nur betrachtet, sondern als Ganzes empfunden und erkundet werden. Die Widmung an Vladimir Tatlin könnte somit als Wertschätzung des künstlerischen Anliegens Tatlins gesehen werden.
Nichtsdestotrotz entwickelt Tatlin das Konzept für seinen Denkmalentwurf vor dem Hinter- grund zeitpolitisch und -geschichtlicher Ereignisse, deren Kenntnis für das Verständnis seiner Idee von Bedeutung sind. Anders als bei traditionellen Denkmälern, die auf einen kollektiv ver- standene Erkennungszeichen, Gebärden und charakteristischen Beigaben zurückgreifen, um die Erinnerungsfunktion (vgl. von Marlin, 2008, S. 13) und die Darstellungsfunktion zu erfüllen, können Flavins von bestimmtem Vorwissen losgelöste ‚monuments‘ andererseits laut Dan Fla- vin auch als Ironisierung von Denkmälern schlechthin verstanden werden (vgl. ebd. S. 48). Al- leine durch das flüchtige Material Licht und die begrenzte Brenndauer der Leuchtstoffröhren kann und möchte Flavin offensichtlich kein Denkmal mit Ewigkeitsanspruch setzen (vgl. Mu- seum moderner Kunst, 2012, S. 20). Flavin verdeutlicht dies, indem er das Wort monument in Anführungszeichen setzt und nach eigener Aussage darauf hinweisen möchte, wie unsinnig Denkmäler heutzutage sind (vgl. ebd. S. 70). Auch das Material, dessen allgemein bekannte Ge- brauchsfunktion und Bekanntheit stehen im Gegensatz zur Konzeption traditioneller Denkmä- ler, welche vor allem auf ikonographischem Wissen beruhen (vgl. von Marlin, 2008, S. 49) Der Kontrast zwischen Monumentalität und Nicht-Monumentalität (vgl. Govan & Bell, 2004, S. 114) kommt auch durch den seriellen Aspekt von Flavins ‚monuments‘ zur Geltung, welcher die Einzigartigkeit der ‚monuments‘ und eines Denkmals allgemein ironisch in Frage stellt. Hinzu kommt ein für ein Denkmal vergleichsweise geringes Größenvolumen. Die Verortung in einem Ausstellungsraum, dessen dort gezeigte Werke wie in vielen Museen üblich von Zeit zu Zeit ausgetauscht werden, steht dem monumentalen und dauerhaften Aspekt traditioneller Denkmäler ebenfalls entgegen.
3 Inhalte und Ziele
Ein übergeordnetes Ziel kunstpädagogischer Werkbetrachtungen ist es, eine Beziehung zwi- schen dem Betrachter und dem Kunstwerk aufzubauen, die aus rationalen, sinnes- und gefühls- betonten Komponenten besteht (vgl. Kirchner, Kirschenmann, 2017, S.116). Im Vordergrund der Führung steht also zunächst das Herstellen einer Beziehung zwischen Kunstwerk und Be- trachter. Dieser Abschnitt zeigt auf, wie die Beziehung zwischen Betrachter und Kunstwerk anhand konkreter Inhalte und damit verbundenen Zielsetzungen hergestellt werden soll.
[...]
1 Im Folgenden werden die vier in dieser Arbeit behandelten Werke der Werkserie „monuments“ for V. Tatlin aus Gründen der Lesbar- keit im Allgemeinen als ‚monuments‘ bezeichnet, sofern nicht eine genauere Beschreibung des Titels von Nöten ist.
2 Um den Textlesefluss zu erleichtern, wird in dieser Arbeit bei Personenbezeichnungen in der Regel die neutrale Form verwendet. Dies beinhaltet sowohl männliche als auch weibliche Personen gleichermaßen. In Einzelfällen wird die männliche Form verwendet, die eben- falls beide Geschlechter beinhaltet.
3 Hierbei wurde schwerpunktmäßig ein Fokus auf die ausschlaggebendsten formalen Mittel gelegt.
4 Die Ermittlung der exakten Raumgröße musste über die Fertigstellung der vorliegenden Arbeit hinaus aus zeitlichen Gründen ausblei- ben.
5 Sofern nicht anders gekennzeichnet, beziehen sich die in der formalen Analyse der bildnerischen Gestaltungsmittel genannten Aspekte und Erkenntnisse gleichwertig auf jede der vier Arbeiten.
6 Anmerkung: Später lässt Dan Flavin die Entwürfe zu seinen Werken nach seinen Anweisungen von seiner damaligen Ehefrau Sonja, einem seiner Assistenten oder seinem Sohn anfertigen und kommentiert diese nur mehr mit Titel, Datum, Farb- und Längenangabe so- wie seiner Unterschrift (Derveaux, 2012, S. 23).
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