Die traditionelle Rolle des Vaters als Ernährer der Familie gerät immer mehr ins Wanken. Vor dem Hintergrund der Gleichstellung der Geschlechter sowie des öffentlichen Diskurses entsteht das Bild eines aktiven Vaters. Dies stellt Väter zunehmend vor die Herausforderung, sich stärker für die Familie zu engagieren. Auch die Politik fördert diese Entwicklung.
Doch was genau bedeutet das für junge Väter in Deutschland? Wie nehmen sie sich wahr? Wie bringen sie sich in die Familie ein? Annika E. setzt sich in ihrem Buch mit dem politisch-gesellschaftlichen Leitbild der neuen Väter auseinander. Sie zeigt insbesondere, welche Auswirkungen das neue Rollenbild auf die individuelle Vaterschaftspraxis hat.
Zentral für die Charakterisierung des neuen Vaters ist, dass er eine berufliche Auszeit für die Erziehung der Kinder in Anspruch nimmt. Die Autorin untersucht in persönlichen Gesprächen die Orientierungs- und Handlungsmuster, denen Väter heute folgen. Außerdem deckt sie Spannungsfelder auf. Sie klärt so, aus welchen Gründen Väter Elternzeit nehmen und welche Rolle die deutsche Politik dabei spielt.
Aus dem Inhalt:
- Soziologie;
- Gender;
- Familiengründung;
- Gleichberechtigung;
- Vaterrolle
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Ausgangspunkt des Forschungsinteresses
1.2 Stand der Forschung
1.3 Eigener Beitrag zur Forschung und Aufbau der Arbeit
2 Theoretische Grundannahmen und Begriffsdefinitionen
2.1 Der Zusammenhang von Familie und Erwerbsarbeit im Wandel
2.2 Familienpolitischer Rahmen: Elternzeit und Elterngeld
2.3 Die neuen Väter – ein Definitionsversuch
2.4 Väterforschung
2.5 Der Rollenbegriff
3 Reflexion des Forschungsprozesses
3.1 Erhebungsmethoden
3.2 Im Feld
3.3 Die Auswertung
3.4 Vorstellung des Samples
4 Fallübergreifende Analyse
4.1 Motive und Einflussfaktoren für die sorgebedingte Unterbrechung der Erwerbsarbeit
4.2 Die Reaktionen des sozialen Umfeldes
4.3 Die Elternzeit selbst
4.4 Rückkehr in den Alltag – die Zeit nach der Elternzeit
4.5 Zweites Kind, gleiche Erfahrungen?
4.6 Rückblickende Bewertung der Elternzeit
4.7 Kontextualisierung der Ergebnisse
4.8 Resümee und Schlussfolgerungen
5 Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichniss
1 Einleitung
1.1 Ausgangspunkt des Forschungsinteresses
„Auch ich will Mutterschaftsurlaub!“ – mit dieser Forderung legt Uli Hofmann vor rund 40 Jahren eine Verfassungsklage (OLG Hamburg 1984, Hofmann C-184/83) gegen das Gesetz des Mutterschaftsurlaubes ein, das im Jahr 1979 in Deutschland erlassen wurde. Der Mutterschaftsurlaub sollte es Müttern ermöglichen, über den reinen, von der EU verfügten, obligatorischen Mutterschutz hinaus bis zu vier Monate andauernden und vom Staat bezahlten Urlaub zum Zweck der Kinderbetreuung zu nehmen (Paczensky 1979, 8). Hofmann fühlte sich als Vater durch das Gesetz diskriminiert und forderte stattdessen einen Elternurlaub, der flexibel zwischen den Geschlechtern aufgeteilt werden kann (Paczensky 1979, 8f.). Hofmann war der erste Mann in der Bundesrepublik, der sich das Recht auf die Betreuung seines Kindes gerichtlich erstreiten wollte. Das Landesozialgericht Hamburg wies 1984 seine Klage mit der Begründung ab, dass das „Gesetz nicht darauf abziele, die Verteilung der Verantwortung zwischen Eltern zu verändern, sondern vielmehr die besondere Beziehung zwischen Mutter und Kind nach der Geburt zu schützen“ (Hobson & Fahlén 2011, 109). Ein symbolisches Urteil, dass dem gesellschaftlichen Standard von geschlechterspezifischer Arbeitsteilung in Deutschland in der Nachkriegszeit entsprach. Zu dieser Zeit dominierte das weit verbreitete Verständnis der Frau als Hausfrau und Mutter, während der Mann als Alleinverdiener die Familie finanziell versorgte (Coontz 2011, 33). Ein Jahr später wurde das Urteil des Landessozialgerichtes Hamburg durch eine EU-Richtlinie revidiert, die vorsah, dass „Vätern und Müttern das gleiche Recht auf einen Elternurlaub von mindestens drei Monaten im Falle einer Geburt oder einer Adoption [zusteht]“ (Hobson & Fahlén 2011, 109). Aktuell wird auf EU-Ebene über den Vorschlag der EU-Kommission von „zehn Tagen [bezahlter] Wochenbetturlaub für alle Väter Europas“[1] (Crolly 2019) kontrovers diskutiert. Ein Zeichen, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter im Rahmen der Familienarbeit nach der Geburt eines Kindes weiterhin ein umstrittenes Thema ist[2].
Verschiedene Modifikationen der deutschen Familienpolitik im Laufe der Jahre[3] gehen mit einem gesellschaftlichen Wandel des männlichen Rollenbildes einher. Knapp 30 Jahre nach Hofmanns Klage folgte eine Reformierung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) durch den deutschen Bundestag, das zusätzlich um das ElterngeldPlus mit einem Partnerschaftsbonus und einer flexibleren Elternzeit ergänzt wurde (Bundestag 2006). Ziel dieses politischen Vorstoßes war es unter anderem, Väter stärker in die Kinderbetreuung einzubeziehen und dem besserverdienenden Elternteil eine finanziell abgesicherte berufliche Auszeit zu ermöglichen (Ehlert 2008, 5). Gleichzeitig würde hierdurch die Erwerbstätigkeit von Frauen gefördert (Ehlert 2008, 5f.). Laut EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen habe die EU jährlich einen Verlust von 370 Milliarden Euro durch mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verzeichnen (Crolly 2019).
Auch über zehn Jahre nach der Reformierung der Familienpolitik in Deutschland ist die Verteilung von Sorgearbeit zwischen den Elternteilen nach der Geburt eines Kindes weiterhin Thema öffentlicher Diskussionen. Dabei steht insbesondere der Mann in seiner Rolle als Vater im Fokus, da durch die nicht übertragbaren Partnermonate explizit beide Elternteile aufgefordert werden, eine berufliche Auszeit für die Betreuung ihres Kindes zu nehmen. Das zuvor geltende Erziehungsgeld wurde, trotz geschlechtsneutraler Formulierung, aus finanziellen Gründen überwiegend von Frauen in Anspruch genommen (Peuckert 2015, 23). Das Phänomen, dass Väter sich vermehrt in Kinderbetreuung und Haushalt engagieren, wird in den Medien und auch in der sozialwissenschaftlichen Forschung unter dem Begriff der ‚neuen Väter‘ thematisiert[4].
Vergleicht man die Statistiken zur Inanspruchnahme von Elternzeit bei Männern vor und nach der Reformierung der Familienpolitik, liegt die Annahme eines Bewusstseinswandels in der Gesellschaft nahe. Nutzten bis zum letzten Quartal 2006 nur 3,5 Prozent der Väter ihr Recht auf eine solche Auszeit, stieg die Zahl mit der Einführung des Elterngeldes und der dazugehörigen ‚Partnermonate‘ binnen eines Jahres auf knapp 21 Prozent an (Possinger 2013, 15). 2013 nahmen erstmals mehr als 30 Prozent der Väter Elternzeit in Anspruch und die Tendenz ist weiter steigend (BMFSFJ 2018, 11). Diese Entwicklung bestätigt die Ergebnisse verschiedener nationaler und internationaler Studien, nach denen sich „viele Väter heute wünschen, für ihre Kinder mehr zu sein, als lediglich ein finanzieller Versorger, sondern auch in der Betreuung und Erziehung Verantwortung übernehmen wollen“ (Possinger 2013, 15). Die ehemalige Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen spricht angesichts der Beliebtheit der Elternzeit bei Vätern sogar vom „Beginn einer tiefgreifenden Bewusstseinsänderung“ in Deutschland (Rollmann 2008). Schaut man jedoch genauer hin, fällt auf, dass die Mehrheit der Väter im Schnitt nur für die zwei Partnermonate ihre Erwerbsarbeit unterbrechen, während die Frauen im Schnitt bis zu zwölf Monate in Elternzeit sind (Peukert 2015, 11). Die sozialwissenschaftliche Forschung nähert sich aus verschiedenen Perspektiven der veränderten Rolle des Mannes in der Familie und vergleicht zwischen Wunschvorstellungen und Realität. Einen ersten Überblick über den aktuellen Stand des Diskurses im Feld der Väterforschung findet sich im nächsten Kapitel, bevor weitergehend der Beitrag dieser Arbeit zur Debatte erläutert wird.
1.2 Stand der Forschung
Die vorliegende Arbeit ist mit ihrem thematischen Fokus auf Väter in Elternzeit in den interdisziplinären Bereichen der Familien- und Geschlechterforschung zu verorten. Das Feld der Väterforschung als primärer Referenzrahmen ist ein integrierter Bestandteil der Familienforschung[5]. Zudem wird im Rahmen der Geschlechterforschung eine kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlich konstruierten Rollenbildern in Bezug auf Männlichkeit und Weiblichkeit geführt. Hierzu zählen auch die normativen Erwartungen, die eine Gesellschaft an die Rolle des Vaters stellt[6].
Noch im Jahr 2005 thematisierte eine Sonderausgabe der Zeitschrift für Familienforschung den Vater als „das vernachlässigte Geschlecht der Familienforschung“ (Tölke & Hank 2005). Diese Erkenntnis traf ebenso auf die fächerübergreifende Geschlechterforschung zu dieser Zeit zu (Behnke 2012, 9). Mitte der 90er Jahre geriet der Vater vermehrt in den Fokus der Forschung, ebenso wie in der medialen Öffentlichkeit und der Familienpolitik (Behnke 2012, 9). Meuser verzeichnet dennoch erst seit „Mitte der 2000erJahre [eine] boomende Forschung zu Väterbildern und Vaterschaftspraxen“ (2016, 160). In den Medien werden die ‚neuen Väter‘ seit einigen Jahren als „Erfolgsstory“ gefeiert und es wird optimistisch verkündet: „neue Väter hat das Land“ (Possinger 2013, 15). In den vergangenen Jahren ist die Zahl der empirischen Studien im Feld der Väterforschung gestiegen. Die GESIS-Datenbank dokumentierte im Februar 2019 über 1.000 deutschsprachige Publikationen zum Schlagwort ‚Väter‘ seit 2000[7]. Das publikationsstärkste Jahr 2008 ist mit über 100 thematischen Veröffentlichung vermutlich der Einführung des Elterngeldes im Jahr 2007 zuzuschreiben. Regelmäßige Veröffentlichungen im Feld der Väterforschung finden sich beispielsweise in der Zeitschrift für Familienforschung des Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg.
Eine umfassende Erhebung zu normativen Leitbildern von Männlichkeit und Vaterschaft liegt mit der Studie ‚Männer im Aufbruch‘ von Zulehner und Volz (1999) vor. Auf Basis quantitativer Daten konnten die Forscher einen Wunsch nach mehr väterlicher Partizipation an der Kindererziehung auf der Einstellungsebene der Männer feststellen (Possinger 2013, 22). Darüber hinaus wurden mithilfe einer Faktorenanalyse Items herausgearbeitet, die ‚traditionelle‘ und ‚neue‘ Väter gegeneinander abgrenzen[8]. Damit lieferten Zulehner und Volz (1999) die erste empirisch angelegte, vergleichende Definition von moderner Vaterschaft. Zehn Jahre später wiederholten Zulehner und Volz (2009) ihre ‚Deutsche Männerstudie‘, um die Entwicklung der vergangenen Jahre aufzuzeigen. Ihr Ergebnis: Väter beschäftigen sich vom zeitlichen Umfang her gesehen mehr mit ihren Kindern als noch 1999 und es sei „ein deutlicher Wandel des Leitbildes von Vaterschaft festzustellen – es ist sozial erwünscht, dass Väter eine intensive Beziehung zu ihren Kindern aufbauen“ (Zulehner & Volz 2009, 89). Dennoch verbringen die Frauen zum Zeitpunkt der Befragung weiterhin deutlich mehr Zeit mit den Kindern als die Väter, insbesondere im Bereich der pflegerischen Tätigkeiten (Zulehner & Volz 2009, 92). Aktuelle Informationen zu Einstellungen von Vätern sowie deren Nutzung von Elterngeld gibt der Väterreport des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ 2018). In der zugrundeliegenden Umfrage wünschten sich fast 60 Prozent der Väter mit Kindern unter sechs Jahren, mindestens die Hälfte der Kinderbetreuung zu übernehmen, wenngleich es nicht der gelebten Praxis entspricht[9] (BMFSFJ 2018, 11).
Auch der Umfang qualitativer Publikationen zum Thema Väterlichkeit ist in den letzten Jahren gestiegen, sodass an dieser Stelle nur eine kleine Auswahl aufgezeigt werden kann. Aktuelle Forschungsschwerpunkte in der soziologischen Väterforschung betrachten den Vater in einem erweiterten Kontext aus Familien-, Geschlechter-, Paar- sowie Generationenbeziehungen und -verhältnissen. Possinger (2013) beispielsweise untersucht Väter im Spannungsfeld von Familie und Erwerbsarbeit, während Waffenschmidt (2015) und Peukert (2015) sich auf die Aushandlungsprozesse zwischen den beiden Elternteilen konzentrieren. Kleikamp (2017) und Koppetsch (1999; 2015) beziehen bei ihren Analysen von väterlicher Praxis den Aspekt der Milieuzugehörigkeit mit ein. Interviews zeigen, dass trotz des veränderten Rollenbildes der Vater nach wie vor oftmals der Ernährer der Familie ist, während die Frau für die Familie die Erwerbsarbeit reduziert und mehr Pflegetätigkeiten übernimmt (Hobler et al. 2017). Diese Differenz zwischen der Einstellungsebene und der praktischen Umsetzung wird in der Forschung unter dem Begriff ‚Traditionalisierungsfalle‘ vermehrt thematisiert (vgl. u.a. Rüling 2007). Daran anschließend fragt Dilger (2018), warum es Paaren schwerfällt, trotz des Wunsches, eine egalitäre Beziehung und Elternschaft zu führen, aus traditionellen Mustern der Sorge- und Erwerbsarbeit auszubrechen und welche Bedingungen es für eine erfolgreiche Umsetzung bräuchte.
Jurczyk und Lange (2009) betrachten, ebenso wie Tunç (2018), die Väterforschung aus einer Metaperspektive und zeigen auf, wie widersprüchlich die Diskurse über Väter geführt werden. Sie vollziehen sich „in einem breiten Spannungsbogen von massiver Kritik und Schuldzuweisung an Väter als Versager bis hin zur Stilisierung aktiver Väter zu einer Art neuer Helden“ (Tunç 2018, 39).[10] Die vorliegende Arbeit knüpft an die empirische Forschung im Feld der Väterforschung an. Welchen Beitrag sie zur Debatte leisten will und wie die Arbeit aufgebaut ist, wird im folgenden Kapitel erläutert.
1.3 Eigener Beitrag zur Forschung und Aufbau der Arbeit
Wie eingangs dargestellt, wurde das traditionelle Modell des Vaters als Ernährer der Familie durch das Bild des aktiven Vaters ins Wanken gebracht. Väter sehen sich heute durch den öffentlichen Diskurs mit der Herausforderung konfrontiert, sich stärker für die Familie zu engagieren (Behnke 2012, 11). Diese Veränderung wird auch politisch unterstützt, wie man beispielsweise an dem überarbeiteten BEEG aus dem Jahre 2007 sehen kann (vgl. Kapitel 2.2). Dennoch können weder mediale Darstellungen noch politische Absichtserklärungen ebenso wie Einstellungen, die in Umfragen erhoben werden, und gesellschaftliche Ansprüche, die an Rollen gestellt werden, als empirische Fakten behandelt werden. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich daher mit der Frage, wie sich die individuelle Vaterschaftspraxis vor dem Hintergrund des politisch-gesellschaftlichen Leitbildes der ‚neuen Väter‘ entwickelt. Sie schließt damit an die aktuellen sozialwissenschaftlichen Forschungen an, die familiäre Wandlungsprozesse im Spannungsfeld individueller sozialer Praxen und gesellschaftlicher Diskurse untersuchen. Hierbei wird dem Ansatz von Burkart (2007, 84f.) gefolgt, der bei der Analyse der ‚neuen Väter‘ drei Ebenen unterscheidet: die Ebene öffentlicher Diskurse und darin enthaltener Leitbilder, die Ebene kollektiver Deutungsmuster und handlungsleitender Normen sowie die Ebene der individuellen Praxen. Laut Burkart findet bei einem Wandel auf der ersten Ebene – den Leitbildern – nicht zwangsläufig auch ein Wandel auf der Ebene individueller Handlungspraktiken statt.
Während der öffentliche Vaterschaftsdiskurs auf Basis von wissenschaftlicher Literatur sowie medialer Berichterstattung nachvollzogen werden kann, bedarf es für das Verständnis der individuellen Vaterschaftspraxis empirischer Daten. Auf Basis des Leitbildes, das sich vor allem durch die Inanspruchnahme von einer beruflichen Auszeit zur Kindererziehung charakterisiert (Possinger 2013, 107), wurden Interviews mit Vätern während oder im Anschluss an die Elternzeit geführt. Bei der Auswahl der Interviewpartner wurde darauf geachtet, dass diese ihre Elternzeit nach der Reformierung des BEEG im Jahre 2007 in Anspruch genommen haben. Ziel dieser Arbeit ist es, Orientierungs- und Handlungsmuster der Väter vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Leitbildes zu rekonstruieren, um mögliche Spannungsfelder aufzudecken. Als Erhebungsinstrument dienten problemzentrierte Interviews nach Witzel (1982; 2000), die im Anschluss auf Basis der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) ausgewertet wurden.
Im Zentrum der Analyse stehen dabei die Fragen, wieso Väter Elternzeit nehmen und welche Rolle dabei die staatliche Unterstützungspolitik gespielt hat. Außerdem geht es um die Erwartungen an die Elternzeit und die Erfahrungen aus dieser Zeit. Sofern der Vater seine Elternzeit bereits beendet hat, ist auch dessen retrospektive Betrachtung und Bewertung der Elternzeit sowie die Frage, ob sich Handlungspraktiken durch die Elternzeit auch im Alltag danach verändert haben, Teil der Auswertung. Die Reaktionen des sozialen Umfeldes in Form von Freunden[11] und Familie ebenso wie die des Arbeitgebers stellen einen weiteren Aspekt der Analyse dar. Die empirische Grundlage hierzu bilden fünf Interviews, die mit Vätern aus einer westdeutschen Stadt mittlerer Größe geführt[12] und im Anschluss transkribiert wurden.
Wie weit ist die „tiefgreifende Bewusstseinsänderung“ (Rollmann 2008), dessen Beginn von der Leyen 2008 verkündet hat, in der Realität fortgeschritten? Wurde mehr als zehn Jahre nach der Einführung des BEEG das traditionelle Rollenbild des Mannes als Ernährer der Familie durch das Bild einer egalitären Paarbeziehung, in der beide Elternteile sich die Betreuung des Nachwuchses teilen, abgelöst? Vermutet wird, dass es eine Differenz zwischen dem öffentlichen Diskurs und der väterlichen Praxis in der Realität gibt. Basierend auf statistischen Daten und Ergebnissen bisheriger Studien wird angenommen, dass es für Väter üblich geworden ist, zwei Monate Elternzeit zu nehmen, aber (noch) keine Gleichheit im Umfang der Kinderbetreuung zwischen Mann und Frau, auch im Hinblick auf die Inanspruchnahme von Elternzeit, vorliegt. Den größeren Teil übernimmt nach wie vor die Frau. Hierbei können verschiedene Gründe in Betracht gezogen werden: Der Mann verdient mehr als die Frau, wodurch die Familie finanziell bessergestellt ist, wenn der Mann frühzeitig wieder arbeiten geht, oder die Frau möchte von sich aus den gesamten oder größeren Teil der Elternzeit in Anspruch nehmen. Alternativ könnte dieser Vorstoß auch vom Vater ausgehen, der sich eine Zeit allein mit dem Kind nicht zutraut oder kein Interesse daran hat. Die These wird mithilfe der Analyse geprüft und mögliche Gründe für eine zeitlich ungleich verteilte Kinderbetreuung aufgezeigt.
Die vorliegende Arbeit ist eine Momentaufnahme der aktuellen Situation und stellt einen Ausschnitt von väterlichem Engagement in der Familie dar. Sie knüpft mit ihrer Frage nach der individuellen Vaterschaftspraxis an die öffentliche und wissenschaftliche Diskussion um die Rolle von Männern als Väter an und leistet mit ihrer empirischen Analyse einen Beitrag hierzu. Die Frage, ob und wie sich väterliche Praxen im zeitlichen Verlauf verändert haben, wird in dieser Arbeit aus Platzgründen nicht thematisiert. Sie stellt aber gleichwohl einen weiteren interessanten Forschungsgegenstand in der Väterforschung dar, für den sich Interviews mit Vätern aus unterschiedlichen Generationen für einen Vergleich anbieten.
Aus soziologischer Sicht ist es wichtig, den Blick auf die Väter zu richten. Vor gut 30 Jahren diagnostizierte der Soziologe Ulrich Beck (1986, 169) bei Vätern eine „verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“. Nach wie vor liegt es zu einem großen Teil an den Vätern, dass der gesellschaftliche Wandel, der auf der Metaebene bereits vollzogen zu sein scheint, auch praktisch umgesetzt wird. Bereits 1998 stellte Fthenakis als Pionier der Vaterschaftsforschung fest, dass „erst wenn die Hintergründe, die Bedingungen und Motive väterlichen Verhaltens genauer bekannt sind, sich effektive Maßnahmen zur Förderung einer aktiven Gestaltung der Vaterrolle planen [lassen]“ (Matzner 2004, 18).
Für die Bestandsaufnahme wurde sich für ein qualitatives Vorgehen entschieden, da ein reines Erfassen von Einstellungen und Absichten auf quantitativer Ebene lediglich Werteorientierungen und Leitbilder abbilden würde. Der qualitative Ansatz hingegen fragt danach, in wie fern diese Orientierungen auch in der Realität gelebt werden und auf welche Hindernisse sie dabei stoßen.
Die weitere Arbeit gliedert sich in insgesamt vier Kapitel. Zunächst werden zentrale theoretische Grundannahmen und Begriffsdefinitionen skizziert, wodurch die Forschung in ihren wissenschaftlichen Kontext eingebettet wird. Es folgt die Reflexion des Forschungsprozesses. Hierbei werden sowohl die Erhebungsmethode des problemzentrierten Interviews und das Vorgehen der qualitativen Inhaltsanalyse erläutert, sowie die Erfahrungen im Feld reflektiert. Anschließend werden die Väter, dessen Interviews ausgewertet wurden, kurz portraitiert. An die Vorstellung schließt sich der Hauptteil der Arbeit – die Ergebnispräsentation der Analyse – an. Hier werden auf Basis der ausgewerteten Interviews Handlungs- und Orientierungsmuster der Väter rekonstruiert. Die Darstellung wurde entlang der thematischen Blöcke der Interviews gegliedert. Die Vorstellung der Ergebnisse schließt mit dem Kontextualisieren der Erkenntnisse in dem aktuellen wissenschaftlichen Diskurs ab und leitet über zu einem Resümee und Schlussfolgerungen. Im abschließenden Fazit werden die zentralen Ergebnisse zusammenfassend dargestellt und ein Ausblick für weitere mögliche Forschungsansätze gegeben.
2 Theoretische Grundannahmen und Begriffsdefinitionen
Die zentralen Inhalte der vorliegenden Arbeit werden zunächst kontextualisiert, bevor sie in den aktuellen wissenschaftlichen Diskurs eingebettet wird. Um der Frage nach der individuellen väterlichen Praxis nachgehen zu können, ist es unablässig, zunächst ein Verständnis für den gesellschaftlichen Wandel von Familienformen auszubilden. Diese werden durch politische Entscheidungen gerahmt, die wiederum Einfluss auf gesellschaftliche Einstellungen haben können. Im Folgenden werden diese Zusammenhänge näher beleuchtet und es wird in das Feld der Väterforschung eingeführt. Abschließend wird der Begriff der Rolle als klassischer soziologischer Begriff erläutert und sein Beitrag für die Analyse aufgezeigt.
2.1 Der Zusammenhang von Familie und Erwerbsarbeit im Wandel
Wenn von dem traditionellen Verständnis von Familien[13] die Rede ist, ist damit unter anderem die Arbeitsteilung zwischen den Partnern gemeint. Als grundlegende Annahme gilt, dass der Mann als Alleinverdiener die Familie finanziell versorgt, während die Frau zu Hause die Care-Arbeit[14] verrichtet (Coontz 2011, 33). In der vorliegenden Arbeit wird der Carebegriff im Sinne des BMFSFJ als „eine Einheit von Bildung, Betreuung, Erziehung, Zuwendung und Versorgung der Kinder“ (Possinger 2013, 258) verstanden. Coontz (2011) sowie Mühling und Rost (2007) zeigen jedoch, dass das Verständnis von Familie und die Funktion der Vaterschaft im biologischen, psychologischen, rechtlichen und soziologischen Sinne schon immer Veränderungen unterworfen war[15]. Geschlechterrollen im Rahmen von Mutter- und Vaterschaft sind erst „mit der intimisierten Kleinfamilie im 18. Jahrhundert entstanden“ (Mühling & Rost 2007, 10). Das, was heute unter traditioneller Rollen- bzw. Arbeitsteilung verstanden wird, ist ein Bild, das erst in der Nachkriegszeit in Deutschland populär geworden ist. Zuvor galt jahrhundertelang die Annahme, dass grundsätzlich beide Geschlechter sowohl für das materielle als auch das emotionale Wohlergehen der Familie verantwortlich waren (Mühling & Rost 2007, 9f.). Unter emotionales Wohlbefinden fällt die Pflege und die Erziehung der Kinder (Mühling & Rost 2007). Das Verständnis ist dabei nicht dem heutigen Verständnis von Wohlergehen im Sinne von psychischer Gesundheit oder emotionaler Wertschätzung und Anerkennung gleichzusetzen. Zu diesen Zeiten wurden durch die überwiegend auf dem Hof verrichteten Tätigkeiten Arbeit und Familie miteinander verbunden, wenngleich der Mann die Familie dominierte (Coontz 2011, 34). Emotionale Vater-Kind-Beziehungen wurden allerdings aufgrund der väterlichen Autorität tabuisiert (Mühling & Rost 2007, 10).
Diese Muster lösten sich durch die Industrialisierung und fortschreitende Modernisierung der Arbeitsmärkte mehr und mehr auf, da Haus- und Erwerbsarbeit räumlich immer öfter getrennt voneinander stattfanden (Coontz 2011, 35). Hierdurch kam es zur geschlechterspezifischen Trennung von Erwerbs- und Familienarbeit, da die Partner jeweils einem Bereich als primären Bezugspunkt zugeordnet wurden (Haberkern 2007, 4). Damit wurde der Mann, der zuvor im häuslichen Umfeld als Leiter der Familie agiert hatte, als derjenige betrachtet, der allein für das finanzielle Überleben der Familie sorgen musste (Coontz 2011, 36). Gleichzeitig wurden die Aufgaben, die von der Frau im häuslichen Raum verrichtet wurden, nicht mehr als wirtschaftliche Produktion, sondern als Reproduktionsarbeit angesehen (Coontz 2011,36). Diese Art der Arbeitsteilung wird auch als ‚male breadwinner model‘ bezeichnet. Meuser (2016, 159) verweist darauf, dass es erst durch den Geschlechterdiskurs in der bürgerlichen Gesellschaft, der Erwerbsarbeit und Familie als getrennte Sphären konstruiert und mit einer „geschlechtsexklusiven Zuweisung der Sphären unterstrichen [hat]“, zu einer Verankerung der geschlechterbezogenen Arbeitsteilung im öffentlichen Bewusstsein kam. Das traditionelle Familienbild, das nach dem zweiten Weltkrieg propagiert wurde, sah vor, dass der Vater sich auf die Berufswelt konzentrierte, wodurch den Kindern zunehmender materieller Konsum ermöglicht, aber enge emotionale Beziehungen zu den Vätern verwehrt blieben (Mühling & Rost 2007, 11). Diese Vorstellung entwickelte eine „bestimmende Wirkung als regulatives Ideal von Geschlechterverhältnissen und -arrangements“ (Meuser 2016, 159), das bis heute – wenn auch in abgeschwächter Form – Einfluss auf das Verständnis von geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung hat. Die mit dem Leitbild einhergehende Gestaltung des Arbeits-, Familien- und Sozialrechts[16] trug weitergehend zu dessen Verfestigung bei[17] (Klammer et. al. 2012, 9). Aus feministischer Sicht erfuhr das ‚male breadwinner model‘ viel Kritik, da es eine finanzielle Abhängigkeit der Frau von ihrem Mann sowie die Unterordnung der Frau förderte (Klammer et. al. 2012, 9).
Seit der Bildungsexpansion und der professionellen Empfängnisverhütung ab den 70er Jahren sowie dem zunehmenden Bedarf an Arbeitskräften in der Wirtschaft kommt es erneut zu umfassenden Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen. Das Verständnis des Mannes als alleiniger Ernährer der Familie verliert an Gültigkeit, da auch die Frauen besser gebildet sind als zuvor und verstärkt auf den Arbeitsmarkt drängen (Koppetsch & Speck 2015, 9). Lange Zeit galt das Thema ‚Vereinbarkeit von Familie und Beruf‘ als ein Weibliches, da junge Frauen sowohl erwerbstätig sein als auch Zeit für die Familie haben wollen (Rüling 2007, 11; Mühling & Rost 2007, 13). Doch mittlerweile distanzieren sich auch zunehmend Männer von dem alleinigen Fokus auf die Erwerbsarbeit und möchten Zeit mit der Familie verbringen (Koppetsch & Speck 2015, 9). Koppetsch und Speck (2015, 9) betonen zu Beginn ihrer Studie, dass sich heutzutage Männer und Frauen ein egalitäres Beziehungsmodell wünschen, in dem „beide Partner erwerbstätig sein [wollen] und sich die Familien- und Hausarbeit teilen“. Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen, dass die Zustimmung von Männern zur egalitären Rollenverteilung zwischen Mann und Frau von 32% im Jahr 1982 auf 86% im Jahr 2016 gestiegen ist[18] (Blohm & Walter 2018, 397). Die Gestaltung der Aufgabenteilung wird dabei als eine Angelegenheit persönlicher Absprachen verstanden, die im Rahmen von Aushandlungsprozessen entstehen (König 2012, 92). Damit hat heutzutage das sogenannte ‚Doppelversorgermodell[19] ‘ das des männlichen Alleinverdieners abgelöst. Meuser (2005, 97f.) spricht in diesem Zusammenhang von einer „diskursiven Enttraditionalisierung von Vaterschaft“, da bisher überwiegend unhinterfragte Verhaltensweisen zum Gegenstand medialer und wissenschaftlicher Diskurse werden. Die Entwicklung der Erwerbsquoten von Männern und Frauen bestätigen eine Erwerbszentriertheit als „geschlechterübergreifende Norm der Lebensführung“ (Meuser 2016, 165). Dennoch arbeiten Frauen oftmals nach wie vor in schlechter bezahlten Berufen im Dienstleistungssektor oder familienbedingt nur in Teilzeit (Koppetsch & Speck 2015, 19). Meuser (2016, 165) wirft die Frage auf, ob es durch die gestiegene Erwerbstätigkeit der Frau auch zu einer Neuzuweisung von Haus- und Sorgearbeit kommt und stellt in den Raum, dass „das Adult Worker Modell keine Sorgeverantwortung für andere zu kennen [scheint]“. Dies wäre ein Erklärungsansatz, warum viele Frauen ihre Arbeit nach der Familiengründung auf Teilzeit reduzieren.
Die moderne Arbeitswelt ist darüber hinaus gekennzeichnet von Entgrenzung und Subjektivierung, wodurch die einst klaren Trennlinien zwischen Beruf und Familie unscharf werden (Meuser 2016, 161). Dadurch, dass Erwerbsarbeit immer öfter auch im privaten Raum stattfindet, sind die Geschlechterverhältnisse und -arrangements, die insbesondere durch die räumliche Trennung geprägt sind, in Bewegung geraten (Meuser 2016, 161). Durch die veränderten Rahmenbedingungen kommt es darüber hinaus zu der Situation, dass die Partner sowohl ihrer Einkommensverantwortung als auch ihren Fürsorgearbeiten gerecht werden und diese vereinbaren müssen (Klammer et. al 2012, 22). Des Weiteren werden Erwerbsbiografien zunehmend unstandardisierter und sind von atypischen Beschäftigungsverhältnissen geprägt, insbesondere in den ersten Jahren nach der Ausbildung. Hierdurch können Unsicherheiten für die Familie entstehen und die Prioritätensetzung auf die Familie erschweren, da vielfach ständige Verfügbarkeit und die Bereitschaft für Überstunden erwartet wird (Gesterkamp 2007, 99; Gesterkamp 2010, 12).
Die Familienpolitik hat ihre Richtlinien an das Doppelversorgermodell angepasst und verfolgt das Ziel, Väter stärker in die Familie einzubinden sowie die Erwerbstätigkeit von Frauen zu fördern (Koppetsch & Speck 2015, 10). In der Realität, insbesondere nach der Familiengründung, dominiert dennoch das Ein-eineinhalb-Verdiener-Modell, bei dem der Familienunterhalt primär durch den Mann verdient und von der Frau aufgestockt wird (Koppetsch & Speck 2015, 19; Meuser 2016, 165f.). Mittlerweile wird dieses Modell sozialpolitisch unterstützt (Klammer et. al. 2012, 10). Meuser (2016) betont darüber hinaus, dass es nach wie vor ein hierarchisches Verhältnis gibt, bei dem die Erwerbsarbeit die Familienarbeit dominiert. Dieses zeigt sich sowohl auf der politischen Ebene im Sinne des Anspruchs auf soziale Sicherung, der durch Erwerbsarbeit erworben wird, als auch auf der symbolischen Ebene, auf der eine Beschäftigung mehr wertgeschätzt wird als die Arbeit im häuslichen Raum (Meuser 2016, 159). Dennoch wurde mit dem BEEG das politische Leitbild hin zu mehr Familienvereinbarkeit entwickelt. Die politischen Rahmenbedingungen, die die Elternzeit formal regeln, werden im folgenden Kapitel näher erläutert.
2.2 Familienpolitischer Rahmen: Elternzeit und Elterngeld
Der gesetzliche Rahmen, innerhalb dessen die familienbedingte Unterbrechung der Erwerbsarbeit sowie der Bezug von unterstützenden Leistungen im Rahmen des Nachwuchses geregelt sind, wird auf bundespolitischer Ebene vorgegeben. Bereits seit den 1950er Jahren existieren in Deutschland[20] Regelungen zum Mutterschutz. Diese wurden 1986 mit dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) um „Erziehungsurlaub in Kombination mit einem bedarfsgeprüften Erziehungsgeld“ ergänzt (Peukert 2015, 21). Die Familienpolitik orientierte sich zu dieser Zeit am Alleinernährermodell, bei dem der Mann als Erwerbsarbeitnehmer die Familie finanziell versorgt, während die Frau zu Hause für Sorge- und Hausarbeit zuständig ist (Peukert 2015, 21). Die gesetzlichen Grundlagen der Familienpolitik wurden entsprechend der Dynamik eines kontinuierlichen gesellschaftlichen Wandels fortlaufend angepasst[21]. Peukert (2015, 23) stellt in ihrer Studie zu Aushandlungsprozessen von Paaren zur Elternzeit fest, dass „auch wenn die Regelungen zu Erziehungsurlaub und später Elternzeit vom Gesetzgeber geschlechtsneutral gehalten waren, sich bei der Inanspruchnahme faktisch [gezeigt hat], dass sie nahezu ausschließlich von Müttern genutzt wurden“. Als Erklärung hierfür wurden mehrheitlich finanzielle Gründe angegeben (Peukert 2015, 23). Um diesem Aspekt entgegen zu wirken, beschloss die Bundesregierung[22] eine sozialpolitische Reform des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG), das im Januar 2007 in Kraft getreten ist. Im Gesetzesentwurf stellt die große Koalition als Ausgangslage fest, dass Familien, bedingt durch familiäre Erwerbsunterbrechungen „dann am wenigsten Geld zur Verfügung [haben], wenn die Kinder am kleinsten sind“ (Deutscher Bundestag 2006, 1). Die bisherigen Maßnahmen würden keine nachhaltige finanzielle Absicherung darstellen und haben „nicht die beabsichtigte größere Wahlfreiheit zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf eröffnet“ (Deutscher Bundestag 2016, 1). Ziel der Reformierung der Unterstützungsleistungen ist eine „passgenaue und nachhaltige Absicherung von Eltern und Kindern in der Frühphase der Familie“ (Deutscher Bundestag 2006, 1). Das Elterngeld ist dabei eine von drei neu ausgerichteten familienpolitischen Leistungen, „die auf die Verbesserung der Betreuungsinfrastruktur, eine familienbewusste Arbeitswelt und eine nachhaltige und gezielte finanzielle Stärkung von Familien ausgerichtet sind“ (Deutscher Bundestag 2006, 2). Mit der reformierten Familienpolitik will die Bundesregierung den „veränderten Bedingungen, unter denen Familien gegründet und gelebt werden“ Rechnung tragen und Familien durch finanzielle Sicherheit „mehr Freiheiten bei der Gestaltung des Familienlebens eröffnen“ (Deutscher Bundestag 2006, 14). Zu den veränderten Bedingungen zählen laut Bundesregierung die gestiegene Erwerbstätigkeit der Frau, die diese nach der familienbedingten Unterbrechung häufig wieder fortsetzen möchte, sowie das gestiegene Bedürfnis von Vätern nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf (Deutscher Bundestag 2006, 14). Statistiken bestätigen, dass sich im Jahr 2006 nur 15% der Frauen und weniger als jeder fünfte Mann das traditionelle Ernährermodell für die Gestaltung der eigenen Familie wünschen (Deutscher Bundestag 2006, 14). Unter der Annahme, dass „eine Familienpolitik, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördert, die Entscheidung von Männern und Frauen für Kinder erleichtert“ (Deutscher Bundestag 2006, 15), verfolgt die Bundesregierung die Intention, dem Geburtenrückgang in Deutschland entgegen zu wirken.
Durch die Reformierung des BEEG wurde das bisherige Erziehungsgeld durch das einkommensabhängige Elterngeld abgelöst, um finanzielle Einbrüche für Familien nach der Geburt zu verhindern und auch dem einkommensstärkeren Partner die Elternzeit zu ermöglichen (Ehlert 2008, 5). Das Elterngeld soll es Familien ermöglichen, „sich im ersten Lebensjahr des Neugeborenen vorrangig der Betreuung ihres Kindes [zu] widmen“ (Deutscher Bundestag 2006, 15). Explizites Ziel der gesetzlichen Neuerung ist darüber hinaus auch „die Aktivierung der Väter für die Familie und insgesamt eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit“ (Ehlert 2008, 5)[23]. Eine weitere zentrale Veränderung, die durch die Reformierung des Elterngeldes etabliert wurde, stellen die sogenannten Partnermonate dar. Dabei hat von den möglichen 14 Monaten, in denen das Elterngeld bezogen werden kann, ein Elternteil Anspruch auf höchstens zwölf Monate Einkommensersatzleistung. Die weiteren zwei Monate werden nur gewährt, wenn der andere Elternteil die Kinderbetreuung übernimmt[24] (Deutscher Bundestag 2006, 8). Im Väterreport wird von einer „kleine[n] Kulturrevolution unter den Vätern“ (BMFSFJ 2018, 16) gesprochen. Während vor der Reformierung des BEEG im Schnitt lediglich drei Prozent der Männer eine berufliche Auszeit für die Familie genommen haben, sind es bereits ein Jahr nach Einführung des Elterngeldes über zwanzig Prozent (BMFSFJ 2018, 11). Der Trend hielt weiter an, sodass 2013 erstmals mehr als 30 Prozent der Väter Elternzeit in Anspruch genommen haben. Die Tendenz ist weiter steigend, wenn auch deutlich langsamer (BMFSFJ 2018, 11). Dennoch wird bereits im Gesetzentwurf betont, dass „das Gesetz […] ausdrücklich keine Aufgabenverteilung in den Familien festlegen, sondern die unterschiedlichen Präferenzen für Beruf und Familie unterstützen [will]“ (Deutscher Bundestag 2006, 15). Es soll stattdessen einen Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter leisten und verschiedene familiäre Lebensmodelle ermöglichen (Deutscher Bundestag 2006, 15).
Insbesondere durch die Einführung der Partnermonate hat sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit vermehrt auf die Väter gerichtet. Unter dem Schlagwort ‚neue Väter‘ porträtierten Medien Männer, die sich eine berufliche Auszeit für ihre Familien nehmen[25], und wissenschaftliche Studien hinterfragten das gesellschaftliche Rollenbild des Mannes und Vaters. Im folgenden Kapitel wird versucht, die ‚neuen Väter‘ klarer zu definieren, bevor näher auf das Forschungsfeld der ‚Väterforschung‘ als Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit eingegangen wird.
2.3 Die neuen Väter – ein Definitionsversuch
Der Begriff der ‚neuen Väter‘ ist ein gesellschaftliches Phänomen, dass in den 90er Jahren vermehrt Beachtung fand und seit Beginn des 21. Jahrhunderts populär geworden ist. Die in der Familienforschung vorgestellten neueren oder erweiterten Vaterschaftskonzepte verstehen sich oftmals als Ergänzung oder als Reaktion auf das traditionelle Ernährermodell (Mühling & Rost 2007, 14). Gleichwohl gibt es keine einheitliche Definition, was sich hinter den ‚neuen Vätern‘ konkret verbirgt und wie sie zu charakterisieren sind (Mühling & Rost 2007, 14; BMFSFJ 2018, 10). Burkart (2007, 84f.) macht den Vorschlag, bei der Betrachtung des Phänomens drei Ebenen analytisch auseinanderzuhalten: zum einen die öffentlichen Diskurse und darin enthaltene Leitbilder, zum anderen die Ebene kollektiver Deutungsmuster und Normen, sowie die Ebene der individuellen Praxen. Auf der Ebene der individuellen Praxen sei darüber hinaus zu unterscheiden, ob die Einstellungen zum Thema ‚Neue Vaterschaft‘ oder das konkrete Handeln in Form von handlungspraktischen Veränderungen betrachtet werden (Burkart 2007, 85). Dabei stehen die Ebenen nicht in einem unmittelbaren kausalen Verhältnis zueinander. Eine Veränderung auf der ersten Ebene in Form von neuen Vaterschaftsbildern geht beispielsweise nicht zwangsläufig mit einer Veränderung in der individuellen Praxis einher (Kassner 2008, 143). Die Analyse der vorliegenden Arbeit fokussiert sich auf die handlungspraktische Ebene nach Burkart (2007), in dem Männer, die Elternzeit genommen haben, interviewt werden.
Das dieser Arbeit zugrundeliegende Konzept von neuer Vaterschaft folgt den Definitionen von Burkart (2007) und Kassner (2008), nach denen es sich hierbei um
„veränderte Formen der innerfamilialen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern und insbesondere [der] Bereitschaft der Männer, zugunsten von Familie Ansprüche an ihre Berufsarbeit auch in zeitlicher Hinsicht zu überprüfen, [handelt]“
(Kassner 2008, 144).
Zu den ‚neuen Vätern‘ grenzt Kassner (2008, 144) die ‚aktive Vaterschaft‘ ab, da es hierbei „[lediglich] um veränderte Formen der Beziehungsgestaltung“, sprich dem emotionalen Engagement in der Familie, geht. Auch im Väterreport des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend findet sich ein ähnliches Verständnis für ‚neue Väter‘ wie bei Kassner (2008) und Burkart (2007). Als zentrales Kriterium gilt, dass der Mann dem Leitbild der egalitären Partnerschaft folgt und „in besonderer Weise auf eine gemeinsame, partnerschaftliche Zuständigkeit für Beruf und Familie bedacht ist“ (BMFSFJ 2018, 10). Diese Form der Vaterschaft wird in der Literatur darüber hinaus meist mit der Inanspruchnahme sorgebedingter beruflicher Auszeiten in Verbindung gebracht (Possinger 2013, 107). Angelehnt an dieses Verständnis wurden die ‚neuen Väter‘, die für diese Arbeit interviewt wurden, nach dem Kriterium der Inanspruchnahme von Elternzeit charakterisiert und ausgewählt.
Kassner (2008) geht davon aus, dass kulturelle und soziale Wandlungsprozesse, wie jener der veränderten Vaterrolle, zunächst als ein Nebeneinander von Altem und Neuem verlaufen. Der vormals unhinterfragte männliche Status als Ernährer der Familie wird im Rahmen von sich wandelnden Absichten und Verhaltensänderungen der Väter zum Gegenstand öffentlicher und wissenschaftlicher Debatten. Dieses Phänomen bezeichnet Meuser (2005, 97f.) als „diskursive Enttraditionalisierung von Vaterschaft“. Besonders deutlich wurde die Debatte im Zuge der Einführung der Partnermonate 2007, die zum Teil in der öffentlichen Diskussion belächelnd als ‚Wickelvolontariat‘ bezeichnet wurden (Kassner 2008, 141). Kassner zufolge ist das Nebeneinander des Wandlungsprozesses noch gegenwärtig, da das traditionelle Bild des Vaters (vgl. Kapitel 2.1) massiv an Bedeutung verloren hat, aber noch nichts „Neues mit dem Status des Selbstverständlichen an [dessen] Stelle getreten [ist]“ (Kassner 2008, 142).
Verschiedene Studien im Feld der Väterforschung (vgl. Kapitel 2.4) werfen unterschiedliche Schlaglichter auf den Begriff der ‚neuen Väter‘. Fthenakis und Kollegen (2002) betonen die Ausweitung des Fokus auf väterliche Ansprüche von ausschließlich instrumentellen Fähigkeiten hin zu emotionalen Qualitäten, wodurch die ‚neuen Väter‘ vom Ernährer zum Miterzieher würden. Possinger (2013, 26) stellt darüber hinaus fest, dass „‚neue Väterlichkeit‘ meist am Maßstab ‚traditioneller Mütterlichkeit‘ gemessen wird“. So gelten Männer als modern, wenn sie traditionelle Aufgaben der Frauen wie Sorgetätigkeiten oder Haushaltsaufgaben übernehmen. Basierend auf dem Stand der aktuellen Forschung stellt sich die Frage, inwieweit sich mit den ‚neuen Vätern‘ ein eigenständiges, klar umrissenes Rollenbild etablieren kann, dass durch mehr zu charakterisieren ist als durch Abgrenzung zu traditionellen Vätern und durch die Übernahme als typisch weiblich geltender Aufgaben. Einen Überblick über die Väterforschung seit ihrem Beginn in den 70er Jahren findet sich im folgenden Kapitel.
2.4 Väterforschung
Während in der Soziologie die soziale Konstruktion von Weiblichkeit sowie typische Formen der Diskriminierung und Vereinbarkeitsproblematiken weitgehend erforscht sind, erscheint der Wissensstand über Männer und Väter als weitaus geringer fortgeschritten. Baur und Luedtke (2008) verdeutlichen, dass in der Forschung oftmals der Mann als das ‚Normale‘ angenommen wurde, von dem die Frau abweicht, ohne das ‚Normale‘ näher zu definieren. Diese wissenschaftliche Herangehensweise wurde schrittweise aufgebrochen. Das Feld der Väterforschung als ein integrierter Bestandteil der soziologischen Familien- und Geschlechterforschung ist eine noch junge Forschungsdisziplin in den Sozialwissenschaften und steht in engem Zusammenhang mit der Männlichkeitsforschung[26]. Sie ist ein interdisziplinäres Feld, in dem auch die Psychologie, die Erziehungs- und Medienwissenschaften und weitere Disziplinen forschen (Possinger 2013, 20). Cyprian (2007) zeigt auf, dass sich die Väterforschung seit ihrem Beginn in den 70er Jahren in vier Phasen unterteilen lässt. Während zu Anfang die Deprivationsforschung dominierte, lag in der zweiten Phase der Fokus auf der Vater-Kind-Beziehung. Im dritten Abschnitt dominierte die Frage nach der Familie als System und dem wechselseitigen Einfluss der Mitglieder, während sich aktuell die vierte Phase auf nicht-traditionelle Familienformen fokussiert[27] (Cyprian 2007, 24). Gleichwohl bemängelt Cyprian das Fehlen eines kohärenten theoretischen Rahmens und komplexer Längsschnittuntersuchungen (Cyprian 2007, 36).
Erste Pionierstudien im Feld wurden in den 70er und 80er Jahren von Pross (1978) sowie Metz-Göckel und Müller (1985) durchgeführt[28]. Eine wichtige Erkenntnis ihrer Arbeiten ist, dass „Männer nicht als homogene Gruppe, sondern als Konglomerat vieler verschiedener Männlichkeiten betrachtet werden müssen, die unterschiedlich auf Veränderungen im Geschlechterverhältnis [reagieren]“ (Possinger 2013, 20). In Pross Studie Ende der 70er Jahre sah sich die Mehrheit der befragten Männer primär in der Funktion des Ernährers, lediglich zehn Prozent konnten sich eine egalitäre Verteilung von Haus- und Erwerbsarbeit in einer Partnerschaft vorstellen. In der groß angelegten Männerstudie von Zulehner und Volz (1999) knapp 20 Jahre später war bereits ein Wandel des normativen Leitbilds von Männlichkeit und Väterlichkeit hin zu einem Wunsch nach mehr väterlicher Beteiligung zu erkennen (Possinger 2013, 22). Im Väterreport des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2018) weitere 20 Jahre später zeigt sich, dass eine Mehrheit der Männer sich eine egalitäre Paarbeziehung wünscht und sich aktiv in die Kindererziehung und Haushaltsarbeiten einbringt.
Auch der griechische Pädagoge Fthenakis gilt als ein Pionier der Väterforschung[29]. Seiner Ansicht nach ließen sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegende Veränderungen bei der Antwort auf die Frage, was Väter wollen, beobachten. Hieraus ergäben sich „grundlegende Veränderungen bei dem, was Väter tun“ (Fthenakis 2006, 68). Der Fokus der Väterforschung liegt dabei auf der „Betrachtung nicht-traditionell geführter Familienmodelle, der Beteiligung des Vaters an haushalts- und kindbezogenen Fürsorgeaufgaben sowie damit einhergehend einer Neukonzeptionierung von Vaterschaft“ (Possinger 2013, 21). Dennoch titelte eine Sonderausgabe der Zeitschrift für Familienforschung aus dem Jahr 2005, dass Männer in der Familien- und Geschlechterforschung das vernachlässigte Geschlecht seien und es nur wenige empirische Studien im Bereich der Väterforschung gäbe (Tölke & Hank 2005). Lange Zeit steht die Emanzipation der Frau im Fokus von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Vereinbarkeitspolitiken von Bund und Land sowie unternehmensinterne Angebote richteten sich zumeist an Mütter (vgl. Kapitel 1.2). In diesem Rahmen hat Pfau-Effinger (2000, 68) einen umfassenden Ansatz entwickelt, der den Wandel der Erwerbsbeteiligung von Frauen untersucht, um damit auch „Strukturen der geschlechtlichen Arbeitsteilung als Ergebnis des Zusammenspiels von kulturellen Leitbildern und institutionellen Bedingungen im Rahmen des Arbeitsmarktes, der Familie und des Wohlfahrtsstaates zu analysieren“. Ziel des Ansatzes ist es, Wechselbeziehungen zwischen Geschlechterkultur und Geschlechterordnung[30] aufzudecken. Eine Übertragung des Ansatzes in die Väterforschung erfolgt durch Tunç (2018), der den Begriff des Geschlechterarrangements seiner Analyse von Väterlichkeit und Migration zugrunde legt. Dieser böte das Potenzial, „individuell verankerte Bilder von Geschlechterkultur mit Strukturen der Geschlechterordnung in Beziehung [zu setzen]“ (Tunç 2018, 46). Außerdem lieferte die feministische Frauenforschung mit ihrer Kritik an mangelnder Gleichberechtigung, ebenso wie die steigende Anzahl berufstätiger Frauen wichtige Impulse für die Väterforschung (Tunç 2018, 40).
Mit der steigenden Zahl von Vätern in Elternzeit sowie deren Inanspruchnahme von Elterngeld sind auch sozialwissenschaftliche Publikationen in diesem Bereich gestiegen. Meuser (2016) spricht von einem regelrechten Boom der Forschung zu Väterbildern und Vaterschaftspraxen seit Mitte der 2000er Jahre. Dieses stellt für ihn ein Indiz dar, dass sich das Verständnis von Vaterschaft verändert. Eine Vielzahl der vorliegenden Studien im Rahmen der Väterforschung sind quantitativ ausgerichtet und berücksichtigen Determinanten wie Alter, Erwerbstätigkeit, Bildungsniveau und ökonomische Ressourcen (u. a. Pfahl/Reuyß 2009, Trappe 2013). Interessant erscheint an dieser Stelle auch die DJI-Jugendsurvey (2009), nach der männliche Jugendliche und junge Männer der Familie eine ähnlich hohe Bedeutung zumessen wie dem Beruf (Meuser 2016, 166f.). Knapp 95% der Befragten sehen den Vater sowohl in der Verantwortung, den Lebensunterhalt für die Familie zu sichern, als auch Zeit für ihre Kinder zu haben. Um diese beiden Bereiche zu vereinen sind aber wiederum nur 43% der jungen Männer bereit, Abstriche bei ihrer Karriere zu machen (Meuser 2016, 167). Die DJI-Survey befragt Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 12 bis 30 Jahren. Da die Ergebnisse der Studie mittlerweile zehn Jahre zurückliegen ist denkbar, dass Teile der Befragten heute bereits Väter sind. Damit wird eine Generation, die bereits früh eine nahezu gleiche Gewichtung von Beruf und Familie befürwortet, Eltern. Dennoch spielt auch weiterhin die Orientierung an finanzieller Sicherheit, vielfach in Form des Mannes, eine wichtige Rolle bei der Familiengestaltung (Meuser 2016, 167).
Jurczyk und Lange (2009, 17) reflektieren Vaterschaft in der modernen Gesellschaft. Ihrer Ansicht nach ist „Vaterschaft so populär, weil sie prekär und zugleich reflexiv geworden ist“. Grund hierfür sei, dass Vaterschaft nicht mehr ein unhinterfragter Teil der männlichen Normalbiografie ist, sondern zu einer individuellen Entscheidung und Gestaltungsaufgabe geworden sei (Tunç 2018, 39).
Peukert (2015) verweist auf die Bedeutung von qualitativer Forschung in diesem Feld, um unter anderem Aushandlungen mit der Partnerin, Geschlechter- und Familienvorstellungen sowie die Motive der Väter zur Inanspruchnahme der Elternzeit zu berücksichtigen. Mit Blick auf die Erwerbsorganisation könnten so außerdem die Unternehmenskultur sowie informelle Normen hinter der formalen Präsentation als familienfreundlicher Arbeitgeber in die Analyse einbezogen und als mögliche Einflussfaktoren für die Elternzeit betrachtet werden. Der Beitrag der Forschung ist es, auf neue Dynamiken aufmerksam zu machen, Sachverhalte zu beobachten und zu beschreiben sowie Indikatoren für Veränderungsprozesse aufzudecken und zu problematisieren, um so die gesellschaftliche Wahrnehmung zu schärfen (Cyprian 2007, 26).
In den vergangenen Jahren ist die Zahl der empirischen Studien im Feld der Väterforschung, die die familienbedingte Unterbrechung der Erwerbsarbeit von Männern betrachten, gestiegen. Possinger (2013) betrachtet Väter im Spannungsfeld von Familie und Erwerbsarbeit, während Waffenschmidt (2015) und Peukert (2015) sich auf die Aushandlungsprozesse zwischen den beiden Elternteilen konzentrieren. Die Ergebnisse verschiedener qualitativer Studien zeigen, dass die Beteiligung an der Kinderbetreuung für Männer zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist und sie sich zusätzlich zu der Erwerbsarbeit an Fürsorge- und Haushaltsarbeiten beteiligen (u.a. König 2012, Maihofer 2014, Schier 2014).
Aktuelle Forschungsschwerpunkte in der soziologischen Väterforschung betrachten den Vater in einem erweiterten Kontext aus Familien-, Geschlechter-, Paar- und Generationenziehungen und -verhältnissen. Daher werden sie auch als „väterzentrierte Väterforschung“ bezeichnet und grenzen sich so beispielsweise zu dem kindzentrierten Ansätzen der Psychologie ab (Tunç 2018, 40f.). Eine spezifische soziologische Väterforschung habe sich nach Tunç (2018) bisher dennoch nicht etabliert. Darüber hinaus kritisiert Gesterkamp (2010), dass die Väterforschung sich primär auf die Zeit der Schwangerschaft, sprich des Vater Werdens, sowie das unmittelbare Jahr nach der Geburt konzentriert. Er wirbt dafür, der Phase nach der Elternzeit mehr Aufmerksamkeit zu schenken, da hier seiner Meinung nach die größten Traditionalisierungsfallen liegen (Gesterkamp 2010, 10).
[...]
[1] Gefordert wurde diese bezahlte Auszeit unmittelbar nach der Geburt vom Frauenausschuss des EU-Parlaments bereits 2009 (Crolly 2019).
[2] Dies gilt insbesondere auf EU-Ebene. Die Regelungen und Unterstützungsleistungen variieren je nach Land stark. Für eine Übersicht vgl. Crolly (2019).
[3] An dieser Stelle erfolgt keine ausführliche Abhandlung der einzelnen Änderungen im Rahmen der Familienpolitik. Es wird sich im weiteren Verlauf auf die aktuellste Version des BEEG bezogen.
[4] Eine ausführliche Definition der ‚neuen Väter‘ findet sich in Kapitel 2.3.
[5] Eine ausführliche Abhandlung über die Väterforschung findet sich in Kapitel 2.4.
[6] Eine differenziertere Betrachtung des Rollenbegriffs sowie seinen Beitrag für die Arbeit wird in Kapitel 2.5 ausführlicher erläutert.
[7] In den Jahren 2000 bis 2018 wurden insgesamt 1037 der insgesamt 1394 verzeichneten Publikationen veröffentlicht. Hieran ist ein deutlicher Anstieg der Forschung im Feld der Väterforschung seit dem 21. Jahrhundert zu erkennen (vgl.: Gesis).
[8] Zur Übersicht der Items vgl. Zulehner & Volz (1999), S.35ff.
[9] Für einen Vergleich zwischen Wunschvorstellung und reale Aufteilung der Kinderbetreuung vgl. BMFSFJ (2018), 12.
[10] Ein weiterer interessanter Forschungszweig, der das Thema der vorliegenden Arbeit allerdings nur streift und daher nicht näher betrachtet wird, sind Studien zur Familienernährerin. Koppetsch und Speck (2015), Klenner, Menke und Pfahl (2012) sowie Klammer, Neukirch und Weßler-Poßberg (2012) fragen danach, wie sich Geschlechterarrangements und Rollenbilder verändern, wenn die Frau durch höheres Gehalt oder als Alleinverdienerin die Familie ernährt.
[11] In dieser Arbeit wird für die bessere Lesbarkeit ausschließlich die männliche Bezeichnung verwendet. Gemeint sind dennoch alle Geschlechter.
[12] Eine Vorstellung der interviewten Väter erfolgt im Kapitel 3.4.
[13] Im Rahmen dieser Arbeit werden als Familien nur heterosexuelle Partnerschaften (mit Kind[ern]) betrachtet. Eine weitergehende Differenzierung zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und ihren Entwicklungen als Familie kann aufgrund des begrenzten Umfangs der vorliegenden Arbeit nicht durchgeführt werden, stellt aber ein weiteres mögliches Feld zur Betrachtung von Arbeitsteilung dar.
[14] Seit den 1990er Jahren wird in der feministischen Theorie der Begriff der Reproduktionsarbeit schrittweise durch den der Care-Arbeit abgelöst. Caring oder caregiving wird dabei verstanden als „Sorge oder Fürsorge für andere Menschen beziehungsweise deren Pflege“ (Chorus 2013, 33). Es handelt es sich um ein integriertes Konzept, dass verschiedene Tätigkeiten im Bereich der Sorgearbeit vereint (Müller 2016, 29). In der vorliegenden Arbeit wird der Carebegriff im Sinne des BMFSFJ als „eine Einheit von Bildung, Betreuung, Erziehung, Zuwendung und Versorgung der Kinder“ (Possinger 2013, 258) verstanden.
[15] Die Autorinnen betonen darüber hinaus, dass es rückblickend keine einheitliche und gradlinige Entwicklung der Vaterrolle gab, sondern diese von verschiedensten Fakotren (Religion, sozialer Stand, usw.) abhängig war (Mühling & Rost 2007, 13). Auf eine differenzierte Darstellung der Entwicklung wird an dieser Stelle aus Platzgründen verzichtet.
[16] Eine ausführliche Abhandlung der international vergleichenden feministischen Sozialpolitikforschung, die die Entwicklung verschiedener wohlfahrtsstaatlicher Regime betrachtet findet sich bei Klammer et. al. (2012). Sie legen quantitative Daten zur ‚Frauenfreundlichkeit‘ der unterschiedlichen politischen Systeme der EU vor.
[17] Das deutsche System vertrat dabei eine Doppelstruktur von eigenständiger und abgeleiteter Sicherung. Die soziale Sicherung des Mannes erfolgte über die dauerhafte Erwerbsarbeit, während die Frau über die auf Dauer angelegte Ehe mit abgesichert war (Klammer et. al. 2012, 9).
[18] In der Statistik wird die Entwicklung für Ost- und Westdeutschland getrennt betrachtet. In dieser Arbeit wird sich auf die Werte aus Westdeutschland bezogen, da alle interviewten Väter aus den alten Bundesländern stammen.
[19] Alternativ auch als ‚Adult Worker Modell‘ bezeichnet.
[20] Das gilt sowohl für die BRD als auch für die damalige DDR.
[21] An dieser Stelle erfolgt keine Darstellung der jeweiligen Anpassungen und Veränderungen entlang des gesellschaftlichen Wandels. Für eine ausführliche Behandlung des Themas siehe Peukert 2015, 21ff.
[22] Das amtierende Kabinett (2005-2009), auch als „Große Koalition“ bezeichnet, zur Zeit der Erlassung des Gesetzes war besetzt von CDU/CSU und SPD unter Bundeskanzlerin Angela Merkel.
[23] Für ausführliche Erläuterungen zum Elterngeld sowie einen Vergleich mit dem Erziehungsgeld siehe u.a. Peukert (2015) und Deutscher Bundestag (2006).
[24] In der vorliegenden Arbeit werden nur ungleichgeschlechtliche Partnerschaften betrachtet, bei denen beide Elternteile vor der Familiengründung berufstätig waren. Für gleichgeschlechtliche Beziehungen sowie für arbeitslose Familien gelten andere Regelungen (vgl. Peukert 2015, 25f.).
[25] Vgl. u.a. Spiegel (o.J.) unter: http://www.spiegel.de/thema/mythos_neue_vaeter/,
[26] Tunç (2018) wirft die Frage auf, in wie weit Männlichkeits- und Vaterschaftsforschung getrennt voneinander betrachtet werden können und ob Väter auch hinsichtlich ihrer Männlichkeit betrachtet werden. Es wird eine Interdependenz zwischen der gesellschaftlichen Vorstellung von Männlichkeit und der Vorstellung von Vaterschaft vermutet. Dieser Perspektivwechsel kann an dieser Stelle aus Platzgründen nicht weiter thematisiert werden, stellt aber einen weiteren interessanten Forschungsansatz dar. Sie auch Baur & Luedtke 2008.
[27] Zeitliche Eingrenzungen sowie Literaturverweise für die einzelnen Phasen finden sich in Cyprian (2007).
[28] Die Väterforschung lässt sich in vier Phasen unterteilen. Eine ausführliche Abhandlung der einzelnen Schwerpunkte ist an dieser Stelle aus Platzgründen nicht möglich. Vgl. stattdessen Tunç (2018).
[29] Als ein grundlegendes Werk der Väterforschung gilt sein Werk „Zur Psychologie der Vater-Kind Beziehung“ (Fthenakis 1985).
[30] Geschlechterkultur steht dabei für das „Wissen um Wertvorstellungen und Erwartungshaltungen zum Verhältnis der Geschlechter und damit zu Formen der gesellschaftlichen Integration“ (Klammer et. al 2012, 15), während die Geschlechterordnung die in dem Kontext eingebetteten strukturellen Ebenen betrachtet.
- Arbeit zitieren
- Annika E. (Autor:in), 2020, Die moderne Rolle des Vaters in der Familie. Zwischen eigenen Erwartungen und normativen Ansprüchen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/498287
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