„Als ich in die Probe kam, waren die Schauspieler auf der Bühne, und es gab gerade Krach zwischen Friedhelm Ptok, der den Karlos spielte, und Kurt Hübner. ‚König Philipp‘ sollte gerade auftreten, und Kurt Hübner, der Regisseur, hatte gesagt: „In diesem Moment treten alle Schauspieler einen Schritt zurück.“ Ptok fragte, warum. Und Hübner sagte (ich vereinfache etwas): „Weil es so ist, wenn dein König auftritt.“ ’68 war nicht mehr so weit weg, es brodelte schon ein bißchen. Die jungen Schauspieler wollten keinen Schritt mehr zurücktreten, sie fanden diese Haltung autoritär. Es gab einen Riesenaufstand über diesen einen Gang. Künstlerische Vorgänge können unmittelbar politische Bedeutungen habe, wenn man Theater ernsthaft betreibt. Daß ein Schritt nach hinten oder nicht so eine Bedeutung haben kann, ist es, was Theater aufregend macht.“ Was Peter Zadek hier beschreibt ist der Kern dessen, um was es in dieser Arbeit gehen soll, nämlich die Frage, inwieweit gesellschaftliche und politische Fragen mit dem Theater verzahnt sind. Wie sich direkte politische Fragen auf dem Theater formulieren und wie sie dargestellt werden. In diesem Fall ist die Antwort einfach: die traditionelle Rolle des Königs als Respektsperson und Autorität wird von den jungen Schauspielern in Frage gestellt, entspricht nicht mehr ihrem Verständnis von Umgang mit den Autoritäten, einem Kernproblem auch von Schillers „Don Karlos“, das Hübner 1959 in Ulm inszenierte und von dessen Proben Zadek hier berichtet. Eine autoritäre Haltung wurde abgelehnt und sollte daher auch nicht mehr auf der Bühne dargestellt werden. Dagegen stand die Auffassung Hübners, dass Königen ein solcher Respekt entgegengebracht werden müsse, das sei nun mal so (über weitere Argumente kann man an dieser Stelle nur spekulieren, aber der mögliche Wunsch nach einer Darstellung, wie es gewesen sein könnte, zu jener Zeit in der das Stück spielt, mag eine Rolle gespielt haben). Die Überzeugung der Schauspieler von 1959, eine solche autoritäre Haltung sei nicht zeitgemäß und Autoritäres überhaupt abzulehnen, wollten diese auch auf der Bühne kenntlich machen. Die Geste oder genau die Bewegung ist also zu einem enormen Teil mit politischer Bedeutung aufgeladen und wird als Zeichen für Machtkonstellationen genommen. Macht wiederum spiegelt sich in den kleinsten Gesten wieder, die auf der Bühne hervorgebracht und ebenso rezipiert werden.
Inhalt
I.
II. Zum Begriff des Politischen und des Theaters in dieser Arbeit
III. Historische Grundlagen des deutschen Staatstheatersystems und seiner Grundästhetik
IV. Das Theater als (ideologischer) Staatsapparat – Überlegungen zum staatlichen Theater in der Demokratie
V. Roland Barthes Mythen auf dem Theater
VI. Zum Politischen auf dem Theater oder Wie könnte ein politisch-kritisches Theater in einer pluralistisch-demokratischen Gesellschaftsordnung aussehen?
VII. Literatur
I.
„Als ich in die Probe kam, waren die Schauspieler auf der Bühne, und es gab gerade Krach zwischen Friedhelm Ptok, der den Karlos spielte, und Kurt Hübner. ‚König Philipp‘ sollte gerade auftreten, und Kurt Hübner, der Regisseur, hatte gesagt: „In diesem Moment treten alle Schauspieler einen Schritt zurück.“ Ptok fragte, warum. Und Hübner sagte (ich vereinfache etwas): „Weil es so ist, wenn dein König auftritt.“ ’68 war nicht mehr so weit weg, es brodelte schon ein bißchen. Die jungen Schauspieler wollten keinen Schritt mehr zurücktreten, sie fanden diese Haltung autoritär. Es gab einen Riesenaufstand über diesen einen Gang. Künstlerische Vorgänge können unmittelbar politische Bedeutungen habe, wenn man Theater ernsthaft betreibt. Daß ein Schritt nach hinten oder nicht so eine Bedeutung haben kann, ist es, was Theater aufregend macht.“[1]
Was Peter Zadek hier beschreibt ist der Kern dessen, um was es in dieser Arbeit gehen soll, nämlich die Frage, inwieweit gesellschaftliche und politische Fragen mit dem Theater verzahnt sind. Wie sich direkte politische Fragen auf dem Theater formulieren und wie sie dargestellt werden. In diesem Fall ist die Antwort einfach: die traditionelle Rolle des Königs als Respektsperson und Autorität wird von den jungen Schauspielern in Frage gestellt, entspricht nicht mehr ihrem Verständnis von Umgang mit den Autoritäten, einem Kernproblem auch von Schillers „Don Karlos“, das Hübner 1959 in Ulm inszenierte und von dessen Proben Zadek hier berichtet. Eine autoritäre Haltung wurde abgelehnt und sollte daher auch nicht mehr auf der Bühne dargestellt werden. Dagegen stand die Auffassung Hübners, dass Königen ein solcher Respekt entgegengebracht werden müsse, das sei nun mal so (über weitere Argumente kann man an dieser Stelle nur spekulieren, aber der mögliche Wunsch nach einer Darstellung, wie es gewesen sein könnte, zu jener Zeit in der das Stück spielt, mag eine Rolle gespielt haben). Die Überzeugung der Schauspieler von 1959, eine solche autoritäre Haltung sei nicht zeitgemäß und Autoritäres überhaupt abzulehnen, wollten diese auch auf der Bühne kenntlich machen. Die Geste oder genau die Bewegung ist also zu einem enormen Teil mit politischer Bedeutung aufgeladen und wird als Zeichen für Machtkonstellationen genommen. Macht wiederum spiegelt sich in den kleinsten Gesten wieder, die auf der Bühne hervorgebracht und ebenso rezipiert werden. Die Diskurse über Macht wiederum sind keine historischen, sondern die Schauspieler begründeten ihre Verweigerung mit dem ganz klaren Bekenntnis zum zeitgenössischen Verständnis von Autorität, das mit dem althergebrachten nicht in Einklang zu bringen ist. Das Handeln auf der Bühne kann daher nur eines von beiden repräsentieren: die historische Situation, die unkritisch reproduziert wird (auch wenn es sich nur um eine Scheinreproduktion handelt, da ja niemals die Reproduktion einer tatsächlichen historischen Szene auf der Bühne angedacht war) oder eine zeitgenössische Interpretation der Szene in die der aktuelle Diskurs zum Thema dargestellt wird (also der Umgang mit Autorität).
Die Frage ist also, ob man Mechanismen beschreiben kann, nach denen politische und gesellschaftliche Diskurse ihren Weg auf die Bühne finden und wie sie in die Darstellung einfließen. Gleichzeitig spielt dabei die Frage eine Rolle, nach welchen Grundannahmen das deutsche Theatersystem (und damit vor allen Dingen das System der Stadt- und Staatstheater) konstituiert ist und wo die historischen Grundlagen für diese Grundsätzre zu suchen sind. Denn Theater findet ja nicht an einem Nullpunkt ab, sondern spiegelt immer auch die Traditionen wieder, aus denen es entstanden ist und selbst der bewußte Bruch mit diesen Traditionslinien stellt doch um so stärker einen Verweis auf gerade diese Linien dar, da doch gerade das Contra sich dialektisch aus dem Pro speist. Die vorliegende Arbeit ist daher in vier große Bereiche geteilt. Zunächst soll muss der Begriff des Politischen, der dieser Arbeit zu Grunde liegt, geklärt werden. Es folgt ein historischer Abriss zu den Wurzeln oder dem Ursprung des deutschen Stadttheatersystems im frühen 18. Jahrhundert und zur Bearbeitung der Frage, welche Hauptdiskurse des aufstrebenden Bürgertums das Theaterbild (und auch das Bild von Kultur im allgemeinen, besonders der Hochkultur) prägten und bis heute noch prägen.
Das vierte Kapitel widmet sich abrissartig den Bedingungen des politischen Systems der Bundesrepublik für das Theater und korrespondiert darin mit dem vorangegangenen Kapitel, um zu überprüfen, inwieweit diese Traditionslinien oder Hauptdiskurse auch heute noch sichtbar sind und wie sich die Diskurse gewandelt haben und immer noch wandeln. Der vierte Teil widmet sich der Aufführung von Theater im bestehenden System und geht der Frage vom Verhältnis zwischen Theater und Gesellschaft nach, wobei der Begriff der Gesellschaft hier einem Begriff der Teilgesellschaften weichen muss, die alle ihr eigenes Theater haben. Zugleich soll in diesem Kapitel mit Hilfe von Barthes Mythentheorem gezeigt werden, wie Theater (politische) Aussagen produziert und wie diese im Verhältnis zu den theaterexternen und theaterinternen Diskursen im Verhältnis stehen. So ausgerüstet soll am Ende der Versuch eines Fazits versucht werden, der die Funktion des Theaters in spätkapitalistischen, demokratisch-bürgerlich verfassten Gesellschaften untersucht und die Frage des Politischen auf dem Theater neu stellt.
II. Zum Begriff des Politischen und des Theaters in dieser Arbeit
Über das Politische ist viel geschrieben worden, am häufigsten zitiert ist wohl der Aufsatz von Carl Schmitt zu diesem Thema, in dem er das Politische als den Widerstreit zweier verschiedener Pole aufzeigt[2]. Das Politische wird so vor allem durch die Existenz eines Gegners definiert. Erst die Antipode zum eigenen schafft das Politische. Von einem solchen Politikbegriff aber ist die vorliegende Arbeit weit entfernt. Als politisch ist hier, in der Tradition der Cultural Studies an der University of Birmingham, quasi jede bewusste Lebensäußerung zu verstehen, da jede bewusste Äußerung innerhalb eines spezifischen Gesellschaftszusammenhang stattfindet und dessen Norm entweder bestätigt oder subversiv in Frage stellt. In einer solchen Sichtweise ist quasi nichts nebensächlich, sondern alles aufgrund seiner möglichen Bedeutsamkeit analysierbar. Allerdings können solche Interpretationen, auch das ist sich diese Methode bewusst, niemals vollständig oder vollkommen richtig sein. So können bei der Deutung beispielsweise von menschlichen Verhalten, von Modetendenzen oder dem Fernsehprogramm lediglich mögliche Bedeutungen und Korrelationen von verschiedenen Aspekten aufgezeigt werden. Die Methode verbindet so Methoden, wie wir beispielsweise beim Theorem der Althusserschen ideologischen Staatsapparate finden oder bei Gramscis Idee vom permanenten Kampf um die hegemoniale Vorherrschaft im Überbau einer Gesellschaft mit der Foucaultschen Diskurstheorie und Machttheorie, um dem Dogmatismus zu entgehen, den ein solch totaler Politikbegriff sicher zur Folge hätte.
„Theater , verstanden als ein kulturelles System unter anderen, hat also generell die Funktion Bedeutung zu erzeugen“, bestimmt Fischer-Lichte das Theater und seine Funktion.[3] Dabei muss das kulturelle System begrenzt werden, denn eine Untersuchung aller theatralischen Formen in des Gesellschaft auf ihren politischen Gehalt hin würde nicht nur den Rahmen dieser Arbeit, sondern würde geradewegs zur Problematik der Theatralität an sich führen. Der in dieser Arbeit verwendete Theaterbegriff ist daher ein sehr eingeschränkter. Es soll vor allen um Theater im klassischen Sinne, also auf Deutschland bezogen vor allen Dingen um Theateraufführungen, die im Rahmen des (teil-) subventionierten Theatersystems stattfinden. Auf Phänomene der sogenannten freien Szene kann dabei nur am Rande eingegangen werden, auch wenn sich gewisse Phänomene, besonders die Ergebnisse aus Kapitel 4, auf diese problemlos übertragen lassen. Im Vordergrund soll aber die Frage stehen, wie das politische System (in Deutschland) und das Theater in seiner jetzigen Form sich gegenseitig bedingen und woher diese spezifische Existenz des Theaters kommt. Eine Grundthese ist dabei, dass es sich beim Theater um eine diskursive Praxis im Sinne Foucaults handelt. Es gibt also eine diskursive Formation (das Kultursystem), innerhalb welcher Theater stattfindet.[4] Jedoch kann man nicht von dem Theater-Diskurs sprechen, sondern muss zumindest zwei Hauptdiskurse unterscheiden, nämlich den Diskurs über das Theater und den Diskurs auf dem Theater. Eine ähnliche Unterscheidung unternimmt Münz in seinem Theatralitätskonzept[5], dass ein diskurstheorethisches Werkzeug für die Anwendung der Diskurstheorie für das Theater mit an die Hand gibt.
Damit korrespondiert die Vorstellung vom Theater als idelologischen Staatsapparats nach Althusser. Hier findet die direkte Verbindung von politischen System und den dazugehörigen Norm-, Wert- und Regelvorstellungen und dem Theater als intrakulturellem Kommunikationsort statt. Das Theater verhandelt zum einen gesellschaftliche Themen auf der Bühne und zum anderen wird dem Theater eine spezielle gesellschaftliche Rolle zugemessen, die in Deutschland immer noch von den Idealen des Bildungsbürgertums getragen wird (zu dieser Entwicklung siehe das nächste Kapitel). Dieses statische Bild von DEM Theater als DEM Staatsapparat kann so aber nicht mehr gelten, genauso wie sich das Bild von DER Gesellschaft in eine Vision von nebeneinander existierenden Teilgesellschaften, Teilgemeinschaften der Gesamtgesellschaft gewandelt hat. Jede dieser Teilgesellschaften hat nun wieder ihr Set von Werten und Normen. Der amerikanische Soziologie Parsons geht dabei von drei verschiedenen Verhaltenssdeterminationen aus: dem personellen System, dem sozialen System und dem kulturellen System, das die normativen und kognitiven Bedürfnisse und Symbole und somit auch das Theater betrifft.[6] Dieses hat Auswirkungen für die Idee einer gesellschaftlichen Formation durch das Theater, zumal bei einer Vielzahl von Theaterformen und –stilen, bei denen kaum von einem gesamthomogenen Publikum gesprochen werden kann. Mit Hilfe von Roland Barthes Modell der Mythen und Metamythen wird diese Thema im vierten Kapitel behandelt.
So erfolgt logischerweise eine Ausdehnung des Begriffs vom politischen Theater, das nicht nur Theater umfasst, das politische oder gesellschaftliche Themen explixit behandelt, sondern von der Prämisse ausgeht, dass jegliche Theaterform als politisch relevant anzusehen ist, da sie gesellschaftliche Modelle und damit Machtstrukturen vermittelt. So stellt sich nicht mehr die Frage, die sich noch Melchinger gestellt hat[7], was politisches Theater sei, sondern wie und welche politische Botschaften, und darunter fallen auch ganz explixit Normen- und Wertekataloge, die immer auch eine repressive Praxis und Machtstrukturen beinhalten, vermittelt werden. Melchinger beantwortet diese Frage mit der Feststellung, dass nur Theater, dass die Herrschenden kritisiert, politisch sei. Gerade aber dem willfährigen Theater, das ja in seiner gesellschaftlichen Funktion stabilisierend wirken soll (Propagandatheater), spricht er den Status des zu untersuchenden politischen Theaters ab.[8] In dieser Sichtweise aber liegt ein bipolares Weltbild schmittschen Außmaßes, das die Realität nur sehr blitzlichtartig ausleuchtet, da auch der Übergang zwischen systemerhaltendem, systemveränderendem und revolutionärem Impetus fließend ist und besonders in der heutigen Zeit der totalen Liberalität der Meinungen eine Opposition mehr und mehr auch zu einer graduellen Frage wird statt zu einer kategorischen.
III. Historische Grundlagen des deutschen Staatstheatersystems und seiner Grundästhetik
Das heutige deutsche Theatersystem ist vor allen Dingen ein Erbe der Kleinstaaterei deutscher Fürsten- und Königshäuser. Diese nutzen jahrhundertelang Theater und Kunst als Repräsentationsmechanismus ihrer Macht und schufen im Zuge dessen die ersten großen Theaterhäuser. Bis ins 18. Jahrhundert hinein blieb dort der Adel unter sich und die Häuser wurden entweder von dafür angeworbenen Wandertruppen bespielt, die durchaus auch für längere Zeit eine feste Anstellung an einem Hof für die Gruppe bedeuten konnte. Inhaltlich wurde von der Oper über das klassische französische Drama bis hin zu Haupt- und Staatsaktionen alles gespielt, wobei das unterhaltsame Genre deutlich dominierte.[9]
Als die ersten großen, fürstlichen Theaterhäuser Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden, setzte gleichzeitig eine Professionalisierung und Verbürgerlichung des Schauspielertums ein. So wurden die bis dahin frei umherziehenden Compagnien an festen Häusern seßhaft[10] und gleichzeitig entstanden die ersten Theaterakademien, wie zum Beispiel die Eckhofsche Akademie 1753 in Schwerin. Erklärtes Ziel dieser Akademien, die zunächst nur ausgesuchten, professionellen Schauspielern offenstand, war, die Schauspielkunst – bei Ekhof ist ausdrücklich von Schauspielerei als Kunst die Rede – auf den rechten Weg zu bringen. „Die Schauspielkunst ist: durch Kunst die Natur nachahmen“, so Ekhof im Protokoll der Sitzung Akademie vom 2. Juni 1753.[11] Bei diesen Sitzungen der Akademie wurden sowohl Stücke besprochen als auch Schauspieltechnik zum Thema gemacht, so dass von nun an eine Vereinheitlichung der Spielweisen eingeleitet wurde. Die Ekhofschen Akademiker waren nicht die einzigen, die sich dieses Themas annahmen. Nahezu zeitgleich gingen Gottsched und die Prinzipalin Karoline Neuber gegen den Hanswurst und die Haupt- und Staatsaktionen des fahrenden Bühnengewerbes vor und Gottsched stellt, orientiert am französischen Drama, in seiner „Critischen Dichtkunst“ Kataloge von spielbaren Dramen auf und schreibt mit „Der sterbende Cato“ sogar ein Drama, das aufgrund seiner französischen Art als Beispiel für andere Dichter gelten sollte, denn es „schmerzte“ ihn, „die deutsche Bühne in solcher Verwirrung zu sehen.“[12] Als Grund für die Verwirrung diagnostizierte er vor allen Dingen Regellosigkeit und die unerträglichen Haupt- und Staatsaktionen. Man musste „das bisherige Chaos abschaffen und die deutsche Komödie auf den Fuß der französischen setzen.“[13] Das hieß Literarisierung der bis dahin noch sehr ungebundenen deutschen Bühne und Regulierung der bisher recht freien theatralen Formen. 1750 erscheint, in der Übersetzung Lessings, Francesco Riccobonis „L‘Art du théâtre“ in Deutschland, in der sowohl schauspieltheoretische, wie auch ganz praktische Aspekte zum Beispiel zur Atmung, der Deklamation und dem Gang zu finden sind.[14] Auch Diderot, ein Vorbild Gottscheds, setzt sich in seinem „Paradox über den Schauspieler“[15] vor allen Dingen mit Grundlagen der Schauspieltechnik auseinander, die auf eine Trennung der Gefühle des Schauspielers und der dargestellten Gefühle auf der Bühne herauslief. Das erreiche nur der trainierte Schauspieler und nicht der, wie Diderot es nennt, Schauspieler von Natur, also ein „ungelernter“ Komödiant, der zwar oft abscheulich sei, aber dem hin und wieder großes gelinge.[16]
Die Qualität des Theaters, die Kunst der Darstellung und das Drama als Handlungsgerüst der Theateraufführung treten von nun an in das Zentrum der Reflexion über das Theater. So beobachtet und kritisiert Lessing in seiner Hamburger Dramaturgie[17] zunächst Stücke und ihre Bühnendarstellung, zieht sich aber später ganz in die Interpretation und Diskussion der Stücke zurück. Insgesamt 104 Werke bespricht Lessing, was nur dadurch möglich wurde, dass er als Dramaturg an ein festes Theaterhaus gebunden war. Von 1767 bis 1769 existierte in Hamburg das Hamburger Nationaltheater unter der Direktion von Johann Friedrich Löwen. Es war ein nicht-höfisches Haus und finanzierte sich allein aus den Beiträgen und Eintrittsgeldern des vermögenden Hamburger Bürgertums. Auch an diesem Haus gab es den deutlichen Trend zur Literarisierung und damit dem Verdrängen anderer Theaterformen, auch wenn die Aufführungen hier jeweils von Vor- und Nachspielen eingerahmt wurden. Gleichzeitig aber orientierte man sich nicht so stark an französischen Vorbildern, wie Gottsched dies tat, sondern setzte diese in Relation zu anderen literarischen Theatertraditionen wie denen Shakespeares. Gleichzeitig begann sich das bürgerliche Trauerspiel (mit Lessing als einer der großen Autoren) als Dramenform durchzusetzen, die das Theater dominieren sollte. Hier also Reglementieren des Themas des bürgerlichen Theaters hin auf die Familie. Dies muss auch immer als Gegentendenz zu den adligen Themen mitgedacht werden. Das bürgerliche Theater wurde so „zum Ort der Artikulation und zum Instrument der Durchsetzung für die Emanzipationsbestrebungen des Bürgertums.“[18]
Nach Fischer Lichte war so die Literarisierung des deutschen Theaters in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts durchgesetzt und die bürgerliche Theaterform somit endgültig geboren und dominant gegenüber anderen, freieren Formen geworden. Mit der Literarisierung wurde dem Theater aber auch gleichzeitig eine aufklärerische, didaktische Geste zugewiesen – eine Sittenschule sollte entstehen. Diese Idee trieb schon Gottsched und Lessing herum, fand aber ihren bekanntesten Ausdruck in Schillers Idee von der Schaubühne als moralische Anstalt, wobei Schiller aber auch ein bürgerliches Theater fest in einen absolutistischen Staatskorpus eingebettet sah.[19] Das Theater sollte also nun den Zuschauer moralisch bessern, während gleichzeitig das Theaterwesen selbst komplett durchnormiert wurde. Aus der Vielzahl der existierenden Theaterformen wurde die auf Dramentexten basierende als das Vorzeigemodell herausgewählt und gleichzeitig Forderungen formuliert, wie solche Dramen auszusehen hätten und mit welchen Techniken die Schauspieler sie auf der Bühne umsetzen sollten. Diese Normierung des Verhaltens auf der Bühne hatte natürlich auch eine Normierung der Sehgewohnheiten zur Folge, die wiederum die Ausgrenzungsmechanismen gegenüber anderen Theaterformen verstärkten. Der Normfall wurde so, überspitzt und verallgemeinernd zusammengefasst, die Darstellung des Natürlichen mit Hilfe der Kunst.
Diese natürliche Darstellung aber war von Anfang an diversen Reglementierungen unterworfen, nach denen der Schauspieler auf der Bühne sich zu richten hatte. So wirkte eine „Mechanik der Macht“ auch auf der Bühne und der Körper wurde einem ähnlich strengen Regiment wie im Militär, in der Erziehung oder in den Fabriken.[20] Der Körper wird mit Hilfe der zahlreichen Anleitungen für Schauspieler und den aufkommenden Theaterakademien für das spezifische bürgerliche Theater „zugerichtet“. Foucaults Theorie geht also im Falle des Theaters weit über den von ihm eigentlich bestimmten Disziplinarrahmen hinaus. Zwar wirkt über das System der Kritik und der spärlichen Reaktionen der Zuschauer, die wiederum anderen Konditionierungen für den Theaterbesuch unterliegen, eine gewisse Disziplinarmacht, aber vielmehr muss sich der Schauspieler einer permanenten Selbstkontrolle unterwerfen, so dass er bereits den Schritt von Disziplinar- zu (Selbst-)Kontrollmechanismen durchführte. Gleichzeitig wirkt das Theater wie ein umgekehrter Panoptismus[21], da hier wenige Akteure auf der Bühne einem dunklem Zuschauerraum ausgeliefert sind, der bis auf wenige Beifalls- oder Unmutsbekundungen die Vorführungen starr verfolgt und gleichzeitig über Wohl und Wehe des Gesehenen nach mehr oder weniger objektiven und einer ganzen Reihe subjektiver Kriterien über das Gesehene urteilt. Die Trennung ist gleichzeitig total, da der Schauspieler in der klassischen Theatersituation im Hellen den Blicken des unbestimmten, dunklen Zuschauerraums ausgeliefert ist. Die Erfindung der Schauspiel technik und der vierten Wand können somit als analoge Prozesse gewertet werden. Man kann diese Linie bis Stanislawski und Method Acting weiterverfolgen, wobei immer nur versucht wurde, die Methode zu vervollkommnen, da die Nachahmung nie vollends zufriedenstellend erreicht werden konnte. Auch Brecht steht noch in dieser Tradition des aufklärerischen Theaters und seine Theorien zum epischen Theater und zum Verfremdungseffekt dienen im Prinzip nur als Antipode zur Natürlichkeit, aber die ursprüngliche Grundlage der moralischen Anstalt wurde von ihm, in anderen Worten und mit anderen Mitteln, vehement gefordert. Er erscheint so als reinstes Negativ des bürgerlichen Theaters, das aber auf das bürgerliche als Grundlage vollkommen angewiesen war. Auch bei ihm blieb die Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum sakrosankt, der Zuschauer sollte lediglich mental berührt werden. Eine weitere Neuerung oder vielmehr ein Ausschluss anderer Formen, die sich in dieser Zeit durchsetzte, war die endgültige Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum,. Sie wurde vor allen Dingen räumlich architektonisch durchgeführt. Die Durchsetzung der Guckkastenbühne und Einführung des Orchestergrabens und kann als eine typische Form der Normierung von Sichtweisen, gelten. Zugleich wurde innerhalb des nationalistischen Diskurses ein Korpus der nationalen Hochkultur erstellt, in der Art und Weise, „dass aus der Gesamtheit der infrage kommenden Güter einige ausgewählt und zu Bestandteilen der Kultur erklärt werden. [...] Die derart selektierten Güter [werden] gedanklich zu etwas Quasi-Objektiven, eben der Hochkultur zusammengefasst [...].[22] Auch hier die deutliche Ausschließung nicht hegemonialer Diskursobjekte zugunsten einer elitären Diskurshoheit des aufstrebenden Bürgertums.
[...]
[1] Zadek, Peter: My Way. Eine Autobiographie 1926 –1969, Köln, 1998, S. 283f.
[2] Schmitt, Carl: Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und 3 Corrolarien, Berlin 1963
[3] Fischer-Lichte, Erika:Semiotik des Theaters. (Bd. 1). Das System der theatralen Zeichen, Tübingen 1998, S. 8
[4] Zu den Begriffen siehe: Foucault, Michel: Archäologie des Wissens, Frankfurt/M. 1981
[5] siehe dazu: Münz, Rudolf: Theatralität und Theater. Zur Historiographie von Theatralitätsgefügen, Berlin 1998
[6] Lamnek, Siegfried: Theorien abweichenden Verhaltens, München 1993, S. 13
[7] Melchinger, Siegfried: Geschichte des politischen Theaters, Hannover, 1971, S. 18
[8] ebd.
[9] Daniel, Ute: Hoftheater, Zur Geschichte des Theaters und der Höfe im 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart 1995, S.75
[10] ebd., S.127
[11] Kindermann, Heinz: Conrad Ekhofs Schauspieler-Akademie, in: Österreichische Akademie der Wissen-schaften. Philosophisch-historische Klasse: Sitzungsberichte, 230. Band, 2. Abhandlung, Wien 1956, S. 17
[12] Gottsched, Johann Christoph: Sterbender Cato, Stuttgart 1984 (Leipzig 1732), S.9
[13] ebd.
[14] Riccoboni, Francesco: Die Schauspielkunst, (Hrsg: Piens, Gerhard), Berlin 1954 (1750)
[15] Diderot, Denis: Ästhetische Schriften (Hrsg: Bassenge, Friedrich) Bd. 2, Berlin/Weimar 1967, S. 481-538
[16] ebd., S. 482
[17] Lessing, Gotthold Ephraim: Werke, Band 4, Darmstadt 1996, S. 229-720
[18] Fischer-Lichte, Erika: Kurze Geschichte des deutschen Theaters, Tübingen/Basel 1999, S. 96
[19] Schiller, Friedrich: Sämtliche Werke Band 5, Darmstadt 1993, S. 818 - 831
[20] zum Problem der Zurichtung des Körpers siehe Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt 1994, S. 173 - 219
[21] ebd., S. 251 ff.
[22] Estel, Bernd: Nation und nationale Identität. Versuch einer Rekonstruktion, Wiesbaden 2002, S. 201f.
- Arbeit zitieren
- Torben Ibs (Autor:in), 2005, Theater und Politik - Versuch über die Kategorie des Politischen in und auf dem Theater, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50128
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