Da es keine Studien und ganz wenig Literaturrecherchen über dieses Thema "Kitzeln und Hautstreicheln als Behandlungsmethode in der Physiotherapie" gibt, schlage ich Ihnen dieses Buch vor. Eine Bakkalaureatsarbeit (bc.) im Rahmen eines 4-jährigen Studiums der Physikalischen Therapie mit Schwerpunkt autonomes Hyperarousal und Neuropsychologie bei der Behandlung gestörter Stressreaktionen.
Das Lehrbuch beinhaltet alle Informationen, die Stresserkrankungen Schritt für Schritt bestens theoretisch und praktisch beschreiben: Ein neurophysiologisch-biochemischer Ansatz von Stresserklärung.
1) Erklärungsbedürfnis -Was sind Stresserkrankungen?-
2) Heutiger Stellenwert von Massagetherapie in der Sozialpsychatrie -
3) Neurorehabilitation als Psychotherapie- ADJUVANS, wenn Bewegungen und Bewegung, YOGA etc. MEDIZINISCH KONTRAINDIZIERT SIND!
Inhaltsverzeichnis
EINLEITUNG, VOM KITZELN
1. STREB
1.1 ÜBER DEN STREßBEGRIFF - INNENWELT UND AUßENWELT
1.2 DAS ANPASSUNGSSYNDROM
1.3 DIE EMOTIONALE DEBLOCKADE
1.4 VEGETATIVE REGULATIONEN
1.5 DIE LOKALISATIONEN VEGETATIVER REGULATIONSSTRUKTUREN
1.6 NORADRENBRGE NEURONE DES NCL. COERULEUS
l.7 DIE VEGETATIV- SOMATISCHEN REGULATIONSWIRKUNGEN VON AMYGDALA UND HYPOTHALAMUS
2. ZWEI STREßREAKTIONEN IM RAHMEN EINES BIO - PSYCHO - SOZIALEN KRANKHEITSVERSTÄNDNISSES
2.1 KONTROLLIERBARE STREßREAKTION
2.2 UNKONTROLLIERBARE STREßREAKTION
2.3 NEURONE DES fI.rPPOCAMPUS UND CORTISOL
3. BEOBACHTUNGSVORSCHLÄGE KLINISCHER ERSCHEINUNGSFORMEN VON GESTÖRTEN STRE0REAKTIONEN ("CHRONISCHES/ A-SPEZIFISCHES AROUSAL")
3.1 EINLEITUNG
3.2 DIE SCHRECKREAKTION
3.3 DIE INTENSITÄT DES REFLEXVERHALTENS
3.4 KLINISCHE STREßTESTUNG
4. ANATOMISCHE UND NEUROPHYSIOLOGISCHE GRUNDLAGEN VON BERÜHRUNGEN, SCHMERZ UND TROPHIK
4.1 KITZEL- UND HAUTREZEPTOREN
4.2 DER KITZEL GEHÖRT ZUR MECHANOREZEPTION
4.3 EINE EINFÜHRUNG DER SCHMERZPHYSIOLOGIE IN DIE PHYSIOTHERAPIE
4.4 HAUTZONEN UND EMPFINDLICHKEIT ZUR SEGMENTDIAGNOSTIK
5. THERAPIE
5.1 HAUTSTRElCHUNGEN ALS MASSAGETECHNIK(EFFLEURAGE)
5.2 AUSFÜHRUNG UND BEHANDLUNGSANWENDUNG
5.3 ALLGEMEINE ZUSAMMENFASSUNG VON BEHANDLUNGSREGELN
SCHLUßFOLGERUNG
LITERATURVERZEICHNIS
Alexander ErnstJosef Pouch
3.Juni2002
„Kitzeln und Hautstreicheln als physiotherapeutische Behandlungsmethode"
Problemstellung:
Wie ist der Effekt von großflächigen Hautstreichungen und Kitzelreizen auf das Nervensystem bei der Behandlung gestörter Streßreaktionen ?
Zusammenfassung (Abstract)
Aufgrund von Versuchen an erwachsenen Ratten ist bekannt daß das Kitzeln (tickling) als sozialer Anreiz positiven Affekt erzeugen und zur allgemeinen Beruhigung und Entspanmmg beitragen kann. Die Stimulation bewirkt Annäherung zwischen den Ti.eren. Auch beim Menschen scheint die kontextabhängig zuzutreffen, z.B. in vertrauensvoller Umgebung. Wie sieht dieser Effekt jedoch bei Menschen mit streßgestörtem Nervenssystem aus?
Dieser Frage haben wir uns in Form einer Literaturrecherche mit dem Thema „Kitzeln und Hautstreicheln als physiotherapeutische Behandlungsmethode" gestellt. Anhand von neurophysiologischen Beschreibungen regulationswirksarner Reizverarbeitung und anhand der Skizzierung protektiver Mechanismen des ZNS, die unter anhaltendem Dauer- Streß (stress) nachweislich verkümmern können, leiten wir reflexologische Konsequenzen ab, die uns therapeutisch günstig erscheinen, nach einer gewissen Einschwingzeit labilisierte und erstarrte Strukturen in ihren homöostatischen Ist- und Sollwerten harmonisierend zu beeinflussen. Durch kurzzeitig auf die Haut applizierte mechanische Zusatzreize können die Wahrnehmungs-Diskriminierungsflihigkeit und die vegetative ReizbeantwortWlg optimiert und selektiver gemacht werden.
Wir kommen ferner zu der Schlußfolgerung, daß Kitzelsensationen einerseits das allgemeine Arousal-Niveau des vegetativen Nervensystems abbilden, andererseits bei nicht zu erhöhter A-selektivität (a-specific arousal) durchaus als Therapiereiz mit in eine Hautstreich- Massagetherapie (massage therapy) aufgenommen werden dürfen. Das Ziel ist, dem Patienten ein ausgewogenes, wenig sensitisierendes reflextherapeutisches Hautreizverfahren anzubieten, um am Anfang einer physiotherapeutischen Behandlung der zum Teil bei sympathischer Reizw1g spontan auftretenden (überschießenden) emotionalen E1Tegung bzw. der reaktiven A-selektivität angemessen (empathisch) zu begegnen, dadurch einzudämmen, d.h. durch VerhaJtens-Habituation (babituation) Ve1trautheit aufzubauen, welche sozusagen auf weitere dosierte Behandlungsreize vorbereitet und unter Umständen Entscheidungsfindungen vereinfacht.
Key words: tickling ; stress ; a-specific arousal ; massage therapy ; habituation
Kitzeln und Hautstreicheln als physiotherapeutische Behandlungsmethode
Pouch, Alexander Ernst Josef
Hogeschool van Amsterdam
Faculty Health Care
Department of Physiotherapy
Date: June 3, 2002
This thesis is presented to meet the requirements of the department of Physical Therapy, Hogeschool van Amsterdam for the thesis module.
Vorwort
Als ich ein kleiner Bub war und meine Eltern mich öfters einer älteren Dame, einer ihrer Kundin, überließen, da sie beide im Geschäft arbeiten mußten, kam ich zum ersten Mal bewußt mit dem in Berührung, was ich als Thema der nun folgenden Literaturrecherche gewählt habe - dem Kitzeln.
Diese ältere, mir anfangs als sehr fremd und unheimlich erscheinende Frau strickte aus Leidenschaft. Sie benutzte dafür lange metallische Stricknadeln. Eines frühen Winterabends, es war schon dunkel draußen, kraulte sie mir mit diesen unter meinem Pullover meinen Rücken, und ich empfand das als ein solch angenehmes Kitzelgefühl, daß ich ihr daraufhin auch den Rücken auf die gleiche Weise behandeln wollte. So entspannten wir gemeinsam und es wurde noch ein toller vergnüglicher Fernsehabend daraus. Ich habe diese Erfahrung mit dieser älteren Dame bis heute nicht vergessen. Ich glaube nicht, daß sie noch lebt- aufjeden Fall widme ich ihr diese Abhandlung über das Kitzeln.
Ich möchte allen Natur- und Kitzelfreunden noch danken, die mich mit genügend Humor und dem Verständnis für die Sache inspiriert haben. Dank vor allem an meine Mutter, Maria und „Kater".
Einleitung, vom Kitzeln
Das taktil-kinästhetische System ermöglicht nicht nur einen Input, sondern es ist auch insofern einzigartig , als es das einzige System ist, das eine direkte Beziehung zur Realität herstellt (Sprichwort: ,,Beziehung ist das halbe Leben"). Sehen wir die Welt nur an, verändert sie sich dadurch gar nicht. Hören wir ihr zu, dann verändert sie sich genauso wenig. Berühren wir sie jedoch, ergeben sich zwangsläufig Veränderungen. Das taktil-kinästhetische System vereint rezeptorische und exploratorische Funktionen, wahrnehmende und motorische Prozesse. Aus der Sicht der Entwicklung kann die Verarbeitung taktil-kinästhetischer Informationen über Ursache und Wirkung als Grundlage für die Schaffung kognitiver, räumlicher und emotioneller Erfahrung angesehen werden (Affolter, F.; 1981).
Ein Kind beobachtet sehr genau, was mit seiner Hand und dem ergriffenen Gegenstand passiert und lokalisiert die verschiedenen Richtungen. Das Greifen und ein Bewegtwerden durch die Umwelt beinhalten die taktil-kinästhetische Wahrnehmung. Diese sensomotorische Wahrnehmung ist die Grundlage der Bewegung und kann anregend oder beruhigend wirken. Ein Kind lernt seinen Körper (Körperschema) durch Erfassen kennen (Flehmig, I.; 1996) und wird sich streicheln, an sich lutschen und mit seinen Fingern spielen und in weit geringerem Maße sich selbst kitzeln können, als wenn er von einer anderen Person gekitzelt wird. Deswegen setzt das Kind z.B. seiner Mutter Signale, die ihr erlauben, auf die Bedürfnisse des Kindes zu reagieren, aber auch Hilfestellungen dosiert wegzulassen.
Schon Darwin (1872) bemerkte, daß das Kitzeln der Hautoberfläche ein Lachen hervorruft und daß dies die einzige sinnliche Berührung ist, die einen zum Lachen bringt. Anders als bei der Sexualität, bei der eine maximale Erregung parasympathischer und sympathischer Neurone erfolgt (mit Herzfrequenz-, Blutdruck- und Atemfrequenzerhöhung, Sexualröte der Haut, die in der späten Erregungsphase im Bereich des Oberbauchs beginnt und sich zunehmend auf den ganzen Körper ausbreitet, krampfartiger Kontraktionen von mimischer, Bauch- und Zwischenrippenmuskulatur z.T. mit Kontrollverlust (Jänig, W.; 1998)), gibt es beim Kitzeln keinen Höhepunkt. Wo es nicht aufhört und Kitzeln als so intensiv empfunden wird, daß die Lust in Schmerz übergeht, setzt konkret die Demütigung ein. Wenn Eltern ihre Kinder kitzeln, so stellt dies innerhalb der Familie eine offenkundig akzeptable Form sinnlicher Erregung dar, einen absolut unschuldigen und kalkulierten Reiz, der eine Distanz herstellen kann, um ebenso schnell wieder zu erneuter Berührung einzuladen.
Das Oxford English Dictionary führt unter neunzehn Bedeutungen des Wortes „Tickle" auch die folgenden auf: ,,Von instabilem Gleichgewicht, leicht umzukippen oder umzustoßen, unsicher, schwankend, verrückt ...angenehm schwebend." Zu kitzeln heißt vor allem verführen, oft zum Amüsement und Vergnügen, wenn man Maß hält. Es scheint aber offensichtlich kein unmittelbares biologisches Bedürfnis zu sein. obwohl Anthropologen wie Ashley Montagu (1971) andere Informationen liefern und erst Berührungen der Hautsinnesorgane der ganzen Haut sowie Reizungen der Ruffinischen Nervenendigungen, der Golgischen Sehnenspindeln in den Gelenkkapseln und des vestibulären Apparates durch passive Bewegungen ein Erleben des Körpers ermöglichen. Erst aufgrund dieser Erfahrungen kommt es zu einem Körperschema.
An zwei Stellen, an denen Sigmund Freud das Wort Kitzeln verwendet (sie finden sich beide in den Abhandlungen zur Sexualtheorie) tritt es gleichbedeutend mit ,,streicheln" auf Wie Erwachsene wissen auch Kinder recht gut, wo sie kitzelig sind. Freud schreibt: ,,Es ist eine Haut- oder Schleimhautstelle, an der Reizungen von gewisser Art eine Lustempfindung von bestimmter Qualität hervorrufen. Es ist kein Zweifel, daß die lusterzeugenden Reize an besondere Bedingungen gebunden sind ; wir kennen dieselben nicht. Der rhytmische Charakter muß unter ihnen eine Rolle spielen, die Analogie mit dem Kitzelreiz drängt sich auf Minder ausgemacht scheint es, ob man den Charakter der durch den Reiz hervorgerufenen Lustempfindung als einen besonderen bezeichnen darf, wo in dieser Besonderheit eben das sexuelle Moment enthalten wäre."
In jeder Behandlung, so sagte Freud einmal, kommt der Punkt, an dem der Patient ermutigt werden muß, das zu tun, wovor er sich auch am meisten ängstigt. Wenn ein Jugendlicher, wie auch ein Erwachsener, allein ist, so ist er allein in Gegenwart seines Körpers, und sein Körper fängt in diesem Zustand an, ihn stärker zu beschäftigen. Die Welt und sein Körper können sich für einen Jugendlichen (aber nicht nur für ihn) so gefährlich anfühlen wie die Risiken, die er mit ihnen einzugehen versäumt hat. Seine Fähigkeit zu wohltuender Einsamkeit hängt davon ab, ob er in der Lage ist, sich seinen Körper als einer ausreichend haltenden Umgebung anzuvertrauen. Im Jenseits des Lustprinzips schreibt Freud: ,,Für den lebenden Organismus ist der Reizschutz eine beinahe wichtigere Aufgabe als die Reizaufnahme." Das heißt, daß uns als ausgereifte Erwachsene unsere früheste Beziehung zu uns selbst selten bewußt wird. Nur wenn uns eine schöne Melodie oder eine Berührung am ganzen Körper ergreift und uns mit Gänsehaut erschaudern läßt, kommt es vielleicht zu dieser alten Art von Kitzelei - Ein Kind dagegen bedient sich zum Saugen einer eigenen Hautstelle, weil diese ihm bequemer ist, weil es sich so von der Außenwelt unabhängig macht, die es zu beherrschen noch nicht vermag. Es mildert durch autoerotische Beschäftigung und Zuwendung zum eigenen Körper vielleicht seine Angst.
Aber wie ist der Effekt von großfläcl,igen Hautstreiclzungen und Kitze/reizen auf das Nervensystem bei der Behandlung gestörter Streßreaktionen ? Diese Problemstellung hat Relevanz für die Physiotherapie, um als eine Anregung für Physiotherapeuten zu gelten, mit gestreßten Menschen eine begleitende physiotherapeutische Behandlung anzufangen, denn der Patient sucht i.d.R. etwas beim Arzt oder beim Therapeuten, worüber er nicht sprechen kann.
Die Festlegung meiner Wahl auf diese Fragestellung hat den Anspruch, eine Brücke von psycho-neuro-immunologischer Streß-Grundlagenforschung zur klinischen Anwendung, speziell für den physiotherapeutischen Alltag, zu schlagen. Inwieweit ein gesundheitsgerechtes Verhalten mit Respekt vor den autonomen Symptomen skizziert werden kann, das durch körperorientierte Therapie beeinflußt wird, mag dem reinen Theoretiker als ein vages und gewagtes Unternehmen erscheinen, bildet dennoch für streßgeplagte Menschen und für körperorientierte Therapeuten die klinische Existenzgrundlage (-bei Verzicht auf therapeutische Grandiosität-). Den Erfolg dieser Therapie und Heilkunst nicht zu akademisieren, beinhaltet mit Sicherheit den Grund, daß kausalbezogene Buchwissenschaften und geläufige standardisierende Denkgewohnheiten allein den empirischen Anforderungen von Körpererfahrungen und der Gestaltung günstiger Bedingungen für Heilung nicht gerecht werden können.
Qualitätssicherung und Veränderungen im medizinischen Denken verlangen jedoch nachhaltig nach inter- und intradisziplinärer Zusammenarbeit von Fachkräften im Gesundheitswesen. Die Physiotherapie ist bereits eine tragende Säule der Krankenversorgung und wird in den nächsten Jahren, schon wegen der weltweiten Alterung von Menschen und reflexartigen Mechanisierung im Denken, einen neuen Stellenwert in der Medizin einnehmen. Sie nutzt die Fähigkeiten des Organismus zur Selbsthilfe, um aktiv Störungen, Fehlfunktionen und Krankheiten zu beseitigen, wozu der Körper ohne Hilfe nicht fähig wär.
Zunächst werde ich in dieser Literaturrecherche Streß als Phänomen und Reaktion auf physische wie psychische Reize beschreiben, auf makroskopischer Ebene seine Auswirkungen auf das Zentralnervensystem und das Verhalten von Menschen. Im weiteren Teil werde ich die Kitzelempfmdung als Urszene für die Gefühlserfahrung von einem Körper anvisieren und Berührungen als elementar lebensnotwendige körperliche Symbole und vertraut bildhafte Ausdruckserscheinungen prognostizieren (Annäherung vs. Bedrohung). Für die emotionale Heilung und Dämpfung von Streßsymptomen spielen der wohldosierte wellenförmige Berührungskontakt und die ursprüngliche Einschätzung einer Interaktion im Rahmen emer neurophysiologischen Segmentdiagnostik wahrscheinlich die wesentliche Rolle, positive Gefühle auszulösen, und werden auf einer Grammatik der Nervenprozesse beschrieben.
1. Streß
1.1 Über den Streßbegriff - Innenwelt und Außenwelt
Gesundheit kann als optimale Fähigkeit, mit äußeren und inneren Reizen umzugehen, beschrieben werden. Das allgemeingültige Prinzip, das diesem Lernprozeß zugrunde liegt, ist die Relation zwischen Belastung und Belastbarkeit/Empfmdlichkeit (,,der Toleranz, Druck zu widerstehen"). Erregbarkeit und die Fähigkeit, sich an neue Situationen zu adaptieren, sind wichtige Kriterien für die Intaktheit des Nervensystems. Streßbewältigung ist erlernbar, vorausgesetzt, man wird sich des Problems bewußt, um zu erkennen, was man vermag und was nicht, und will sich tatsächlich auch dieser Einsicht beugen (Sapolsky, R.; 1990), die Dinge und Schwierigkeiten beseitigen, die man suchen und ändern kann, und bringt genug Geduld dafür auf, um sie zu verarbeiten.
Streß hat demnach mit Anpassungsprozessen zu tun, ggf ist auch eine komplette Neuanpassung (emotionale Einstellung) an veränderte, vom Menschen meist als aversiv erlebten Bedingungen (z.B. Ungewißheit vs. Kontrollerwartung) erforderlich. Der kanadische Arzt Hans Selye behauptet, daß jeder von uns über einen begrenzten Speicher an „Anpassungsenergie" verfügt, um Probleme zu bewältigen oder diese hinzunehmen, zu ertragen und/oder zu adaptieren. Jedes Erfahrungswissen bedeutet erst einmal gleichzeitiges unterbewußtes Handlungsplanwissen (kognitive Landkarten) und ist mehr oder weniger abrufbar (Bösel, R.; persönliche Mitteilung-1999 FU Berlin).
Zunächst verfügt jeder Organismus über eine bestimmte Kapazität, eine sich verändernde Situation zu bewältigen ohne dabei Streß empfmden zu müssen. Der Organismus orientiert sich an einem bedürfnisorientierten Auftrag, der bestimmt, was im Moment das Wichtigste ist. Kognitive Reizvorbewertung (appraisal) und Orientierungsreaktion (feed forward) führen dazu, eine Tätigkeit zu starten und wieder einzustellen, zu bewältigen (coping). Copingmuster können von der Kognition, den Emotionen und dem Verhalten bestimmt sein. Eine Aktivierung meint die belastungsabhängige und/oder dispositionell bedingte, relativ einheitliche Anregung oder Auslenkung ganz verschiedener psychophysiologischer Funktionen aus einem homöostatischen Ruhezustand, die eine gewisse Zeit anhält und einen Erregungszustand oder eine Augenblicks-Disposition charakterisiert.
Jede unerfüllte Aufgabe bleibt so motivierend und treibt ihrerseits Wahrnehmungen an. Handlungsleitend ist die Motivation, und der Bewegungsimpuls geht vom limbischen System aus (Birbaumer, N.; Schmidt, R.F.; 1998). Von Streß sprechen wir erst, wenn das Verhältnis zwischen einer Situation und der Fähigkeit des Organismus, sie zu bewältigen, gestört ist (Wijk, v.; 1999) und wenn das Gehirn nicht mehr auf einem minimalen Aktivitätsniveau ökonomisch mit minimalem Energieaufwand arbeitet.
Streß ist also als Folge zu geringer oder zu exzessiver Adaptation aufu.ifassen. Als Beispiel sei der Informations- (Approach-avoidance-) Konflikt genannt, der dann entsteht, wenn em Reiz gleichzeitig wenigstens zwei Handlungs- oder Reaktionstendenzen gleicher Priorität aktiviert (Berlyne, D.E.; 1961). Der Grund dafür kann schlicht eine aus Ungeduld, Unaufmerksamkeit oder mangelnder Wachsamkeit resultierende unvollkommene Reizverarbeitung sein. Es wurde z.B. versäumt, Blickkontakt herzustellen, und die Körpersprache wurde mangelhaft gedeutet, um zu verstehen, was vor sich geht ; der Gesichtsausdruck falsch interpretiert oder fehlerhaft genutzt, u.s.w. Jede Feedbackstörung/Kommunikationsstörung mit Schwächung der entsprechenden neuronalen Schaltungen v.a. im linken Stirnlappen (Goleman, D.;1997) wird also von Streß begleitet, und das Streßniveau ist umgekehrt für das Ausmaß und die Fixierung dieser Störung (z.B. einer sensomotorischen Stereotypstörung und bestimmter Abfolgen in Beziehungen) relevant. Körperhaltung und -bewegung sind dabei immer das Resultat operationaler Entscheidungen des Zentralnervensystems (Flehmig, I.; 1996). Der Bewegungsablauf ist ein wesentlicher Teil bewußter und unbewußter menschlicher Kommunikation.
1.2 Das Anpassungssyndrom
Der belastete Organismus unterbricht offensichtlich im Zusammenhang mit dem Schweregrad seines Kampfes gegen die Störungen /Bedrohungen aus der Umwelt sowohl homöostatische Aktivitäten (z.B. Blutzuckerregulation) als auch restaurative Aktivitäten. Es kommt zur Hemmung von Funktionen des Immunsystems als körpereigenes Abwehrsystem gegen mikroskopische Störeinflüsse, wie z.B. artfremdes Eiweiß, Mikroorganismen und Toxine (Antigene). Auch der gesamte Funktionskreis der Fortpflanzung (Sexualität und Brutpflege) wird unterbrochen oder bricht zusammen. Schwerer Streß (gut wie schlecht) kann die lernenden Zentren des ZNS beeinträchtigen, so daß die primitiven Neigungen der limbischen Hirnzentren ungehemmt in den Vordergrund treten und oft als einzige Verhaltensweisen übrigbleiben - im apathischen Affekt destruktiv statt respektvoll (Sapolsky, R.; 1994).
Hans Selye stellte 1957 ein 3-Phasen-Modell auf, das sogenannte „Allgemeine Anpassungssyndrom":
1. Phase der vegetativen und emotionalen Erregungs-(s. auch Mason, J.W.; 1971) und physiologisch erhöhten corticalen Alarm-und Weckbereitschaft, zu reagieren (Flucht oder Kampf), als Phasen einer anfänglichen Schreck-Schockreaktion (spezifisches und abgestuftes Arousal). Der Mensch fühlt sich von äußeren (z.B. Berührungsreizen) bzw. inneren Faktoren (z.B. Ängsten, gelernten Gedanken) bedroht oder stark beeinflußt.
Innerhalb von Sekunden wird das Katecholaminsystem aktiviert, welches die Emotionen reguliert. Dabei ist beim Katecholamin Noradrenalin nicht das Nebennierenmark der wichtigste Produzent, sondern der weitaus größte Teil des im Blut zirkulierenden Noradrenalins wird von postsynaptischen Neuronen des sympathischen Nervensystems als Neurotransmitter gebildet. Die Rezeptoren für Neurotransmitter des vegetativen NS (insbesondere für Katecholamine) liegen u.a. auf Lymphozyten und Makrophagen, die dadurch aktiviert werden und immunologische Aktivitätsverschiebungen möglich machen.
Nach einer ersten Schreckreaktion (Tachykardie, zitternde Knie und Lippen, kaltes Schütteln, Achselschweiß - erhöhter neuronal bewirkter Adrenalinausstoß), erfolgt die Mobilisierung des ganzen Körpers (entspricht einem Sympathikotonus), und es tritt eine Abwehr-Schockphase ein.
Während der Schockphase kommt es u.a. zu einer Senkung der Körpertemperatur und des Muskeltonus. Außerdem fällt der Blutdruck ab, nachdem er kurzfristig als Folge der Ausschüttung von Adrenalin angestiegen war. Den gleichen Ablauf beobachtet man bei der Blutzuckerkonzentration. Das beim Mann aus dem Hoden stammende Hormon Testosteron sorgt dann dafür, daß die Muskulatur vermehrt mit Glukose versorgt werden kann (Sapolsky, R.; 1990). Weiter werden von Selye wegen der Hemmung der gastro-intestinalen Motilität die beginnende Geschwürbildung im Magen-Darm-Bereich, Zwölffmgerdarmbereich und die Erhöhung der Lipolyse im Fettgewebe genannt.
Die Aufladung mit Energie, gesteuert durch das Gehirn, die in Bruchteilen von Sekunden abläuft, hat nur einen Sinn, Aufmerksamkeit und Konzentration zur Erkennung der Stressoren zu schärfen und Energie und Sauerstoff für die bevorstehende Aktivität bereitzustellen (Abwehrbereitschaft). In Abhängigkeit von der Intensität des Stressors variiert die Dauer dieser Schockphase zwischen wenigen Minuten und 24 Stunden. Der Mensch wird während des Schockstresses kurzfristig weniger verletzlich (streß induced analgesia), denn das HPA-System induziert vermehrte Freisetzung endogener, i.d.R. die Immunabwehr fördernder Opioide im zentralen Höhlengrau (PAG), einem Teil des Zwischenhirns, der eine Reihe an Nervenkernen besitzt, die vegetative Zentren präsentieren.
Die Schockphase geht dann in die Gegenschockphase der Alarmreaktion über. Nach initialer Ausschüttung des adrenocorticotropen Hormons ACTH der Hypophyse werden Kortikoide aus der Nebennierenrinde freigesetzt, welche erst mit einer Verzögerung von 10 bis 20 Minuten reagieren und dem Körper helfen, kurzfristig Energie zu mobilisieren und z.B. einen Virus zu bekämpfen. Sie bewirken in geringer Dosierung durch Abbau von Proteinen eine Erhöhung der Aminosäurekonzentration im Blut und dienen damit der Beschleunigung von Heilungsprozessen bei Gewebsschädigungen. Zudem können die Immunantwort, die auf molekularem Niveau zwischen „Selbst" und „Fremd" unterscheidet, und der Blutdruck konstant gehalten werden, wenn sich verschiedene Arterien erweitern. Während des Umbaus von Körpereiweiß in Zucker wird die Aufnahme von Glukose durch das Körpergewebe gehemmt, wobei gleichzeitig vermehrt Glukose im Blut bereitgestellt wird. Die Zuckermobilisierung wird also gefördert, aber auch die Gefahr für die Magenschleimhaut wächst zunehmend wegen des Anstiegs von Magensekretion,-säureproduktion und -motilität (Velden, M.;1994).
Während der andauernden Gegenschockphase kommt es u.a. zu einer Vergrößerung, Emp:findlichkeitssteigerung und Schwellung der Nebennierenrinde mit einhergehender längerfristig vermehrter Ausschüttung der Nebennierenhormone (Cortisol), zur Zerstörung/Atrophie von lymphatischem Gewebe (Schrumpfung der Thymus-Drüse und von mesenterialen Lymphknoten), zur Ulzeration der Magenschleimhaut als akute Streßfolge und zu einer Reihe von anderen Veränderungen (Verringerung von Knochenmarkszellen, Unterdrückung von Antikörperbildung und der phagozytierenden Leukozytenzahl bis zur Veränderung von weißen Blutkörperchen), die sich z.T. als eine Umkehrung der Veränderungen in der Schockphase beschreiben lassen (entspricht z.T einer Parasympathikotonus Gegenregulation, einem parasympathischen Rückzug).
Auch das Nebennierenmark wird vom sympathischen NS über die neuronale Verbindung des Fasciculus longitudinalis dorsalis vom Hypothalamus fortgesetzt angeregt, die Hormone Adrenalin und Noradrenalin zu sezernieren, die besonders ausgeprägte Effekte auf das Herz-Kreislauf-System und auf Stoffwechselfunktionen und nur unter dem Einfluß des Kortisols, Wirkung auf die glatte Muskulatur ausüben. Angespannte Muskeln können schneller reagieren und sind obendrein unempfindlicher gegen Angriffe von Außen. Ein Anstieg von zum Teil aus der Leber freigesetztem Zucker, freien Fettsäuren und insbesondere von Hormonen der Schilddrüse und der Nebennieren ist im Blut festzustellen.
Freude (z.B. über einen Lottogewinn) löst diese Sympathikusreaktion auch aus, aber aktiviert gleichsam im Anschluß übermäßig den Parasympathikus und führt zu Ausdehnung und Wohlgefühl. Die Anspannung entläd sich bei angenehmen Streßsituationen leichter, und sei es durch einen Luftsprung, einen Freudentanz oder eine Umarmung. Es sollte nochmal betont werden, daß die beschriebenen hormonellen Reaktionen genauso bei allen eher moderaten psychischen (z.B. mentaler Belastung, v.a. durch Adrenalin) und physikalischen Stressoren (v.a. durch Noradrenalin) auftreten (Mason, J.W.; 1971, Selye, H.; 1957). Bereits gemäßigter Hintergrund-Lärm wie Gespräche oder andere Geräuschquellen, also mechanische Schwingungen/Vibrationen erhöhen die Ausschüttung von Epinephrin deutlich, was langfristig die Entstehung von Herzkrankheiten und Abwehr-Muskelverspannungen/ verhärtungen (Fixierung des Hypertonus bei höherer Reaktionsbereitschaft auf Katecholamine) deutlich begünstigt und bei gleichzeitig unterdrückten negativen Affekten aufrechterhält.
2. Phase des nach 2 Tagen einsetzenden Toleranz/Resistenzstadiums, des Durchhaltens unter Einsatz der verfügbaren „ Anpassungsenergie". Der Körper wird bei reduzierter Widerstandsfähigkeit, Anstrengungstoleranz und Desorientierung gegenüber neuen Stressoren insgesamt weitermobilisiert für die Abwehr, um der Gegenregulation zum Erfolg zu verhelfen.
Die Alarmreaktion bleibt also mehr oder weniger in der Schock-oder Gegenschockphase stecken. Die Glucokortikoidausschüttung wird noch vermehrt, wobei die Nebennierenrinde hypertrophiert und Heilungsprozesse schon gehemmt werden. Die Wahrnehmungsschwellen nehmen unter dem Cortisolanstieg zu, d.h. Umweltreize werden schlechter verarbeitet. Das humeral ausgeschüttete Hormon Cortisol hält die Dauerspannung der Zellen aufrecht und stabilisiert deren Zellmembranen (chronische Membrankontraktur), u.a. durch „Verheizen" von Aminosäuren. Die Blutgefäße sind für Noradrenalin sensibilisiert.
Die während der Alarmreaktion beobachteten morphologischen und biochemischen Veränderungen verschwinden aber allmählich, und der hohe Cortisolspiegel wird sogar vermehrt gespeichert, da er auf den Hypothalamus zurückwirkt und gleichsam die Quelle der Hormonkaskade drosselt. Das Streßsystem des Körpers adaptiert gleichsinnig mit dem Immunsystem unbewußt (B-und T Lymphozyten haben Adrenalinrezeptoren), und die in den Mustern der Anspannung (Streßfalle) gehemmte und gefangene SEKUNDÄRPERSÖNLICHKEIT entsteht (,,freezing" als „Schlacht" zwischen Widerstand und Unterwerfung bei inhibiertem Machtmotiv). Der Parasympathikus ist hierbei für das Halten der während der l .Phase sympathisch aufgebauten Erregung zuständig und führt wahrscheinlich zu weniger beobachtbaren Fieberreaktionen, die normal hohe metabolische Kosten erzeugen, und entsprechend weniger Energie bliebe für andere Aktivitäten übrig.
Die Hormone Noradrenalin und Adrenalin aktivieren Rezeptoren auf dem Vagusnerv (Goleman, D.; 1997), wodurch diese sensorischen Schaltungen empfindlicher werden. Die Funktion und der hohe Tonus des Vagusnervs beinhalten u.a., Signale von der Nebennierenrinde zur Amygdala zu schicken und sie zu veranlassen, Katecholamine auszuschütten, die auf Kampf- oder Flucht-Reaktionen vorbereiten.
3. Die nervöse Erschöpfungsphase des Anpassungsverhaltens entsteht bei verlängerten Überforderungs-und Selbsterhaltungsanstrengungen nach ein bis drei Monaten, wenn die Streß-Achse chronisch aktiviert ist, wenn die inneren oder äußeren Streßfaktoren zu lange andauern und/oder mit ihren anhaltenden Emotionsausbrüchen, Stimmungen und Gefühlen, die schlechte Anleitungen zum Handeln sind, zu intensiv sind und persistieren. Hippocampusveränderungen, die zu erhöhter Cortisolsekretion und Kontrollverlust von Vertrautheit führen, und Testosteronverminderung aufgrund von ß-Endorphin-Ausschüttung wurden von R.Sapolsky (1994) festgestellt. Wenn die Anpassungsstrategien (u.a.Cortisol, Opiate) ohne Erfolg ausgeschöpft wurden bzw. spontan wegfallen (Stralen, C.v., Lunacek, P.; - persönliche Mitteilungen 1999-2000) und verloren gehen, so führt der teils über Jahre anhaltende Dauerstreß (z.B. aus Verstummung bei Mundverbot und Mangel, glücklich, frei und ungehemmt zu entscheiden, bei Ehestreit und Kritiksucht als Angriff auf die ganze Person, anstatt als eine spezifische Beschwerde am Handeln, wobei der eine Partner zunehmend als verachtenswert attackiert und abgeurteilt, zum störend, ekligen Gegenüber des anderen wird ; oder intensiven Kriegserfahrungen) zur posttraumatischen Belastungsstörung, in der die Cortisol-Reaktion einfriert.
Man stößt an seine Grenzen, und das Mit-Denken auf dem Standpunkt eines jeden anderen wird zunehmend verzerrt, irrational und schaltet sich bei rastlos falsch verstandenem Ehrgeiz ab und wird aselektiv (unkontrollierte und unspezifische Streßreaktion). Logische Überlegungen, das Abwägen von persönlich lebenswichtigen Entscheidungen und Zeiteinteilungen werden falsch, ignoriert oder überhört, weil eigene oder fremde körperliche Gefühle nicht mehr gespürt und erkannt werden können. Aus Gewohnheit kann sich das Denken fehlentwickeln: Es fehlen deutende Worte und differierende Möglichkeiten, den Dingen dieser Welt Werte zuzuweisen.
Der Mensch ist ungeduldig, kann oft einem anderen nicht mehr zuhören und ist mit seinen Gedanken ohne Realitätsbezug nicht mehr bei der Sache. Er entscheidet im Affekt vorschnell oder stimmt zu bzw. fängt schnell einen Streit an. Es können keine Transmitter mehr aus Synapsenbläßchen freigesetzt werden, wenn hohe Aktionspotential-Raten den Calzium-Vorrat aufgebraucht und die Zellen damit überladen haben. Es kommt zwar zu einer fixierten multisensorischen Adaptation/Akkomodation (subjektiven Indifferenz, Motivationsstörung und Ausdruckslosigkeit), ohne daß dabei eine wirkliche Streßverarbeitung stattgefunden hat (Trincker, D., Lullies, H.; 1977).
Der erschöpfte Organismus beginnt erneute Reaktionen aufzuweisen, die denen der Alarmphase ähneln. Er erlebt bei aggressiver oder forcierter Behandlung nochmal alte Traumata als „flashbacks" (Bökmann, M.B.F.; 2000), die gespeichert sind, aber diesmal als chronisches Arousal, zunächst regulationsstarr, entnervt und hilflos geworden, dann kaum mehr reversibel, und nach mehrjährigem Zustand ausgebrannt als Dekompensation (,,bum out").
Der Mensch wird gezwungen, mit seinem Gefühlsspektrum wahllos im Allgemeinen zu bleiben, denn er weiß nicht, wie er sich fühlt. Er muß bei mangelhafter Verankerung im Ganzen mit einer kleineren Anzahl von kontextuellen bildlichen Vorstellungen im Arbeitsgedächtnis arbeiten, ohne klare Erinnerungen rekonstruieren und spezifisch konkret ausdrücken zu können, wie ein Gefühl und die Bedeutung ursprünglicher und aktueller Wahrnehmungssituationen zustande kommen und wie die Verarbeitung eines Objektes ursächlich auf den Organismus einwirkte.
Beim Streßkranken, dem die Einschätzung der Heftigkeit von Gefühlen schwerfällt, der unter der Knechtung an seinen Stärken erkrankt, sehen wir eine Trennung von Körper und Geist. Er lebt und reagiert oft nur noch gesteuert und verplant über den Kopf (intellektuelle Kopflastigkeit (Glaser, V.; 1993)) und unter der Tyrannei linguistischer Konditionierung. Die semantische Konditionierung, also das Gelernte von bedeutsamen Verhaltensketten, ist dabei von höherer Ordnung, und seine einzige Perspektive zu seinem Körper ist jene, vom Großhirn aus hinunterzuschauen. Der Körper(-hintergrund) und limbische Impulse aus dem Bauch, die als intuitive somatische Start- und Warnzeichen i.d.R. die Aufmerksamkeit auf Gefahren lenken, die mit einer bestimmten Handlungsweise verbunden sind, werden nicht mehr gut wahrgenommen, weil der Streßkranke im Kopf aus seinen bisherigen Erfahrungen und mit Willkür Reduktion von Emotionen das Fehlende für den Systemerhalt ersetzen will (Bökmann, M.B.F.; 2000, Goleman, D.; 1997). Gefühle werden nicht mehr ernst genommen und akzeptiert und das Immunsystem nicht effizient geschont.
Konzentration besteht, wenn überhaupt, nur noch ausschließlich getrieben als Einzelkämpfer auf seine Hauptaufgaben. Den „Kopf voll haben" bedeutet, daß Flexibilität und die Fähigkeit, Selbstkritik zu üben und alternative Willens Entscheidungen zu treffen, auf der Strecke bleiben. Dem Betreffenden fällt es schwer in Situationen, die von Risiken und Konflikten geprägt sind, sich für etwas vorteilhaft und gewissenhaft zu entscheiden, von Introversion auf Extroversion umzuschalten oder vice versa, eine Wahl zu machen und angemessen emotional zu reagieren. Da er seine Gefühle nur diffus erkennt, hat er wenige Präferenzen und erzeugt beim (Zer-) Reden widersprüchliche nicht-handlungsbezogene Intellektualisierungen.
Das Lernen von neuartigen Fakten, die Erinnerung an alte Fakten, Selbstreflexion, soziale Kognition und Verhaltensweisen, wozu verantwortungsvolle Vorausplanung/Antizipation (-mit Einschätzung, wohin das Selbst geht, was hilft, um mit kommenden Ereignissen umzugehen-), die Klärung von Meinungsverschiedenheiten und die mit ihnen verbundenen Emotionen gehören, sind tatsächlich auf Partizipationsebene beeinträchtigt. Das Leben wird zwar „halbdunkel" gespürt, die Figurbildung aber nicht wirklich (kritisch) geprüft. Dysregulationen bestimmter Teile des sog. Limbischen Systems führen u.a. zu einer erheblichen Beeinträchtigung des visuellen Kurzzeitgedächtnisses für die Form-, Bewegungs- und Entfernungswahrnehmung. Ferner fehlt die Fähigkeit, mit Aufregungen fertig zu werden, so daß Schleppen in ge:fühlsloser Offenheit wie auch emotional entrücktes Eilen gleich große Fehler sind. Er achtet nicht einmal auf bestehende Infekte (Open-Window-Effekt).
Der Patient hat keine emotionale Ausgeglichenheit und folglich kein gutes Empfinden für seine Gedanken und deshalb keine Präferenzen. Zum anderen kann er sogar fälschlich glauben, sich in Menschen einzufühlen sei dasselbe wie ihnen zuzustimmen. Er kann die subtilen Stimmungen, die ihn durch den Tag begleiten, nicht selektiv genug beachten. Die Fähigkeit, Botschaften aus dem Speicher emotionaler Erinnerungen zu erfassen, ist jedoch die Grundlage jeder Selbstwahrnehmung (Goleman, D.; 1997).
Alle 3 Streß-Phasen sind von einer veränderten Reizempfindlichkeit gekennzeichnet. Diese kann man sich als eine Veränderung der Neurotransmission vorstellen und/oder als eine Sensibilisierung der Reaktionsfähigkeit, als Hyperreflexie, aktivität des Körpers bezeichnen (zunächst intersegmental, dann global). In allen Lebenssituationen folgt der Deregulierung, das Bedürfnis nach erneuter Anpassung, um so ein neues Gleichgewicht und Wohlbefinden zu erzielen.
Der Körper versucht , sich nach jedem initial biologischen oder emotionalen Reiz anzupassen. Selye behauptet, daß es unwichtig ist, ob die Ursache oder Situation, mit der wir konfrontiert werden, angenehm oder unangenehm ist. Worauf es ankommt, ist einzig und allein die Stärke und die Quantität der Anforderungen in der Zeit =DOSIS (vgl. Blitzkrieg) im Hinblick auf das nochmalige Überdenken der Lage als Chance, sich seiner Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten bewußt zu werden für eine Neubewertung der Ziele und die Anpassung des Verhaltens (Habituation). Wichtig ist folglich, wie Streß subjektiv gedeutet (Krohne, H.W.; 1996) und erlebt werden kann. Jede Wahrnehmung und Ablenkung beginnt mit der Selbstwahrnehmung. Der Innenraum ist der Resonanzraum für Stimmungen und für Tonus - auch für die Koordination, die der Schlüssel zu Kooperation ist.
Der eigene Körper wird benutzt, um wahrzunehmen, was in der Umgebung (Peripherie) geschieht. Letztendlich handelt es sich dabei also um einen Weg zu Anderen. Je lebendiger und kontaktfreudiger man ist, desto schärfer wird auch die Wahrnehmung (Glaser, V.; 1993). Die selektive Wahrnehmung, die die Fähigkeit voraussetzt, sich mit anderen zu vergleichen, ist eine emotionale, keine intellektuelle Funktion und wird durch äußere Veränderungen hervorgeholt. Der Mensch weiß erst, daß er eine Emotion bzw. seinen äußeren emotionalen Zustand fühlt, wenn er spürt, daß diese Emotion, welche ursprünglich durch körperbezogene Input-Veränderungen erzeugt wurde und sie wiederspiegelt, in seinem leibhaften Organismus gespürt wird. Melden sich z.B. instinktive Bauchgefühle, können erwogene Verhaltens- und Handlungsweisen sofort mit größerer Sicherheit entweder aufgegeben oder weiterverfolgt werden, um so das Spektrum der Wahlmöglichkeiten auf eine leichter handhabbare Entscheidungsmatrix einzuengen (Goleman, D.; 1997).
In allen 3 Phasen kann es zur Verringerung der körperlichen und emotionalen Anspannung und/oder von (Spontan-) Schmerzen und im Anschluß zur erfolgreichen Wiederherstellung des rhytmisierten Fließgleichgewichts kommen. Durch Anpassung findet eme völlige Neuorientierung von Organaktivitäten statt. Ein Aktualisierungsprozeß, wobei wichtige chemische Stoffe wieder aufgefüllt werden, kann innerhalb einer einzigen Nacht stattfinden; er kann sich aber auch über mehrere Monate hinziehen, weil das emotionale Gehirn seine Gewohnheiten im Verlauf von Wochen und Monaten verändert.
1.3 Die emotionale Deblockade
Da Streß nicht zu vermeiden ist , und wir Menschen, um als Gemeinschaft zu funktionieren, uns nicht dauernd isolieren können, um Stressoren so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen, müssen wir wie jeder lebende Organismus lernen, damit am besten zuerst im Mikrosozialen (der Begriff stammt aus der Soziometrie) umzugehen, um u.a. nicht zu Opfern von gelernten Verhaltensgewohnheiten wie unausgesprochene Annahmen und Selbsttäuschungen zu werden. Eine Wiederholung von all den kleinen möglichen offenen Interaktionen hat einen emotionalen Subtext: Der Mensch lernt den richtigen emotionalen Lernprozeß, bedrohliche Reize nicht nur mit etwas Angsterregendem zu assoziieren. Jeder von einem Organismus empfangene Berührungs Stimulus führt zuerst einen sensorischen, motorischen, intellektuellen oder emotionalen Erregungsprozeß herbei, weckt aber auch einen nachfolgenden Ausgleichsprozeß als ein Verwischen des neuronalen Musters, d.h., jede Figur-Hintergrund-Konstellation muß vollständig ausgelöscht werden, und der Organismus muß auf einen undifferenzierten mittleren Stimulusstand zurückkehren, ehe er einen neuen oder nochmals denselben Reiz voll empfangen kann (Sato, A., Schmidt, R.; 1973, Carpenter, R.H.S.; 1996).
Eine häufig zu beobachtende Auswirkung ungenügender Erregungs- Anpassung an Streßsituationen ist das „hyperästhetische emotionale Syndrom", welches persistierend als Dysfunktion des vegetativen Nervensystems gedeutet werden kann. Erhöhte Aggressivität (z.B. undisziplinierte reflexartige non-verbale/emotionelle Entäußerungen bzw. verbale Wertäußerungen) und chronische Abwehrspannungen sind oft die einzig gebliebene Möglichkeit, sich auszudrücken, denn im sozialen Miteinander reguliert Aggression soziale Nähe und Distanz (Eibl-Eibesfeldt, I.; 1998). So dient aggressives Verhalten der räumlichen Verteilung und zur Identitätssicherung.
Körperliche (Organ-)Schmerzen und Mißempfindungen, Verhaltensprobleme und emotionale Schmerzen beinhalten eine individuelle Botschaft für jeden (Kabela, M.; 1999). Sie geben Einblick in Dinge, die im persönlichen Leben eines jeden eine Rolle spielen. Oft kann Streß und das Sich-Verbergen hinter Ordnungsrichtlinien unangenehme Gefühle wie z.B. Ekel, Wut , Angst und Traurigkeit verschleiern. Scheinausbrüche von Wut, unmotivierter Ausdruck von Ärger oder Gelächter und andere unmotivierte Verhaltensweisen lassen hin und wieder auf die entladende Freisetzung von früh erlernten automatisierten Reaktionsroutinen schließen. Andererseits kann ein Lächeln Verlegenheit bedeuten, auch ein Sich-ertappt-Fühlen, das bagatellisiert werden soll.
StreB kovariiert in subjektiven Selbstbeurteilungsverfahren deutlich mit psychischem Wohlbefmden und korperlichen Beschwerden.
FUr das Auftreten von StreB sind vorallem die Reizintensitat und die Dauer der Stressoren ausschlaggebend. Man hat bereits nachweisen konnen, daB sowohl zu niedrige als auch zu hohe Reizintensitaten und sowohl kurzfristige als auch zu langfristige Reize die Anpassung stOren konnen (z.B. Routine, Monotonie, Reizverarmung versus Reiziiberflutung), wahrend ein mittelmaBiges MaB an Reizen und an Reizmodalitaten (zur physikalischen Therapie am besten dicke und diinne Nervenfasern zur gleichen Zeit stimulieren (Sato, A., Schmidt, R.; 1973, Chung, J.M. et al.; 1979)), die Chancen auf eine angemessene Anpassung (Habituation) und Gewebeheilung erhoht und stabilisierend wirkt. Ob der Reiz angenehm oder unangenehm ist, ist irrelevant, bei chronischem Arousal allerdings relevant, da der Cortisol-StreBspiegel mit jedem neuen StreB-Reiz sofort unkontrolliert und ungehindert weitersteigen kann. Ein ,bestimmtes" StreBniveau, und wenn zum richtigen Augenblick auch ein gewisses MaB an Emotionen vorliegt, bleibt in heiden Fallen VORAUSSETZUNG fiir eine optimale Gesundung, Entwicklung von Reaktionsspezifitat, fiir gutes zellulares Lernen und gutes Denken (Kandel, E.;1996).
Die Umwelt und die Mitmenschen gebenjedem von uns lebensnotwendige Reize (v.a. taktiles Feedback ist lebensnotwendig (Montagu, A.; 1971)) durch gegenseitige Offenbarungen, Kontakt und Kommunikation - und manchmal muB man sich von alten Dingen und Trugschliissen trennen, damit man sich wieder neu binden kann, urn zu entdecken: ,Das bin ich ja auch!" , Wenn das Limbische System dennoch abgeschlossen, sich nach innen gewendet hat, sind der normale spontane Gefiihlsausdruck , die Expressivitat und Spontaneitat gestort.", sagt Peter Lunacek. DaB dabei ein Mensch unter StreB steht, ist nach auBen erkennbar. Er erscheint ohne Traume und gehemmt, frei zu entscheiden. Er scheint kontaktscheu nur in seiner Welt zu Ieben, ohne emotionalen Boden und ohne die Uberzeugung, daB man sowohl den Willen als auch die Moglichkeit hat, seine Ziele zu erreichen und Wiinsche zu erfiillen, worin sie auch bestehen mogen.
,Verfestigte eigene Problemlosestrategien helfen diesem Menschen oft nicht mehr weiter, und passende auBere Hinweisreize und Methoden, die sich nicht einfach aus dem Alltag heraus erschlieBen lassen, sind notwendig, urn das Verhalten zu modifizieren.", bemerkte 1999 der Biopsychologe R.Bosel wahrend der Einfiihrung in sein Fach an der Freien Universitat Berlin. Die unpersonlichen Beziehungen zwischen den Menschen fiihren sie zu den Therapeuten. Nicht das Problem selbst, sondern das (subjektiv) erfahrene Gefiihl von Unlosbarkeit und die eigene Einschatzung von Unvorhersagbarkeit und Kontrolle ihrer Lebensumstande, sich unsicher zu fiihlen (z.T. erlernte Hilflosigkeit, Altruismus), fiihren zu psychosozialem Stre13.
Menschen, die aktuell nicht gut Emotionen deuten oder in Bewegungen ausdriicken/aussenden konnen, also miBverstehen, fiihlen sich standig frustriert, weil sie dauernd erleben miissen, daB andere Menschen merkwUrdig auf sie reagieren und abweisen. Sie verstehen im Grunde nicht, warwn etwas los ist, denn sie können ja nicht aufhören, ihren Gesichtsausdruck oder ihre Haltung zu zeigen oder den Tonfall ihrer Stimme verdecken. Am Ende haben sie noch das Gefühl, daß sie überhaupt keinen Einfluß mehr darauf haben, wie andere sie behandeln, daß ihr Handeln sich nicht darauf auswirkt, was mit ihnen geschieht (Satir, V.; 1975).
„Das Hauptziel der Therapie ist die Modulation des limbischen Systems (inklusive des Hypothalamus), das auf psycho-physiolgische Prozesse modulierend Einfluß nimmt", erklärte M.v.d. Esch 1999.
Die 4 wichtigsten Veränderungen der Hirnfunktion während und nach körperlich-emotionaler Deblockade (Stralen, C.v.; 1999-2000) sind:
- die Auslösung bestimmter spontaner Verhaltensweisen, wie Lachen, Weinen, Bindung, Fürsorge, Spielen und Exploration
- die Veränderung der fortlaufenden Verarbeitung von Körperzuständen (beispielsweise können Körpersignale vermehrt ausgefiltert oder durchgelassen, selektiv gehemmt oder verstärkt und in ihrem angenehmen oder unangenehmen Charakter abgeändert werden (Duhner, D.; 1999))
- die Veränderung der selektiven Wahrnehmung (z.B.: ,,Siehst Du mich?") und der leibhaften Wahrnehmungsausrichtung
- die Veränderung in der Art der kognitiven Verarbeitung, z.B. kann sich die taktil- muskuläre bildliche Vorstellungstätigkeit beschleunigen oder verlangsamen, schärfer oder verschwommener werden; eine Veränderung, die als integraler Bestandteil von so unterschiedlichen Emotionen wie z.B. Trauer und Hochstimmung ist. Offenbar verändert das Sein das Bewußtsein.
In dem Moment, da eine Emotion (durch ihren Ausdruck) ins Bewußtsein dringt, wird sie und ihr Hintergrund im frontalen Kortex registriert (Trincker, D., Lullies, H.; 1977). Wenn sich die Aufregung gelegt hat, gelegentlich sogar mitten in der Reaktion, ertappen wir Menschen uns bei unseren Gedanken, und nur so können wir auch wieder humorvoll über uns selber lachen, Feste feiern und das eigene Leben als sinnvoll betrachten. Wir Menschen glauben nur an das, was wir spüren, und lassen uns davon überzeugen. Streßpatienten werden dagegen erst in sehr kleinen behutsamen Annäherungsschritten sicherer, sich auf ein neues Bezugssystem einzulassen. Manchmal werden Reflexe bei Schwellenüberschreitung im Nachhinein bewußt gespürt, so daß Physiotherapie kognitiven Einfluß gewinnt. Eine direkte Berührung katalysiert zeitweilig die Aufhebung des Zensors im Kopf und von aufgezwungenen Wahrnehmungssystemen für das Wiederverkörpern unterdrückter lebensbejahender Gefühle und überlagert das Wahrnehmen emes verzerrten Körperbildes durch eine Verbesserung der augenblicksbezogenen sensomotorisch- affektiven Reaktionsfähigkeit des ZNS und durch die Belebung der viszeral - vegetativen Konstellation.
1.4 Vegetative Regulationen
Das vegetative Nervensystem ist mit seinem autonomen Energieflu.B der Trager aller lebenswichtigen Funktionen. Die Lebensvorgange in Ruhe (Erholung, Verdauung und korpereigenes Energiesparen) und die Aktivitatszyklen bei korperlicher Leistung (Nahrungssuche, Beutejagd, Fortpflanzung, Brutpflege) sind nur durch das ununterbrochene Spiel vegetativer Regulationen moglich. Hierdurch wird einerseits die notwendige Konstanz des inneren Milieus aufrechterhalten, andererseits die Anpassung des Organismus an die wechselnden Anforderungen somatomotorischer Leistung gewahrleistet. Die Regulation der Homoostase der Korpergewebe geht vom Hypothalamus aus. Sie ist subjektiv mit emotionalen Reaktionen verbunden, die vom limbischen System gesteuert werden. Abweichungen der jeweils zu regelnden GroBe vom Soli-Wert rufen in der Regel Unlustgefilhle hervor. Sinnesreize (z.B. Kitzeln), die eine Riickfiihrung der zu regelnden GroBe zum Soli-Wert signalisieren, hingegen Lustgefiihle (Handwerker, H.O.; 1998).
Zahlreiche Erkrankungen beruhen auf einer Entgleisung vegetativer Regulationsprozesse. Beim Asthma z.B. kommt es bei Cortisolmangel und durch Obergewicht der Vaguskomponente, was physiologisch in anderen Organen zur Detonisierung der Organwande fiihrt, zur Kontraktion der glatten Bronchialmuskulatur und folglich zur Erhohung des Stromungswiderstandes der Luft vor aHem in der Ausatmungsphase.
Der Sympathikus setzt dagegen normalerweise den Tonus der glatten Muskeln der Bronchiolen herab. Die Afferenzen aus der Lunge, die durch den Vagusnerv und Sympathikus geleitet werden, verleihen nicht nur A-delta-Schmerzempfmdungen (wie Nn.pelvici), sondern beinhalten andere sensible Qualitaten (wie z.B. iiber den Spannungszustand, der zum Teil im Ncl. tractus solitarii verschaltet wird), die fiir die Regulierung der Atemvorgange und die Steuerung der Atemreflexe wesentlich sind. Nach Durchtrennung des N.vagus (u.a. N.pneumo-gastricus = Lungen/ Magen-Nerv) wird die Ruheatmung tiefer, die Atemfrequenz jedoch niedriger. Die Erregung von Sensoren, die das Fliissigkeitsvolumen im Lungenkreislauf messen, konnen zur Verminderung der Adiuretinausschiittung aus dem Hypophysenhinterlappen und damit zur vermehrten Ausscheidung verdiinnten Urins fiihren.
Wie in diesen Beispielen gezeigt (Janig,W.; 2000), hi:ingt die Leistungsfahigkeit des Gesunden von der Regulationskapazitat der neurovegetativen Systeme ab. Hormone regeln im wesentlichen die korperliche, sexuelle und geistige Entwicklung, fordern die Leistungsanpassung des Organismus und regeln die Konstanz physiologischer GroBen. Die hormonelle Regelung erfolgt i.d.R. schnell und setzt innerhalb von 15 min ein (Janig, W.; 1998).
Die natiirlichen Korperfunktionen sind durch standige Schwankungen charakterisiert. Regelmiillig wiederkehrende Schwankungen werden Rhytmen genannt. Sie konnen verschiedene Periodendauern haben. Auffallend sind Herzrhytmus, Atemrhytmus, retikulare Rhytmen in einer Frequenz, die dem Atemryhtmus ahnlich, aber nicht identisch mit ihm ist, periphere Gefa.Brhytmen, Rhytmen im Minutenbereich und zirkadiane Rhytmen (eigene Systemzeitautonomie). Diese entstehen teils im ZNS, teils in der Peripherie oder auch in Iiickgekoppelten Kontrollsystemen. Der Ncl. Suprachiasmaticus des Hypothalamus hat z.B. einen synchronisierenden EinfluB auf die endogenen Rhytmen. Die Melatoninausschiittung bei Dunkelheit (tagsiiber Serotonin) dient der Verlangerung der zirkadianen Rhytmen, der kognitiven Konzentrationsstarke und reduziert Belastungseffekte.
Vegetative GroBen werden mit Hilfe nervoser und humeraler Regulationsprozesse so eingestellt, daB in Ruhe nur geringe Schwankungen zu beobachten sind. Beispiele fiir in:fradiane Rhytmen sind die Korperkerntemperatur und die Cortisolreaktion (- Die Geschwindigkeit aller chemisehen Reaktionen zum Aufbau von restaurativen immunkompetenten Zellen, auch der komplikationslosen Wundheilung im Korper ist temperaturabhangig !), der arterielle Blutdruck, Blut- und Gewebs-pH, arterielle Blutgaskonzentration, der Wassergehalt und die Salzkonzentration des Extrazellularraumes der Gewebe, die axonalen und axoplasmatischen Transportgeschwindigkeiten in Nervenfasern, sensomotorische Rhytmen im Bereich von 12-14Hz und Blutfett-und Blutzuckerkonzentration.
Dieses wird auch homoiostatische Regulation genannt. Die Betriebsorganisation ftir ein gleichmiilliges ,inneres Milieu" erfolgt zumeist dynamisch, indem der Zustand der betreffenden GroBe an ein zentralnervoses Regulationszentrum signalisiert wird. Diese Signale konnen afferente Nervenimpulse von Rezeptoren sein, die von der regulierten GroBe beeinfluBt werden, oder sie konnen humeraler Natur sein. Das Regulationszentrum beeinfluBt daraufhin iiber efferente nervose und humerale Wege die entsprechenden Erfolgsorgane. Wahrend z.B. die Rezeptoren des Glomus caroticum (an der Teilungsstelle der A.carotis communis) vorwiegend den Blutdruck des Kopfes konstant halten und regulieren und bei Dehnung eine stark deaktivierende Wirkung auf die GroBhirnrinde ausiiben mit dramatischem Abfall der Herzfrequenz (Herzverlangsamung), sind die Aortenrezeptoren fiir den Blutdruck des ganzen Korpers verantwortlich (Velden, M.; 1994).
Das periphere vegetative NS versorgt mit seinen motorischen, sekretorischen und sensiblen efferenten Fasern die fiir die Herztatigkeit (Herz), Blutbewegung (Gefa.Be), Atmung (Lunge), Driisensekretion (z.B. Inselzellen des Pankreas fiir Wachstum und Reifung), Stoffwechsel (Eingeweide) und Warmehaushalt verantwortlichen Organe. Erfolgsorgane sind u.a. glatte Muskulatur, Zellen des Nebennierenmarks (zur neuronal unmittelbar durch den Hypothalamus bewirkten Ausschiittung von Adrenalin, Noradrenalin fiir diffuse und verstarkte Massenwirkung des autonomen NS), das Fettgewebe (z.B. im Thymus), Drusen (z.B. direkt unter der HautoberfHiche oder die Schilddrtise) und die Motoren (Kinetosomen) von Kinozilien (Flimmerharchen).
Die vegetative Wirkung ist nicht nur auf die Tiitigkeit der Drusenzellen und andere Zellen selbst gerichtet, sondern ebenso auf den Grad der Durchblutung der Drusen und der Organe (Samandari, F.; 1994). Obwohl die Innervation in der Regel unwillki.irlich erfolgt, konnen Emotionen und somatosensorischer Input wesentlichen Einflul3 auf das autonome Nervensystem nehmen (Sato, A., Schmidt, R.F.,1997).
Das periphere vegetative NS besteht aus zwei Anteilen, dem thorakolumbalen sympathischen und dem craniosakralen parasympathischen System. Das Seitenhorn als Sitz von Neuronen des vegetativen NS (Sympathikus und Parasympathikus) existiert im Thorakal-, Lumbal-und Sakrahnark, nicht dagegen im Cervikalmark (ausgenommen der kaudalste Abschnitt). Die parasympathischen Fasern laufen mit den Hirnnerven und sind bei Hirndruck am empfmdlichsten (macht eine weite Pupille). Im Rest des Korpers lauft der Parasympathikus tiber den N.vagus und im Grenzstrang. Sympathische Fasern laufen mit den Arterien (z.B. Tl-Innervierung der inneren Halsschlagader). Die heiden Systeme wirken an den Erfolgsorganen meist antagonistisch (der Parasympathikus arbeitet oft selektiver) (Velden, M.;1994).
Als Beispiele werden die Sexualitat und die kontrollierte Kontinenz von heiden Anteilen gewiihrleistet oder die Verdauung wird vom Sympathikus durch Magen-Darm Motilitatsminderung gehemmt (Relaxation). Die doppelte Innervierung der glatten Muskulatur client nicht so sehr der AuslOsung, als vielmehr der Modiftkation einer bestehenden (automatischen) chemisch-sekretorischen Aktivitat. Eine Ausnahme stellen zum Beispiel die glatten Muskuln der Haare dar, die nicht spontan tatig sind und nur tiber ihre vegetativen Nerven aktiviert werden- Gansehaut (Janig, W.;1998). Die doppelte Innervation besteht folglich nicht an allen Erfolgsorganen. Die Schweill-Talg Driisensekretion fiir den Kopf, die Stirn, Kopfhaut und den Hals, Schlund, sowie Nacken, Schultern und Achseln wird durch sympathische Neurone in den Segmenten C8-T3 geregelt (Augen und Sehvermogen: C8-T2); die Bruste, Luft- und Speiserohre, sowie das Schwitzen und die Hautturgorinnervation an den Armen aus T3-T7(T9). Eine Kontraktion der Hautmuskulatur fiihrt zum heftigen AusstoBen von Wasser.
Eine akute Organerkrankung (teilweise geleitet vom N.phrenicus) macht sich halbseitig immer durch ein Myotom C3/4, durch eine Erhohung des Tonus des Oberlids (Lidspaltenerweiterung), durch Pupillenerweiterung und einen vorgezogenen Augapfel bemerkbar.
An den meisten Blutgefa.Ben fehlt eine der sympathischen Konstriktion entgegenwirkende parasympathische Dilatation. Dies tri:ffi offenbar auch fiir die Kranzgefa.Be zu. Ob die Dilatation der Koronargefa.Be durch Aktivierung oder eher durch Ausschaltung des Sympathikus zustande kommt, ist noch nicht vollig gekliirt.
Es scheint sich die These zu bestatigen, daB nicht nur die Hautgefa.Be, sondem moglicherweise die meisten Arteriolen und Venolen (groBere Gefa.Be) im Korperinneren vegetativ nur durch den Sympathikus versorgt werden. Der Sympathikus soli in tatigen Organen (u.a. Muskeln) als Vasodilatator, in ruhenden als Vasokonstriktor fungieren (Samandari, F.;1994). Der Ubertragerstoff am Erfolgsorgan im sympathischen NS ist Noradrenalin (Ausnahme: Nebennierenmark, Schweilldriisen, dilatatorische Innervation von Muskelgefa.Ben) und wird an sympathischen Nervenendigungen der Gefa.Be der Haut, z.B. der schwammartigen Nasenschleimhaut freigesetzt und wirkt v.a. an a adrenergen Rezeptoren (vgl. Nasentropfen). Im parasympathischen NS ist es Acetylcholin. Die auBerhalb des ZNS gelegene synaptische Informationsverarbeitung und -umschaltung vom pra- auf das postganglionare Neuron erfolgt in heiden Systemen durch Acetylcholin. Der Sympathikus wird (fiir die Haut immer!) im Truncus sympathikus umgeschaltet. Danach divergiert das sympathische Nervensystem und wird durch die Blutgefcille (perivasal) und die peripheren C-Nervenfasem ermoglicht.
AuBer den klassischen Transmittem wurden und werden zunehmend zahlreiche weitere Stoffe entdeckt, die entweder als echte Transmitter oder als sogenannte Co Transmitter oder Neuromodulatoren wirken. Sie gehoren meist den Stofiklassen der Monamine (z.B. Serotonin), der Purine (z.B. ATP) oder der Peptide (z.B. Substanz P) an.
1.5 Die Lokalisationen vegetativer Regulationsstrukturen
Die Lokalisationen vegetativer autonomer Regulationsstrukturen im ZNS, die sich raumlich und funktionell iiberschneiden konnen und auf jeder Ebene des ZNS zu finden sind, sind folgende (Broda!, P.; 1998):
1) Oberste Ebene: Area 4, 6, 8, rostrale Anteile des Frontallappens
- Ausgangspunkte ortlich begrenzter oder allgemeiner vegetativer Mitinnervation (z.B. Durchblutungssteigerung in einem - u.a. extra-pyramidal- bewegten Muskel)
- Substrate psychisch-vegetativer Korrelationen (z.B. Atemhemmung bei angespanntem Nachdenken und Begreifen)
2) Mittlere Ebene: Basale Anteile des frontalen Cortex, der u.a. mit der gefiihlsma.Bigen Verarbeitung episodischer und individuell-spezifischer lnformationen der personlichen Vergangenheit und ihrer bewuBten Erinnerung in Verbindung steht, und basale Anteile des temporalen Cortex, medialer prafrontaler Kortex, Amygdala-Kerne, Insel, septale Kerne, Hypothalamus und Teile des Mesencephalons (funktionelle Bezeichnung: Limbisches System)
- Integrative Steuerung der drei Anteile einer Verhaltensweise (somatomotorische, vegetative und emotionale Komponente, z.B. nutritives Verhalten, i.d.R. verbunden mit einer allgemeinen Aktivierung des Parasympathikus (,rest and digest")).
Dabei kann die somatomotorische Leistung im Dienste emer vegetativen Regulation stehen (Beispiel: motorische Unruhe zur Warmeerzeugung bei Absinken der Korpertemperatur, Aufsuchen oder Schaffung warmerer Umgebung). Andererseits kann eine vegetative Mitinnervation im Sinne der Leistungsanpassung erfolgen, insbesondere bei Wut- und Angstreaktionen.
3) Untere Ebene: Ventrolaterale Medulla oblangata, Nucleus tractus solitarii , Nucleus parabrachialis und Pons mit Strukturen fiir Basisinnervation und Basisregulation bestimmter homoostatischer emotions-und lebenserhaltender, aber auch bewuBtseinsfordemder Systeme; speziell Atmung und Kreislauf, Reflexzentren fiir Nahrungsaufnahme und Verdauung (Schlucken, Kauen, Speichel- und Magensaftsekretion) und Schutzreflexe des Atemapparates (Husten-, Niesreflex).
Circumventrikulare Organe (u.a. Area postrema) sind zur Messung, was das Blut und der Liquor an lnformationen geben konnen, geeignet (Trepel, M.;l999) und nehmen humerale Veranderungen und auch Oxytocin-(Bindungshormon) Einfliisse wahr und modulieren diese. Der Ncl. tractus solitarii ist der einzige Kernkomplex im Hirnstamm fiir Viscerosensibilitat und Geschmacksempfindung und z.T. Schlafforderung , der die verschaltete Information einerseits zu Kreislaufzentren in der Medulla oblangata vermittelt, andererseits zu hoheren Zentren wie dem Hypothalamus weitergibt. Die Formatio reticularis des unteren Hirnstammes, unterhalb der Eintrittshohe des N.trigeminus, wird mit pontinen und medullaren Anteilen als ,Gemeinsames Hirnstammsystem" fiir die Reflex-Regulation vegetativer und somatischer Funktionssysteme benannt.
- Die Bedeutung dieser Ebene liegt in der Integration vieler auf diese Systeme von zentral und peripher einwirkender Einfliisse. Rhytmogenese (insbesondere der Atmung), Sympathikotonus, Tonus der kardiomotorischen, parasympathischen Nerven, Regulationsstrukturen fiir thermosensible und thermoregulatorische und andere homoiostatische Basisregulationen.
Die Formatio reticularis ist eine netzartige Konfiguration grauer Substanz durch den gesamten Hirnstamm vom Mesencephalon his hinab ins Riickenmark und erfiillt u.a. eine Mittlerfunktion im Zusammenhang mit Wachheit und Aufinerksamkeit. Die auf die sinnlich verschiedenste Weise erregte Formatio reticularis kann indirekt iiber vorwiegend acetylcholinerge Projektionen in den Thalamus zur Aktivierung und Modulation des Thalamus (Ncl. intralaminaris), der auch fiir die synchronisierende bzw. rhytmisierende Regulation der Cortexneurone, also des Wachheitsgrades und emotionaler Aspekte von Empfmdungen zustandig ist, und/oder iiber nicht-thalamische monoaminerge Projektionen die Aktivitat des gesamten Cortex steigern und u.a. diffus aktivieren (Arousal) (Velden, M.; 1994).
Dieses Wecksystem wird als aufsteigendes retikuHires aktivierendes System (ARAS) bezeichnet und ist fiir die Aufrechterhaltung des Bewu13tseins und die BewuBtseinshelligkeit von entscheidender Bedeutung. Es schafft damit die Vorbedingung fiir das bewuBte Erleben von Emotionen. Das noradrenerge System, das u.a. zum Vorderhirn (Frontalkortex) zieht und nur im Wachzustand aktiv ist, befahigt den Menschen, seine Aufinerksamkeit auf bestimmte auBere Erscheinungen zu richten, d.h., es fmdet praferentiell eine Selektion des Erregungsflusses statt, wobei lnformationen, auf welche der Focus nicht gerichtet ist, gedampft werden. Urn die Aufinerksamkeit in eine bestimmte Richtung lenken zu konnen, ist eine gezielte Auswahl z.B. der taktilen aufsteigenden und absteigenden lnformationen als Wahrnehmungsleistung erforderlich, denn ,BewuBtes Erleben" oder die Fahigkeit, Schmerz zu erleiden, statt ihn nur zu fiihlen, setzen diese kontrollierte (selektive) Aufinerksamkeit voraus (,limited capacity control system, LCCS") und baut auf den begrenzten neurophysiologischen Wahrnehmungen der Sinnesorgane au£
1.6 Noradrenerge Neurone des Ncl. Coeruleus
Noradrenerge Neurone des Nucleus coeruleus feuern nur im Wachzustand, nach Reizung der aufsteigenden Fasern erhoht sich im Wachzustand das ,Signal-Rausch Verhaltnis" kortikaler Zellen: Aktive Zellen erhohen ihre Feuerrate oder behalten sie bei, benachbarte Zellen werden gehemmt (laterale Hemmung) , und dies konnte eine Hervorhebung wichtiger Information erleichtern.
Das, was fiir den Organismus wichtig ist, wird funktionell vom prafrontalen Cortex als Setzen von Handlungs-Prioritaten und Zielsetzungen im Abgleich mit Praferenzen (gelernte Zu- und Abneigungen) und vom parietalen Cortex als Aufgeben alter oder irrelevanter Ziele ubernommen (Birbaumer, N.; 1998). Der Temporallappen unterhalb und seitlich vom Frontallappen des Gehirns ist wichtig fiir die Identiftzierung eines Objektes (Goleman, D.; 1997). Dieser Ablauf als systemeigene Leistung, die bestimmtes Umweltrauschen in Informationen fiir das eigene System umsetzt, ist offensichtlich bei streBgestorten Menschen dysreguliert oder bleibt aus - blockiertes AnschluBhandeln verhindert Umweltkontakt. Der prafrontale Cortex, speziell mit seinen linken orbitofrontalen Anteilen, direkt hinter der Stirn gelegen, scheint am Werk zu sein, wenn jemand angstlich oder unberechenbar wfitend ist, aber sein unangenehmes Gefiihl zfigeln und unterdrUcken/ dampfen kann, urn sich effektiver und zartlicher mit der StreBsituation einzulassen, Korrekturen vorzunehmen und personliche Entscheidungen zu treffen (Goleman, D.; 1997).
Normalerweise verfiigt das Gehirn fiber einen Resonanzraum, der bestimmte biophysikalische Umweltereignisse erfaBt, und erstellt aus diesem Rauschen Informationen fiir seine Zwecke und fiir vegetative Regulationen, die nicht unbedingt bewuBt werden mtissen (z.B. Verdauung, Blutdruck etc.). Das, was das Gehirn als neuronale AktiviHit erzeugt, ist fiir das BewuBtseinssystem, das nattirlich auch selbst einen psychischen ProzeB darstellt, wiederum Rauschen. Das BewuBtseinssystem erzeugt dann seinerseits aus diesem Rauschen eigene Informationen, die teilweise in Gedanken erfaBt und/oder als Vorstellungen von Wahrnehmungen bewuBt erfahren werden konnen (Bokmann, M.B.F.; 2000).
Der am Boden der Rautengrube unterhalb des Kleinhirns gelegene nicht nozizeptiv-spezifische Locus coerulus ist, u.a. im Zusammenhang mit dem ARAS, wie auch das serotinerge System (Ncl. raphe), an der Entstehung des Schlaf-Wach-Rhytmus und an der Modulation einer Vielzahl von unterschiedlichen Verhaltensweisen beteiligt (Aktivitat bei WachbewuBtsein, lnaktivitat bei Schlaf). Dartiber hinaus wird er als das Alarmsystem des Gehirns in korperlichen und seelischen StreBsituationen aktiviert und ist dabei entscheidend an der Entstehung charakteristischer Symptome wie Angstempfinden oder Tachykardie beteiligt. Pontine Locus coeruleus-Uisionen verstarken Hyperalgesien und Allodynia (Tsuruoka, M. und Willis, W.D.;1996 u.a. in Dubner, R.;1999). Ferner spielen die Projektionen der noradrenergen und serotinergen Zellgruppen ins limbische System eine Rolle bei depressiven Erkrankungen, bei Antriebslosigkeit und LernmotivationsstOrungen.
Man nimmt eine Uber-oder Unter:funktion des biochemischen Monoamin Stoffi.vechsels an. Der affektive Spannungspegel (starr vs. labil, einseitig vs. wechselhaft) bei Dopamin-Uberproduktion bzw. die sich verbrauchenden Katecholamine, wobei sich die Sekretion und Aktivitat von Endorphinen erhohen (das wiederum das Immunsystem merkt und seine AktiviHit drosselt), sind wahrscheinlich fiir das Uberschnappen in eine psychotische Funktionsweise verantwortlich (Ciompi,L.;1998), indem sie un mesolimbischen oder unterstimulierten mesocorticalen Systemen (z.B. pra:frontaler Cortex) wahnhafte Vorstellungen, Erwartungen, Halluzinationen, Gedankeneingebungen und Illusionen von Fremdkontrolle (ein Gefiihl des Manipuliertwerdens) oder Ablenkung der Au:fmerksamkeit durch auftretende triviale Stimuli auslosen. Eine ungehemmte Dopamin-Ausschtittung fiihrt dazu, daB die Aufmerksamkeit sich auf die Quelle ihrer Furcht heftet und die Muskeln in Bereitschaft versetzt, entsprechend zu reagieren.
Elekrophysiologische Untersuchungen haben gezeigt, daB die noradrenergen Neurone des Locus coeruleus an fast allen der sie innervierenden ZNS-Bereiche hemmend wirken. Da diese Neurone bei jeder Art von StreB aktiviert werden, wird vermutet, daB sie einerseits dampfend auf ZNS-Strukturen wahrend der StreBbelastung wirken und das ZNS vor Uberreizung und Uberladung durch Sinnesreize schtitzen und andererseits die Erregbarkeit der Neurone auf einem mittleren Niveau halten, urn auf diese Weise eine optimale Signaltibertragung zu gewahrleisten. In diesem Zusammenhang ist interessant, daB die Afferenzen zum Locus coeruleus vorwiegend aus Hirnbereichen kommen, die das affektive Verhalten regulieren, besonders vom limbischen System, vom Hypothalamus und vom Mesencephalon (Amaral, D.G.; 1977).
Ein Teil der retikospinalen bzw. raphespinalen Fasern endet in caudaler Richtung in den sensiblen Hinterhornern des Riickenmarks, urn selektiv die Weiterleitung der dort verschalteten Afferenzen hemmend kontrollieren zu konnen, wie mit serotinergen (auch noradrenergen) Fasern vorwiegend in der Substantia gelatinosa, die dort ein endorphinerges Zwischenneuron teilweise aktivieren, das wiederum das weiterleitende Neuron hemmt (Dubner, D.; 1999). Diese endorphinergen Zwischenneurone erhalten auch erregende Afferenzen von anderen somatosensiblen Fasern aus der Haut (Gate Control: Handwerker, H.O.; 1999, Wyke, B.D.;1979). Der pontine Locus coeruleus und Gebiete wie AS und A7 sind die groBten Ursprungsorte fur noradrenerge Projektionen in das Hinterhom- v.a. auch in Laminae I u. II (Kwiat, G.C. u. Basbaum, AI.; 1992). Ein Teil der noradrenergen Neurone projeziert mit seinen Axonen in das ventrale Hom, ein Teil in das laterale Hom und ein anderer Teil , wie oben erwahnt, in das Hinterhom (vorwiegend SG) des Riickenmarks.
1.7 Die vegetativ - somatischen Regulationswirkungen von Amygdala und Hypothalamus
Eine Ansammlung grauer Substanz urn den Aquadukt wird als Periaquaduktales Grau (PAG) bezeichnet und kann als Bestandteil der Formatio reticularis aufgefaBt werden. Dieser Kernkomplex generiert bzw. koordiniert iiber intensive Faserverbindungen zum limbischen System Angst-und Fluchtreflexe und spielt bei der Stirnmbildung und Veranderungen des Korperausdrucks eine wichtige Rolle, die verschiedene Emotionen defmieren. Uber das zentrale Hohlengrau steht vor allem derjenige Anteil der Formatio reticularis, der insbesondere in das Schaltneuronensystem der Laminae V u. VI (hier WDR-Neurone!) der grauen Substanz des Riickenmarks iibergeht, in unmittelbarer Verbindung mit dem Hypothalamus (Trincker, D., Lullies, H.; 1977). Uber absteigende Bahnen ins Riickenmark und zu monoaminergen Zellgruppen hat das PAG entscheidenden EinfluB auf die endogenen Schmerzhemmsysteme. Vor allem bei schmerz- und ,streBhafter", also ,intensiver" Reizung greifen opioide Zell- und Fasersysteme in die subkortikale Erregungssteuerung ein.
Das Corpus amygdaloideum (groBer Kern des GroBhirns unten innen im medialen Temporallappen, der dem limbischen System angehort) hat modulierenden EinfluB auf die vegetativen Zentren des Hypothalamus wie auch auf die Formatio reticularis und das PAG. Es initiert emotionale Gesichtsbewegungen wie Lachen oder Weinen (was viele Muskeln beansprucht), ist fur die Speicherung emotional bedeutender Gedachtnisinhalte zustandig (Lust-UnJust, Furchtkonditionierung) und ist in der Lage, elementare Verhaltensmuster der jeweiligen Umweltsituation anzupassen (LeDoux, J.E.; 1987;1993). In gewisser Weise werden hier sensorische lnformationen (u.a. iiber Geruch, Geschmack, Gesichtsausdriicke) aus der AuBenwelt und innere-motivationale und emotionale Zustande unterbewuBt integriert, bewertet und wirken beim Denken mit. Denkinhalte miissen, bevor sie eingespeichert oder abgerufen werden, diese Amygdala passieren, damit sie selektiert und mit eigenem korperlichen Erleben (Gemiitsregungen) belegt werden konnen, weil jeder Mensch von seinem eigenen Erleben ausgehen muB und selbsthandelnd aus sich herausgeht (E-Motion: Der Korper tritt sozusagen als 1. Partner aufl).
Die Stria terminalis verbindet mit ihren Fasern die Amygdala mit dem Hypothalamus, wodurch sich partiell die gegenseitige Beeinflussung des vegetativen Systems und emotionaler Reaktionen sowie verhaltensbiologische Vorgange erklaren lassen. Der Hypothalamus als Steuerzentrale des Vegetativums und der sympathischen Muskelanspannung hat zahlreiche afferente und efferente intensive Faserverbindungen zum limbischen System, erhalt zahlreiche afferente Projektionen aus sensiblen Zentren des ZNS und projeziert efferent zu vielen, vor allem viszero-motorischen Kerngebieten.
Der Fasciculus longitudinalis dorsalis (Schiitz-Biindel), das dorsale Langsbiindel, ist die groJ3te und wichtigste (wenn auch nicht die einzigste) vegetativ efferente absteigende Bahn des Hypothalamus mit vorwiegend ungekreuzten, schwach myelinisierten Fasern, die auch aufsteigende Anteile fiihrt (Rauber, Kopsch ; 1987).
Der Hypothalamus als zentrale Schaltstelle vegetativer Funktionen bekommt auf diesem Weg Afferenzen von vegetativen Kernen des Riickenmarks und des Hirnstammes, koordiniert sie mit Afferenzen aus dem GroJ3hirn und anderen Arealen des ZNS (z.B. Zufliisse von sensorischen Informationen, Zufliisse von monoaminergen Neuronen des Hirnstammes u.a.), urn tiber den efferenten Schenkel dieses Fasersystems die vegetativen Zentren des Hirnstammes und die vegetativen Kerne (Regio intermediolateralis) im Seitenhorn des Rtickenmarks erregend oder hemmend anzusteuern (Trepel, M.; 1999).
Ein wichtiger sensibler Faseranteil verlaBt im Mittelhirn den Lemnicus medialis (Hinterstrangafferenzen), der danach tiber den Fasciculus longitudinalis dorsalis zum Hypothalamus verlauft (Rauber,Kopsch;1987). Die vegetativ-somatischen Regulationswirkungen des Hypothalamus sind mehr oder weniger unabhangig von der bewuBten Wahrnehmung bzw. der ,bewuBten" emotionalen Reaktion, d.h., daB der EinfluJ3 taktil-dicker Faserafferenzen (exterozeptive Reize) als essentieller Beitrag fiir Vitalitat autonom und im Rahmen der vererbten Verhaltensmuster (Reflexe) versus Anpassung an die Umwelt beschrankt abUiuft, wie z.B. beim Duschen, Baden, Fohnen, Beriihren, Anfassen, Kosmetikauftragen (Salben), Schaukeln (innere Organbewegungen der Eingeweide, Mechanorezeptorenreizung im Mittelohr), u.s.w.
Viele Autoren (z.B. Velden, M.;1994, Hamm, A.; 1997) gehen davon aus, daB sich emotionales Verhalten, und damit auch autonome Parameter schrittweise in Form einer Modiflkation des Gesamtverhaltens (bei Entspannung z.B. durch Zuwendung, ,Streicheln" und Beriihrungsreize) formen lassen, daB sich aber hohere autonome Basis Funktionen defmitiv nicht gezielt operant (durch Belohnung) konditionieren lassen, da u.a. Kreislaufzentren nicht direkt lernen konnen (evtl. nur indirekt modiflzierbar iiber die Vorgabe der GroBhirnrinde). Eine Ausnahme bilden wohl reflektorisch ausgeloste a:ffektive und autonome Defensiv-Prozesse, wie z.B. im Faile der Schreckreaktion.
Es kann gesagt werden, daB im Bereich der Formatio reticularis (,arousal system") des Hirnstammes und bereits in den Hinterhornern der Riickenmarkssegmente eine sehr wirkungsvolle Filterung der a:fferenten Information moglich ist, deren Einstellung vom Zwischenhirn und limbischen System kontrolliert und gelenkt wird. So ist es moglich, einen sensorischen Eingangskanal zugunsten eines anderen abzuschalten und Reizschwellen zu koordinieren.
Ein erforderliches vegetatives HabituationsausmaB als das Erloschen oder die Abnahme der Orientierungsreaktion kann aber oft nicht erreicht werden bei emotionaler Oberreizung, Uberbeanspruchung, bei StreB, da ausgepragte Signal- und Mustererkennungsmechanismen wegen der Uberlastung der Nervenschaltungen nicht mehr selektiv funktionieren. Der Mensch, der oft mit abrupten Intensitatswechseln konfrontiert wird, zeigt, daB der Hirnstamm und seine Sinnesorgane das erforderliche AusmaB der Bereichsverstellung durch Adaptation nicht rasch genug erreichen konnen. Vor allem die Erregbarkeit des limbischen Systems hat ganz entscheidende Bedeutung fiir die a:ffektive und vegetative Situation des Menschen. Uber das limbische System als Verstarker-Schaltung konnen aile stressverursachenden Faktoren CRF-und damit ACTH Freisetzung sehr erheblich steigern. (Trincker, D., Lullies, H.; 1977).
Die vegetativen Konsequenzen werden uns nur zu selten bewuBt, die auf Dauer pathologische Erscheinungen nach sich ziehen. Es soli erwahnt werden, daB das protopathische Projektions-System, das iiber die Formatio reticularis vor allem bei noxischer Reizung das limbische System (z.B. Amygdala) und den Hypothalamus aktiviert, meistens als das hauptsachliche StreBauslOser-System gesehen wird, wenngleich wir wissen, daB die iiber dieses System geleiteten Informationen fiir das ZNS nicht ausreichen, z.B. Beriihrungsempfmdungen vollstandig zu charakterisieren (Trincker,D., Lullies, H.; 1977, Sato, A. und Schmidt, R.; 1973). Allein fiir die Unterscheidung von Oberflachen- und Tiefenschmerz wird Information benotigt, die tiber das Hinterstrangsystem lauft.
Die Annahme, daB also nur Schmerz unter allen Bedingungen allein und ausschlieBlich den negativen Verstarkermechanismus der Unlust und somit der vegetativen Konsequenzen, die als organismische Voraussetzungen dem Entstehen von Empfmdungen und Emotionen dienen, in Gang bringt, ist zwar naheliegend, trifft aber nicht zu. Urn sich tiber die unterbewuBt ablaufenden vegetativen Regulationen und die Aktivierung von Schmerzhemmsystemen, die den Korper lahmen konnen, kontextabhangige Klarheit zu verscha:ffen, sollten immer auch die epikritisch ,feinsinnigen" phylogenetisch jtingeren, d.h. die fiir die Feinwahrnehmung verantwortlichen Hinterstrang-Komponenten und Kleinhirnafferenzen fiir die vegetativen Regulationen Beachtung fmden, denn die Intensitat der Impulse aus allen aufsteigenden spezifischen Sinnesbahnen wird zur unspezifischen Aktivierung der GroBhirnrinde, und vor allem des limbischen Systems mit seinem Hypothalamus, tiber Kollateralen der Formatio reticularis zugeleitet. Beiiihrungsreize und Affekte konnen ein Weiterschlafen verhindern und schlafende Menschen so zum Beispiel zum Aufwachen veranlassen (Wecken!). Je nachdem, ob die Bertihrungsreize (tollpatschig, rticksichtslos) scharf, abrupt oder ,Iaut'' (Wecker!) oder entgegengesetzt ,leise", ziirtlich und mit Geduld ausgefiihrt werden, bricht fiir den Menschen entweder unlustig oder lustvoll sein Tag an. Zudem ist zur Regeneration, wie in den verschiedenen Hirnregionen, auch in den sensorischen Systemen die Ausbildung spezifischer synaptischer Verbindungen von trophischen Faktoren abhiingig, die z.T. von den afferenten Axonen abgegeben werden, aber nur wenn sie in ausreichendem, aber angepaBtem MaB bei Umweltkontakt aktiviert werden (Handwerker, H.O.; 1999).
Die Emotionen, an denen Thalamus, Amygdala und Hirnrinde beteiligt sind, konnen nichtbewuBt hervorgerufen und erzeugt werden und erscheinen daher dem bewuBten Selbst oft als relativ unmotiviert. Automatisch im Millisekundenbereich des ZNS generierte Emotionen verandern und selektionieren sowohl den Organismus als auch seine Reprasentationen im ZNS, noch bevor der tatsachlich emotionale Zustand eintritt. Die sehr schnellen Emotionen wirken sich als Informationsausbreitung und Heraus-Bewegung tiber den ganzen affiZierten Organismus mit EinschluB des ZNS (Ciompi, L.; 1998) aus; nachhaltig auf alle komplexen, den Horizont erweiternden kognitiven Prozesse. Dazu ziihlen fokussierte Aufinerksamkeit, Arbeitsgedachtnis und Handlungsplanung als Zentraleinheit, das Manipulieren von Fakten (u.a. spater tiber die Sprache, wobei zu beachten gilt, daB nicht alles versprachlicht etikettiert werden kann, was z.B. gefiihlsmaBig stort) und die Bildung von Erinnerungen und das Problemlosen fUrs individuelle Weiterkommen.
Das BewuBtsein macht diese Gefiihle der Erkenntnis zuganglich und unterstutzt damit die innere Wirkung von Emotionen. Es versetzt diese in die Lage, den inneren DenkprozeB durch Vermittlung des Ftihlens (u.a. selbstreflexiv) zu durchdringen, indem sie wie Schleusen und Pforten bestimmte Denkwege selbstorganisatorisch Offnen oder schlieBen, urn nur fiir stetige Sekundenbruchteile eines Moments die mentalen Details klar und deutlich genug an den Riindern des Geistes zu vergegenwiirtigen, realistisch und anschaulich zu bemerken und die Konsequenzen korperlichen Handelns selektiv in raum zeitlicher gegliederter Beziehung zu einem Objekt hervorzuheben. Laufende BewuBtseinsimpulse dienen der Hervorhebung und Verstiirkung der Objektvorstellungsverarbeitung aus der Korperperspektive, urn alles Verhalten, was zugleich Kommunikation ist, gewissenhaft zu organisieren und urn das homoostatische Dasein zu verandem. Zusammenfassend entsteht Bewufitsein nur, wenn Reizobjekt, Organismus und ihre Beziehung (Interaktion) ausgewogen reprfisentiert werden konnen. Die Abbildung der Beziehung zwischen einem schlichten Objekt und dem Organismus wird zum leibhaften Fiihlen eines Ge:fiihls, urn es erst damit als Lebensge:fiihl erleben zu konnen. Wir sind dann authentisch und selektiv und konnen durch das Aufstellen einer Praferenzordnung und die Bildung einer Wahl unser eigenes situatives Verhalten reprasentieren. Wir werden uns bewufit, was wir fiihlen und denken und wahlen aus, was wir davon mitteilen mochten.
2. Zwei StreBreaktionen im Rahmen eines bio-psycho-sozialen Kra n kheitsverst a ndn isses
2.1 Kontrollierbare StreBreaktion
Jeder von uns hat his zum Zeitpunkt seiner Geburt schon eine ganze Menge gelernt. Wenn wir auf die Welt kommen, wissen wir zumindestens eines sehr genau, namlich was Geborgenheit bedeutet. Jetzt lernen wir die Angst, v.a. die Angst vor Ablehnung, kennen, mit der jede psychoneuroendokrine StreBreaktion beginnt. Wir spiiren deren Auswirkungen am ganzen Korper, ebenso wie die Erleichterung, wenn der StreB aufhort. Diese sonderbaren Gefiihle entstehen dadurch, daB stammesgeschichtlich sehr alte Verschaltungen in unserem Gehirn aktiviert werden, in denen auch die Fahigkeiten sitzen, die man braucht, urn in Begegnungen mit sich und anderen kreativ umzugehen. Der Angstbegriff bezeichnet das initial bei jeder StreBreaktion ausgeloste Gefiihl, das sich durch die individuelle Erfahrung der Bewaltigbarkeit verandert.
Das ursprlingliche Gefiihl der Angst verwandelt sich dann je nach Charaktereigenschaft (z.B. Vetrauensseeligkeit vs. Jahzorn) und in Abhangigkeit von den individuell gemachten Erfahrungen (z.B. Identifizierung mit Vater/Mutter, Urvertrauen) zu einem ganzen Spektrum von Gefiihlen, die wir aus Erfahrung der Oberwindbarkeit initial empfundener Angste entwickeln. Sie konnen das ursprlingliche Gefiihl der Angst mehr oder weniger vollstandig iiberdecken und dann als Uberraschung, Neugier, Freude oder gar Lust empfunden werden (Ruther, G.; 1999), urn menschliche Beziehungen nach ihnen und im Rahmen der Primaraffekte durch Verhaltensbahnungen im motorisch skelettalen und im physiologisch-hormonalen Bereich auszurichten und zu strukturieren.
Jede Reaktion auf einen (psychischen) Stressor und/oder sensorischen Input beginnt mit einer unspezifischen Aktivierung kortikaler und limbischer Hirnstrukturen, die zur Stimulation des zentralen und peripheren noradrenergen Systems fiihrt (Arousal).
Es sei zu betonen, daB aile auBeren Reize (Stressoren) wie Beriihrungen, Temperaturveranderungen, Regen, Licht oder Tone wie jede innere Motivation als erstes den Atem verandern, bevor der Mensch durch eine Handlung Stellung dazu nehmen kann. Der Atem wird zum umfassenden Ausdrucksorgan menschlicher Intentionalitiiten und der Bereitschaft/Reflextoleranz und wirkt umgekehrt auf das vegetative NS (z.B. Herzpulsfrequenz) zuriick.
Unter Aktivation (entspricht der Startreaktion) verstehen Pribram und McGuinness (1975) eine motorische Vorbereitung bzw. die Umsetzung von Erwartungen und Planen in eine erhohte Reaktionsbereitschaft. Arousal dient nach ihrer Auffassung zur Fokussierung der Aufmerksamkeit, zur Auslosung von Orientierungsreaktionen sowie zur unmittelbaren Verhaltenskontrolle. Die Begrenzung der Aufmerksamkeit als aktive Selektionsform existiert aufgrund der begrenzten Aufnahmekapazitat der ZNS- Strukturen (Flaschenhals-Effekt) und dient der Okonomie der Handlungssteuerung. Sie erfolgt sowohl an der Sinnesperipherie als auch in der Zentralverarbeitung (z.B. exekutiver working memory).
Die Aufmerksamkeit und die selektive Wahrnehmung eines Menschen richten sich anhand der Motivationslage (Motivation) und nach dem Handlungsziel aus, urn sich mit seinen korperlichen und seelischen Anlagen bzw. Charaktereigenschaften auf die Umweltbedingungen einzurichten. Das Gehirn kann sich iiber sensorische lnformationen einfach hinwegsetzen und nur in eine bestimmte Richtung lenken, selbst wenn es diese mit den bisherigen Erfahrungen (evtl. Mangel) und Erwartungenl Ansichten nicht in Einklang und zur Deckung zu bringen vermag. Das emotionale Reizmaterial kann oft paradoxe physiologische Reaktionen zur Folge haben, weil kognitive Abwehrmechanismen die subjek:tive Wahrnehmung von bestimmten emotionalen Reizen verhindern.
Der Vorgang des inneren Riickzugs auf das Nahe oder des in die Ferne Riickens des Nahpunktes (Phantasie) engt zwar oberflachlich Aufmerksamkeit, Erlebnis-und Konzentrationsfahigkeit und die Wahrnehmungs-und Sehkraft ein (vgl. laterale Hemmung), so daB der Mensch nur manches wahrnimmt (z.B. bei Leugnung und Verdrangung), verhindert aber als relativ selektiv selbstgewahlter Schutz und selbstregulierender Mechanismus des Korpers, daB der Mensch von unterdriickenden und widerspriichlichen und folglich angstmachenden Eindriicken iiberflutet wird, die Konflikte m ihm auslosen wOrden. Wahrgenommenes (z.B. EinfluB von Interaktionspartnem) gilt nicht als bedeutsam und wird deshalb nicht beriicksichtigt.
Nach Pribram, K.M. ist die Arbeitsweise des Gehims am besten als Zusammenarbeit unterschiedlich komplexer neuronaler Plane oder Programme zu beschreiben. Diese bestehen aus einer Hierarchie von sich gegenseitig beeinflussenden Feedback-Mechanismen, deren Aufgabe es ist, die Veranderung der Umwelt zu erfassen und so in die schon vorhandenen Programme (= Erfahrung) einzubauen, daB wieder ein Gleichgewicht zwischen Umwelt und Organismus entsteht (Homoostase). Sie dienen der Riickkopplung von Erfolg und Millerfolg von Verhaltensweisen. Eine StOrung mit lnformationsdeflzit der ablaufenden Programme, die dem adaptierenden Verhalten dienen, nennt Pribram eine elementare Emotion. Emotionen haben kompensatorischen Charakter, insofern sie den Organismus zur Verringerung des Informationsdefizits als Voraussetzung seiner Anpassungsleistung mobilisieren.
Die beobachtbare Umweltorientierung entspricht einem ,Ober-sich-Hinaus Spiiren" (Transsensus) und einer Erhohung des Gamma-Tonus (Glaser, V.; 1993). Bei der Orientierungsreaktion werden die rezeptorischen Apparate, die Erfolgsorgane des autonomen NS in die Richtung eingestellt, aus der die Ursache der Storung einwirk:t. Die Orientierungsreaktion kommt ins Spiel, wenn das Wissen nicht mehr ausreicht, urn die Ereignisse in der Umwelt vorwegzunehmen und kontrollieren zu konnen. lndem die Orientierungsreaktion eine Neuorientierung durch einen Wechsel des Aufmerksamkeitsfokus ermoglicht, unterbricht sie eine gerade ablaufende Handlung oder geordnete Sequenz von Prozessen, was als voriibergehende Ablenkung und als Hemmung von Reflexen auffallen kann (Pawlow, J.P.; 1953). Sie stellt die Empfanglichkeit des Individuums fiir potentiell wichtigere Informationen sicher fiir die Reduktion von Unsicherheit und zur Scharfung der emotionalen Kompetenz.
Sokolov (1963) beschreibt die Orientierungsreaktion als einen Spezialfall eines in mehreren Funktionsbereichen ablaufenden Aktivierungsvorgangs und hat folgende Komponenten zur Reaktionsvorbereitung: Aufmerksamkeitszuwendung, Hautleitfahigkeitserhohung, kurzes Absinken der Herzrate, Verengung der peripheren BlutgefiiBe, Erweiterung der KopfgefaBe, Alphablockade des EEG, P 300-Komponente (nach ca. 0.3 sek) im evozierten Potential.
Die Aufinerksamkeit (attention) stellt die Vorstufe der Konzentration dar. Diese Achtsamkeit ist nicht ohne eine entsprechende Ausblendung durch hohere selektive Hemmungsdirektiven, auch der subjektiv anklingenden Strebungen und Empfmdungen zu denken. Oder anders gesagt: Ohne Verdrangung anderer Frequenzen besteht keine Aufmerksamkeit, keine Konzentration, keine Intentionalitat, kein Erkennen, sondem diffuses Hingegebensein an auBere und innere Eindrticke (Wyss, D.; 1970). In der Literatur ist ein weitgehend synonymer Gebrauch der Begriffe Aktivation und Arousal zu fmden, die sowohl den Zustand der Aktivierung als auch den ganzen ProzeB bis zur Aktiviertheit beschreiben. Sie beschreiben im Wesentlichen die gesamtorganismische Energiebereitstellung als Vorbereitung auf eine Aktivitat und die Intensitat, mit der sich ein Verhalten auBert. Das alte kortikale Netzwerk von Neuronen nimmt das vorgestellte Modell mit Neuheitsgehalt auf und sendet dabei Impulse zu sg. Neuheitsdetektoren im Hippocampus, der das Synchronisations-System des Thalamus hemmt. Nach ca. 300 ms beginnt die Speicherung des Neuen bzw. die Korrektur der gespeicherten neuronalen Modellvorstellungen (Erwartungen) im Langzeitgedachtnis durch Abgleichung, durch Verstarkung bzw. Abschwachung je nach Diskrepanzen und wird bewuBtseinsfahig.
Sobald im Zuge dieser unspezifischen bzw. noch spezifischen Aktivierung und wahrend der Reizevaluationszeit eine Moglichkeit zur Losung der betroffenen Anforderung oder eigenen Erwartung/Antizipation (Moore-Ede, M.C.; 1999) gefunden wird, kommt es mit der Aktivierung der an dieser Verhaltensreaktion beteiligten neuronalen Verschaltungen zum Erloschen der initialen Aktivierung.
Wenn so im situativen Einzelfall eine Bedrohung abgewendet werden kann oder eine allmahliche Abschwachung der Verhaltensreaktion auf einen wiederholt prasentierten Reiz (Gewohnung) durch das Lernen einer inneren Modellbildung eintritt, ist alles gut. Das noradrenerge System hort auf zu feuern. Das Gehirn belohnt uns fiir erfolgreiches Verhalten. Das mesolimbische Dopamin-Verstarkersystem stellt die neuro anatomische und neuro-chemische Grundlage von Anreizmotivationen und fiir das Anwachsen ihrer Werte mit Aufforderungscharakter dar. Die Verschaltungen dieses Belohnungssystems werden ebenfalls immer dann aktiviert, wenn wir eine Herausforderung gemeistert, eine kontrollierbare Belastung erfolgreich bewaltigt haben (Gray, J.A.; 1991). Der einzige MaBstab fiir die Bewertung des Erfolges der Bemuhungen, die Angst zu bewaltigen, ist die personliche Einschatzung und das Urteil, uns nahestehender, Sicherheit bietender Bezugspersonen (Sapolsky, R.; 1994).
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- Quote paper
- Alexander Pouch (Author), 2002, Kitzeln und Hautstreicheln als physiotherapeutische Behandlungsmethode, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/502096
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