Eine steuerliche Haftung des Unternehmenserwerbers für Verbindlichkeiten des übernommenen Unternehmens kann sich aus § 75 AO oder (respektive zusätzlich) aus § 25 HGB ergeben. Die Voraussetzungen der jeweiligen Haftung sollen im Folgenden näher untersucht werden. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt dabei auf einer Auseinandersetzung mit § 75 AO, da diese Vorschrift eine erhebliche Zahl an Streitfragen aufwirft, die hier nur sehr gedrängt dargestellt werden können.
Inhalt
A. Einleitung
B. Haftung nach § 75 AO
„§ 75 Haftung des Betriebsübernehmers
I. Allgemeines
II. Unternehmens-Begriff
III. Übereignung im Ganzen
IV. Gegenstand der Haftung
V. Zeitliche Beschränkung der Haftung
VI. Fristbeginn des Haftungszeitraums
VII. Haftungsbeschränkung nach § 75 I 2 AO
VIII. Geltendmachung der Haftung
IX. Keine Haftung bei Erwerb im Vollstreckungsverfahren
X. Vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten
C. § 25 I 1 HGB i.V.m. § 191 AO
I. Normzweck und Rechtsfolge
II. Tatbestand
III. Haftungsausschluss
Literaturverzeichnis
A. Einleitung
Eine steuerliche Haftung des Unternehmenserwerbers für Verbindlich-keiten des übernommenen Unternehmens kann sich aus § 75 AO oder (respektive zusätzlich) aus § 25 HGB ergeben. Die Voraussetzungen der jeweiligen Haftung sollen im Folgenden näher untersucht werden. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt dabei auf einer Auseinandersetzung mit § 75 AO, da diese Vorschrift eine erhebliche Zahl an Streitfragen aufwirft, die hier nur sehr gedrängt dargestellt werden können.
B. Haftung nach § 75 AO
Zentrale Norm für die steuerliche Haftung des Betriebsübernehmers ist § 75 AO.
Dort heißt es:
„§ 75 Haftung des Betriebsübernehmers
(1) 1Wird ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im ganzen übereignet, so haftet der Erwerber für Steuern, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet, und für Steuerabzugsbeträge, vorausgesetzt, dass die Steuern seit dem Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahrs entstanden sind und bis zum Ablauf von einem Jahr nach Anmeldung des Betriebs durch den Erwerber festgesetzt oder angemeldet werden. 2Die Haftung beschränkt sich auf den Bestand des übernommenen Vermögens. 3Den Steuern stehen die Ansprüche auf Erstattung von Steuervergütungen gleich.
(2) Absatz 1 gilt nicht für Erwerbe aus einer Insolvenzmasse und für Erwerbe im Vollstreckungsverfahren.“
I. Allgemeines
Bereits das UStG 1918 sah eine Regelung vor, die die Haftung des Erwerbers für die Umsatzsteuer eines laufenden Steuerabschnitts anordnete. In der RAO wurde diese Norm dann auf alle Betriebssteuern ausgedehnt. § 75 AO entspricht dem ehemaligen § 116 RAO mit den beiden Unterschieden, dass die Haftung auf den Bestand des übernommenen Vermögens beschränkt wurde und zum anderen auf die Erstattung von Steuervergütungen erstreckt wurde (Absatz 1 Satz 2 und 3).[1]
Die Vorschrift bezweckt den Schutz des Steuergläubigers: Es soll verhindert werden, dass die in einem Betrieb als solchem liegenden Sicherheiten für die dort begründeten Steuerschulden durch die Unternehmensübertragung verloren gehen[2]. Dabei ist die Haftung nicht schon aus der Übernahme der betrieblichen Gegenstände gerechtfertigt. Eigentlicher Haftungsgrund ist der Übergang der wirtschaftlichen Kraft eines lebensfähigen Unternehmens. Der Erwerber erwirbt damit auch die Gelegenheit, Gewinne und Vorteile zu erzielen, die ihm eine Begleichung rückständiger Steuern ermöglichen.[3] Insbesondere sollen somit auch missbräuchliche Gestaltungen der Übertragung von Erwerbsquellen unterbunden werden.[4]
Die Haftung ist zwar eine persönliche aber nach Absatz 1 Satz 2 auf den Bestand des übernommenen Vermögens beschränkt.
II. Unternehmens-Begriff
Der BFH legt den Unternehmens-Begriff sehr weit aus. Unternehmen im Sinne des § 75 AO ist danach jede organische Zusammenfassung von Einrichtungen und dauernden Maßnahmen, die einem Unternehmen dienen oder zumindest seine wesentlichen Grundlagen ausmachen.[5] Die Auslegung orientiert sich dabei am umsatzsteuerrechlichen Unternehmensbegriff (§ 2 Abs. 1 UStG). Aufgrund des einleitend beschriebenen Normzwecks kann nicht nur der Erwerb gewerblicher, sondern auch der land- und forstwirstschaftlicher sowie freiberuflicher Unternehmen eine Haftung begründen. In letzterem Fall kann die Übernahme eines festen Patienten- oder Mandantenstamms die Haftung auslösen.[6] Nach der Rechtsprechung fällt sogar der Erwerb eines vermieteten Grundstücks in den Anwendungsbereich des § 75 AO.[7] Dagegen wird in der Literatur jedoch vorgebracht, es liege reine Vermögensverwaltung, nicht jedoch ein Unternehmen vor.[8] Damit nicht zu verwechseln ist der Fall, dass ein Unternehmen erworben wird, um es im Anschluss zu verpachten.[9]
Nicht erforderlich ist nach dieser bestrittenen Rechtsprechung das Vorliegen von besonderen Einrichtungen, die nach der Verkehrsauffassung auf eine betriebliche Organisation hindeuten. Sachliche oder persönliche Mittel, die der unternehmerischen Tätigkeit dienen, sind damit nicht zu fordern.[10] Entscheidendes Kriterium ist danach, ob die übernommene Einheit grundsätzlich geeignet ist, dem Erwerber ausreichende wirtschaftliche Kraft zur zukünftigen Gewinnerzielung vermittelt.
Alternativ greift die Haftung bei der Übernahme eines gesondert geführten Betriebs ein. Hier kann auf die Teilbetriebsdefinition des § 16 EStG zurückgegriffen werden.[11] Ein gesondert geführter Betrieb setzt damit voraus, dass ein mit gewisser Selbständigkeit ausgestatteter, organisch geschlossener Teil des gesamten Unternehmens vorliegt, der für sich allein lebensfähig ist[12]. Es ist dabei auf das Gesamtbild der Verhältnisse abzustellen. Für einen gesondert geführten Betrieb sprechen eine getrennte Buchführung, selbständige Geschäftsführung, räumliche Trennung vom übrigen Unternehmen, eigener Kundenstamm und eigenständiges Auftreten am Markt. Gleichwohl ist bei Betrachtung der Kriterien auf den Einzelfall abzustellen: eine gemeinsame Buchführung muss noch nicht gegen das Vorliegen eines gesondert geführten Betriebs sprechen[13], eine räumliche Trennung allein reicht andererseits nicht aus.[14] Abzustellen ist dabei - nach vereinzelt in der Rechtsprechung bestrittener Ansicht - auf die Perspektive des Veräußerers, so dass es nicht ausreicht, wenn die veräußerten Wirtschaftsgüter beim Erwerber eine ausreichende Grundlage für ein selbständiges Unternehmen bildeten.[15] Dann nämlich liegt kein gesondert geführter, sondern ein künftig zu führender Betrieb vor.[16]
[...]
[1] P/K/Intemann, § 75 Rn 1.
[2] BFH BStBl. II 1986, 654.
[3] P/K/Intemann § 75 Rn 2.
[4] Leibner/Pump DStR 2002, 1689, 1690.
[5] BFH BStBl. II 1993, 700.
[6] Tipke/Kruse § 75 AO Rn 5.
[7] BFH BStBl. II 1997, 700.
[8] Tipke/Kruse § 75 AO Rn 6.
[9] Tipke/Kruse § 75 AO Rn 12.
[10] BFH/NV 1996, 726.
[11] BFH/NV 1987, 275.
[12] BFH BStBl II 1996, 409.
[13] BFH BStBl. II 1990, 55.
[14] BFH BStBl. II 1980, 51.
[15] HHSp/Boeker § 75 Rn 29; Klein/Rüsken, § 75 Rn 13 – a.A. OLG Köln DStR 1994, 1664, 1664.
[16] Tipke/Kruse § 75 Rn 8.
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